WIRTSCHAFT

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Donnerstag, 3. März 2016
WIRTSCHAFT
Der Unaufgeregte
RUHESTAND Mit Walter Huber geht der dienstälteste Kommunikator eines Dax-Konzerns nach 18 Jahren / Vier Merck-Chefs hat der Nürnberger überlebt
DARMSTADT. Er hat sein Büro nahe dem sogenannten Adlerhorst, dort, wo der MerckVorstandschef residiert – der
Hierarchie gehorchend einige
Stockwerke tiefer. In der Zimmerecke findet sich Lukas,
der Lokomotivführer als Marionette: Erinnerung an die
alte Heimat Augsburg, an die
Puppenkiste. Nach 18 Jahren
geht Walter Huber, Kommunikator von Darmstadts DaxKonzern, in Ruhestand.
Am Samstag wird er 60, am
darauf folgenden Dienstag (8.)
beginnt nach der Bilanzpressekonferenz ein neuer Lebensabschnitt. Er wisse den frühen Ruhestand zu schätzen, dass er in
einer privilegierten Situation
ist. Was er schon jetzt nicht vermissen wird: Die Budgetplanung, „definitiv“, sagt er mit
unverkennbarem bayerischen
Idiom. Aber der Umgang mit
Kollegen, von denen er viele
eingestellt hat oder so manch
„spannende Beziehung“ mit
Medienvertretern, das werde
ihm abgehen. Gleichwohl sei es
jetzt genug. Denn bereits im Alter von 23, gleich nach dem Studium, ging das Arbeitsleben los.
37 Jahre lang höchstens zwei
Wochen Urlaub im Jahr. Ohne
Auszeit, die er jedem empfehle.
Und das in einer sich immer
schneller drehenden Welt, in
der die Bedeutung der Kommunikation deutlich gewachsen
ist, sie fordern ihren Tribut.
Internationaler ist alles geworden, digitaler, größer. Die Zahl
der Ansprechpartner ist gewachsen durchs Internet („Ohne Qualitätssiegel wie bei etablierten Medien“) – und die Ge-
50 Pressekonferenzen, 2000
Pressemeldungen, mehr oder
minder hart redigiert, das sind
weitere Daten der numerischen
Bilanz, die freilich nur rudimentär die Aufgaben widerspiegeln
kann. Und wie oft musste der
Faktor Glück bemüht werden?
Ohne gehe es sicher nicht, so
Huber.
Aber es waren nicht Momente, in denen das Glück zuschlug, sondern der viel zitierte
„Merck-Weg“ sei es gewesen,
der ihm die Kommunikation oft
leicht gemacht hat: „Wir hatten
immer ein integres Management und insbesondere in den
letzten knapp zehn Jahren
einen sehr werteorientierten
Vorstandsvorsitzenden“.
Gemeint ist der zur Hauptversammlung ausscheidende KarlLudwig Kley. „Wir hatten mit
dem größten Umbau eines DaxUnternehmens immer tolle Geschichten zu erzählen, und wir
haben eine einzigartige Historie
unaufgeregten Art und seinem
kultivierten Understatement zu
tun hat.
Wehmut und Zufriedenheit,
das ist die Atmosphäre während
unseres Gespräches in seinem
Büro nahe der Frankfurter Straße, das bereits einen deutlich
geleerten Schreibtisch zeigt.
Zwei Söhne, Apfelbaum gepflanzt, ein Buch geschrieben
(„Pro und Contra Pharma“):
Die normierte Lebensleistung
eines Mannes, sie ist abgehakt.
Huber zieht leise Bilanz. Zieht
fürs obligatorische Foto sein Jackett übers weiße Hemd. Er
steht bis zuletzt für die Familie Merck, die Marke. Unprätentiös,
seriös,
glaubwürdig, integer.
Zuletzt die größte
Übernahme
der
Firmengeschichte
mit dem Laborausrüster
Sigma-Aldrich für 17 Milliarden Dollar, der
mit der Konstanz und der Prägung von einer Unternehmerfamilie und nicht von kurzfristigen Investoren“. Viele andere
Kollegen wären froh um diese
kommunikativen Rahmenbedingungen gewesen, so Huber
weiter, der dienstälteste Kommunikationschef unter den 30
Dax-Unternehmen.
