DER SPIEGEL vom 06.02.2016 Siri und der Sinn des Lebens DigasMAIL Dokument 1/1 Seite 1/ 9 Siri und der Sinn des Lebens SPIEGEL-Gespräch Der Alltag ohne Apps wird unvorstellbar, für jede Lebenslage schlagen die kleinen Programme Lösungen vor. Verändern sie Wahrnehmung und Welthaltung? Verhindern sie persönliche Entwicklung? Zwei Forscher aus den USA machen sich Gedanken. Server:digasred02-vm 09.02.2016-14:02h Digas_27256.001.001.PDF 09.02.2016-14:02h Anhang 1/6 pg. 1/4 DigasMAIL DER SPIEGEL vom 06.02.2016 Siri und der Sinn des Lebens Dokument 1/1 Seite 2/ 9 völlig verloren fühlen, dann Als ich vor etwa 20 Jahren auf kann es ein Anzeichen dafür ein Internat ging, weg von sein, dass Sie ein Problem den Bermudas, wo ich aufhaben. Wenn die Apps Ihnen SayHi Translate gewachsen bin, habe ich besnur helfen, Ihren Alltag zu or- ist einer von mehreren Unitenfalls einmal in der Woche die im ganisieren, ist es kein Pro- versalübersetzern, für zehn Minuten mit meinen Ausland helfen, Gespräche blem. Eltern telefonieren können. Gardner Davis zu führen. Zu kritisieren gibt Gardner: Solange Sie die Din- es bei diesen Apps eigentlich Es gab ein Telefon auf dem ge, die Sie mithilfe der Apps nichts. Einfach einen Satz Flur unseres Wohnheims, und Howard Gardner, Professor für Erziehungswis- erledigen, auch offline und auf Deutsch ins Handy sprewenn ich länger sprach, klopfsenschaften an der Harvard-Universität, Träger analog lösen können, ist alles chen, ein Computer im Netz te mir jemand auf die Schulvon rund 30 weiteren akademischen Ehren- okay, denke ich. Problema- übersetzt dann in eine von ter, um mir klarzumachen, titeln, verliehen von Hochschulen in Amerika, tisch wird es erst, wenn das 30 oder mehr Sprachen, dass jetzt der oder die Nächsauch Thailändisch, Hindi Europa und Asien, erforscht seit acht Jahren nicht mehr möglich ist. Ich oder Rumänisch sind mögte an der Reihe sei. Der Bedie Wirkungen, die Apps auf deren Nutzer habe in der vergangenen Wo- lich. Die Antwort wird gransuch einer Universität war ein haben, vor allem auf Kinder und Jugendliche. che einen kurzen Urlaub mit dioserweise auch übersetzt. entscheidender Schritt in Verändert sich die Psyche? Wie blicken wir 13 Mitgliedern meiner Familie Richtung Selbstständigkeit. auf uns, wie sehen wir andere, wenn Apps verbracht, an einem Ort, an Heute haben Studenten mehrmitbestimmen über unser Heranwachsen, dem niemand von uns zuvor gewesen ist. mals am Tag Kontakt zu ihren Eltern, dank unseren Alltag, unsere Beziehungen? Gardner Ich und eine meiner Töchter brachten eine diverser Apps. war einer der ersten Wissenschaftler, die sich altmodische Karte mit, alle anderen nicht. SPIEGEL: Was nicht schlecht sein muss. grundsätzlich mit dieser Frage beschäftigt Drei meiner Enkel wussten nicht einmal, Davis: Nein, aber das ständige Absichern haben, wohl auch, weil ihm diese neue Welt was es mit diesem bedruckten Stück Papier kann das Erwachsenwerden erschweren ursprünglich sehr fremd war. Gardner wurde auf sich hat. Sie wären ohne ihre Handys, und verzögern. Es kann schwieriger wer1943 geboren, in einer Welt, die langsamer ihre Apps aufgeschmissen gewesen, und den herauszufinden, wer man ist, denn es getaktet war. Heute fragt er sich, was verloren, das kann ja durchaus passieren. Technische müssen weniger Entscheidungen ohne Hilwas gewonnen wurde durch die immense Geräte gehen kaputt, man verliert sie, oder fe der Eltern getroffen werden, wenn sie technologische Beschleunigung der vergan- es passiert etwas Schlimmeres, eine Cyber- nur eine SMS weit fort sind. Im Einzelfall genen Jahrzehnte, die sich in der jüngsten attacke