Carvelo – die urbane Transportrevolution

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e i t u n g
Was in Kopenhagen seit Jahren das Strassenbild
prägt, erobert jetzt Bern: das Lastenvelo. Dieser
Trend ist nicht nur praktisch, gesund und umweltfreundlich; er leistet dank dem «Wow-Effekt» auch
einen wichtigen Beitrag zur Velokultur.
und Schlüssel und können das Bike während einer
gewissen Dauer selber nutzen. Carvelo2go kostet
die erste Stunde 5 CHF, jede weitere Stunde 2 CHF,
ab der 10. Stunde 1 CHF.
Bald schon heisst es Weihnachtsgeschenke kaufen
– und bekanntlich mögen Kinder viele und grosse Geschenke. Seit Oktober müssen umfangreiche
Einkäufe nicht mehr mit dem Auto transportiert
werden. Dank einem Projekt der Mobilitätsakademie und Partnern kann für sehr schwere Lasten ein
elektrisches Cargo-Bike ums Eck ausgeliehen werden. Die eingebundenen Betriebe verwalten Akku
Für Jörg Beckmann, Direktor der Mobilitätsakademie in Bern, ist das Cargo-Bike ohnehin das «Stadtauto der Zukunft». Jungen Familien bietet es eine
praktische Alternative zum Autokauf. Die durch die
Organisation zum zweiten Mal durchgeführte carvelo-Tagung zeigte ein riesiges Potenzial für Wirtschaft und Gemeinden auf. Gemäss Studien könnten
über 50 bis 60 Prozent aller Warentransporte mit
Grosses Wirtschaftspotenzial
3000 Bern
P.P.
© Emanuel Freudiger, TCS
s t a d t
Carvelo – die urbane
Transportrevolution
Der Standpunkt
Scheitert die internationale
Klimapolitik, droht eine Katastrophe –
warnte jüngst die Weltbank. Denn laut
einer Studie könnten in den nächsten
15 Jahren 100 Millionen Menschen in
extreme Armut getrieben werden, wenn
die Erderwärmung die Lebensmittelpreise deutlich verteuert. Ebenso wird
eine drastische Zunahme von Krankheiten befürchtet, was weitere 150
Millionen Menschen treffen könnte. Wie
Europa derzeit die Folgen des abscheulichen Krieges in Syrien spürt, werden
auch die Folgen der Klimaerwärmung
nicht spurlos an uns vorbeigehen.
Es ist an der Schweiz, sich international
für gerechte und verbindliche Klimaziele einzusetzen und Entwicklungsländer
beim Klimaschutz zu unterstützen.
Dabei dürfen wir unsere Hausaufgaben
nicht vergessen. Denn die Schweiz ist
keine Klima-Musterschülerin: Bei den
CO2 -Emmissionen des Pro-Kopf-Konsums rangieren wir weltweit unter den
schlechtesten 10 Ländern. Und bei neuen Autos bleibt die Schweiz in Europa
mit rekordhohen CO2 -Emmissionen pro
Kilometer Schlusslicht punkto Effizienz.
Während die Staatschefs am Weltklimagipfel in Paris hoffentlich ambitionierte
Ziele beschliessen, können wir vor Ort
beweisen, dass mehr Klimaschutz ein
Gewinn für alle ist: Am diesjährigen
autofreien Sonntag in der Länggasse
zeigten wiederum zahlreiche Menschen,
wie bunt und lebendig Strassenraum
ohne Autos sein kann (Bilder dazu auf
Seite 3). Selbst schwere Güter sind
nicht per se auf motorisierte Verkehrsmittel angewiesen, wie der Text auf den
Seiten 1 und 2 zeigt. Dank solch kleinen
Schritten vor der Haustüre beweisen
wir, dass mehr Klimaschutz möglich
ist – und erst noch Spass macht.
Nadine Masshardt,
Präsidentin «Läbigi Stadt»
dem Lastenvelo abgewickelt werden. In Zeiten
zunehmender Just-in-Time-Mentalität bietet das
Cargo-Bike ökologische und raumsparende Optionen, Lieferungen schnell von Tür zu Tür zu
bringen.
Die Velokuriere von Bern und Basel erweitern
denn auch ihre Angebote mit Lastenvelos – Basel jüngst auch mit einem Erdgasauto –, um
alles abdecken zu können. Und bereits tüfteln
erste Anbieter wie ImagineCargo an internationalen Netzwerken, die das Cargo-Velo an den
Gütertransport per Bahn anbinden.
