Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Aula
Sonne, Jahr und Schalttag
Antike Ursprünge unseres Kalenders
Von Klaus Bartels
Sendung: Sonntag, 28. Februar 2016
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
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Ansage:
Heute mit dem Thema: "Sonne, Jahr und Schalttag – Antike Ursprünge unseres
Kalenders".
Heute ist der 28. Februar, in unserer postantiken fortlaufenden Tageszählung der 28.
Tag des Monats Februar, oder, wenn wir nach altrömischem Usus die Tage
rückwärts zählen, den Stichtag mitgezählt: der dritte Tag vor dem Monatsersten, den
sogenannten Kalenden, des März.
Mit einem solchen Datum können wir uns im Sonnenjahr orientieren: Der kürzeste
Tag und die längste Nacht gegen Ende Dezember liegen gut zwei Monate zurück;
der längste Tag und die kürzeste Nacht gegen Ende Juni liegen knapp vier Monate
vor uns. Das scheint heutzutage eine simple Sache; aber vor Caesars
Kalenderreform, vor gut zwei 2000 Jahren, war das noch komplizierter.
Der Philologe und Philosoph Klaus Bartels reist zu den altrömischen und ägyptischen
Wurzeln unseres Kalenders. Sprecher der AULA ist Rainer Hannes.
Klaus Bartels:
Wie eine schlecht regulierte Uhr vor- oder nachgehen kann, so kann auch ein
schlecht regulierter Kalender vor- oder nachgehen, und im Kalender-Regulieren
waren die römischen Priesterkollegien keine großen Meister. Als Julius Caesar auf
dem Rückweg von Ägypten seinen Blitzsieg über König Pharnakes von Pontos mit
der Depesche "Veni, vidi, vici", "Ich kam, ich sah, ich siegte", nach Rom meldete,
schrieb man dort den 2. August, damals noch "Sextilis". Eigentlich hätten zu der
Jahreszeit die Tage schon wieder kürzer werden müssen. Aber tatsächlich wurden
sie noch immer länger; tatsächlich war es nämlich erst Ende Mai. In diesem Jahr 47
v. Chr. ging der altrömische Kalender gut zwei Monate vor, und das war damals
durchaus nichts Außergewöhnliches.
Brauchte die Erde zu ihrem Umlauf um die Sonne genau 365 Tage, keine Stunde,
keine Minute und keine Sekunde mehr oder weniger, so wäre das Kalendermachen
keine große Kunst. Jahr für Jahr, von Neujahr zu Neujahr, gingen Sonne und
Kalender ihren immer gleichen Gang durch die vier Jahreszeiten, und jeweils in der
Silvesternacht, Null Uhr, Null Minuten, Null Sekunden, ginge mit dem Sonnenjahr
auch das alte Kalenderjahr zu Ende und nähme das neue seinen Anfang. Aber
bekanntermaßen braucht die Erde zu ihrem Umlauf um die Sonne über diese 365
Tage hinaus noch einen knappen Vierteltag mehr, und den gilt es immer wieder
auszugleichen, wenn es im Juli heißer Sommer und im Januar kalter Winter bleiben
soll.
Am 13. Februar 50 v. Chr. schreibt Cicero aus seiner kleinasiatischen Provinz an
seinen Freund Atticus in Griechenland; er schließt den Brief, ganz beiläufig, mit der
Bitte: "Sobald du weißt, ob es in Rom einen Schaltmonat gegeben hat oder nicht,
teile mir das doch bitte mit ..." 1 Da geht es, notabene, nicht um einen einzelnen
Schalt-"Tag", sondern um einen ganzen Schalt-"Monat", und da mögen wir uns die
1
Cicero, Briefe an Atticus 5, 21, 14
2
Augen reiben: An diesem 13. Februar wusste Cicero als der römische Statthalter in
Kilikien noch nicht, ob es in der Hauptstadt zehn Tage später einen solchen
Schaltmonat geben werde, und er scheint sich darüber gar nicht einmal zu
verwundern oder zu empören.
