1/ 16 Akzente Das Magazin der Pädagogischen Hochschule Zürich Tagesschulen – ganzheitlicher Lern- und Lebensraum Seite 10 Klassenassistenzen: Noch ist ihre Rolle nicht klar geregelt – ein neues Angebot der PH Zürich hilft weiter Seite 27 Kolumne: Wahres Lernen ohne Schule? Zwei Bildungsexperten im Gespräch Seite 37 blog.phzh.ch/akzente Inserate © Brigitta Garcia López Gewerbemuseum Winterthur Willkommen in der Tierwelt! Ausstellung im Forum PLOT IN PLASTILIN 6. März bis 18. September 2016 Plastilin ist weit mehr als Kinderknete. Das vielfältig wandelbare und mühelos formbare Material ist ein kreatives Paradies sondergleichen und die Fülle an hervorragenden Plastilinwelten scheint schier unerschöpflich, nicht nur im Animationsfilm, sondern auch in zeitgenössischer Kunst und im Produktedesign. Animierte Klassiker, Making-ofs, Musikvideos und neue künstlerische Arbeiten erlauben einen Blick in den Variantenreichtum dieses inspirierenden Stoffes. Workshops rund um farbenfrohe Handarbeit, Knetfiguren und Trickfilme ergänzen diese Schau. Mehr als 1500 Tierarten der Schweiz und aller Kontinente können Sie von ganz nahe betrachten. An Aktivitätstischen testen Sie Ihr tierisches Wissen, bewundern mit Mikroskopen kleine Lebewesen und lauschen über 300 Tierstimmen. Angebote für Schulen • erlebnisorientierte Führungen und Workshops • interaktive Museumstaschen: «Meggie, das kleine Riesenfaultier», «Isaak und Iris» (Tiere der Arktis) • Unterrichtshilfen, Arbeitsblätter, Quiz und weitere Unterlagen für den Museumsbesuch Zoologisches Museum der Universität Zürich Karl Schmid-Strasse 4, CH-8006 Zürich Tel. +41 (0)44 634 38 38, www.zm.uzh.ch Öffnungszeiten Di – Fr 9 – 17 Uhr, Sa/So 10 – 17 Uhr, Mo geschlossen, Eintritt frei Angebote für Schulen Filmtrick in Plastilin Workshop für Unter-, Mittel- und Sekundarstufe Kombinierbar mit dem Workshop «Plastilin-Helden» Inserat_akzente_81x116.5mm.indd 1 19.10.15 16:30 Plastilin-Helden Workshop für Mittel- und Sekundarstufe Empfohlen mit dem Workshop «Filmtrick in Plastilin» Plot in Plastilin Einführung für Lehrpersonen für Unter-, Mittel- und Sekundarstufe Material-Archiv Mehrere Workshops für verschiedene Stufen Sprachaufenthalte für Individualreisende, Prüfungsvorbereitungskurse interessante Gruppenangebote & Teacher Training Öffnungszeiten Di bis So 10 –17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Mo geschlossen Öffnungszeiten Feiertage www.gewerbemuseum.ch Anmeldung und Informationen Gewerbemuseum Winterthur Kirchplatz 14, 8400 Winterthur Telefon 052 267 51 36 [email protected] www.gewerbemuseum.ch Aarau, Basel, Bern, Luzern, St. Gallen, Winterthur & Zürich www.esl.ch Inhalt 1/2016 10Die Tagesschule – ein ganzheitlicher Lern- und Lebensraum, der Unterricht, Essen, Hausaufgaben und Freizeit vereint. 4Vermischtes Tagung «Quereinstieg» 24 Studierendenseite Porträt, Masterarbeit, Kolumne 7 Eine Frage, drei Antworten Was mögen Sie an Ihrem Beruf? 27 PH Zürich Weiterbildung: Angebote für Klassenassistenzen Fotos: Alessandro Della Bella (Cover und Inhalt) 9Seitenblick Besser als ihr Ruf 10 Schwerpunkt Ganztagesbildung Leitartikel: mehr als Unterricht und Betreuung Meinungen: wie Studierende über Tagesschulen denken Interview: Ueli Keller, Netzwerk Bildung & Raum Reportage: ein Tag in der Tagesschule Uster AKZENTE 1/2016 Forschung: Fotografieren als Einstieg in die Berufswahl Ausbildung: Berufliche Nachqualifizierung für Erwachsene Dienstleistung – Evaluationen: «Dann besteht die Gefahr der Zufälligkeit» 32 Schule in aller Welt Herumtollen statt auswendig lernen 34 Medientipps 37 Unter vier Augen Wahres Lernen ohne Schule? 38 Instagram #takeover 38 Impressum Im Vergleich zum nahen Ausland haben Tagesschulen in der Schweiz einen schweren Stand. Gut möglich allerdings, dass sich das Modell auch hierzulande durchsetzen wird. Die Nachfrage zumindest ist vielerorts vorhanden. Wenn Schule Unterricht, Essen, Hausaufgaben und Freizeit vereint, bedingt dies eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Professionen – Betreuende und Lehrpersonen rücken näher zusammen. Worauf es dabei ankommt, beschreibt der Hauptartikel ab Seite 10. Verbringen Kinder und Jugendliche zehn und mehr Stunden in der Schule, erhalten die Unterrichts- und Aussenräume eine besondere Bedeutung. Ueli Keller vom Netzwerk Bildung & Raum sagt: «Innerhalb der Schule hat der Raum nach den Lehrpersonen und den Peers den stärksten Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler.» Was dies für die Raumgestaltung bedeutet, erklärt Keller im Interview. Uster hat den Schritt hin zur Tagesschule bereits vollzogen. Seit dem vergangenen Sommer betreut dort ein fünfzehnköpfiges Team an fünf Tagen in der Woche rund 60 Mädchen und Buben. «Akzente» hat die Schule an einem Tag besucht. Wie diese mit der neuen Situation umgeht, beschreibt die Reportage. Mit einer Reihe von Neuerungen wartet auch dieses Heft auf – in Form von drei neuen Rubriken. Worum es dabei geht, erfahren Sie auf den Seiten 32, 37 und 38. – Christoph Hotz 3 In haltsverzeich nis/Editorial Die Schule rückt zusammen Tagung «Quereinstieg in den Lehrberuf» Aus welchen Gründen wechseln Personen aus verschiedenen Berufsfeldern in den Lehrberuf? Und wie gelingt das «Training on the job»? Diese Fragen standen im Zentrum der Tagung «Quereinstieg in den Lehrberuf» an der PH Zürich vom vergangenen November. Das Projektteam «REQUEST – Begleitstudie zu den Quereinstiegstudiengängen der PH Zürich» führte zusammen mit der PHBern und der PH FHNW die Veranstaltung durch. Am Vormittag beleuchteten drei Referate den Lehrberuf als zweiten Karriereweg. EDK-Präsident Christoph Eymann veranschaulichte die bildungspolitische Sicht und sprach sich für die weitere Etablierung von Quereinstiegstudiengängen aus. Lucien Criblez von der Universität Zürich zeigte die historischen Zyklen von Mangel und Überschuss an Lehrpersonen auf. Er gab zu bedenken, dass eine staatliche Übersteuerung bei Lehrkräftemangel schnell in einen Überschuss und damit in die Arbeitslosigkeit von Lehrpersonen münden kann. Schliesslich referierte die niederländische Forscherin Anke Tigchelaar von der Universität Utrecht zu den Erfahrungen mit Quereinsteigenden. Ähnlich wie in vielen europäischen Ländern herrscht auch in den Niederlanden Lehrpersonenmangel im Sekundarschulbereich. Dabei zeigt sich, dass der stets vorausgesetzte Transfer von Lebenserfahrung und Wissen aus vorher ausgeübten Berufen in 4 die Lehrpraxis nicht immer gelingt. Insbesondere romantische Vorstellungen über den neu angestrebten Beruf können zu einem Realitätsschock führen. Um diesem vorzu9. April Netzwerktagung beugen, wurde in den Niederlanden bei 2016 Quereinsteigenden ein gestufter BerufseinIm Zentrum stehen stieg über zwei Jahre mit reduziertem Pensder Lehrplan 21 und seine Bedeutung um eingeführt. für die schulische In drei Workshops wurden anschliesGesundheitsförsend aktuelle Forschungsergebnisse präsenderung und Präventiert. Dabei wurde unter anderem die Frage tion. diskutiert, wie die Pädagogischen Hochschu27. Mai len den Quereinsteigenden ein noch realistiSymposium Perscheres Bild von Schule vermitteln können. sonalmanagement In ihrer Tagungsbilanz verwiesen Worauf es speziell Andreas Hoffmann-Ocon von der PH Züin Zeiten des ständigen Wandels rich und Claudia Crotti von der PH FHNW in der Personalauf eine weiterführende Frage: Warum wird führung wirklich in Anbetracht der immer vielfältigeren Beankommt. rufsbiografien der Quereinstieg in den Lehrberuf lediglich als Massnahme gegen den 25. Juni Tagung KlassenLehrpersonenmangel und nicht als einer führung von mehreren «normalen» Wegen angesehen? Die Tagung gibt Ein Anstoss, der die TagungsverantwortliLehrpersonen und chen zum Weiterdenken anregt! Schulleitenden Kommende Ver anstaltungen konkrete Anregungen für den Schulalltag. Weitere Informationen zu den Veranstaltungen: phzh.ch – Christa Kappler Referate, Infos und weitere Dokumente: forschung-quereinstieg.ch Christa Kappler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsabteilung der PH Zürich. AKZENTE 1/2016 Foto: Christoph Hotz Ver mischtes Setzte den Lehrpersonenmangel in einen historischen Kontext: Lucien Criblez von der Universität Zürich. Anzahl PrimarstufenStudierende pro Wahlpflichtfach* Fotos: Markus Forte, Reto Klink 886 Bewegung und Sport 793 Bildnerisches Gestalten 605 Werken 588 Musik 386 Werken Textil 128 Englisch (als 2. Fremdsprache) 25 Französisch (als 2. Fremdsprache) * Studierende auf der Primarstufe belegen je drei Wahlpflichtfächer sowie vier Pflichtfächer (Deutsch, Mathematik, Mensch und Umwelt, Französisch oder Englisch). Total Studierende: 1137; Stand: Ende 2015 AKZENTE 1/2016 Aktuelles Lehrpreis 2015 geht an Karin Haller Karin Haller, Dozentin im Bereich Fremdsprachen auf der Sekundarstufe 1 der PH Zürich, ist mit dem Lehrpreis «CS Award for Best Teaching» 2015 zum Thema «Lernprozesse begleiten» ausgezeichnet worden. Lotteriefonds unterstützt Projekte der PH Zürich Das Zentrum International Projects in Education (IPE) der PH Zürich erhält vom Lotteriefonds insgesamt 610 000 Franken Unterstützung für ein neues Demokratie- sowie ein neues Berufswahlprojekt. Walter Bircher feierlich verabschiedet Ende Dezember ist Rektor Walter Bircher in den Ruhestand verabschiedet worden. Mitarbeitende der PH Zürich, ehemalige Weggefährten sowie Gäste aus Politik und Bildung kamen, um dem abtretenden Rektor ihre Reverenz zu erweisen. Birchers Nachfolger Heinz Rhyn hat sein Amt Anfang Januar angetreten. Ein letztes Mal den Taktstock in der Hand: Walter Bircher dirigiert ein Stück des Hochschulchors. Auszeichnung Kurt-Bigler-Preis Heinz Bachmann von der PH Zürich für sein Buch «Von Auschwitz nach Beverly Hills» sowie Franz Dängeli und Stefan Mächler für das act-back Theater «Was be- deutet uns der Holocaust heute?» sind mit dem Dr. Kurt-Bigler-Preis ausgezeichnet worden. Der Preis zeichnet herausragende Projekte in der Holocaust Education aus. 2014 ist die Verleihung von der Dr. Bigler / Bergheimer-Stiftung an die PH Zürich übertragen worden. Preisstifterin Margrith Bigler (l.), Preisträger Bachmann (M.), Mächler (2. von r.) und Dängeli(r.). Befragung zu «Akzente»: Zeitschrift kommt bei Leserschaft gut an Im vergangenen Herbst führte das Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) der ZHAW für die PH Zürich eine Onlinebefragung bei Lehrpersonen, Schulleitenden und PHZH-Mitarbeitenden zur Nutzung von «Akzente» durch. Insgesamt nahmen 347 Personen teil. Die Ergebnisse zeigen ein positives Bild. Das Magazin wird als informativ wahrgenommen, und Schulleitungen sowie Lehrpersonen können daraus Anregungen für ihre Arbeit mitnehmen. Insgesamt nutzen das Heft 60 Prozent regelmässig (mindestens jede zweite Ausgabe). 56 Prozent bewerten es als sehr gut (76 Prozent Schulleitende, 59 Prozent Lehrpersonen, 45 Prozent Mitarbeitende). Dabei fällt insbesondere bei den Schulleitungen die Bewertung des Inhalts positiv aus. Layout, Bilder und Lesefreundlichkeit schätzen 60 Prozent als gut bis sehr gut ein. Bei Personen, die das Heft nicht lesen, sind hauptsächlich Zeitgründe ausschlaggebend. 5 Ver mischtes PHZH in Zahlen Inserate KOSTENLOSE UNTERRICHTSMATERIALIEN MACHEN SIE DIE WELT ZU IHREM KLASSENZIMMER Jetzt bestellen unter: www.ef.com/teacher Flexible Kurslänge Bestimmen Sie selbst den passenden Zeitpunkt für Ihren Sprachaufenthalt. Bei EF können Sie jeden Montag in einen Kurs einsteigen und beliebig lange bleiben. Für Sie als angehende Lehrperson Verbinden Sie Ihren Sprachaufenthalt mit Examenskursen, wie beispielsweise Cambridge First und Advanced, DELF/DALF oder CELI/CILS. EF führt diese Examenskurse jedes Jahr mit der vergleichsweise höchsten Erfolgsquote durch. Für Ihre Schüler Reisen Sie mit Ihren Schülern ins Ausland. Der Besuch von Orten literarischer Grössen, wie Sir Arthur Conan Doley and Charlotte Bront, wird mit Sicherheit jeden inspirieren. Kontaktieren Sie uns EF Education AG, Bärengasse 25, 8001 Zürich - Tel 043 430 40 07 www.ef.com Internationale Sprachschulen 16LS_AD_A5_CHD_SEPT.indd 7 Unser Umgang mit Rohstoffen 25. August 2015 bis 28. Februar 2016 Eine Sonderausstellung von focusTerra 9/29/15 1:47 PM Mineralische Rohstoffe bilden die Grundlage unseres Lebens. Welche Herausforderungen kommen durch den steigenden Verbrauch auf uns zu? Für weitere Informationen auch über Schulunterlagen, Workshops für Lehrer, Führungen und Vorträge besuchen Sie unsere Website: www.focusterra.ethz.ch focusTerra ETH Zürich, Sonneggstrasse 5, 8092 Zürich [email protected] 6 AKZENTE 1/2016 Eine Frage, drei Antworten: Was mögen Sie an Ihrem Beruf? Andreas Müller-Winkler, Primarlehrer, Au wundervollen Beruf besonders. Täglich warten ganz unterschiedliche Aufgaben auf mich. Nebst meiner Rolle als Experte für Unterricht und Erziehung und als Bezugsperson und Vorbild schätze ich die Kooperation mit meinem Kollegium und der Elternschaft sowie die Mitwirkung an unserer Schulentwicklung. Mein Beruf entspricht genau den von unserer Kochgruppe jeweils servierten Dessertvariationen. gabe. Ich habe täglich die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten an einem Ort, an dem die Menschen ihre Stärken einbringen können und mit Freude arbeiten. Jeweils am letzten Dienstag im Monat sitze ich mit AKZENTE 1/2016 Elisabeth Oberholzer, Schulpräsidentin, Horgen Bernadette Herzog, Schulleiterin, Adliswil Ich habe einen ausserordentlich spannenden und vielseitigen Beruf. Ganz besonders schätze ich, dass ich täglich mit Kindern und Erwachsenen zu tun habe, die sich auf ihre persönliche Weise einbringen und die Schule mitgestalten. Mir liegt viel daran, diese Ressourcen auf allen Ebenen zu nutzen, Potenziale zu fördern und wertschätzend mit den Mitarbeitenden, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern zusammenzuarbeiten. Die Verantwortung dafür, einen positiven Lernort zu schaffen, nehme ich zusammen mit meinem Team jederzeit gerne wahr. Wenn es uns gelingt, die Vielfalt als Bereicherung und Probleme als Entwicklungschance zu sehen, wird die Arbeit zu einer spannenden Auf- Ich arbeite seit 15 Jahren in der Schulpflege Horgen mit, seit sechs Jahren bin ich Schulpräsidentin und seit rund drei Jahren zudem Gemeinderätin. Unsere Gemeinde umfasst 1900 Schülerinnen und Schüler sowie 350 Mitarbeitende an der Schule. Dies macht das Amt zu einer abwechslungsreichen und spannenden Herausforderung. Voraussetzung für die erfolgreiche Ausübung meiner Arbeit sind Flexibilität und Umsicht, eine Affinität für die Schule und dass man ein Gespür für Menschen hat. Die stetigen Veränderungen der Gesellschaft, die Entwicklungen im Schulalltag, anspruchsvolle Eltern und der Umgang mit den steigenden Kosten im Schulbereich prägen das Amt. Da sind Optimismus, Mut, ein gewisses Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft gefragt. Meine Aufgabe in diesem anspruchsvollen Umfeld bereitet mir viel Freude, manchmal macht sie mir auch Sorgen, am Ende aber bringt sie mir immer Erfüllung. 