MARKENFÜHRUNG TOUCHPOINTS MARKENARTIKEL 3/2016 HANDEL RECHT SERVICE 48 Same same but different Das Touchpoint-Management ist eine zweifache Herausforderung. Erstens sollen alle Kontaktpunkte mit der Marke in einer Währung 'same same' vergleichbar sein. Zweitens müssen deren Besonderheiten 'but different' erfasst werden. WIRKUNG ENTSTEHT IM KOPF des Konsumenten. Kaufentscheidungen werden in den meisten Fällen nicht aufgrund von direkten Touchpoint-Erlebnissen getroffen, sondern auf Basis von Erinnerungen an diese. Auf dem Weg vom Erlebnis zur Erinnerung passiert eine ganz Menge. Im Kopf des Konsumenten werden die Erlebnisse anhand spezifischer Regeln, sogenannter Heuristiken, verarbeitet. Nach Daniel Kahneman, Nobelpreisträger für seine Forschung auf dem Gebiet der Behavioral Economics, ermöglichen diese Heuristiken eine Vielzahl von täglichen Entscheidungen auf effiziente Weise zu treffen. Er bezeichnet diese Entscheidungen treffend als 'schnelles Denken'. Gerald Zaltman, Professor an der Harvard Business School, geht davon aus, dass 95 Prozent der Konsumentenscheidungen anhand dieser schnellen Informationsverarbeitungsprozesse getroffen werden. Ein Ansatz, der die Wirkungsweise von Touchpoints vergleichbar macht, sollte daher bei diesen 95 Prozent ansetzen. Klassische Marktforschungsansätze decken oftmals nur die fünf Prozent des rationalen 'langsamen Denkens' ab. Jeder Konsument tickt anders Die Wirkungsweise von Touchpoints hängt im hohen Maß von der Perspektive der Konsumenten ab. »Wir bewerten Dinge immer in Relation zu anderen Dingen. Wir können gar nicht anders!«, sagt der Verhaltensökonom Dan Ariely. Dies spiegelt sich auch in der Wirkung von Touchpoints wider. Marken fungieren hier als Anker bei der Bewertung von Touchpoints. An starke Marken werden viel höhere Erwartungen gestellt als an schwache Marken. Daher ist es für starke Marken ungleich schwieriger einen positiven Effekt auf die Marke durch Touchpoint-Erlebnisse zu erzielen. Zudem werden Markenerlebnisse auch immer in Relation zu anderen Markenerlebnissen bewertet. Eine gute Kampagne kann ins Leere laufen, wenn der direkte Wettbewerber mit einer besseren Kampagne aufwartet. Somit definiert der Wettbewerb die Stärke der Werbewirkung. Diese Kontexteffekte zeigen sich nicht nur bei Erlebnissen zwischen verschiedenen Marken, sondern auch bei mehreren Kontakten mit einer einzelnen Marke. Bei zunehmender Anzahl vergleichbarer Erlebnisse mit einer Marke setzt so ein Sättigungseffekt ein. Unterschiede in der Touchpoint-Wirkung ergeben sich auch dadurch, dass Markenerlebnisse häufig synergetisch verknüpft sind. So können Touchpoints nicht nur einen direkten positiven Effekt auf die Markeneinstellungen ausüben, sondern auch einen Verstärkereffekt für weitere bedeutende Touchpoints zur Folge haben. Diese Kontexteffekte müssen für den einzelnen Befragten analysiert werden, um eine valide Aussage über die intra-individuellen Wirkungsunterschiede von Touchpoints treffen zu können. Jeder Touchpoint kann der wichtigste sein Bei der Messung und Optimierung der Werbewirkung werden oftmals die klassischen Medien, wie TV und Radio, betrachtet. Ein großer Teil der Konsumentenrealität wird hierbei ausgeblendet, denn die Reise des Konsumenten endet nicht vor dem Fernseher. Es gibt weitere Kontaktpunkte, die einen entscheidenden Einfluss haben können. In einer von TNS Infratest durchgeführten Studie für den deutschen Kaffeemarkt wurden Markenerlebnisse für 13 Marken an 43 Touchpoints gemessen. Es wurden Paid Touchpoints (z.B. TV-Werbung), Owned Touchpoints (z.B. Kundendienst) und Earned Touchpoints (z.B. Empfehlungen von Freunden/ Bekannten) entlang der gesamten Consumer Journey, also vor dem Kauf (z.B. Testberichte), während des Kaufs (z.B. Supermarktregal) und auch nach dem Kauf (z.B. eigene Produktnutzung) in einer Studie gemessen. Es zeigt sich eine klare Differenzierung der Touchpoints nach ihrer Wirkung. Erwartungsgemäß MARKENARTIKEL 3/2016 TOUCHPOINTS MARKENFÜHRUNG HANDEL RECHT ABB. 1: WIRKUNG VON TOUCHPOINTS JE NACH MARKE UND KATEGORIE SERVICE Positiver Einfluss auf Marke 40% Kaffeemarken Einzelhandel Automotive 30% 49 20% 10% Quelle: TNS Infratest 0% Negativer Einfluss auf Marke -10% TV Werbung Print Werbung OoH Werbung PAID Social Media Test Berichte EARNED Empfehl. Freunde Produkt Erfahrung Kunden Magazin Auto auf Straße gesehen OWNED Im Kaffeemarkt zählen die Touchpoints TV-Werbung und eigene Produkterfahrung zu den einflussstärksten, wohingegen im Einzelhandel das Kundenmagazin und für Automobilhersteller das Auto auf der Straße eine wichtige Rolle spielen hat TV-Werbung bei einzelnen Marken einen hohen Einfluss auf die Konsumenteneinstellung. Allerdings dürfen Touchpoints, die im Schatten der großen Medien stehen, nicht in ihrer Wirkung unterschätzt werden. Das betrifft sowohl die nur indirekt vom Unternehmen steuerbaren Touchpoints, zum Beispiel Empfehlung von Freunden, als auch die sogenannten 'Moments of Truth', bei denen der Konsument eigene Erfahrungen mit dem Produkt oder der Dienstleistung macht. So zeigt sich im deutschen Kaffeemarkt, dass die Produkterfahrung selbst mitunter einen stärkeren Effekt auf die Konsumenten haben kann als die klassischen Medien (siehe Abbildung 1). Diese sehr differenzierte Wirkung von Touchpoints zeigt sich auch zwischen unterschiedlichen Kategorien. Während im Einzelhandel das Kundenmagazin eine wichtige Rolle spielt, sind bei Autos die Präsenz auf der Straße und das Abschneiden in Testberichten von großer Bedeutung. Die Ergebnisse der Studien belegen somit, dass sich nicht jeder Touchpoint gleichermaßen für jede Marke und in jeder Kategorie eignet, um die Markeneinstellung nachhaltig positiv zu beeinflussen. Unterschiede in der Touchpoint-Wirkung treten aber nicht nur bei verschiedenen Marken und Kategorien auf, sondern auch zwischen verschiedenen Segmenten. So konnte in der Studie für den deutschen Kaffeemarkt für eine der führenden Marken beispielsweise gezeigt werden, dass TV-Werbung und Empfehlungen durch Freunde vor allem im Segment der älteren Konsumenten (60+ Jahre) eine wichtige Rolle spielen. Online-Touchpoints wie Ergebnisse von Internet-Suchmaschinen oder der Auftritt der Marke in sozialen Netzwerken haben dagegen nur bei jüngeren Konsumenten (20 - 29 Jahre) einen nennenswerten Effekt. Mit einem unterschiedlichen Mediennutzungsverhalten in einzelnen Segmenten gehen somit auch unterschiedliche Touchpoint-Wirkungen einher (siehe Abbildung 2). Online-Touchpoints wie Internet-Suchmaschinen und soziale Netzwerke haben ausschließlich bei jungen Konsumenten einen Einfluss auf die Markeneinstellung. Ältere Kunden (60+ Jahre) werden maßgeblich von TV-Werbung und Empfehlungen durch Freunde/ Bekannte beeinflusst. Kopf oder Zahl – oder beides Touchpoints müssen einem Zweck dienen. Je nachdem, wen man im Unternehmen fragt, kann dieser recht unterschiedlich ausfallen. Während das Markenmanagement auf die langfristige Einstellungsveränderung im Kopf des Konsumenten abzielt, fokussiert der Vertrieb vor allem die harten Zahlen des Abverkaufs. Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein möchten, müssen einen Balanceakt aus beidem schaffen. Mit rationalen Preis- und Produktbotschaften kann kurzfristig der Abverkauf angekurbelt werden, allerdings fällt er danach genauso schnell wieder ab. Nur in Kombination mit einer langfristigen Einstellungsveränderung durch klare Markenbotschaften ist ein kontinuierliches Unternehmenswachstum erreichbar. Touchpoints sind hierbei Träger der Botschaft und je nach Ausgestaltung kann ein und derselbe Touchpoint unterschiedlich stark auf die beiden Zielgrößen Markenstärke und Abverkauf wirken. So hatte der Touchpoint Radiowerbung zum Beispiel bei einigen deutschen Kaffeemarken einen hohen Einfluss auf den direkten Abverkauf, allerdings keinen nennenswerten direkten Effekt auf die Markeneinstellung. Es gibt aber auch Touchpoints mit einem genau gegensätzlichen Wirkungsmu- MARKENFÜHRUNG TOUCHPOINTS MARKENARTIKEL 3/2016 HANDEL ABB. 2: WIRKUNG VON TOUCHPOINTS JE NACH KONSUMENTENSEGMENT SERVICE Einfluss auf die Marke 0% Bei Stichworteingabe in Internet-Suchmaschinen 50 13% 0% Auftritt der Marke in sozialen Netzwerken 5% 26% Empfehlungen durch Freunde und Bekannte 11% 13% TV-Werbung -1% 3% Printwerbung 3% 6% POS Displays 7% 17% Supermarktregal 15% 60+ Jahre 20-29 Jahre Online-Touchpoints wie Internet-Suchmaschinen und soziale Netzwerke haben ausschließlich bei jungen Konsumenten einen Einfluss auf die Markeneinstellung. Ältere Kunden (60+ Jahre) werden maßgeblich von TV-Werbung und Empfehlungen durch Freunde/Bekannte beeinflusst ster. Für eine der führenden Marken im Lebensmitteleinzelhandel konnte in der Studie gezeigt werden, dass der eigene Kundenservice (eigentlich eine klassische Aufgabe des Vertriebs) primär einen starken Effekt auf die Markeneinstellung, aber nur einen vergleichsweise geringen direkten Abverkaufseffekt hat. Von großem Interesse sollten für Unternehmen auch Touchpoints sein, die es schaffen beide Zielgrößen gleichermaßen zu steigern. Ein Beispiel für einen solchen Touchpoint zeigt sich im Verkaufspersonal am POS, welches nicht nur verkaufsfördernd wirken kann, sondern darüber hinaus auch eine langfristige Einstellungsveränderung beim Konsumenten bewirkt. fallen, die Wirkungsmessung hingegen muss einheitlich sein: auf den Konsumenten ausgerichtet. Der Verbraucher denkt nicht in Silos. Er unterscheidet nicht, ob der Touchpoint durch den Vertrieb, das Produktmanagement oder die Markenführung gesteuert ist. Und der Konsument unterscheidet auch nicht, ob es sich um vom Unternehmen direkt gesteuerte oder scheinbar zufällige Markenerlebnisse handelt. Letztendlich trifft der Verbraucher Entscheidungen auf Basis von Erinnerungen, die alle Markenerlebnisse in eine einzige Bewertung integrieren. Ein moderner Ansatz zum Touchpoint Management muss daher diese impliziten Wirkungsweisen genauso integriert betrachten. Dr. Sandra Bombe, Dr. Niels Neudecker Silodenken überwinden Die Wirkungsweise von Touchpoints kann je Marke, Kategorie und Konsument recht unterschiedlich aus- Dr. Sandra Bombe arbeitet bei TNS Infratest im Brand Equity & Tracking Centre an der Weiterentwicklung und Beratung des Touchpoint Management Ansatzes. In Ihrer Tätigkeit bei TNS Infratest hat sie Expertise in den Bereichen Automotive und FMCG aufgebaut. Dr. Niels Neudecker leitet bei TNS Infratest das Brand Equity & Tracking Centre und ist verantwortlich für die Weiterentwicklung und Beratung des Touchpoint Management Ansatzes. Er hat insgesamt zehn Jahre Erfahrung in den Bereichen Marketing und Marktforschung. Quelle: TNS Infratest RECHT
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