Die Zeiten ändern sich

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Wie gehe
gehe ich
ich mit
mit meiner
meiner Lebenszeit
Lebenszeit um?
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Wie
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ind wir über 60 Jahre und älter, so wissen wir, dass
mehr als die Hälfte unseres Lebens gelebt ist. Die
meisten Entscheidungen wurden schon getroffen.
Wir müssen uns jetzt darüber Gedanken machen, wie wir
den Rest der Lebenszeit gestalten wollen. Diese Frage haben wir uns sicher alle schon einmal gestellt.
Die Anregung, mich mit diesem sensiblen Thema näher
zu beschäftigen, entstand vor einigen Monaten nach einem
Gespräch mit meinem Sohn Moritz, als er mich während
des Abendessens unvermittelt fragte: „Sag mal Papa, hast
du eine Vorstellung, Gedanken, einen Plan, wie du zukünftig mit Deiner Zeit umgehen möchtest?“
Gerade Rentner geworden, die 70 überschritten und
keinen Plan! Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Wie
könnte ein solcher Plan aussehen? Veränderungen mögen
wir nicht mehr so sehr, haben die Dinge gerne an ihrem
Platz, müssen uns mit gesundheitlichen Einschränkungen
beschäftigen.
Goethe hat vor zwei Jahrhunderten in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ die Möglichkeiten des Menschen einmal
so beschrieben: „Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage geboren; einfache, nahe, bestimmte Zwecke vermag er
einzusehen und er gewöhnt sich, die Mittel zu benutzen, die
ihm gleich zur Hand sind; sobald er aber ins Weite kommt,
weiß er weder, was er will, noch was er soll und es ist ganz
einerlei, ob er durch die Menge der Gegenstände zerstreut,
oder ob er durch die Höhe und Würde derselben außer sich
gesetzt werde. Es ist immer sein Unglück, wenn er veranlasst wird, nach etwas zu streben, mit dem er sich durch
seine regelmäßige Selbsttätigkeit nicht verbinden kann.“
Aber woher können wir wissen, was für uns gut und
richtig und was falsch ist? Wir müssen uns ausprobieren
und dafür benötigen wir Zeit. Goethe will uns damit wahrscheinlich sagen: „Mach das, was Du gut kannst, das andere
ist zu schwer und du wirst daran scheitern!“
Ob Goethe seine fatalistische Betrachtung ändern würde, wenn er heute auf die Entwicklung des Menschen blicken könnte, weiß ich nicht, er wäre aber sicher erstaunt.
Sein Urteil wäre auch heute klug und spannend. Gewiss gibt
es Methoden, vernünftig mit seiner Zeit umzugehen, und es
fehlt auch nicht an einschlägigen Ratgebern für individuelles
Zeitmanagement. Wie man z.B. Zeitdiebe erfasst, Prioritäten
setzt, Nein zu sagen lernt, komplexe Aufgaben in Einzelschritte zerlegt und vermeidet mehrere Dinge zugleich erledigen zu wollen. Was in der Regel kaum zu Zeitersparnis,
sondern nur zu größerer Verwirrung und Stress führt!
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Entschleunigung lässt sich erlernen und es gibt durchaus
Möglichkeiten, in einem insgesamt beschleunigten Umfeld
sich seine Zeitsouveränität zu bewahren. Eine Freundin hat
mir Yoga empfohlen, selber habe ich Za Zen erlernt, eine
asiatische Form des Sitzens in der Stille.
Jeder Mensch geht im Durchschnitt 150 Million Schritte
in seinem Leben, der eine mehr, der andere weniger. Wie
viel Zeit er darauf verwendet, kann man nicht sagen. Aber
wenn wir diese Schritte nicht gehen würden, gewännen
wir keine Zeit, die wir auf unserem „Zeitkonto“ verbuchen
könnten. Wir geben uns Regeln und eine Ordnung, damit
wir unsere Zeit besser nutzen. Pünktlich zu sein, ist die
Voraussetzung für ein gutes Gelingen aller Vorhaben, die
gemeinsam durchgeführt werden sollen. Dabei hilft uns die
Uhr. Das hat zur Folge, dass wir uns einem Zeitkonzept
unterordnen, eine Planung zulassen, was wir mit unserer
Zeit – letztlich unserer Lebenszeit machen wollen.
Der damalige preußische König erließ 1853 ein Gesetz
zur Vereinheitlichung der Uhrzeit, was zur Folge hatte, dass
nicht nur die Arbeitszeit, sondern auch die Freizeit geplant
wurde.* Das Gesetz schaffte Planungssicherheit für Unternehmen – aber auch für Familien. Dank Handy und Internet
dreht sich diese Entwicklung gerade wieder. Die Folgen
kennen wir noch nicht.
Wenn wir nun an unsere Lebenszeit denken, und uns
dem Wert und der Betrachtung der Zeit von der philosophischen Seite nähern, also auch das Zeitgefühl ansprechen, so
könnten wir ja auf die Idee kommen, dass wir unsere Lebenszeit beeinflussen können. Das können wir aber nicht.
Sobald wir geboren werden, steuern wir geradewegs auf
unser Ende zu. Das wissen wir auch, schauen aber eher
wie unbeteiligt auf die Ereignisse, so als wären wir nur
Zuschauer.