7 Meinu ngen meinen Kochkollegen zusammen. Dabei kommen wir im Gespräch oft auf unseren Berufsalltag zu sprechen. Der Rückversicherer, der Gartenbauinhaber, der Steuerkommissär, der Banker und der Sanitärmonteur erzählen meistens von schwierigen und eintönigen Arbeitstagen, ich hingegen mache mir dann schmunzelnd Gedanken zu meinem Lehreralltag. Einmal erlebte ich gerade wieder einen besonders farbigen Schultag, der mit einer morgendlichen Teamstunde mit Schwerpunkt «Altersdurchmischtes Lernen» anfing. Danach baute meine Klasse auf dem Seeweg den lang vorbereiteten Planetenweg auf. Bei den einzelnen Himmelskörpern erfuhren Schülerinnen und Schüler Details über die immensen Dimensionen unseres Sonnensystems. Später ref lektierten wir mit einem «World Cafe» diese Projektarbeit. Über Mittag erholte ich mich im Lehrervolleyball. Der Nachmittag mit Klassenrat und anschliessendem «Schulischen Standortgespräch» war geprägt von Schülermitsprache und Zusammenarbeit mit Fachlehrkräften und Eltern. Diese Vielseitigkeit mag ich an meinem anspruchsvollen, aber Inserate Curricula-Entwicklung Bildungspolitik Managing Diversity Bildungsmarketing Eidg. Diplom Erwachsenenbildner/in HF Qualitätsmanagement Digital Learning Netzwerken in der Bildung Leiten und Führen Nächster Beginn: Freitag, 6. Mai 2016 PQ Kantonale Berufsschule für Weiterbildung w Riesbachstrasse 11, 8008 Zürich Telefon 0842 843 844, www.eb-zuerich.ch Gesunde und nachhaltige Kinderverpflegung… Die eigenen Kinder in fremde Obhut zu geben, bedingt ein grosses Mass an Vertrauen. Zur liebevollen und verantwortungsbewussten Betreuung gehört auch eine gesunde und kindergerechte Verpflegung. 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Der Klassenlehrer erklärt mit ernster Miene die Verwendung des «Lesepasses». So könne man die Kinder zu einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung anleiten und sie von sinnlosen Computerspielen abhalten. Woher eigentlich rührt der anhaltend schlechte Ruf von Computerspielen in pädagogischen Kreisen? Bereits die Vielfalt der Game-Genres scheint nämlich Verallgemeinerungen unmöglich zu machen. Sie reicht von einfachen Geschicklichkeitsspielen über Action-Adventure-Games, Simulations- und Strategiespielen bis hin zu den erst seit neuerem entwickelten Serious Games. Vergleichbar mit Filmen und Büchern reicht auch hier die Palette von höchster Qualität bis zu Trash. Wie soll man Fussball-Spiele wie FIFA, in dem man mit seinem Lieblingsverein kickt, mit einem Strategiespiel wie Anno 1404 oder der sozialen Alltagssimulation bei den Sims vergleichen? AKZENTE 1/2016 Digitales Spielen steht nicht mehr im kulturellen Abseits. Spätestens seit der Entwicklung der sogenannten Serious Games, welche eine Brücke zwischen Theorie und Anwendung schlagen, wird das Potenzial von Computerspielen in breiteren Kreisen anerkannt. So kann das Spiel This War of Mine, in welchem es um das Überleben von Menschen in einem Bürgerkriegsgebiet geht, dem Spielenden nachhaltige Erfahrungen vermitteln, zu denen man mittels Buch oder Film nicht gelangt. Serious Games werden in den USA auch mit Erfolg in medizinische Therapieprogramme eingebaut. ReMission ist ein Spiel, welches für krebskranke Kinder entwickelt wurde. Spielerisch geht es darum, Tumorzellen zu eliminieren. Ein spielerischer Sieg erhöht bei den Kindern den Glauben daran, dass sie auch ihre Krankheit besiegen können. Dadurch wird die Widerstandskraft der Kinder erhöht und die Verträglichkeit von Medikamenten verbessert. Zahlreiche Untersuchungen kommen zum Schluss, dass ein moderater Konsum von Computerspielen nicht mit negativen Effekten in Verbindung zu bringen ist. Im Gegenteil, es gibt bezüglich räumlicher Orientierung, strategischem Denken und Feinmotorik sogar positive Effekte. Der damit verbundene Spass sowie die Entspannungsfunktion sollen dabei nicht unerwähnt bleiben. Es versteht sich von selbst, dass Computerspiele keine Nanny für Kinder sind. Daher ist es unabdingbar, dass Eltern die Spiele ihrer Kinder kennen, die Auswahl mitsteuern sowie Vereinbarungen über die zeitliche Nutzung treffen. Auf diese Art können Computerspiele andere Freizeitbeschäftigungen sinnvoll ergänzen. Übrigens: Dass auch der am Elternabend hochgelobte «Lesepass» unerwünschte Begleiterscheinungen mit sich bringen kann, erleben Vater und Mutter kurz nach dessen Einführung. So ändert der Sohn, eine bis anhin zu Hause stundenlang in Bücher versunkene Leseratte, plötzlich sein Leseverhalten. Immer wieder fragt er, ob er nun in seinem «Lesepass» ein Feld, welches zehn Minuten lesen nachweist, ausmalen könne. Der Inhalt des Buches interessiert ihn dabei kaum noch. Karin Zopfi Bernasconi ist Dozentin für Pädagogische Psychologie an der PH Zürich. 9 Seitenblick Besser als ihr Ruf Betrieb bis in die Abendstunden: die Tagesschule Horgenberg in der Dämmerung. Mehr als Unterricht und Betreuung Die Schweiz hinkt bei der Ganztagesbetreuung im internationalen Vergleich hinterher. Tagesschulen stellen aber auch hierzulande das Zukunftsmodell dar. Um die Vorteile nutzen zu können, müssen Zuständigkeiten sauber ausgehandelt werden. Text: Melanie Keim, Fotos: Beat Bühler AKZENTE 1/2016 11 Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng Grosser Bedarf: In der Schweiz benötigen immer mehr Kinder eine familienergänzende Betreuung. Stichwörter wie «Staatskinder» oder «Verschulung der Kindheit» zeigen: Das Thema Ganztagesbildung erhitzt die Gemüter. Dass Emotionen in die Debatte rund um die Einführung von Tagesschulen einfliessen, ist verständlich, tangieren Tagesstrukturen mit der Familie doch höchst sensible Bereiche. Aus einer Aussenperspektive mag die emotionsgeladene Debatte jedoch für Kopfschütteln sorgen. Denn in der Schweiz wird heftig über eine Schulform debattiert, die im nahen Ausland längst eine Selbstverständlichkeit ist. Während der im Nachgang der PISA-Studien angestossene Ausbau von Ganztagesschulen in Deutschland noch in vollem Gange ist, sind Tagesschulen in südlichen Ländern, Skandinavien und Grossbritannien nicht mehr wegzudenken. In Frankreich, dem bezüglich Ganztagesbetreuung eine Vorreiterrolle zukommt, provozierten geplante Kürzungen der schulischen Betreuungszeiten vor einigen Jahren gar heftige Protestreaktionen vonseiten der Eltern. Diese bestätigten, dass die 1880 eingeführte staatliche Ganztagesbetreuung schlicht nicht mehr aus dem französischen Familien- und Berufsalltag wegzudenken ist. Gemeinsam mit Österreich, das ein Halbtagesschulsystem kennt, nimmt die Schweiz also eine europäische Sonderposition ein. Auch hierzulande wurden in Landschulen zwar schon früh Mittagsverpflegung und Betreuung angeboten. Doch die Integration gut ausgebildeter Mütter in den Arbeitsmarkt war nicht wie in anderen Ländern mit einer flächendeckenden Einführung von Ganztagesbildung verbunden, sondern mit einem bunten Flickwerk aus unterschiedlichsten Betreuungssituationen. Am Anfang der Entwicklung zur vermehrten Berufstätigkeit von Müttern wurde die Kinderbetreuung primär im familiären Umfeld oder beispielsweise über Tagesmüt12 ter geregelt. Mit der wachsenden Anzahl betreuungsbedürftiger Kinder kamen jedoch zunehmend Forderungen nach institutionellen Lösungen auf, und vielerorts wurden Mittagstische und Horte eingeführt. Doch abgesehen vom Tessin stellen Tageschulen in der Schweiz nach wie vor eine Ausnahme dar. «Wir haben in der Schweiz ein anderes Verständnis von Bildung und Erziehung», erklärt Sibylle Mathis, Dozentin an der PH Zürich im Fachbereich Sozialisation und Differenz. Dieses Verständnis fusse auf einer Trennung zwischen formaler Bildung, die in der Schule stattfinde, und ausserschulischer Bildung und Erziehung, die in Familie und Freizeit angesiedelt seien. Daher sei die Ansicht, dass Tagesschulen einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Kindern haben, hierzulande noch wenig verbreitet. Selbst bei Eltern von Kindern, die eine Tagesschule besuchen, sei nicht zwingend ein solches Verständnis vorhanden, so Mathis. Da jedoch auch in der Schweiz immer mehr Kinder eine familienergänzende Betreuung benötigen, ist die Tagesschule auch hierzulande das Modell der Zukunft. In der Stadt Zürich beispielsweise werden zurzeit 50 Prozent der Kinder im Primarschulalter familienergänzend in Tagesschulen, Kindertagesstätten und an Mittagstischen betreut, für 2025 wird bereits mit einem Anteil von 80 Prozent gerechnet. Als Reaktion auf diese Entwicklungen lancierte die Stadt Zürich das Pilotprojekt «Tagesschule 2025», das eine flächendeckende Einführung von Tagesschulen zum Ziel hat (siehe Box). Mehr Freiheiten in der Planung Ganztagesbildung soll laut Mathis als Chance zur konsequenten Umsetzung eines umfassenden BildungsbegrifAKZENTE 1/2016 Förderung aller Kinder gewährleistet Die geforderte Rhythmisierung darf aber nicht als akribisch durchgeplantes Programm verstanden werden. Denn Rückzugsorte und Raum für freies Spielen ohne Leistungserwartungen sind wichtige Elemente einer guten Tagesschule. Spricht Mathis von informellem Lernen, das im rhythmisierten Tagesablauf integriert wird, ist das im Sinne eines möglichen Angebotes zu verstehen, das zur Chancengleichheit beitragen kann und damit eine weitere Chance der Tagesschule darstellt. «Die Anregungen, die ein Kind neben dem formalen Unterricht in der Schule für eine gesunde geistige, soziale und emotionale Entwicklung braucht, können nicht in jeder Familie geboten werden», sagt Mathis. Tagesstrukturen könnten hingegen gewährleisten, dass alle Kinder von Lern- und Spielanregungen, Förder- und Freizeitangeboten und der Unterstützung bei Hausaufgaben profitieren, wodurch soziale Ungleichheiten ein Stück weit ausgehebelt würden. Die Krux liegt jedoch darin, dass gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien in ungebundenen Tagesschulen die freiwilligen Angebote weniger nutzen. Dies nicht nur aufgrund der Kosten von Betreuungsangeboten, sondern teilweise auch aus einer Überforderung, die jede proaktive Handlung, wie sie eine Anmeldung darstellt, verhindert. «Die Betreuungsangebote sollten gerade diesen Kindern, die in ihren Familien nicht oder nicht genügend gefördert werden, zur Verfügung stehen», sagt Mathis. Dies kann eigentlich nur eine gebundene Tagesschule gewährleisten, doch die MehrAKZENTE 1/2016 Projekt «Tagesschule 2025»: Sechs Schulen starten im Sommer 2016 Bis im Jahr 2025 soll es in der Stadt Zürich nur noch Tagesschulen geben. Das ist das Ziel des Pilotprojekts «Tagesschule 2025». Angestossen wurde es indirekt von einer FDP-Motion zur Neuregelung der Schulzeiten und einer SP-Motion für mehr Tagesschulen. Die Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz fällte 2012 einen Grundsatzentscheid für ein zukunftsweisendes, einheitliches Betreuungsmodell für die gesamte Stadt. In naher Zusammenarbeit mit der PH Zürich, der ZHAW und den Anspruchsgruppen (Schulleitungen, Leitungen Betreuung, Eltern) wurde ein Modell für ein Pilotprojekt ausgearbeitet, wobei das QUINTAS-Modell (Qualität in Tagesschulen) der PH Zürich als Referenzrahmen beigezogen wurde. Von anfänglich 30 interessierten Schulen blieben sieben Schulen zurück. Laut Erich Müller Vils, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Direktion Schulamt seit der Stunde null am Projekt beteiligt ist, sprachen aus Sicht der interessierten Schulen meist bauliche Gründe gegen eine Teilnahme in der ersten Pilotphase von 2015–2018. Für eine Teilnahme war im Schulteam zudem eine Zweidrittelmehrheit notwendig. In der Vorbereitungsphase sei viel Überzeugungsarbeit bei den Lehrpersonen und Eltern geleistet worden, so Müller Vils. Meist betraf diese Ängste oder Befürchtungen, die durch anschliessende Diskussionen beseitigt werden konnten. Obligatorium wird nicht angestrebt Im Herbst 2013 wurde nach heftigen Reaktionen aus Politik und Gesellschaft die Idee eines Obligatoriums (unfreiwillige gebundene Form) verworfen. «Im momentanen Umfeld macht es keinen Sinn, ein Obligatorium durchzusetzen», so Müller Vils. Im März 2015 stimmte der Gemeinderat dem Projektkredit von 19.1 Millionen Franken zu, im Sommer 2015 trat eine Schule aus dem Projekt aus, da eine breite Abstützung durch das Schulteam nicht mehr gegeben war. In den verbleibenden sechs Pilotschulen werden im Sommer 2016 