Lewinsky Zum70.legter einenneuen Romanvor 12 DerFremde

Nr. 2 | 28. Februar 2016
NZZ am Sonntag
Lewinsky
Zum 70. legt er
einen neuen
Roman vor
12
Der Fremde
Albert Camus’
Klassiker wird
umerzählt
10
Die Schweizer
Wie sie Politik
zur Komödie
machen
18
Terrorjahre
Ein Buch bringt
Bundesbern
in Bewegung
21
Bücher
am Sonntag
Wir regen uns auf über
obligatorische Kindersitzli,
obwohl wir unsere Kinder
nie ohne Kindersitz
im Auto fahren lassen.
Aus «‹D Finger ab de Röschti!› ist der erste Bürgerwunsch» von Monika Bütler
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Inhalt
Weggehen
und sich der Welt
annähern
Nr. 2 | 28. Februar 2016
NZZ am Sonntag
Lewinsky
Zum 70. legt er
einen neuen
Roman vor
12
DerFremde
Die Schweizer
Albert Camus’ Wiesie Politik
Klassiker wird zur Komödie
umerzählt
machen
10
18
Terrorjahre
Ein Buch bringt
Bundesbern
in Bewegung
21
Bücher
am Sonntag
Charles Lewinsky
(Seite 12).
Illustration von
André Carrilho
Ein Glas Wein trinken. Aufstehen. Weglaufen. Und Punkt: sich kein
einziges Mal mehr nach der Welt umdrehen. Es können die Vorlagen eines
Abstimmungssonntags sein, die solchen Eskapismus stimulieren; es
können die Zumutungen eines jeden Tages sein, das Schreien der Kinder,
das Schweigen der Menschen, die die Sehnsucht nach dem Ausbruch
wecken. Was aber, wenn es nichts ist, das einen in die Leere treibt? In Peter
Stamms neuem Roman (S. 4) steht einer auf und geht – und keiner weiss,
warum. Der Drang nach Freiheit, nimmt man an, führt den Helden «weit
über das Land», dem Wesentlichen entkommt er aber weder in Wäldern
noch auf Bergen: Die Liebe bindet den Entflohenen ans Daheim zurück.
Die Flucht ist eine vermeintliche: Das gilt auch für den Rückzug ins
Schöngeistige, den wir diesen Monat mit einer ganzen Reihe von Büchern
aus dem Kunstbereich anzutreten scheinen. Wir widmen uns den
Dadaisten – und lernen subversive Protestformen gegen das Datensammeln
kennen (S. 16); wir spazieren durch lyrische Klangräume – und stossen auf
landschaftliche Industrialisierungsverheerungen (S. 8); wir horchen in die
helvetische Volksmusik – und gehen den Schalmeienklängen erfundener
Traditionen nach (S. 26); wir schauen auf den erfolgreichsten aller Schweizer Filme – und landen wieder mitten im Abstimmungssonntag (S. 18).
Ein Glas Wein trinken. Lesen. Abtauchen. Und sich der Welt zuwenden.
Wir wünschen anregende Lektüre. Claudia Mäder
Belletristik
4
Peter Stamm: Weit über das Land
Von Charles Linsmayer
6 Norbert Gstrein: In der freien Welt
Von Jürg Scheuzger
Christine Lavant: Zu Lebzeiten veröffentlichte
Erzählungen
Von Manfred Papst
7 Thea Dorn: Die Unglückseligen
Von Stefana Sabin
8 Marion Poschmann: Geliehene
Landschaften
Von Dorothea von Törne
9 Walter Serner: Der rote Strich
Von Martin Zingg
Franco Item (Hrsg.): Davos – zwischen
Bergzauber und Zauberberg
Von Gerhard Mack
10 Kamel Daoud: Der Fall Meursault – eine
Gegendarstellung
Von Susanne Schanda
11 Hannah Arendt: Ich selbst, auch ich tanze
Von Claudia Mäder
Kurzkritiken Belletristik
11 G. K. Chesterton: Vier verehrungswürdige
Verbrecher
Von Gundula Ludwig
Rebecca C. Schnyder: Alles ist besser
in der Nacht
Von Manfred Papst
Emmy Hennings: Gefängnis. Das graue Haus.
Das Haus im Schatten
Von Manfred Papst
Isabel Bogdan: Der Pfau
Von Claudia Mäder
Interview
12 «Schreiben ist wie Bergsteigen»
Charles Lewinsky im Gespräch
mit Manfred Papst
Rolf Lyssys «Schweizermacher» (mit Beatrice Kessler und
Emil Steinberger) ist heute so aktuell wie eh (S. 18).
Kolumne
15 Charles Lewinsky
Das Zitat von Woody Allen
Kurzkritiken Sachbuch
15 Elisabeth Raabe: Eine Arche ist eine Arche
ist eine Arche
Von Kathrin Meier-Rust
Caitlin Doughty: Fragen Sie Ihren Bestatter
Von Simone Karpf
Jolanda Spirig: Sticken und Beten
Von Kathrin Meier-Rust
Marc Augé: Lob des Fahrrads
Von Claudia Mäder
Sachbuch
16 Martin Mittelmeier: Dada
Arp Museum: Genese Dada
Kunsthaus Zürich: Dadaglobe Reconstructed
Von Ina Boesch
18 Georg Kohler, Felix Ghezzi (Hrsg.): «Die
Schweizermacher» – Und was die Schweiz
ausmacht
Von Simon Spiegel
19 Steffen Martus: Aufklärung. Das deutsche
18. Jahrhundert – ein Epochenbild
Von Manfred Koch
Ronald D. Gerste: Wie das Wetter
Geschichte macht
Von Florian Oegerli
20 Sacha Batthyany: Und was hat das
mit mir zu tun?
Von Claudia Kühner
Gary A. Haugen, Victor Boutros:
Gewalt – die Fessel der Armen
Von Michael Holmes
21 Marcel Gyr: Schweizer Terrorjahre. Das geheime
Abkommen mit der PLO
Von Kathrin Alder
22 Gerald Stourzh: Die moderne Isonomie
Von Carlo Moos
D. Rosenberg, A. Grafton: Die Zeit in Karten
Von Kathrin Meier-Rust
23 Nir Baram: Im Land der Verzweiflung
Von Klara Obermüller
24 Wilfried F. Schoeller: Franz Marc
Maria Marc: «Das Herz droht mir manchmal
zu zerspringen»
Von Anja Hirsch
25 Birgit Dankert: Michael Ende
Von Sieglinde Geisel
Victor Chu: Vaterliebe
Von Walter Hollstein
26 D. Ringli, J. Rühl: Die Neue Volksmusik
Von Corinne Holtz
Das amerikanische Buch
John Donvan, Caren Zucker: In a Different Key:
The Story of Autism
Von Andreas Mink
Agenda
27 B. Marshall, P. Townshend, R. Daltrey: The Who
Von Manfred Papst
Bestseller Februar 2016
Belletristik und Sachbuch
Agenda März 2016
Veranstaltungshinweise
Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion Claudia Mäder (cmd., Leitung), Simone Karpf (ska.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)
Ständige Mitarbeit Urs Bitterli, Hildegard Elisabeth Keller, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Sandra Leis, Charles Lewinsky, Andreas Mink, Klara Obermüller,
Angelika Overath, Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hanspeter Hösli (Art Director), Urs Schilliger (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), Korrektorat St.Galler Tagblatt AG
Verlag NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 0442581111, Fax 0442617070, E-Mail: [email protected]
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3
Belletristik
Roman In «Weit über das Land» erzählt Peter Stamm die bewegende
Geschichte von zwei Liebenden, die sich sich räumlich voneinander
entfernen und sich dabei doch nur immer näher kommen
Ausbruchaus
demGefängnis
desAlltags
Peter Stamm: Weit über das Land.
S. Fischer, Frankfurt am Main 2016.
223 Seiten, Fr. 28.90, E-Book 21.–.
Von Charles Linsmayer
Wer, von Peter Stamms letztem Roman
«Nacht ist der Tag» herkommend, «Weit
über das Land» aufschlägt, gerät von der
spektakulärsten Dramatik in die nüchternste Alltäglichkeit. Dort erwacht die
Moderatorin Gillian mit einem bis zur
Unkenntlichkeit zerschlagenen Gesicht
im zertrümmerten Auto neben ihrem
toten Mann, hier kommen Thomas und
Astrid mit ihren Kindern von einem Ferienaufenthalt nach Hause, trinken, als
die Kinder im Bett sind, vor dem Haus
noch ein Glas Wein. Nichts deutet auf
etwas Ungewöhnliches in der Beziehung
zwischen dem seriösen, ausgeglichenen
Handelsreisenden und der fürsorglichen, tüchtigen Hausfrau und Mutter
hin, als Thomas, während Astrid hineingeht und nach einem Kind schaut, das
Gartentor öffnet und wie ein Traumwandler der Strasse entlang fortgeht, um
nicht mehr zurückzukehren.
Himmlische Verbundenheit
Es gibt immer wieder Aufbrüche und unvermittelte Abschiede in Peter Stamms
Werken – die Powerfrau Sonja macht sich
2009 in «Sieben Jahre» plötzlich auf und
davon, Andreas in «An einem Tag wie
diesem» reist 2006 unvermittelt aus
Paris ab –, aber auf eine derart überraschende, scheinbar vollkommen unbegründete Art und Weise hat sich bei
Stamm noch nie eine Figur von ihren Angehörigen entfernt. «Die Leere der Nacht
schien ihn vorwärts zu ziehen», ist zunächst die einzige Erklärung für dieses
Weggehen, das sofort die Züge einer um
4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
Tarnung und das Verwischen aller Spuren bemühten Flucht durch Wälder und
unbewohnte Gegenden in Richtung
Süden annimmt, und es dauert lange, bis
man beim Lesen eine Ahnung davon bekommt, was diesen Thomas tatsächlich
zu seiner Odyssee durch die alpine
Schweiz und schliesslich durch ganz Europa antreibt.
«Freiheit war mir immer wichtiger gewesen als Glück», hiess es schon 1998 in
«Agnes», und neben dem «Hochgefühl
des Unterwegsseins» und der «Freude
einer Zukunft, die nicht vorgegeben
war», ist es wohl ein solch unbändiger
Freiheitsdrang, der Thomas zu seiner
Flucht treibt. Selbst die einsame Berghütte, in der er den ersten Winter verbringen will, kommt ihm bei aller Knappheit der Ressourcen «nicht wie ein Gefängnis vor», «im Gegenteil, er fühlte
sich frei wie nie zuvor». Aber obwohl er,
da und dort als Gelegenheitsarbeiter
tätig, sogar Zerstreuungen wie Musik
oder Lektüre als «Ablenkung vom Wesentlichen» von sich wegweist, geht ihm
etwas die ganze Zeit, ja die ganzen Jahre
und Jahrzehnte doch nicht aus dem
Kopf: die Liebe zu Astrid, seiner verlassenen Frau, der er sich, ohne ihr je wieder
ein Lebenszeichen zu gönnen, nahe fühlt
wie eh und je. Prostituierte interessieren
ihn nicht, und wenn er sich mit einer anderen Frau einlässt, schämt er sich anschliessend «für seine Untreue», denn
wie viele andere Frauen in Stamms Büchern – etwa die rundliche Lehrerin
Lydia in der Erzählung «Siebenschläfer
oder die hässliche Iwona» in «Sieben
Jahre» – übt auch diese stille, durch
keinerlei Besonderheiten auffallende
ehemalige Buchhändlerin auf ihren ungetreuen Gatten einen ebenso unerklärlichen wie unwiderstehlichen Zauber
aus. Obwohl sie rein gar nichts mehr von-
einander wissen, erzeugt der Gedanke an
Astrid in ihm bis zuletzt «ein Gefühl von
Geborgenheit», und es kommt ihm vor,
«als seien er und sie zwei Himmelskörper, die, durch die Gravitation verbunden, einander umkreisten, ohne sich jemals näher zu kommen».
Stamm lässt uns nicht einfach diesem
Thomas «weit über das Land» folgen, er
ermöglicht es uns, in ebenso vielen Erzählsequenzen auch nachzufühlen, wie
Astrid mit dem Versetztwerden umgeht
und wie sich ihr Verhältnis zum abwesenden Thomas entwickelt.
Nach anfänglicher Konsternation bekommt in ihr die Vernunft die Oberhand.
Zunächst denkt sie, Thomas komme bald
zurück, sie meldet ihn beim Arbeitgeber
als krank, vertröstet die Kinder. Später
nimmt sie Kontakt zum Polizisten Patrick auf, der sie auf eine für seine Stellung ungewöhnlich persönliche Weise
umsorgt, und als die Kreditkarte Thomas’ Aufenthaltsort verrät, verfolgt sie
ihn bis in die Innerschweiz, sieht dann
aber ein, dass er «als Erwachsener das
Recht hat, unterzutauchen». Selbst als er
AYSE YAVAS
Peter Stamm (hier
in Winterthur,
19.02.2016) lässt
seinen Helden durch
Wälder hindurch ins
freie Leben fliehen.
nach dem Sturz von einem Felsen, an
dem ein Stück Kleidung hängenblieb, für
tot erklärt und pro forma beerdigt wird,
glaubt sie als einzige nicht an seinen Tod.
Im Unterschied zum romantisch verliebten Thomas lautet ihre Losung: «Man
liebt, worum man sich bemüht, und man
bemüht sich um das, was man liebt.»
Eine nüchterne Haltung, aus der heraus
sie jedoch Thomas mindestens so treu
bleibt wie er ihr. Nachts teilt sie erotische
Wachträume mit ihm, und während Patrick findet, Thomas habe sich «wie ein
Schwein benommen», schafft sie es
nicht, auf ihn wütend zu sein. Sie trägt
weiter seinen Ring, fühlt sich durch sein
Wegbleiben aus der alltäglichen Welt
herausgehoben und weiss in stummer,
leidender Treue: «Erst durch seine Rückkehr würde die Zeit wieder zu laufen beginnen.»
Während Thomas, vom «glücklichen
Gefühl der Allgegenwärtigkeit» getrieben, seine Freiheit auslebt, bleibt Astrid
allerdings nichts anderes übrig, als die
ganze Schwere des Verlassenwerdens
passiv hinzunehmen. Was sich beson-
ders im Umgang mit den beiden Kindern
zeigt. Wer je selbst erlebte, wie ein Kind,
das von Vater oder Mutter verlassen
wurde, sich als Ersatz einen Hund
wünschte und dem vermissten Elternteil
eine gemalte ferne Insel als Aufenthaltsort zuordnete, wird Peter Stamms feinfühlige Charakterisierung dieser verlassenen Mutter nicht ohne innere Bewegung hinnehmen können.
Rührendes Finale
Stamm hat sich für seine Geschichte bis
zu einem gewissen Punkt von Nathaniel
Hawthornes Erzählung «Wakefield»
(1835) inspirieren lassen. Da geht es um
einen Londoner, der ohne ersichtlichen
Grund seine Ehefrau verlässt, sich aber
eine Strasse weiter drüben einmietet und
die Frau zwanzig Jahre lang von ferne beobachtet, um am Ende «gleichmütig, als
wäre er nur einen Tag fort gewesen»,
wieder zur Türe herein zu treten und bis
zum Tod «ein liebender Gatte» zu sein.
Anders als Wakefield gerät Stamms so
ganz anderer Thomas aber nicht in Gefahr, durch sein Ausbrechen aus dem
System der Menschenwelt zum «Ausgestossenen des Universums» zu werden,
denn er bleibt wie mit unsichtbaren
Fäden an Astrid gefesselt.
«Wenn wir uns trennen, bleiben wir
uns», lautet das von Markus Werner entlehnte Motto des Buches, und die scheinbar gelöste und sich doch immer stärker
verfestigende Verbindung zwischen den
zwei sich räumlich voneinander entfernenden Menschen ist es denn auch, die
in ihrer ab- und zunehmenden Spannung
und im Hin und Her zwischen den zwei
Erlebnisebenen das Faszinosum dieses
Romans ausmacht. Obwohl es grösstenteils aus exakten Landschaftsbeschreibungen besteht, schlägt einen das stille
Buch damit so sehr in seinen Bann, dass
man es nicht mehr aus der Hand legen
kann und atemlos auf das Finale hinfiebert – auf einen Ausgang hin, der hier,
um künftige Leser nicht um ihr Vergnügen zu bringen, verschwiegen werden
soll, der aber, dies sei immerhin eingestanden, selbst einen abgebrühten, seit
vierzig Jahren tätigen Kritiker noch zu
Tränen zu rühren vermochte. ●
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5
Belletristik
Roman Der Österreicher Norbert Gstrein legt sein bisher ambitioniertestes Buch vor
EintoterAutorundvieleFragenzurWelt
Norbert Gstrein: In der freien Welt.
Hanser, München 2016. 496 Seiten,
Fr. 35.90, E-Book 19.90.
