2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Karabiner und Bügeleisen Der Soldat Ansgar Straub Autor: Hannes Opel Redaktion: Karin Hutzler Regie: Tobias Krebs Sendung: Montag, 14.03.2016 um 19.20 Uhr in SWR2 Wiederholung: Dienstag, 15.03.2016 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ MANUSKRIPT ATMO 1: außen, 46“ O-TON 1: Ansgar Straub, 37“ Ich brauch einfach nur die Nachrichten einzuschalten und dann sieht man die ganzen Flüchtlingswellen von Ländern, die zerbrechen. Das sind einfach Dinge, da lohnt es sich nicht, für zu kämpfen. Weil, die sind arme Menschen in meinen Augen. Weil wir werden aufgefangen, wenn es uns schlecht geht. Wir können unsere Meinungen äußern und so. Wir haben in Deutschland einfach solche tollen Lebensbedingungen. Aber dass dann alle die Augen davor verschließen, was theoretisch passieren könnte, wenn jemand vor der Tür steht und sagt: „Wir annektieren jetzt!“ Fertig!“ ATMO 1 X ATMO 2: Rechner läuft hoch, Tippen o.ä (Archiv) SPRECHER: (liest Mail) Sehr geehrter Herr Opel, vielen Dank für Ihre Anfrage. Nach erneuter Prüfung schlägt WachBtl BMVg folgendes vor: Vom 03.08.2015 bis 21.08.2015 ist eine Begleitung der Protokollausbildung möglich. Ein Protagonist für Ihre Reportage ist bereits identifiziert und ein Gruppenführer steht für fachspezifische Fragen zur Verfügung. Bitte setzen Sie sich mit dem Presseoffizier des WachBtl BMVg,Herrn Oberleutnant Raebricht, möglichst bald in Verbindung, um den tatsächlichen Zeitraum genau abzustimmen. ERZÄHLER: Ich bin Hannes. Reporter und Zivilist. Den Dienst an der Waffe habe ich verweigert. Als Zivi musste ich vor zehn Jahren für das Rostocker Umweltamt mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren und aufschreiben, wo illegal Müll abgeladen worden war. Zehn Monate lang. Von dem verdienten Geld bin ich vier Monate durch Kanada gereist. Mit Krieg wollte ich nie etwas zu tun haben. Soldaten waren für mich Mörder, und Deutschland hatte am Hindukusch nichts zu suchen. Leute, die bereit sind für ihr Land zu sterben, sind mir suspekt. Trotzdem bin ich neugierig. Warum geht ein junger Mann nach der Schule zur Bundeswehr und nicht nach Kanada? ATMO 3: Exerzieren des Wachbataillons, leise, laut, Chor, Kommandos, 49“ ATMO 3a, 53“; ATMO 3b, 1‘05“ 2 ATMO 4: Fahrt mit U-Bahn, 1‘40“ ERZÄHLER: (auf Atmo) Dienstagmorgen sieben Uhr. Berlin erwacht gerade aus einer durchzechten Sommernacht. Zwischen dem Brandenburger Tor und dem größten Militärgelände der Hauptstadt liegen 13 Minuten Fahrt mit der U-Bahn. Muntere Touristen mischen sich mit müden Einheimischen. Ein Aufkleber auf einer Tür des U-Bahnzuges fordert: „Stop killing refugees!“ Nachrichtenfetzen auf Displays: Islamischer Staat, Afghanistan, die Ukraine. Der Krieg ist weit weg. ATMO 4: U-Bahnfahrt geht über in ATMO 5: Morgenantreten Zug 1, 7. Kompanie, „Morgen, 1. Zug“, Männer im Chor: „Guten Morgen Herr Oberfeldwebel!“ (Oberfeldwebel Rosenfeld kontrolliert die Anwesenheit), 1‘32 O-TON 2: Ansgar Straub, 16“ Ich heiß Ansgar. In der Kaserne als Ansgar angesprochen zu werden, ist schon lustig. Ich kenn von vielen nicht mal den Vornamen. Manchmal fällt mir auf, eigentlich sag ich ja nur den Nachnamen, aber für uns ist das schon wie ein Vorname. ATMO 6: Kurt-Schumacher-Platz, Weg zur Kaserne, 1,17“ ERZÄHLER: (auf Atmo) Am U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz endet das zivile Leben hinter einer KentuckyFried-Chicken-Filiale vor zwei Schranken und einem Wachhäuschen. Keine Fotos! Militärischer Sicherheitsbereich. Das „Kommando Territoriale Aufgaben“ ist die Steuerungszentrale der Bundeswehr im Inland. Eine Mauer umgibt das Gelände. 