einheitliche, langfristig gleichbleibende Stundenpläne nach entsprechenden Altersstufen eingeführt sowie eine gebundene Mittagsbetreuung an Tagen mit Unterricht am Nachmittag und ungebundenen Betreuungsangeboten (auf Anmeldung) an Tagen ohne Unterricht am Nachmittag. Für die gebundene Mittagsbetreuung im Rahmen des Tagesschulbetriebs ist eine Abmeldung möglich, für die ungebundenen Betreuungsangebote eine Anmeldung nötig. An gebundenen Mittagen wird gestaffelt gegessen, sofern der Platz nicht für alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig ausreicht. Die stadtweite Einführung von Tagesschulen soll im Vergleich zur heutigen Betreuungssituation jährliche Einsparungen von 30 bis 40 Millionen bringen. Für die konkrete Umsetzung nach Ende des Pilotprojekts gibt es noch keinen konkreten Zeitplan. Laut Müller Vils wird momentan kein Obligatorium mehr angestrebt. – Melanie Keim 13 Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng fes betrachtet werden, der formale Bildung und informelles Lernen vereint und eine Rhythmisierung des Lernens ermöglicht. Die Tagesschule wird zum ganzheitlichen Lern- und Lebensraum, der Unterricht, Betreuung und Begleitung, Essen, Hausaufgaben und Freizeit vereint. «Wenn Schule als Ganztagesablauf geplant wird, sind Lehrpersonen auch freier in der Unterrichtsgestaltung und können besser auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen», sagt Mathis. Die Rechnung ist simpel: Verbringen die Kinder mehr Zeit in der Schule, kann flexibler zwischen formalen und informellen Einheiten, konzentrierter Arbeit und Pausen gewechselt werden, als wenn Lernziele innerhalb der kompakten Blockzeiten erreicht werden müssen. Eine Entwicklung zu einer freieren Zeitstrukturierung ist laut Mathis heute bereits auch in Schulen ohne Tagesstrukturen zu beobachten. Vorgegebene Pausen würden zunehmend durch individuelle, dem Tagesprogramm gerechte Pausen ersetzt. Doch eine konsequente Rhythmisierung des Schultages lässt sich nur mit einer gebundenen Tagesschulform umsetzen. In der gebundenen Tagesschule ist das Betreuungsangebot im Gegensatz zur ungebundenen Form obligatorisch. So sind alle Kinder zur Kernzeit, die Unterricht, Verpflegung und Betreuung umfasst, anwesend. Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng heit der Tagesschulen in der Schweiz geht nach wie vor den Weg des ungebundenen Modells. Oftmals spielt in der Debatte ein traditionelles Familienbild mit, gemäss dem die Erziehung ausschliesslich Sache der Familie ist. «Dieses Bild entspricht kaum der heutigen Realität», sagt Frank Brückel, Dozent im Weiterbildungsbereich «Schule und Entwicklung» an der PH Zürich. «Die Kindheit heutiger Kinder ist eine komplett andere als jene ihrer Eltern.» Familienformen haben sich verändert, die Berufstätigkeit hat zugenommen, Arbeitszeiten sind unregelmässiger und flexibler geworden. Brückel fordert eine nüchterne Sicht auf die Thematik. Statt die eigene Kindheit als Vergleich hinzuzuziehen, gelte es zu fragen, in welchem Umfeld Kinder heute gut aufwachsen können. «Die Tagesschule kann auf jeden Fall ein solcher Ort sein», sagt Brückel. Dieser Ansatz erfordert aber auch, dass keine Tagesstrukturen verordnet werden, wenn bei Eltern und Lehrpersonen keine Bereitschaft besteht. Bei der Konzeptionierung und Weiterentwicklung von Tagesschulen beobachtet Brückel heute eine Umorientierung. Beschäftigten sich Schulen früher vorwiegend mit Struktur- und Organisationsfragen, fliessen heute Eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrund Betreuungspersonen kann für beide Seiten entlastend sein. zunehmend pädagogische Fragen in die Konzeption und Weiterentwicklung mit ein. «Es wird nicht mehr nur gefragt, wie man eine Tagesschule organisiert, sondern auch, was ihr Ziel ist.» Erst mit diesen Überlegungen sei man bei der Tagesschule angekommen. Für die Konkretisierung eines Schulkonzepts oder die Reflexion der bestehenden Praxis steht die PH Zürich Tagesschulen mit einem Beratungsangebot zur Seite. Dabei kommt das von der PH Zürich mit Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz und der Ernst Göhner Stiftung erarbeitete Modell QuinTas (Qualität in Tagesschulen) zum Tragen, das eine von allen Beteiligten gemeinsam erarbeitete Zielsetzung Struktur- und Prozessfragen voranstellt und das Wohlbefinden des Kindes ins Zentrum setzt. So lautet die Antwort auf die Einstiegsfrage, was eine gute Tagesschule ausmache, in den meisten Schulen gleich: «Dass die Kinder gerne zur Schule kommen.» Die gemeinsame 14 Zieldiskussion dauere zwar oft lange, doch fühlten sich Schulen, die sich auf diese Diskussion einlassen, danach gestärkt, sagt Brückel. Bei der Umsetzung der Ziele werde dann kaum noch Hilfe benötigt. Bei diesen Diskussionen beobachtet Brückel bei Lehr- und Betreuungspersonen immer wieder Unsicherheiten über die künftigen Zuständigkeiten, auch taucht oft die Frage nach der Nähe und Distanz zu den Schülerinnen und Schülern auf. «Muss ich mich am Mittag zur Betreuung zur Verfügung stellen, wenn ich das nicht will?», «Will ich den Kindern überhaupt eine andere Seite von mir zeigen?», «Was wird meine neue Rolle als Betreuungsperson im Schulhaus sein?». Dies sind Fragen, die geklärt werden müssen, damit die Zusammenarbeit funktioniert. Als besondere Herausforderung bezeichnet Brückel die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen. Eine enge Zusammenarbeit und ein reger Austausch zwischen Lehr- und Betreuungspersonen können für beide Seiten entlastend sein, und gleichzeitig kostet dies Zeit und verlangt ein Ändern von Routinen. «Wenn es gelingt, die Professionen aus ihren Komfortzonen zu locken, dann ist der grösste Schritt getan», ist Brückel überzeugt. Implizites explizit machen «Damit die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen, Betreuungsteam und Eltern funktioniert, müssen die Zuständigkeiten erst klar ausgehandelt werden», sagt auch Patricia Schuler Braunschweig, die an der PH Zürich das Zentrum für Professionalisierung und Kompetenzentwicklung leitet. Sie untersucht gemeinsam mit Christa Kappler im Rahmen des mit der ZHAW durchgeführten Schweizer Nationalfonds-Forschungsprojekts «AusTEr» (Aushandlungsprozesse der pädagogischen Zuständigkeiten in Tagesschulen im Spannungsfeld öffentlicher Erziehung), wie diese Zuständigkeiten an Tagesschulen ausgehandelt werden. «An der Oberfläche sieht es schnell einmal aus, als laufe alles gut», sagt Schuler Braunschweig. So werden beispielsweise an einer der untersuchten Schulen für den Austausch zwischen Betreuungspersonen und Lehrpersonen wöchentlich 40 Minuten eingeplant. «Die 40 Minuten sind aber keine Garantie für eine gute Zusammenarbeit. Relevant ist, mit welcher Haltung man sich begegnet.» Folglich richtet sich der Fokus des Projekts auf jene Strukturen, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind und einer Zusammenarbeit im Wege stehen können, wenn sie nicht sichtbar gemacht werden. In einer Vorstudie an einer Zürcher Tagesschule zeigten sich zwischen den sichtbaren Aushandlungen und den unausgesprochenen Erwartungen oftmals grosse Unterschiede. So beklagten sich sowohl Lehrpersonen als auch Betreuungspersonen darüber, dass in vielen Situationen unklar blieb, wer die Verantwortung über die Kinder hatte und sich unnötigerweise beide Professionen AKZENTE 1/2016 Grundsatzdiskussion über Bildung und Erziehung Die Untersuchung bringt somit nicht nur Erkenntnisse für die Forscherinnen, sondern stellt gleichzeitig ein Modell dar, wie die Zusammenarbeit der Professionen durch das Aussprechen impliziter Haltungen und Erwartungen verbessert werden kann. Die Reflexion und das Abgleichen eigener Vorstellungen mit der Realität kommen auch in einem gemeinsamen Ausbildungsmodul der PH Zürich und der ZHAW zur Zusammenarbeit von Schule und sozialer Arbeit zum Zuge (siehe Beitrag rechts). Laut Schuler Braunschweig kommt es hier immer wieder zur überraschenden Selbsterkenntnis, wenn etwa angehende Lehr- oder Betreuungspersonen trotz einer positiven Einstellung gegenüber Tagesschulen auf eigene traditionelle Familienbilder stossen. Zu den Beteiligten dieser Aushandlungsprozesse werden im Projekt «AusTEr» neben Lehr- und Berufspersonen die Schulleitung, Schulpflege, Eltern und Kinder gezählt. Wenn die Schule viele Aufgaben übernehme, die traditionell zur Familienzeit gehörten, seien damit Erwartungen verbunden, sagt Schuler Braunschweig. Und diese gelte es auszusprechen. Um bei der Umsetzung von Ganztagesstrukturen weiterzukommen, müsse zuerst geklärt werden, welche Rollen der Schule und welche der Familie zukommen sollen: «Die Schweiz braucht eine Grundsatzdiskussion über öffentliche Bildung und Erziehung.» So könne erkannt werden, dass Tagesschulen mehr sind als Schulen mit Betreuungsangebot. Podium «Familie-Arbeit-Schule» Das Zusammenspiel von Familie, Arbeit und Schule ist eine ständige Herausforderung – sowohl für Eltern, die Familie und Beruf vereinen, als auch für Arbeitgeber, die flexible Strukturen entwickeln, und ebenso für Schulen, die ihren Auftrag zwischen Unterricht und Betreuung neu definieren. Das jährliche Podium der Stiftung Pestalozzianum wird sich am 24. November 2016 diesem Spannungsfeld annehmen. AKZENTE 1/2016 «Diese Entwicklung braucht Zeit» Ein gemeinsames Ausbildungsmodul von PH Zürich und ZHAW thematisiert verschiedene Aspekte der Ganztagesbildung. Eine PHZH-Studentin und ein ZHAWStudent erläutern ihre Gedanken dazu. Zusammengetragen von Christoph Hotz Eine zentrale Bedingung für ein erfolgreiches Funktionieren von Tagesschulen ist, dass die Rollen zwischen Lehrpersonen und Betreuungspersonen klar geregelt sind. Ich würde es als Chance sehen, die Kinder auch ausserhalb des Unterrichts beispielsweise über Mittag zu erleben. Eine Voraussetzung dazu sind klärende schulinterne Abmachungen, ob ich dies in meiner Funktion als Klassenlehrperson mit den entsprechenden Kompetenzen mache oder ob ich eine andere Rolle übernehme. Wichtig ist, dass ich die Batterien über Mittag aufladen kann. Ich brauche am Nachmittag ausreichend Energie zum Unterrichten. Dass Tagesschulen für bildungsferne Familien eine Chance sein können, davon bin ich überzeugt. Der Fokus sollte dabei bei Kindern liegen, die keine ausserschulische Bildung erhalten. Ein Obligatorium ist meiner Meinung nach nicht der richtige Weg. Ich denke, es braucht eine gewisse Berufserfahrung, um in einer Tagesschule arbeiten zu können. Miriam Bürgi, Studentin KindergartenUnterstufe an der PH Zürich im 6. Semester Ich bin davon überzeugt, Schulen mit Ganztagesstrukturen werden sich mittelfristig durchsetzen. Das Projekt Tagesschule 2025 in der Stadt Zürich gibt den Takt vor. Dies ist meiner Meinung nach der richtige Weg und entspricht den heutigen gesellschaftlichen Bedürfnissen. Voraussetzung für das Funktionieren einer Tagesschule sind das gegenseitige Verständnis zwischen den Professionen und eine gemeinsame Haltung. Diese muss man zusammen entwickeln und dafür braucht es eine gewisse Zeit. Eine Schlüsselrolle hat dabei die Schulleitung. Teilweise sind sowohl bei Lehrpersonen als auch bei Betreuenden Verunsicherungen spürbar. Ich habe dafür Verständnis. Um die Chancengleichheit gewährleisten zu können, muss auch die non-formale Bildung verstärkt in der Schule stattfinden – jedoch nicht isoliert von den formalen Elementen. Aus Sicht der Kinder ist zentral, dass sie nicht vom Morgen bis am Abend einem voll durchstrukturierten Programm folgen müssen und über Rückzugsmöglichkeiten verfügen. Erich Kappeler, Student «Soziale Arbeit» an der ZHAW im 6. Semester 15 Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng verantwortlich fühlten. Und obwohl die meisten Beteiligten überzeugt waren, dass eine offene Haltung und ein guter Informationsaustausch zwischen den Professionen die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit bilde, bezogen sich Lehrpersonen oftmals ausschliesslich auf Lehrpersonen, wenn sie von einem Team sprachen, wohingegen sich bei Betreuungspersonen eher ein multiprofessionales Verständnis zeigte. Während sich in diesem Verständnis eine potenzielle Aufwertung des Betreuungsberufs mit der Eingliederung in die Schule ausdrückt, kann sich hinter der Haltung der Lehrpersonen eine Befürchtung zeigen, dass ihr Beruf durch zusätzliche Betreuungsaufgaben verwässert werde. Gemäss Schuler Braunschweig kann mit diesen impliziten Befürchtungen konstruktiv gearbeitet werden, wenn sie hervorgebracht und ausgesprochen werden. Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng «Steht wenig Geld zur Verfügung, ist mehr Kreativität gefragt» Mit dem Netzwerk Bildung & Raum fördert Ueli Keller das Verständnis für die Auswirkung von Räumen auf die Bildung. Er sagt, Tagesschulen erfordern kein grundsätzliches architektonisches Umdenken. Viel wichtiger sei eine sorgfältige Erhebung der Nutzerbedürfnisse und der bestehenden Potenziale. Text: Melanie Keim, Fotos: Nelly Rodriguez 16 AKZENTE 1/2016 Woraus besteht dieses Vorgehen konkret? Im Idealfall wird vor der Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs eine Betriebsbeschreibung gemacht: Welche Schule wollen wir ? Wofür sollen sich die Räume eignen? Diese Fragen sollten alle Verantwortlichen gemeinsam klären. Zu diesen zähle ich die Behörden, Lehrund Betreuungspersonen, die Schulleitung, Eltern, aber auch die Kinder, die die Räumlichkeiten später hauptsächlich nutzen werden. Erste Bedingung für ein gutes Gelingen ist dabei der Wille. Wenn die Verantwortlichen nur eine Tagesschule machen sollen und nicht machen wollen, lässt sich kein bestmöglicher Lern- und Lebensraum gestalten. Wie verläuft dieser Einigungsprozess über die Nutzung und die erwünschten Qualitäten der künftigen Räumlichkeiten Ihren Erfahrungen nach in der Realität ab? Meistens findet er nicht statt. Das Verständnis, von dem ich ausgehe, ist erst im Aufbau begriffen. Der Bedarf an Räumlichkeiten und Infrastruktur und die Bedürfnisse der Nutzer werden erst in Ausnahmen vor dem Bauen erhoben. So habe ich sehr lange gebraucht, bis ich in der Schweiz drei Tagesschulen gefunden habe, wo die Nutzer in die Raumplanung einbezogen wurden. Und bisher habe ich noch kein Beispiel einer Schweizer Schule gefunden, wo auch Kinder daran beteiligt wurden. In Workshops konnten wir zwar in Erfahrung bringen, dass sich die Bedürfnisse der Kinder nicht grundsätzlich von den Ideen der Fachpersonen unterscheiden, trotzdem können sie für die AKZENTE 1/2016 Über Ueli Keller Primarlehrer, Heilpädagoge, Erziehungswissenschaftler und Lebensraumkünstler lauten Ueli Kellers Berufsbezeichnungen. Seit vielen Jahren prägt den heute 68-Jährigen das Bewusstsein, dass wir Lernprozesse überall erfahren, gestalten und fördern können. Keller war bei der Erziehungsdirektion des Kantons Basel Stadt für die Tagesbetreuung im Schulalter und Gesundheitsförderung verantwortlich. Unter anderem war er am Aufbau des «Bildungsnetzwerks 4057» beteiligt, das in Kleinbasel schulische und ausserschulische Akteure verknüpft. Seit seiner Pensionierung ist Keller als Lebensraumkünstler und Bildungsnetzwerker aktiv. Sein Netzwerk Bildung & Raum umfasst ca. 400 Personen und Institutionen aus den Bereichen Bildung, Bauen, Politik und Verwaltung. Keller ist gerne mit seiner Frau unterwegs, improvisiert am Klavier und sitzt für die Grünen im Einwohnerrat seiner Wohngemeinde Allschwil (BL). Architektur eine wertvolle Inspirationsquelle sein. Können Sie anhand eines Beispiels aufzeigen, wie die Bedürfnisse in die Bauplanung einfliessen können? Für den Bau der Tagesschule Heimberg (BE) forderten die Betreuungspersonen einen grossen, multifunktional unterteilten Betreuungsraum, in dem sie den Überblick behalten konnten. Zwischen dem Rückzugs- und dem Essraum wurde dann eine Glasscheibe eingefügt. So sind die Räume akustisch voneinander abgetrennt und gleichzeitig überblickbar. Das hätte das Architekturbüro nicht so gemacht, wenn die Nutzer dieses Bedürfnis nicht geäussert hätten. Fordert der Bau von Tagessschulen ein grundsätzliches Umdenken, was die Architektur betrifft? Nein. Schulbauten sollen immer den Bedürfnissen der Nutzer entsprechen und einen Lebensraum schaffen. Bei einer Tagesschule ist die Berücksichtigung der Bedürfnisse umso bedeutsamer, als sich die Kinder länger in der Schule aufhalten. Das bedeutet auch, dass ein Tagesschulbau den Bewegungsbedürfnissen von Kindern gerecht werden muss. Aussenräume müssen Gelegenheit für unterschiedliche Arten der Bewegung bieten. Statt glatten Flächen mit teuren Geräten sind naturähnliche, nivellierte Aussenräume geeignet. Waldähnliche Nischen bieten gute Betätigungs- und Rückzugsmöglichkeiten. Zurück in die Innenräume: Wie schafft man Erholungs- und Rückzugsorte? Kinder sollten ihre Aufenthaltsräume mitgestalten dürfen, damit sie sich mit ihrer Schule identifizieren, sich darin wohlfühlen und gut arbeiten können. Idealerweise verfügt ein Schulhaus über ein gestalterisches Reservoir, das die Kinder nutzen können. Mit verstellbaren Wänden können die Kinder beispielsweise selbst bestimmen, wo sie eine Leseecke machen oder wo es einen Raum geben soll, in dem man laut sein darf. Diese Flexibilität gibt es idealerweise auch in den Unterrichtsräumen. 17 Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng Akzente: Wie sieht die perfekte Tagesschule aus? Keller: Ich sträube mich gegen den Begriff der perfekten Tagesschule. Die Vorstellung einer besten und einzig gültigen Form ist alles andere als lern- und lebensfreundlich. Statt nach der besten Schule zu verlangen, sollte man fragen: «Welche Tagesschule passt zu uns und ist für uns umsetzbar?» Das Vorgehen, wie diese Schule entsteht, ist entscheidend für die spätere Nutzung der Räume. Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng Welchen Einfluss haben Räume überhaupt auf Lernende? Innerhalb der Schule hat der Raum nach den Lehrpersonen und den Peers den stärksten Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Dabei ist wichtig, wie dieser Raum genutzt und belebt wird, und das hängt wiederum vom Potenzial und der Flexibilität eines Raumes ab. Es gibt zu enge Räume oder solche, in denen nichts gestaltet werden kann, weil Änderungen technisch kaum möglich oder verboten sind. Schule verbringen. Auch in der Stadt Zürich gibt es bestimmt geeignete Raumressourcen ausserhalb der Schulen. Bei dieser Suche muss man kreativ, aber auch vorsichtig sein. Zu grosse, hallende Räume sind beispielsweise nicht geeignet für die Mittagsbetreuung. Nicht nur räumlich, sondern auch finanziell sind Grenzen gesetzt. Welche Rolle spielt das Budget bei einem Neu- oder Umbau einer Tagesschule? Aus meinem europäischen Erfahrungsraum können Ist ein Neubau immer die beste Lösung oder sich hinter den Herausforderungen, die durch Raumkönnen bestehende Räumlichkeiten einfach und Budgetknappheiten entstehen, auch enorme umgebaut und ergänzt werden? Chancen verbergen. Vereinfacht ausgedrückt könnte Es gibt günstigere und weniger günstige Ausgangsman sagen: Dort, wo wenig Geld zur Verfügung steht, ist mehr Kreativität gefragt. Wer sehr auf die Kosten lagen, aber prinzipiell kann man auch sehr gut mit achten muss, überlegt doppelt, was gebaut oder wie bestehenden Räumlichkeiten arbeiten. Neubauten umgebaut wird. In Berlin habe ich ausserordentlich sind nicht per se die beste Lösung, manchmal bringt gerade Raumknappheit die besseren Konzepte hervor. kreative, flexibel und nutzungsorientiert umgebaute Schulbetriebe besucht. Das andere Extrem war In Basel beispielsweise war die Raumsituation einer Luxembourg: Schulen sind luxuriös gebaut, es hat Schule so verzwickt, dass wir für einen Mittagstisch für eine Zwischennutzung auf ein ehemaliges Gefäng- zu viele Räume und diese sind oftmals unpersönlich fad. Trotz oder vielleicht wegen grosszügiger Budgets nis auswichen. Ich hatte sehr grosse Bedenken, doch konnte sich keine Atmosphäre entwickeln. Die die Kinder und Eltern waren begeistert von diesem Mittags- und Aufenthaltsort, der auch ein Abenteuer- Schweiz ist also möglicherweise in einer günstigen Entwicklungsperspektive, weil man heute auch aufs ort wurde. Ein externer Mittagsort hat auch den VorGeld achten muss. teil, dass die Kinder nicht den ganzen Tag in der «In Basel wichen wir für einen Mittagstisch auf ein ehemaliges Gefängnis aus.» Ueli Keller vom Netzwerk Bildung & Raum. 18 AKZENTE 1/2016 «Vom Zahnbürsteli bis zum Lehrmittel – einfach alles » In Niederuster läuft seit Anfang dieses Schuljahres ein drei Jahre dauerndes Tagesschul-Pilotprojekt. Das Team nimmt in Uster eine Pionierrolle ein und arbeitet trotz knapper Ressourcen gerne dort. Denn es glaubt an die Zukunft des Modells. «Ein Tag im Leben» der noch jungen Tagesschule Uster. Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng Text: Claudia Merki, Fotos: Alessandro Della Bella Eintreffen im Morgengrauen: Die ersten Kinder kommen kurz nach sieben Uhr in der Tagesschule an. Ein Freitagmorgen im Dezember. Es ist noch stockfinster, als eine Handvoll Kindergärtler, Erst- und Zweitklässler kurz nach sieben Uhr munter plaudernd die «Tagesschule Uster» (TsU) betritt. Die pädagogische Mitarbeiterin und Fachfrau Betreuung, Sandra Sägesser, nimmt die Ankömmlinge in Empfang. Einige kamen selbständig mit dem Bus aus Uster. Das Frühstück für die Kinder ist bereits vorbereitet. «Was möchtest du aufs Brot?», fragt die junge Frau einen Buben. «Nutella!», kommt es wie aus der Pistole geschossen. Sägesser muss den Buben enttäuschen; diesen Aufstrich gibt es nur in Ausnahmefällen. Stetig treffen weitere Schüler ein. Nach dem Morgenessen beginnt ab 7.45 Uhr die 25-minütige Auffangzeit vor dem Unterricht. Einige Kinder lümmeln auf dem Sofa herum oder schauen Bilderbücher an, ein anderes Kind zeichnet. In diesen frühen Morgenstunden ist auch schon die Kindergartenlehrerin Ruth Beck da. Die freiwillige Tagesschule Uster in Niederuster ist ein auf drei Jahre angelegtes Pilotprojekt, ähnlich jenem der Stadt Zürich. Es startete mit Beginn des aktuellen Schuljahres. Gegenwärtig führt die TsU einen Kindergarten, eine altersdurchmischte Unterstufe mit 1. und 2. Klasse sowie eine Mittelstufe mit 4. und 5. Klasse. Schwerpunkt des TsU-Konzeptes ist eine konstante Betreuung AKZENTE 1/2016 19 Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng der Kinder und Zusammenarbeit der Mitarbeitenden. Ein fünfzehnköpfiges Team betreut an fünf Tagen in der Woche rund 60 Mädchen und Buben. Sechs TeilzeitLehrpersonen sind für den Unterricht, aber auch für einen Teil der Betreuung verantwortlich. Bei der Anstellung mussten sie sich verpflichten, mindestens zwei Stunden davon zu übernehmen: am Morgen, über Mittag, beim Zvieri oder abends. Umgekehrt erhalten die Lehrpersonen Unterstützung vor allem von den pädagogischen Mitarbeitenden, die als Klassenassistenzen arbeiten, sowie von der Leiterin Betreuung und Sozialpädagogin, Yasemin Yücel. Auch die Betreuungspersonen springen vereinzelt ein. «Diese Praxis fördert das gegenseitige Verständnis für den jeweils anderen Beruf», erklärt Schulleiterin Karin Diethelm. Mehr als Schule plus Hort Vor ihrer Anstellung bei der TsU arbeitete die Kindergärtnerin Ruth Beck in einer anderen Gemeinde in der Grundstufe. Nach Ende dieses Schulversuchs suchte sie nach einer Form der Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen, die weiter geht als nur «Schule plus Hort», und fand diese in der TsU. Nach dreieinhalb Monaten zieht die Teilzeit-Lehrerin eine erste Bilanz: «Zusammenarbeit, Austausch und Kontakt zwischen den Lehrpersonen und der Betreuung sind sehr eng», freut sie sich. Die grösste Schwierigkeit ortet sie im Moment darin, regelmässige Teamsitzungen abhalten zu können, um Anstehendes in Ruhe besprechen zu können. «Diese Bedingung ist für mich noch nicht vollends erfüllt.» Ein Blick auf den ausgeklügelten Stundenplan der Schülerinnen und Schüler zeigt: Die Koordination der Unterrichts- und Betreuungszeiten ist eine Herausforderung. Da werden die Terminfindung für Teamsitzungen, an der alle Mitarbeitenden teilnehmen können, oder Elterngespräche zum organisatorischen Hochseilakt. Diese können aufgrund der Betreuung, welche an der TsU bis um 18.30 Uhr gewährleistet ist, immer erst am Abend stattfinden. So führte das Team beispielsweise auch den Schulentwicklungstag an einem Samstag durch. «Ganztagesstrukturen entsprechen nichtsdestotrotz einem gesellschaftlichen Bedürfnis», sagt Ruth Beck. Es mag wenig erstaunen, dass sich das verstärkte Bedürfnis nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in Uster zeigt. Die Initianten der TsU wurden im Frühjahr 2015 förmlich von interessierten Eltern überrannt: «Es trafen innert kürzester Zeit knapp 100 Anmeldungen ein», erinnert sich Schulleiterin Karin Diethelm. Noch vor einem Jahr hatte das Vorgängerprojekt nicht ausreichend Anmeldungen, um eine Klasse eröffnen zu können. Die 2014 neu konstituierte Behörde nahm den Faden wieder auf und machte sich an die Umsetzung der im Leistungsauftrag als Ziel formulierten Tagesschule. Um dem Projekt beim zweiten Anlauf bessere Chancen 20 zu verschaffen, wurden ein Flyer gedruckt und im November 2014 eine Elternveranstaltung organisiert. Diese füllte eine ganze Turnhalle. Die Bedingung für den Startschuss der Tagesschule war die Anmeldung von mindestens 14 Kindern ‒ die Minimalzahl für eine Klasse mit altersdurchmischtem Lernen. In ihren kühnsten Träumen hätte Karin Diethelm, die bereits sieben Monate vor Eröffnung im Projekt mitarbeitete, nicht mit 100 Anmeldungen gerechnet. «Weil wir nicht zu viele abweisen wollten, eröffneten wir schliesslich drei Klassen.» Deren Kinder kommen aus Familien mit den verschiedensten sozialen Hintergründen. Mehr Geld, mehr Raum, mehr Ressourcen Mittlerweile ist es zehn Uhr morgens. Vor dem grossen Fenster des wohnlich eingerichteten Schulleitungsbüros zieht die ehrenamtlich arbeitende Seniorin mit den jüngeren Tagesschulkindern vorbei. Einige winken der Schulleiterin zu, sie winkt zurück und fährt fort: «Der neue Pavillon ist erst im Sommer 2015 erstellt worden.» Diethelm war bei der Projektierung des zweistöckigen Gebäudes involviert. Die TsU bewohnt sechs Räume; zwei weitere Schulzimmer und zwei kleinere Gruppenräume belegen Schüler der Schuleinheit Niederuster. Im Projekt wird auch die multifunktionale Nutzung der Räume getestet, um eine höhere Auslastung zu erreichen. «Das Lehrerzimmer ist auch Handarbeitszimmer oder Konferenzraum, und Unterricht findet durchaus mal im Essraum statt», sagt Diethelm. In den sieben Monaten bis zur Eröffnung im August 2015 gab es nebst dem Bau des Pavillons noch viel mehr zu planen: Das Team musste aufgebaut, Schulentwicklung betrieben, das alltägliche Zusammenleben definiert und Anschaffungen mussten getätigt werden. «Vom Zahnbürsteli bis zum Lehrmittel einfach alles», blickt Diethelm zurück. «Es fühlt sich an, als hätte ich eine Rekrutenschule hinter mir, und es ist nach wie vor streng.» Nach 100 Tagen Betrieb lud die Schulleiterin im November vergangenen Jahres die Primarschulpflege, Schulleiter der Primarschule Uster und die Primarschulverwaltung zu einer Präsentation ein. Der Elternrat holte nach zwölf Wochen Schulbetrieb bei den Eltern der Tagesschulkinder mittels Umfrage deren Feedback ein. Sie erteilten der TsU durchwegs gute Noten: Grundsätzlich