SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Wer nichts besitzt, wird nicht

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Wer nichts besitzt, wird nicht besessen
Die Journalistin Meike Winnemuth über den Reiz des Verzichts im Gespräch mit Eva
Lauterbach
Redaktion:
Petra Mallwitz
Sendung:
Freitag, 04.03.16 um 10.05 Uhr in SWR2
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MANUSKRIPT
Eva Lauterbach:
Meike Winnemuth, Sie haben einen Schnitt gemacht, aus freien Stücken. Sie haben sich
entschieden aus 200 Quadratmetern, eine Fünf-Zimmer-Wohnung war das, in 38
Quadratmeter, in ein Appartement zu ziehen, und Sie haben dabei auch einen großen
Anteil Ihrer Garderobe, Taschen, Schmuck weggegeben, verschenkt zum Teil. Und ich
nehme an, Sie haben sich auch von Möbeln, von Haushaltsgegenständen getrennt.
Dieses Problem des zu viel und zu groß, das viele heute haben, ist eigentlich ja ein
Luxusproblem, ein Wohlstandsproblem und ist auch beschämend gegenüber den
Menschen, die nichts haben, die in Armut leben, ohne Sicherheiten.
Ist Ihnen das bewusst?
Meike Winnemuth:
Dass das Luxusproblem ist? Natürlich ist es eins. Ich glaube, dass es ein schönes
Problem ist, sich überlegen zu dürfen: wie will ich leben. Diese Frage können sich viele
Leute aus den erwähnten Umständen nicht stellen. Man muss nur jeden Tag die
Nachrichten lesen, man muss noch nicht mal Nachrichten anschauen, sondern einfach
nur bei uns vor dem Hauptbahnhof schauen, wie die Flüchtlinge ankommen, mit
welchen Sachen sie anreisen und dann weiß man’s schon.
Übrigens nicht nur woanders, sondern auch hier. Wir haben ja das große Glück in einem
vergleichsweise reichen, sicheren, sozial gerechten Land zu leben und trotzdem geht’s
selbst in unserem Land nicht allen gleich gut.
Das ist mir schon sehr bewusst, natürlich.
Eva Lauterbach:
Zu Ihrer Geschichte jetzt, die hat ja auch eine Vorgeschichte, das heißt, es gab eine
Weltreise. Sie haben ein Jahr lang, 12 Monate, in 12 verschiedenen Städten gelebt, in
verschiedenen Kontinenten, und Sie kamen sehr verändert und eigentlich auch mit
einem neuen Blick auf die Welt zurück.
Meike Winnemuth:
Ich glaube, das bleibt nicht aus, wenn man lange Zeit weg ist von Zuhause und wenn
man sich die Welt ein bisschen genauer anschaut.
Ich würde behaupten, dass niemand, der lange unterwegs ist, als der Gleiche
zurückkommt als der er gefahren ist und so ging’s mir natürlich auch.
Eva Lauterbach:
Das heißt, was hat sich verändert?
Meike Winnemuth:
Verlassen hatte ich eine große Altbauwohnung, in der ich zuvor gelebt habe, und als ich
wieder in sie zurückkehrte, nachdem ich ein Jahr lang aus dem Koffer gelebt habe - 22
Kilo - und das sehr gerne - und auch ohne irgendetwas zu vermissen, da gelang mir die
Heimkehr in diese alte Umgebung nicht mehr. Das erschien mir alles zu groß, zu voll, zu
viel. Ich habe mich darin nicht mehr wohl gefühlt, das war nicht mehr meins. Es war
zwar noch mein Zeug, was sich so angesammelt hat, wie das so ist in einem langen
Leben, da hat man einfach hunderte, tausende von Büchern. Man hat Klamotten. Man
hat Schuhe. Und plötzlich, nachdem ich ein Jahr lang Abstand davon hatte, erschien mir
das alles völlig fremd und wie die Kulissen eines Theaterstücks, das ich schon lange
nicht mehr spiele und auch nicht mehr weiterspielen möchte.
Zunächst dachte ich: das wird sich schon wieder geben, da wächst du wieder rein, du
gewöhnst dich wieder an dein altes Leben. Aber das gelang mir hartnäckig nicht.