80 Hektar, Kirche, Kindergarten, Sport- und Exerzierplätze, das Freibad ist momentan außer Betrieb. „Gefährdungsstufe Alpha“ steht auf einem Schild hinter der Schranke. Normalzustand also. Ich kann mich als Besucher relativ frei bewegen. Trotzdem ist mir nicht ganz klar, wer hier vor wem geschützt werden soll. ATMO 7: Auf Stube, Schrankinspektion, Tür aufschließen, 43“ O-TON 3: Ansgar Straub, Schrankinspektion, 1‘51“ Man bekommt zwei Handtücher, seine Erkennungsmarke, da steht dann die Personen-kennziffer drauf. Zwei Wäschebeutel, für Dreckwäsche, für normale Wäsche ... Dienstanzug … Luftwaffe… krieg ich ‘n blauen Anzug…22“ (läuft im Hintergrund weiter) ERZÄHLER: (auf O-Ton 3) Ansgar Straub steht früh morgens vor seinem Spind und sortiert seine Sachen. Alles 3 ist penibel auf Kante gefaltet. Die Stiefel glänzen. Ansgar ist 18 Jahre alt. Sein Gesicht passt nicht recht zur Uniform. Unter dem blauen Barett liegen weiche Züge und ein wacher, aber scheuer Blick. Seine Stimme ist leise, zurückhaltend. Er siezt lieber, als dass er duzt. Er hat gerade erst Abitur gemacht. Das ist sein erster Sommer nach der Schule. Er könnte alles tun: reisen, jobben, mit seinen Freunden am See liegen. Aber er geht zur Bundeswehr. ATMO 8: außen, 44“ O-TON 4: Ansgar Straub, 28“ Es wird immer Leute geben, die Waffen hassen und die Bundeswehr hassen. Und genauso wird es Leute geben, die sagen, ich werde beschützt von der Bundeswehr. Und ich selber habe für mich die Entscheidung getroffen. Das Vaterland lohnt sich, Deutschland lohnt sich zu verteidigen. Und falls es droht zusammenzubrechen, könnte ich auch nur mit ner Grundausbildung immer einberufen werden im Verteidigungsfall. Und das möchte ich mit meinem Gewissen einfach vereinbaren. Ich könnte für meine Kinder dastehen und sagen, ich versuch euch zu beschützen. O-TON 4b: Ansgar Straub,36“ Man muss ja auch sagen, dass die Bundeswehr nicht nur, dass es nicht nur ist: Die Soldaten werden ausgebildet zum Töten und werden dann in Länder geschickt, um zu töten oder so. Nein, wir werden vor allem in Länder geschickt, um vor allem Infrastruktur aufzubauen, Brunnen errichten oder humanitäre Hilfe zu leisten, Brücken. Diese ganzen Sachen. Wir sind ja nicht, es wird ja nicht gesagt: „Gehen Sie und töten sie Osama Bin Laden!“, oder sowas. Es wird gesagt: „Gehen Sie dorthin und befreien Sie ein Dorf von Rebellen!“ Höchstens. Also, ich finde daran nichts Schlechtes. ERZÄHLER: Vor vier Monaten hat Ansgar Straub seinen Dienst angetreten. Drei Monate Grundausbildung. Nun die Ausbildung zum Protokollsoldaten im Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung. O-TON 5: Ansgar Straub, 55“ Also einerseits ist das Wachbataillon natürlich da, um die Sicherung der Regierung zu stellen. Auf der anderen Seite hat sie den ehrenvollen Auftrag die Bundeswehr zu vertreten und zu repräsentieren. Die Bundeswehr soll nicht ihre eigene Suppe brodeln. Sondern sie soll der Gesellschaft auch was zeigen. Die stehen draußen, stehen stramm, stehen ordentlich. Die Leute merken, die sind diszipliniert, die sind fähig dazu, Deutschland zu verteidigen. Die sind kräftig, gut gebaut. Und wir können uns in Sicherheit wähnen, wenn die in die Sonne gucken können, ohne zu blinzeln. Die müssen wirklich ne Selbstdisziplin haben. Sicherheit ausstrahlen. ATMO 9: Spiegelsaal, 1,17“ 4 SPRECHER: (auf Atmo 