beispielsweise. mag das gut sein, aber wenn es zur Norm Phase, dem Aufkommen der Apps, noch ein- SPIEGEL: Das klingt ziemlich dramatisch. werden sollte, ist es das nicht. mal verstärkt hat. Zusammen mit seiner Kol- Gardner: Es gibt keinen Grund, dramatisch Gardner: Junge Menschen kennen heute legin Katie Davis, Lehrbeauftragte an der Uni- zu werden, aber entschiedene Warnungen auch nicht mehr das Gefühl, sich zu verversität in Seattle, Expertin für kognitive Wir- sind angebracht. Unsere Forschungsergeb- laufen. Sie sind nie mehr orientierungslos, kungen digitaler Technologien und deutlich nisse zeigen, dass sich die jetzt Heranwach- sind nicht gezwungen, in einer solchen Sijünger als er, machte Gardner sich daran, Ant- senden in vielerlei Hinsicht von ihren Vor- tuation Fremde anzusprechen, sie müssen worten zu finden. Er erläuterte sie in seinem gängergenerationen, die noch keine Apps nicht mehr lernen, alltägliche Krisen wie Büro in Cambridge, Davis war per Telefon kannten und benutzten, unterscheiden. die gerade geschilderte zu überwinden. zugeschaltet. Sie besuchte zum Die Jugendlichen heute sind Stattdessen rufen sie einfach Google Maps Zeitpunkt des Interviews ihre weniger emphatisch, sie sind auf. Es ist sicherlich kein angenehmes GeFamilie auf den Bermudas. ängstlicher, unselbstständiger, fühl, sich zu verlaufen, aber es ist eine hilfEingebettet in das Interview finsie vertrauen weniger den reiche Erfahrung. Außerdem entdeckt man den sich auf den folgenden SeiMenschen in ihrer unmittel- manchmal auf Umwegen, die man macht, ten Beispiele für populäre Apps, baren Umgebung. aufregende Dinge, die einem sonst entganSPIEGEL: Und verantwortlich gen wären, wenn man automatisch auf den die unser Leben, die Art und dafür sind die Apps? Weise, wie wir uns kennenlereinen, angeblich besten Weg geführt wird. Gardner: Nicht sie allein natür- SPIEGEL: Und wie kann der Gebrauch von nen, unterhalten, uns im Netz Lovoo, Badoo, Tinder lich, aber sie sind der verbin- Apps zu weniger Mitgefühl führen? präsentieren, verändern – zum Dating-Apps haben den Flirt dende und wohl auch ent- Davis: Wir sagen nicht, dass der Gebrauch Guten oder Schlechten. revolutioniert. Keine Nervoscheidende Faktor. Sie wer- von Apps die Menschen weniger mitsität mehr, kein Kribbeln im SPIEGEL: Professor Davis, Pro- Bauch, nur ein cooler Wisch den sehr intensiv, sehr häufig fühlend macht. Ich kenne keine Studie, die fessor Gardner, ich habe ges- nach links oder rechts auf genutzt, US-Teenager senden so eine Aussage unterstützt. Was wir altern 21 verschiedene Apps dem Bildschirm. Nie zuvor im Schnitt 60 SMS pro Tag, äl- lerdings sagen, ist, dass es Arbeiten im Beauf meinem Handy benutzt. war der erste Kontakt einfatere Mädchen mehr als 100. reich der Neurowissenschaften gibt, die cher und unpersönlicher. Die Vier Nachrichten-Apps, fünf Apps haben nicht nur den Das und andere Dinge haben zeigen, dass Introspektion wichtig ist, um Textmessage-Apps, eine Fit- Flirt entzaubert, sie haben Einfluss auf die Art, wie Kin- Empathie, Moral und ein Verständnis des ness-App. Von morgens um auch neue Probleme geder und Teenager heute ihre eigenen Selbst zu entwickeln. Tagträumen sieben bis abends um sieben bracht. Gefälschte Profile Identität bilden, wie sie Be- und Introspektion sind wichtig für den Uhr habe ich mein Handy beispielsweise. Neue Dating- ziehungen aufbauen und pfle- menschlichen Geist. Wenn unsere Auf71-mal in die Hand genom- Apps wie Blume versprechen, gen, wie sich ihre Kreativität merksamkeit zu stark nach außen gerichtet men, also im Schnitt alle neun das zu beheben. Sie verlanist – in