Leseprobe zum Titel: Stuttgarter Zeitung (05.03.2016)

Die unabhängige Zeitung für Baden-Württemberg
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2,10 €
Samstag, 5. März 2016
Nr. 54 | 9. Woche | 72. Jahrgang | E 4029
wählt
Das Land
Beilage der Stuttgarter Zeitung
Mittendrin
statt nur dabei
nen, die Programme
StZ-Beilage: das Parlament, die Perso
Vier Direktmandate wollen sowohl
7
die Grünen als auch die CDU. SEITE
Wer mit wem? Das Koalitionspuzzle
3
wird 2016 besonders spannend. SEITE
Wie hat sich die politische Tektonik des Landes verschoben? Welche Koalitionen
sind möglich? Acht Seiten mit allem, was man wissen muss. BEILAGE
Illustration: Malte Knaack
Noch Vision – aber der neue Ministerpräsident soll im runderneuerten
Landtag gewählt werden. Repro: StZ
//
Informationen, Fotos und Grafiken unter www.stuttgarter-zeitung.de
Etwas ist ins Rutschen gekommen
pur – auch jenen,
Die Landtagswahl verspricht Spannung
in Umfragen gleichauf. Was ist da passiert?
fort. Von Reiner Ruf
Endspurt CDU und Grüne liegen
auf, kulturelle Prägungen aber bestehen
nichts. Die politische Lager lösen sich
die meinen, der Wahlakt ändere sowieso
-
Entdecken
Die digitale Versuchung – wie soziale
Netzwerke abhängig machen SEITE 3
Das Wichtigste zum Spritzmittel
Glyphosat im Überblick SEITE 20
Schwere Panne im
AKW Fessenheim
Eine Panne im Atomkraftwerk Fessenheim
im Elsass vor knapp zwei Jahren war offenbar wesentlich dramatischer als bislang bekannt. Dies ergibt sich aus Recherchen der
„Süddeutschen Zeitung“ und des WDR.
Demnach waren 2014 nach einer Überflutung wegen eines Lecks in Block 1 die
Steuerstäbe zum Abschalten des Reaktors
nicht mehr manövrierfähig. Der Block wurde erst durch Einleitung von Bor ins Kühlsystem abgeschaltet – ein äußert seltenes
Vorgehen. Der Betreiber des AKW, der
staatliche französische Stromkonzern
EDF, hatte zwar von dem Leck berichtet,
ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Der
deutsche Experte Manfred Mertins sagte,
ihm sei in Westeuropa kein Fall bekannt,
bei dem ein Reaktor durch Zugabe von Bor
heruntergefahren werden musste.
AFP
– Kommentar: Dissens SEITE 3
– Neue Dimension eines alten Störfalls SEITE 8
Kontrollen sollen fallen
Die Kontrollen im eigentlich reisefreien
Schengen-Raum sollen nach dem Willen
der EU vor Jahresende wieder aufgehoben
werden. Derzeit kontrollieren Deutschland
und sechs weitere Staaten des SchengenRaums ihre Grenzen. SEITEN 3, 4
Lebenserwartung steigt
Die Menschen in Deutschland können –
statistisch gesehen – auf ein immer längeres Leben hoffen. Neugeborene Mädchen
haben statistisch gesehen 83 Jahre und
einen Monat vor sich. Spitzenreiter ist Baden-Württemberg. SEITE 11
Jugendamt sucht Chef
Die Hängepartie um die Nachfolge für den
langjährigen Stuttgarter Jugendamtsleiter
Bruno Pfeifle könnte bald beendet sein.
Einem Headhunter gelang es offenbar, genügend qualifizierte Bewerber für das 3900
Mitarbeiter starke Amt aufzutun. SEITE 21
Sonntag
5°/0°
Montag
5°/0°
Börse SEITEN 18, 19
Dax 9824,17 Punkte (+ 0,74 %)
Dow Jones 17 006,77 Punkte (+ 0,37 %)
Euro 1,0970 Dollar (Vortag: 1,0901)
Ausführliches Inhaltsverzeichnis SEITE 2
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den Umgang mit der Flüchtlingskrise forderte sie ihre Partei auf, nach den Wahlen
am 13. März „in Ruhe“ weiterzudiskutieren. Merkel warb vor den Delegierten zudem erneut für eine europäische Lösung in
der Flüchtlingskrise. „Wir brauchen eine
nachhaltige gesamteuropäische Lösung“,
sagte Merkel. Diese Lösung sei schon ein
Stück näher gerückt, obwohl noch einiges
zu schaffen sei.