Und so habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich das vereinfachen möchte, dass
ich kleiner, leichter, unbeschwerter in jeder Hinsicht des Wortes leben möchte.
Eva Lauterbach:
War das ein Prozess, hat das lange gedauert bis Sie sich dazu entschlossen haben
„abzuspecken“?
Und waren Sie sich der Sache dann auch sicher?
Meike Winnemuth:
Ziemlich sicher, weil das ein in der Tat langer Prozess war.
Ich habe ja mal ein Jahr lang ein Experiment gemacht, das ich „Das kleine Blaue“
genannt habe. Ich habe ein Jahr lang jeden Tag das gleiche blaue Kleid getragen. Es
gab davon drei identische Exemplare, also zwei waren in der Wäsche, eins habe ich
angehabt. Und ich habe bei der Gelegenheit festgestellt mit wie wenig man auskommen
kann, und gleichzeitig während dieses Jahres hatte ich eine kleine Aktion als so eine Art
Zusatzschmankerl mir auferlegt, die hieß . „Und tschüss“ . Ich habe mich jeden Tag von
einem Ding in meinem Leben getrennt, ich hab’s verschenkt oder weggeworfen. Ich
habe ganz bewusst „adieu“ gesagt, habe ein Foto gemacht, habe geschrieben was ist
es, wohin geht es, warum kann’s jetzt mein Leben verlassen.
Eva Lauterbach:
Was gehörte denn da alles dazu?
Meike Winnemuth:
Ach, alle möglichen Sachen, es waren Klamotten, es waren aber auch so
Haushaltsgegenstände, wie Kerzenleuchter oder Vasen. Es war auch jedes Mal ein
großer Spaß, sich davon zu trennen. Ein paar Kerzenleuchter zum Beispiel habe ich zu
McDonalds am Hauptbahnhof getragen. Habe die Kerzen, die drin waren, angezündet
und sie einem fremden Paar auf den Tisch gestellt, das da gerade Burger aß. Dann bin
ich gegangen. Und habe von außen beobachtet, was die damit machen. Und das war
lustig: die haben sich erst umgeschaut, als obs so was wie „Versteckte Kamera“
gewesen sei. Und dann, was mir sehr gut gefallen hat, haben sie einen dieser Leuchter
abgegeben und auf den Nebentisch gestellt. Also hatte ich den Eindruck, diese Aktion
hat sich schon mal gelohnt.
Und so habe ich das mit vielen Gegenständen gemacht.
Das Lustige ist, nicht einen einzigen davon habe ich je vermisst.
Eva Lauterbach:
Ja, ich wollte gerade fragen wie leicht, beziehungsweise wie schwer es Ihnen denn
gefallen ist, sich von den Dingen zu trennen, also gab’s Schwankungen oder haben Sie
gesagt: „So, ich habe den Entschluss gefasst und jetzt, ohne mit der Wimper zu zucken,
alles weg,was mir überflüssig vorkommt“?
Meike Winnemuth:
Ich fand’s unfassbar leicht. Es gibt ja die Hochrechnung, ich weiß nicht, ob sie stimmt,
dass in jedem mitteleuropäischen Haushalt 10.000 Dinge sich befinden, also in Leichtes
sich von 365 zu trennen. Und bei mir ging das ganz, ganz einfach.
Eva Lauterbach:
Sie haben sich auch von Büchern getrennt?
Meike Winnemuth:
Ja. Habe ich, auch gerne, weil ich festgestellt habe, dass ich dieser Bücher oft nur als,
sagen wir mal, Dekoration meiner Belesenheit aufhebe. Die stehn da so als
dreidimensionale Tapete im Wohnraum. Es ist nicht so, dass ich Bücher, 3- oder 4- oder
5-Mal lese, dafür gibt es einfach zu viele tolle neue Bücher oder auch alte Bücher, die
ich noch nicht gelesen habe. Also, steht das da nur so rum, wie kleine Grabsteine,
dachte ich immer. Und habe dann angefangen, Bücher zu verschenken oder zu
verkaufen.
