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LÄNDERBERICHT
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
URUGUAY
DR. KRISTIN WESEMANN
3. März 2016
Ein schweres Erbe
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SKANDALE, WIRTSCHAFTSFLAUTE UND EIN VORGÄNGER, DER NICHT LOSLASSEN WILL: URUGUAYS PRÄSIDENT TABARÉ VÁZQUEZ IST SEIT EINEM JAHR IM AMT.
Gefeiert wurde das Jubiläum nicht, dafür
dem Notwendigsten, damit die Dinge mir
machen sich die Uruguayer gerade zu vie-
nicht meine Freiheit nehmen“1, sagte er.
le Sorgen um die Zukunft ihres Landes.
Inflation
Zum anderen suchte er neue Wege im
steigt, und die linke Regierung kämpft mit
Kampf gegen die Drogen, die Uruguay, wie
Skandalen.
Vázquez
den Rest des Kontinents, reichlich mit Kri-
wird vor allem aus dem eigenen Lager kri-
minalität versorgen. Als erstes Land der
tisiert; eine Hauptrolle spielt dabei sein
Welt hat Uruguay vor zwei Jahren Cannabis
Vorgänger José Mujica. Auch dessen Stern
vollständig legalisiert – zumindest auf dem
sinkt.
Papier. Denn auch das zeigt sich: Vieles,
Die
Wirtschaft
flaut
ab,
Präsident
die
Tabaré
was Mujica angepackt hat, ist Stückwerk
Die Uruguayer rufen ihren Präsidenten Ta-
geblieben, und ein bestelltes Feld hat der
baré Vázquez gern bei seinem ungewöhnli-
Ex-Guerillero dem Onkologen Vázquez erst
chen Vornamen. In Guarani, „der Sprache
recht nicht hinterlassen.
des Volkes“, die heute vor allem in Paraguay gesprochen wird, heißt „Tabaré“ so viel
Historisch schlechter Präsident
wie „weg von den Menschen“. Und tatsächlich: Besonders nahe stehen sich Volk und
El
Vázquez augenblicklich nicht.
Freigabe für den Friedensnobelpreis nomi-
Pepe,
der
wegen
seiner
Cannabis-
niert war, hat an Glanz verloren, vor allem
Das war vor einem Jahr noch anders. Da
in der Heimat. „Glücklicherweise“, kommen-
schaffte der Politiker, was vor ihm nur zwei
tierte jüngst die Tageszeitung El País, „ge-
anderen Männern gelungen war: Er wurde
langen mehr und mehr Uruguayer zu der
zum
Erkenntnis, dass Mujica nicht nur einer der
zweiten
Mal
verfassungsmäßiges
Staatsoberhaupt der Republik Östlich des
schlechtesten
Río Uruguay, wie das Land offiziell heißt.
schichte war“2, sondern dem Land auch mo-
Präsidenten
unserer
Ge-
Vázquez folgte auf José Mujica und über-
ralisch enorm geschadet habe.
nahm neben Zepter und Schärpe auch einen
Rucksack voller Probleme.
Denn das Staatsoberhaupt lebte nicht nur
schlicht und rustikal, es redete und dachte
Der kauzige Mujica, genannt El Pepe, hatte
auch selten edel. Die Zeitung charakterisier-
gern Schlagzeilen gemacht und dem kleinen
Land – Nachbar Brasilien ist 48 mal größer,
Argentinien fast 16 mal – weltweit Aufmerksamkeit beschert. Zum einen unterschied er
sich mit seinem einfachen, mitunter rustikalen Lebensstil von vielen Amtskollegen in
der Region: Er trug Pantoffeln, fuhr VW Käfer und spendete einen Großteil seines Präsidentengehalts. „Ich bin nicht arm, ich bin
schlicht, habe nur leichtes Gepäck, lebe mit
1
Mujica antwortete hier auf den Titel einer Reportage in der spanischen Tageszeitung ABC,
die ihn den “ärmsten Präsidenten der Welt“
nannte. Irene Gómez Peña, “José Mujica, el
presidente más pobre del mundo, ABC vom
11.06.2012,
http://www.abc.es/20120609/internacional/ab
ci-mujica-presidente-pobre-mundo201206081647.html [02.03.2016].
