Eisenbahninfrastruktur Infrastruktur Eisenbahninfrastruktur in regionaler Hand Wege zu einer schnellen Realisierung von Netzerweiterungen in städtischen Ballungsräumen Planung, Regionalisierung, Privatbahnen, Gebietskörperschaften Konzepte und Planungen für regionale Eisenbahninfrastrukturen müssen neu gedacht werden, um auch künftig konkurrenzfähig umgesetzt werden zu können. Beispiele aus der Region Neckar-Alb sowie Stuttgart werden vorgestellt. Autoren: Wolfgang Arnold, Günter Koch I n Baden-Württemberg gibt es eine lange Tradition im Bau und Betrieb von nichtbundeseigenen Eisenbahnen (NE-Bahnen). Bis heute bestimmen deren Infrastrukturen in einigen Landesteilen die Schienenerschließung in der Fläche nicht unwesentlich. Die meisten Unternehmen werden als gemeinsame Eisenbahninfrastruktur- bzw. Eisenbahn verkehrsunternehmen (EIU oder EVU) geführt und versuchen, mit geringem organisatorischem Aufwand unter bestmöglicher Nutzung von Synergien eine wirtschaftliche Betriebsführung zu erreichen. Das Regelwerk (NE-Vorschriften) erlaubt oftmals kostengünstigere Lösungen im Vergleich zu bundeseigenen Strecken. Die lokale Verbundenheit der Mitarbeiter und ihre Einbindung in kommunale Entscheidungsstrukturen schaffen die Möglichkeiten für effizientes Arbeiten. Die Kommunikationswege sind meist kurz. So wurden in den vergangen Jahren etliche, zum Teil schon stillgelegte Strecken von NE-Bahnen übernommen und zu neuem Leben erweckt. Die Fahrgastzuwächse waren teilweise so groß, dass nach kurzer Zeit die Infrastruktur ausgebaut und das Fahrtenangebot erhöht werden musste. Beim Aufbau neuer Infrastrukturen ist eine regionale Aufstellung von großem Vorteil. Die Einbindung von Betroffenen wie Bürgern, Unternehmen oder Gebietskörperschaften ist durch eine räumliche Nähe der Vorhabensträger leichter möglich und es lassen sich in vielen Fällen die Schnittstellen einfacher handhaben oder gar vermindern. In der Region Karlsruhe/Heilbronn wurde bereits in besonderer Weise bewiesen, wie zügig ein Neu- und Ausbau von Eisen- bahninfrastrukturen durch engagierte Gebietskörperschaften sowie ein regional aufgestelltes Unternehmen erfolgen kann. In Deutschland werden alle Eisenbahnen nach den Vorgaben des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) konzessioniert und nach der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung (EBO) errichtet und betrieben. Das AEG unterscheidet dabei in bundeseigene und nichtbundeseigene Bahnen, oft auch „Privatbahnen“ genannt. Diese Unterscheidung eröffnet NE-Bahnen die Chance, über den grundsätzlichen Rahmen hinaus, lokale und häufige kostengünstigere Lösungen für die Betriebsführung zu wählen. Auch führen hier nicht mehr Bundesbehörden die Aufsicht. In Baden-Württemberg ist dafür die Landeseisenbahnaufsicht (LEA) fachlich zuständig, die durch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) wahrgenommen wird. Sie prüft aber nach Richtlinien der NE-Bahnen. Die NE-Bahnen haben den Vorteil, dass sie sich bei der technischen Ausgestaltung ihrer Anlagen, selbstverständlich unter Beachtung aller sicherheitsrelevanten Vorgaben, eine nicht zu unterschätzende Gestaltungsfreiheit haben. Auch können Prioritäten durch die Eigentümer selbst gesetzt werden, ohne die notwendige Einbindung von übergeordneten Gremien. Sehr häufig übernehmen Gebietskörperschaften, regionale Verkehrsverbünde oder Verkehrsunternehmen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) die Federführung für die ersten Planungsstufen von der Konzeptentwicklung bis zur Vorplanung. Genau dort können die notwendigen Verkehrsangebote am besten entwickelt werden, weil die Vorbereitung der politische und verfah- renstechnische Durchsetzbarkeit sowie die Finanzierung parallel bearbeitet werden können. In den weiteren