Fruchtbare Hilfe zur Selbsthilfe AUSTAUSCH Die Weltgruppe der Pfarrei Oberwil ZG wollte vor 20 Jahren mehr als nur die Patenschaft für eine andere Pfarrei. Was sie erreicht hat, sprengt die Erwartungen. Anita Wagner Weibel W as denkst du in deinem Herzen? Mit dem Herzen meine ich jene Mitte, wo Erkennen und Handeln entstehen, wo der Ausgangspunkt alles folgenden Denkens ist, wo das Denken schliesslich in die Hand fliesst. Was für ein Denken bestimmt meine Person als Ganzes, und welches Denken meine Handlungen? In der jüdischen Überlieferung gibt es eine Kurzweisheit: ANDREAS FAESSLER [email protected] Nationale und internationale Patenschaften haben in der Schweiz Tradition. Gemeinden helfen Gemeinden, Vereine helfen Vereinen, Pfarreien helfen Pfarreien ... So war auch die Pfarrei Bruder Klaus in Oberwil ZG einst Patin eines Projektes in Peru, welches 1995 abgeschlossen war. Dann entschied sich die heute siebenköpfige Weltgruppe der Pfarrei Oberwil, einen Schritt weiterzugehen, und wählte gemeinsam mit der Missionsgesellschaft Immensee ein neues Projekt aus. Der Ort: die Pfarrei Sagrada Familia de Belén in El Alto, einem Vorort der bolivianischen Metropole La Paz, wo viel Armut herrscht. Das neue Ziel: eine dauerhafte Partnerschaft, durch welche die Menschen auch lernen, sich selbst zu helfen. Ende November 1996 erfolgte schliesslich der Start zu einem in mehrfacher Hinsicht fruchtbaren, stets gewachsenen Austausch und gleichsam einer gelebten Freundschaft zwischen den Pfarreien Oberwil und El Alto – dies ungebrochen seit genau 20 Jahren. Aufbau einer Infrastruktur Drei Schwerpunkte machen diese Partnerschaft aus: Kommunikation (Austausch unter gleichwertigen Partnern), Spiritualität (Anteilnahme und Gebet) sowie Solidarität (Hilfe zur Selbsthilfe). Bereichernd, aber auch anspruchsvoll waren dabei die gegenseitigen Besuche. «Wenn wir in El Alto finanzielle Unterstützung gewähren, so erwarten wir im Gegenzug auch eine Eigenleistung», erklärt Ursula Pfulg von der Weltgruppe Oberwil. «Und sei das beispielsweise auch nur die Bereitschaft zur Fronarbeit oder zu einem anderweitigen aktiven Mitwirken, um das Projekt zu realisieren.» Das hat stets gut funktioniert: Dank dieser intensiv geführten Partnerschaft verfügt die Pfarrei in El Alto mittlerweile über einen Gemeinschaftssaal, eine Bibliothek als Schlüssel zur Bildung und eine Kirche. Zur Einsegnung Letzterer waren vier Mitglieder der Weltgruppe persönlich zugegen. «Sie sieht ein bisschen aus wie unsere Pfarrkirche hier in Oberwil», sagt sie amüsiert. Weiter zu Stande gekommen sind mit der Hilfe aus der Zentralschwei- Die Kirche vor einer Revolution? LITERATUR red. In seinem vor wenigen Tagen publizierten Buch «Immer dieser Jesus», fragt Autor Heiner Geissler, ob die Kirche vor einer Revolution steht. Nur in der radikalen Umkehr und Erneuerung, so Geissler, liege die Rettung der Kirche, denn im jetzigen Gesetzesund Dogmensystem des Vatikans hätte Jesus keinen Platz mehr. Die katholische Kirche ist durch schwere Fehler der Päpste und der vatikanischen Kurie ins Wanken geraten. Der skandalöse Umgang mit dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen hat den Unfehlbarkeitswahn des Vatikans entlarvt. Heiner Geissler erklärt, wie sich die Amtskirche im Laufe der Jahrhunderte zu einem dogmatischen, demokratie- und frauenfeindlichen System entwickelt hat. Wo bleibt die bedingungslose Orientierung der Kirche an Jesus? Und wie müsste eine Kirche aussehen, die den Auftrag des Evangeliums wieder ernst nimmt? Heiner Geissler, «Immer dieser Jesus – Steht die Kirche vor einer Revolution?», 224 Seiten, Ullstein Verlag, Fr. 26.90. Herzdenken MEIN THEMA Vier Mitglieder der Weltgruppe Oberwil mit Textilarbeiten aus Bolivien. Ursula Pfulg (Zweite von rechts) ist seit Anfang mit dabei. Bild Stefan Kaiser zer Pfarrei unter anderem Jugendprojekte, der Unterhalt der Infrastruktur, eine Rechtsberatung und als jüngstes Projekt die Unterstützung einer Gruppe von Menschen mit Behinderung. Die Löhne der Bibliothekarinnen in El Alto werden auch aus Oberwil finanziert. «Quasi aus der Pfarrei-Kaffeekasse», sagt Ursula Pfulg und unterstreicht damit, wie unterschiedlich die Standards in Südamerika sind, denn für bolivianische Verhältnisse verdienen diese Frauen ein angemessenes Gehalt für ihre Arbeit. Das ist der Weltgruppe in Oberwil ein grosses Anliegen. Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Partnerschaft soll als nächstes Projekt die Bibliothek aufgerüstet werden mit PC und Internetzugang. Puppen sichern Lebensunterhalt Aus dem Geben-und-nehmen-Prinzip dieser Partnerschaft ist im Laufe der Zeit noch ein weiterer Austausch hervorgegangen. Mittlerweile der wichtigste überhaupt und gleichsam der ungewöhnlichste. In El Alto leben zahlreiche Frauen, die kaum Geld zum Überleben haben. Viele von ihnen nämlich sind alleinste- hend ohne Einkommen, teils mit Kindern. Doch sie alle sind sehr versiert in Sachen Handarbeit. So haben sich im Jahre 2000 die «Leonas» gebildet, eine Gruppe von Frauen, die hauptsächlich fantasie- und qualitätsvolle Fingerpuppen anfertigen, welche nach Oberwil geschickt und dann an Chilbi- und Marktständen sowie in Claro-Läden zum Verkauf angeboten werden. Die Frauen erhalten einen angemessenen Lohn für ihre Arbeit, von dem sie aber einen Teil in einen Solidaritätsfonds einzahlen müssen. Dieser Fonds dient beispielsweise als Krankenversicherung. Hier kommt das Credo «Hilfe zur Selbsthilfe» besonders deutlich zum Tragen. «Wir möchten nämlich, dass die Menschen in El Alto erfahren, dass sie gemeinsam etwas erreichen und aufbauen können», führt Ursula Pfulg aus. «Und wir erwarten auch Rechenschaftsberichte aus El Alto.» Die Fingerpuppen sind für die «Leonas» zu einem wichtigen Geschäft geworden, das ihnen und ihren Familien den Lebensunterhalt sichert. Rund 150 Modelle werden von ihnen angefertigt. Bisher wurden Puppen für 180 000 Franken in die Schweiz geliefert. «Die Partnerschaft ist eine Bereicherung für beide Seiten und ermöglicht einen Weitblick über den Gartenzaun hinaus», hält Ursula Pfulg fest. Diese Verbindung werde von vielen Oberwilern mitgetragen mit Interesse, Spenden und Gebeten. «Und es macht uns natürlich auch stolz, zu sehen, dass die Partnerschaft trotz der Verschiedenartigkeit und der grossen Distanz weiter besteht.» El-Alto-Tag am Zugersee Oberwil feiert heuer nicht nur den 60. Geburtstag der Pfarrei, sondern auch das 20-jährige Bestehen dieser erfolgreichen Partnerschaft mit der Pfarrei in Bolivien. Übermorgen Sonntag ist El-Alto-Tag in Oberwil am Zugersee. Der Jubiläumstag beginnt mit einem Festgottesdienst um 10 Uhr und gewährt Einblicke in diese langjährige, aussergewöhnliche Partnerschaft. Hinweis Alles Wissenswerte über die Weltgruppe der Pfarrei Oberwil und der Partnerschaft mit El Alto unter www.weltgruppe-oberwil.ch «Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.» Eins greift somit ins andere: die Gedanken ins Wort, das Wort ins Handeln, das Handeln in die Gewohnheit, die Gewohnheit in den Charakter. Und schliesslich ruft unser Charakter unser Schicksal. Was – also – denkst du in deinem Herzen? Am Anfang, als Quelle, die alles bestimmt, stehen meine Gedanken. Sie ergreifen nach und nach all meine Lebensphäre. Das kann mich zur Nörglerin, Pessimistin, Frustrierten und Zitronenbeisserin machen oder zu einem Menschen der Weitherzigkeit, der Hoffnung, der Friedfertigkeit und des Humors. Was aus meinem Leben wird, beginnt nicht erst bei den Handlungen, sondern bei meinen Gedanken, die ich im Herzen trage. Ich wünsche Ihnen noch eine besinnliche Rest-Fastenzeit Anita Wagner Weibel, Gemeindeleiterin im Ruhestand, Rotkreuz, [email protected] Gehören Kreuze in Friedhofshallen? RELIGION Wo Abdankungshallen künftig religionsneutral gestaltet werden, könnten Kirchen in ein Dilemma