Der altrömische Kalender ging in erster Linie nach dem Mond und den vier
Mondphasen, in zweiter Linie nach der Sonne und den vier Jahreszeiten, in dritter
Linie nach der wechselnden Kalenderkompetenz der zuständigen Priesterkollegien,
in vierter Linie nach der noch rascher wechselnden tagespolitischen Opportunität –
und bei all dem, wie Theodor Mommsen einmal bissig bemerkt hat, "gänzlich ins
Wilde". Der Zufall will es, dass zwölf Mondmonate von je rund 29 1/2 Tagen,
zusammen rund 354 Tagen, annähernd einem Sonnenjahr von rund 365 Tagen
entsprechen, und diese schöne runde Zwölfzahl hatte in Rom in früher Zeit zu einem
leicht aufgerundeten Mondjahr von 355 Tagen geführt. Damit eilte das altrömische
Normaljahr dem Sonnenjahr von gut 365 Tagen um gut zehn Tage voraus. Man
musste also kräftig schalten, wenn man von Generation zu Generation weiter in den
Frühjahrsmonaten säen, in den Herbstmonaten ernten und die entsprechenden
Götterfeste für die Aussaat und Ernte zu ihrer Jahreszeit feiern wollte.
Mit einzelnen Schalttagen war da nicht viel auszurichten. Stattdessen legten die
Römer seit alters in einem Vier-Jahres-Zyklus gleich ganze Schaltmonate von 22
oder 23 Tagen ein. Auf ein erstes Normaljahr von 355 Tagen folgte ein Schaltjahr mit
einem Schaltmonat von 22 Tagen, insgesamt also 377 Tagen, auf ein zweites
Normaljahr ein zweites Schaltjahr mit einem Schaltmonat von 23 Tagen, insgesamt
also 378 Tagen. Mit diesen Schaltmonaten, die jeweils nach dem feuchtfröhlichen
"Grenzsteinfest" gegen Ende Februar in den Kalender eingefügt wurden, war der
Vorsprung des römischen Mondjahrs vor dem Sonnenlauf mehr als ausgeglichen.
Vier Sonnenjahre haben zusammen rund 1.461 Tage; der altrömische Vier-JahresZyklus hatte insgesamt 1.465 Tage. Das waren in jedem solchen Vier-Jahres-Zyklus
gerade vier Tage zuviel, und damit ging dieser altrömische Kalender gegenüber dem
Sonnenlauf in jedem Jahr um rund einen Tag, in einer Generation um rund einen
Monat nach.
Aber das bedeutete nichts gegenüber der Unbekümmertheit, mit der die
Priesterkollegien diesen Schaltzyklus handhabten. Vielfach beruhte der lässliche
Umgang mit den Schaltmonaten wohl nur auf Unwissenheit oder Unachtsamkeit,
doch nicht selten waren dabei auch politische oder persönliche Interessen im Spiel.