2
“No va más, Mujica”, El País, 10.02.2016,
http://www.elpais.com.uy/opinion/editorial/nomas-mujica-editorial.html [02.03.2016].
2
te Mujica als einen „Präsidenten, der uner-
werden, nach dem in Spanien sogar eine
müdlich Journalisten beleidigte, mit einem
Kneipe5 benannt ist? Dessen Fußstapfen
URUGUAY
nicht zu tolerierenden Machismo Geschlech-
schienen selbst für den eleganten Arzt
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terthemen behandelte, für seine politischen
Vázquez ziemlich groß zu sein. Heute weiß
Kontrahenten die ekelhaftesten Beinamen
man um die eher magere Bilanz von El Pe-
hatte, an die sich das Land erinnern kann“ 3.
pe. Doch leicht ist das Leben nach Mujica
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trotzdem nicht, und das gilt sowohl für Uruwww.kas.de/uruguay
Vázquez ist zugleich sein Nachfolger und
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Vorgänger. Er war 2010 mit Zustimmungs-
guay als auch für Vázquez.
raten von 70 Prozent aus dem Amt geschie-
Mujica hat weder einen geordneten Staat
den und hätte wohl eine Wiederwahl locker
hinterlassen, noch will er an seinem guten
gemeistert, wäre die per Verfassung nicht
Ruf kratzen lassen; er ist also überzeugt, er
verboten. Wahr ist auch, dass er 2005 als
habe Uruguay in allerbestem Zustand über-
Chef des Linksbündnisses Frente Amplio
geben, und die Uruguayer hören das auch
Historisches vollbracht hatte: die Ablösung
oft genug von ihm. Die Kunst des Schwei-
des Zweiparteiensystems aus Partido Nacio-
gens beherrscht Mujica bekanntlich nicht.
nal und Partido Colorado nach 170 Jahren
wechselnder Herrschaft. Zum ersten Mal
Die beiden Staatsmänner sind einander nie
regierte ein Sozialist Uruguay, und der zeig-
besonders loyal verbunden gewesen. Öf-
te, dass die Sorgen vor einer linkspopulisti-
fentlich sprachen sie sich gegenseitig allen-
schen Kehrtwende unbegründet waren. Im
falls Respekt aus, aber nicht einmal dafür
Gegenteil, der einstige Bürgermeister der
reicht es heute mehr. Sie widersprechen
Hauptstadt Montevideo belebte das Land
sich oft und gern, auch öffentlich.6 Hinzu
kommt, dass es im Frente Amplio, einem
sogar wieder.
Bündnis aus derzeit 27 sogenannten SektoUnter Vázquez, der damals dafür warb, den
ren und vier Vorsitzenden, selten Einigkeit
„Wandel zu konkretisieren“ (concretar cam-
gibt, dafür aber ein Machtvakuum. Denn
bios), wuchs das durchschnittliche Pro-Kopf-
das Trio, das augenblicklich die Geschicke
Einkommen um 3.000 auf 9.000 US-Dollar
bestimmt, ist ein Auslaufmodell. Schon aus
pro Jahr, die Wirtschaft kletterte im Schnitt
Altersgründen werden sich Vázquez (76),
um sieben Prozent und die Arbeitslosigkeit
Mujica (80) und Außenminister Danilo Astori
4
halbierte sich bis 2009 auf 6,4 Prozent. Das
(75) aus der Politik bald verabschieden. Für
Kräfteverhältnis auf der Regierungsbank des
die
Frente Amplio war ausgeglichen, und das
braucht es deshalb neue Kandidaten – und
Regieren wurde nicht sonderlich von Skan-
die drängen schon jetzt auf die Bühne.
nächste
Präsidentschaftswahl
2019
dalen oder Exzessen getrübt, wie sie in der
Region sonst an der Tagesordnung sind.
Angeschlagener Stellvertreter
Hieß es damals, Uruguay müsse sehen, wie
sich das Leben nach Vázquez gestalte, so
ließ sich diese Frage 2015 anders stellen:
Gibt es ein Leben nach Mujica, dem Helden,
von dem in Montevideo T-Shirts verkauft
3
Ebd.