sind sie sehr zufrieden und würden die Tagesschule weiterempfehlen. Vor allem schätzen sie das grosse Engagement der Mitarbeitenden, dass Schule und Betreuung verschmelzen und sich alles ‒ mit Ausnahme der Turn- und teilweise der Handarbeitsstunden ‒ unter einem Dach abspielt. Ebenfalls positiv werten sie das altersdurchmischte Lernen, dass die Hausaufgaben in der Schule erledigt werden, die individuelle Förderung und den familiären Betrieb. Verbesserungspotenzial sehen sie in den Platzverhältnissen oder den Rückzugsmöglichkeiten für die MitAKZENTE 1/2016 Einige der Kinder essen in der Tagesschule Zmorge. Um diese Uhrzeit ist die Stimmung noch stark von Müdigkeit geprägt. Nach dem Morgenessen bleibt Zeit zum Spielen oder um zum Beispiel ein Bilderbuch anzuschauen. Schwer pu nkt Ga nztagesbildu ng arbeitenden und die Kinder. Als weitere Besorgnis kristallisierte sich die sehr grosse Belastung der Mitarbeitenden heraus. Karin Diethelm bestätigt die starke Beanspruchung, denn der Aufbau bedeutet viel Arbeit. Hörnli, Gehacktes und Zuwendung Es ist jetzt 11.40 Uhr, und der Unterricht ist beendet. Jene Kinder, die am Nachmittag Unterricht haben, essen in der Schule. Dies ist im Schulkonzept festgelegt. Das Mittagessen müssen die Eltern bezahlen, ebenso alle anderen freiwilligen Angebote wie Morgenessen, Zvieri, Nachmittags- und Abendbetreuung sowie den Ferienhort. Im Essraum ist aufgetischt. Auch zwei Lehrerinnen, die nach dem Unterricht die Betreuung übernehmen, essen mit den Kindern. Eine Betreuungsperson ist für elf bis fünfzehn Schülerinnen und Schüler zuständig. Das Mittagessen findet in zwei Staffeln statt. Damit die Jüngeren eine längere Mittagspause haben und sich ausruhen können, bevor der Unterricht am Nachmittag wieder beginnt, sind sie in die erste Gruppe eingeteilt. Mittels Präsenzliste wird kontrolliert, ob alle Kinder da sind. Das Menü «Hörnli, Gehacktes und Apfelmus» stösst auf Begeisterung, und die Information, dass es heute Dessert gibt, quittieren die Kinder mit einem lauten «Yeah!». Kindergärtnerin Ruth Beck geht an ihrem Tisch fürsorglich auf das Anliegen eines Kindes ein. Zuwendung ist ein wichtiges Element in der Tagesschule Uster. Nach dem Essen ist Ruhezeit. Im Spielzimmer machen es sich drei Kinder in einem grossen, mit Kissen ausstaffierten Korb bequem, zwei andere liegen auf Matratzen. Zur gleichen Zeit erzählt Yasemin Yücel, Leiterin Betreuung, im abgedunkelten Kindergartenraum eine Geschichte. Die Schülerinnen und Schüler sitzen oder liegen auf Kissen am Boden oder auf Bänken. Draussen rennen Mittelstufenschüler mit Philipp Landert, an der Schule angestellter Zivildienstleistender, um die Wette, drinnen wird die Küche geschrubbt. Auch Lehrerin Sybille Brunner, die heute Mittagsbetreuung machte, hat eine 45-minütige Ruhepause, die sie jedoch häufig zum Vorbereiten und Korrigieren nutzt. Ein Mittelstufenkind platzt auf der Suche nach einem Gegenstand ins Zimmer. «Ich hätte gerne über Mittag einmal vollkommene Ruhe», sagt die dreifache Mutter. «Es ist wie zu Hause – die Kinder sind immer da.» Trotzdem schätzt sie die familiäre Atmosphäre sowie die überschaubare Grösse der Schule. Ebenfalls positiv wertet sie, dass in einer Tagesschule eine nähere Beziehung zu den Kindern möglich wird. Die Arbeit sei jedoch anstrengend. «Am Abend bin ich nudelfertig.» Den Wechsel an die TsU hat sie noch nie bereut: «Es gefällt mir gut, im kleinen Team zu arbeiten ist speziell und ich finde es spannend, etwas Neues zu machen.» Am Nachmittag ist es merklich stiller geworden im Haus. Einige Kindergartenkinder sind inzwischen von 22 den Eltern abgeholt worden, die Schülerinnen und Schüler haben Unterricht. Während der Unterrichtszeit erledigen sie jeweils auch ihre Hausaufgaben. Im grossen Aufenthaltsraum spielt noch etwa ein halbes Dutzend der jüngsten Tagesschulkinder. «Zivi» Philipp Landert schaut mit einem Buben ein Bilderbuch an, Betreuer Manuel Pfister verbindet einem Jungen den Daumen. Nach Schulschluss um 16.15 Uhr werden sie auch noch einige Schüler bis um 18.30 Uhr betreuen. «Wir essen zusammen Zvieri und gehen noch an die frische Luft», sagt Pfister. Der gelernte Schrift- und Reklamegestalter arbeitete als Buschauffeur und absolvierte ein Praktikum in einer Heilpädagogischen Sonderschule. Nach dieser Erfahrung war für ihn klar, dass er einen sozialen Beruf ergreifen und die Weiterbildung zum Sozialpädagogen in Angriff nehmen möchte. Auf der Suche nach Personal konnte sich Karin Diethelm über einen Mangel an Bewerbungen nicht beklagen. «Es meldeten sich vor allem Leute, die Erfahrungen in der Pädagogik und Schulentwicklung haben und etwas Neues mitgestalten und aufbauen wollten.» Weil alle im Team auch Erziehungsarbeit leisten, sei es nötig, gegenüber den Kindern eine gemeinsame Haltung zu entwickeln. Durch die Nähe zu ihnen kennen die Mitarbeitenden deren Sorgen und Nöte. «Im Gegensatz zum gängigen Schulbetrieb können wir Probleme schneller auffangen», ist die Schulleiterin überzeugt. Teilweise sind die Kinder zehn oder elf Stunden in der TsU. «Da fallen auch Themen an, mit denen man in einem normalen Schulbetrieb nicht konfrontiert ist. In dieser Hinsicht müssen wir uns alle noch etwas sensibilisieren», meint die Schulleiterin. Als nächste grosse Herausforderung steht die Schul- und Klassenorganisation für das kommende Schuljahr an. «Um den Betrieb optimal führen zu können, werden wir bis zum Ende der Pilotphase eine weitere Klasse eröffnen», sagt Diethelm. Gutes Omen für die Zukunft In der Auswertung der Umfrage «100 Tage Tagesschule Uster» sind auch Kinderstimmen zu finden. Viele der gedruckten Aussagen schmeicheln der TsU: «Unsere Tochter bezeichnet die Tagesschule als Daheim», heisst es etwa. Nach dem Unterschied zur früheren Schule gefragt, meint ein 4.-Klässler: «Die Lehrerinnen und Betreuer schauen nicht weg, wenn etwas ist.» Und ein vierjähriges Mädchen möchte am liebsten mit der Familie in die Schule zügeln. Die meist positiven Rückmeldungen sind ein gutes Omen für die Zukunft. Dennoch endet das Pilotprojekt 2018. Die grösste Sorge der Eltern ist die Unsicherheit, wie es weitergeht. Kann es sein, dass die Tagesschule wieder geschlossen wird? Karin Diethelm hegt trotz Schwierigkeiten Hoffnung: «Ich denke nicht. Sie ist unsere Zukunft.» AKZENTE 1/2016 Wer am Nachmittag Unterricht hat, isst in der Schule. An der Betreuung beteiligen sich auch zwei Lehrpersonen. Die Kinder sind bis zu elf Stunden in der Schule. Frische Luft und Bewegung gehören deshalb ins Tagesprogramm. Nach dem Essen ist Ruhezeit. Zwei Buben haben es sich in einem grossen Korb gemütlich gemacht. Auch das gehört zum Tagesschulleben: Einige der Kinder wischen gemeinsam die Treppen. Studierendenporträt Aline Bonifay ist eine vielbeschäftigte Studentin: Neben ihrer Ausbildung zur Sek-I-Lehrerin jobbt sie 40 Prozent bei McDonald’s, und seit einem Jahr ist sie zusätzlich daran, ihr eigenes Strickmützen-Start-up aufzubauen. Die Idee zur Gründung eines eigenen Unternehmens hatte sie vor knapp einem Jahr zusammen mit einem Freund. Ihr fiel eine Spenden-Aktion von Pro Senectute auf, bei der kleinen SmoothieFläschchen selbstgestrickte Mützchen aufgesetzt wurden. Sie entwickelte die Idee weiter ‒ dabei heraus kam die Firma «Tricotion». Dabei stellen Freiwillige mit von Tricotion zur Verfügung gestellter natürlicher Wolle Mützen und Schals her, die sie dann online verkaufen. Abnehmer sind Leute, die selbst nicht stricken können oder 24 keine Zeit dazu finden, sich aber dennoch eine einzigartige, ganz und gar fair hergestellte Mütze wünschen. Der 19-Jährigen gefällt an ihrer Tätigkeit im Start-up insbesondere, dass sie eine Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Generationen einnehmen kann, ganz so wie sie es als angehende Lehrerin aus der Schule kennt. Dass sie sich für das Studium zur Lehrerin entschied, rührt jedoch von einer ganz anderen Begeisterung her – jener für die französische Sprache. Im Gegensatz zu vielen ihrer Freunde hegt sie grosse Sympathien dafür ‒ wohl auch deshalb, weil ein Teil ihrer Familie in der Westschweiz lebt. Ihr Französischlehrer in der Sekundarschule vermochte sie jedoch sprachdidaktisch nicht zu über- zeugen. «Ich hab mir damals gesagt, dass ich das viel besser könnte», so Aline Bonifay. Damit war die Idee geboren, Französisch-Lehrerin zu werden. Nebst Französisch gehören Deutsch, Musik (Cello, Klavier) sowie Religion und Kultur zu ihren Fächern an der PH Zürich. Ihr gefällt die Ausbildung, sie fühlt sich zu jeder Zeit gut beraten. Insbesondere den frühen Praxisbezug erachtet sie als wichtig und gut. Den Spagat zwischen Studium und Start-up findet sie keinesfalls hinderlich. Denn schliesslich gehe es an beiden Orten um die Vermittlung von Werten wie beispielsweise Rücksicht oder Fairness. – Cécile Oberholzer Cécile Oberholzer ist Redaktorin in der Abteilung Kommunikation an der PH Zürich. AKZENTE 1/2016 Foto: Cécile Oberholzer Studierendenseite Aline Bonifay, 19, studiert an der PH Zürich auf der Sekundarstufe I. Die Masterarbeit grossen Entdecker und Eroberer. Diese letztgenannten beiden Begriffe stehen am Anfang der Masterarbeit von Franziska Basler, Studentin auf der Sek 1. Aber was war er denn nun, Entdecker oder Eroberer? Laut Duden stecken ganz verschiedene Bedeutungen hinter diese beiden Worten, ein Entdecker kann Begründer oder sogar Schöpfer sein, ein Eroberer hingegen Aggressor oder auch Kriegstreiber. Schwerpunkt der Masterarbeit bildet die Analyse der Darstellung von Christoph Kolumbus in den obligatorischen Geschichtslehrmitteln des Kantons Zürich von 1872 –1988. Franziska Basler untersuchte und verglich in sechs Geschichtslehrmitteln hauptsächlich die Darstellung davon, wie Christoph Kolumbus die indigene Bevölkerung behandelte. Mit der Aufschlüsselung dieser Darstellungen gelingt es der Autorin, für das jeweilige Lehrmittel eine plausible Antwort zu geben, ob Christoph Kolumbus darin als Entdecker oder Eroberer beschrieben wird. Dabei machte sie eine überraschende Entdeckung: Die Unterschiede in der Darstellung Kolumbus’ in den verschiedenen Lehrmitteln in dem doch beträchtlichen Zeitraum von 1872 bis 1988 fallen kaum auf, Kolumbus wird durchgehend als Entdecker dargestellt. Auch am Image von Christoph Kolumbus kratzt keines der Lehrmittel, sie lassen ihn weiterhin als heldenhafte Persönlichkeit auftreten. Das neueste Lehrmittel aus dem Jahre 1988 macht da keine Ausnahme, Kolumbus’ Entdeckung nimmt sehr viel mehr Raum ein als die Situation der indigenen Bevölkerung. Zu ihrem traurigen SchickAKZENTE 1/2016 sal fliessen zwar einige Aspekte ein, das Ausmass ihres Leidens wird aber nicht übersichtlich und schlüssig dargestellt. Aufgrund dieser Erkenntnisse muss die Darstellung in den Lehrmitteln im Geschichtsunterricht immer wieder kritisch hinterfragt werden, kommt Franziska Basler zum Schluss. Dies kann eine grosse Chance sein. Schülerinnen und Schüler haben durch die regelmässige Präsenz von Kolumbus in den Medien einen Bezug zu dem Thema. Dies erleichtert ihnen die Diskussion darüber, wie ein solches Bild und ein solcher Mythos entstehen, welche Beweggründe dahinter stecken und was dazu führt, dass diese Bilder und Mythen sogar in den obligatorischen Lehrmitteln teilweise festgehalten werden. «In Franziska Baslers Masterarbeit ‹Darstellung Christoph Kolumbus’ in den Zürcher Geschichtslehrmitteln seit 1872. Heldenhafter Entdecker oder brutaler Eroberer› macht die exemplarische Analyse einer der weltweit berühmtesten historischen Persönlichkeiten besonders eindrücklich deutlich, dass Schulbücher wissentlich vom zeitgenössischen Forschungsstand abweichen können und so eine populäre Heldengestalt der kritischen Auseinandersetzung entziehen können», sagt Sabina Brändli, Dozentin auf der Sekundarstufe 1 an der PH Zürich und Betreuerin von Franziska Baslers Masterarbeit. – Vera Honegger Die Masterarbeit von Franziska Basler ist online publiziert: blog.phzh.ch/akzente Eine dringliche Sache Gratiszeitungen, mein Lehrer nannte sie Revolverblätter, sind in der Medienlandschaft omnipräsent. Dass sie Boulevard-Charakter besitzen, stört mich eigentlich nicht. Im Gegenteil: Gerade frühmorgens bevorzuge ich leichte Kost. Ich starte meinen Tag ja auch nicht mit einem Rindsfilet. Problematisch finde ich, wenn dieses Medium auch drängende Kernfragen plakativ und oberflächlich behandelt. Sachverhalte werden nicht in einen Kontext gesetzt, und die Berichterstattung, wenn sie als solche überhaupt bezeichnet werden kann, ist selten ausführlich. Zu glauben, so über das Weltgeschehen informiert zu sein, ist ein Trugschluss. Es ist das Wissen über Zusammenhänge, welches mir konstruktive und kontroverse Debatten mit Freunden ermöglicht. Gratiszeitungen können komplexe Themen nicht umfassend behandeln, ein Plakat kann ja auch nicht den Inhalt eines Buches wiedergeben. Um mich ausgiebig zu informieren, muss ich also Qualitätsmedien konsumieren, die Hintergründe beleuchten. Dazu können mir sowohl eine Tageszeitung als auch ausführliche Radio- und Fernsehsendungen dienen. Wenn wir uns nicht mehr für vielfältige politische und gesellschaftliche Sachverhalte interessieren, könnte das die Gesellschaft teuer zu stehen kommen. Wie soll man schlecht informiert seinen demokratischen Rechten und Pflichten nachkommen? So gesehen könnte man sagen: Gratiszeitungen haben also doch ihren Preis. Selwyn Maher, Student auf der Sekundarstufe I und Tutor im Schreibzentrum der PH Zürich. 