Über diesen kalendarischen Schalthebel ließen sich ja alle politischen und
gerichtlichen Termine gleich um eine – je nachdem ersehnte oder verwünschte –
ganze Monatsfrist vorziehen oder auf die lange Bank schieben. Ein Beispiel: Schon
auf der Reise in seine kleinasiatische Provinz hatte Cicero seinen Freund Atticus
gebeten, sich in Rom bei den zuständigen Kollegien doch ja dafür einzusetzen, dass
dieses ungeliebte Amtsjahr fern der Hauptstadt nicht auch noch zu einem
extralangen Schaltjahr werde: "Ich bitte dich", schreibt er, "kämpfe darum, dass es
jetzt nicht auch noch einen Schaltmonat gibt!" 2
Schon längst vor der aufgewühlten Bürgerkriegszeit der späten Republik war der
altrömische Kalender "gänzlich ins Wilde" gegangen. Im Jahr 190 v. Chr., als die
Römer im Westen über den Erzfeind Hannibal und die Karthager, im Osten über die
2
Cicero, Briefe an Atticus 5, 9, 2
3
hellenistischen Könige Philipp V. und Antiochos III. triumphiert hatten, eilte der
Kalender der Triumphatoren dem Sonnenlauf um sage und schreibe 119 Tage, volle
vier Monate, voraus. Das ist, wie wenn wir jetzt im Februar noch Oktoberwetter
hätten. 168 v. Chr., im Jahr des glanzvollen Sieges über den Makedonenkönig
Perseus, hatte der römische Kalender immer noch 74 Tage Vorsprung. In Ciceros
Konsulatsjahr 63 v. Chr. ging der Kalender ausnahmsweise einmal richtig. Doch
schon bald darauf, im Jahr 46 v. Chr., als Caesar nach seiner Rückkehr aus Ägypten
und seinem Sieg im Bürgerkrieg vier glanzvolle Triumphe feierte, hatte der Kalender
des Weltreichs die Nase – das Neujahr – schon wieder weit vorn: In seinem allemal
spannenden Wettrennen mit dem vierspännigen Sonnenwagen hatte er in diesen
siebzehn Jahren, diesen siebzehn Runden, schon wieder neunzig Tage, ein volles
Vierteljahr, Vorsprung herausgeholt. Mit feiner Ironie hat Ovid in seinem
Kalendergedicht den Stadtgründer Romulus auf dieses eklatante Missverhältnis
zwischen Triumphzügen und Kalenderchaos angesprochen: "Auf die Waffen
verstehst du dich besser als auf die Gestirne!" 3
Diesem jahrhundertealten Wirrwarr hat Julius Caesar mit seiner zukunftsweisenden
in der Sache durchgreifenden, in der Form äußerst behutsamen Kalenderreform ein
für allemal ein Ende gemacht. Im Jahr 46 v. Chr. hatte er den alten Kalender mit drei
Schaltmonaten, einem ordentlichen von 23 Tagen im Februar und zwei weiteren von
zusammen 67 Tagen gegen Jahresende, noch buchstäblich à jour gebracht. Am 1.
Januar 45 – ein gutes Jahr nach Caesars Rückkehr aus Ägypten und wieder ein
gutes Jahr vor seiner Ermordung an den "Iden des März" – ist der neue "Julianische"
Kalender mit seinem 365-tägigen Sonnenjahr und dem einen Schalttag in jedem
vierten Jahr glücklich angelaufen, um so bis heute über zwei Jahrtausende hinweg
stetig fortzulaufen.
Hier schauen wir ein wenig weiter zurück; denn eigentlich ist dieser von Kopf bis
Fuß, von Januar bis Dezember so römisch eingekleidete, nach Julius Caesar so
römisch benannte "Julianische" Kalender ein altägyptischer und, was den Schalttag
betrifft, ein Ptolemäischer Kalender gewesen. Der ägyptische Kalender ist der
älteste, den wir kennen, und der einfachste, der sich denken lässt. Gestützt auf eine
langjährige Beobachtung der Nilschwelle und – genauer – des Siriusaufgangs hatten
die ägyptischen Priesterschaften in frühester Zeit ein erstaunlich genau bemessenes
Sonnenjahr von 365 Tagen eingeführt und dieses Jahr in zwölf Monate zu je runden
dreißig Tagen und fünf am Schluss angehängte Festtage zu Ehren der Götter
eingeteilt. Bei diesen zwölfmal dreißig plus fünf Tagen war es in Ägypten über
Jahrtausende hinweg geblieben; ein Ausgleich jenes im Sonnenlauf
überschießenden Vierteltages war in diesem altägyptischen Kalender nicht
vorgesehen. Wie seine – etwas zu langen – Mondmonate sich von Monat zu Monat
durch die wechselnden Mondphasen schoben, so schoben sich seine – etwas zu
kurzen – Sonnenjahre von Jahr zu Jahr durch die wechselnden Jahreszeiten. Jahr
für Jahr ging dieser Kalender gegenüber dem Sonnenlauf um einen Vierteltag vor;
Jahr für Jahr wurde es um einen Vierteltag, alle vier Jahre um einen ganzen Tag
früher Sommer und Winter – bis nach viermal 365 Jahren, nach anderthalb
Jahrtausenden, der Jahresbeginn wieder einmal mit dem Siriusaufgang
zusammenfiel. Auch eine Uhr, die jeden Tag fünf Minuten nachgeht, geht ja nach
zwölfmal zwölf Tagen einmal wieder richtig.