Die CDU ist durch jüngste Umfragen
stark unter Druck geraten. Das ZDF-„Politbarometer“ vom Freitag sieht die Grünen
von Regierungschef Winfried Kretschmann mit 32 Prozent vor der CDU, die auf
30 Prozent käme. Laut den von der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF erhobenen Zahlen bekäme die SPD 13 Prozent,
die AfD 11 und die FDP 7. Die Linke wäre
mit 4 Prozent nicht im Landtag. 51 Prozent
der Befragten gaben allerdings auch an,
dass ihre Wahlentscheidung noch nicht sicher sei. Eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage von Infratest dimap für die
ARD hatte die CDU sogar bei nur 28 Prozent gesehen. In der ARD-Umfrage hatten
SPD und AfD mit jeweils 13 Prozent gleichauf, die FDP bei 8 und die Linke bei 4 Prozent gelegen. Bei der Wahl 2011 hatte die
CDU 39 Prozent der Stimmen bekommen,
noch im Herbst hatten Umfragen ähnliche
Werte ergeben. Merkel forderte die Delegierten auf, sich nicht verrückt zu machen. „Gezählt wird zum Schluss“, sagte die
CDU-Vorsitzende.
AFP/dpa
– Merkel attackiert Grün-Rot SEITE 5
SEITE V1
WM 2006: Zahlung
wurde verschleiert
Die Vergabe der Fußball-WM 2006 bleibt
im Zwielicht. „Es gibt keinen Beweis für
einen Stimmenkauf“, sagte Christian Duve
von der Kanzlei Freshfields bei der Vorstellung des Untersuchungsberichts am Freitag. Ein Stimmenkauf könne allerdings
auch nicht ausgeschlossen werden. Im Fokus der Ermittler steht der Transfer von 6,7
Millionen Euro vom deutschen WM-Organisationskomitee an den Weltverband Fifa.
Der ehemalige Adidas- Chef Robert LouisDreyfus hatte dem DFB das Geld vorgestreckt. Die Rückzahlung des dubiosen
Darlehens sei durch die deutschen WMOrganisatoren bewusst verschleiert worden, heißt es in dem Bericht.
rtr/dpa
– War die WM gekauft oder nicht? SEITE 2
Luff
„Herrje! Schon wieder jemand reingespuckt!“
Gestärkt durch die „arabische Invasion“
gestärkt, bereichert worden war durch den Ausieder einmal hat Papst Franziskus
Flüchtlinge Der Papst
tausch der Kulturen. Wenn Europa hingegen „seirecht ungeschützt gesprochen. Wieerinnert Europa an
der einmal bieten sich seine Worte daseine eigenen Wurzeln. ne Geschichte vergisst“, sagte der Papst „wird es
schwach. Dann wird es ein Ort der Leere.“ Was
zu an, aus dem Zusammenhang gerissen zu werVon Paul Kreiner
Franziskus ausdrücken will, wird nicht nur aus
den. Im Gespräch mit den Poissons roses, einer
dem Ganzen dieses Gesprächs deutlich, er sagt es
linkskatholischen Sozialbewegung aus Frankreich, sagte Franziskus in dieser Woche: „Heute können wir von sonst auch ohne Umschweife: Abgrenzung widerspreche der
einer arabischen Invasion sprechen. Das ist eine soziale Tatsa- Menschlichkeit und dem Christentum. „Wer nur daran denkt,
che.“ Wahrscheinlich wird man diesen Satz demnächst auf allen Mauern zu bauen und keine Brücken, der ist kein Christ“, sagt
Pegida-Demonstrationen hören: „Sogar der Papst sagt mittler- Franziskus. Auch gegenüber dem Islam kennt er nur eine sinnweile . . . “ Dabei hat er noch viel mehr gesagt, und aus den abfäl- volle Haltung: den Dialog.