25 Studierendenseite Christoph Kolumbus, wer kennt ihn nicht, den Ausstudiert – die Studierendenkolumne Inserate So lernen wir. Arbeiten an der FES? In einem Klima der Wärme leistungsorientiert arbeiten, lehren und lernen: Möchten Sie Ihre Ideen einbringen und Ihre Schülerinnen und Schüler beim selbstverantwortlichen Lernen unterstützen? Bewerben Sie sich spontan oder auf unsere Ausschreibungen: www.fesz.ch/offene-stellen Wir freuen uns darauf, Sie kennen zu lernen. Freie Evangelische Schule Waldmannstrasse 9, 8024 Zürich www.fesz.ch, Telefon 043 268 84 84 Kontakt: [email protected] WIAM Bachelor of Arts (Hons) MUSIC Winterthurer Institut fur aktuelle Musik Aufnahmeprufungen : Vorbereitungsjahr 28. Mai 2016 Bachelor 11./22.Juni 2016 Studienangebote Bachelor of Arts (Hons) Music Fähigkeitsausweis I (4 Semester berufsbegleitend) Studienvorbereitungsjahr (Pre-Bachelor) WIAM Untere Vogelsangstrasse 7 8400 Winterthur Tel: 052 212 56 67 www.wiam.ch 26 AKZENTE 1/2016 Anstellungsbedingungen differieren stark Als besonders wertvoll beschreibt die in Thalwil tätige Klassenassistentin den Austausch mit den anderen Kursteilnehmenden. Manchmal machte sich bei diesen GeIn grossen und anspruchsvollen Klassen sprächen jedoch auch Ernüchterung breit: Vertretende kommt nebst der Lehrperson häufig eine des Volksschulamtes haben die Rolle und Funktion von weitere Person zum Einsatz: die KlassenKlassenassistenzen am ersten Kursabend zwar klar beassistenz. Im August 2015 startete an der schrieben, sie entsprechen jedoch nicht immer der RealiPH Zürich ein neuer Kurs, der Grundlagentät und sind vielen Akteuren im Schulfeld nicht bekannt: wissen für bereits tätige Klassenassis«In unserer Schule stimmen die Empfehlungen vom tenzen vermittelt oder Interessierte auf Volksschulamt mit meiner Tätigkeit grundsätzlich überihre künftige Tätigkeit vorbereitet. Das ein. Im Austausch mit den anderen Kursteilnehmenden Angebot wird 2016 weitergeführt. wurde jedoch deutlich, dass es in zahlreichen Schulgemeinden grosse Wissenslücken in Bezug auf unsere Text: Adina Baiatu Aufgaben gibt. Wir Klassenassistenzen handeln häufig in Foto: Alessandro Della Bella Situationen, die eigentlich nicht in unserem Kompetenzbereich liegen. Auch unsere Anstellungsbedingungen differieren stark und sind nicht attraktiv.» Diese Ausführungen verdeutlichen, dass beim Einsatz von Klassenassistenzen im Schulfeld noch Optimierungsbedarf besteht. Abhilfe schafft hier eine Handreichung mit Empfehlungen für Schulen, die das VolksBereits fünf Jahre ist Sandra Gargiulo an der schulamt erarbeitet hat und welche kürzlich erschienen Primarschule Sonnenberg in Thalwil als Klassenassistentin tätig. Während des vergangenen halben Jahres besuchte sie den Pilotkurs für Klassenassistenzen an der PH Zürich. Dieser richtet sich an Assistenzen auf der Kindergarten- und Primarschulstufe sowie an Erwachsene, die gerne in dieser Funktion arbeiten möchten. An zehn Abenden thematisiert der Kurs die Rolle und Verantwortlichkeiten von Klassenassistenzen, klärt Haftungsfragen, zeigt mögliche Formen der Zusammenarbeit mit Lehrpersonen auf und ermöglicht den Erfahrungsaustausch. Weiter erhalten die Kursteilnehmenden Einblicke in lernund entwicklungspsychologische Grundlagen und setzen sich mit Lehrmitteln sowie der Thematik «Heterogenität und Schule» auseinander. Lehrpersonen erhalten heute von verschiedenen Seiten Unterstützung – Das neue Angebot stösst auf grosses Interesse. Mit unter anderem von Klassenassistenzen. 64 Teilnehmenden wurde der erste Kurs im Herbst des vergangenen Jahres in zwei Gruppen durchgeführt. Drei weitere Durchführungen mit Start im Januar 2016 waren ist. Auch die Weiterbildung an der PH Zürich trägt dazu bereits kurz nach der Ausschreibung ausgebucht. Sandra bei, dass das Profil von Klassenassistenzen geschärft und Gargiulo erlebte die Kursabende als bereichernd: «Ich be- ihre Funktion allen Beteiligten im Schulhaus bekannter suchte den Kurs gerne, das Klima war angenehm. Die wird. «Allein deswegen kann ich den Kurs sehr weiterThemen wurden kompakt, aber trotzdem mit den wich- empfehlen», so Sandra Gargiulo. tigsten Schwerpunkten erklärt.» Da sie schon Erfahrung als Klassenassistenz hat, waren ihr viele der thematisierten Adina Baiatu ist wissenschaftliche Mitarbeiterin Herausforderungen und Inhalte aus ihrem Arbeitsalltag in der Abteilung Weiterbildung der PH Zürich. bekannt. Dennoch fühlt sie sich dank des Kursbesuches Weitere Informationen zum Kursangebot Klassenin ihrer Rolle gestärkt: «Ich bekam mehr Sicherheit und assistenzen: tiny.phzh.ch/klassenassistenz AKZENTE 1/2016 27 PH Zürich – Weiterbildu ng Die Rolle der Klassenassistenz klären Ideen im Umgang mit den Kindern und den Lehrpersonen. So konnte ich beim Kursabend über Lehrmittel und Arbeitsmaterialien viele wertvolle Tipps mitnehmen.» Inserate Prozessarbeit nach Arnold Mindell Nur eine Ahnung genügt nicht . . . Erste-Hilfe-Ausbildung für Lehrpersonen bei medizinischen Notfällen mit Kindern und Jugendlichen in speziellen Gruppenkursen (intern und extern) auf unserem einzigartigen NothilfeParcours Wir beraten Sie gerne SanArena Rettungsschule Zentralstrasse 12, 8003 Zürich Telefon 044 461 61 61 Weiterbildung in Prozessarbeit international- zweisprachig D/E - praxisnah - seit 1982 Prozessarbeit ist ein ressourcen-orientierter Ansatz in Coaching und Beratung, in der Psychotherapie, in Mediation und Konfliktlösung sowie in der Leitung und Facilitation von Teams und Gruppen. Psychologie, Systemarbeit und soziales Engagement sind zu einem wirkungsvollen Paradigma für die Arbeit mit Menschen verbunden. Informations-Abend: Einführungs-Tag: Start 2-jähriger Basis-Lehrgang: Sommer-Intensiv-Woche: 20. April 2016, 19.15-20.45 Uhr 11. Juni 2016, 10.00-17.00 Uhr Ende September 2016 20. - 26. August, 2016 (auch einzelne Tage buchen) Die Weiterbildung in Prozessorientierter Psychotherapie ist prov. akkreditiert BAG www.sanarena.ch www.institut-prozessarbeit.ch Drucken mit Präzision Lernen kann so schön sein … …und noch schöner mit einem guten Printprodukt. Ein Unternehmen der FO-Gruppe FO-Fotorotar | Gewerbestrasse 18 | CH-8132 Egg Telefon +41 44 986 35 00 | Fax +41 44 986 35 36 E-Mail [email protected] | www.fo-fotorotar.ch 166×116.5 mm | PH Akzente 28 AKZENTE 1/2016 Fotografieren als Einstieg in die Berufswahl Sich für einen Beruf entscheiden zu müssen, kann für Schülerinnen und Schüler eine Belastung darstellen. Wie Jugendliche auf lustvolle Art und Weise die Möglichkeiten der Berufswelt kennenlernen können, zeigt ein kürzlich abgeschlossenes Forschungsprojekt der PH Zürich. «Visualisierte Berufswünsche: Potenziale der Fotografie für Berufsberatung und Berufswahlunterricht» (VIBES) – unter diesem Titel führte die PH Zürich in den vergangenen drei Jahren ein Forschungsprojekt finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds durch, bei dem es darum ging, die Potenziale des Fotografierens für die Berufsorientierung zu nutzen und aus den Erkenntnissen ein tragfähiges Unterrichtskonzept zu entwickeln. Als Praxispartner agierte das Laufbahnzentrum Zürich. In einem ersten Schritt produzierten die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler eine Fotoserie über ihre Berufswünsche. Anschliessend stellten sie diese der ganzen Klasse vor. Das Konzept wurde sowohl von Schülerinnen und Schülern als auch von Lehrpersonen geschätzt: Zum einen wird der Berufswahlprozess auf spielerische Art und Weise angestossen, zum anderen ermöglicht es sowohl zahlreiche persönliche Erkenntnisse über die Berufswelt als auch viel Anschlusskommunikation und neue Einblicke für Lehrpersonen, Mitschülerinnen und Mitschüler sowie für die Eltern. «Ich kann mir keine Methode vorstellen, mit der man besser in so einen Prozess einsteigen kann», so die Aussage einer Lehrperson. Und eine Schülerin meinte: «Man kann ein bisschen spielerisch sein mit den Bildern – selber halt was über sich erzählen.» Im Projekt wählten die Schülerinnen und Schüler verschiedene Formen des fotografischen Ausdrucks: Sie inszenierten sich beispielsweise als Berufsperson, dokumentierten Menschen in echten Berufskontexten oder verwendeten Berufsbilder aus dem Internet. Je nach Darstellungsform kann so eine spezifische Art der Auseinandersetzung mit dem Beruf stattfinden. Zudem bietet jede Form je eigene Chancen zum Lernen, wobei diese von der Lehrperson mitgesteuert werden können. Aufgrund der ausgewerteten Daten kann zusammenfassend gesagt werden: Je höher der eigene Anteil am Bild, desto höher der Lerngewinn. Es zeigte sich, dass die Schülerinnen und Schüler auch freizeitorientierte Fotopraktiken etwa aus der Selfie-Kultur im Fotografieren der Berufe an- wendeten. Dabei können Freizeit- und Schulkontext voneinander profitieren: Die Motivation aus der Freizeit kann für das schulische Lernen genutzt werden, die Reflexivität der schulischen Praxis wiederum kann sich positiv auf das Freizeithandeln auswirken. Dies, indem zum Beispiel adäquates Medienverhalten auf Social-Media-Plattformen oder der Umgang mit urheberrechtlichen Fragen thematisiert werden. AKZENTE 1/2016 Polizeiauto macht scheinbar Faszination aus Insgesamt beteiligten sich über 200 Schülerinnen und Schüler an dem Projekt. Die von ihnen produzierten Berufsbilder erlauben einen Einblick in die Vorstellungen, die die Jugendlichen von den ihnen mehr oder weniger vertrauten Berufen haben. So scheint beim häufig genannten Beruf des Polizisten oder der Polizistin das Polizeiauto einen grossen Teil der Faszination am Beruf auszumachen. Handkehrum lassen sich aufgrund der Darstellungen des Bank-Berufs nur sehr vage Vorstellungen ablesen. Die in solchen im Bild festgemachten inneren Bilder von Berufen können Lehrpersonen oder Berufsberaterinnen und Berufsberatern helfen, ihre Beratungsfunktion noch gezielter wahrzunehmen. Für die Verantwortlichen des Projekts steht nach dessen Abschluss die Erkenntnis im Zentrum, dass eine Öffnung der Schule für visuelle Kompetenzen insbesondere auch deshalb von Bedeutung ist, da die Visualität einen wichtigen Zugang zur Sprachkompetenzentwicklung darstellt. Vielen eher schulschwächeren Schülerinnen und Schülern fiel es leichter, über ihre Berufswünsche zu sprechen, wenn sie sich auf visuelles Bildmaterial beziehen konnten. Die Ergebnisse des Projektes fliessen einerseits in eine wissenschaftliche Abschlusspublikation ein und andererseits in ein Praxisheft mit einem Unterrichtskonzept, welches interessierten Schulen zugänglich gemacht wird. Peter Holzwarth ist Dozent an der PH Zürich. Thomas Hermann war bis Ende 2015 Dozent an der PH Zürich und ist jetzt Dozent an der PH Thurgau. 29 PH Zürich – Forschu ng Text: Peter Holzwarth und Thomas Hermann «Die jetzigen Angebote sind noch zu wenig attraktiv» In der Schweiz verfügen über 600 000 Erwachsene zwischen 25 und 64 Jahren über keinen Abschluss auf der Sekundarstufe II. Es bestehen zwar verschiedene Wege zur beruflichen Nachqualifizierung, doch sie werden noch zu selten genutzt. Weshalb dies so ist und was man dagegen unternimmt, erklärt Markus Maurer, Professor für Berufspädagogik an der PH Zürich. PH Zürich – Ausbildu ng Text: Christoph Hotz, Foto: Reto Klink Welche Möglichkeiten für eine berufliche Nachqualifizierung gibt es für Erwachsene? Es bestehen grundsätzlich vier Möglichkeiten: die normale sowie die verkürzte Berufslehre, die direkte Zulassung zur Lehrabschlussprüfung sowie das sogenannte Validierungsverfahren, bei dem bereits vorhandene Kompetenzen angerechnet werden. Diese vierte Möglichkeit besteht noch nicht so lange und hat sich je nach Kanton und Branche noch wenig etabliert. Weshalb werden die Angebote zur Nachqualifizierung noch nicht ausreichend genutzt? Die Ursachen sind sehr verschieden. Bei den Personen mit Migrationshintergrund, die ungelernt in die Schweiz gekommen und hier als unqualifizierte Arbeitskräfte tätig sind, ist ein Grund zentral: Die bestehenden Angebote für eine berufliche Nachqualifizierung sind für sie noch zu wenig attraktiv. Angenommen, jemand möchte eine Lehrabschlussprüfung nachholen, dann muss er oder sie sich in speziellen Kursen darauf vorbereiten können. Es gibt jedoch nur wenige Angebote für Erwachsene, die am Abend stattfinden. Müssen die Leute den regulären Berufsschulunterricht besuchen, ist dies mit einem nicht zu bewältigenden Erwerbsausfall verbunden, da dieser Unterricht tagsüber stattfindet. Ein weiteres Problem sind die sprachlichen Hürden. Viele dieser Personen sprechen kaum Deutsch. Das heisst, es braucht mehr Erwachsenenklassen? Genau. Dies ist jedoch mit hohen zusätzlichen Kosten verbunden. Diese müssen von den Kantonen übernommen werden, da die Finanzierung der Berufsbildung in den Bereich der Kantone fällt. Haben die Kantone die Dringlichkeit erkannt? Die Kantone sehen die Dringlichkeit, die Sensibilität wächst, auch im Kanton Zürich. Die Frage ist aber, in welchem Ausmass wirksame Angebote geschaffen werden können. Das ist eben auch eine Frage des Akzente: Markus Maurer, in der Schweiz verfügen Geldes – und dieses lässt sich nicht so einfach finden über 600 000 Personen weder über einen Berufsin Zeiten mit hohem Spardruck. Die Mehrausgaben für noch einen Gymnasialabschluss. Dies sind mehr Erwachsene sollten ja nicht auf Kosten der Berufsbilals zehn Prozent aller Erwerbstätigen. Welche dung für Jugendliche gehen. Wichtig ist daher vor allem Personen sind am meisten betroffen? die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den KantoMaurer: Die grösste Gruppe bilden Personen mit Migra- nen. Dies mit dem Ziel, in den verschiedenen Berufstionshintergrund, die seit vielen Jahren in der Schweiz branchen kantonsübergreifende Erwachsenenklassen leben und arbeiten, jedoch nie einen Berufsabschluss bilden zu können. Ein gutes Beispiel dafür ist die gemacht haben. Sie arbeiten als unqualifizierte Arbeits- Zusammenarbeit zwischen den Kantonen der Nordkräfte etwa in der Bauwirtschaft, in der Industrie oder westschweiz, die sich auch in einer gemeinsamen Interin der Betreuung. Eine weitere Gruppe bilden Personen, netplattform für die Berufsbildung von Erwachsenen die bereits hier die Schule besucht haben und dann ent- zeigt. weder die Lehre abgebrochen haben oder gar nie in eine Lehre eingetreten sind. Zunehmend wichtiger werden Was sind auf Seite der Politik und der Arbeitgeber Flüchtlinge, die erst seit kurzem in der Schweiz leben. Gründe, sich verstärkt für die berufliche NachMarkus Maurer, Professor für Berufspädagogik an der PH Zürich. 