Christ_und_Welt_2016_03_04

Fruchtbare Hilfe zur Selbsthilfe
AUSTAUSCH Die Weltgruppe
der Pfarrei Oberwil ZG wollte
vor 20 Jahren mehr als nur die
Patenschaft für eine andere
Pfarrei. Was sie erreicht hat,
sprengt die Erwartungen.
Anita
Wagner Weibel
W
as denkst du in deinem Herzen? Mit dem Herzen meine
ich jene Mitte, wo Erkennen und
Handeln entstehen, wo der Ausgangspunkt alles folgenden Denkens ist, wo das Denken schliesslich
in die Hand fliesst. Was für ein
Denken bestimmt meine Person
als Ganzes, und welches Denken
meine Handlungen? In der jüdischen Überlieferung gibt es eine
Kurzweisheit:
ANDREAS FAESSLER
[email protected]
Nationale und internationale Patenschaften haben in der Schweiz Tradition.
Gemeinden helfen Gemeinden, Vereine
helfen Vereinen, Pfarreien helfen Pfarreien ... So war auch die Pfarrei Bruder
Klaus in Oberwil ZG einst Patin eines
Projektes in Peru, welches 1995 abgeschlossen war. Dann entschied sich die
heute siebenköpfige Weltgruppe der Pfarrei Oberwil, einen Schritt weiterzugehen,
und wählte gemeinsam mit der Missionsgesellschaft Immensee ein neues Projekt
aus. Der Ort: die Pfarrei Sagrada Familia
de Belén in El Alto, einem Vorort der
bolivianischen Metropole La Paz, wo viel
Armut herrscht. Das neue Ziel: eine
dauerhafte Partnerschaft, durch welche
die Menschen auch lernen, sich selbst
zu helfen. Ende November 1996 erfolgte
schliesslich der Start zu einem in mehrfacher Hinsicht fruchtbaren, stets gewachsenen Austausch und gleichsam
einer gelebten Freundschaft zwischen
den Pfarreien Oberwil und El Alto – dies
ungebrochen seit genau 20 Jahren.
Aufbau einer Infrastruktur
Drei Schwerpunkte machen diese Partnerschaft aus: Kommunikation (Austausch unter gleichwertigen Partnern),
Spiritualität (Anteilnahme und Gebet)
sowie Solidarität (Hilfe zur Selbsthilfe).
Bereichernd, aber auch anspruchsvoll
waren dabei die gegenseitigen Besuche.
«Wenn wir in El Alto finanzielle Unterstützung gewähren, so erwarten wir im
Gegenzug auch eine Eigenleistung», erklärt Ursula Pfulg von der Weltgruppe
Oberwil. «Und sei das beispielsweise auch
nur die Bereitschaft zur Fronarbeit oder
zu einem anderweitigen aktiven Mitwirken, um das Projekt zu realisieren.» Das
hat stets gut funktioniert: Dank dieser
intensiv geführten Partnerschaft verfügt
die Pfarrei in El Alto mittlerweile über
einen Gemeinschaftssaal, eine Bibliothek
als Schlüssel zur Bildung und eine Kirche.
Zur Einsegnung Letzterer waren vier Mitglieder der Weltgruppe persönlich zugegen. «Sie sieht ein bisschen aus wie
unsere Pfarrkirche hier in Oberwil», sagt
sie amüsiert. Weiter zu Stande gekommen
sind mit der Hilfe aus der Zentralschwei-
Die Kirche vor
einer Revolution?
LITERATUR red. In seinem vor wenigen Tagen publizierten Buch «Immer dieser Jesus»,
fragt Autor Heiner
Geissler, ob die
Kirche vor einer
Revolution steht.
Nur in der radikalen Umkehr und
Erneuerung, so
Geissler, liege die
Rettung der Kirche, denn im jetzigen Gesetzesund Dogmensystem des Vatikans
hätte Jesus keinen Platz mehr. Die
katholische Kirche ist durch schwere
Fehler der Päpste und der vatikanischen Kurie ins Wanken geraten. Der
skandalöse Umgang mit dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen hat den Unfehlbarkeitswahn des
Vatikans entlarvt. Heiner Geissler
erklärt, wie sich die Amtskirche im
Laufe der Jahrhunderte zu einem
dogmatischen, demokratie- und frauenfeindlichen System entwickelt hat.
Wo bleibt die bedingungslose Orientierung der Kirche an Jesus? Und wie
müsste eine Kirche aussehen, die den
Auftrag des Evangeliums wieder ernst
nimmt?
Heiner Geissler, «Immer dieser Jesus –
Steht die Kirche vor einer Revolution?»,
224 Seiten, Ullstein Verlag, Fr. 26.90.
Herzdenken
MEIN THEMA
Vier Mitglieder der Weltgruppe Oberwil mit Textilarbeiten aus Bolivien.
Ursula Pfulg (Zweite von rechts) ist seit Anfang mit dabei.