3
Ovid, Fasti 1, 29
4
Babylonische Astronomen hatten die Länge des Jahres durch die Beobachtung der
regelmäßig wiederkehrenden Sonnenfinsternisse wohl schon im 8. Jahrhundert v.
Chr. auf etwa 365 Tage und einen Vierteltag bestimmt. Es hätte keiner großen
Rechenkunst bedurft, diesen überschießenden Vierteltag durch einen Schalttag in
jedem vierten Jahr auszugleichen. Doch daran war den Ägyptern offenbar wenig
gelegen. Erst im späteren 3. Jahrhundert v. Chr. versuchte der hellenistische König
Ptolemaios III. mit dem Beinamen Euergétes, "der Wohltäter", an die fünf Festtage zu
Ehren der Götter in jedem vierten Jahr noch einen sechsten Festtag anzuschließen,
diesen nun zu Ehren seiner selbst und seiner Gattin Berenike. Dieser Ptolemäische
Schalttag hätte unseren Julianischen Schalttag um fast zwei Jahrhunderte
vorweggenommen. Aber die ägyptischen Priesterschaften wollten ihrem
Ptolemäischen "Wohltäter" diese allzu durchsichtige Wohltat durchaus nicht
abnehmen, und so blieb der zukunftsträchtige Geniestreich vorerst unausgeführt. Wir
können davon ausgehen, dass Caesar sein "Julianisches" Kalenderkonzept damals
aus Ägypten, von seinem Tête-à-tête mit Kleopatra, nach Rom gebracht hat, als eine
Kriegsbeute der besonderen Art.
Im 2. Jahrhundert v. Chr. hatte der geniale griechische Astrononom Hipparchos von
Nikaia den gängigen Wert für die Länge des Sonnenjahres auf 365 Tage und 5
Stunden, 55 Minuten und 12 Sekunden präzisiert; er war dem richtigen Wert damit
auf wenige Minuten nahe gekommen. Um das 355-tägige altrömische Mondjahr
abzulösen mit seinen Schaltmonaten in jedem zweiten Jahr durch das zehn Tage
längere Sonnenjahr mit seinem einen Schalttag in jedem vierten Jahr bedurfte es
nun einzig noch des politischen Willens und Durchsetzungsvermögens. Nach seinem
Sieg im Bürgerkrieg war Caesar zum Diktator ernannt worden, er konnte seine
Reformen ohne Senats- und Volksbeschlüsse durch ein bloßes Edikt in Kraft setzen.
Aber auch so sind Caesar und sein astronomischer Berater Sosigenes in dieser
Kalendersache mit äußerster Behutsamkeit zu Werke gegangen. Sie brachten es
fertig, den fremden ägyptischen Kalender so geschickt in dem vertrauten römischen
Kalender zu verstecken, dass der gewöhnliche Gaius oder Marcus, Quintus oder
Sextus den Wechsel vom Mond- zum Sonnenkalender im Alltag kaum wahrnahm.