geraten. Ein Beispiel aus Luzern. Die Einsegnungs- und die Abdankungshalle im Friedhof Friedental in der Stadt Luzern sind heute mit christlichen Symbolen geschmückt. Künftig sollen sie in einem «konfessionslosen und neutralen Erscheinungsbild» gehalten werden, wie es im Bericht des Stadtrats zur Friedhofsanierung heisst. Heute würden die christlichen Symbole regelmässig für negative Reaktionen bei Angehörigen sorgen, so die Begründung. Ein Antrag der städtischen CVP, die christlichen Symbole in den Hallen zu belassen, fand im Grossen Stadtrat vergangene Woche keine Mehrheit. «Entscheid tut auch weh» Stadtgärtner Cornel Suter erklärt, dass eine Gipsplatte die Wandgemälde künftig abdecken soll. «Die Gemälde werden also quasi unsichtbar gemacht, aber nicht entfernt.» Der Erhalt der Gemälde sei auch aus denkmalpflegerischen Gründen sinnvoll. Bei den Kirchen löst der Entscheid der Stadt zwiespältige Gefühle aus. Marlene Odermatt, Präsi- Urs Dickerhof erklärt, dass es in der Abdankungshalle auf dem Friedhof Gerliswil keine religiösen Symbole hat. Einzig über dem Eingang hänge ein Kreuz. «Wir hatten bis jetzt null Komma null negative Reaktionen.» In Horw gibt es keine Abdankungshalle, sondern nur eine Aufbahrungshalle. In dieser sind christliche Symbole enthalten, allerdings hat es laut Gemeindeschreiber Daniel Hunn noch nie Probleme deswegen gegeben. Auch in der Abdankungshalle in Kriens wird auf religiöse Symbole verzichtet. Neutrale Halle auch in Sursee? Billd Corinne Glanzmann dentin des Kirchenvorstands der Reformierten Kirche Luzern, sagt: «Für mich ist es nachvollziehbar, dass man einen neutralen Ort gestalten will. Aber der Entscheid tut schon auch weh.» Die christlichen Symbole stünden für die Herkunft der Gesellschaft. «Andererseits bin ich mir bewusst, dass sich diese Gesellschaft verändert. Und schliesslich haben nicht nur Christen Anrecht auf diesen Saal.» Es sei auch eine Wertschätzung gegenüber anderen Personen. Eine ideale Lösung gibt es laut Odermatt nicht, denn: «Es ist ein emotionales Thema. Bei hundert Personen gibt es hundert verschiedene Meinungen.» Edi Wigger, Synodalverwalter der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern, sagt: «Wir können nachvollziehen, dass man einen Raum, der Menschen unterschiedlicher Religionen offensteht, nicht auf eine Religion ausrichten will – auch weil hier der Staat zuständig ist.» Werden hingegen Räume der Kirche für Abschiedsfeiern beansprucht, stehe eine Umgestaltung nicht zur Diskussion. «Sollte zudem die Diskussion darauf ausgeweitet werden, christliche Symbole im öffentlichen Raum zu entfernen, hätten wir dafür kein Verständnis», sagt Wigger. In Kriens ist die Abdankungshalle auf dem Friedhof Anderallmend seit Jahren neutral gehalten, wie Gemeindepräsident Cyrill Wiget erklärt. «Das hat sich so ergeben und war noch nie ein Problem.» Einzig in den Aufbahrungsräumen habe es ein Kreuz, was aber auch noch nie zu Diskussionen geführt habe. Ähnlich verhält es sich in Emmen. Gemeinderat In Sursee hingegen ist das Thema aktuell. So sagt Marcel Büeler, Friedhofsverwalter der Stadt, dass zurzeit Diskussionen stattfinden, wie der Abdankungsraum künftig gestaltet werden sollte. Das Gebäude steht auf dem Friedhof Dägerstein und ist laut Büeler über 30 Jahre alt. In den nächsten Jahren soll die Einrichtung angepasst werden, da diese «in die Jahre» gekommen sei. Momentan stehen im Raum römisch-katholische Symbole. «Wir diskutieren nun, ob der Raum ohne religiöse Symbole gehalten werden soll, da inzwischen auch viele andere Religionszugehörige und Konfessionslose in den Gemeinden des Friedhofkreises Sursee leben. Der Friedhof und die Abdankungshalle sind für alle offen, weswegen zurzeit abgeklärt wird, ob die Halle künftig auch entsprechend daherkommen soll», sagt Büeler. Ein Entscheid ist allerdings noch nicht gefallen. MATTHIAS STADLER
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