Es ist außerdem natürlich noch ein Übrigbleibsel meiner Weltreise, denn unterwegs
habe ich ein E-Reader dabei gehabt, das ist natürlich das Allertollste auf Reisen, man
kann an jedem beliebigen Ort der Welt, ob in Mumbai oder in Addis Abeba jedes
beliebige Buch dieser Welt bekommen. Ein unfassbarer Luxus, wie ich finde, im 21.
Jahrhundert. Und der war mir auf der Reise natürlich sehr, sehr kostbar geworden.
Eva Lauterbach:
Sie haben keinen Bücherschrank mehr?
Meike Winnemuth:
Doch, ich habe ein Bücherregal in meiner neuen Wohnung, das sind 5 Regalmeter,
wenn die voll sind, sind sie voll und dann muss was raus. Und so gilt es, sowohl für mein
Bücherregal wie auch für meinen Kleiderschrank: für jedes neue Ding muss ein altes
raus.
Eva Lauterbach:
Waren Sie denn früher jemand, der gesammelt hat, also eine Sammlerin, die viel
angehäuft hat, die schnell gekauft hat, die auch manchmal später gesagt hat: „Meine
Güte, wozu das?“
Meike Winnemuth:
Also, ich war kein Shopaholic oder so etwas. Ich habe genau so viel oder so wenig
gekauft wie andere Frauen meiner Generation, würde ich vermuten.
Natürlich habe ich auch die üblichen Frustkäufe getätigt: wenn ich angefressen war, bin
ich halt am Samstagfrüh in die Fußgängerzone und habe irgendeine sinnlose Tüte für
50 Euro bei H&M oder Zara gekauft. Dessen bin ich absolut schuldig gewesen, klar.
Und dann aber auch die Beobachtung gemacht, dieses Zeug zieht man nie mehr an,
man kauft es, hängt es in den Schrank, da bleibt’s dann auch hängen.
Es gab ja kürzlich eine Studie, dass 40 Prozent der Dinge, die im Schrank hängen,
niemals getragen werden, was ich unfassbar finde.
Ich kann von mir beobachten, dass viele Sachen, die ich gekauft haben, von denen ich
dachte: ach, vielleicht bin ich ja doch eine Blümchenfrau, versuch doch mal die zu
verwandeln, mit Hilfe einer anderen Klamotte, und versuchte sozusagen ein
„Faschingskostüm“ anzuziehen und vielleicht verändert es ja dein Wesen Eva Lauterbach:
- den TypMeike Winnemuth:
Ja (lacht) Das hat natürlich nie geklappt. Aber das ist auch eine Erkenntnis, die man
dann mit jenseits von 50 vielleicht leichter macht.
Eva Lauterbach:
Wie sind Sie denn aufgewachsen? Also wie war das Zuhause? Was haben die Eltern
Ihnen vermittelt? Das ist ja sicher die Generation, die noch Krieg oder zumindest den
Nachkrieg, eine sehr arme Zeit, auch erlebt hat, wo die Dinge gepflegt wurden, repariert
wurden und man auf jedes neue Teil stolz war.
Meike Winnemuth:
Das stimmt. Hinzu kommt, dass mein Vater „EDEKA“-Kaufmann war. Also wir hatten
schon einen Kaufmannshaushalt, kann man sagen. Ich weiß, dass ich mehr oder minder
aufgewachsen bin mit Lebensmittel nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Mein Vater hat
am Wochenende die Dinge mitgebracht, die keiner mehr kaufen wollte, weil das
Haltbarkeitsdatum überschritten war, oder: Obst, Trauben, die schon so ein bisschen
angedängelt waren, und das haben wir am Wochenende halt immer gegessen.
Und wie man sieht, ich bin der lebende Beweis wie weit man es mit der Diät bringen
kann, nur Dinge nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum zu essen.
Eva Lauterbach:
Jetzt haben wir gesagt, bzw. Sie haben beschrieben, dass Sie relativ leicht sich 365
Tage im Jahr von Dingen getrennt haben. Es gibt doch aber in jedem Leben Dinge,
Erinnerungsstücke, mit einer Geschichte, an denen man hängt, also ob das
irgendwelche Negative sind, ob das eine Schneekugel ist oder ob das eine LPSammlung ist.