unseren Fällen durch das Hochlaentwickelt. gen vom Nutzer ein aktuelles Minuten. Halten Sie das für Selfie. Gefälschte Profile und SPIEGEL: Überschätzen Sie den neuer Selfies, das Spielen von Spielen gesund? nicht die Macht der Appa- auf unseren Handys –, versagen wir uns Belästigungen durch Bots Davis: Das kommt darauf an. dürften so verhindert werden, rate? notwendige Zeit zur Reflexion, und das Wenn Sie sich ohne die Apps unerwünschte Bilder meist Davis: Sie ist ja kaum zu über- hat Konsequenzen für die Fähigkeit, uns männlicher Genitalien, Crotschätzen. Ich gebe Ihnen ein in andere hineinzuversetzen. chies genannt, wohl nicht. Beispiel, eine Variante von Gardner: Ich werde manchmal gefragt, was Das Gespräch führte der SPIEGELReporter Uwe Buse. Howards Urlaubsanekdote. ich mache, wenn ich frei habe, abends BRIAN SMALE / DER SPIEGEL SHAWN G. HENRY / DER SPIEGEL Gesellschaft DER SPIEGEL 6 / 2016 Server:digasred02-vm 09.02.2016-14:02h Digas_27256.001.001.PDF 09.02.2016-14:02h 61 Anhang 1/6 pg. 2/4 DER SPIEGEL vom 06.02.2016 Siri und der Sinn des Lebens DigasMAIL Dokument 1/1 Seite 3/ 9 Gesellschaft etwa oder wenn mal ein Termin ausfällt. veröffentlicht und mir ein paar Privatleben –, wird früher Ich liege dann in meinem Bett oder sitze Tage später die Kommentare oder später schwer enttäuscht in einem Sessel und denke vor mich hin. in der Onlineausgabe durchwerden. Ich lehre seit JahrSonst nichts. Kein Lesen von E-Mails. Kei- gelesen. Eine große Zeitver- Beet zehnten in Harvard, und noch ne SMS. Keine YouTube-Videos. Einfach schwendung. Von mehreren Facebook verbindet Mennie sind mir so häufig empörschen miteinander und entnur ich, meine Gedanken und wohltuende Hundert Anmerkungen waren fremdet te Studenten begegnet, die sasie zugleich, denn Stille. Vielleicht noch etwas Musik. Man- nur wenige interessant. Wenn das Leben, wie es auf Facegen: „Wir haben Ihre Anweiche Menschen finden das befremdlich. Mir Technologiefans darüber kla- book präsentiert wird, ist viel sungen bis ins Detail befolgt. gefällt das sehr. Ich kann Ihnen nur raten, gen, dass sie Probleme mit ih- zu oft geschönt, gehypt und Warum bekomme ich dann rem Zeitmanagement haben, unecht. Es gibt zu viele groß- kein ,sehr gut‘?“ Ich erwidere das mal auszuprobieren. SPIEGEL: Weniger Mitgefühl, ängstlicher, un- dann frage ich mich immer, artige Momente, tolle Partys, dann: „Wir sind hier in Harselbstständiger. Mit Männern oder Frauen, womit sie ihre Zeit verbringen. denkwürdige Begegnungen, vard, hervorragende Noten die so beschrieben werden, möchte ich SPIEGEL: Sie sprechen ja von es wird zu viel gelacht, gefei- brauchen hervorragende Arert, gelobt. Wer nicht durchder App-Generation – was schaut, dass Facebook auch nicht befreundet sein. beiten. Das Befolgen von AnDavis: So, wie Sie das sagen, klingt es, als zeichnet ihre Mitglieder aus, eine Egomarketing-Plattform weisungen ist nicht hervorwürden wir die Jugendlichen verurteilen, jenseits der Eigenschaften, die ist, fragt sich schnell: Wieso ragend, es ist bestenfalls eine als wären sie verantwortlich für das, was Sie schon beschrieben haben? ist mein Leben nicht so? Voraussetzung für eigene Gegeschieht. Aber das ist natürlich nicht so. Gardner: Ganz erstaunlich fin- Sean Thielen und Jonathan danken, für das Schaffen von Wir erkennen an, dass diese Jugendlichen de ich, dass dies die erste Miller, die Gründer von Beet, etwas Neuem.