Sogar die grossen Logistikfirmen steigen ins Geschäft ein. DPD, die Nummer 2 in Europa, setzt
in Bern ein Lastenvelo für die Altstadt ein. Interessanterweise fördern gesperrte Stadtbereiche
das Marktverhalten grosser Anbieter, auch wenn
die Kooperationen noch zögerlich anlaufen.
Niederschwelligere Initiativen mit nicht-elektrischen Lastenrädern verbreiten sich dafür rasant:
In Köln hat das Projekt «KASIMIR – Dein Lastenrad» in wenigen Jahren bereits 40 NachahmerInitiativen in ganz Deutschland gefunden.
Verglichen mit einem Auto ist ein Cargo-Velo bereits heute günstiger. Für den Durchbruch wie
in Kopenhagen, wo es das Strassenbild prägt,
müssen hierzulande noch Hürden abgebaut
werden: Es braucht leichte, günstige Lastenräder, welche auch in der elektrischen Variante
zuverlässig funktionieren, eine auf das Fahrverhalten abgestimmte Beratung, eine angepasste
Strassengesetzgebung, flexibleren Parkraum
und breitere Velowege. Davon profitieren würde
der ganze Veloverkehr. Dass sich die LastenradSzene von Jahr zu Jahr besser vernetzt, stimmt
jedenfalls sehr hoffnungsvoll.
Duscha Padrutt, Koordinatorin Netzwerk Quartierzeit
1
2
3
3
1 Klimaschonender Gütertransport: ImagineCargo
2 Kasimir, dein Lastenrad — eine Initiative aus Köln
macht Schule.
3 carvelo2go — auch bei der Bäckerei Coffeebreak in
der Länggasse können E-Cargo-Bikes gemietet werden.
Weitere Infos:
carvelo.ch
dein-lastenrad.de
imaginecargo.com
federation.cyclelogistics.eu
«Läbigi Stadt» bleibt im Bundeshaus gut vertreten
Das Positive vorweg: Alle «Läbigi Stadt»-Mitglieder, die bereits im Bundeshaus
politisierten, sind gut wiedergewählt worden: Matthias Aebischer, Evi Allemann,
Nadine Masshardt, Regula Rytz und Alexander Tschäppät. Herzliche Gratulation
und weiterhin viel Energie im Einsatz für eine weitsichtige Verkehrspolitik! Aber
auch weitere «Läbigi Stadt»-Mitglieder erreichten am 18. Oktober gute Ersatzplätze: Zum Beispiel Flavia Wasserfallen (1. Ersatz), Michael Aebersold (3. Ersatz) oder
Blaise Kropf (4. Ersatz).
Dann zum weniger Schönen: Seit den Wahlen ist die Dominanz der Rechten gestiegen und nachhaltige Lösungen im Verkehrs- und Umweltbereich werden es noch
schwieriger haben. Dabei stünden mit der Energiestrategie 2050 sowie dem neuen
Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF) wichtige Projekte an.
Hier braucht es Weitsicht, Mut und auch Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Mögen auch in den nächsten vier Jahren die besseren Argumente gewinnen und nicht nur kurzfristige Machtkonstellationen und Parteifarben.
MoMo Bernoulli, Vorstand und Chefredaktion «Läbigi Stadt»-Zeitung
© zvg
© F.S. Kugi
Autofreier Sonntag: Es war schön!
© zvg
Auch dieses Jahr besuchten rund 10 000 Besucherinnen und Besucher
den autofreien Sonntag, der diesmal in der Länggasse stattfand. Einmal im
Jahr bietet der Anlass einem Quartier die Gelegenheit, sich zu präsentieren
und zu vernetzen. Auf den autofreien Quartiertrassen und Plätzen ist fast
alles möglich, z. B. Yoga, Konzerte, Tanz, Sport und Spiel.