Gab es das in Ihrem Leben und haben Sie das dann auch entsorgt?
Meike Winnemuth:
Ich habe viel und immerwährend immer wieder entsorgt, weil ich wirklich mein Los und
mein Glück nicht an Dinge hängen mag.
Ich habe natürlich einige wenige Erinnerungsstücke, von denen ich mich wahrscheinlich
nie trennen werde, das sind so ganz kleine banale Sachen. Ein kleines Taschentuch,
das ich als Kind als Kopftuch getragen habe, mit Pudeln drauf, das habe ich immer
noch. Das Ding ist jetzt mehr als 50 Jahre alt und das werde ich vermutlich immer
besitzen.
Aber andere Gegenstände habe ich nie so fetischisiert, dass ich dachte: die erzählen
mich und meine Geschichte, die sind bedeutsam für mein Leben in einer Weise, dass
ich mich nicht von ihnen lösen kann.
Fotos natürlich, die sind für mich Erinnerung und Briefe, die sind für mich Erinnerung,
aber Gegenstände, so wie gesagt Fetische, die habe ich wenig.
Eva Lauterbach:
Jetzt müssten wir aber auch noch dazu sagen, dass Sie das, was Sie tun, nicht als
Askese, als lebensfeindliche Askese betrachten.
Meike Winnemuth:
Überhaupt nicht, nein.
Eva Lauterbach:
Sondern Sie haben den Grundsatz: ich verwöhne mich, wenn mir danach ist.
Meike Winnemuth:
Absolut, natürlich. Aber ich verwöhne mich mit Dingen, die nichts mit Konsum in dem
Sinne zu tun haben, also mit Handfestem, sondern ich würde mich verwöhnen mit einer
teuren Flasche Rotwein zum Beispiel, oder mit einem sehr guten Essen, zu dem ich
Freunde einlade, solche Geschichten. Ich verwöhne mich mit Erlebnissen.
Und auch die Reise, die ich damals gemacht habe, das ist für mich Luxus und
Verwöhnung, ein Erlebnis, das mit Geld nicht aufzuwiegen ist.
Eva Lauterbach:
Sie kaufen sich auch, glaube ich, immer am Anfang der Woche Blumen Meike Winnemuth:
Ja, jeden Montag kaufe ich mir Blumen. Nicht, wie viele, am Wochenende, um sich für
die vergangene Woche zu belohnen, sondern am Montag, um mich auf die kommende
Woche zu freuen. Ich glaube, das ist eine andere Haltung.
Eva Lauterbach:
Steckt denn in dieser Haltung des Reduzierens auch irgendwas Moralisches, das heißt,
wenn man an unsere grandiose Ressourcenverschwendung denkt Verzicht auch als
ökologisches Ausrufezeichen? Haben Sie daran auch gedacht, oder eher nicht?
Meike Winnemuth:
Ach, eher nicht. Also ich bin ohnehin immer schon lieber mit dem Fahrrad oder zu Fuß
unterwegs gewesen als mit dem Auto. Ich habe zwar eins, ein kleines, aber ich benutze
es nicht sehr oft, ich benutze es eigentlich nur, um gelegentlich meinen Hund ins Grüne
zu chauffieren. Und ansonsten mache ich alle Wege zu Fuß, weil ich ohnehin so zentral
in der Stadt wohne, dass ich keinen Wagen brauche.
Das ist auch ein Glücksfall, wie ich finde, und auch ein Luxus.
Ich bin sicher, dass ich meine ökologischen Fußabdrücke hinterlasse. Die Reise damals
habe ich ja nun auch nicht zu Fuß angetreten, sondern mit dem Flugzeug natürlich.
Das ist für mich jetzt keine Kategorie. Ich versuche, möglichst wenig Schaden
anzurichten auf dieser Welt, das schon, ich achte darauf, aber würde mich jetzt nicht
unbedingt kasteien, um diesen höheren Zweck zu dienen. Das ergibt sich sozusagen
beiläufig.
Eva Lauterbach:
Jetzt möchte ich noch mal auf die kleine Wohnung, also auf das Ein-ZimmerAppartement, von fünf Zimmern - waren das?