“ Ein Student nur auf eine Situation reagieren, auf Generation ist, die sich nicht haben dieses Problem gesefragte mich: „Warum sollen hen und bieten seit einiger Zwänge, die sie erleben, und auf Erwach- mehr in erster Linie über poli- Zeit eine Lösung an, ihre App. wir überhaupt noch zur Schusene, die nicht immer gute Vorbilder sind. tische Ereignisse definiert, son- Beet macht es möglich, le gehen? Apps liefern uns Die Jugendlichen versuchen, das Beste dern mithilfe technologischer kurze, sechs Sekunden lange doch alle Antworten, die wir aus der Situation zu machen, und wir Er- Entwicklungen. Ihre Mitglie- Videos ins Netz zu stellen, brauchen.“ Da bin ich andewachsene sollten ihnen dabei helfen, an- der sagen über sich nicht, der und das Besondere an Beet rer Meinung. Apps mögen alstatt ständig mit unseren Smartphones zu 11. September hat unsere Welt- ist: Diese Videos lassen le Antworten liefern, mit Aussicht geprägt oder der Börsen- sich nicht bearbeiten, egal hantieren. nahme der entscheidenden. wie gelungen, misslungen, SPIEGEL: Wie benutzen Sie Ihre Handys? SPIEGEL: Für diesen Satz sind crash oder die Ermordung lustig oder peinlich sie Davis: Ich lese und schreibe E-Mails auf Kennedys. Sie sagen, sie gehö- sind. Beet bringt AuthentiSie harsch kritisiert worden. Gardner: Das ist korrekt. Aber meinem Gerät, nutze WhatsApp, um mit ren zur Generation Facebook, zität zurück ins Netz und, er stimmt trotzdem. Keine meiner Familie in Kontakt zu bleiben, ich zur Generation Instagram. man muss es leider sagen, App kann mir sagen, was der höre im Fitnessstudio Musik auf dem SPIEGEL: Warum soll es denn auch die Langeweile. Sinn meines Lebens ist. Handy, ich werde von meinem Smartphone bedenklich sein, wenn sich geweckt und lese die „New York Times“ Menschen über technische Entwicklungen SPIEGEL: Wie wirkt sich die überzogene Erauf ihm, na ja, eher die Schlagzeilen. Ich definieren anstatt über politische Ereignis- wartung, das Leben sei planbar, auf die folge einigen Personen auf Twitter, tweete se? Beides kann Leben nachhaltig prägen. Psyche der Jugendlichen aus? gelegentlich selbst, bin bei Instagram re- Gardner: Nun, es ist wahrscheinlich die ers- Gardner: Wir benutzen eine Theorie, die te Generation, die nicht weiß, was sich in von Erik Erikson, einem Psychologen, aufgistriert und höre regelmäßig Podcasts. SPIEGEL: Und? Alles im grünen Bereich? der politischen Arena tut. Solange wir uns gewachsen in Deutschland und einer meiDavis: O ja. Es ist und bleibt mithilfe von Zeitungen infor- ner Lehrer, entwickelt wurde. Erikson geht für mich eine Organisationsmiert haben, überflogen wir von acht Krisen aus, denen wir Menschen hilfe, mehr nicht. Ich kann wenigstens die Schlagzeilen im Laufe unseres Lebens gegenüberstehen auch ohne. auf den ersten Seiten, auch und die wir bewältigen müssen. Mit der ersSPIEGEL: Und Sie, Professor wenn man sich nur für Fuß- ten Krise werden wir als Säugling konfronGardner? ball oder Klatsch interessierte. tiert, es geht um Vertrauen versus MisstrauGardner: Ich habe eine ganze Informiert man sich über die en, und üblicherweise spielt sie sich ab zwiMenge Programme auf meiEreignisse in der Welt aber schen dem Kind und seiner Mutter. Ist diese nem Telefon, die meisten wur- Siri, Google Now, Cortana mithilfe der sozialen Netzwer- Beziehung intakt, kümmert sich die Mutter den allerdings von meinen Eine neue Generation digike oder digitaler Kuratoren, angemessen um ihr Kind, geht es gestärkt Mitarbeitern hochgeladen, taler Butler soll unser Leben erfährt man kaum noch etwas, aus dieser Krise hervor und besitzt ein geund ich benutze Apps nur, vereinfachen und unseren das jenseits der eigenen Er- sundes Vertrauen in sich und in die Welt. wenn ich muss. Dann schicke Alltag gleichzeitig umfassenfahrungen und Interessen Wird die Krise nicht erfolgreich