Statt vieler Worte lassen wir die Bilder sprechen. (mr)
Weitere Bilder unter www.quartierzeit.ch oder auf Facebook
1 Freie Strasse beim Bühlplatz
2 Domizil-Bewohnerinnen mit selber geschmückten Rollatoren an der Velo-Parade
3 Erste Schweizer Lastenradmeisterschaften: Carvelo-Cup am autofreien Sonntag
4
© Länggassdruck
© Tatjana Werik
1
© Julia Zosso
2
4 Kreisel einmal anders, gestaltet
durch das Brocki55 und die Sattelkammer
5 Kinder beim Länggassdruck, der
sich mit einem Gratis-Druck der
Quartier-Publikationen für das
Quartier engagierte.
5
3
Velobrücke verbindet Quartiere
Cykelslangen in
Kopenhagen: Der
Stolz moderner
Städte liegt nicht
mehr in Autobahnviadukten, sondern
in Langsamverkehrbrücken.
Schnell mit dem Velo oder zu Fuss ans andere Ufer? Was mit der Nescio-Brücke in Amsterdam, der Dreiländerbrücke
in Weil am Rhein und der Cykelslangen in Kopenhagen von vielen geschätzt wird, soll auch in Bern möglich sein. Wo
steht das Vorhaben konkret? Das unter vielen Namen bekannte Projekt (Velobrücke, Panoramabrücke, Fussgänger- und
Velobrücke) befindet sich zurzeit im Abschluss der Variantenstudie, die zum Ziel hat, eine weiter zu planende Bestvariante zu bestimmen. Nutzen liefert gemäss den Planern eine Verbindung von der Polygonbrücke zur Inneren Enge.
Gewisse Fragen tauchen im Zusammenhang mit der geplanten Brücke zwischen Breitenrain und Länggasse immer
wieder auf: «Rentiert» die Velobrücke nur, wenn auch das Viererfeld gebaut wird? Kommen durch dieses Projekt nicht
andere, einzelne Massnahmen zu kurz? Der Variantenbericht gibt Aufschluss darüber: Eine Velobrücke ist auch ohne
neue Überbauung am genannten Standort ideal, weil sie nicht nur zwei Quartiere verbindet, sondern eine Lücke im
regionalen Netz schliesst. Durch eine vorbildliche Siedlung in der Nähe der Brücke wird der Nutzen selbstredend noch
grösser. Die Verbindung verspricht einen positiven volkswirtschaftlichen Effekt und ermöglicht es, Gelder aus dem Agglomerationsprogramm und der kantonalen Strassenkasse in ein
sinnvolles Langsamverkehrsprojekt zu lenken. Eine Velobrücke
ist ein wichtiger Beitrag, das Velonetz in und um Bern attraktiver zu machen. Sie ist überdies ein sichtbares Zeichen für die
Velostadt Bern, was auch touristisch für Bern spannend ist –
die vielen anderen kleinen und grösseren Verbesserungsmassnahmen braucht es trotzdem.
Hannes Rettenmund, Vorstand «Läbigi Stadt»
© zvg
© Emanuel Freudiger, TCS
© Paul Steinmann
Die Klatschspalte
Die jüngste Person, die je an einer Vorstandssitzung von «Läbigi Stadt» teilgenommen hat, heisst Rea-Zora, war zum
Zeitpunkt der Sitzung (am 11.11.2015)
kaum 2.5 Monate alt
und ist die Tochter
von Chefredaktorin
Monika Bernoulli.
Die Diskussionen über
die Fuss- und Veloverbindung LänggasseBreitenrain, die News
aus dem Stadtrat und
alle weiteren Traktanden hat Rea-Zora
ebenso verschlafen wie die strenge
Eingangskontrolle ins Bundeshaus.
Das Credo von «Läbigi Stadt» hat sie
trotzdem schon verinnerlicht: Sie fährt
offensichtlich lieber Zug als Auto.
Eine durch und durch
öV-Begeisterte ist
auch Sarah Leonor
Müller. Sie hat mit
Freunden das Büchertram «Buchowski» ins
Leben gerufen und
bereits unzählige Lesungen unter anderem im blauen Bähnli
nach Solothurn organisiert, wofür der
junge Verein vor kurzem eines der
«Weiterschreiben»-Stipendien der Literaturkommission der Stadt Bern erhielt.
Für ihr Engagement auch am autofreien
Sonntag hat Sarah eine «Läbigi Stadt»Jahresmitgliedschaft geschenkt erhalten
und uns bereits versichert, dass sie die
Mitgliedschaft gerne auf unbestimmte
Zeit verlängern werde. Sarah wurde
unlängst ebenfalls nochmals Mami.