Aus einer anderen Perspektive beschreibt die Zeit das
Fortschreiten der Gegenwart aus der Vergangenheit in die
Zukunft. Die Zeit beschreibt die Abfolge von Ereignissen,
hat also im Gegensatz zu anderen physikalischen Größen
eine eindeutige, unumkehrbare Richtung.*
Unser Zeitgefühl führt uns manchmal in die Irre. Ich
empfinde das so. In der Betrachtung und Analyse geht es
nicht um den Verbrauch von realer Zeit, sondern um die
Werthaltigkeit der Tätigkeit, mit der ich meine Zeit verbringe und den daraus resultierenden Empfindungen. Wenn
etwas für uns hoch spannend ist, verbunden mit einer hohen
geistigen Tätigkeit, die uns neue Impulse gibt, entsteht die
Vorstellung, dass der Vorgang nur kurze Zeit andauert. Ist
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fotolia de
ein Vorgang für uns Routine und fordert eine geringe geistige Tätigkeit, so haben wir die Vorstellung, dass er eine
längere Zeit andauert.
Mein persönliches Fazit zum Verhältnis von Lebensalter
und Zeitgefühl: Beim älteren Menschen kommt es seltener
vor, dass er sich mit neuen Anforderungen beschäftigen
muss. Er hat die Empfindung, dass die ihm bekannten Vorgänge viel Zeit verbrauchen. Die Zeit vergeht also langsamer. Das heißt ja: Je mehr wir uns auch im Alter neuen
Eindrücken und Aufgaben stellen, um so sinnvoller nutzen
wir die Zeit. Demnach haben wir die Wahl zwischen sinnvollen und weniger sinnvollen Beschäftigungen, wenn wir
das wollen. Die Grenzen sind oft fließend.
Als Kind und Jugendlicher habe ich über meine innere Uhr,
mein persönliches Zeitgefühl, überhaupt nicht nachgedacht.
Heute habe ich damit meinen Frieden gemacht. Sie bringt sich
dann in Erinnerung, wenn ich morgens aufwache, bevor der
Wecker sich meldet. Je nach Renteneintritt ist von der wertvollen Lebenszeit nicht mehr allzu viel vorhanden. Und wenn die
eigene Zeitspanne immer begrenzter wird, denken wir auch
öfter über die Zeit nach, die restliche Lebenszeit.
In den Formulierungen der Umgangssprache drückt sich
das subjektive Zeitempfinden im Bezug auf das Vergehen
der objektiven Zeit aus. Beispielsweise sagen wir: Keine
Zeit haben, Zeit vergeht nicht, sich Zeit nehmen, Zeit gewinnen/verlieren, jemandem Zeit schenken/stehlen, Zeit
totschlagen, die Zeit rennt uns weg, die Zeit ist abgelaufen. Neuerdings hören wir bei den Verkehrsmeldungen im
Rundfunk immer den Nachsatz: „Zeitverlust etwa 15 oder
sogar 30 Minuten“. Wer hat sich das ausgedacht. Da stiehlt
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mir jemand wertvolle Zeit und verkündet es auch noch öffentlich. Wer gibt mir denn diese Zeit zurück?
Wie sollen wir mit unserer Zeit umgehen? Es gibt keine
allgemeingültige Antwort! Ich persönlich gehe heute sorgsamer und schlauer mit meiner Ressource Zeit um. Und es
ist jedes Mal ein wunderbares Erleben, unsere Zeit miteinander in Gemeinschaft zu verbringen, wo wir einander
zuhören und Gedanken austauschen, die uns gegenseitig
weiter bringen. Es macht unser Leben sinnvoll und kostbar.
Wissen zu teilen, Reflexion üben und uns auch ganz nebenbei fragen: „Wie viel Zeit bleibt uns noch“? Es ist gut und
richtig, dass wir es nicht wissen. Und wegen des riesigen
Wertes dieser Perspektive muss die Vorstellung vom Göttlichen erst entstanden sein. So wie wir gekommen sind,
gehen wir auch wieder von dieser Welt.
Neulich las ich einen Reisebericht von Walter Leppers in
meiner Tageszeitung. Er wurde gefragt, warum er seit Jahren
mit dem Fahrrad durch die Welt fährt und wie lange er das
noch tun wolle? Seine Antwort hat mir gefallen: „Man hört
nicht auf, bestimmte Dinge zu tun, weil man alt wird. Man
wird alt, weil man aufhört, Dinge zu tun. Wenn ich nicht
mehr neugierig bin auf das, was hinter der nächsten Ecke auf
mich wartet, dann hör ich auf.“ Wir müssen und können nicht
alle mit dem Fahrrad durch die Welt fahren, aber es gibt so
viele wunderbare Möglichkeiten, die es uns erlauben, unsere
Zeit neugierig zu verbringen. Kleine, überschaubare Schritte
im Lebensplan, die uns allen gut tun.
Mein Sohn Moritz hat sich darüber gefreut, wie ich mich
mit seiner Frage und dem Thema beschäftigt habe. *Wikipedia
Eberhard Wagner
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