Loyalität zum Unternehmen
und zur Familie Merck, die 70
Prozent kontrolliert, sie scheinen greifbar. Ein PR-Magazin
hat ihn nicht umsonst den „ewigen Huber“ getauft, was
sicher auch
mit seiner
neue Außenauftritt, die massiven Investitionen am Stammsitz
– da ist es schwer, den Adrenalinspiegel deutlich zu senken.
Aber das wird jetzt anders,
er fühle sich fit. Eine AfrikaDurchquerung in Etappen mit
seiner Frau – das schwebt ihm
vor. Mehr Zeit für den Freundeskreis in Darmstadt und
Augsburg. Die Familie. Zwei Enkelkinder. Fürs Joggen. Für Kultur.
Die personifizierte
Kontinuität
Jugenheim soll gleichwohl
sein Wohnsitz bleiben, hier ist
Huber heimisch geworden, was
sich auch daran ablesen lässt,
dass zwei Herzen in seiner
Brust schlagen, wenn der SV 98
auf den FC Augsburg trifft in
der Fußball-Bundesliga. Huber,
die personifizierte Kontinuität, er geht vor
den großen Feierlichkeiten
des
Unternehmens. Teil-
Erstes Großprojekt:
Kohl und Koch
Aufregend war es gleichwohl
oft. So unter seinem ersten
Chef, Professor Hans Joachim
Langmann, der grauen Eminenz des Unternehmens und Integrator der Familie. Da musste
Huber den 75. Geburtstag im
Staatstheater moderieren, sein
erstes Großprojekt, wie er sich
erinnert. Und das mit Gästen
wie Helmut Kohl und Roland
Koch – zwei ehemalige CDUIkonen.
nehmen wird er sicher, gestalten dürfen jetzt andere. In erster
Linie seine Nachfolgerin, die
Brasilianerin Isabel De Paoli:
Ein weiterer Beleg dafür, dass
die Kommunikationsabteilung
immer weiblicher wird. 70 Prozent sind bereits Frauen, so Huber. Unter einem Vorwand ist er
dieser Tage in ein Restaurant gelockt worden – dort saßen alle
seine ehemaligen und die jetzige Assistentin. „Eine nette Mädels-Runde. Da war ich von den
Socken.“ Eine andere Abschiedsrunde gibt es bald auf
Einladung von Kley.
Huber begleitet uns beim
Abschied bis ans Werkstor –
das er selbst bald für immer
hinter sich lässt. Das Gefühl,
einen guten Job gemacht zu haben, das kann ihm keiner nehmen. Das strahlt er auch aus.
ZUR PERSON
fahr, einen Shitstorm zu erleben. Früher war das alles kein
Thema. Und so ist Huber erst
der dritte Kommunikationschef
bei Merck, obwohl der älteste
Pharmahersteller der Welt 2018
seit 350 Jahren besteht.
Beim Start zählte Hubers Abteilung 25 Köpfe, darunter eine
halbe Stelle fürs Intranet mit
einem Kollegen, „der programmieren konnte“. Inzwischen
sind es in Darmstadt 100 Mitarbeiter in Hubers Abteilung –
plus 70 in diversen Ländern.
Was geblieben ist? Die Maxime,
stets ehrlich zu sein, höchstens
einmal nichts zu sagen, aber
niemanden „gelinkt“ zu haben,
zumindest nicht wissentlich,
was ihm sehr wichtig ist. Dass
„no comment nicht sexy ist“,
sei ihm gleichwohl bewusst.
Aber die ganz brenzligen Situationen oder gar unschöne Krisen-PR blieben ihm erspart.
Und das trotz der Tatsache, dass
Merck Firmenteile und Geschäfte für 40 Milliarden Euro geund verkauft hat, Huber unter
vier CEOs tätig war sowie 21
Vorstände „er- und überlebt“
hat, was auch für sein diplomatisches Geschick spricht.
VON ACHIM PREU
Walter Huber
Walter Huber wurde 1956
in Nürnberg geboren, hat
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Augsburg studiert und an der
Uni Bayreuth promoviert.
1981 begann er bei Boehringer Ingelheim (Biberach) in der Marktforschung, ehe 1988 der
Wechsel zu Upjohn (Heppenheim) erfolgte als Leiter Gesundheitspolitik und
Kommunikation. Seit 1991
ist Huber bei Merck, seit
1998 Chef der Kommunikation. Privat engagiert er
sich im Verein der Freunde
des Landesmuseums, im
Lions Club, im Hospiz des
Elisabethenstifts.
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