9) Wochendienstplan, I. Zg, siebte Kompanie, 33. Kalenderwoche Ausbildungsziel: I. Zg: Die Soldaten kennen die Grundlagen des protokollarischen Dienstes und können den Aufgriff aus dem Präsentiergriff Tempo 2 und 3 sowie 4 ausführen: 07.00-11.30 -Grundstellung -Marsch -Wendung Tempo 2; Tempo 3; Tempo 4 -Ausbildung im Spiegelsaal ERZÄHLER: (auf Atmo 9) Feldanzug, schwarze Stiefel und weiße Handschuhe. Am frühen Morgen steht Ansgar Straub in voller Montur vor dem Spiegel. Das glatte Kinn leicht erhoben, die Augen geradeaus. Den „panzerbrechenden Blick“ nennen sie das. Seinen Karabiner hält er in beiden Händen vor Brust und Stirn, wie ein Geistlicher das Kreuz. Neben ihm stehen vierzehn junge Männer im Spiegelsaal und blicken auf ihr Ebenbild. Festgefroren in Mimik und Pose, als hätte jemand gerade die Stromzufuhr gekappt. Der erste Zug der siebten Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung schwitzt. Die Anzüge scheuern auf der Haut, die Schultern brennen vom Aufgriff des fünf Kilo schweren Karabiners. Die Männer harren aus. Den Schmerz müssen sie wegstehen. Sie führen Krieg gegen sich selbst. Vierzig Tage lang. Das ist ihre Aufgabe. O-TON 6: Ansgar Straub (erklärt die Griffe mit dem Karabiner), 54“ Also man muss die Hacken zusammen haben, um greifen zu können. Die Hand muss durchgestreckt und angepresst sein. Das heißt man darf keine hohle Hand machen oder sonstwas, oder hinten hoch oder so. Sondern muss komplett an der Hosennaht hier. So dass immer vier Finger von der Koppel entfernt Platz sind. Theoretisch 60° auseinander, die Füße. Aber so, dass der Karabiner nicht schräg steht. Deshalb muss man das dann persönlich so ein bisschen anpassen. Je nachdem wie dick die Oberschenkel sind. Alles muss eine Linie bilden, alle drei Teile. Der Abzugsbügel muss sauber nach vorne zeigen. Die Hand angepresst und die Finger müssen alle von vorne zu sehen sein. Theoretisch müssen sie so auf die Fußspitze zeigen, aber so kann kein Mensch greifen. 5 ATMO 10: Spiegelsaal mit Kommandos, 1‘28“ ERZÄHLER: Die jungen Männer stehen noch immer stramm vor dem Spiegel. Über ihren Köpfen ist in altdeutscher Schrift zu lesen: „Nur weil das, was wir tun, einfach aussieht, heißt das nicht, dass es jeder kann!“ Hauptfeldwebel Willers schreitet an ihnen vorüber, die Arme hinter dem Rücken, wo seine Uhr zwischen den Fingern auf und ab wippt. Nach den drei Monaten Grundausbildung durchlaufen die fünfzehn angehenden Protokollsoldaten 40 Tage Drill, in denen sie zu einer Einheit zusammenwachsen müssen. Aufgriff, Präsentiergriff und Abgriff, dazu Marschieren – alles in absoluter Synchronität. Jeden Tag dieselben Bewegungsabläufe. Ihr Leitspruch „Semper Talis. Immer gleich.“ ATMO 11: Flur, Kompanie, Weg zum Kompaniechef, 57“ O-TON 7: Leutnant Schadebrodt, 26“ Das Wachbataillon hat zwo grundsätzliche Aufträge. Das erste ist der Hauptauftrag, das ist der protokollarische Ehrendienst. Der Zwotauftrag ist der Sicherungsauftrag. Der Sicherungsauftrag ist ein sehr alter Auftrag. Den gibt es schon seit dem Nationalsozialismus, als das Wachbataillon damals schon dafür verantwortlich war, im Verteidigungsfall das Regierungsviertel abzusichern. ERZÄHLER: Leutnant Schadebrodt sitzt in einem 20 Quadratmeter großen Zimmer. Als Stellvertretender Kompaniechef hat er momentan das Kommando über die siebte Kompanie. Ein großer Schreibtisch, Akten und noch ein kleiner Tisch mit Sitzecke. Dahinter ein sportlicher Mann, Anfang vierzig. Das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung gliedert sich in 9 Kompanien. Knapp 1000 Offiziere, Unteroffiziere, Mannschafter. Ein großes Team, das bekannt ist für das Ehrenspalier beim Empfang von Staatsgästen, weniger für den Wachdienst im Inland. Wer ist eigentlich der Feind? O-TON 8: Leutnant Schadebrodt, 48“ Das sind Kräfte, die keinem Staat angehören, die kein Hoheitsabzeichen tragen auf der Schulter, sondern die halt einfach nur vielleicht religiöse Interessen haben, oder irgendwelche privaten Interessen, die aber nicht für nen Staat stehen und nicht für nen Staat kämpfen, sondern einfach für sich selber oder für bestimmte Gruppierungen. Und ich glaube, dass das in Zukunft immer weiter fortschreiten wird. Proliferation also Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen oder halt den Trägersystemen davon. Genauso auch wie die organisierte Kriminalität, als auch 6 Terrorismus. O-TON 9: Leutnant Schadebrodt, 35“ (OT liegt auch in 2 Teilen vor) Wenn es schon Anschläge in Frankreich gab, ist das nicht weit weg von uns. Und das Problem ist halt auch, dass diese irregulären Kräfte, die haben halt keine Probleme, irgendwelche Staatsgrenzen zu überwinden oder so. // Die sind hinter jeder Ecke, die haben keinen bestimmten Anzug an, die können genauso rumlaufen wie wir auch. Dann drehen die sich um, ziehen irgend ne Waffe, haben irgend ne Bombe, und dann war‘s das. Das ist halt extrem schwierig, gegen nen Feind zu kämpfen, der genauso wie n Zivilist aussieht. ERZÄHLER: Deutschlands Armee kämpft an mehreren Fronten. In ihrem längsten Einsatz weit entfernt von den eigenen Landesgrenzen ist sie gescheitert. Afghanistan kommt auch nach vierzehn Jahren Krieg nicht zur Ruhe. An der Heimatfront fehlt ihr seit dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 viel Personal. Die Rekrutenzahlen sind eingebrochen. Für die Gesellschaft sind Einsätze am Hindukusch, in Mali oder dem Horn von Afrika vermittlungsbedürftig. Gleichzeitig steigt angesichts der anhaltenden Konflikte in Syrien, der Ukraine, im Irak und mit den Anschlägen in Paris ein diffuses Bedrohungsgefühl. ATMO 12: außen, 49“ O-TON 10: Ansgar Straub, 23“ Also ich seh einfach, dass es viele viele Konfliktherde gibt. Oder Sachen, die urplötzlich zu nem Konflikt werden könnten und dass wir einfach momentan nicht hundertprozentig sicher sind. Es ist alles friedlich hier, aber es könnte kippen, immer. O-TON 11: Ansgar Straub, 19“ Und wir im Wachbataillon sind ja quasi ne Garde. Wenn irgendein Anschlag geplant ist, oder so, sind wir die ersten vor Ort. Wir sind zwar die Protokollsoldaten, die hier den Karabiner schön schwingen, aber wenns hart auf hart kommt, dann sind wir die, die am Reichstag stehen. Sind wir die, die am Brandenburger Tor stehen. Is so. ATMO 12: außen geht über in ATMO 13 ATMO 13: Flur, Kompanie, 33“ Sprecher: Wochendienstplan, I. Zg, siebte Kompanie, 33. Kalenderwoche 12.30-14.15: -Infanteriegriff/ Einzelausbildung im Gruppenrahmen +Aufgriff aus dem Präsentiergriff 7 O-TON 12: Leutnant Schadebrodt, 32“ Zum Soldatenberuf an sich ist man natürlich auch eingeschränkt in seinen Grundrechten. Das ist klar. Das steht ganz klar im Soldatengesetz. Ist einer der ersten Paragraphen. Da steht so was drin wie: In Hinblick auf die Erfordernisse, die der Dienst mit sich bringt, kann der Soldat in bestimmten Grundrechten eingeschränkt werden, durch dieses Soldatengesetz. Zum Beispiel Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die haben bestimmt kein Bock, den ganzen Tag mit dem Karabiner da