30 AKZENTE 1/2016 «Dann besteht die Gefahr der Zufälligkeit» qualifizierung von Erwachsenen einzusetzen? Ein wichtiger Punkt ist der Fachkräftemangel. In der Schweiz verfügen viele Branchen über zu wenig gut ausgebildetes Personal. Hinzu kommt die sozialpolitische Perspektive: Personen ohne Berufsabschluss sind vergleichsweise öfter von Arbeitslosigkeit betroffen – und daher entsprechend auch stärker armutsgefährdet. Sie haben die Situation der Flüchtlinge angesprochen. Was ist bei dieser Gruppe die grösste Herausforderung? Flüchtlinge beispielsweise aus Eritrea können teilweise als höchste Ausbildung einen Primarschulabschluss vorweisen. Diese Personen an die Berufsbildung heranzuführen, ist schwierig. Ihre Berufserfahrung ist zudem im Schweizer Arbeitsmarkt kaum nutzbar. Es gibt einige Pilotprojekte, doch steht man hier noch am Anfang. Akzente: Was sind die Angebote der Arbeitsstelle Evaluation der PH Zürich und an wen richten sie sich? Frais: Wir führen etwa zur Hälfte Aufträge für externe Kunden wie beispielsweise Schulen oder Hochschulen durch. Die andere Hälfte steht PHZH-internen Einheiten zur Verfügung. Wir bieten unsere Unterstützung und Expertise für Beratung sowie Vorbereitung und Durchführung von Evaluationen an. «In der Schweiz verfügen viele Branchen über zu wenig gut ausgebildetes Personal.» Akzente: An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell? Frais: Im Moment entwickeln wir beispielsweise ein Angebot für Schulen, die eventuell Ganztagesstrukturen einrichten, jedoch vorab den möglichen Bedarf realistisch einschätzen möchten. Damit können diese Schulen zum Beispiel bei potenziellen Nutzern eines solchen Angebots eine Bedarfserhebung durchführen, also insbesondere bei den Eltern. Eine Möglichkeit bei guter Qualifizierung ist das bereits erwähnte Validierungsverfahren. Welches Potenzial sehen Sie darin? Dabei werden vorhandene Kompetenzen angerechnet, so dass die Betroffenen eine im Umfang reduzierte Abschlussprüfung absolvieren können. Dieser Weg ist eine grosse Chance. Allerdings ist er noch mit vielen Fragen verbunden. Beispielsweise, wie die Kompetenzen erfasst werden können. Zurzeit ist das Verfahren stark verschriftlicht und dauert zudem sehr lange. Es braucht andere Möglichkeiten, damit die betroffenen Personen ihre Kompetenzen in der Praxis zeigen zu können. Akzente: Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für Evaluationen? Frais: Ein wichtiger Punkt ist, dass Evaluationen partizipativ organisiert sind und die Projektverantwortlichen beispielsweise bei der Erarbeitung von Fragebogen miteinbezogen werden. Dies führt in der Regel zu inhaltlich präziser ausgestalteten Fragebogen. Zudem erleben wir es immer wieder, dass Evaluationsprojekte ohne vorgängige Planung durchgeführt und die Ziele zu wenig klar definiert werden. Dann besteht die Gefahr der Zufälligkeit. Sobald kostenintensive Projekte durchgeführt werden, sollte man meiner Meinung nach den Anspruch haben, diese möglichst zielbezogen und kriteriengeleitet zu bewerten. Welche Rolle hat die PH Zürich bei dem Thema? Wir nehmen eine Vernetzungsfunktion ein und bringen Stakeholder wie Ämter und Verbände zusammen. Aktuell führen wir eine Veranstaltungsreihe durch, die verschiedene Aspekte der beruflichen Nachqualifizierung von Erwachsenen thematisiert. Auch arbeiten wir in Studien als Experten mit. Im Frühjahr erscheint eine Publikation, in der wir die Situation in einer Bestandsaufnahme zusammenfassen. Die wichtigsten Herausforderungen sind unserer Ansicht nach die folgenden drei Elemente: eine noch bessere Anrechnung bereits erworbener Kompetenzen, die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen sowie die Klärung der Finanzierung. AKZENTE 1/2016 Akzente: Sollten Sie als Evaluationsfachleute bereits bei der Planung von Projekten miteinbezogen werden? Frais: Im besten Fall ist das so, ja. Zumindest sollte das Thema Evaluation bereits in einer frühen Phase einfliessen. – Christoph Hotz Ausführliches Interview: blog.phzh.ch/akzente 31 PH Zürich – Dienstleistu ngen Michael Frais, Leiter Arbeitsstelle Evaluation der PH Zürich Herumtollen statt auswendig lernen Um ihren Kindern ein Studium an den besten Universitäten des Landes zu ermöglichen, setzen viele Eltern in Japan auf so genannte Jukus. Traditionell wird dort der Schulstoff nachgepaukt und auf die Übertrittsprüfungen gedrillt. Doch es gibt auch Jukus, die neue Lernmethoden ausprobieren, um aus der Mühle des Auswendiglernens auszubrechen. Serie – Schule in aller Welt Text und Fotos: Patrick Zoll Die Kinder schauen einen Ausschnitt aus dem Film «Troja» mit Brad Pitt. Auf einmal kommt Aufregung in die Klasse. Die Mädchen kreischen, die Buben staunen. Denn auf dem grossen Flachbildschirm, der hinter dem Lehrer an der Wand hängt, sind drei nackte Damen zu sehen. Das Gemälde von Rubens – «Das Urteil des Paris» – zeigt den Jüngling Paris, der entscheiden soll, welche der drei Göttinnen Aphrodite, Athene oder Hera die Schönste ist. Es handelt sich um eine der berühmtesten Szenen der griechischen Mythologie. Diese ist Thema der heutigen Unterrichtsstunde. Die Szene spielt sich in einer der zahlreichen Jukus in Tokio ab. Jukus sind japanische Nachhilfeschulen, wo üblicherweise der Schulstoff nachgepaukt wird. Doch von Pauken kann hier, in der Tankyu-Gakusya-Juku, keine Rede sein. Die drei Mädchen und acht Buben, alle im Alter von neun oder zehn Jahren, rufen wild durcheinan- «Das Urteil des Paris» – griechische Mythologie als Schulstoff. Etwas Chaos und Lärm wird im Unterricht toleriert. Yasunobu Hoht suki, Gründe r und Direktor der Tankyu-Gakus ya-Juku. 32 Ein Mädchen vertieft in Mangas, während der Unterric ht läuft. Was ist besser – Film oder Comicbuch? Japans Bildungssystem ist stark hierarchisiert. Zuoberst steht die Universität von Tokio, kurz Todai. Dieser nationalen Hochschule folgen die Privatuniversitäten Keio und Waseda in der Rangliste. Insgesamt gibt es gut 600 Universitäten im ganzen Land. Je angesehener eine Uni, desto schwieriger sind die Aufnahmeprüfungen. Die besten Chancen, diese zu bestehen, bieten die Elite-Oberschulen. Und auf diese wiederum kommt man nur nach einem Test, auf den die besten Mittelschulen vorbereiten. So beginnt der Leistungsdruck schon im Kindergarten. Das System führt dazu, dass die Jukus florieren: 50 000 gibt es im ganzen Land, rund 3,5 Millionen Schülerinnen und Schüler besuchen sie regelmässig. In der Tankyu-Gakusya-Juku geht der Unterricht an diesem Mittwochabend weiter. Es ist schon dunkel draussen, als die Kinder einen Ausschnitt aus dem Film «Troja» mit Brad Pitt schauen. Die meisten haben sich auf den Boden vor den Bildschirm gesetzt. Der neunjährige Kota hingegen wälzt sich auf dem Tisch herum. Die gleichaltrige Honoka kann sich nicht recht zwischen dem Film und ihrem Comicbuch entscheiden. Die Kinder sollten selber entdecken, was ihnen Spass macht, sagt Yasunobu Hohtsuki, der Gründer und Direktor der Tankyu-Gakusya-Juku: «Wir wollen die Kinder nicht kontrollieren, wie es die normale Schule tut.» Dass es dadurch im Klassenzimmer laut und etwas chaotisch werde, das gehöre halt dazu. Einstellung zur Schule ändert nach einiger Zeit Emiko Shina bezahlt monatlich rund 100 Franken, damit ihr Sohn Kota einmal die Woche auf dem Tisch lümmeln darf. «Kota war so gelangweilt in der Schule und bei den Hausaufgaben, dass ich Angst hatte, dass er komplett abschaltet», erklärt sie. Eine normale Juku kommt für die Mutter daher nicht in Frage, der Drill würde Kota erst recht die Lust aufs Lernen verderben. Darum schickt sie ihn seit einem halben Jahr in die Tankyu-Gakusya-Juku. Emiko Shina glaubt an das Zitat von Albert Einstein, das an der Fensterscheibe steht: «Imagination is more important than knowledge» – die AKZENTE 1/2016 Slogan im Klassenzimmer der TankyuGakusya-Juku. Juku soll Kotas Fantasie anregen und ihn nicht mit Wissen bombardieren. Er komme gern her, sagt der Junge. Hat sich Kotas Einstellung zur regulären Schule geändert? «Bisher nicht wirklich», gesteht die Mutter ein, «doch er zeigt viel mehr Interesse im Alltag, etwa wenn er in einem Film einen historischen Hintergrund erkennt.» Juku-Leiter Hohtsuki beobachtet, dass viele Kinder in seiner Juku in einer ersten Reaktion die normale Schule noch langweiliger finden als eh schon. Doch nach einiger Zeit ändere sich bei den meisten die Einstellung. Kotas Mutter gibt sich überzeugt, dass ihr Sohn noch merken wird, dass es auch in der Schule einiges zu entdecken gibt. Emiko Shina versucht, Eltern von Kotas Klassenkollegen von der Tankyu-Gakusya-Juku zu überzeugen. Doch sie stösst auf wenig Interesse: «Die schicken ihre Kinder lieber in traditionelle Jukus, um sie auf die Tests zu drillen». Frau Shina hat sich für einen anderen Weg entschieden: Kota soll weiterhin in die lokale Schule gehen. Die Tests für die Eliteschulen wird er nicht absolvieren. Dass es auch ohne auswendig Büffeln geht, davon ist Juku-Gründer Hohtsuki überzeugt. Er selber wurde von seinem Vater zu Hause unterrichtet – nach den Methoden, die er nun in seiner Juku anwendet. Obwohl er die reguläre Oberschule nicht besuchte, schaffte er den Eintrittstest zur Universität Kyoto. Diese zählt zu den besten Japans. Patrick Zoll ist Ostasien-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Serie «Schule in aller Welt» Im Rahmen der Serie «Schule in aller Welt» stellen wir an dieser Stelle jeweils exemplarisch eine Schule aus dem Norden, Osten, Süden und Westen der Welt vor. Nach dem Osten in dieser Ausgabe folgt im kommenden Heft der Norden mit einem Beitrag aus Finnland. 33 Serie – Schule in aller Welt der. Sie entdecken gerade, dass hinter den griechischen Mythen eine historische Wirklichkeit steht. Die griechische Mythologie steht in den meisten japanischen Primarschulen nicht auf dem Lehrplan. Dort liegt der Fokus auf Japanisch und Mathematik. Dass es beim Erlernen der Schriftzeichen viel Geduld und unendliche Repetitionen braucht, mag einleuchten. Doch der Hang zum auswendig Büffeln zieht sich durch alle Fächer. Beim Übertritt zur Mittelschule (7. bis 9. Schuljahr), Oberschule (9. bis 12. Schuljahr) und zu den Universitäten stehen standardisierte Tests an. Jukus sind vor allem dazu da, Kinder auf diese Tests zu drillen. Medientipps BEMERKENSWERTE LISTEN Nach seiner imposanten Sammlung von Briefen aus allen Epochen erweist Shaun Usher nun einer noch älteren Textsorte die Ehre. Seit Menschengedenken fertigen wir Listen an – um Ordnung ins Chaos zu bringen, Dinge zu benennen, unser Arbeitspensum zu bewältigen oder die Zukunft zu planen. Laut Usher gibt es nichts, was sich nicht als Liste ausdrücken liesse. Seine grossformatige und prächtig bebilderte Anthologie mit 123 kommentierten Listen wartet denn auch mit mannigfaltigen Kostproben und Kuriositäten auf. Charles Darwin wägt das Für und Wider des Heiratens ab, der 19-jährige Isaac Newton führt seine Sünden auf, Susan Sontag gibt zehn Empfehlungen für die Kindererziehung und Walt Disney sammelt 50 Namen für die sieben Zwerge. In diesen Aufzeichnungen steckt jede Menge Lebenserfahrung, Fantasie und Verrücktheit. Wir lernen Regeln der Freundschaft und Synonyme für Trunkenheit kennen oder erfahren «Was Frauen auf dem Fahrrad tunlichst unterlassen sollten». – Daniel Ammann S. Usher (Hrsg.). Lists of Note: Aufzeichnungen, die die Welt bedeuten. München: Heyne, 2015. 344 Seiten. 34 5 4 1 3 2 2 LERNBEREIT Die Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und sich nicht ablenken zu lassen, ist einer der bedeutsamsten Faktoren für Schulbereitschaft und erfolgreiches Lernen. Interessant ist, dass diese Fähigkeit gefördert werden kann und sich exekutive Prozesse kognitiver Selbstregulation im Alter von drei bis acht Jahren stark entwickeln. Das an der Uni Bern entwickelte und wissenschaftlich geprüfte Material zur Förderung exekutiver Funktionen umfasst attraktiv gestaltete Spiele für die Kleingruppe und Kreissequenzen sowie Arbeitsblätter für die Individualförderung. Die wichtigsten Förderprinzipien sind eine sorgfältige Einführung der Spiele und der aufsteigende Schwierigkeitsgrad. Das Material ist ansprechend, die Differenzierungsfor- men sind überraschend abwechslungsreich und motivierend. Die Kinder reagieren positiv auf Spiele und Thema. Ihnen gefällt, dass sie kognitiv herausgefordert werden – Erwachsenen ebenso. – Cornelia Biffi C. Roebers u.a. Nele und Noa im Regenwald. Berner Material zur Förderung exekutiver Funktionen – Manual und Spielebox. München: Ernst Reinhardt, 2014. Mit CD-ROM. AKZENTE 1/2016 Foto: Christoph Hotz Medientipps 1 FILMSCHULE «Es gibt nur eine Regel: Keine Langeweile.» Das knappe Vorwort und ein Bild von zwei Jungs mit Sonnenbrille und Knarre erklären gleich den Tarif: Filmprojekte mit Kindern und Jugendlichen sollen primär Spass machen und das Ziel verfolgen, kurze, unterhaltsame, mit einfachen Mitteln umgesetzte Filme zu produzieren. Der Ratgeber «Film School» liefert umfangreiches Basiswissen dazu. Wie finde ich eine originelle Filmidee? Was ist beim Dreh zu beachten? Wie erreicht der Film ein grosses Publikum? Über (fast) jeden Aspekt der Filmproduktion wird anschaulich berichtet. Darüber hinaus ist das Buch eine Fundgrube mit praktischen Tipps, Links und Adressen. Klaus Weller, Filmemacher, Dramaturg und Gründer von Jugendfilm e. V., spricht Lehrpersonen und Jugendarbeiter an, die ein ambitioniertes Filmprojekt oder eine Projektwoche planen. Wer niederschwellige Ideen zur Filmbildung im Regelunterricht sucht, wird hier allerdings nicht fündig. – Dominik Roost K. Weller. Film School: Filme machen mit Kindern und Jugendlichen. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2015. 228 Seiten. 4 GESUND BLEIBEN 5 DIGITALE KOMPETENZ Als Lehrperson für sich selbst Sorge im Berufsalltag zu tragen und die individuellen persönlichen Ressourcen nutzen zu können, sind Voraussetzungen für gelingendes Unterrichten und gute Zusammenarbeit. Von dieser Grundidee geht der Autor Jürg Frick aus. Er stellt aktuell Wissenswertes zu Belastung und Gesundheit im Lehrberuf flüssig und leicht lesbar dar. Entwicklungen des Schulsystems und Rahmenbedingungen des Lehrberufs werden prägnant thematisiert und diskutiert. Und vor allem muntert er auf, die persönliche Herausforderung im Lehrberuf, gesund zu bleiben oder gesund zu werden, anzunehmen. Dazu entwickelt er 15 persönliche Pfeiler und lädt zur Selbstreflexion, Selbsterkenntnis und Selbstentwicklung ein. Ein Handbuch für Lehrpersonen, Schulleitende und Schulbehörden, das Praxis und Theorie spannend verbindet und die Leserin und den Leser bei den persönlichen Erfahrungen abholt. Sind digitale Medien gut oder schlecht? Während Manfred Spitzer 2012 die digitale Demenz postulierte, setzen sich Werner Hartmann und Alois Hundertpfund mit dieser Frage gar nicht auseinander, sie orientieren sich an der Realität. Anhand zehn ausgewählter Kompetenzen zeigen die Autoren, dass guter Unterricht selbst in einer digitalisierten Gesellschaft nicht ausschliesslich vom Einsatz möglichst vieler Tools oder technischem Knowhow abhängig ist. Vielmehr geht es um grundlegende Konzepte im Umgang mit digitalen Medien, um Kreativität, Urteilsfähigkeit und Selbstbestimmung. Hier wollen sie Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Arbeit bestärken. So folgt in jedem Kapitel nach Erläuterungen zur jeweiligen Kompetenz die Frage, was Lehrpersonen in diesem Zusammenhang wissen und können müssen, veranschaulicht durch Praxisbeispiele und weiterführende Informationen auf der Website http:// digitalekompetenz.ch. – Karl Mäder – Carola Brunnbauer J. Frick. Gesund bleiben im Lehrberuf: Ein ressourcenorientiertes Handbuch. Bern: Hans Huber, 2015. 392 Seiten. W. Hartmann, A. Hundertpfund. Digitale Kompetenz: Was die Schule dazu beitragen kann. Bern: hep verlag, 2015. 171 Seiten. Die Entdeckung der Langsamkeit Wenn es um die Mühsal des Schreibens geht, jammern selbst erfahrene Autoren auf hohem Niveau. Wie beschwerlich muss es erst sein, wenn man um jeden einzelnen Buchstaben ringt. JeanDominique Bauby erleidet mit 43 einen Hirnschlag und bleibt vollständig gelähmt. Wahrnehmung und Denken sind intakt, aber eingesperrt in seinem Körper kann er nicht mit der Aussenwelt kommunizieren. Ein Auge muss zugenäht werden, mit dem anderen kann er noch blinzeln. Mit Hilfe einer Alphabettabelle gelingt es Bauby, ein ganzes Buch zu diktieren. In «Schmetterling und Taucherglocke» (dtv 2013) beschreibt er seinen Zustand und blickt auf sein bisheriges Leben zurück. Regisseur Julian Schnabel hat Baubys Geschichte 2007 verfilmt und zeigt in starken Bildern, wie der Autor seine Ohnmacht überwindet und allen Widerständen zum Trotz und mit Humor erzählt. Auch Stephen Hawking hat trotz seiner Nervenerkrankung zahlreiche Bücher verfasst, wie im Biopic «The Theory of Everything» (Universal Pictures 2015) zu sehen ist. Als der junge Physiker im Rollstuhl sitzt und nicht mehr sprechen kann, ermöglicht ihm ein Computer, per Knopfdruck etwa vier Wörter pro Minute zu produzieren. Weit grösser waren die Hindernisse für die taubblinde Helen Keller (1880–1968). Nur dank ihrer engagierten Hauslehrerin Annie Sullivan schaffte sie den Weg aus der Isolation und erlangte mit ihren Büchern Weltruhm. In seiner preisgekrönten Graphic Novel «Sprechende Hände» (Egmont 2015) zeichnet Joseph Lambert Helens bewegende Geschichte nach und gibt Einblick in die einzigartige Beziehung zwischen Lehrerin und Schülerin. – Daniel Ammann Besprechungen weiterer Titel: blog.phzh.ch/akzente/rubrik/medientipps AKZENTE 1/2016 35 Medientipps 3 Inserate WEITERBILDUNG 10. Symposium Personalmanagement im Bildungsbereich Volksschule Was wirklich zählt! Tagung Klassenführung Arbeit – Führung – Entwicklung Wie effiziente Klassenführung gelingt! 27. Mai 2016, 13.30 – 19.00 Uhr Pädagogische Hochschule Zürich 25. Juni 2016, 9–17 Uhr Pädagogische Hochschule Zürich Infos und Anmeldung phzh.ch/symposium-personalmanagement Infos und Anmeldung phzh.ch/klassenfuehrung Sprachkursleitende im Integrationsbereich Sie möchten sich gezielt fachliche, methodische und soziale Kompetenzen für Ihren Unterricht im Bereich Deutsch als Zweitsprache für Migrantinnen und Migranten aneignen. Drei Module führen zusammen mit einem Abschluss in der Erwachsenenbildung (SVEB 1 oder gleichwertige Ausbildung) zum Zertifikat «Sprachkursleitende im Integrationsbereich»: Moduldaten mit Kursort Zürich Modul 1 Migration und Interkulturalität (MuI) Samstag 16.04. / 21.05. / 04.06.16 Modulzeiten Jeweils von 09.00 – 12.30 Uhr und von 13.30 – 17.00 Uhr Modul 2 Fremd- und Zweitsprachendidaktik (FZD) Samstag 27.8. / 17.09. / 01.10.16 Kosten CHF 700.00 inkl. Kompetenznachweis CHF 400.00 inkl. Kompetenznachweis für DaZ-Kursleitende, die bereits in Deutschkursen für Schulungewohnte im Kanton Zürich unterrichtet haben oder zum Zeitpunkt des Modulbesuchs unterrichten. Unterstützt durch die Integrationsförderung des Kantons Zürich. Modul 3 Szenariobasierter Unterricht nach fide-Prinzipien (SBU) Kurs 1 Samstag 19.03. / 09.04. / 23.04.16 Kurs 2 Samstag 28.05. / 11.06. / 25.06.16 Kurs 3 Samstag 05.11. / 19.11. / 10.12.16 Moduldaten mit Kursort Winterthur Modul 3 Szenariobasierter Unterricht nach fide-Prinzipien (SBU) Kurs 1 Samstag 16.01. / 30.1. / 13.02.16 Kurs 2 Samstag 02.04. / 16.04. / 21.05.16 36 Informationen Stiftung ECAP, Kompetenzzentrum Deutsch, Nathalie Benoit, 032 342 19 65, [email protected], www.ecap.ch AKZENTE 1/2016 Mario Bernet und Ruedi Isler – Unter vier Augen Illustration: Elisabeth Moch Mario Bernet: «Kinder brauchen keine Schule» – nicht selten wird in Tageszeitungen an deinem und meinem Stuhl gesägt. Als Alternative wird das Homeschooling vorgeschlagen. Abgesehen von unserem vitalen beruflichen Interesse: Was soll schlecht sein an dieser Idee? Ruedi Isler: Noch extravaganter ist zurzeit nur das Unschooling. Lernen soll vom Kind geleitet sein, ohne jeglichen Versuch, die traditionelle Schule und ihre Lehrpläne nachzuahmen – so heisst es im Netz. Schon April? Ein schlechter Witz! Bernet: Machst du es dir da nicht zu einfach? Ich finde, Lernen und Freiheit passen eigentlich gut zusammen. Jedenfalls war ich bereits während meiner Primarschulzeit schlecht gelaunt, als meine Mutter mich weckte. Was hätte ich verpasst, wenn ich liegen geblieben wäre? Isler: Mit deinem familiären Hintergrund hättest du sicher einen schönen und interessanten Tag vor dir gehabt: vielleicht mit einem Spaziergang zum nahen Teich mit deiner Mutter, die dir erklärt, wie Kaulquappen sich in Frösche verwandeln. Aber fehlte sie nicht doch, die Schule? Die Peers, die Arbeit in grossen Gruppen mit Regeln und die Einsicht, dass Neues auch einmal von anderen Personen als AKZENTE 1/2016 den Eltern kommen kann – alles ohne Bedeutung? Bernet: Die Kaulquappen hatten auch neben der Schule Platz – jedoch ohne wirksame Aufsicht. Der Nachbarsjunge sabotierte unsere sorgsam im Einmachglas angesetzte Zucht mit Schneckenkörnern – auch eine Lehre fürs Leben. Dein Lob der Schule leuchtet mir ein. Aber wie ernst müssen wir das nehmen, was wir früher unter «hidden curriculum» diskutiert haben: Die Schule zerstückelt die Zeit, grenzt die Bewegungsfreiheit ein und normiert das Denken. War das nur spätpubertäre Rhetorik? Isler: Ein Punkt für dich, auch ich habe vor 40 Jahren Illichs Entschulung der Gesellschaft verschlungen und sofort realisiert, dass Schule als flüchtiger Irrtum der spätkapitalistischen Gesellschaft bald verschwinden wird. Heute nun scheint sie mir für eine demokratische Gesellschaft unverzichtbarer denn je: die einzige gemeinsame, verbindende Sockelerfahrung für fast alle Menschen hier in der Schweiz. Bernet: Das höre ich natürlich gerne. Schliesslich stehe ich seit über 15 Jahren in der Schulstube und bilde mir genau das ein: Die Schule ist ein demokratisches Projekt, in dem alle Kinder ihre Chance erhalten. Ich bin mir fast sicher, dass die meisten Kinder meiner Klasse gerne zur Schule kommen. Und doch haftet am schulischen Lernen immer auch das Industrielle, Einheitliche. Müssen wir das einfach in Kauf nehmen? Isler: Nein, aber dennoch ist es der bessere Weg, als Kinder der totalen Verfügung der Eltern zu überlassen, die sie – im schlechten Fall und ohne Ergänzung durch die Schule – zu einseitig beeinflussen könnten. Ganz abgesehen davon, dass die Benachteiligung von «bildungsfernen» Kindern sich ins Unermessliche steigern würde, wenn sie zu Hause blieben. Eine sinnvoll umgesetzte öffentliche Schule dagegen bedeutet Kinderschutz, Katalysator für breite Bildung, Einführung in eine offene liberale Gesellschaft. Bernet: Nun weiss ich wieder, wozu ich auf Montag um 5.30 Uhr den Wecker stelle! Und doch müssen wir uns mal darüber unterhalten: Wie viel Freiheit lässt der Schulalltag zu? Isler: Ein brisantes Thema – speziell auch, wenn man es auf den Hochschulbereich übertragen würde. Mario Bernet (links) ist Primarlehrer, Ruedi Isler ist Pädagogikprofessor. Die zwei Bildungsexperten unterhalten sich an dieser Stelle über ein aktuelles Schulthema. 37 Unter vier Augen Wahres Lernen ohne Schule? Instagram #takeover 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1 — Meine lieben Mitstudentinnen (und ich ) arbeiteten heute fleissig an unserer Feldstudie über «Kleidung-ModeStile». 2 — Heute wird wieder unterrichtet! 3 — Aussicht aus dem PHZH-Gebäude! 4 — Deutsch-Didaktik. Elfchen bilden: 5 Zeilen & 11 Wörter. 5 — Hoch die Hände – Wochenende! 6 — # Mathematik 7 — Heute verbringe ich den ganzen Tag an der Kooperationsschule und helfe meiner Praxislehrperson beim Unterrichten einer 3. Klasse. 8 — PHZH at night ! 9 — Der grosse Fitnessraum an der PHZH! Zur Rubrik Jeweils für zwei Wochen übernimmt eine Person aus dem Schulfeld den Instagram-Account der PH Zürich (@phzuerich) und fotografiert während dieser Zeit in ihrem Berufsalltag – in diesem Fall von Anfang bis Mitte November 2015. Die besten Bilder erscheinen an dieser Stelle in der Rubrik «Instagram #takeover». Impressum «Akzente» erscheint viermal jährlich, 23. Jahrgang, Nr. 1, Februar 2016, ISSN 2296-7281 (Print), 2296-732X (Online). Herausgeberin: Pädagogische Hochschule Zürich. Redaktion: Christoph Hotz (Redaktionsleitung), Redaktor Kommunikation; Daniel Ammann, Dozent für Medienbildung; Bettina Diethelm, wissenschaftliche Mitarbeiterin; Anne Bosche, wissenschaftliche Mitarbeiterin; Vera Honegger, Redaktorin Kommunikation; Reto Klink, Leiter Kommunikation; Martina Meienberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin; Michael Prusse, Abteilungsleiter Sek II Berufsbildung. Redaktionelle Mitarbeit: Melanie Keim, Claudia Merki. Adresse: Pädagogische Hochschule Zürich, Redaktion «Akzente», Christoph Hotz, Lagerstrasse 2, 8090 Zürich, [email protected], www.phzh.ch/akzente. Grafisches Konzept: Raffinerie AG für Gestaltung, Zürich. Layout: Regi Müller, Typografische Gestalterin PH Zürich. Druck: FO-Fotorotar, Egg ZH. Inserate: IEB AG, Industriestrasse 6, 8627 Grüningen, Tel. 043 833 80 40, Fax 043 833 80 44, [email protected], www.ieb.ch. Abonnemente: Jahresabonnement CHF 20.– inkl. Porto, Pädagogische Hochschule Zürich, Vera Honegger, Lagerstrasse 2, 8090 Zürich, [email protected]. Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier. 38 AKZENTE 1/2016 Fotos: Fabienne Gassmann Instagra m #takeover Zur Fotografin Fabienne Gassmann studiert an der PH Zürich auf der Primarstufe. Neben dem Studium arbeitet sie als Flight Attendant. Sie postet auf Instagram unter dem Namen @w_wide. Inserate Von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich bewilligte Privatschule Integrationsprogramme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Rasche und nachhaltige Integration in die Regelklasse Ganz- und Halbtagsvariante möglich 26/20 Lektionen pro Woche in Kleingruppen Mittagstisch Dübendorf Horgen Winterthur Zürich + 41 (0)43 888 70 70 | www.allegra-sprachen.ch | [email protected] Moodle – die unab Vernetzt Lernen mit Moodle. Als Lehrmittelspezialist beraten und schulen wir Sie gezielt. hängige Lernplat tform Ein Unternehmen der FO-Gruppe zertifizierter Kursentwickler FO-Publishing | Gewerbestrasse 18 | CH-8132 Egg Telefon +41 44 986 35 70 | Fax +41 44 986 35 71 E-Mail [email protected] | www.fo-publishing.ch Lernen mit Embru Die Schule Niederweningen setzt auf Embru Schulmobiliar, um gezieltes Lernen zu ermöglichen. Perfekt eignen sich die Lernateliertische und zugehörigen Stühle von Embru, wie sie im Heft 4 «Akzente» der PHZH abgebildet sind. Individuelles lernen verlangt nach individuellen Lösungen – Embru hat sie. 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