Die zehn zusätzlichen Tage wurden unauffällig einzeln auf die zwölf Monate verteilt;
statt wie vorher 29 oder 31 Tage hatten diese nun 30 oder 31 Tage, der Februar
hatte weiter seine 28 Tage. Es gab keine Einheitsmonate von je dreißig Tagen, so
praktisch das gewesen wäre – und bis heute wäre. Auch die gewohnte rückwärts
laufende Tageszählung blieb die alte. So konnten die Römer weiter ihre Briefe auf
den soundsovielten Tag "vor den Kalenden", vor dem nächsten Monatsersten, oder
"vor den Iden" um die Monatsmitte datieren und sich angesichts der simplen Frage,
wie lange zum Beispiel ein Brief vom "3. Tag vor den Iden des März" – dem 13. März
– bis zum "17. Tag vor den Kalenden des April" – dem 16. März – wohl unterwegs
gewesen war, darüber konnten sie sich weiterhin die Köpfe heiß und die Finger wund
rechnen. Dieser neue Julianische Kalender bewahrte durchweg die gewohnte
"Benutzeroberfläche" des altrömischen Kalenders, und der Zufall brachte es mit sich,
dass der neue Schaltzyklus wie der alte wieder ein Vier-Jahres-Zyklus war.
Entsprechend unauffällig wurde der neue Julianische Schalttag platziert. Die
altrömischen Schaltmonate waren jeweils – wenn sie nicht vergessen wurden – nach
dem nachbarlichen "Grenzsteinfest" gegen Ende Februar eingeschaltet worden.
Eben diesen Platz nahm nun der neue Julianische Schalttag ein, in unserem
Kalender den Platz nach dem 23. Februar, also am 24. Februar. Die Römer nannten
5
diesen eingeschalteten Tag, in ihrer rückläufigen Tageszählung, den "verdoppelten
sechsten Tag vor den Kalenden des März, vor dem 1. März"; daher rührt noch der
italienische bisesto und der französische bissexte. In unserer fortlaufenden
Tageszählung figuriert der eingeschobene Schalttag einfach als der fortgezählte 24.
Februar, der dann die restlichen fünf Februartage jeweils einen Zähler vor sich her
schiebt und so, irreführend, den überschießenden 29. Februar als den zusätzlichen
Schalttag erscheinen lässt. Der römisch-katholische Heiligenkalender lässt die alte
Fuge noch erkennen: Ein Matthias hat in einem Schaltjahr statt am 24. erst am 25.
Februar, eine Antonia statt am 28. erst am 29. Februar Namenstag.
Aber so behutsam Caesar das vertraute Namensgewand und Datengerüst des
altrömischen Kalenders zu bewahren suchte, so empfindlich witterten seine Gegner
selbst in diesem Kalender-Edikt noch den beißenden Ruch der Diktatur. Auf die
beiläufige Bemerkung eines Senatskollegen, morgen gehe das sommerliche
Sternbild der Leier auf, erwiderte Cicero damals bitter und trocken: "Ja, ja: alles
gemäß Edikt!" 4
Nach Caesars Ermordung an den "Iden des März" 44 v. Chr. hatte der neue
Schaltzyklus in den Wirren des neu aufflammenden Bürgerkriegs einen peinlichen
Fehlstart. Die Nachfahren des Romulus verstanden sich nun einmal, mit Ovids Vers,
eher auf Waffen, Helm und Schwert als auf Sonne, Mond und Sterne, und so
schalteten die Priesterkollegien bar jeder kalendarischen Vernunft anfangs schon in
jedem dritten statt in jedem vierten Jahr einen Schalttag ein; sie hatten, nach üblicher
römischer Zählweise, jeweils das letzte Stichjahr mitgezählt.
Es dauerte 36 Jahre, bis die peinliche Fehlleistung auch nur entdeckt wurde, und
weitere zwölf, bis der bis dahin aufgelaufene Fehler wieder ausgesessen war. 5 Ein
gutes halbes Jahrhundert nach diesem Fehlstart ließ Kaiser Augustus den
Julianischen Vier-Jahres-Zyklus ein zweites Mal anlaufen. Dieses erste "richtige"
Schaltjahr, nach römischer Zählung das Jahr 761 "nach Gründung der Stadt", wurde
nach der Einführung der christlichen Ära mehrere Jahrhunderte später zum Jahr 8
"nach Christi Geburt"; es ist also purer Zufall, dass in unserer Jahreszählung alle
Schaltjahre Vielfache von Vier sind.