Projektphasen ist großer technischer und auch bahnbetrieblicher Sachverstand gefragt, um die komplexen Zusammenhänge zu durchdringen und auch die betrieblichen Aufgabenstellungen entwickeln zu können. Idealerweise erfolgt die weitere Bearbeitung dann durch erfahrene Infrastrukturbetreiber mit Bahnhintergrund. Bei den meisten Eisenbahnvorhaben erfolgt die Umsetzung durch die Deutsche Bahn, wie dies auch üblicherweise bei der Stuttgarter S-Bahn der Fall ist. Wegen der vielen anderen Vorhaben im Großraum Stuttgart stehen jedoch für neue Projekte die notwendigen Planungs- und Steuerungskapazitäten nicht zur Verfügung. Daher hat der Verband Region Stuttgart (VRS) als Aufgabenträger der Stuttgarter S-Bahn für die geplante S2-Verlängerung von Filderstadt-Bernhausen nach Neuhausen einen anderen Weg für den S-Bahn-Ausbau gewählt. Er hat mit den Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) vereinbart, dass sie die weitere Planung durchführen. Die SSB verfügen über eine jahrzehntelange Erfahrung mit der Implementierung von Neubauvorhaben der Schiene, insbesondere bei Tunnelstrecken mit ihren komplexen Aufgabenstellungen. Durch die Aktivitäten bei der stadteigenen Hafenbahn steht auch entsprechend geschultes Personal für Eisenbahnstrecken zur Verfügung. Verlängerung der S-Bahn S2 in Stuttgart Die Verlängerung der S-Bahn S2 von Filderstadt-Bernhausen nach Neuhausen auf den Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 29 Infrastruktur Eisenbahninfrastruktur Tunnelabschnitten wirksam wurden, mit zu berücksichtigen. Um eine Angleichung der technischen Rahmenbedingungen bei Fahrweg, Leit- und Sicherungstechnik sowie Energieversorgung zwischen den Bahnen sicherzustellen, wurden Planungs- und Prüfungsaufgaben für die S2 durch die DB International GmbH im Auftrag der SSB übernommen. Mit der Genehmigungsplanung wurde 2014 begonnen. Die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens ist für Mitte 2016 vorgesehen. Im Herbst 2018 soll mit dem Bau begonnen werden. Die Inbetriebnahme ist für die Fahrplanperiode 2021/22, in der auch Stuttgart21 in Betrieb gehen wird, vorgesehen. Bild 1: Übersicht zur S-Bahn-Verlängerung S2 Fildern ist ca. 3,9 km lang und schließt an die Flughafen-S-Bahn an, die heute in Filderstadt-Bernhausen endet (Bild 1). Die Strecke wird als nichtbundeseigene Eisenbahninfrastruktur von der SSB geplant, gebaut und betrieben. Die SSB tritt hier als Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach §6 AEG auf. Die Strecke wird teilweise niveaugleich, teilweise aber auch unterirdisch bzw. im Einschnitt geführt. Zwischen Sielmingen und Neuhausen ist sie eingleisig. Die Kostenschätzung ergab notwendige Investitionen von 125 Mio. EUR (Stand 2014). Das Projekt „Verlängerung der S2“ stützt sich auf Erkenntnisse aus aktuellen SSBStadtbahnmaßnahmen, die ebenfalls im Bereich der Filder-Ebene geplant sind. Die SSB bereiten dort die Verlängerung der Stadtbahn U6 von Fasanenhof Schelmenwasen bis Flughafen / Messe vor. Deshalb konnten entsprechende Erfahrungen, z.B. bei Ökologie, Bodenschutz, Landwirtschaft Bild 2: S-Bahn auf der Linie S2 in Leinfelden Foto: Günter Koch 30 Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 und Entwässerung, von der U6 auf die S2 übertragen werden. Das Stadtbahnprojekt befindet sich im Planfeststellungsverfahren. Im ersten Quartal 2017 soll dort mit dem Bau begonnen werden. Das Ziel, die S2-Verlängerung als NEBahn mit optimierten Investitionsaufwendungen und möglichst umweltverträglich zu verwirklichen, hat auch zu technischen Anpassungen geführt. Zum Beispiel wurde der Gleisabstand auf 3,80 m reduziert, was direkt auch die Massenansätze und damit die Kosten senkte. Bei den Stationen konnten pragmatische Lösungen und solche Materialien gewählt werden, wie sie auch