Wir wünschen ihr alles Liebe und Gute.
(mr)
Impressum
Redaktion:
Monika Bernoulli (momo), Nadine Masshardt (nm),
Muriel Riesen (mr)
Herausgeber: «Läbigi Stadt», 3000 Bern
PC 30-569222-7
Grafik: muellerluetolf.ch
Vierer- und Mittelfeld:
Schlüsselprojekt gegen Zersiedelung
Am 23. Oktober präsentierte der Gemeinderat die Vorlagen für Umzonung
und Landkauf des Vierer- und Mittelfelds.
Neuer Wohnraum an zentraler Lage trägt
dazu bei, die Verkehrszunahme durch
Pendeln aus ländlichen Gebieten oder der
Agglomeration zu reduzieren.
Für die Lebensqualität der Anwohnerinnen und Anwohner in der Länggasse ist
es zentral, dass an dieser Stelle nachhaltig und innovativ gebaut wird und
keine 0815-Bauten entstehen. Insbesondere eine parkplatzreduzierte Planung
auf Mittelfeld und Viererfeld ist für die
Entlastung der Anwohnerschaft wichtig.
Aber auch die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung werden
froh sein, wenn keine Parkplätze gebaut
werden, die später leer stehen und nur
den Wohnungsbau unsinnig verteuern.
Im Länggassquartier haben schon heute
über 60 Prozent der Haushalte kein Auto.
0,3 Parkplätze pro Wohneinheit sind noch
immer mehr als genug.
Wichtig ist auch, dass die Anbindung an
den öffentlichen Verkehr gut ist, um unnötige Autofahrten durch das Quartier zu
vermeiden. Vorgesehen sind Taktverdichtungen auf den Buslinien 11 und 21, der
Einsatz von Gelenkbussen sowie eine zusätzliche Haltestelle beim Viererfeld. Der
Planerlass fordert zudem attraktive Fussund Velowege zu den öV-Haltestellen und
entlang der Engestrasse. Und: Die Hälfte
des Viererfelds und ein Drittel des Mittelfelds bleiben nicht nur grün, sondern
werden als Stadtteilpark neu auch für alle
zugänglich.
Eine dichte Überbauung für etwa 3000
Menschen auf dem bestens gelegenen Vierer- und Mittelfeld ist aus Verkehrs- und
Umweltsicht sehr sinnvoll. «Läbigi Stadt»
wird sich deshalb weiterhin für die Vorlage und ihre Verbesserung in Richtung
nachhaltiges, autoarmes Bauen engagieren. Eine Volksabstimmung ist voraussichtlich Mitte 2016 zu erwarten.
Kathrin Balmer, Vorstand «Läbigi Stadt»
Stimme aus dem Vereinigten Königreich
«Are you sure, you want to take the train?» – diese
Frage, die mir an einem frühen Julimorgen am Bahnhof
in Liverpool gestellt wurde, verwunderte mich sehr.
Noch etwas müde von der nächtlichen Schifffahrt von
Belfast her, nickte ich einfach. Für das anschliessende
«but it’s really expensive» hatte ich sogar nur ein müdes Lächeln übrig. Wie fürsorglich – aber als Schweizer
bin ich mir doch teure Zugtickets gewohnt, dachte ich
mir. Doch das Lächeln erlosch rasch, als mir der Preis
von 250 Franken für die vierstündige Zugfahrt genannt
wurde.
Es erstaunte mich dann auch zwei Monate später
wenig, dass der neu gewählte Labour-Chef Jeremy Corbyn die Verstaatlichung der Eisenbahn als Schwerpunkt in sein Programm aufnahm.
Dass ich mich mit dem öV Grossbritanniens doch noch versöhnen konnte, lag dann an den überfreundlichen walisischen Busfahrern. Welche auch schon mal ungefragt den Bus im Snowdonia Nationalpark links
anfuhren und eine Pause einlegten, um mir die einzelnen Berge, die Sehenswürdigkeiten und gleich auch
die spannende Geschichte des Nationalparks zu erklären.
Titelbild: © Emanuel Freudiger, TCS
Druck: auf FSC-Papier von p.i.n.k.elefant Bern
Jonas Hirschi,
Erscheint vierteljährlich
ehemaliger Redaktionschef
Auflage: 950
«Läbigi Stadt»-Zeitung
www.laebigistadt.ch