Von Jürg Scheuzger
Der österreichische Autor Hugo erfährt,
dass sein Freund John in San Francisco
brutal ermordet worden ist. Von dieser
Gewalttat ausgehend, hat der österreichische Autor Norbert Gstrein seinen
Roman «In der freien Welt» konstruiert, in
dem er vom Leben eines jüdischen Mannes in den USA erzählt, in dem es um den
Konflikt zwischen Israel und Palästina
geht, um das Nachwirken der Shoah, um
Fragen der Kunst. Einen Roman, der irritieren soll, der (zu) viele Fragen aufwirft
und keine beantworten kann, der einen
im besten Sinne unbefriedigt zurücklässt.
Schon 1999 hat sich Norbert Gstrein in
dem Roman «Die englischen Jahre» mit
den Folgen der Shoah beschäftigt. In «Eine
Ahnung vom Anfang» (2013) geht es um
christlich begründeten Rechtsradikalismus und um die Gewaltbereitschaft eines
jungen Mannes. Der Autor ist Vertreter
einer «littérature engagée» im 21. Jahrhundert, ohne dass er je der Schwarz-WeissMalerei verfällt. Dies gilt auch für den
neuesten Roman «In der freien Welt».
Menschliche Widersprüche
Gstreins Ich-Erzähler Hugo, in dessen
Leben biografische Parallelen zu seinem
Autor zu finden sind, ist, wie es der literarischen Tradition entspricht, ein Mann
ohne Eigenschaften. Er fliegt in der Welt
herum, ist von Schreibhemmungen geplagt, finanziell abgesichert dank eines
Romans über eine politische Plagiats-Affäre, den er unter einem Pseudonym geschrieben hat. In Stanford hat er vor Jahrzehnten John kennengelernt, und Johns
Lebensgeschichte ist der Kern des Ro-
mans, erzählt in einem raffinierten Hin
und Her zwischen Zeiten und Orten.
John ist ein Jude, dessen Mutter vor
den Deutschen hat fliehen können, er ist
aufgewachsen in der Bronx, als Jugendlicher Mitglied einer antisemitischen Gang,
im Libanon-Krieg von 1982 Soldat in der
israelischen Armee, er ist Alkoholiker und
dann ein beinahe sektiererisches Mitglied
der Anonymen Alkoholiker, er ist ein hemmungsloser Womanizer – mit einer Grösse
von 1,95 Meter und langen schwarzen Locken –, er ist Dichter, Erzähler und Maler,
der den Spät-Expressionismus auf die
Spitze treibt. Gstrein hat mit diesem Helden viel gewagt: John ist mehr als ein
Mensch mit seinem Widerspruch, er ist
ein Mensch, den es geradezu zerreisst, er
ist als literarisches Konstrukt die personifizierte Ablehnung der politischen Korrektheit und als Identifikationsfigur ungeeignet. «Er war kein schlechter Mensch»,
sagt sein Zwillingsbruder, und Hugo überlegt sich: «John war kein schlechter
Mensch gewesen, aber er war auch keiner,
über den man das so mir nichts, dir nichts
sagen konnte. […] Es war nicht falsch, aber
es war in seiner Gönnerhaftigkeit auch
nicht richtig, und irgendwo dazwischen
war die Geschichte zu erzählen.»
Weshalb ist John ermordet worden? –
Im Sommer 2013 ist er zu einem literarischen Kolloquium nach Gmunden eingeladen worden, zusammen mit einem
palästinensischen Autor, Marwan. Die Begegnung der beiden scheint zu gelingen,
und ein ahnungslos wohlmeinender
Mensch kommt auf die Idee, die beiden
Autoren sollten je eine Geschichte schreiben, und das sollte ein schönes Büchlein
ergeben. Marwan sendet Hugo seinen
Text einen Monat nach der Ermordung
Johns, und dies ist ein Bericht, wie die Tat
geschehen ist – oder hätte geschehen sein
können. War es also ein politischer Mord –
und nicht doch ein Drogendelikt, wie man
hätte vermuten können? Zudem widmet
Marwan die Erzählung Sirhan Sirhan,
dem Mörder Robert Kennedys!
Mehrmals reist Hugo ins Westjordanland, um Marwan zu treffen. Erfolglos.
Gstrein widmet sich dem Elend zwischen
Israel und Palästina, und sein anschaulicher Text ist eine bedrückende Lektüre.
Der Autor erspart sich und uns Betroffenheitsliteratur: Die Menschen im Westjordanland erscheinen dem Ich-Erzähler
zwiespältig, er identifiziert sich mit niemandem. In Israel hat Hugo Freunde, und
in Tel Aviv fühlt er sich manchmal beinahe wohl. Einer der Freunde, ein Schriftsteller, wird zum Sprachrohr einer bitteren Kritik an der israelischen Politik. Der
hoffnungslos scheinende Konflikt entzieht sich wohl der fiktionalen Literatur,
die entsprechenden Passagen gehören
nicht zu den besten des Romans.
American Novel als Vorbild
Was hier als relativ übersichtlicher Plot
wiedergegeben wird, macht nur einen
Teil des Buches aus. Gstrein will sehr viel,
«In einem freien Land» ist sein bisher ambitioniertestes Werk. Zu erwähnen wären
die Diskussionen über die Kunst, über
den Vorrang von Inhalt oder Form; auffallend ist die Kritik an San Francisco, namentlich daran, wie die Stadt sich wegen
der Nähe zum Silicon Valley verändert
hat. Natürlich fehlen Ausfälligkeiten gegen Österreich und die Österreicher nicht.
Auch enthält der Roman viele Anspielungen auf Werke und Autoren der Weltliteratur. John sagt einmal zu Hugo: «If you
write about me, you have to write an
American novel, a great American novel!
Promise…» So kann man Gstreins Roman
verstehen: als Versuch eines deutschsprachigen Autors, einen «grossen amerikanischen Roman» zu schreiben, wie Philip
Roth, wie John Updike, wie so viele andere. Hugo hat es John versprochen. ●
Erzählungen Eine erste Gesamtausgabe macht Prosatexte der Lyrikerin Christine Lavant zugänglich
Realistisch bis zur Unerträglichkeit
Christine Lavant: Zu Lebzeiten veröffentlichte Erzählungen. Hrsg. von K. Amann
und B. Strasser. Wallstein, Göttingen
2015. 800 S., Fr. 49.90, E-Book Fr. 33.90.
Von Manfred Papst
Christine Lavant wusste, wovon sie
sprach, wenn sie über Krankheit und
Elend, Bigotterie und Gewalt in der österreichischen Provinz in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts schrieb.
Geboren wurde sie 1915 als Christine
Thonhauser in St.Stefan im Lavanttal;
ihren Namen borgte sie beim Fluss, der
durch ihren Heimatort fliesst. Sie war das
neunte Kind eines Bergmanns und zeit
ihres Lebens krank an Leib und Seele.
Mehrfach versuchte sie, sich umzubringen. Verheiratet war sie mit einem mit6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
tellosen Landschaftsmaler. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie über Jahrzehnte in Heimarbeit als Strickerin.
Literarische Anerkennung fand sie vor
allem mit ihren Gedichtbänden «Die
Bettlerschale» (1956), «Spindel im Mond»
(1959) und «Der Pfauenschrei» (1962), die
in ihrer höchst eigenwilligen Sprache
einem christlich imprägnierten Existenzialismus zuzurechnen sind. Neben ihrer
Lyrik hat Christine Lavant zu Lebzeiten
zwölf Erzählungen von höchst unterschiedlichem Inhalt und Umfang publiziert, die hier als zweiter einer auf vier
Bände angelegten Werkausgabe in mustergültiger Edition vorliegen.
Symbolisch aufgeladene Texte stehen
neben solchen, die in ihrem kruden Realismus von fast unerträglicher Intensität
sind. Das gilt vor allem für die autobiografisch grundierten Texte «Das Kind»
(1948) und «Das Krüglein» (1949), wobei
letzterer mit seinen 170 Seiten Umfang
und seinem reichen Arsenal an Figuren
eigentlich eher ein Roman ist. Erzählt die
Autorin in «Das Kind» von sich selbst
während eines achtwöchigen Krankenhausaufenthalts, der das neunjährige, an
Skrofulose leidende Mädchen mit knapper Not vor dem Erblinden rettet, so
berichtet sie in «Das Krüglein» von der
gesamten Familie und der näheren Verwandtschaft. Was sich da an Gewalt,
Hass und Borniertheit ereignet, ist ganz
und gar furchtbar; doch die Autorin
bannt die Schrecknisse, indem sie sie
schildert, und setzt auf die befreiende
Kraft der Liebe und der Phantasie. Einen
weiteren Höhepunkt ihres Erzählens bildet die vermutlich 1946 entstandene Geschichte «Der Knabe», die erst 1969 in der
Sammlung «Nell» erscheinen konnte. ●
Roman Die bekannte Krimiautorin Thea Dorn hat einen spannenden Wissenschaftsroman verfasst,
der Phantasie mit Historie verbindet und der Unsterblichkeit nachspürt
WenneineMolekularforscherin
dieGoethezeitentdeckt
Thea Dorn: Die Unglückseligen.
Knaus, München 2016. 550 Seiten,
Fr. 36.90, E-Book 23.90.
Es beginnt wie ein Wissenschaftsroman:
Johanna, eine renommierte deutsche
Molekularbiologin, reist in die USA, wo
sie fern «deutscher Bedenklichkeiten»
ihre gentechnischen Untersuchungen
weiterführen will. «Es war ihr Lebensprojekt, sämtlichen Zellen im menschlichen Organismus Regenerationskräfte
zu verleihen, die weit über das natürliche Mass hinausgingen, damit zugleich
die Zellalterung abzuschaffen und also
den Weg zur Unsterblichkeit zu ebnen.»
Aber schon bald nach ihrer Ankunft gerät
ihre Forschung aus den Fugen und sie
selbst in den Bann eines merkwürdigen
Mannes: halb weltfremder Spinner und
halb weiser Einsiedler, verfügt dieser
über eine erstaunliche Regenerationskraft, so dass Wunden innerhalb von
Tagen heilen und ganze Glieder nachwachsen. Die Wissenschafterin ist erstaunt, ungläubig, dann neugierig – und
lässt eine Genanalyse durchführen, die
sie erst recht ins Staunen bringt. «Der
Kerl, der ihr seit Tagen weismachen wollte, er sei über zweihundert», muss Johanna feststellen, «war nach allen Gesetzen der modernsten Wissenschaft gerade einmal Anfang dreissig.»
Der Teufel erzählt
Und so geht der Wissenschaftsroman ins
Phantastische über. Denn dieser über
Zweihundertjährige ist Johann Wilhelm
Ritter, der berühmte Physiker der Goethezeit, der für seine galvanischen Versuche berüchtigt wurde. Tatsächlich ist
Ritter mit gerade einmal zweiunddreissig gestorben, nachdem er auch am eigenen Körper galvanische Experimente
durchgeführt hatte. Im Roman gelingt
Ritter das Sterben nicht, weil seine Verletzungen immer wieder heilen. Er wird
zum Abenteurer, der über geographische
und chronologische Grenzen hinweg
wandert; zum Verfluchten, der an seinem Leben und an seiner Langlebigkeit
verzweifelt; zum Getriebenen, der nie
zur Ruhe kommt – bis er Johanna trifft.
Gemeinsam wollen sie das Geheimnis
seiner Langlebigkeit und also der Unsterblichkeit knacken. Zwar streiten Johanna und Ritter unentwegt über Gott
und seine Schöpfung, über Naturwissenschaft und Forschung, und ihre Auseinandersetzungen spiegeln grundsätzliche
Positionen der Wissenschaft wider. «Anstatt den Weltatem zu fühlen», wirft Ritter der Molekularbiologin vor, «seht ihr
Teile bloss und meint gar noch, ihr
gewönnet etwas, wenn’s immer kleinere
J!URGEN LÖSEL / VISUM
Von Stefana Sabin
In der Zellforschung,
die Thea Dorns
Protagonistin
betreibt, gehören
Zebrafische zu
den beliebtesten
Forschungsobjekten.
Hier: Aquarien des
Max-Planck-Instituts.
und kleinere Teile werden, die ihr sichtbar macht». Ganz im Sinne seiner Epoche
will Ritter Naturwissenschaft als Wissen
von der Natur verstehen, während Johanna dieses Wissen benutzen will, um
die Natur zu verändern. «Da frage ich
mich», erwidert sie ihm, «wer von uns
beiden der Hochmutigere ist: Ich, die ich
lediglich den Menschen von Krankheit,
Alter und Tod befreien will? Oder Sie, der
Sie gleich die ganze Schöpfung erlösen
wollen?» So erhält der Wissenschaftsroman eine ethisch-philosophische Grundierung, die das Phantastische auf die
Gegenwart zurückführt, bevor er ins
Gruselige wechselt.
Denn nachdem es Johanna mit den
Mitteln der Molekularbiologie nicht gelungen ist, hinter die genetische Mutation, der sie Ritters Langlebigkeit zuschreibt, zu kommen, versucht sie es mit
Galvanismus, dann mit Teufelsanbetung. Zwar bleibt die erlösende Erkenntnis aus, aber Erlösung finden die beiden
Unglückseligen schliesslich doch – allerdings nicht in einem gemeinsamen
Glück, sondern im gemeinsamen Tod.
Man kann in diesem unglücklichen
Ende einen moralischen Unterton erkennen. Sonst bleibt der Roman auf angenehme Art unpathetisch – nicht zuletzt
dank der Erzählerfigur, die die Figuren
und ihr Handeln begleitet und beobachtet: Dieser Erzähler ist der Teufel selbst!
Am Anfang des Romans stellt er sich dem
Leser vor; immer wieder unterbricht er
dann das Geschehen, um die emotionalen und gedanklichen Verrenkungen der
beiden Hauptfiguren zu kommentieren;
am Ende des Romans wendet er sich wieder an den Leser und bekundet seine
Enttäuschung: «Und einsehn muss ich
ohne Schimpf, dass ich Frau Doktor
überschätzt. Im Anfang stolze Forscherin
– im End’ doch eben bloss ein Weib.»
Mit epischer Sicherheit
Den Teufel als Erzähler einzusetzen, ist
ein geschickter narrativer Trick, der der
Schriftstellerin Thea Dorn eine unpathetische Sympathie für die Figuren und zugleich Distanz zum Geschehen erlaubt.
Dorn, die 1970 in Offenbach am Main geboren wurde und ihren Künstlernamen
in Anspielung auf den Frankfurter Philosophen Theodor W. Adorno gewählt hat,
hat mehrere Krimis, für die sie Preise
bekommen hat, und Theaterstücke geschrieben, dazu Film- und Fernsehdrehbücher sowie Essays verfasst, und sie ist
auch als Fernsehmoderatorin bekannt.
In diesem Roman baut sie aus historischem und philosophischem Material
eine einfache Handlung auf, die sie mit
epischer Sicherheit durch unerwartete
Wendungen auf das Ende hin führt. Aber
es ist weniger die Handlung an sich als
die Mischung aus historisierender und
modernistischer Erzählung, aus komischen und tragischen Episoden und der
den Figuren jeweils nachempfundene
Sprache, die den Reiz des Romans ausmachen. ●
Global Times
Der packende Roman von Toni Stadler
zur weltweiten Mobilität von
Menschen, Ideen, Kulturen, Religionen
und Gewalt.
buch.ch | thalia.ch | exlibris.ch | tonistadler.com
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7
Belletristik
Gedichte Die deutsche Autorin Marion Poschmann zeigt sich in ihrem vierten Lyrikband als sanfte
Melancholikerin und sensible Malerin mit Worten
DurchKlangräumeinGedankenpärke
Marion Poschmann: Geliehene
Landschaften. Suhrkamp, Berlin 2016.
118 Seiten, Fr. 28.90, E-Book 21.–.
Die Kohleindustrie in
Nordrhein-Westfalen
(hier: Garzweiler)
inspiriert Marion
Poschmann zu
kritischen Gedichten.
Lehrgedichte und Elegien verspricht
der Untertitel des Buches. Auf traditionelle Metren und Klangmittel wie Reime,
Alliterationen und Assonanzen greift
Poschmann in beiden zurück. Sie entwirft Gedichte als Klangräume. Was die
Inhalte der «Lehrgedichte» betrifft, so
sind sie gänzlich undidaktisch. Philosophierend widmen sie sich den Zusammenhängen zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt, der Vergänglichkeit –
oder der «Natur des Menschen».
Anhand der Ästhetik von Dingen führt
Poschmann den Leser in den Kaliningrader Bernsteinpark und stellt eine Landschaft aus, in der sich historische Szenerien eines ideologisch manipulierten
Lebens abspielen. Grotesk wirken die Blumenrabatten als Sprache der politischen
Macht: «Petunienlenin», «Stalin als Stiefmütterchen». Abbilder der Natur finden
sich hier kaum, eher ein Gedankenpark
aus karnevalesken und militanten Zerrbildern menschlicher Gemeinschaft.
Ähnlich explizit politisch wird Marion
Poschmann auch im letzten, titelgebenden Kapitel: «Geliehene Landschaften».
Trakl’sches Schwarz breitet sich in «Jülich-Grevenbroich-Erkelenz» aus, einem
Gedicht, das die Vernichtung von Landschaft durch Kohleindustrie und Kraft-
www.fischerverlage.de
Peter Stamm über den
einen Moment, der unser
Leben in Frage stellt
Ein Mann steht auf und geht. Einen Augenblick
zögert Thomas, dann verlässt er das Haus, seine Frau
und seine Kinder. Astrid, seine Frau, fragt sich
zunächst, wohin er gegangen ist, dann, wann er
wiederkommt, schließlich, ob er noch lebt.