Bild Stefan Kaiser
zer Pfarrei unter anderem Jugendprojekte, der Unterhalt der Infrastruktur, eine
Rechtsberatung und als jüngstes Projekt
die Unterstützung einer Gruppe von
Menschen mit Behinderung. Die Löhne
der Bibliothekarinnen in El Alto werden
auch aus Oberwil finanziert. «Quasi aus
der Pfarrei-Kaffeekasse», sagt Ursula
Pfulg und unterstreicht damit, wie unterschiedlich die Standards in Südamerika
sind, denn für bolivianische Verhältnisse
verdienen diese Frauen ein angemessenes Gehalt für ihre Arbeit. Das ist der
Weltgruppe in Oberwil ein grosses Anliegen. Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Partnerschaft soll als nächstes Projekt die Bibliothek aufgerüstet
werden mit PC und Internetzugang.
Puppen sichern Lebensunterhalt
Aus dem Geben-und-nehmen-Prinzip
dieser Partnerschaft ist im Laufe der Zeit
noch ein weiterer Austausch hervorgegangen. Mittlerweile der wichtigste überhaupt und gleichsam der ungewöhnlichste. In El Alto leben zahlreiche Frauen, die kaum Geld zum Überleben haben.
Viele von ihnen nämlich sind alleinste-
hend ohne Einkommen, teils mit Kindern.
Doch sie alle sind sehr versiert in Sachen
Handarbeit. So haben sich im Jahre 2000
die «Leonas» gebildet, eine Gruppe von
Frauen, die hauptsächlich fantasie- und
qualitätsvolle Fingerpuppen anfertigen,
welche nach Oberwil geschickt und dann
an Chilbi- und Marktständen sowie in
Claro-Läden zum Verkauf angeboten werden. Die Frauen erhalten einen angemessenen Lohn für ihre Arbeit, von dem sie
aber einen Teil in einen Solidaritätsfonds
einzahlen müssen. Dieser Fonds dient
beispielsweise als Krankenversicherung.
Hier kommt das Credo «Hilfe zur Selbsthilfe» besonders deutlich zum Tragen.
«Wir möchten nämlich, dass die Menschen in El Alto erfahren, dass sie gemeinsam etwas erreichen und aufbauen
können», führt Ursula Pfulg aus. «Und
wir erwarten auch Rechenschaftsberichte aus El Alto.» Die Fingerpuppen sind
für die «Leonas» zu einem wichtigen
Geschäft geworden, das ihnen und ihren
Familien den Lebensunterhalt sichert.
Rund 150 Modelle werden von ihnen
angefertigt. Bisher wurden Puppen für
180 000 Franken in die Schweiz geliefert.
«Die Partnerschaft ist eine Bereicherung für beide Seiten und ermöglicht
einen Weitblick über den Gartenzaun
hinaus», hält Ursula Pfulg fest. Diese
Verbindung werde von vielen Oberwilern mitgetragen mit Interesse, Spenden und Gebeten. «Und es macht uns
natürlich auch stolz, zu sehen, dass die
Partnerschaft trotz der Verschiedenartigkeit und der grossen Distanz weiter besteht.»
El-Alto-Tag am Zugersee
Oberwil feiert heuer nicht nur den
60. Geburtstag der Pfarrei, sondern
auch das 20-jährige Bestehen dieser
erfolgreichen Partnerschaft mit der
Pfarrei in Bolivien. Übermorgen Sonntag ist El-Alto-Tag in Oberwil am Zugersee. Der Jubiläumstag beginnt mit
einem Festgottesdienst um 10 Uhr und
gewährt Einblicke in diese langjährige,
aussergewöhnliche Partnerschaft.
Hinweis
Alles Wissenswerte über die Weltgruppe
der Pfarrei Oberwil und der Partnerschaft mit
El Alto unter www.weltgruppe-oberwil.ch
«Achte auf deine Gedanken, denn
sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie
werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn
sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten,
denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn
er wird dein Schicksal.»
Eins greift somit ins andere: die
Gedanken ins Wort, das Wort ins
Handeln, das Handeln in die Gewohnheit, die Gewohnheit in den
Charakter. Und schliesslich ruft
unser Charakter unser Schicksal. Was
– also – denkst du in deinem Herzen?
Am Anfang, als Quelle, die alles bestimmt, stehen meine Gedanken.
Sie ergreifen nach und nach all
meine Lebensphäre. Das kann mich
zur Nörglerin, Pessimistin, Frustrierten und Zitronenbeisserin machen oder zu einem Menschen der
Weitherzigkeit, der Hoffnung, der
Friedfertigkeit und des Humors.
Was aus meinem Leben wird, beginnt nicht erst bei den Handlungen, sondern bei meinen Gedanken, die ich im Herzen trage.
Ich wünsche Ihnen noch eine
besinnliche Rest-Fastenzeit
Anita Wagner Weibel,
Gemeindeleiterin im Ruhestand, Rotkreuz,
[email protected]
Gehören Kreuze in Friedhofshallen?