Und was gar die Aufnahme der Flüchtlinge betrifft, da gibt’s
ligen Reaktionen des Front National zu schließen, haben die
Rechten in Frankreich bereits gemerkt, dass sie mit Franziskus‘ für Franziskus keinen Hauch von Zweifel. Gleich in seinen ersten Amtswochen hat er die eigene Kirche und die religiösen OrBemerkung keinen Blumentopf gewinnen können.
Denn nach dem Satz mit der Invasion – bei diesem Wort den aufgerufen, ihre aus Nachwuchsmangel oft gähnend leer
markierte er mit den Fingern sogar Anführungszeichen in die stehenden Gebäude zu öffnen. Und erst diesen Mittwoch, bei
Luft – fuhr Franziskus fort: „Wie viele Invasionen hat Europa der Generalaudienz auf dem Petersplatz, zitierte der Papst das
im Lauf seiner Geschichte schon erlebt! Aber immer wieder war Prophetenwort: „Sucht das Recht, helft dem Unterdrückten . . .“
es in der Lage, sich selbst zu übertreffen und voranzuschreiten um sofort – aus dem Stegreif – anzufügen: „Denkt an die vielen
– um anschließend festzustellen, wie sehr es doch gewachsen, Flüchtlinge, die in Europa landen und nicht wissen wohin.“
W
Wetter SEITE 10
Samstag
5°/0°
Der Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Guido Wolf,
will trotz sinkender Zustimmung unbeirrt weiterkämpfen.
Parteitag
E
deschen Gegners einzuschläfern. Diesmal
r Politik in der
Frösteln vor der Freiheit:
Leseland Kuba im Umbruch
Die Landes-CDU
macht sich Mut
ine Woche vor der Landtagswahl
versucht die CDU in Baden-Württemberg trotz sinkender Umfragewerte die Reihen fest zu schließen. Auf dem
Landesparteitag in Ettlingen gab Spitzenkandidat Guido Wolf die Parole „Jetzt erst
recht“ aus. Den rund 1100 Delegierten und
Zuhörern rief er am Freitag zu: „Grün-Rot
muss abgelöst werden.“ Die Partei habe die
Möglichkeit, sich schicksalsergeben den
Umfragewerten hinzugeben. Die zweite
Möglichkeit sei: „Wir sagen, jetzt erst
recht.“ Die aktuelle Situation nannte Wolf
ein Stahlbad. Er warnte davor, bei der
Landtagswahl am 13. März für rechte Parteien zu stimmen. Nur mit einer starken
CDU könnten die Flüchtlingszahlen begrenzt werden. Mit Blick auf die Alternative für Deutschland (AfD) sagte er, wer bei
der Wahl über sogenannte Alternativen
nachdenke, müsse gewarnt werden. „Wer
rechts wählt, wird links regiert.“
Guido Wolf suchte demonstrativ den
Schulterschluss mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die für eine Rede nach Ettlingen gekommen war. Die schwierige Situation sei nicht die Zeit für Denkzettel, betonte Wolf. Eine solche Lage sei „die Zeit
der Verlässlichkeit, der Erfahrung, der Autorität“. Es sei die Zeit für Bundeskanzlerin
Angela Merkel.
Merkel selbst rief die CDU ebenfalls zur
Geschlossenheit auf. In den kommenden
Tagen gehe es um das Gemeinsame in der
Union, sagte die Kanzlerin in Ettlingen. Mit
Blick auf die parteiinternen Debatten über
Die
Massenbasis abhanden zu kommen.
WDie Brücke zur Welt
Die Dritte Seite
www.stuttgarter-zeitung.de
on der letzten großen DFB-Pressekonferenz blieb Wolfgang Niersbachs Mantra „Das entzieht sich
meiner Kenntnis“ in Erinnerung. Niersbach ist mittlerweile weg, am Freitag hatten beim DFB die Anwälte das Sagen. Und
was bleibt? Das: „Es gibt keinen Beweis für
einen Stimmenkauf.“ Noch einmal Glück
gehabt, denkt wohl so mancher nach der
Vorstellung des Untersuchungsberichts.
In Wahrheit sind aber nicht nur viele
Fragen weiter offen. Der Bericht der Kanzlei Freshfields nährt vielmehr den Verdacht, dass die selbst ernannten Saubermänner aus Deutschland bei der Bewerbung um die Fußball-Weltmeisterschaft
2006 nicht nur mit ihren fachlichen Argumenten zu überzeugen wussten.