224 Seiten, gebunden, sFr. 26,90 (UVP)
8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
werksanlagen in Nordrhein-Westfalen,
unweit von Essen, dem Geburtsort der
Autorin, thematisiert. «Mondlandschaft
verschlug uns die Sprache», berichtet die
Wanderin durch die zerstörte Landschaft. Die Macht der Industrie scheint
allgegenwärtig, und die Zukunftsentwürfe der Landschaftsplaner wirken ins
Gigantomanische gesteigert. Das Gedicht
beschreibt einen Moment der Gegenwart,
von dem aus die Dichterin erdgeschichtliche Vergangenheit und Zukunft assoziiert: «die kommenden Seen (die grössten
Europas)». Dieses Gedicht gehört zu den
seltenen Glücksfällen der Poesie, in
denen ein Weltmoment, ein Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, authentisch erlebt und erfahren
durch ein Ich, gültig gestaltet ist.
Poschmanns Verse beschreiben weniger die wirklichen Dinge als vielmehr,
wie die Dinge wirklich sind. Was die
Dichterin wahrnimmt, ist ihr nicht selten
Anlass zu verhaltener Melancholie. Die
Tradition der Elegie entwickelt sie auf
phantasievolle Weise weiter: dialogisch
und in pointierten Sentenzen – nicht belehrend, sondern im Gestus der Frage –
und nicht ohne Witz. Dass sie in einem
Park ein Paar entdeckt, das sich Gedichte
aus dem Handy vorliest, lässt hoffen. ●
Foto: Gaby Gerster
Die Romanautorin und Lyrikerin Marion
Poschmann (*1969) ist die Malerin unter
den Dichterinnen der mittleren Generation. Aber sie ist auch eine Komponistin
und Gartenarchitektin. Sorgfältig komponiert hat sie ihren vierten Gedichtband, der über mehrere Kontinente
führt: zu natürlichen und künstlichen
Landschaften, durch Gärten und Pärke,
Gebirge, Wälder und Gewässer in Osteuropa, China, Japan und den USA. Selten
führt ihr Weg zu «durchgearbeiteter
Landschaft» (Volker Braun), vielmehr zu
«geliehenen Landschaften» – ein Begriff
aus der ostasiatischen Gartenkunst, der
ausserhalb der Areale liegende Elemente
in die Gestaltung einbezieht.
«Geliehen» aber scheint die Natur in
diesen Gedichten noch in einem anderen
Sinne zu sein: auf Zeit geborgt von einem
universalen Ganzen, um für menschlichen Aufenthalt genutzt zu werden: zur
Entspannung, zum Vergnügen, für politische Zwecke, zur Schändung durch Industrie. In neun Kapiteln, zyklisch strukturiert, rückt die Dichterin jeweils andere
Wechselwirkungen von Mensch und
Landschaft in den Fokus lyrischer Wahrnehmung.
Als wollte sie ein Gegengewicht zu
flüchtigen Erscheinungen des Sichtbaren
wie Nebel, Dunst und Glanz herstellen,
widmetsiesichimKapitel«Bernsteinpark
von Kaliningrad» der substanziellen Beschaffenheit von Dingen hinter dem Augenschein. Die einzelnen Teile des Zyklus tragen Überschriften, die die Varietäten samländischer Bernsteinfunde bezeichnen: eine Serie von Farbnuancen
und materiellen Konsistenzen, die die
Illusion vom Gedicht als einem handfesten Gegenstand erzeugt. Hier kann man
sogar «Gedichte waschen» («Plattentektonik») und «Gedichte entfusseln»
(«Seismographie»).
DANIEL SCHOENEN / IMAGEBROKER / KEYSTONE
Von Dorothea von Törne
Erzählungen Walter Serner (1889–1942) hat mit seinen «erotischen Kriminalgeschichten» kurze, knappe
und freche Texte geschrieben, die bis heute überzeugen
ImMilieuvonMackieMesser
Walter Serner: Der rote Strich. Hrsg. von
Andreas Puff-Trojan. Manesse, Zürich
2015. 448 Seiten, Fr. 28.90, E-Book 23.90.
Von Martin Zingg
Unter den Schriftstellern der frühen
1920er Jahre ist Walter Serner zweifellos
eine der seltsamsten Erscheinungen.
1889 in Karlsbad geboren, unter dem
Namen Walter Eduard Seligmann, besucht er dort die Schulen, studiert Jura in
Wien und promoviert zwischen ausgedehnten Reisen zum Dr. iur., mit einem
kühnen Plagiat, wie man inzwischen
weiss. Als Jurist hat Serner indes keine
Minute lang gearbeitet, aber er hat, auch
das ist eine der vielen Anekdoten um
seine Person, seinen Doktortitel genutzt,
um dem nicht minder abenteuerlichen
Dichter Franz Jung ein Attest auszustellen, das dem Fahnenflüchtigen 1914 die
Desertion ermöglichte.
Statt seine juristischen Kenntnisse in
eine Kanzlei zu tragen, wendet sich Serner schon früh der Literatur zu, er
schreibt für Franz Pfemferts «Aktion»
und gibt sich dem Vergnügen hin, «in Europa spazierenzufahren». Während des
Ersten Weltkriegs muss er sein unstetes
Reiseleben vorübergehend einschränken, Anfang 1915 meldet er sich in Zürich
an. Er lebt hier als «Refraktär» und
schliesst sich zeitweise den Dadaisten
an. Er wird einer ihrer interessantesten
Protagonisten und verfasst ein Manifest,
von dem sich Tristan Tzara – oft bis zur
wörtlichen Übernahme – inspirieren
lässt, «Letzte Lockerung». Das Manifest,
das Serner später erweitert zum «Handbuch für Hochstapler und solche, die es
werden wollen», garantiert noch immer
eine atemberaubende Lektüre.
hinter allem vorsätzlichen Charme aufscheint, teilen sie mit dem Autor, der den
halbseidenen Akteuren seine unverhohlene Sympathie schenkt.
Schlepper, und gemeinsam exerzieren
sie, zwar eine Etage tiefer, die gleichen
krummen Geschäftspraktiken und Schiebereien, mit denen die High Society während des Krieges zu Geld und Ansehen
gekommen ist. Die kleinen Gauner setzen mit List und angestrengter Coolness
alles daran, das vielversprechende Rezept der «Grossen» zu übernehmen. Die
Erfolge sind dabei zwar stets um ein paar
Nummern kleiner, die Risiken entsprechend grösser – die Tricks aber sind gut
abgeguckt.
Mit Raffinesse legen sich Serners Figuren gegenseitig herein, sie bluffen, sie
geben sich mal elegant, dann gleich wieder brutal. Ihre Illusionslosigkeit, die
Scharfsichtige Zensoren
Als Walter Serners Werk 1933 endgültig
verboten wurde, verwiesen die Zensoren
darauf, die Geschichten wirkten «mit
einer raffinierten Kühle und Sachlichkeit, die schliesslich ironisch und damit
aufreizend wirkt». Das hatten sie gut erkannt. In seinem klugen Nachwort betont Xaver Bayer denn auch, dass sich die
Lektüre der Serner’schen Texte nicht abnütze: Dieser wunderbare Autor ist auf
seltsame Weise aktuell geblieben. ●
Davos Das Beste für Leib und Seele
Unter der High Society
Nach Kriegsende schreibt Walter Serner,
oft unterwegs in den grossen europäischen Städten und unablässig von Geldsorgen geplagt, einen Roman («Die Tigerin. Eine absonderliche Liebesgeschichte»), ein Theaterstück, das nach der Uraufführung sofort abgesetzt wird, dazu
Essays. Und er schreibt vor allem «erotische Kriminalgeschichten». Die Bände
tragen überraschende Titel: «Zum blauen
Affen. 33 hanebüchene Geschichten»,
«Der elfte Finger», «Die tückische Strasse» oder «Der Pfiff um die Ecke». 99 Kriminalgeschichten sind es zusammengenommen, und eine gelungene Auswahl
daraus präsentiert Andreas Puff-Trojan
nun in einer ansprechenden Ausgabe bei
Manesse: «Der rote Strich».
Die meist kurzen Geschichten haben
alle nur einen Schauplatz: das Ganovenund Hochstaplermilieu, die Demi-Monde
der vielen kleinen Mackie Messer, der
Zuhälter und Liebesdienerinnen von
Lissabon bis Rom, von Nizza über Paris
bis Berlin. Auf diesem Parkett tummeln
sich scharenweise und mit viel Energie
Kokotten, Gigolos, Falschspieler und
Als der Künstler Ernst Ludwig Kirchner 1917 nach Davos
kam, um sich nach einem Zusammenbruch ärztlich behandeln zu lassen, entdeckte er für sich die Schweizer
Alpen als Sujet. Von seinen berühmten Darstellungen
des Berliner Grossstadtlebens behielt er die Aufgeregtheit der Linie und die glühenden Farbkontraste bei. Angesichts der Monumentalität der Berge erhielt der
expressive Ausdruck aber auch eine Ruhe und Unnahbarkeit, die den Menschen als Fremdling in dieser Welt
auswiesen. Das Tinzenhorn glüht auf dem Gemälde «Tinzenhorn – Zügenschlucht bei Monstein» giftgrün in
einem fahlen Licht, die vorgelagerten Hänge brennen in
violetten Rottönen, die Kirche fügt sich in die splittrigen Felsformationen ein. Während sich in diesen Landschaften Kirchners keiner so recht zu Hause fühlen mag,
sucht die Publikation, die Franco Item über Davos herausgegeben hat, den Lesern die faszinierenden Seiten
des Luftkurortes näher zu bringen. Landschaft, Heilkunde, Kultur und Sport werden von namhaften Autoren äusserst lesbar vorgestellt. Gerhard Mack
Franco Item (Hrsg.): Davos – zwischen Bergzauber und
Zauberberg. NZZ Libro, Zürich 2015. 336 S., Fr. 63.–.
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9
Belletristik
Roman Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud erzählt die Geschichte von Albert Camus’
genialem Roman «Der Fremde» neu. Nun spricht der militante Bruder des damaligen Mordopfers
GegenKolonialismus
undreligiösenFanatismus
für sich und seine Mutter. Zugleich fesselt ihn am Roman des Franzosen die
«perfekte Sprache, die selbst der Luft
etwas Diamantenes verleiht».
Das Schicksal von Meursault bei
Camus wiederholt sich bei Daoud in der
Figur des Haroun. Wie jener weniger für
den Mord verurteilt wurde als für die Gefühllosigkeit bei der Beerdigung seiner
Mutter, sieht sich auch Haroun mit einer
absurden Situation konfrontiert: «Ich
hatte getötet, und das verursachte mir
einen heftigen Schwindel. Aber im Grunde fand niemand etwas daran auszusetzen. Nur der Tatzeitpunkt schien ein
gewisses Problem darzustellen.» Was
Haroun vorgeworfen wird, ist, dass er
nicht zusammen mit den Aufständischen für die Befreiung Algeriens gekämpft hat, wo er Hunderte Franzosen
hätte töten sollen, sondern dass er erst
nach dem Waffenstillstand einen Franzosen umgebracht hat, noch dazu «aus
den falschen Gründen».
Kamel Daoud: Der Fall Meursault – eine
Gegendarstellung. Aus dem
Französischen von Claus Josten.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
208 Seiten, Fr. 24.90, E-Book 18.–.
Von Susanne Schanda
Es ist ein Paradox vieler algerischer Intellektueller: dass die Sprache der einstigen
Kolonisatoren für sie zur Sprache der Befreiung wurde. Der 1970 geborene Journalist und Schriftsteller Kamel Daoud
geht noch einen Schritt weiter. In seinem
ersten Roman arbeitet er sich – auf Französisch – an einem Denkmal der französischen Literatur ab: am Roman «Der
Fremde» des in Algerien aufgewachsenen Albert Camus. Der Untertitel der
deutschen Übersetzung greift allerdings
zu kurz: «Meursault, contre-enquête» ist
weit mehr als eine Gegendarstellung. Es
ist eine teils wütende, teils faszinierte Ermittlung und Auseinandersetzung mit
dem «Fremden» und zugleich eine scharfe Abrechnung mit der algerischen Geschichte und dem religiösen Fanatismus
der Gegenwart.
Autor mit Fatwa belegt
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RUE DES ARCHIVES / SZ PHOTO
Den Namenlosen benennen
Kamel Daoud hat seinen Roman eng am
Vorbild konstruiert, vom ersten Satz bis
zum Schluss, wo aus der Stimme seines
Protagonisten immer deutlicher die
Stimme des «Fremden» zu vernehmen
ist. Der Erzähler ist der Bruder des von
Meursault ermordeten Arabers aus
Camus’ Roman. Siebzig Jahre nach dem
Mord steht er Nacht für Nacht in einer
Bar in Oran und erzählt einem jungen
Mann bei einem Glas Wein seine Geschichte. Er erzählt sie neu, von hinten
nach vorn, von rechts nach links, wie das
Arabische geschrieben wird, doch in
französischer Sprache.
Das Bauprinzip von Dauods Romans
wird programmatisch als eines der Dekolonisation formuliert: «Stein um Stein
von den ehemaligen Häusern der Kolonialherren nehmen, um mein eigenes
Haus daraus zu bauen, meine eigene
Sprache zu formen.»
Der Roman gibt dem namenlosen Araber aus dem «Fremden» einen Namen,
Moussa, und eine Familie, eine Identität.
Der Erzähler Haroun ist erst sieben, als
sein Bruder an jenem Tag das Haus verlässt, um am Hafen Arbeit als Lastenträger zu suchen. Von dessen beiläufiger
Ermordung am Strand von Algier erfahren Haroun und seine Mutter aus der Zeitung, die ausführlich über den Mörder
und dessen Prozess berichtet und den
Ermordeten mit zwei Initialen abtut.
Diese Missachtung kommt einer zweiten
Ermordung gleich.
Der Araber aus «Der Fremde», gespielt von Mohamed Ralem in der
Verfilmung von Luchino Visconti (1967) .
Zum Wendepunkt in Harouns Leben
wird das Jahr 1962. Zwanzig Jahre nach
Moussas Tod, in den ersten Tagen der
algerischen Unabhängigkeit, erschiesst
Haroun einen Franzosen. Dieser Mord
geschieht auf ähnlich beiläufige, zufällige Weise wie derjenige bei Camus. In
den Augen des Erzählers «kein Mord,
sondern eine Restitution». Erst danach
erfährt er überhaupt von der Existenz
des Romans «Der Fremde», und zwar
durch eine junge schöne Forscherin namens Meriem, die sich auf die Suche
nach der Familie des namenlosen Arabers aus Camus’ Roman gemacht hat und
die Haroun das Herz bricht. Danach wird
auch er immer mehr zu einem Fremden
in seiner eigenen Gesellschaft. Er reklamiert die Philosophie des Absurden von
Camus für seinen ermordeten Bruder,
Kamel Daouds Roman «Der Fall Meursault» kann sehr wohl als antikoloniale
Kritik gelesen werden, aber nicht nur.
Mindestens so hart geht er mit der nationalen Befreiungsarmee Algeriens und
mit den mörderischen Islamisten ins Gericht. In diesem Algerien werden Intellektuelle, Künstler und Frauen als Fremde ins Abseits gedrängt. Mit Haroun hat
Kamel Daoud einen vielschichtigen Charakter geschaffen, der in manchem
Camus’ Meursault gleicht – in seiner Vaterlosigkeit, dem distanzierten Verhältnis zur Mutter, dem Gefühl der Fremdheit, der Ablehnung von Religion –, der
aber darüber hinaus weise und trotzig
geworden ist. Ein Weintrinker, der über
heuchlerische Frömmelei wettert und in
einem hintergründigen Wortspiel aus
dem französischen Meursault einen arabischen Mersoul, Propheten, macht. Und
der am Ende gar ein gottloses Gelächter
anstimmt.
Dass Kamel Daoud mit den Namen
Moussa und Haroun auf die ProphetenBrüder aus der Bibel und dem Koran anspielt und auch noch deren Schwester
Meriem in einer entscheidenden Rolle
auftreten lässt, ist eine weitere Pointe
dieses intelligenten, inspirierenden Romans, der zudem Lust macht, auch Albert Camus, den 1957 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten und zeitlos aktuellen Autor, nochmals zu lesen. Der 2013
in Algerien publizierte und jetzt auf
Deutsch erschienene Roman wurde inzwischen von einem salafistischen Kleriker für blasphemisch befunden und der
Autor mit einer Fatwa belegt – eine traurige Bestätigung von dessen Gesellschaftsanalyse. ●
Lyrik Hannah Arendt, die brillante
Theoretikerin, war auch Poetin. Wer das
nicht weiss, verpasst nicht viel
Man kann nur weinen
Kurzkritiken Belletristik
G. K. Chesterton: Vier verehrungswürdige
Verbrecher. Die Andere Bibliothek, 2016.