Meike Winnemuth:
Sechs Eva Lauterbach:
von sechs Zimmern auf ein Ein-Zimmer-Appartement - zu sprechen kommen. Es ist ja
eigentlich eher umgekehrt. Wenn man anfängt, wenn man das erste Geld verdient,
wohnt man eher klein und in einem Zimmer oder heute vorwiegend in WGs, auch in
Berufstätigen-WGs, wo man dann auch wieder nur ein Zimmer hat. Und irgendwann
vergrößert man sich und vergrößert sich, je älter man wird.
Bei Ihnen war’s jetzt umgekehrt. Fühlen Sie sich nicht beengt?
Meike Winnemuth:
Nein, überhaupt nicht. Und ich glaube übrigens auch nicht, dass das so eine große
Ausnahme ist. Also ich höre von so vielen Leuten, die in ein großes Haus gezogen sind
der Kinder wegen, dass die irgendwann in einem gewissen Alter, wenn die Kinder aus
dem Haus sind, sich wieder verkleinern, weil sie überhaupt keine Lust haben, die Mühe
und die Kosten auf sich zu nehmen, die es bedeutet ein großes Haus zu pflegen.
Bei mir ist das so, dass ich vieles damit verbinde, mit dem „klein wohnen“, wie gesagt:
das Gefühl der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit, ich kann jederzeit wieder losfahren
zum Beispiel, da hält mich nichts.
Die Idee auch damals mit der großen Wohnung war die einer geplanten Alters-WG, also
die Überlegung, eines Tages mit ein paar anderen lustigen „Schartheken“ wie mir mitten
in der Stadt in einer großen Wohnung zusammen zu leben. Die ist übrigens auch noch
nicht beerdigt, diese Idee. Die Wohnung gibt es ja noch. Es kann durchaus sein, dass
ich in 10 Jahren mit ein paar Freunden dort wieder rein ziehe.
Eva Lauterbach:
Können Sie das Lebensgefühl beschreiben, was Sie nach diesem ganzen Entrümpeln
und mit diesem zusammengeschrumpften Bestand haben?
Meike Winnemuth:
Ich habe mir selber das Geschenk gemacht, wieder von Null anfangen zu können. Das
heißt zum derzeitigen Zeitpunkt meines Lebens, mir die Frage zu stellen: Was brauche
ich? Was finde ich schön? Was mag ich? Was ist nützlich? Okay. Ich brauche einen
Tisch, zwei Stühle, ein Bett. Wie soll das Bett aussehen? Ein Sofa, vier Teller, fünf
Gläser.
Also ich konnte wieder mir mein Leben neu aufbauen eigentlich, so wie das damals als
Student auch geschah, wo man sich zunächst mit IKEA-Zeug oder so sein Leben
zusammenbastelte am Anfang, mehr improvisiert als irgendetwas anderes. Und ich
durfte jetzt auch wieder von Null anfangen: Wie will ich jetzt leben? Was will ich? – im
Unterschied zu – Was SOLL ich wollen? Was ist gesellschaftlich erwartet oder
erwünscht?
Wir sind ja sehr oft in unseren Lebensweisen sehr abhängig von Erwartungen anderer,
und auch von gesellschaftlichen Erwartungen, und sich mal von all diesen Erwartungen
freizumachen, sondern sich selber einfach nur auf sich selbst zu besinnen und zu
fragen: Wie will ich es denn bitte haben?
Die Frage wird sich immer wieder neu stellen, denke ich, je älter ich werde, und es wird
immer wieder neue Antworten darauf geben.
Eva Lauterbach:
Wie ist Ihr Lebensgefühl heute?
Meike Winnemuth:
Leicht, entspannt, unbeschwert, sehr dankbar für das Leben, was ich habe. Ich bin mir
absolut darüber im Klaren was für ein unglaubliches Glück ich habe, dieses Leben so zu
leben wie ich es leben mag.