Der Bericht gibt einen tiefen Einblick in
das schmutzige Geschäft bei der Vergabe
von Sportereignissen und in die flankierende Lobbyarbeit. Auf 361 Seiten wird größtenteils noch einmal dargelegt, was in
Grundzügen im Oktober der „Spiegel“ aufgeschrieben hatte. Das Magazin hatte mit
seiner Titelgeschichte „Das zerstörte Sommermärchen“ die Lawine ins Rollen gebracht. Das Thema, dies nur nebenbei, hatte durch die Bezeichnung „Sommermärchen-Affäre“ leider eine unglückliche Wendung genommen. Es geht allein um die Frage: Welche dubiosen Geschäfte sind im
Umfeld gelaufen? Welche Rolle spielt
Franz Beckenbauer? Wie ist die WM nach
Deutschland gekommen? So, wie mutmaßlich die meisten Sportereignisse in der Vergangenheit irgendwo gelandet sind?
Das Interesse in Politik, Wirtschaft und
Sport an einer WM in Deutschland war riesig. Bundeskanzler Gerhard Schröder sah
in der WM „ein großes nationales Ziel und
die Gelegenheit, den ehemaligen Unruheherd Deutschland nach dem Mauerfall
einem Milliardenpublikum als friedliebenden Mittelpunkt“ zu präsentieren, wie es in
dem Bericht heißt. Allein um Geld ging es
für die Kirch-Gruppe, die vor der Vergabe
die TV-Rechte gekauft hatte. Der DFB- und
Fifa-Partner Adidas hatte naturgemäß
ebenfalls ein starkes Interesse an einer
WM in Deutschland. In den Dokumenten
findet sich auch ein Brief des Chef-Lobbyisten der WM, Fedor Radmann, in dem er
dem „Bild“-Sportchef Alfred Draxler für
die Unterstützung des Springer-Verlages
dankt. Kurz: die Deutschland AG wollte die
Fußball-WM 2006 haben. Um jeden Preis?
Da waren merkwürdige Waffenlieferungen der Bundesregierung, da existiert ein
dubioser Vertrag mit dem Fifa-Verbrecher
Jack Warner, der nur wenige Tage vor der
Vergabe der WM abgeschlossen wurde. Es
gab merkwürdiges Wahlverhalten und seltsame Freundschaftsspiele des FC Bayern,
der in Beckenbauers Auftrag als FC
Deutschland unterwegs war. Aber gekauft?
Es gibt keine Beweise, sagen die Freshfields-Anwälte. Aber die gibt es bei Korruptionsverdacht selten. Es wurden zehn Millionen Schweizer Franken nach Katar auf
das Konto der Firma Kemco transferiert,
die dem damals einflussreichen Fifa-Funktionär Mohamed bin Hammam gehörte
und von der Fifa-Ethikkommission als
Schmiergeldfirma gesehen wird. Warum?
Die Stimmen Asiens gingen bei der Vergabe
alle nach Deutschland. Zufall?
Das alles stinkt zum Himmel. Der DFB
war damals eben nicht nur dabei, sondern
mittendrin in den schmierigen Geschäften
im Weltfußball, die mittlerweile ein Fall für
das FBI geworden sind. Intransparente
Strukturen, enge Verflechtung persönlicher Beziehungen und geschäftlicher Interessen, keinerlei Überwachung von Vorgängen und vieles andere haben im Sport
ein System geschaffen, in dem Korruption
prächtig gedeihen konnte. Und nun?
Nichts ist wirklich aufgeklärt. Es sind so
viele Fragen offen, dass der Freitag einmal
mehr zeigt: den Augiasstall in Verbänden
können, wenn überhaupt, nur staatliche
Ermittlungsbehörden mit den ihnen zur
Verfügung stehenden Mitteln aufräumen.
V
Repro: StZ Montage: Klöpfer
Noch eine Woche
bis zur Wahl
Zwei Politologen erklären, warum
diese Wahl so besonders ist. SEITE 2
Affäre Die Vergabe der
Fußball-WM 2006 nach
Deutschland stinkt zum
Himmel. Von Tobias Schall
Die Wahl in Stuttgart
Politische Farbenspiele
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