348 Seiten, Fr. 58.–.
Rebecca C. Schnyder: Alles ist besser in der
Nacht. Dörlemann, 2016. 175 Seiten,
Fr. 28.90, E-Book 16.90.
Sein Father Brown ist weltberühmt; der
englische Autor Gilbert K. Chesterton
(1874–1936) hat jedoch nicht nur den
geistlichen Ermittler ersonnen, der in
49 Erzählungen dank seiner Intuition die
kompliziertesten Verbrechen aufklärt,
sondern ein verzweigtes literarisches
und essayistisches Werk geschaffen, zu
dessen Höhepunkten der 1908 erschienene phantastische Roman «Der Mann,
der Donnerstag war» zählt. Nun legen die
Übersetzer Boris Greff und Matthias
Marx ein faszinierendes Spätwerk des
Autors vor. Es erzählt von vier verehrungswürdigen Verbrechern, die sich in
fröhlicher Runde ihrer Tugenden überführen. Der «moderate Mörder», der
«aufrichtige Quacksalber», der «ekstatische Dieb» und der «loyale Verräter» werden zu Verbrechern, um ein Verbrechen
zu verhindern. Wer Chestertons souveränen Humor liebt und Sinn fürs Paradoxe
hat, liegt mit diesem Buch richtig.
Dieser Erstlingsroman irritiert. Rebecca
C. Schnyder, 1986 in Zürich geboren, bisher als Lyrikerin und Dramatikerin hervorgetreten, erzählt von Billy, einer kapriziösen jungen Frau, die nach ihrem
ersten literarischen Erfolg keinen Halt
findet, sich von Kaffee, Alkohol und Zigaretten ernährt, mit ihrer Bulimie beschäftigt ist und ihre Umwelt nervt. Sie
hasst ihre betuliche Mutter und ihre erfolgreiche Schwester. Ihre treue Freundin Guen strapaziert sie ebenso wie ihren
neuen Freund Noe, einen Theologiestudenten, der alles für sie tut und den sie
wie alle andern, die um sie werben, zur
Verzweiflung treibt. Sie ist verwöhnt,
faul, in narzisstischem Unglück befangen. Man sollte sie nicht mit der Autorin
gleichsetzen. Dieser ist es gelungen, eine
schillernde Figur vor uns hinzustellen,
die uns aufregt. Das setzt Talent voraus.
Schade nur, dass die bald rotzige, bald
hölzerne Sprache nicht überzeugt.
Emmy Hennings: Gefängnis. Das graue
Haus. Das Haus im Schatten. Wallstein,
2015. 576 S., Fr. 34.90, E-Book 21.90.
Isabel Bogdan: Der Pfau.
Kiepenheuer & Witsch, 2016.
248 Seiten, Fr. 26.90, E-Book 19.–.
Alle Welt redet derzeit von Dada und
damit auch vom Künstlerpaar Hugo Ball/
Emmy Hennings. Das gibt uns Gelegenheit, auf drei Gefängnis-Romane von
Hennings hinzuweisen, deren erster und
wichtigster 1919 erschien, also noch zu
Dada-Zeiten. Er hat aber nichts mit dem
spielerisch-anarchistischen Protest der
Dadaisten zu tun. Radikal subjektiv und
ohne artistische Brechung erzählt er von
einer dreimonatigen Haft der Autorin.
Sie soll einen Freier bestohlen haben.
Deshalb wird sie in ein Münchner Frauengefängnis eingeliefert. Das Buch schildert literarisch dicht und poetisch überzeugend die traumatischen Erfahrungen
jener quälenden Monate. Christa Baumberger und Nicola Behrmann haben den
Text vorbildlich ediert und ihn um zwei
weitere, bis auf wenige Kapitel bisher
noch nicht publizierte spätere Gefängnis-Romane der Autorin ergänzt.
Never judge a book by its cover. Facettenreich schillert «Der Pfau» auf dem
Buchdeckel, die Rückseite verspricht
eine «subtile Komödie in bester britischer Manier», und auch der Klappentext
lässt Gutes erahnen: Isabel Bogdan ist
Anglistin – ein paar herrliche Stunden
voll schwarzen Humors scheinen nur ein
Umblättern entfernt. Hebt man aber den
Deckel, stösst man auf eine Füllung, die
beileibe kein Genuss ist. Dies nicht, weil
der Pfau, der auf einem schottischen
Landgut mit aggressiven Aktionen gegen
blaue Gegenstände auffällt, von einem
besorgten Lord erschossen, von einer resoluten Köchin gerupft und von asozialen Bankern beim Team Building gegessen wird. Sondern weil die absurde
Anlage plump zerredet und jede Komik
zu Tode erklärt wird. Immerhin geht die
Lektüre zügig voran, so dass man bald
wieder den schönen Pfau ansehen kann.
Hannah Arendt: Ich selbst, auch ich tanze.
Die Gedichte. Herausgegeben von
Karin Biro. Piper, München 2015.
160 Seiten, Fr. 28.90, E-Book 18.–.
BRIDGEMAN IMAGES
Von Claudia Mäder
Messerscharfes Denken und poetisches
Schreiben – geht das zusammen? Ja, sagt
uns das Nachwort in dem schmalen
Band, der erstmals die sämtlichen Gedichte von Hannah Arendt präsentiert.
71 lyrische Stücke hat die 1933 aus
Deutschland emigrierte Polittheoretikerin im Verlauf ihres Lebens verfasst und
mit dieser Produktion ihren vielfältigen
Verbindungen zur Dichtkunst eine weitere Dimension hinzugefügt.
Einmal spielt die Literatur, wie die
Edition betont, schon in Arendts theoretischem Werk eine wichtige Rolle: Während sie etwa in der grossen Studie zum
Totalitarismus mit Texten von Kafka und
Proust arbeitete, flocht sie in ihre Analyse der Revolution Bezüge zu Melville
und Dostojewski ein. Dann hat die Publizistin zahlreiche Essays über Dichter von
Heine bis Brecht verfasst, Freundschaften mit Autoren wie Broch und Johnson
gepflegt – und zuletzt das «dichterische
Denken», das sie etwa bei Walter Benjamin bewunderte, in eigenen Gedichten
eben auch selber angewandt, um, so der
Kommentar, Denken und Dichten in
«verdichtete[n] Reflexionen» zusammenzufügen.
Wo diese Fusion stattgefunden haben
soll, bleibt leider auch nach zweimaligem wohlwollendem Lesen der kurzen
Gedichte rätselhaft. Eine erste Serie, entstanden zwischen 1923 und 1926 und
also im Kontext von Arendts amouröser
Verstrickung mit Martin Heidegger,
sehnt in zahlreichen Varianten den Trost
der kühlen Nacht, des Abends oder der
Dämmerung herbei und bringt das Leiden an der heimlichen Liebe zum Ausdruck: «Wir können nicht sagen, wie sehr
wir uns einen. / Wir können nur weinen.»
Ist man hier noch geneigt, den elegischen Ton und den pathetischen Stil auf
das jugendliche Alter der Autorin zurückzuführen – Arendt war 18, als sie
Heidegger kennenlernte –, muss man
später beides als Grundzug wiederfinden. Die zweite Serie, mit Gedichten von
1942–1961, zeigt wenig poetische Weiterentwicklung; nach wie vor ruht die
Nacht als Brücke über den
dahinströmenden Tagen, und
wenngleich vereinzelte Stücke
die Erschütterungen von
Krieg und Tod erahnen lassen, bleibt das Gros der
Texte doch hinter jenem
reflexiven Anspruch zurück, den jeder gute Dichter spielend einzulösen
weiss. Im Fall von Hannah
Arendt halte sich ans grosse
Werk, wer Gedankendichte
sucht. ●
Gundula Ludwig
Manfred Papst
Manfred Papst
Claudia Mäder
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11
Interview
Charles Lewinsky zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Schriftstellern unserer Zeit. Demnächst wird er
siebzig Jahre alt, er veröffentlicht den Roman «Andersen» und bringt ein neues Stück auf die Bühne.
Höchste Zeit für ein Gespräch. Interview: Manfred Papst
«Schreiben ist
wieBergsteigen»
Bücher am Sonntag: Herr Lewinsky, ist der Siebzigste für Sie ein Geburtstag wie jeder andere?
Charles Lewinsky: Nein. Er ist schon etwas Besonderes. Deshalb wollte ich auch meinen
neuen Roman exakt zu diesem Datum präsentieren. Das habe ich meinem Verleger schon gesagt,
als noch keine Zeile geschrieben war. Ich habe
mir – mit siebzig darf man das – den Spass gemacht, ein Buch zu schreiben, das niemand von
mir erwartet.
Laufen Sie damit nicht Gefahr, Ihre Stammleser
vor den Kopf zu stossen?
Die sind es doch gewohnt, dass ich immer
wieder neue Rhythmen, Erzählformen und Perspektiven wähle. Nehmen Sie etwa meine Romane «Mattscheibe», «Johannisnacht», «Melnitz», «Gerron» und «Kastelau». Sie sind nicht
nur thematisch, sondern auch sprachlich höchst
unterschiedlich. Ich lebe beim Schreiben gern in
verschiedenen Welten und spiele mit deren Ausdrucksweisen.
Wo bleibt da die eigene Handschrift?
Ich frage zurück: Darf der Mensch nur eine
Handschrift haben? Es gibt Schriftsteller, die
immer wieder das gleiche Buch schreiben, und
daran ist nichts Falsches. Aber ich bin ein ande-
Vielseitiger Autor
Charles Lewinsky, geboren am 14.4.1946 in Zürich,
hat sich als Drehbuchautor, Romancier und Kolumnist (u. a. für die «NZZ am Sonntag») einen
Namen gemacht. Zu seinen Hauptwerken zählen
die satirischen TV-Romane «Mattscheibe» (1991)
und «Schuster» (1997), der Dorf- und Kriminalroman «Johannistag» (2000) sowie die zeitgeschichtliche Ereignisse aufarbeitenden Romane
«Melnitz» (2006) «Gerron» (2011) und «Kastelau»
(2014). Einem breiten Fernsehpublikum wurde
Lewinsky als Autor der Sitcoms «Fascht e Familie»
(1994–1999) und «Fertig Lustig» (2000–2002) bekannt. Sein neuester Roman, «Andersen» (397 S.,
Fr. 26.90), erscheint am 14.3. bei Nagel & Kimche.
Lewinskys neues Stück «Die Besetzung» wird am
30.3. am Stadttheater Langenthal uraufgeführt.
rer Typ von Autor. Für meine Begriffe gibt es
zwei Arten von Erzählern. Auf der einen Seite
sind diejenigen, die man stets nach fünf Zeilen
erkennt, ungeachtet des Inhalts. Und dann gibt
es diejenigen, die ihre Sprache nach dem ausrichten, was sie jeweils zu erzählen haben.
Was ist das Besondere an Ihrem neuen Roman?
Da will ich eigentlich nichts verraten. Ich habe
auch meinem Verleger Dirk Vaihinger während
der Entstehung von «Andersen» kein Wort erzählt. Ich wollte, dass er das fertige Manuskript
ganz ohne Vorkenntnisse liest, und das sollen
auch meine Leser tun. Nur so viel: Es geht um
einen Mann, der aufwacht und nicht weiss, wo
er ist. Er sucht nach seiner eigenen Identität,
und als er sie gefunden zu haben glaubt, sind die
Auswirkungen schrecklich. Ich wollte ein Buch
über die Macht des Bösen schreiben, anhand
eines Mannes, der ein wahnsinniger Kontrollfreak ist. Als er ein einziges Mal die Kontrolle abgibt, bricht seine Welt zusammen.
Der Text ist aber auch von Tempo und Witz geprägt. Er umfasst 397 Seiten, und Sie bringen es
auf 308 Kapitel.
Das meinte ich eben, als ich sagte, dass ich
immer wieder neue Formen ausprobiere. Aber
mir ist unlängst etwas aufgefallen. So verschieden meine Romane sind, gibt es doch etwas, das
sie verbindet: Sie handeln alle von Schein und
Sein, von Camouflage, Verstellung, der Vortäuschung falscher Identitäten. Vermutlich ist das
mein Lebensthema. Bei «Gerron», «Kastelau»
und jetzt bei «Andersen» liegt das am Tag. Aber
schon in «Johannistag» ging es um einen pädophilen Lehrer, der nicht zugeben kann, dass er
wegen seiner Neigung nach Frankreich gehen
musste. Und auch in «Melnitz» müssen etliche
Figuren eine andere Existenz vortäuschen: weil
sie schwul sind oder weil sie antisemitische Reaktionen fürchten.
Wie sind Sie auf den Stoff gekommen?
«Andersen» ist auf ganz andere Weise entstanden als alle meine früheren Romane. Die
habe ich jahrelang mit mir herumgetragen,
bevor ich die erste Zeile schrieb. Dieser aber ist
mir einfach in den Kopf gesprungen. Ich habe
keine Ahnung, woher die Geschichte kam. Vielleicht habe ich sie geträumt. Sie war plötzlich da,
und ich fing ohne Verzug mit dem Schreiben an.
Da musste nichts reifen oder wachsen.
Steckt etwas von Ihnen im Mann mit der Maske?
Das weiss man als Autor nie so recht. Der Dramatiker Tom Stoppard hat zu dieser Frage einmal etwas Geniales gesagt: Ein Autor, der ein
Buch geschrieben hat, ist wie ein Reisender, der
an der Grenze vom Zöllner aufgefordert wird,
seinen Koffer zu öffnen. Der Autor nimmt alle
möglichen Sachen heraus und muss zugeben:
Ja, das gehört tatsächlich mir; aber ich wusste
nicht, dass ich es eingepackt habe.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen neuen Roman
beginnen? Legen Sie Figuren- und Ortsverzeichnisse an, skizzieren Sie Handlungsschemata?
Oh nein, das ist nichts für mich. Ich kann
nicht nach einem Plan schreiben, so wie ein Baumeister nach den Plänen des Architekten ein
Haus erstellt. Das käme mir vor wie Schreiben
nach Google Earth. Natürlich muss ich irgendwie von A nach B kommen. Aber ob mein Weg
durch die Wüste führt oder übers Meer, das will
ich nicht vorher wissen. Ich sitze zwei, drei, vier
Jahre an einem Buch. Wenn ich den Weg vorher
kennen würde und sozusagen nur noch «Malen
nach Zahlen» betreiben dürfte: Das wäre doch
grässlich!
Können Sie Ihr praktisches Vorgehen schildern?
Ich beginne immer auf der ersten Seite und
höre mit der letzten auf. Ich kann es gar nicht
anders. Das Verschieben von Textbausteinen
liegt mir nicht. Ich kann auch nicht problematische Stellen überspringen, an einem anderen
Ort neu einsetzen und dann auf die Sache zu-
▲
12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
«Dieser Roman ist mir einfach
in den Kopf gesprungen.
Ich habe keine Ahnung, woher
die Geschichte kam. Vielleicht habe ich sie geträumt.
Sie war plötzlich da.»
BASIL STÜCHELI
Charles Lewinsky wird diesen Frühling 70. Er feiert seinen Geburtstag mit der Buchpremiere seines neuen Romans «Andersen». (Zürich, 15.02.2016)
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13
Interview
Sie leben teils in Frankreich, teils in Zürich. Wo
entstehen Ihre Romane?
Fast nur in Frankreich. Da hocke ich meist allein in meinem Häuschen und unterhalte mich
bloss mit meinem Gemüse. Ich brauche die Abgeschiedenheit. Wenn ich in Zürich bin, komme
ich nicht vorwärts mit dem Schreiben. Damit ich
vernünftig arbeiten kann, muss ich sicher sein,
dass ich die nächsten vier Wochen keinen einzigen Termin habe. Wenn ich am Donnerstag eine
Verpflichtung habe, kann ich schon am Montag
nicht mehr richtig arbeiten.
Wie sieht Ihr Tageslauf aus, wenn Sie sich zum
Schreiben zurückziehen?
Absolut einförmig. Ich schreibe nach einem
exakten Zeitplan, wie ein Beamter. Von 9 bis
11.45 Uhr, dann wieder von 14 bis mindestens
17 Uhr. Am Ende eines solchen Tages habe ich
etwa eine Seite fertigen Text.
Leiden Sie mit Ihren Figuren – oder an Ihnen?
Beides kommt vor. Das Schreiben meines
neuen Romans ist mir, obwohl die Idee über
Nacht da war, nicht leicht gefallen. Die Hauptfigur ist ja kein erfreulicher Zeitgenosse. Eigentlich möchte man sich nicht länger mit ihr befassen. Auch wenn es nicht so schlimm war wie
bei «Johannistag». Da ist mir der Protagonist
unendlich auf die Nerven gegangen. Meine
Familie konnte mich damals kaum noch ertragen.
Machen sich Ihre Figuren auch selbständig?
Durchaus. Eigentlich sind wir Schriftsteller ja
Grössenwahnsinnige, die ihre Allmachtsphantasien ausleben, indem sie Figuren glücklich oder
unglücklich werden lassen oder sie sogar umbringen. Aber man hat seine Figuren nicht
immer im Griff.
Fällt Ihnen gerade ein Beispiel ein?