schon bei der Stadtbahn im Einsatz sind. Als sehr komplex erwiesen sich die Schnittstellen zu DB Netz, da hier im Bernhausener Tunnel die vorhandenen Rahmenbedingungen, insbesondere des Brandschutzes und der Leit- und Sicherungstechnik neu zu konfigurieren waren. Die Planung der technischen Ausrüstung war immer auf dem kritischen Weg und folgte der Variantendiskussion und der abschließenden Variantenentscheidung. Nach Betriebssimulationen und Leistungsfähigkeitsuntersuchungen wurde aus der durchgehend zweigleisigen Strecke eine abschnittsweise eingleisige Trasse entwickelt. Da die S2-Verlängerung auch von der DB Regio als Eisenbahnverkehrsunternehmen bedient werden soll, die mit dem gesamten S-Bahnbetrieb vom VRS beauftragt ist (Bild 2), waren bestehende betriebliche und verkehrliche Aspekte, die sich aus dem Gesamtnetz ergeben und besonders in den Regional-Stadtbahn Neckar-Alb Ein weiteres wichtiges Projekt in der Metropolregion Stuttgart ist die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb (RSB) mit ihren Zentren Tübingen und Reutlingen. Dort soll ein neues Regional-Stadtbahn-Netz mit mehr als 200 km Länge und einem voraussichtlichen Investitionsvolumen von 575 Mio. EUR (Preisstand 2006) entstehen. Neben einigen Neubaustrecken, die als Straßenbahn in den beiden Städten erreichtet werden, besteht das übrige Netz aus vorhandenen oder wieder zu reaktivierenden Strecken. Dabei sind gleich sechs Eisenbahninfrastrukturunternehmen betroffen. Dies sind neben DB Netz AG, DB Station&Service AG und DB Energie GmbH die Hohenzollerische Landesbahn (HzL), die Erms-Neckar-Bahn AG (ENAG) und der Zweckverband ÖPNV im Ammertal (ZöA). Dazu kommt noch der der Zollernalbkreis als Eigentümer der derzeit stillgelegten, aber zu reaktivierenden Talgangbahn in Albstadt (Bild 3). Für die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb sind die Rahmenbedingungen gegenüber der S2 einfacher, da alle eisenbahntechnischen Verknüpfungen zwischen bundesund nichtbundeseigenen Bahnen bereits heute existieren und die verkehrlichen Schnittstellen durch den Aufgabenträger, das Land Baden-Württemberg, bereits in geplanten oder laufenden Ausschreibungen der Verkehrsleistungen berücksichtigt sind. Die Verknüpfungspunkte zwischen der DB Netz und den Stadtbahnstrecken, die nach BOStrab betrieben werden, stellen aber noch eine besondere technische und betriebliche Herausforderung dar. Dabei kann aber auf die Erfahrungen an anderen Orten zurückgegriffen werden, z. B. Karlsruhe, Saarbrücken oder Kassel. Der erste Bauabschnitt der RSB umfasst mit dem Modul 1 die Elektrifizierung und den Ausbau von Ermstalbahn (ETB) und Ammertalbahn (ATB) mit insgesamt etwa Eisenbahninfrastruktur Infrastruktur 33,7 km, sowie den Neubau von vier Haltepunkten an der Neckar-Alb-Bahn (Plochingen –) Metzingen – Reutlingen – Tübingen (– Horb). Dadurch wird es künftig möglich sein, umsteigefreie Verbindungen im Halbstundentakt auf der Relation Herrenberg – Tübingen – Reutlingen – Metzingen und Bad Urach anzubieten, die mit modernen elektrischen Triebfahrzeugen bedient werden. Diese Fahrzeuge bieten auch eine höhere Kapazität an Sitz- und Stehplätzen als die in die Jahre gekommenen RegioShuttle, so dass damit auch ein weiterer Fahrgastzuwachs verkraftet werden kann. Die ENAG übernahm mit ihrem Ingenieurteam nicht nur federführend den Ausbau ihrer eigenen Strecke, sondern auch als Koordinator bzw. Vorhabensträger die Verantwortung für die anderen NE-Strecken sowie bei den Maßnahmen an der DB-Infrastruktur. Auf die Management- und Planungserfahrung aus Stuttgart – Mitarbeiter der SSB bzw. der Hafenbahn sind bereits heute in diesem Bereich für die ENAG tätig – kann hier direkt zurückgegriffen werden. Wesentliche Planungsaufgaben übernahm im Auftrag der Vorhabensträger