draußen zu stehen. Momentan müssen sie es aber machen, weil es mit zur Ausbildung gehört. ATMO 14: Spiegelsaal, 1,02“ O-TON 13: Ansgar Straub, 27“ Und was sehr schmerzhaft ist, wenn man einfach nicht trifft so. Es kann sein, dass man den Karabiner hier hat. Alles gut. Und sich dann aber mit der Hand den Karabiner gegen die Hüfte rammt. Oder auch beim Abgriff dann dieses Teil hier auf die Hüfte aufschlägt. Oder man man sich den Karabiner beim Abstellen auf den Fuß knallt. Das sind alles so Sachen, das lernt der Körper sehr schnell, das lieber nicht machen. ERZÄHLER: (auf Atmo 14) In Deutschland zeichnet sich ab, was in anderen Ländern mit Berufsarmeen längst zu beobachten ist. Der Wehrdienst ist attraktiv für Frauen und Männer aus prekären Verhältnissen. Bei der Bundeswehr bewerben sich größtenteils junge Menschen, die wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Verteidigungsministerin hat erkannt, dass sie den Rekruten größere Anreize bieten muss. Die Folge war ein Wort mit 41 Buchstaben: das Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz. Nun kocht die Kantine auch vegetarisch. Die Rekruten sind in Zwei-Mann-Stuben untergebracht, der Wehrsold wurde angehoben, so dass ein Wehrdienstleistender bereits im sechsten Monat seiner Ausbildung 1.003,50 € erhält. O-TON 14/1: Leutnant Schadebrodt, 22“ Das ist für mich so ein Idealbild, wie ich das in letzter Zeit immer wieder wahrnehme. Dass die nicht da sind aus Überzeugung, aus innerer, und sich mit dem Soldatenberuf identifizieren, sondern eher wirklich zur Überbrückung, wegen Geld, oder weil sie sonst nichts weiter finden und weil halt momentan die Bundeswehr eigentlich auf Mann und Maus angewiesen ist. Sprecher: Brief von unbekannten Rekruten an Hauptmann Schuessling: O-TON 14/2: Leutnant Schadebrodt, 16“ Ich habe auch mal ne Musterkündigung vorbereitet, sehr, sehr interessant. Steht für mich ganz oben. Ich habe den Menschen auch nicht mehr weiter befragt, weil meistens rede ich mit den Leuten dann noch mal, warum, welche Ambitionen die haben, warum die jetzt wieder kündigen, aber das ist eigentlich selbsterklärend. 8 Sprecher: Berlin, 28.05.2015 Sehr geehrter Herr Hauptmann, hiermit beende ich meine Probezeit aus folgenden Gründen: Ein gutes Einkommen, neue Erfahrungen sowie Wartesemester waren meine Beweggründe zum Eintreten in die Bundeswehr. Nach den ersten Tagen stellte ich jedoch fest, dass der geforderte Wille zum „treuen Dienen“ in mir auf große Ablehnung stieß und der Inhalt des bevorstehenden Gelöbnisses in keinster Weise mit meinen Werten in Einklang zu bringen ist. Desweiteren bot sich mir vom Karrierecenter, über die Musterung, Einkleidung bis hin zum täglichen Ablauf in der Kaserne das Bild eines unökonomischen und ineffizient agierenden Unternehmens, dessen Existenz mir unwirklich und unberechtigt erscheint. Ich sehe meine Rolle in der Bundeswehr als Verschwendung von Staatsgeldern, nicht als Staatsdiener. ATMO 15: Exerzieren im Freien, Kommandos, 1,28“ ERZÄHLER: (auf Atmo 15) Nach dem Essen geht es auf den Exerzierplatz. Die Sonne brennt über dem Beton. Mit einem weißen Kreis ist der Hubschrauberlandepunkt markiert. Sauber ausgerichtet an einer roten Linie stehen die Rekruten etwas verloren auf dem überdimensionierten Platz, in der Mitte Oberleutnant Lipinski. Als führe er ein Pferd beim Voltigieren, umkreist ihn die Mannschaft an einer unsichtbaren Leine, stoisch im Gleichschritt. Die Stiefel donnern über den Asphalt. In ihre Absätze sind Hufeisen