bewältigt, ich E-Mails, SMS oder lese der ausspionieren. Erneut liegt; das ist natürlich nicht weil die Mutter sich falsch verhält, weil sie gilt der sehr richtige Satz: wie Katie die „New York Wenn eine Dienstleistung im erstrebenswert, und es ver- sich chaotisch, unvorhersehbar benimmt Times“. Aber ich freue mich Internet umsonst ist, ist der festigt das Bild, das sich die oder abwesend ist, dann ist es wahrscheinjeden Tag darauf, die gedruck- Kunde kein Kunde, sondern Mitglieder dieser Generation lich, dass das Kind an sich stärker zweifelt te „New York Times“ bei ei- das Produkt. Die neuen digivom Leben machen. Sie se- und weniger Vertrauen in Freunde und Vertalen Butler verstehen gener Tasse Kaffee zu lesen. hen es als eine Art Super-App. wandte hat und den kommenden Krisen SPIEGEL: Sind Sie technologie- sprochene Anweisungen erSie glauben, ihr Leben sei weniger gefestigt entgegentreten muss. staunlich gut, rufen unsere feindlich? planbar, berechenbar, sie er- SPIEGEL: Welche Krisen folgen? Mails ab, organisieren unseGardner: Nein, ich gehöre nur re Termine und vieles mehr. warten definitive, unmittel- Gardner: Wir interessierten uns für die Krinicht zu den „Early Adop- Im Prinzip ist es nicht anders bare Antworten auf jede Fra- sen fünf, sechs und sieben. Während der ters“, ich nutze Techniken als früher mit menschlichem ge, aber das ist natürlich ein fünften Krise geht es um die Ausbildung nicht, nur weil sie neu sind. Personal: Wer perfekt dienen absurder Wunsch. Wer sein der Identität. Krise Nummer sechs hat InSie müssen schon einen Nut- will, muss möglichst alles Leben als Erwachsener mit timität versus Isolation zum Thema, Krise zen für mich haben. Vor einer wissen. der Erwartung beginnt, es sei sieben Imagination oder Kreativität versus Weile habe ich einen Artikel planbar – die Karriere, das intellektuelle und emotionale Stagnation. 62 DER SPIEGEL 6 / 2016 Server:digasred02-vm 09.02.2016-14:02h Digas_27256.001.001.PDF 09.02.2016-14:02h Anhang 1/6 pg. 3/4 DER SPIEGEL vom 06.02.2016 Siri und der Sinn des Lebens BRIAN SMALE / DER SPIEGEL SHAWN G. HENRY / DER SPIEGEL DigasMAIL Forscher Gardner, Davis: „Ich würde App-freie Tage verfügen“ Während der fünften Krise, der Identitätskrise, die üblicherweise im Alter zwischen 16 und 21 Jahren bearbeitet werden muss, geht es um folgende Fragen: Wer will ich sein? Was ist mir wichtig im Leben? Wie urteile ich über mich selbst? Und, ebenso wichtig: Wie denken andere über mich? Davis: Die Bildung der eigenen Identität ist ein sozialer Prozess, man kann sie nicht allein leisten, man braucht andere. Man braucht beides, die Validierung durch andere, durch Freunde, durch die Familie, durch die Gesellschaft im Allgemeinen, aber man braucht auch die Zeit zur Reflexion. Was wir in unserer Forschung sehen, ist, dass die externe Validierung wichtiger wird. Es ist so einfach, immer neue Selfies zu posten, es ist so wichtig, möglichst viele Freunde im Netz zu haben, möglichst viele Likes zu bekommen. Das Erreichen dieser Ziele kostet viel Energie, das Nichterreichen mit seinen Frustrationen auch, und dann fehlen Energie und Zeit, um ein stabiles Ich zu kreieren. Howard und ich fürchten, dass die Balance zwischen den externen und den internen Faktoren gestört ist. Vielen Jugendlichen geht es heute vor allem darum, ein perfektes Bild von sich selbst zu vermitteln. SPIEGEL: Aber das war früher nicht anders. Es ist doch normal und menschlich, auf Fremde oder Bekannte, generell auf sein Publikum, möglichst gut wirken zu wollen. Davis: Natürlich ist das Selfie keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Selbstporträts