“Uruguay Inaugurates Mujica: Life after Vázquez”, COHA, 07.05.2010,
http://www.coha.org/uruguay-inauguratesmujica-life-after-vazquez/ [02.03.2016].
4
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5
Pablo Melgar, “El bar José Pepe Mujica da el
batacazo en Bilbao”, El País, 05.02.2016,
http://www.elpais.com.uy/informacion/barjose-pepe-mujica-bilbao.html [02.03.2016]
6
Nelson Fernández, “Mujica se aleja más de
Tabaré y muestra su apoyo a Maduro”, La Nación, 13.03.2015,
http://www.lanacion.com.ar/1775658-mujicase-aleja-mas-de-tabare-y-muestra-su-apoyoa-maduro [02.03.2016].
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3
Fernández.7
Probleme jedoch macht vor allem das Erbe
der
Mujicas. Der staatliche Ölkonzern Ancap ist
Mujiquistas missfällt zuallererst, dass der
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eines der Symbole für Misswirtschaft und
Staatschef eher nach Europa und Nordame-
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Korruption, die im linken Regierungslager
rika blickt und sich allmählich sogar von Ve-
herrschen. 800 Millionen Dollar Verlust hat
nezuelas Regierung distanziert.
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Journalist
Nelson
Den
das Unternehmen zuletzt geschrieben, Ausgaben in sechsstelliger Höhe für zweifelhaf-
Vázquez fehlen gleichwohl die Symbole und
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te Betriebsfeste inklusive. Ordentliche Be-
Erfolgsmeldungen, über die er seine Arbeit
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träge sind das in einem Land mit nicht ein-
kommunizieren und den Bürgern verständ-
mal dreieinhalb Millionen Einwohnern.
lich machen könnte. Er hatte versprochen,
sich um die löchrige Straßen und die maro-
Zum Gesicht der Krise ist Vizepräsident Raúl
den öffentlichen Schulen zu kümmern, er
Sendic geworden. Von 2010 bis 2015, also
wollte sich der steigenden Kriminalität, dem
unter Mujica, war er Präsident von Ancap,
Kernthema der Opposition, ebenso anneh-
aber verantwortlich fühlt er sich nicht für
men wie der sozialen Sicherheit. Doch dafür
das Durcheinander, das in diesen Jahren
fehlt ihm schlicht das Geld. Umfrage zufolge
entstanden ist. Sendic ist Sohn eines Tu-
unterstützt nur noch jeder dritte Uruguayer
pamaru-Guerilleros und politisches Ziehkind
die Politik Vázquez‘, Tendenz sinkend.8
Mujicas, der ihn bis heute beschützt und
verteidigt. Der 53-Jährige – in der Politik
Als sich der Präsident am 1. März auf alle
Uruguays ein Jungspund – schien lange der
Fernseh- und Radiokanäle schalten ließ, um
natürliche Kandidat der Linken im Rennen
über sein erstes Amtsjahr zu reden und die
um die nächste Präsidentschaft zu sein.
vier, die noch kommen, klang er wenig op-
Doch nun kämpft er um den Verbleib auf
timistisch. 2015 sei schwierig gewesen, sag-
dem Stellvertreterposten. Denn obendrein
te er, auch die aktuelle Situation beschrieb
hat er zugeben müssen, bei seinem Hoch-
er als problematisch.9 Richtig immerhin lag
schulabschluss geschwindelt zu haben: Hu-
er damit. Uruguays Wirtschaft leidet seit
mangenetiker mit Titel der Universität von
Jahren. Die Arbeitslosigkeit steigt und ist so
La Habana in Kuba, wie er lange behauptet
hoch wie zuletzt 2008.10 Der Peso wertet
hat, ist er jedenfalls nicht.
Angst vor dem Rechtsruck
7
Die Hochstapelei seines Stellvertreters färbt
auf den stets seriös auftretenden Vázquez
ab, belastet ihn aber möglicherweise weniger als die Operationen, die sein Vorgänger
vorantreibt. Deren Ziel ist nämlich nicht die
Opposition, die im Parlament, anders als auf
regionaler und lokaler Ebene, schwächelt,
sondern die Führung des Frente Amplio in
Person des Präsidenten. Man wolle unbedingt verhindern, dass sich die Regierung
„derechize“, nach rechts bewege, schreibt
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Nelson Fernández, La pelea entre Tabaré y
Mujica marca la política uruguaya, El País,
09.08.2015,http://www.lanacion.com.ar/1817
565-la-pelea-entre-tabare-y-mujica-marca-lapolitica-uruguaya [02.03.2016].