eingearbeitet. Hauptfeldwebel Willers begleitet die Rekruten und korrigiert. ATMO 15:, raus ca. 1‘12“ Stiefel, „Halt. Links“ O-TON 15: Hauptfeldwebel Willers, 20“ Gerade der Antreteschritt ist halt am Anfang extrem schwierig, weil es ne absolut ungewohnte Bewegung ist. Dies überstreckte und dann pap. Ohne den Oberkörper nach vorne zu nehmen, ohne einzuklappen, oder Schwung zu holen mit der Hand da, das will alles aufeinander abgestimmt sein. Das Kommando im Gleichschritt Marsch und auf das M von Marsch setzen alle den Fuß. ATMO 16: Marsch mit Kommandos, 2‘03“ O-TON 16: Hauptfeldwebel Willers, 32“ Hier ist das jetzt relativ klein, wenn wir mal den Einmarsch beim Schloss Bellevue nehmen, dass sind 800 Meter und das ist dann schon ne relativ lange Zeit, also fast zehn Minuten, die die den Schritt halten müssen. Und dann natürlich den Takt nicht verändern. Gleichbleibend, Schrittfrequenz und das über einen längeren Zeitraum. 9 Und dann natürlich ja vom Beginn im Gleichschritt Marsch bis Abteilung halt ein sauberes Bild abzugeben. Der Antreteschritt. Der Marsch an sich. Das Kurztreten und das Halten, dass die auch wieder in ner sauberen Grundstellung enden, ne vernünftige Wendung zu machen. ATMO 16 geht über in ATMO 17 ATMO 17: Hermsdorf, 53“ ERZÄHLER: (auf Atmo 17) Die Welt, die zwischen Kaserne und Elternhaus liegt, scheint Ansgar Straub ein wenig fremd zu sein. Er bewegt sich schnell durch sie hindurch. Dabei trägt er seine Uniform wie einen Schutzmantel. Er sieht sich als Vorbild für Andere. Niemals würde er über eine rote Ampel gehen. Ein Soldat setzt sich nicht einfach überall hin und lehnt sich nicht an. Manchmal schlägt ihm außerhalb der Kaserne von jungen Leuten Ablehnung entgegen, das kann er nicht verstehen. Warum soll er sich rechtfertigen, Soldat zu sein? O-TON 17: Ansgar Straub, 22“ Ich hab zum Glück keinen langen Weg. Ich muss zweimal Bus fahren und dann ein bisschen laufen. Aber man sieht schon, man merkt schon, wenn einer einen komisch anguckt. Von daher überleg ichs mir auch zweimal, mit Uniform nach Hause zu fahren. Aber andererseits bin ich auch stolz darauf Soldat zu sein und möchte das dann auch zeigen. (Den Leuten, die es interessiert. Die Leute, die es nicht mögen, die brauchen nicht hingucken.) ATMO 18: Hermsdorf, 1‘00“ O-TON 18: Ansgar Straub, 44“ Ich glaube, keinem Menschen oder den wenigsten Menschen oder zumindest den Soldaten macht das keinen Spaß zu töten. Du würdest auch nicht in die Bundeswehr reinkommen, wenn du Spaß daran hättest zu töten. Die prüfen schon sehr genau, wer ins Ausland darf und wer nicht. Und von daher weiß ich auch nicht, was diese Diskussionen immer sollen. Jeder Soldat soll immer sagen, es wird mir kein Spaß machen zu töten. Die meisten Soldaten werden aber sagen, ich würde damit irgendwie trotzdem klar kommen, dass ich jemand getötet habe. Weil ich weiß, dass es ein Muss war und eh, die Leute die letztendlich auf den Knopf drücken, oder den Abzug betätigen, die müssen, dann letztendlich darauf vertrauen, dass die Leute, die das autorisiert hatten, Recht hatten. ATMO 19: Hermsdorf, Park, Fellbacher Platz, 1‘06“ 10 ERZÄHLER: Ansgar sitzt auf einer Parkbank und spricht über den Schießbefehl. Er hat viel darüber nachgedacht. Gleichzeitig scheint er aber auch müde zu sein, die Diskussion immer wieder führen zu müssen. O-TON 19: Ansgar Straub, 46“ Das ist schwer zu vermitteln, weil du wüsstest jetzt nicht mal, wie man ne Waffe hält, oder […] wann man entsichert oder wie der Abzugspunkt ist, das