In «Melnitz» treten einmal zwei Frauen aus
dem Haus, und ich wusste genau, wohin sie
gehen sollten. Sie schlugen aber die falsche
Richtung ein. In Zürich notabene. Ich bin ihnen
nachgelaufen wie ein Detektiv. Sie gingen
schliesslich zu einer Séance. Natürlich war das
irgendwo in meinem Hinterkopf. Aber bewusst
war es mir nicht. Wenn die Figuren selbständig
reagieren, ist das zwar beunruhigend, aber auch
ein Zeichen dafür, dass sie leben.
Zeigen Sie Ihr «Work in Progress» anderen Menschen, etwa Ihrer Frau oder Ihren Kindern?
Während ich an einem Roman arbeite, hole
ich kaum je die Meinung von anderen ein. Aber
es gibt Ausnahmen. Bei «Gerron» fühlte ich mich
nach 150 Seiten verloren. Ich zeigte den Text
meiner Tochter, und sie sagte: «So geht das gar
nicht.» Sie hatte recht. Ich habe alles weggeschmissen und ganz von vorne angefangen.
Sind Sie glücklich beim Schreiben, oder kommt
das Glück erst, wenn Sie den Laptop zuklappen?
Schreiben ist wie Bergsteigen. Es tun einem
alle Knochen weh. Es geht fast immer steil aufwärts. Aber wenn man dann auf dem Gipfel
steht und ins weite Land blickt, ist man glücklich. Der Rundblick lohnt die Mühe. Ohnehin
sollen Autoren nicht über ihren Beruf jammern. Es zwingt sie ja niemand dazu. Der leidende Autor – das ist für mich eine unerträgliche Pose.
Die Niederschrift ist das eine, die Recherche das
andere. Welche Rolle spielt sie in Ihrer Arbeit?
Eine grosse. Aber sie muss so sorgfältig in den
Text verwoben sein, dass man sie als solche gar
nicht mehr bemerkt. Ich hasse Bücher, in denen
manche Kapitel nur Informationen transportieren. Die Authentizität des dokumentarischen
Ausgangsmaterials ist wichtig, aber die Geschichte muss auch ihre innere Stimmigkeit
haben. Ich könnte auch mit noch so viel Recherchen keinen Roman über Südseeinsulaner
schreiben. Das würde immer nur ein Baedeker.
Auf die eigene Beobachtung kommt es an.
Können Sie das etwas ausführen?
Wenn wir unser Gespräch vor der Zeit des
Tonbands führen würden und ich es beschreiben wollte, müsste ich wissen, ob Sie die Stenografie von Stolze/Schrey oder eine andere verwenden – auch wenn dieses Detail am Ende nur
eine winzige Rolle spielen würde. Man muss tief
in die Themen hineinkriechen. Sonst schreibt
man keinen Roman, sondern einen WikipediaArtikel. In meinem neuen Buch wird furchtbar
viel über Musik geredet. Da habe ich mich hinein
gearbeitet, und zwar so, dass der Leser am Ende
die Mühe hoffentlich nicht merkt.
«Man muss tief in die Themen
hineinkriechen. Sonst
schreibt man keinen Roman,
sondern einen WikipediaArtikel.»
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Andere Autoren lassen sich ohne weiteres in erzählerische Traditionen einordnen. Bei Ihnen ist
das schwierig. Warum?
In meinen jungen Jahren habe ich nie daran
gedacht, Schriftsteller zu werden. Deshalb habe
ich auch nicht versucht, Vorbilder nachzuahmen. Die Götter, die ich als Teenager hatte, könnte ich heute nicht mehr lesen. Klabund zum Beispiel. Bei Lesungen passiert es mir aber immer
wieder, dass Moderatoren meine vermeintlichen
literarischen Stammlinien nachzeichnen.
Ärgert Sie das?
Wenn sie den Begriff «jüdische Erzähltradition» verwenden, werde ich tobsüchtig. Das ist
so ein dummes Klischee! Was hat Isaac Bashevis
Singer mit mir zu tun – oder ich mit ihm? Ich
habe eine Liste angelegt von Büchern, die mich
angeblich entscheidend beeinflusst haben und
die ich vielleicht tatsächlich einmal lesen sollte.
Was lesen Sie denn derzeit am liebsten?
Meine momentane Göttin ist die britische Erzählerin Hilary Mantel. Ich würde auch gern Dialoge schreiben können wie der amerikanische
Krimiautor Ed McBain.
Mit Dialogen haben Sie von Ihrer Theater- und
Fernsehzeit her doch selber grosse Erfahrung!
Das stimmt. Aber man kann immer noch präziser werden. Es ist eine Frage der Dosierung.
Wie bei den Details. Man muss die sprechenden
Details auswählen. Man darf seine Figuren nicht
inventarisieren. Man kann ihnen Eigenschaften
anhängen wie Christbaumkugeln an einen Baum
– aber am Schluss kommt es auf den Baum an.
An was für Details denken Sie da zum Beispiel?
Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, welche Namen mein neuer Held seinen Hunden
gibt. Sie sagen viel über seinen verkorksten Charakter aus.
Erkennen sich Leser in bestimmten Figuren Ihrer
Bücher wieder?
Am laufenden Band, aber immer zu Unrecht.
Bei «Melnitz» war das am schlimmsten.
Wie werden Sie Ihren 70. Geburtstag feiern?
Mit einer Buchpremiere im Theater Rigiblick.
Moritz Leuenberger soll sie moderieren. Ich
freue mich darauf, denn derzeit geht es mir
blendend. Ich habe gerade eine Fastenkur hinter
mir. Ich war in einem schönen Kurhaus und bin
jeden Tag stundenlang gelaufen, ganz allein, mit
meinen geliebten BBC-Hörspielen auf dem
Kopfhörer. Wenn die grösste Frage nur noch ist:
Gehst du zuerst in die Sauna oder zuerst in die
Massage: Dann ist das Leben nicht so schlecht.
Jetzt sind die Akkus wieder aufgeladen. ●
Ein soziales Projekt der Stiftung Tosam www.tosam.ch
rückkommen. Wenn ich irgendwo feststecke,
muss ich pickeln und pickeln, bis ich die Lösung
habe. Obwohl ich die technischen Möglichkeiten des Computers also kaum nutze, schreibe
ich fast alle meine Texte – Verse ausgenommen
– direkt auf ihm. Wer sich heute noch auf die
Hermes Baby kapriziert, ist kein Schriftsteller,
sondern ein Hemingway-Imitator.
Kolumne
Charles LewinskysZitatenlese
Sex ist nur schmutzig,
wenn er richtig gemacht
wird.
Kurzkritiken Sachbuch
Elisabeth Raabe: Eine Arche ist eine Arche
ist eine Arche. edition momente, 2015.
240 Seiten, Fr. 29.90.
Caitlin Doughty: Fragen Sie Ihren Bestatter.
Lektionen aus dem Krematorium.
C.H. Beck, 2016. 270 Seiten, Fr. 28.90.
Zwei Frauen kaufen 1983 den legendären
Arche-Verlag des verstorbenen Peter
Schifferli in Zürich, erwerben 1987 dazu
noch den Luchterhand-Literaturverlag
in Darmstadt. Im Jahr 2008 verkaufen sie
beide Verlage. Was sie in den 25 Jahren
dazwischen erleben mit Autoren und
Texten, an Erfolgen und Misserfolgen, an
Euphorie und Kampf, immer in Zeitnot,
unterwegs zwischen Zürich, Frankfurt
und Hamburg, stets am finanziellen wie
am kräftemässigen Limit – das erzählt
uns die Verlegerin Elisabeth Raabe rasant
und atemlos, ebenso begeistert wie
selbstkritisch und ganz aus der Sicht der
Verlag-Insiderin. Es wird viel gegessen in
der «Kronenhalle» und viel umgezogen,
und es fallen Namen sonder Zahl in diesem mitreissenden Rapport einer Leidenschaft. Er ist, wie könnte es anders
sein, im neuen Verlag (edition momente)
der Verlegerinnen Regina Vitali und Elisabeth Raabe erschienen.
Caitlin Doughty kennt keine Berührungsängste, wenn es um das Thema Tod
geht. Heute selbst Leiterin eines Bestattungsunternehmens in den USA, erzählt
sie in ihrem Buch vom Einstieg in dieses
Berufsfeld, bei dem der Tod im Zentrum
steht. Die 32-Jährige beschreibt detailliert, wie sie Leichen für die Aufbahrung
präpariert: sie rasiert, schminkt, kleidet.
Sie berichtet vom schwierigen Umgang
mit Angehörigen beim Abtransport von
Verstorbenen mit dem Leichenwagen,
führt uns vor Augen, wie eine Verbrennungsanlage funktioniert – und verrät
mit Humor die skurrilen Betriebsgeheimnisse der Bestatterbranche. Es ist
ein Blick hinter verschlossene Türen,
den Doughty uns ermöglicht. Die Amerikanerin zeigt auf, wie sehr der Tod und
der tote Körper in der westlichen Welt,
gerade auch im Vergleich zu anderen
Kulturen und vergangenen Zeiten, aus
der Öffentlichkeit verbannt sind.
Jolanda Spirig: Sticken und Beten.
Die Textildynastie Jacob Rohner.
Chronos, 2015. 278 Seiten, Fr. 41.90.
Marc Augé: Lob des Fahrrads.
Aus dem Franz. von Michael Bischoff.
C.H. Beck, 2016. 104 Seiten, Fr. 21.90.
Geblieben sind heute nur noch die Rohner-Socken vom einst grössten StickereiExportunternehmen der Schweiz, der
Jacob Rohner AG im Rheintal. Jolanda
Spirig erzählt die Geschichte dieser
Firma von ihrer Gründung 1873, als der
21-jährige Käser Jacob Rohner vier Handstickmaschinen auf Kredit erwarb, über
ihren Höhepunkt vor dem ersten Weltkrieg bis zum Verkauf 1988. Ein überreiches Privat- und Firmenarchiv ermöglichte der Autorin eine manchmal
ausufernde, aber immer lebensvolle Darstellung von vier erzkatholischen und
kinderreichen Unternehmer-Generationen. Den damaligen Bedarf an Stickereien in wohlhabenden Kreisen illustrieren
dabei die Familienfotos: Rohner-Kinder
sind in weissen Spitzen, Schürzchen und
Kleidchen grossgeworden. Die Geschichte einer Firma wird damit zur Schweizer
Familien- und Kulturgeschichte.
Wie ein Fisch im Wasser ist der Mensch
auf dem Fahrrad. Die Hand am Lenker,
den Fuss auf der Pedale und die Nase im
Wind – nie erfahren wir Möglichkeiten
und Grenzen zeitgleicher, nie spüren wir
Segnung und Bürde der Freiheit deutlicher, als wenn wir uns mit stetem Strampeln einen eigenen Weg durch die Welt
bahnen. Kurz und knapp heisst das bei
Marc Augé: «Ich radle, also bin ich.» Der
Ethnologe, der seinen Blick auch auf
westlich-urbane Gebiete richtet, scheut
nicht vor der grossen Geste zurück, wenn
er sein «Lob des Fahrrads» anstimmt und
erst dessen allmählichen Niedergang seit
der Jahrhundertmitte beklagt, dann seine
Zukunft als menschlichstes aller Fortbewegungsmittel beschwört und zuletzt
befindet: «Das Radfahren ist ein Humanismus.» Aber wie recht der Mann hat!
Wer immer den Wind im Gesicht liebt,
wird diese Hymne selig lächelnd lesen.
LUKAS MAEDER
Woody Allen
Der Autor Charles
Lewinsky arbeitet in
den verschiedensten
Sparten. Sein neuer
Roman «Andersen»
erscheint Mitte März
im Verlag Nagel &
Kimche.
Viele Buchhandlungen klagen über
schrumpfende Umsätze und führen das
auf die Aufhebung der Buchpreisbindung zurück. Aber die bedauerliche Tatsache, dass nicht jeden Tag Tausende
von Kauflustigen die Buchläden stürmen, liegt sicher ebenso daran, dass die
literarische Branche die Werbung sträflich vernachlässigt.
Es soll ja tatsächlich Buchhändler
geben, die meinen, eine intelligente
Buchauswahl und fachkundige Beratung reichten aus, um Kunden anzuziehen. Das mag zu Goethes Zeiten so gewesen sein. Aber doch nicht mehr heutzutage!
Welche Automarke würde auch nur
einen Wagen verkaufen, wenn sich am
Auto-Salon nicht spärlich bekleidete
Models auf den Kühlerhauben räkelten?
Wie käme eine neue Glace in den Markt,
wenn sie nicht auf einem Plakat von
einer hübschen jungen Dame so lasziv
zum Mund geführt würde, als sei die
Abbildung einem Lehrbuch für Oralverkehr entnommen? Welche Zeitschriftentitel garantieren die höchsten Auflagen?
Eben.
Sie verstehen, worauf ich hinaus will:
Sex sells. Es kann doch wirklich nicht so
schwer sein, liebe Buchhändler, dieses
Prinzip auch in Ihrer Branche umzusetzen.
Ein Anfang liesse sich schon einmal
damit machen, dass man die Buchtitel
ein bisschen attraktiver gestaltet – eben
so, wie es zu unserer sexualisierten
Gesellschaft passt.
Ich hätte da ein paar bescheidene Vorschläge:
Wie wär’s mit einem Reclam-Band
mit dem Titel «Die geschändete Jungfrau», aus dem der Leser dann erfährt,
was der sexsüchtige Doktor Faust mit
dem unschuldigen Gretchen so alles anstellt? Und würde sich «Gullivers Reisen» nicht zehnmal besser verkaufen,
wenn der Titel lautete: «Der Mann, der
den Grössten hatte»? Ganz zu schweigen
vom Verkaufsschlager «In den Betten
von Davos», was doch einfach viel
verkaufsträchtiger klingt als…
Genau, dieses Buch meine ich. Wirklich schade, dass Thomas Mann da nicht
drauf gekommen ist.
Ja, selbst ein Ladenhüter wie eine
tausend Seiten lange Biografie von Pfarrer Kneipp würde durch eine kleine Titeländerung sofort zum Renner. Man
müsste das Buch einfach «Feuchte Träume» nennen.
Und wenn sich die Verlage querstellen sollten, dann bleibt wohl nichts
anderes übrig, als sich doch den Automobil-Salon zum Vorbild zu nehmen
und das Outfit der Verkäuferinnen ein
bisschen zu modernisieren. Liebe Buchhändlerinnen, ihr werdet doch
wohl noch einen Bikini
im Schrank haben?
Kathrin Meier-Rust
Kathrin Meier-Rust
Simone Karpf
Claudia Mäder
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15
Sachbuch
Kunst Dada gilt als klamaukige Form des Unsinns. Verschiedene Neuerscheinungen machen das
Phänomen dagegen als Kunstrichtung greifbar, die Unvereinbares gleichzeitig fassen wollte und auch
eine eminent politische Komponente hatte
Mehralsschräg
Genese Dada. 100 Jahre Dada Zürich.
Herausgegeben vom Arp-Museum
Bahnhof Rolandseck, Remagen, in
Zusammenarbeit mit dem Cabaret
Voltaire, Zürich. Scheidegger & Spiess,
Zürich 2016. 248 S., zahlr. Abb., Fr. 41.90.
Martin Mittelmeier: Dada. Eine
Jahrhundertgeschichte. Siedler,
München 2016. 272 S., Fr. 33.90,
E-Book 21.90.
Dadaglobe Reconstructed. Herausgegeben
vom Kunsthaus Zürich. Scheidegger &
Spiess, Zürich 2016. 304 Seiten, zahlr.
Abb., Fr. 74.90.
Von Ina Boesch
«Dada hängt mir zum Hals raus», soll
Hannah Höch gegenüber einem Journalisten gesagt haben, als er die deutsche
Meisterin der klassischen Moderne auf
ihre kurze Dada-Phase reduzieren wollte. Die unzähligen Jubelfeiern zum hundertsten Geburtstag von Dada könnten
eine ähnliche Reaktion hervorrufen. Daneben droht eine Flut von Neuerschei-
Weitere Publikationen
Anlässlich des hundertsten Geburtstags
von Dada erscheint in diesem Halbjahr
eine Vielzahl neuer Bücher, die einzelne
Vertreter oder Aspekte der Kunstrichtung beleuchten. Nebst den in der Rezension besprochenen Werken sei auf
folgende Titel verwiesen:
Eva Weissweiler: Notre Dame de Dada.
Luise Straus – das dramatische Leben der
ersten Frau von Max Ernst (Kiepenheuer
& Witsch); A. Trojan und H. M. Compagnon (Hrsg.): Dada-Almanach. Vom
Aberwitz ästhetischer Contradiction –
Textbilder, Lautgedichte, Manifeste (Manesse); Francis Picabia: Funny Guy & Dada
(Edition Nautilus); R. Burmeister u.a.
(Hrsg.): Dada Afrika. Dialog mit dem
Fremden (Scheidegger & Spiess).