RELIGION Wo Abdankungshallen künftig religionsneutral
gestaltet werden, könnten
Kirchen in ein Dilemma geraten. Ein Beispiel aus Luzern.
Die Einsegnungs- und die Abdankungshalle im Friedhof Friedental in der
Stadt Luzern sind heute mit christlichen
Symbolen geschmückt. Künftig sollen
sie in einem «konfessionslosen und
neutralen Erscheinungsbild» gehalten
werden, wie es im Bericht des Stadtrats
zur Friedhofsanierung heisst. Heute
würden die christlichen Symbole regelmässig für negative Reaktionen bei Angehörigen sorgen, so die Begründung.
Ein Antrag der städtischen CVP, die
christlichen Symbole in den Hallen zu
belassen, fand im Grossen Stadtrat vergangene Woche keine Mehrheit.
«Entscheid tut auch weh»
Stadtgärtner Cornel Suter erklärt, dass
eine Gipsplatte die Wandgemälde künftig abdecken soll. «Die Gemälde werden
also quasi unsichtbar gemacht, aber
nicht entfernt.» Der Erhalt der Gemälde
sei auch aus denkmalpflegerischen
Gründen sinnvoll. Bei den Kirchen löst
der Entscheid der Stadt zwiespältige
Gefühle aus. Marlene Odermatt, Präsi-
Urs Dickerhof erklärt, dass es in der Abdankungshalle auf dem Friedhof Gerliswil keine religiösen Symbole hat. Einzig
über dem Eingang hänge ein Kreuz. «Wir
hatten bis jetzt null Komma null negative Reaktionen.» In Horw gibt es keine
Abdankungshalle, sondern nur eine Aufbahrungshalle. In dieser sind christliche
Symbole enthalten, allerdings hat es laut
Gemeindeschreiber Daniel Hunn noch
nie Probleme deswegen gegeben.
Auch in der
Abdankungshalle
in Kriens wird auf
religiöse Symbole
verzichtet.
Neutrale Halle auch in Sursee?
Billd Corinne Glanzmann
dentin des Kirchenvorstands der Reformierten Kirche Luzern, sagt: «Für
mich ist es nachvollziehbar, dass man
einen neutralen Ort gestalten will. Aber
der Entscheid tut schon auch weh.» Die
christlichen Symbole stünden für die
Herkunft der Gesellschaft. «Andererseits
bin ich mir bewusst, dass sich diese
Gesellschaft verändert. Und schliesslich
haben nicht nur Christen Anrecht auf
diesen Saal.» Es sei auch eine Wertschätzung gegenüber anderen Personen.
Eine ideale Lösung gibt es laut Odermatt
nicht, denn: «Es ist ein emotionales
Thema. Bei hundert Personen gibt es
hundert verschiedene Meinungen.»
Edi Wigger, Synodalverwalter der Römisch-katholischen Landeskirche des
Kantons Luzern, sagt: «Wir können
nachvollziehen, dass man einen Raum,
der Menschen unterschiedlicher Religionen offensteht, nicht auf eine Religion
ausrichten will – auch weil hier der Staat
zuständig ist.» Werden hingegen Räume
der Kirche für Abschiedsfeiern beansprucht, stehe eine Umgestaltung nicht
zur Diskussion. «Sollte zudem die Diskussion darauf ausgeweitet werden,
christliche Symbole im öffentlichen
Raum zu entfernen, hätten wir dafür
kein Verständnis», sagt Wigger.
In Kriens ist die Abdankungshalle auf
dem Friedhof Anderallmend seit Jahren
neutral gehalten, wie Gemeindepräsident
Cyrill Wiget erklärt. «Das hat sich so
ergeben und war noch nie ein Problem.»
Einzig in den Aufbahrungsräumen habe
es ein Kreuz, was aber auch noch nie
zu Diskussionen geführt habe. Ähnlich
verhält es sich in Emmen. Gemeinderat
In Sursee hingegen ist das Thema aktuell. So sagt Marcel Büeler, Friedhofsverwalter der Stadt, dass zurzeit Diskussionen
stattfinden, wie der Abdankungsraum
künftig gestaltet werden sollte. Das Gebäude steht auf dem Friedhof Dägerstein
und ist laut Büeler über 30 Jahre alt. In
den nächsten Jahren soll die Einrichtung
angepasst werden, da diese «in die Jahre»
gekommen sei. Momentan stehen im
Raum römisch-katholische Symbole. «Wir
diskutieren nun, ob der Raum ohne religiöse Symbole gehalten werden soll, da
inzwischen auch viele andere Religionszugehörige und Konfessionslose in den
Gemeinden des Friedhofkreises Sursee
leben. Der Friedhof und die Abdankungshalle sind für alle offen, weswegen zurzeit
abgeklärt wird, ob die Halle künftig auch
entsprechend daherkommen soll», sagt
Büeler. Ein Entscheid ist allerdings noch
nicht gefallen.
MATTHIAS STADLER