Mehr als 500 solche Schaltzyklen sind seit Julius Caesar und Kaiser Augustus bis
heute vergangen. Kaiser Konstantin siegte an der Milvischen Brücke vor den Toren
Roms unter dem Zeichen des Kreuzes; der Westgotenkönig Alarich plünderte die
Ewige Stadt, und das "Neue Rom" Byzanz löste das alte Rom ab; Karl der Große
wurde in Rom zum Kaiser gekrönt; Gutenberg erfand die Druckkunst, und Kolumbus
entdeckte Amerika; Martin Luther schlug in Wittenberg seine 95 Thesen an – und
während all das und noch viel, viel mehr geschah, lief dieser Julianische Kalender,
ohne je aus dem Takt zu geraten, von einem Schaltjahr zum anderen fort. Diese
außerordentliche Langlebigkeit ließ schließlich einen lässlichen Altersfehler, eine
leichte Neigung zum Zuspätkommen, in Erscheinung treten.
Gegenüber vier Sonnenjahren ist ein Julianischer Vier-Jahres-Zyklus um fast eine
Dreiviertelstunde zu lang. Alle vier Jahre wird es um diese Dreiviertelstunde früher
Sommer und Winter. Im Laufe der Jahrhunderte summierten sich die Stunden
4
Plutarch, Caesar 59, 6
5
Vgl. dazu Macrobius, Saturnalien 1, 13ff.
6
allmählich zu Tagen; im frühen Mittelalter ging der Julianische Kalender bereits um
eine runde Woche nach. Als Karl der Große am 25. Dezember 800 n. Chr. unter den
Weihnachtsglocken der römischen Basiliken zum Kaiser gekrönt wurde, läuteten im
Himmel über der Ewigen Stadt gerade schon die Neujahrsglocken des Jahres 801
das neue Jahrhundert ein.
Erst im Mittelalter ist der mangelnde Gleichlauf dieses irdischen Kalenders mit dem
himmlischen Sonnenlauf erstmals in den Blick gekommen. Auf mehreren Konzilen
gelangte das Kalenderproblem auf die Traktandenliste, aber auf keinem ins
Beschlussprotokoll, und noch das Tridentinische Konzil, das um die Mitte des 16.
Jahrhunderts achtzehn Jahre lang in Trient tagte, vertagte diese Diskrepanz
zwischen Himmel und Erde schließlich als vergleichsweise nicht dringlich: Mit
Reformation und Gegenreformation hatte man Wichtigeres zu verhandeln.
Im Jahr 1582 entschloss sich Papst Gregor XIII., das ständig vertagte Traktandum
endlich zu erledigen. In seiner Kalender-Bulle unter dem Schalttags-Datum des 24.
Februar verfügte er zunächst einen Ausgleich des bis dahin aufgelaufenen
Kalenderfehlers von rund zehn Tagen: Noch im Herbst des gleichen Jahres 1582
sollte auf den 4. unmittelbar der 15. Oktober folgen. Zugleich traf Gregor XIII.
Vorsorge für die Zukunft: Da der Fehler des Julianischen Kalenders in hundert
Jahren gut einen Dreivierteltag, in vierhundert Jahren gut drei Tage ausmachte,
sollten von den Jahrhundertjahren künftig nur noch die Vielfachen der Vierhundert
Schaltjahre sein. Danach sind die Säkularjahre 1700, 1800 und 1900 keine
Schaltjahre, aber das Millenniumsjahr 2000 ist wieder ein Schaltjahr gewesen. So
wurde der vierjährige Schaltzyklus des Julianischen Kalenders in den durch vier
teilbaren Kalenderjahren ganz zufällig, aber doch stimmig von dem
vierhundertjährigen Schaltzyklus dieses korrigierten "Gregorianischen" Kalenders in
den durch Vierhundert teilbaren Kalenderjahren überlagert.