16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
nungen die Leserschaft zu überfordern
und ihr jegliche Lust an der Auseinandersetzung mit einem der lustvollsten Phänomene des westlichen Kultur- und
Geisteslebens zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu vergällen. Angesichts der zu
erwartenden Überfütterung sei die Frage
erlaubt: Verdient Dada überhaupt so viel
Aufmerksamkeit? Verschiedene Gründe
sprechen dafür. Etwa die Tatsache, dass
die Kunstströmung Generationen von
Kunstschaffenden beeinflusst hat: Dada
war die Mutter revoltierender Künste
(ohne Dada gäbe es vermutlich keine
Pop-Art und keinen Punk) und die Ahnin
der Postmoderne (indem Dada die Ironie
und Parodie, das Flüchtige und Fragmentarische hochhielt und die Ablehnung grosser Ideologien vorwegnahm).
Darüber hinaus hat Zürich selten Gelegenheit, die Geburt einer kleinen Revolution zu feiern, die zu einem grossen
Exportartikel wurde. Und last, but not
least bietet das Jubiläum die letzte Chance, Mythen zu korrigieren: etwa die allgemein verbreitete Vorstellung, Dada sei
vor allem schräg gewesen.
Mit der Formel «Dada gleich billiger
Unsinn» räumt der Ausstellungskatalog
«Genese Dada» gründlich auf. Das Buch
und die gleichnamige Ausstellung im
Arp-Museum Bahnhof Rolandseck will
mit den «klischierten absurd lustigen,
grotesk schrägen, pubertär rebellischen
und revolutionär linken Vorstellungen
davon, was Dada ist», endgültig Schluss
machen, wie Co-Kurator Adrian Notz erklärt. Das gelingt den Autorinnen und
Autoren, die den gesellschaftlichen und
intellektuellen Nährboden Dadas aus
verschiedenen Perspektiven analysieren und beackern, mit teils glänzend
geschriebenen Beiträgen über philosophische, sprachtheoretische, kunsthistorische oder politische Themen überzeugend. Der Sammelband bringt die
notwendige Prise Seriosität in die Diskussion. So verorten etwa verschiedene
Autoren Dada Zürich nicht allein im Cabaret Voltaire, sondern betonen den ge-
nius loci der am Paradeplatz gelegenen
Galerie Dada. Diese war mit ihren Kunstund Vortragsabenden, Lesungen und
Performances «Reflexion und Vertiefung
dessen, was im Cabaret Voltaire angedacht und zuweilen auch per Zufall
ausprobiert wurde». Während ihrer halbjährigen Existenz im Jahr 1917 bot die
Produzentengalerie eine Plattform für
das damals aktuelle Konzept des Gesamtkunstwerks, für ein Nebeneinander
von verschiedenen Kunststilen, Formen
und Medien. Nicht von ungefähr verwahrt sich der Schweizer Kunsthistoriker Tobia Bezzola in seinem Essay gegen
Versuche, Dada als eine Einheit zu begreifen und als einen -ismus zu definieren: «Dada ist kein Stil.» Dada wurde zu
Dada, weil es sich als solches deklarierte
oder sich in einem explizit dadaistischen
Umfeld wie eben beispielsweise der Galerie Dada präsentierte.
Mit der Moderne leben
Der Komparatist Martin Mittelmeier versucht in seinem Buch «Dada. Eine Jahrhundertgeschichte» dieses Nebeneinander, diese für Dada typische Gleichzeitigkeit von eigentlich Unvereinbarem, mit
dem Oberbegriff der Simultanität zu fassen und in der damaligen intellektuellen
Kultur zu verorten. So zeigt er etwa am
Beispiel des deutschen Kunst- und Kulturtheoretikers Theodor Däubler, wie die
Menschen nach der Jahrhundertwende
mit der Heterogenität immer besser umzugehen verstanden. Nachdem Däubler
anfangs die zunehmende Verschandelung deutscher Städte durch Architekten
beklagte – die sich das Recht herausnähmen, «Neigung zur Renaissance zu fühlen oder sich Rokoko zu wünschen» –,
konnte er dem Nebeneinander von verschiedenen Stilen mit der Zeit etwas abgewinnen und dieses als Haltung des
modernen Lebens akzeptieren: «Simultanismus ist ein Zustand.» Ein Pendant zu
Däubler als Ausrufer der Simultanität
sieht Martin Mittelmeier in Guillaume
Apollinaire, dem französischen Vorreiter
2
MUSEUM OF MODERN ART / PRO LITTERIS
NIC ALUF / GALERIE BERINSON
1
THE ESTATE OF ERWIN BLUMENFELD / KUNSTHAUS
3
der modernen Literatur. An die Stelle der
linearen Erzählung setzt dieser ein Geflecht von Beziehungen.
Beispielhaft ist das Gedicht «lundi rue
christine» aus dem Jahr 1912, in dem
Apollinaire Gesprächsfetzen und Gedankenversatzstücke nebeneinander montiert, die man derart an einem Montag in
der Rue Christine gehört und gehabt
haben könnte. Mittelmeier erwähnt verschiedene Literaten unter den Dadaisten, die sich in der Tradition von Apollinaire bewegten. Leider vergisst er in
diesem Zusammenhang zwei weibliche
Dadaistinnen anzuführen, die überzeugende sprachliche Readymades schufen:
die Engländerin Mina Loy und die Französin Juliette Roche.
Offensichtlich schätzt Mittelmeier in
seiner teils fehlerhaften, teils etwas gar
salopp geschriebenen Dada-Geschichte
den Beitrag von Frauen an Dada nicht
sehr hoch ein. So erwähnt er die «DadaBaroness» Elsa von Freytag-Loringhoven
kaum – immerhin eine der ersten Performerinnen überhaupt, die erste Assemblage-Künstlerin in den USA und eine
von literarischen Kollegen wie William
Carlos Williams hochgeschätzte Dichterin. Und wenn er sie nennt, dann reduziert er die Künstlerin, die Dada verkör-
BERLINISCHE GALERIE / PRO LITTERIS
4
5
perte wie keine andere, unter anderem
auf ihr Geschlecht und definiert sie
lediglich als femme fatale, die «ganz
Greenwich Village mit amourösen Nachstellungen und provokanten Schamlosigkeiten in Atem» hielt.
Akribisch genau, äusserst kompetent
und spannend zu lesen ist demgegenüber der Beitrag von Adrian Sudhalter im
Ausstellungskatalog «Dadaglobe Reconstructed». In sechsjähriger Forschungsarbeit ist es der amerikanischen Kunsthistorikerin und Kuratorin gelungen,
Tristan Tzaras Anfang der zwanziger
Jahre konzipierte, aber nie publizierte
Anthologie zu rekonstruieren und sowohl als Buch wie auch als Ausstellung
(Kunsthaus Zürich und Museum of Modern Art New York) zu realisieren. 1921
bat Tzara fünfzig Dadaistinnen und Dadaisten, ihm Zeichnungen und Fotos von
Werken einzusenden sowie ein Porträtfoto, dessen «freie Bearbeitung bei gewahrter Deutlichkeit» den Einsendern
überlassen blieb. Das Echo war überwältigend, die meisten Künstlerinnen und
Künstler antworteten umgehend und
schickten Arbeiten sowie Porträts,
wovon ein Viertel bearbeitet oder inszeniert war. Darunter etwa die berühmte
Selbstinszenierung von Sophie Taeuber:
Mit «frei
bearbeiteten»
Porträtfotos setzten
Dadaisten 1921
ein Zeichen gegen
die Erfassung von
Personendaten.
1. Sophie Taeuber
2. Erwin Blumenfeld
3. I. K. Bonset
4. Peter Butler
5. Raoul Hausmann
Das Gesicht vom abstrakten Holzkopf
halb verdeckt, auf dem deutlich das Wort
Dada und die Jahreszahl 1920 zu lesen
sind. Bis anhin war kaum bekannt, dass
diese zur Ikone gewordene Porträtaufnahme aus dem Studio von Nic Aluf nur
aufgrund von Tristan Tzaras Projekt entstanden ist.
Gegen das Datensammeln
Dadaglobe war nicht nur ein wichtiger
Katalysator zur Entwicklung der dadaistischen Porträtfotografie, sondern auch
eminent politisch, wie Sudhalter in
ihrem Meilenstein der jüngsten DadaForschung festhält. Nur wenige Wochen
vor Tzaras Einladung an seine Mitstreiter
schlug nämlich der Völkerbund zur Regelung länderübergreifender Reisen eine
«staatliche Verwaltung mit Personendaten», unter anderem Porträtfotografien,
vor. Vor diesem Hintergrund «kam die
Aufforderung, das eigene Foto zu manipulieren, einem Aufruf zum Betrug
gleich», schreibt Sudhalter. Eine solche
Verortung im gesellschaftlichen und intellektuellen Umfeld macht den Band
«Dadaglobe Reconstructed» zu einer
unverzichtbaren Lektüre und sichert
ihm einen Platz in der Dada-Bibliothek
eines jeden Dada-Aficionados. ●
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17
DDP IMAGES
Sachbuch
Film Zum 80. Geburtstag von Rolf Lyssy würdigt ein Sammelband «Die Schweizermacher» und holt den
Stoff aus den 1970ern in die Gegenwart
DerErfolgsmacher
Georg Kohler, Felix Ghezzi (Hrsg.): «Die
Schweizermacher» – Und was die Schweiz
ausmacht. rüffer & rub, Zürich 2016.
336 Seiten, Fr. 29.80.
Von Simon Spiegel
Er ist der grosse Solitär der Schweizer
Filmgeschichte, eine Art Matterhorn des
einheimischen Filmschaffens, der in Sachen Publikumserfolg alle anderen Produktionen überstrahlt: Rolf Lyssys «Die
Schweizermacher» ist mit rund 940000
Kinoeintritten der bis heute erfolgreichste Schweizer Kinofilm. Und das mit einigem Abstand. Die RS-Klamotte «Achtung, fertig, Charlie!» kann auf Platz zwei
fast 400000 Eintritte weniger verbuchen. Angesichts der seit Jahren rückläufigen Kinoeintritte dürfte Lyssys Komödie das Prädikat «erfolgreichster Schweizer Film aller Zeiten» wohl noch eine
Weile erhalten bleiben. Sein Inventar,
von Emil Steinberger und Walo Lüönd
als Einbürgerungsbeamte Moritz Fischer
und Max Bodmer bis zu den braunen Abfallsäcken von Fräulein Vakulic, ist ohnehin längst allgemeines Schweizer Kulturgut geworden.
Kein politischer Film
Anlässlich des 80. Geburtstags von Regisseur und Drehbuchautor Rolf Lyssy,
den dieser am 25. Februar beging, ist nun
ein Band erschienen, der den Film und
seinen Regisseur würdigt und deutlich
macht, dass «Die Schweizermacher»
nicht nur hinsichtlich ihres phänomenalen Erfolgs aus der Reihe tanzen. Der
Film stand in seinem Erscheinungsjahr
1978 auch sonst ziemlich quer in der
Landschaft.
Wie verschiedene Beiträge des vom
emeritierten Philosophieprofessor Georg
Kohler gemeinsam mit Felix Ghezzi herausgegebenen Buchs hervorheben, setzte sich Lyssy mit seinem Ansinnen, eine
Komödie über die Schweizer Einbürgerungspraxis zu drehen, in mehrfacher
18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
Emil Steinberger
und Walo Lüönd als
«Schweizermacher»
im bis heute
meistbesuchten
Schweizer Kinofilm.
Hinsicht zwischen Stuhl und Bank. Den
Vertretern des «jungen Schweizer Films»,
die in den 1960ern antraten, ein Kino
jenseits des betulichen Heimatfilms zu
etablieren, waren Dialektfilme, zumal
komödiantische, grundsätzlich suspekt.
Aber auch die offizielle Schweiz konnte
Lyssys Drehbuch wenig abgewinnen; zu
den aufschlussreichsten Dokumenten,
die in dem Band enthalten sind, gehört
das Sitzungsprotokoll des Begutachtungsausschusses der Filmkommission
des Bundes, die es zweimal ablehnte,
den Film zu unterstützen. Von
«Schwank», «Vaudeville, mit bemühenden Passagen», Klischees sowie offensichtlicher Harmlosigkeit ist da die Rede.
Zum Schluss wird ganz schweres Geschütz aufgefahren: Die Förderung eines
solchen Projekts wäre moralisch geradezu unverantwortlich, das Thema sei für
die gewählte Form viel zu ernst.
Es ist freilich etwas wohlfeil, sich von
heute aus über dieses Verdikt lustig zu
machen. Vielmehr ist interessant, dass
die Einschätzung der Kommission bei
aller fehlgeleiteter Entrüstung doch
einen wahren Kern enthält. Wirklich politisch ist Lyssys Film nicht, und in diesem Sinne ist das Attribut «harmlos»
nicht ganz falsch gewählt. Am Ende
lösen sich die Nöte der Einbürgerungswilligen allesamt in Wohlgefallen auf;
dem italienischen Konditor werden die
politischen Umtriebe verziehen – so
grosszügig ist man hierzulande dann
doch –, und für die junge Jugoslawin, die
sich mit der von Steinberger gespielten
Hauptfigur einlässt, spielt es letztlich
keine Rolle, dass ihre Einbürgerung
bachab geht. Als Tänzerin ist sie ohnehin
Kosmopolitin.
Dass die Frage, wie die Schweiz mit
jenen Bewohnern des Landes, die keinen
roten Pass besitzen, umgeht, heute
aktueller ist denn je, dass die Überfremdungsdiskussion, die den Hintergrund von Lyssys Film bildet, im Vergleich mit aktuellen SVP-Vorstössen
geradezu harmlos erscheint, wird von
vielen Autoren angesprochen. Der Band
enthält denn auch nicht nur Rückblicke,
Quellenmaterial und Interviews, sondern zielt an verschiedenen Stellen explizit auf die Gegenwart; am deutlichsten in der von Georg Kohler geleiteten
Gesprächsrunde zum Selbstverständnis
der Schweiz. Im Zentrum steht hier die
Frage, wie eine Gegenerzählung zum
verhängnisvoll erfolgreichen Angstnarrativ der SVP aussehen könnte.
Komiker sind Tragiker
Im Lichte der heutigen politischen
Diskussion erscheinen Figuren wie der
Erzbünzli Max Bodmer schon fast als
drollige Charakterköpfe. Verschiedene
Autoren arbeiten sich an der offensichtlichen Diskrepanz zwischen der insgesamt versöhnlichen Tonlage des Films
und der schrillen politischen Gegenwart
ab. Allzu fruchtbar sind diese Versuche
nicht; der Erfolg der «Schweizermacher»
dürfte letztlich gerade darin gründen,
dass der Film in bewährter Schweizer
Manier ein brisantes gesellschaftliches
Thema auf ein allgemein verträgliches
Mass einkocht – schnörkellos und ohne
übermässigen künstlerischen Anspruch.
Dass die Komödie solides Handwerk und
kein überragendes Kunstwerk darstellt,
ist Lyssy und seinen Mitstreitern, die
in ihren Wortmeldungen sympathisch
allürenfrei erscheinen, dabei durchaus
bewusst.
Komiker sind im Innersten immer Tragiker, das gilt auch für Rolf Lyssy. Nicht
nur durchlitt der Filmemacher Ende der
1990er eine schwere Depression, seine
ganze weitere Karriere stand im Schatten
seines Grosserfolgs, an den er nie wieder
anknüpfen konnte. Vielmehr musste er
weiterhin zahlreiche Absagen durch Förderinstitutionen hinnehmen. Zu seinem
Geburtstag ist dem Jubilar denn auch vor
allem zu wünschen, dass seinem jüngsten Projekt, dem gemeinsam mit Dominik Bernet verfassten Drehbuch «Die
letzte Pointe», wieder mehr Erfolg beschieden ist. ●
Kulturgeschichte Steffen Martus zeichnet ein neues Epochenbild des 18. Jahrhunderts und zeigt, wie
die Aufklärung ihren Weg in den Alltag fand
GeburtsstundederZeitungsleser
Ideen, die die Welt bewegen, kommen
meist erst mit einiger Verspätung in der
Wirklichkeit an. Mit dem Wort «Aufklärung» verbinden wir Wertvorstellungen
wie religiöse Toleranz, Gleichheit aller
Menschen vor dem Gesetz, persönliche
Selbstbestimmung, Meinungs- und Pressefreiheit. In älteren Gesamtdarstellungen der europäischen Aufklärung nimmt
es sich so aus, als hätten im Lauf des 18.
Jahrhunderts kluge Köpfe wie Lessing,
Voltaire, Kant dieses Idealpaket schrittweise der Öffentlichkeit unterbreitet –
und die moderne Welt war geboren!
Eine solche Höhenkammgeschichte
der Aufklärung macht es sich nach Ansicht des Berliner Kulturwissenschafters
Steffen Martus zu leicht. Sie ignoriert das
reale Vermittlungsgeschehen, in dem der
Geist sozusagen Fleisch ward, interessiert sich nicht für die Institutionen und
Medien jener Wissensausbreitung, auf
die die Aufklärer selbst so stolz waren.