weiß ein Soldat halt. Und der weiß auch ganz genau, was rauskommt. Dazu werden Soldaten letztendlich ja auch ausgebildet und in dem Moment tust du’s dann, weil du es tun musst. Weil du weißt, dein Kamerad könnte sterben, du könntest sterben. Du könntest deine Frau und deine Kinder unglücklich machen. Und im Nachhinein gibt es dann Leute, die PtBS bekommen, und es gibt welche, die es nicht bekommen. (Weil das sind dann einfach die Leute, die dann das mehr als Aufgabe ansehen als Akt von Unmenschlichkeit.) ATMO 20: Flur, 30“ Sprecher: Wochendienstplan, I. Zg, siebte Kompanie, 33. Kalenderwoche 14.15-16.15 I. Zg Organisationszeit -Vorbereitung Anzüge ATMO 21: außen, 36“ O-TON 20: Ansgar Straub, 18“ Das ist nicht wie ne Ausbildung. Du lernst nicht, wie man kocht oder wie man schreinert, sondern man lernt einfach über seinen Körper, über Zeitmanagement, über Manieren, oder du lernst bügeln, solche alltäglichen Sachen, die du einfach auch mal brauchst. ATMO 21 geht über in ATMO 22: Bügeln auf dem Flur, rauschen von Dampfdüsen, Gespräche, 1‘38“ ERZÄHLER: (auf Atmo 22) Zwei Stunden exerzieren die Rekruten im Kreis. Nächster Auftrag: bügeln. Im Flur vor ihren Stuben stehen sie nun in Zweierteams an Brettern und kämpfen mit ihren Hemden. Es zischt und dampft. Schweißgeruch und Laugenwasser. Bewaffnet sind sie mit einer Tefal Aquaspeed 260. 2400 Watt Leistung vom Heck befüllbar. Sie wird mit dem Zaubermittel geladen, einer Mischung aus Wasser, Seife, Rasierschaum und Duschbad. Die Uniform zu bügeln ist Teil der Ausbildung und tägliche Übung. 11 O-TON 21: Ansgar Straub, 48“ Wir sollen jetzt die Leute unterstützen, die noch nicht fertig gebügelt haben. Alles fertig machen, was geht und dann ist hoffentlich Dienstschluss. Wenn wir nicht faul sind. Also zwo mal in der Woche in der Protausbildung (Protokollausbildung). Also diese Woche haben wir ein bisschen mehr gebügelt. In der aGa (Grundausbildung) … mussten wir teilweise bis in die Nacht hinein bügeln […], weil die Ansprüche auch sehr hoch sind, und die Hemden sind schwer zu bügeln. ERZÄHLER: (auf Atmo 22) Das Wachbataillon repräsentiert während des protokollarischen Ehrendienstes alle Teilstreitkräfte der Bundeswehr. Deshalb hat jeder Protokollsoldat Heeres-, Luftwaffen- und Marineuniformen im Schrank. Da darf nicht die kleinste Falte zu sehen sein. Die Ausbilder kontrollieren die Ergebnisse. Sind sie unzufrieden, muss der Protokollsoldat nachbessern. Am Ende ihrer Ausbildung steht die Prüfung durch den Kommandeur, die Protokollabnahme: Exerzieren, Infanteriegriff und natürlich das Erscheinungsbild des Zugs, von der Haarlänge bis hin zur Stiefelpolitur. Auch hier ist Ansgar Straub vorbildlich. Er will ein guter Soldat sein. Genau wie sein Vater. O-TON 22: Ansgar Straub, 23“ Ich trag ja als einziger im Zug andere Namensbänder. Das sind die alten Namensbänder. Die ganz alten von meinem Vater. Und ich habe sie mir einfach drauf gemacht. Und ich wusste, wenn ich die drauf habe, werde ich niemals scheitern wollen. Werde ich immer alles geben, die Zähne zusammenbeißen und wissen, mein Vater hat das auch alles durchgestanden. ATMO 23: Abschlussantreten, 50“ ERZÄHLER: Nach dem Abschlussantreten gegen 16 Uhr sitzt Ansgar Straub noch kurz auf seiner Stube, versorgt seine Ausrüstung und ordnet den restlichen Tag. Er wird noch mindestens einen halben Liter Milch trinken, 500g Magerquark, Bananen und Nüsse zu sich nehmen, jede Kalorie ist abgezählt. Als Kraftsportler folgt er einem strikten Ernährungs- und Trainingsplan, den er penibel einhält. Am Tag 260 Gramm Eiweiß, 430 Gramm Kohlenhydrate und 87 Gramm Fett, 3.700 Kilokalorien. Er nimmt keinen Zucker zu sich. Trinkt keinen Alkohol und engagiert sich gegen Drogen mit Mottoshirts. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der sein Leben einer solchen Disziplin unterwirft. ATMO 24/1, 27“ + 24/2, 1‘27“: im Supermarkt mit Ansgar Straub 12 O-TON 23: Ansgar Straub, 19“ (auf Atmo 24) Also ich wollte vor allem nicht so dünn sein. Wollte ein bisschen zunehmen. Das gibt einem viel mehr Sicherheit, vielmehr Selbstbewusstsein, sicheres Auftreten, aufrechten Gang, ne schöne Figur. Man kommt gleich ganz anders rüber auf jeden Fall. Und das ist halt genau mein Ding. ATMO 24/1 + 24/2: im Supermarkt mit Ansgar Straub O-TON 24: Ansgar Straub, 38“ Das brauche ich nicht ausrechnen, ich habe es einmal ausgerechnet und ich esse immer dasselbe. Pro Tag ein Liter Milch. Mindestens ein halbes Kilo Fleisch. Mindestens 150 Gramm Nudeln. Dann ein bisschen Obst. Jeden Tag Magerquark. Ansonsten habe ich noch so ne Haferflocken zu Hause, die ich dann morgens immer esse mit Apfel. Abends dann immer mit Banane. Mittags dann eben so ne Bolognesesauce mit Hühnchen. (Atmo) ATMO 25: Hermsdorf, Park, Fellbacher Platz, 55“ ERZÄHLER: (auf Atmo) An einem Sonntagnachmittag sitzt Ansgar Straub auf einem Platz nicht weit von seinem Elternhaus. Hermsdorf scheint auf den ersten Blick nicht mehr zu Berlin zu gehören. Der äußerste Norden der Hauptstadt ist ruhig. Es sind kaum Menschen auf der Straße. Ansgar gefällt das. Er ist hier aufgewachsen, mitten im Naturschutzgebiet, an Lehmgruben, die später zu Seen geflutet wurden. Er kennt den Ort, seine Einwohner. Er sitzt da und wartet: Drei Bänke, ein paar Bäume und eine achteckige, grüne Eisentoilette aus Gründerzeiten leisten ihm Gesellschaft. O-TON 25: Ansgar Straub, 19“ Das ist einfach so für mich total vertraut. Und ich guck hier rum und ich kenne alles, das ist schön. Alles hat ja ne Geschichte. Ich weiß, welche Läden vorher da drin waren, und ich weiß, wie dieser Laden aussah, bevor er umgestaltet wurde. ATMO 26: Hermsdorf, Park, Fellbacher Platz 1‘54“ ERZÄHLER: (auf Atmo) Von der Bank aus kann er die Kirche sehen, in der er konfirmiert wurde. Seine Schule steht ein paar hundert Meter weiter. Nachts brennen hier noch historische Gaslaternen. Hermsdorf ist ruhig und friedlich. Wenn Ansgar Straub sagt, dass er sein Land verteidigen will, denkt er vermutlich an diesen Ort. Ob man den Frieden hier durch Einsätze am Hindukusch sichert oder nicht, das weiß Ansgar auch nicht so genau. Aber er glaubt, wenn man Frieden will, muss man bereit sein, ihn zu verteidigen. 13 Was entgegnet er denen, die ihn dafür verurteilen? Ev. ATMO 4: U-Bahn O-TON 26: Ansgar Straub, 38“ Wenns ginge, würde ich ihm ne Waffe in die Hand drücken, ihn nach Afghanistan schicken und ihn’s selber machen lassen. Da kann er selber entscheiden ob er das macht oder nicht. Ich würde ihn einfach fragen. Du ok, was ist deine Vorstellung? Willst du jetzt, dass keine Waffen mehr existieren, willst du, dass es überhaupt kein Krieg mehr auf der Welt gibt? Bitteschön, das ist ne utopische Vorstellung, das wird niemals passieren, was willst du also von mir. Wenn ich’s nicht mache, dann macht’s am Ende keiner, fertig. Dann ist das Land ungeschützt und dann kannst du dir ausmalen, was passiert. Dann wirst du am Ende noch dein Küchenmesser benutzen müssen. (Atmo) 14
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