Die Tatsache, dass ich jetzt in einer kleinen Wohnung lebe, die relativ wenig kostet und
wenig Aufwand bedeutet heißt eben auch im Folgeschluss, dass ich entscheiden darf
wieviel ich arbeiten will. Ich muss nicht mehr so viel arbeiten, um eine riesen Hütte jetzt
am Laufen zu halten. Oft ist es ja so, dass man arbeitet, um den Lebensstandard zu
finanzieren, zu dem man sich mal entschlossen hat und den man vielleicht aber auch
gar nicht mehr haben will. Man sitzt im Goldenen Käfig, den man sich selber gebastelt
hat und will den vielleicht gar nicht mehr.
Früher habe ich eine Putzfrau gehabt, jetzt nicht mehr. Meine kleine Wohnung kann ich
locker in einer Stunde sauber kriegen, mit allem Hü und Hott. Und, ja, das ist auch eine
Lebenszeitersparnis.
Eva Lauterbach:
Wie schwer ist es denn eigentlich zu verhindern, dass sich wieder neue Fülle ansammelt
oder stapelt? Sie haben vorhin gesagt: das ist ganz toll bei Null noch mal anzufangen.
Bei Null anfangen kann aber auch heißen sich allmählich wieder steigern.
Meike Winnemuth:
Also, das einfachste Prinzip der Welt ist, wenn man nur sehr wenig Platz hat, also wenn
man nur fünf Regalmeter Platz hat für Bücher, das ist endlich. Dann muss man wirklich,
will man ein neues Buch haben, sich von alten trennen. Und das ist ein kontinuierlicher
Prozess. Dasselbe gilt natürlich auch für den Kleiderschrank.
Ich weiß nicht, die Beobachtung kennt wahrscheinlich jeder, dass gewisse Dinge ins
Leben geschwemmt kommen - seien es Geschenke von Leuten - die da auf einmal im
Haus sind, und man denkt: was ist das denn, wie kommt das Ding denn hierher?
Ich versuche so alle Vierteljahre einmal mit klarem, kühlen Blick durch meine kleine
Wohnung zu gehen und zu schauen:
wie ist denn das hierher geraten und willst du’s jetzt eigentlich noch, bedeutet dir das
was, brauchst du’s überhaupt, benutzt du das überhaupt? Und dann relativ mit klarer
Kante das Ding dann auch zu entsorgen. Oder mit liebevollem Blick sich diesen
Gegenständen zu nähern und dann zu schauen: ja, du darfst bleiben, dich mag ich.
Eva Lauterbach:
Können Sie da ein Beispiel sagen, um das ein bisschen konkret zu machen?
Meike Winnemuth:
Weil ich sehr viel Tee trinke, kriege ich gelegentlich mal so Teetassen, Teebecher und
so etwas geschenkt. Ich freue mich auch immer, aber dann stehen sie halt da, und ich
merke, ich nutze sie nicht. Sie stehen halt im Schrank. Und die nehme ich in die Hand
und denke: du bist toll und danke für das Geschenk, aber das kann jetzt jemand anderer
haben und besser nutzen als ich – und das kann dann gehen.
Eva Lauterbach:
Sind Sie auch so diszipliniert und so bewusst bei Neukäufen?
Meike Winnemuth:
Ich kaufe sehr wenig, ich kaufe eigentlich nur Dinge, die ich ersetze.
Wie gesagt, ich habe mich für die Farbe Blau entschieden, das ist ein Ergebnis sowohl
dieses Projekts „Das kleine Blaue“ wie auch meiner Weltreise. Ich hatte nur blaue Dinge
in meinem Koffer.
Eva Lauterbach:
Blau, was Ihre Kleidung angeht Meike Winnemuth:
Ja, nur blauen Klamotten, weil alles zueinander passte, das war einfach zunächst eine
sehr praktische Entscheidung. Wenn man sich auf eine einzige Farbe beschränkt, dann
ist alles ultimativ miteinander kombinierbar. Ich muss mir keine Gedanken machen, was
zu einander passt.
Und: drei Paar Schuhe hatte ich dabei.
Das hat während dieser Weltreise so gut geklappt, dass ich beschlossen habe, das als
Prinzip fortzusetzen – und so habe ich bis heute nur blaue Dinge in meinem Schrank.
Eva Lauterbach:
Ist das nicht langweilig auf die Dauer?
Meike Winnemuth:
Überhaupt kein bisschen!