Unausweichlich geriet dieser "Gregorianische", dem Julianischen Kalender um zehn
Tage vorauseilende Kalender in die religiösen und politischen Wirbel von
Reformation und Gegenreformation. Der von Gregor XIII. mit dem Kalendersprung
vom 4. auf den 15. Oktober 1582 äußerst knapp angesetzte Termin ließ sich nur in
Italien, Spanien und Portugal durchsetzen; Frankreich folgte im Dezember. Die
deutschen Bistümer führten den Gregorianischen Kalender gestaffelt im folgenden
Jahre ein. Kein Wunder, dass die Lutheraner für diese päpstliche Kalenderkorrektur
zunächst taube Ohren hatten. Mehr als ein Jahrhundert lang bot die Landkarte
Europas wie konfessionell, so kalendarisch ein buntgeschecktes, hier
"gregorianisch", da "julianisch" eingefärbtes Bild. Es herrschte eine geradezu
babylonische Kalenderverwirrung: Wie der Reisende heute beim Übergang von einer
Zeitzone in die andere die Armbanduhr um eine Stunde vor- oder zurückstellen
muss, so musste er damals beim Wechsel von einem Konfessionsgebiet ins andere
den Terminkalender gleich um zehn Tage vor- oder zurückstellen.
Erst gut ein Jahrhundert nach Papst Gregors Kalenderkorrektur, erst im Säkularjahr
1700, führte das protestantische Deutschland einen sogenannten "Verbesserten
Kalender" ein, der auf den 18. Februar sogleich den 1. März folgen ließ und damit
den gestrichenen Schalttag elegant übersprang. Russland, das mit den orthodoxen
Kirchen bis dahin "julianisch" datiert hatte, ist erst Anfang 1918 "gregorianisch"
geworden; daher kommt es, dass Russland den Jahrestag der "Oktober"-Revolution
vom 25. Oktober 1917 seither erst am 7. November feiert.
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Der Rest-Fehler des Julianischen Kalenders von 11 Minuten und 14 Sekunden in
jedem Jahr war in jedem Vier-Jahres-Zyklus zu knapp einer Dreiviertelstunde
aufgelaufen, in jedem Vierhundert-Jahres-Zyklus zu drei Tagen und knapp drei
Stunden. Davon kann die Gregorianische Kalenderkorrektur mit der Streichung dreier
Schalttage, demnächst 2100, 2200 und 2300, nur die drei ganzen Tage ausgleichen.
Der verbleibende Rest-Rest-Fehler des Gregorianischen Kalenders, der in einem
solchen Vierhundert-Jahres-Zyklus genau 2 Stunden, 53 Minuten und 20 Sekunden
ausmacht, summiert sich in jeweils gut drei Jahrtausenden wieder zu einem ganzen
Tag.
Wir lassen dann einfach, in geradliniger Fortsetzung jener Vier-Jahres- und
Vierhundert-Jahres-Zyklen, das eine Schaltjahr 4000 n. Chr. aus und verfügen das
Gleiche für alle weiteren durch 4.000 teilbaren Kalenderjahre. Damit wäre die Welt,
was diesen Punkt betrifft, vorerst wieder im Lot. Der dann noch verbleibende RestRest-Rest-Fehler von einer guten Stunde in jeweils tausend Jahren dürfte uns
wirklich erst an den geflügelten "griechischen Kalenden" wieder zu schaffen machen.
Wenn Gott will und wir leben, können wir im Februar 40000 n. Chr. ja nochmals
entsprechend verfahren.
*****
Klaus Bartels, geboren 1936, ist ein deutscher Altphilologe. Er studierte Klassische
Philologie und Philosophie in Tübingen, München und London. Ab 1972 lehrte er
Latein, Griechisch und Philosophie an den Zürcher Kantonsschulen Hohe
Promenade, Literargymnasium Rämibühl und Zürcher Oberland (Wetzikon).
Studienreisen mit Schulklassen und private Ferien führten ihn immer wieder nach
Rom. Ein Teil dessen, was er sich dort über viele Jahre hinweg aneignete, publizierte
er schließlich in seinem bekannten Buch "Roms sprechende Steine". Er lebt bei
Zürich. (Mit Material aus Wikipedia)
http://www.klaus-bartels.com/
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