die DB International, um das Eisenbahn-Know-how des DB-Konzerns im notwendigen Umfang einzubringen und die Schnittstellen zur DB-Infrastruktur sicherzustellen. Eine besondere Herausforderung im Rahmen der RSB ist der Ausbau der ZollernAlb-Bahn (ZAB), die auf 60 km nicht nur elektrifiziert, sondern auch abschnittsweise zweigleisig ausgebaut werden soll. Die Weiterentwicklung des Fahrplanes erfolgt durch DB International in enger Abstimmung mit den Vorhabens- und Aufgabenträgern, sowie DB Netz und DB Energie. Dabei werden Fahrplanerstellung und Infrastrukturplanung iterativ bearbeitet. Die Region mit ihren NE-Bahnen treibt hierbei in Zusammenarbeit mit dem Land, vertreten durch die Nahverkehrsgesellschaft BadenWürttemberg (NVBW), aktiv den Planungsprozess voran, Der Planungsprozess Bei Vorhaben wie der S2-Verlängerung oder der Regional-Stadtbahn können die Regionen schon rein kapazitiv die notwendigen Planungen nicht allein stemmen, wohl aber als Treiber wesentliche Aufgaben in die Hand nehmen. Die Einbindung kompetenter Fachplaner und Gutachter schafft die erforderlichen Kapazitäten. Wenn am Ende auch viele Leistungen in der Region selbst erbracht werden, fördert dies den Ausbau der regionalen Kompetenz insgesamt. Räumliche Nähe zu Planern und Gutachtern beschleunigt zudem die Prozesse. Bild 3: Übersicht Regional-Stadtbahn Neckar-Alb So gut wie kein Infrastrukturprojekt wird letztlich so realisiert, wie es einmal begonnen wurde. Die Beteiligung der Bürger und Gebietskörperschaften, Änderungen in den Vorschriften, Fragen des Umwelt- und Naturschutzes, die Anforderungen der künftigen Kunden und letztendlich Finanzierungsfragen formen ein Projekt während seiner Lebenszeit. Gelegentlich dauert der Planungsprozess Vielen viel zu lange. Aber am Ende zählt nur das Ergebnis. Hier unterscheiden sich gerade regionale Infrastrukturprojekte in Deutschland noch deutlich von denen in anderen Ländern. Die Vorhabensträger hierzulande halten den Planungs- und Realisierungsprozess so lange und so weit wie möglich in den eigenen Händen, kümmern sich selbst um die Finanzierung zu günstigen Konditionen und behalten so die Option der inhaltlichen Nachsteuerung bei der Planung und beim Bau. Dieses Verfahren gibt letztlich auch kleineren Ingenieurbüros und Baufirmen eine Chance am Markt. Auch von den Regionen sind derartigen Bahnprojekte in der Vergangenheit nicht immer reibungsfrei abgewickelt worden. Die Beteiligten haben aber daraus gelernt und zeigen in aktuellen Projekten, dass Planung und Bau mit regionalen Ressourcen durchaus effizient abgewickelt werden können. Ausblick Das Regelwerk der europäischen Bahnen wird zunehmend von dem Gedanken der Interoperabilität geprägt. Damit sollen Hochgeschwindigkeits- und Güterverkehre innerhalb Europas einfacher verkehren können. Durch die Forderungen nach Interoperabilität und dem diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur werden oftmals pragmatische Ansätze in der Region, wie sie in der Vergangenheit zu wirtschaftlichen Lösungen geführt haben, nicht mehr möglich. Die strikte Trennung zwischen Betrieb und Infrastruktur sorgt zwar für Kostentransparenz, wird aber durch einen erhöhten Verwaltungs- und Schnittstellenaufwand erkauft. Wer künftig den Schienenverkehr in den Regionen weiter wirtschaftlich erstellen und betreiben will, muss auch ■ offen sein für regionale Lösungen. Wolfgang Arnold, Dipl.-Ing. Technischer Vorstand und Vorstandssprecher, SSB Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart [email protected] Günter Koch, Dipl.-Ing. Leiter Kompetenzzentrum Straßenbahn/Metro, Region Deutschland Südwest, DB International GmbH, Karlsruhe [email protected] Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 31
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