8
Juan Pablo Correa, “Un ano comlejo: solo un
tercio aprueba a Vázquez”, El País,
01.03.2015,
http://www.elpais.com.uy/informacion/anocomplejo-tercio-aprueba-vazquez.html
[02.03.2016].
9
“En cadena nacional, Vázquez reconoce "situación problemática"”, El País, 01.03.2016 ,
http://www.elpais.com.uy/informacion/cadena
-nacional-vazquez-reconoce-situacionproblematica.html [02.03.2016].
10
“En 2015 se perdieron 27.600 empleos y
prevén más caída”, El País, 06.02.2016,
http://www.elpais.com.uy/economia/notici
as/se-perdieron-empleos-preven-mas.html
[02.03.2016].
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stark ab und befindet sich auf dem niedrigs-
Distanziertes Staatsoberhaupt
ten Niveau seit seiner Einführung im Jahr
URUGUAY
1993, und da ist die Inflation noch nicht
11
Die bereitet dem Präsiden-
ger mitzunehmen. Anders als bei Mujica
ten und seinen Landsleuten ebenfalls Sor-
menschelt es bei ihm kaum. Händeschütteln
gen. Im vergangenen Jahr lag sie bei knapp
und Umarmungen sind nicht seine Sache.
zehn Prozent und damit deutlich über dem
Darum suchte er zum Einjährigen die Nähe
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Planziel der Regierung, das drei bis sieben
zum Volk über die Cadena Nacional, die An-
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Prozent vorsieht.
sprache auf allen Kanälen. Mujica, der Nah-
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eingerechnet.
Zudem hat es Vázquez versäumt, die Bür-
kämpfer, hatte dieses Format eher selten
Nur: Der Staat sorgt selbst für steigende
benutzt.
Preise. Alle sechs Monate legt das Wirtschaftsministerium fest, um welchen Pro-
Die Themen, die die uruguayische Öffent-
zentsatz Gehälter oder Preise für Dienstleis-
lichkeit gerade am meisten interessieren,
tungen steigen müssen. Alle paar Wochen
nämlich die Skandale um Ancap und Sendic,
titeln die Zeitungen denn auch, dass „die
sprach Vázquez in seiner Rede allerdings
Schweiz Südamerikas“, wie Uruguay auch
gar nicht an. Und so drang er einmal mehr
heute mitunter noch genannt wird, in vieler-
kaum durch. Montevideos Zeitungen brach-
lei Hinsicht eines der teuersten Länder der
ten tags darauf zwar Reportagen und Analy-
Welt sei. Außerdem sorgt sich der Präsident
sen über die Rede an die Nation – nur war
um die internationalen Investoren, denen
es die des argentinischen Staatspräsidenten
Uruguay bislang als attraktiver Standort ge-
Mauricio Macri.
golten hat.
Vázquez weiß, dass er geordnete Finanzen
und
einen
einigermaßen
ausgeglichenen
Haushalt braucht, um die Sozialleistungen
zu garantieren, für die der Frente Amplio
steht. Denn an ihnen misst sich auch der
Frieden der Regierungskoalition. Einschnitte
bei den Errungenschaften der Mujica-Jahre,
die aber erst die hohen Rohstoffpreise ermöglicht hatten, dürften dem Präsidenten
weiteren, kräftigen Gegenwind aus dem eigenen Lager bescheren. Denn das besteht
trotz der vielen verschiedenen Parteien und
Gruppen zu 60 Prozent aus Mujiquistas.
Versuche des Präsidenten, Entscheidungen
seines Vorgängers zurückzunehmen oder
abzuschwächen – darunter die Legalisierung
von Cannabis – und Reformen anzugehen,
scheitern deshalb ein ums andere Mal.
11
“El dólar alcanza un precio record desde que
existe el peso uruguayo”, El País, 02.03.2016,
S. 1.
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