Eva Lauterbach:
Wenn plötzlich Knallgrün auftaucht oder Pink oder sowas, und man zieht immer und
immer das gleiche Blau an?
Meike Winnemuth:
Ich mag Pink nicht und finde Blau ist das Pink der Norddeutschen.
Eva Lauterbach:
(lacht) Das stimmt Meike Winnemuth:
Wenn wir so richtig aus uns herausgehen wollen, ziehen wir was Blaues an.
Nein im Ernst: die Farbe steht mir, sie passt zu mir, ich mag sie, ich verbinde mit ihr
etwas, sie steht für mich auch für Weite und Ruhe und ist auch eine Farbe, die
erstaunlicherweise in allen gesellschaftlichen Kontexten wunderbar funktioniert. Also ich
kann mit meinem dunkelblauen Blazer in nahezu alle Umgebungen mich begeben und
falle nie unangenehm auf. Das ist schon mal sehr, sehr praktisch.
Mir ist es sehr lieb als Person in Erinnerung zu sein und nicht für etwas, was ich
angezogen habe oder anhatte. Das ist auch vielleicht eine bewusste Entscheidung.
Aber mir ist diesen fünf Jahren, in denen ich das so mache nur Blau zu tragen, es nicht
ein einziges Mal langweilig geworden.
Eva Lauterbach:
Und es ist auch etwas, was Sie mit Ihrem Beruf - Sie sind Journalistin, Sie sind Autorin gut vereinbaren können. Das heißt: Sie haben da nicht irgendwelche Vorschriften, wie
Sie modisch auftauchen müssen, auftreten müssen.
Meike Winnemuth:
Natürlich nicht. Nein, und selbst wenn ich das hätte, mit Blau kann man nichts falsch
machen.
Eva Lauterbach:
Wenn Sie noch mal das zusammenfassen oder: wenn Sie noch mal überlegen, von wie
vielen Dingen - egal, ob das jetzt Möbel sind, Haushaltsgegenstände, Kleidung,- von
wievielen Dingen haben Sie sich denn getrennt? Kann man das in Prozenten sagen?
Meike Winnemuth:
Nein. Ich kann das nicht quantifizieren, überhaupt nicht.
Ich habe beim Gassi gehen, immer mal so eine blaue IKEA-Tüte mit Sachen rüber
getragen, noch nie bin ich so einfach und so schnell umgezogen, also ohne jetzt ein
riesen Gewese draus zu machen, sondern einfach nur so beim Spazierengehen.
Eva Lauterbach:
Umgezogen mit IKEA-Tüten? Kein Möbelwagen, nichts?
Meike Winnemuth:
Nein, kein Möbelwagen. Es brauchte noch zwei Jungs, die mir ein Sofa rüber getragen
haben, das war zu groß, das konnte ich nicht alleine natürlich. Aber ansonsten ist der
andere Kram einfach nur so nach und nach, per Hand rüber getragen worden, in die
neue Wohnung, die nicht so weit entfernt ist von der alten, das ging also ganz gut.
Auch das ist so eine bewusste Entscheidung gewesen: ich will das alles selber rüber
tragen, was ich behalten will in meinem Leben. Es ist wie ein fließender Vorgang, der
noch anhält. Zeitungen, die ich kaufe, müssen entsorgt werden, ich versuche so wenig
wie möglich zu kaufen, und so weiter.
Ich finde es auch natürlich, in diesem Jahrhundert, unendlich viel leichter als es das
vielleicht noch früher war, weil so vieles ist digitalisiert, wir können uns der schweren
Zeitung oder der Bücher leicht entledigen. Die Inhalte gibt’s ja weiterhin und die sind
auch leichter, wie ich finde, zu erreichen und zu haben als früher.
Wenn ich nach einem Zitat suche in einem Buch, was ich mal gelesen habe, ist es ein
Leichtes das zu finden, im Internet, das geht so viel schneller und einfacher als wenn ich
jetzt lange in einem Buch nachschlagen müsste.
Eva Lauterbach:
Was haben Sie gewonnen? Ich denke mal Sie haben Raum gewonnen, Sie haben
vielleicht auch Zeit gewonnen. Was haben Sie gewonnen?