von Künstlern sind ja nichts anderes als analoge Selfies. Der grundlegende Unterschied ist aber die Größe des Publikums, online ist es um ein Vielfaches größer als offline. Entscheidend ist auch, dass digitale Artefakte in der Regel nicht verschwinden oder nur in Museen oder Sammlungen zu sehen sind. Moderne Momentaufnahmen existieren für immer, zugänglich für alle, und können innerhalb von ein paar Jahren schon sehr peinlich sein. Gardner: Hinzu kommt, dass das Internet eine Welt der Zeichen, der Marken ist. Es ist nötig, sich schnell orientieren zu können, und es existiert der Druck, sich selbst in eine Marke zu verwandeln. Es beginnt bei dem Bild, das man auswählt, um sich der Welt auf Facebook oder Twitter vorzustellen. Aus psychologischer Sicht kann Dokument 1/1 Seite 4/ 9 man diesen Vorgang interpretieren als den Zwang, zu früh ein geschlossenes Bild von sich zu produzieren. Es gibt allerdings auch eine gegenteilige Entwicklung. Es gilt, unablässig neue Bilder des eigenen Ichs zu produzieren. Es gibt hier eine Rollendiffusion, und ich bin sicher, dass diese beiden gegensätzlichen Entwicklungen, der Zwang, vorzeitig ein stimmiges Bild seiner selbst zu produzieren, und die Unfähigkeit, dieses Bild mithilfe eines tragfähigen Kerns anzulegen, dazu führen, dass es schwieriger ist, ein stabiles Ich zu entwickeln. Ganz ähnlich verhält es sich während der sechsten Krise, die sich um soziale Bindungen dreht, um unsere Fähigkeit, echte Nähe zuzulassen, was immer mit Risiken verbunden ist, weil man sich zeigt, wie man ist. Üblicherweise geht es hier um die Beziehung zum Partner, aber auch zu Freunden. Unsere Forschung zeigt, dass sich die Zahl der wahren Freunde verringert hat. Vor 20 Jahren sagten die Menschen in den USA, es gebe drei Personen, denen sie vertrauen können. Heute sagen sie, es gebe zwei. Das ist eine erstaunliche Verringerung, um 33 Prozent. SPIEGEL: Sind die Jugendlichen selbst eigentlich glücklich mit ihrem Lebensstil? Gardner: Ich befrage zurzeit viele junge Leute wegen einer neuen Studie, die wir an zehn Universitäten erstellen, und ich sehe, dass sie hungrig sind nach Erwachsenen, die ihnen bessere Wege zeigen können, aber dass sie sich dieses Hungers nicht einmal bewusst sind. Meine Beobachtung ist, die Jugendlichen wissen, dass irgendetwas zutiefst falsch ist mit der Art und Weise, wie sie ihr Leben leben, aber sie wissen nicht, was sie ändern sollen. Davis: Fast alle Jugendlichen, mit denen ich rede, sprechen von einer tief gehenden Ambivalenz gegenüber der Technik, die sie benutzen. Viele fühlen sich gezwungen, stets online und verbunden zu sein. Sie genießen dieses Gefühl nicht. Sie fühlen sich gedrängt, sich in einer bestimmten Art zu präsentieren. Wir müssen diese Ambivalenz ernst nehmen, den Jugendlichen Unterstützung bieten. Wir dürfen sie nicht abschreiben. SPIEGEL: Was sollten wir Ihrer Meinung nach tun? Davis: Gute Vorbilder sein. Gardner: Wenn ich Meister über die Apps wäre, würde ich App-freie Tage verfügen. SPIEGEL: Das meinen Sie nicht ernst. Gardner: Doch. Das wäre in meinen Augen eine sinnvolle Entscheidung. Das wird aber natürlich nicht passieren, deswegen noch ein Tipp von mir: Man kann Apps auch löschen. SPIEGEL: Meine Tochter hat das vor Kurzem gemacht, mit WhatsApp. Das Programm ging ihr auf die Nerven. Gardner: Gutes Kind. SPIEGEL: Professor Davis, Professor Gardner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Mail: [email protected] DER SPIEGEL 6 / 2016 Server:digasred02-vm 09.02.2016-14:02h Digas_27256.001.001.PDF 09.02.2016-14:02h 63 Anhang 1/6 pg. 4/4
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