Martus’ «Epochenbild» des deutschen
18. Jahrhunderts geht deshalb von anderen Leitfragen aus: Wie brachten die Philosophen und Schriftsteller ihre Ideen in
Umlauf, wie drang das aufklärerische Gedankengut in den Alltag ein und ergriff
von den Gemütern derart Besitz, dass es
– um nur ein Beispiel zu geben – am Ende
des Jahrhunderts unter den Gebildeten
schon selbstverständlich war, einen
Selbstmörder nicht mehr als Sünder zu
betrachten, der auch nach seinem Tod
noch durch öffentliche Schändung des
Freund wilder Lektüren: Barthold
Heinrich Brockes.
ten Stadtbürger vorstellt:
empfänglich für Naturschönheit, den Freuden
der Geselligkeit zugetan,
doch immer auch darauf
bedacht, sich in die stille
«Studir-Stube» zurückzuziehen, wo er heidnische
Philosophen,
christliche Erbauungsliteratur und neueste naturwissenschaftliche
Schriften wild durcheinanderliest. Der Autor
präsentiert sich als Modell
eines beweglichen, mit modernem «Beziehungs-sinn»
ausgestatteten
Menschen.
Fraglos ist er nach wie vor ein
guter Christ; die göttliche Ordnung erscheint nun aber nicht mehr
als starres Gefüge, sondern als ziemlich
kompliziertes, von einer höchsten Instanz erfreulicherweise noch gebändigtes Kräftespiel.
Anhand solcher Fallgeschichten gelingt es Steffen Martus, das riesige intellektuelle Panorama des 18. Jahrhunderts
geradezu spannend zu entfalten. Sie
kommen alle vor: von Thomasius über
Gottsched, Bodmer, Klopstock bis hin zu
Lessing, Herder und Kant (und viele andere mehr). Stets werden die grossen
Theorien aber vorgestellt im Blick auf
ihre praktische Umsetzung im Kulturbetrieb der damaligen Zeit und die Herausbildung neuer, uns bis heute prägender
Mentalitäten. So ist dieses faszinierende
Porträt eines scheinbar ferngerückten
Zeitalters auch ein Buch von verblüffender Aktualität. ●
Klima Die Geschichte wird oft nicht vom Menschen, sondern von Wind und Wetter geformt
Ein Hoch aufs Hoch!
Ronald D. Gerste: Wie das Wetter
Geschichte macht. Katastrophen und
Klimawandel von der Antike bis heute.
Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 280 Seiten,
Fr. 26.90, E-Book 23.90.
Von Florian Oegerli
Es gilt als eines der langweiligsten Smalltalk-Themen überhaupt: das Wetter. Zu
Unrecht. Denn Regen, Hagel und Hitze
helfen nicht nur beim Überbrücken
alltäglicher Gesprächslücken, sondern
auch beim Austragen kriegerischer Auseinandersetzungen. Von Napoleon bis zu
Jimmy Carter: Oft entschied weniger taktisches Geschick als vielmehr die aktuelle Wetterlage den Ausgang einer
Schlacht. Das alles macht ein neues,
kurzweiliges Buch des Historikers und
Publizisten Ronald D. Gerste klar. In packend erzählten Kapiteln zeigt Gerste die
geschichtsbildende Kraft des meteorologischen Zufalls. So verdankt sich das
heutige Europa einem plötzlichen Hoch
über den Azoren am 6. Juni 1944: Wäre
das Wetter an jenem Dienstag so miserabel geblieben wie in den Tagen zuvor, der
«D-Day» hätte erst Wochen später durchgeführt werden können und ein grösserer Teil Europas wäre vermutlich von der
Roten Armee besetzt worden. Ein Hoch
auf das Hoch also!
Auch längerfristige klimatische Entwicklungen finden Eingang in das Buch.
Gerste erklärt, weshalb die Warmperiode
des Hochmittelalters den Bau gotischer
Kathedralen begünstigte, was der Untergang des Imperium Romanum mit dem
Regenwetter der Völkerwanderungszeit
und das Aussterben der Maya mit exzessiven Waldrodungen zu tun haben.
Ambivalent bleibt dagegen Gerstes
Einordnung des aktuellen anthropogenen Klimawandels. Im Epilog deutet der
Autor an, dass er die Problematik der
«Überbevölkerung» für weitaus dringlicher hält. Ein Urteil, das etwas erstaunt,
nimmt doch die jährliche Bevölkerungszuwachsrate laut den Vereinten Nationen stetig ab, derweil sich die Temperaturen in die umgekehrte Richtung bewegen. Davon abgesehen, bietet das unterhaltsam geschriebene Buch einiges an
Erkenntnis, darunter nicht zuletzt die,
dass die Geschichte eher von «grossen
Stürmen» und «grossen Dürren» geprägt
wird als von «grossen Männern» – bis
zum heutigen Tag. ●
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19
SAMMLUNG RAUCH / INTERFOTO
Von Manfred Koch
Leichnams zu bestrafen war,
sondern als Seelenkranken,
dessen unglückliche Lebensgeschichte man erforschen
müsse, um seine Motive
nachzuvollziehen? Kurz:
Martus erzählt, wie die
Aufklärung zur Normalität wurde.
Viel ist in diesem
Buch von «Netzwerken»
und «Medien» die Rede.
Martus, Professor an der
Humboldt-Universität,
schildert gleichsam den
Geschäftsbetrieb der Aufklärung, in dem konkurrierende Intellektuelle um
die Aufmerksamkeit eines
zunehmend lesekundigen
Publikums warben, wechselnde Bündnisse eingingen, sich
publizistisch bekriegten und
manchmal auch wieder versöhnten.
Der Effekt war eine Gewöhnung an
Meinungsvielfalt allein dadurch, dass, wer
etwas auf sich hielt, nun selbstverständlich Zeitungen und Zeitschriften las.
Am Beispiel des Hamburger Ratsherrn
und Dichters Barthold Heinrich Brockes
zeigt Steffen Martus, wie die Moralischen Wochenschriften der Frühaufklärung ihre Leser förmlich darauf trainierten, sich in mannigfaltigen Lesewelten
zu bewegen, «gepflegte Kritik und Gegenkritik» schätzen zu lernen und auf
diese Weise die «Medienkompetenz» für
eine zunehmend dynamische, durch beschleunigten Wandel geprägte Gesellschaft zu erwerben. «Der Patriot» hiess
die wichtigste Zeitschrift der Hamburger
Aufklärung; in ihr veröffentlichte Brockes 1724 einen Aufsatz, in dem er sich
selbst als flexiblen, vielseitig interessier-
#### CREDIT
Steffen Martus: Aufklärung. Das deutsche
18. Jahrhundert – ein Epochenbild.
Rowohlt, Berlin 2015. 1037 Seiten,
Fr. 52.–, E-Book 38.–.
Sachbuch
Generationen Sacha Batthyany konfrontiert sich mit der düsteren Vergangenheit seiner Verwandten
LichtineinevonHitlerundStalin
überschatteteFamiliengeschichte
Sacha Batthyany: Und was hat das mit mir
zu tun? Ein Verbrechen im März 1945.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
256 Seiten, Fr. 27.90, E-Book 20.–.
Von Claudia Kühner
Ruine des Schlosses
Rechnitz, wo die
Verwandten des
Autors im März 1945
feierten, während ihre
Gäste Zwangsarbeiter
erschossen.
OKAPIA
Nun sind es die Enkel, die sich mit
der Familiengeschichte in der NS-Zeit
beschäftigen. Einer von ihnen ist der
Zürcher Journalist Sacha Batthyany,
Jahrgang 1973, Träger eines alten ungarischen Adelsnamens. Eines Namens, der
mit einer dunklen Geschichte verbunden
ist. Doch darüber ging man mit Schweigen hinweg – bis 2007 eine Zeitung den
eigentlich längst bekannten Fall wieder
aufgriff: Im burgenländischen Rechnitz
waren im März 1945 an die 200 jüdische
Zwangsarbeiter erschossen worden. Von
lokalen Nazis, die auf Schloss Rechnitz
als Gäste von Margit und Ivan BatthyanyThyssen einen alkoholreichen Kameradschaftsabend feierten.
Das waren Sacha Batthyanys Grossonkel und dessen Frau, die milliardenschwere Schwester des Kunstsammlers
Heinrich Thyssen. Dass das Paar an der
Mordtat selber beteiligt war, wurde nie
nachgewiesen; die Haupttäter aber gehörten zu seinem Kreis und entkamen
kurz darauf dank seiner Hilfe in die
Schweiz. Das Ehepaar Batthyany zog bei
Kriegsende nach Lugano und lebte dort
unbehelligt von jeder Behörde. «Meine
Verwandten hatten nicht gefoltert, nicht
geschossen, nicht gequält. Sie hatten nur
zugeschaut und nichts unternommen,
hatten aufgehört zu denken und als Men-
schen zu existieren, obwohl sie alles
wussten.» Mit dieser Feststellung und
der Frage, was so eine Familienvergangenheit mit einem macht, begann
Batthyany eine aufwendige Recherche.
Sie führte zu Vater und Grossmutter nach
Budapest, nach Rechnitz und nach Sibirien, wo der Grossvater zehn Jahre Gulag
überlebt hatte, nach Lugano und bis
nach Buenos Aires. Diese Reise, die auch
eine zu sich selbst war, hat Batthyany in
einem lesenswerten und bemerkenswert
offenen Buch geschildert.
Unterstützung suchte der Autor beim
Psychoanalytiker Daniel Strassberg, der
die Recherchen mit Gesprächen begleitete und Batthyany dazu brachte, familientypische Verhaltensweisen freizulegen. Schon beim Vater, der 1956 von
Ungarn in die Schweiz kam und nun wieder in Budapest lebt, zeigen sich bekannte Muster: lieber nichts wissen wollen.
Das Reden über die Familie soll helfen,
die Distanz zwischen Vater und Sohn zu
überwinden. Zusammen reisen sie nach
Sibirien an den Ort der Lagerhaft des
Grossvaters. Stalin, so zeigt sich, hält
auch noch den Vater gefangen. Rechnitz
hat da keinen Platz. Und in Rechnitz wiederum wenden sich die Bewohner bis
heute schweigend ab, wenn jemand nach
den Ereignissen der Kriegszeit fragt.
Um einen Zugang zur Vergangenheit
zu finden, muss Batthyany weiter reisen.
In Aufzeichnungen seiner Grossmutter
stiess er auf Agnes Mandl. Beide hatten
im selben ungarischen Dorf gelebt, die
eine auf dem Schloss, die andere, Tochter einer jüdischen Familie, im Dorf. Batthyanys Grossmutter wurde Zeugin von
der Ermordung von Agnes’ Eltern: Sie
wurden 1944 von der SS im Schlosshof
erschossen. Für den Rest des Lebens
warf sie sich vor, damals nicht geholfen
zu haben. Das belegen ihre Notizen.
Mandl selber überlebte Auschwitz und
wanderte nach Buenos Aires aus. Batthyany spürte sie und ihre Töchter auf
und reiste hin. Sie übergaben ihm Tagebücher von Agnes, die dieselben Geschehnisse reflektierten. Batthyany hat
diese beiden Zeugnisse zueinandergestellt – sie bilden die bewegendsten,
weil authentischsten Stellen des Buchs.
Und was hat das nun mit dem heutigen Sacha Batthyany zu tun? Der Analytiker stellt fest: Eine Familie schwacher
Männer, die den Lebensmittelpunkt in
der Vergangenheit hat. In diesen Schwächen erkennt sich auch der Autor wieder.
Seine Stärke ist es aber, sich mit schmerzlichen Wahrheiten zu konfrontieren.
Dazu gehört zuletzt auch die Einsicht,
dass er Agnes nicht besucht hat, um ihr
etwas zu geben, sondern um etwas zu
holen: «Ein Stück Existenz.» ●
Macht Zwei Juristen über Zusammenhänge zwischen materiellen Nöten und maroden Rechtssystemen
Justitia im Kampf gegen die Armut
Gary A. Haugen, Victor Boutros: Gewalt –
die Fessel der Armen. Worunter die
Ärmsten dieser Erde am meisten leiden.
Springer, Heidelberg 2016. 326 Seiten,
27 Abb., Fr. 28.90, E-Book 20.90.
Von Michael Holmes
Täglich konfrontieren uns die Medien
mit Bildern spektakulärer Gewalt aus
aller Welt. Aber Kriege, Staatsrepression
und Terrorakte bilden nur einen Bruchteil der globalen Gewalt. Die meisten
Gewaltopfer besitzen nicht ausreichend
Geld, Bildung und Macht, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen. «Gewalt –
die Fessel der Armen» heisst ein zutiefst
erschütterndes, aber wissenschaftlich
fundiertes Buch über vielfältige Gewaltverbrechen, die zahllosen Armutsbetroffenen das Leben zur Hölle machen.
20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
Autor Gary Haugen ist Präsident der
Rechtshilfeorganisation
International
Justice Mission, die in Afrika, Lateinamerika und Asien gemeinsam mit lokalen Akteuren die Rechte der Armen verteidigt und Justizsysteme verbessert.
Co-Autor Victor Boutros leitet eine amerikanische Strafverfolgungseinheit gegen Menschenhandel. Ihr bewegendes
Manifest dokumentiert allgegenwärtige,
aber weitgehend verborgene Gewaltplagen in Entwicklungsländern. Ihre
Geschichten über Kindesmissbrauch in
Peru, Sklaverei und Zwangsprostitution
in Indien, sexuelle Gewalt und Polizeiwillkür in Kenia sowie Landraub in Uganda führen den Leser in eine grauenvolle
Albtraumwelt.
Die Autoren analysieren komplexe
Zusammenhänge zwischen Gewalt und
Armut und zeigen auf, wie Rechtssysteme seit Kolonialzeiten den Machteliten
dienen. Sie besprechen tiefgehende Studien, denen zufolge sichere Menschenund Eigentumsrechte mindestens so bedeutend für die Armutsbekämpfung sind
wie Bildung und Gesundheit. Gewaltepidemien schaden der Wirtschaftsentwicklung nicht weniger als Kriege oder
Naturkatastrophen. In Umfragen stufen
die meisten Slumbewohner Gewalt als
ihr grösstes Problem ein.
Das Buch belegt, dass kaum Entwicklungshilfegelder in effektive Rechtsdurchsetzung für die Armen fliessen, obwohl rasche Siege über die Kriminalität
im Bereich des Möglichen liegen. Sie dokumentieren die historischen Entwicklungen in den USA, Frankreich und Japan
sowie erfolgreiche Pilotprojekte in Brasilien, im Kongo und auf den Philippinen.
Eine bedeutende Anklageschrift, die die
Augen öffnet für die erbitterten Kämpfe
der Armen um Gerechtigkeit. ●
Schweiz Marcel Gyr untersucht den Terror der 1970er und löst mit seinen Grabungen ein Erdbeben aus
HelvetischerPolitthriller
Marcel Gyr: Schweizer Terrorjahre.
Das geheime Abkommen mit der PLO.
NZZ Libro, Zürich 2016. 183 Seiten,
Fr. 37.90, E-Book 22.30.
Marcel Gyr ist ein Coup gelungen. Eigentlich hat sich der NZZ-Reporter aufgemacht, die Lücken rund um den Absturz
der Swissair-Coronado in Würenlingen
zu schliessen, bei dem am 21. Februar
1970 alle 47 Insassen ums Leben gekommen waren. Die Katastrophe wurde nie
restlos aufgeklärt, der mutmassliche Verantwortliche nie zur Rechenschaft gezogen, obwohl schnell klar war, dass es sich
um einen palästinensischen Terroranschlag handelte. Im Frachtraum der Coronado war eine Paketbombe explodiert,
die für eine Maschine der israelischen
Fluggesellschaft El Al bestimmt war. Nur
durch Zufall war sie in die Swissair-Maschine gelangt.
Auch nach aufwendigen Recherchen
zum palästinensischen Terror in der
Schweiz kann Gyr die offenen Fragen
rund um den Absturz von Würenlingen
nicht abschliessend klären. Stattdessen
aber schafft er etwas anderes: Er deckt
einen veritablen Politskandal auf. Im
September 1970, als mehrere Flugzeugentführungen durch palästinensische
Terroristen die Schweiz und die ganze
Welt in Atem hielten, brach ein Altbundesrat mit einer eisernen Regel. «Mit Terroristen wird nicht verhandelt», heisst es
gemeinhin. Der ehemalige SP-Magistrat
und Aussenminister Pierre Graber aber
tat es trotzdem. Er schloss ein Stillhalteabkommen mit den Palästinensern, auf
eigene Faust und in der festen Überzeugung, die Schweiz damit vor weiterem
Terror bewahren zu können.
Kontrovers diskutiert
Gyrs Enthüllungen lösten in der Schweizer Politlandschaft ein kleines Erdbeben
aus. Der Bundesrat sieht sich genötigt,
eine interdepartementale Arbeitsgruppe
ins Leben zu rufen, die sich mit den Beziehungen der Schweiz zur palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in
den 1970er-Jahren befassen soll. Die Geschäftsprüfungskommission der eidgenössischen Räte bittet den Bundesrat um
eine rasche und lückenlose Aufklärung
der Geschehnisse von damals. Und die
Medien werden nicht müde, Historiker
und Zeitzeugen aufzuführen, die Gyrs
These entweder stützen oder stürzen. Es
ist lange her, dass in der Schweiz ein
Buch so kontrovers diskutiert wurde.