Meike Winnemuth:
Vor allem habe ich Zeit gewonnen. Ich habe eine gewisse – das ist mir am Wichtigsten –
ich habe eine gewisse Unerpressbarkeit gewonnen. Damit meine ich, dass ich weiß,
dass ich auch mit wenig Arbeit überleben kann. Also ich brauche nicht viel zum Leben,
ich brauche nicht sehr viel Geld, um mein Leben zu leben und kann dementsprechend
mir den Luxus erlauben Aufträge auch mal abzulehnen. Wenn mir jemand einen
Vorschlag macht und sagt: „Schreiben Sie doch mal über oder wir würden Sie gerne
beauftragen etwas über XY zu schreiben“ und ich sage „Das liegt mir nicht so, das
Thema. Ich glaube, Sie wären besser damit beraten, es jemand anderem zu geben“,
dann kann ich das tun und ich muss nicht den Auftrag annehmen, um mir meinen teuren
Lebensstil zu finanzieren.
Also, ich habe mir mit der Entscheidung so zu leben wie ich es jetzt tue, einfach
Freiraum verschafft.
Eva Lauterbach:
Beweglichkeit?
Meike Winnemuth:
Ja, klar, auch Beweglichkeit. Kann jederzeit meinen Hund ins Auto schmeißen und
sagen: wir fahren jetzt mal eine Woche weg.
Ja, das ist sehr kostbar.
Was ich - darüber haben wir noch gar nicht gesprochen - also was ich seit kurzem
habe, seit diesem Jahr: ich habe mir, auch so ein alter Traum, ich habe mir so eine
kleine Hütte an der Ostsee gekauft, eine kleine Holzhütte, 48 Quadratmeter, also auch
nicht riesig, aber ein großer Garten. Und ich muss dazu sagen, der erste Garten meines
Lebens, ich hatte noch nie einen und ich habe auch gar keine Ahnung davon.
Und ich freue mich so wahnsinnig darauf, mit dieser Ahnungslosigkeit wieder ein völlig
neues Feld beackern zu dürfen. Das finde ich auch einen großen Luxus. Ich darf jetzt,
wenn ich will, mal für ein paar Wochen dahin entschwinden und den Garten umgraben.
Das finde ich großartig, das finde ich auch eine Form von Freiheit und von
Selbstbestimmtheit, die nicht mit Geld zu bezahlen ist.
Eva Lauterbach:
Aber wieso hätten Sie das früher, vor fünf Jahren, nicht gekonnt?
Meike Winnemuth:
Hätte ich auch, aber ich hätte dann vielleicht nicht so viel Zeit gehabt mich darum zu
kümmern, diesen Garten zu gestalten, Tomaten auszugeizen und ähnliches, endlos
darüber nachzudenken, welche Art von Gräser ich da jetzt anpflanze, welchen
Rittersporn ich nehme, also durch Baumschulen zu wandern und mir Gedanken darüber
zu machen.
Das ist die Zeit, die ich mir jetzt nehme, um diesen neuen Ort für mich zu gestalten.
Diese Zeit hätte ich vor fünf Jahren nicht gehabt.
Eva Lauterbach:
Es gibt einen Satz, ich weiß nicht woher der stammt: „Immer eigentlicher werden, bis
man’s geschafft hat“.
Trifft das auf Sie zu, dass Sie quasi jetzt näher bei sich selber sind?
Meike Winnemuth:
Ich weiß ja immer noch nicht, was ich selber bin, das ist ja auch im Flux, glaube ich. Das
verändert sich ja auch und wird sich hoffentlich auch bis zu meinem Tod weiter
verändern. Ich glaube nicht, dass es so das eine „Ich“ gibt, auf das man zusteuert wie
auf einen Leuchtturm, und dann hat man ihn eines Tages erreicht und dann ist man da
und das war’s.
Sondern ich glaube, dass man so einem ständigen Veränderungs- und
Entwicklungsprozess unterworfen ist, in persönlicher Hinsicht, und dass ich jetzt, wie
gesagt, einfach ein Stück weiter des Weges bin und eine andere Version meiner Selbst
derzeit leben darf – und wer weiß was da noch kommt.