Im Kern basiert es auf Gesprächen, die
Gyr mit den letzten lebenden Protagonisten geführt hat, darunter Robert Akeret,
damals Bezirksanwalt und Chefermittler
im Fall Würenlingen, Vizekanzler Walter
Buser, der zu jener Zeit die Protokolle
der Bundesratssitzungen verfasste, und
Jean Ziegler, der den Kontakt mit den
Palästinensern hergestellt hatte. Farouk
CORNELIA ZIEGLER
Von Kathrin Alder
Im September
1970 entführten
palästinensische
Terroristen drei
Flugzeuge in die
Wüste. Hier: Jubel
nach der Sprengung
der Maschinen in
Zerqa, Jordanien.
Kaddoumi, den palästinensischen Gegenpart der geheimen Verhandlungen,
traf Gyr in dessen Exil in Tunesien. Deren
Erinnerungen, aber auch schriftliche
Quellen werfen ein neues Licht auf die
Vorkommnisse, die die Schweiz auf dem
Höhepunkt ihrer «Terrorjahre» erlebte.
Einmal mehr war am 6. September
1970 ein Swissair-Flugzeug betroffen,
dieses Mal wurde es von Kämpfern der
Volksfront zur Befreiung Palästinas
(PFLP) nach Zerqa mitten in der jordanischen Wüste entführt; gemeinsam mit
einer britischen und einer amerikanischen Maschine. Unter den entführten
Passagieren befanden sich auch Deutsche, weshalb Deutschland, Grossbritannien, die USA und die Schweiz einen gemeinsamen Sonderstab bildeten, der mit
den palästinensischen Entführern verhandelte. Der Stab traf sich in Bern, und
insbesondere der britische Premierminister Edward Heath schwor die Gruppe
auf einen gemeinsamen Auftritt ein. Auf
keinen Fall sollten separate Verhandlungen geführt werden.
Ein Büro als Gegenleistung
Bundesrat Graber aber hielt sich nicht
daran und suchte Kontakt zu den Palästinensern. Als Mittelsmann diente ihm der
Soziologe und damalige Nationalrat Jean
Ziegler, ein politischer Paradiesvogel, der
mit allen sozialistischen Befreiungsbewegungen der Welt sympathisierte und
beste Verbindungen zu palästinensischen Diplomatenkreisen unterhielt.
Ziegler vermittelte Graber einen Kontakt
zu Farouk Kaddoumi, damals informeller Aussenminister der PLO. In einem
Genfer Hotel fanden geheime Treffen
statt, Graber beging einen doppelten Verrat: Weder der Sonderstab noch die übrigen Mitglieder des Bundesrats wussten
von den Treffen. «Beim Abschied habe
ich zur Schweizer Delegation gesagt:
Wenn es wieder ein Problem geben soll-
te, könnt ihr mich gerne nochmals
kontaktieren», wird Kaddoumi im Buch
zitiert. «Aber wie Sie wissen, hat es danach keine Probleme mehr gegeben.»
Für diese Zusicherung musste Graber
einen hohen Preis bezahlen. Zwar wurden die Zerqa-Geiseln befreit, die
Schweiz musste im Gegenzug aber drei
palästinensische Terroristen freilassen,
die in Zürich aufgrund eines Attentats
auf eine El-Al-Maschine zu zwölf Jahren
Haft verurteilt worden waren. Viel wesentlicher aber war die Tatsache, dass
sich die Schweiz für die Palästinenser erpressbar machte. «Wenn über palästinensische Fragen entschieden werden
musste, verlor die Schweizer Diplomatie
ihre Autonomie», schreibt Gyr. Tatsächlich erlaubte es die Schweiz der PLO, am
Uno-Sitz in Genf ein Büro zu eröffnen –
als Gegenleistung für Kaddoumis Sicherheitsgarantie. Für die PLO war das ein
wichtiger Schritt, um auf diplomatischer
Ebene Gehör zu finden. Wie Gyr aufzeigt, gab es in der Folge immer wieder
Momente, in denen die Palästinenser die
Schweiz mit weiteren Forderungen und
Drohungen vor sich her trieben.
Zwar blieb die Schweiz vor weiteren
palästinensischen Terroranschlägen in
der Folge tatsächlich verschont. Ob dies
auf das Stillhalteabkommen zurückzuführen ist, können allerdings auch die
befragten Akteure, auf deren Aussagen
sich das Buch massgeblich stützt, nicht
beantworten. Gyrs These lässt sich auch
nicht endgültig beweisen; Hauptakteur
Graber hat die Geschehnisse jenes Septembers mit ins Grab genommen. Zum
Ende der empfehlenswerten Lektüre
bleiben drei Fragen: War Grabers Vorgehen nun mutig oder schlicht fatal?
Welchen Einfluss hatte das Stillhalteabkommen auf die Strafverfolgung im Fall
Würenlingen? Und: Wann werden wir
den auf dem Buch basierenden Politthriller wohl im Kino sehen? ●
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21
Sachbuch
Geschichte Der österreichische Historiker Gerald Stourzh macht sich mit der Gleichheitsordnung für
eine zentrale Errungenschaft der Moderne stark
VomRecht,Rechtzuhaben
Gerald Stourzh: Die moderne Isonomie.
Menschenrechtsschutz und demokratische Teilhabe als Gleichberechtigungsordnung. Böhlau, Wien-KölnWeimar 2015. 182 Seiten, Fr. 45.40.
Von Carlo Moos
Gerald Stourzh, von 1969 bis zur Emeritierung 1997 Professor für Geschichte der
Neuzeit an der Universität Wien, gilt mit
Forschungen und Publikationen zur ausgehenden Habsburgermonarchie und
zum Staatsvertrag von 1955 als Altmeister der österreichischen Geschichte. Seinen neuesten schmalen Band bezeichnet
er in übergrosser Bescheidenheit als
«Essay». In Tat und Wahrheit legt er mit
dieser Summa eines langen Gelehrtenlebens ein eindrückliches Bekenntnis zu
den Rechtsgrundlagen des Zusammenlebens der Menschen vor.
«Isonomie» ist ein erstmals von Herodot eingesetzter Begriff und lässt sich
mit «Gleichheitsordnung» übersetzen.
Bevor er im Hauptkapitel seines Werks
den Wegen zur modernen Isonomie
nachgeht, präsentiert Stourzh sie in der
griechischen Antike und in ihren bis
1750/1850 geltenden Abstufungen zwischen Herr und Sklave, Leibherr und
Leibeigener, Grundherr und Höriger oder
allgemein zwischen Herr und Knecht,
alles mit einer stupenden Fülle von treffenden Beispielen.
2015 lancierte Initiative «Schweizerrecht
statt fremde Richter» zu erinnern, wonach die Bundesverfassung über das Völkerrecht zu stehen kommen soll. Damit
würde nicht nur eine über 200-jährige
Rechtsentwicklung abgeblockt, sondern
recht eigentlich rückgängig gemacht,
was für ein Land, das seit Rousseau an
der von Stourzh aufgezeigten Entwicklung mitbeteiligt ist, ein Makel sondergleichen wäre. Es ist zu wünschen, dass
möglichst viele Gegner der Initiative diesen gut lesbaren Essay eines bedeutenden österreichischen Historikers studieren und einsetzen. ●
Carlo Moos ist emeritierter Professor für
Geschichte der Universität Zürich
in Bewegung zu setzen». Insbesondere
hier, beim Recht, Beschwerden gegen
Verletzungen der Grundrechte zu erheben und gegen den eigenen Staat vor
einem internationalen Gericht zu klagen,
erweist sich die Brisanz des Textes,
dies erst recht, wenn man die neu aufgekommene «Gefahr der Opferung von
Grund- oder Menschenrechtsgarantien
auf dem Altar der Sicherheit» bedenkt.
Das Rad zurückdrehen?
Die Schweiz wird nur am Rand
erwähnt, aber gerade für sie sind die Betrachtungen des Verfassers von erheblicher Sprengkraft. Es genügt, an die ausgerechnet von einem Rechtsprofessor
Chronometrie Die Zeit im Bild
Klagen gegen den Staat
Der Hauptteil setzt mit den Paukenschlägen der Amerikanischen und Französischen Revolution ein und verfolgt ihre
Nachgeschichte bis in die Gegenwart.
Hier werden die sechs Komponenten der
modernen Isonomie erläutert. Es sind (1)
die allgemeine Rechtsfähigkeit, das
heisst das Recht, Recht zu haben und
nicht Sklave oder Ausgegrenzter zu sein;
(2) die persönliche Gleichheit vor dem
Gesetz nach dem Abbau von Privilegierungen und Diskriminierungen von der
Bauernbefreiung über die Judenemanzipation und die Gleichberechtigung der
Frau bis zum Status von Ausländern,
Flüchtlingen und Asylsuchenden in der
Epoche weltweiter Migrantenströme; 3)
die Grundrechte und 4) der Grundrechtsschutz als Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit; 5) die Internationalisierung
von Grundrechten als Menschenrechte;
schliesslich 6) die Demokratie als politische Teilhabe auf der Grundlage des
allgemeinen, gleichen und geheimen
Männer- und Frauenwahlrechts. Von da
erhält das Buchcover mit dem 1994 in
Südafrikas ersten freien Wahlen das
Wahlrecht ausübenden Nelson Mandela
seine tiefere Bedeutung.
Die Conclusio greift aus den sechs
Komponenten der modernen Isonomie
zwei Eigenschaften des Individuums als
Rechtsperson heraus: als Träger des
Rechts auf politische Teilhabe und als
Träger des Rechts, «die Rechtsordnung
22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
Kann man die Zeit abbilden? Und wie man es kann! Heute
geschieht dies zwar fast immer mit einer horizontalen
«Zeitleiste», wie wir sie etwa für die Entwicklung von
Börsenkursen kennen. Diese Darstellungsform ist jedoch relativ jung, wie die amerikanischen Historiker Daniel Rosenberg und Anthony Grafton mit ihrer stupenden Sammlung von Zeitdarstellungen deutlich machen.
Unser Bild zeigt ein englisches Brettspiel aus dem Jahr
1840, bei dem die Spielfiguren von einem historischen
Ereignis zum nächsten hüpften. Man beginnt dabei bei
Adam und Eva ganz aussen und bewegt sich spiralförmig nach innen – bis zu Königin Victoria im Zentrum.
Seit der Antike wurde die Weltgeschichte jedoch lange
in Tabellen, in parallelen vertikalen Spalten, in Reihen
von Stammbäumen, als ineinander greifende Ringe und
schliesslich sogar als Zifferblatt einer Uhr grafisch dargestellt. Kathrin Meier-Rust
D. Rosenberg, A. Grafton: Die Zeit in Karten. Eine Bilderreise durch die Geschichte. Philipp von Zabern, Darmstadt 2015. 304 S., 308 Abb., Fr. 101.–, E-Book 69.90.
Nahostkonflikt Der Autor Nir Baram begibt sich auf eine Reise durch die von Israel besetzten Gebiete
EinVersuch,dieMauerder
Verdrängungzudurchbrechen
Nir Baram: Im Land der Verzweiflung.
Ein Israeli reist in die besetzten Gebiete.
Aus dem Hebräischen von Markus
Lemke. Hanser, München 2016.
300 Seiten, Fr. 28.90.
Nir Baram ist nicht der erste israelische
Autor, der sich auf eine direkte Begegnung mit der Bevölkerung in den von
Israel seit 1967 besetzten Gebieten einlässt. Amos Oz und David Grossman
haben es vor ihm getan. Doch seither
sind Jahrzehnte vergangen, in denen
Hoffnung und Hoffnungslosigkeit unerbittlich aufeinanderfolgten. Erste und
zweite Intifada, Libanonfeldzug und
Gazakrieg, Raketenbeschuss und Siedlungsbau sowie die jüngst ausgebrochene Welle der Gewalt haben zu einer
Situation geführt, der viele Israeli nur
noch mit massiver Verdrängung zu
begegnen vermögen.
Wie seinerzeit schon David Grossman
hat nun auch Nir Baram beschlossen,
diese Mauer der Verdrängung zu durchbrechen und die Verhältnisse beidseits
der Grünen Linie persönlich in Augenschein zu nehmen. Entstanden sind auf
dieser Erkundungsreise 12 grossangelegte Reportagen, die im Verlauf des letzten
Jahres unter dem Titel «Walking the
Green Line» in der israelischen Tageszeitung «Haaretz» publiziert wurden. Mit
einem Prolog und einem Epilog versehen, sind sie dieser Tage nun auch als
Buch in deutscher Übersetzung bei Hanser in München erschienen.
Unbestechlicher Beobachter
Mit dem Titel «Im Land der Verzweiflung» setzt die deutschsprachige Ausgabe allerdings einen Akzent, der im Original bewusst vermieden wird. Nir
Baram hat sich so vorurteilsfrei wie nur
irgend möglich auf die Reise gemacht
und in seinen Texten lediglich wiederzugeben versucht, was er gesehen und gehört hat. Äusserungen des Mitleids, der
Empörung oder auch der Kritik versagt er
sich weitgehend. Die Leser sollen sich
selbst ein Urteil bilden über die Zustände, in denen die Menschen in Ostjerusalem, Gaza und den übrigen Palästinensergebieten nun schon seit bald
50 Jahren leben müssen. Dass der Autor
beim Schreiben in erster Linie an israelische Leser gedacht hat, macht die Lektüre seiner Reportagen für Aussenstehende nicht immer einfach. Anmerkungen oder ein erklärender Apparat wären
da zweifellos hilfreich gewesen.
Doch auch wem die letzten Feinheiten
israelischer Politik verborgen bleiben,
wird von der Lektüre beeindruckt sein.
Nir Baram ist ein unbestechlicher Beobachter, und er schont weder sich noch
RONEN ZVULUN / REUTERS
Von Klara Obermüller
Ein jüdischer Siedler
blickt von fern auf
das Dorf Duma in der
West Bank. Nir Baram
suchte die direkte
Begegnung mit den
besetzten Gebieten.
sein Gegenüber. Ganz nah geht er an die
neuralgischen Stellen heran und weicht
auch politisch brisanten und heiklen Begegnungen nicht aus. Seine Gesprächspartner findet er in allen politischen Lagern. Es sind Vertriebene der Kriege von
1948 und 1967 genauso darunter wie alteingesessene Kibbuzbewohner, radikale
Siedler ebenso wie ortsansässige Bauern,
Politiker, die von einem Grossisrael träumen, ebenso wie Friedensaktivisten, die
sich für ein gewaltfreies Nebeneinander
der beiden Völker in dem einen Land einsetzen. Ihre Lebensbedingungen sind
so unterschiedlich wie ihre politischen
Überzeugungen. Einig sind sie sich eigentlich nur in einem einzigen Punkt:
So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Die
Hoffnungen, die das Oslo-Abkommen
geweckt hatte, sind zerschlagen, die
Friedensbemühungen gescheitert. Die
Verheissung einer Zwei-Staaten-Lösung
ist zur leeren Rhetorik verkommen. Niemand glaubt mehr daran. Eine Alternative ist keine in Sicht.
Wenn die Worte fehlen
Es ist ein hohes Verdienst des Autors,
dass er sich trotz Mutlosigkeit und Verzweiflung auf der einen, Gleichgültigkeit
und Zynismus auf der andern Seite
vor Verurteilung und Schuldzuweisung
hütet. Und auch davor, Lösungsvorschläge zu präsentieren, an die ohnehin
niemand mehr glaubt.
«Ich habe mich auf diese Reise gemacht», sagt er, «um herauszufinden,
wie das Land wirklich aussieht, in dem
ich bis an mein Lebensende bleiben
werde.» Diese Haltung eines scheinbar
unbeteiligten Beobachters, der doch mit
jeder Faser seines Ichs an diesem heilig-
unheiligen Land hängt, hält er über den
ganzen Bericht hinweg durch. Er tut es in
der Überzeugung, dass nur radikale Offenheit gegenüber den Ängsten und Verletzungen auf beiden Seiten der Grünen
Linie die Ursachen aufzudecken vermag,
die zu der so heillos verworrenen Lage
im Nahen Osten geführt haben. Dass uralte Kränkungen und wechselseitige Vorurteile sich auf das Zusammenleben der
beiden Völker ebenso verheerend auswirken wie der Raketenbeschuss auf israelische Wohngebiete oder der Bau der
mittlerweile über 700 Kilometer langen
Sperranlage, macht der Text auf jeder
Seite deutlich.
An zwei Stellen allerdings stösst auch
Nir Barams so hart erkämpfte Unparteilichkeit an ihre Grenzen: dann, als er
dem Vater des von seinen Peinigern bei
lebendigem Leibe verbrannten Palästinenserjungen gegenübertreten muss,
und dann noch einmal, als ihm Bilder uralter Olivenbäume gezeigt werden, die
bei einem Vergeltungsakt der israelischen Armee zerstört worden waren.
«Ich habe nichts mehr zu sagen», heisst
es da nur noch. Der Autor weiss, wie hohl
jedes Wort des Trostes oder der Betroffenheit in einer solchen Situation tönen
würde. Ihm bleiben nur Scham und
stumme Trauer, die er alsbald wieder
hinter professioneller Nüchternheit zu
verbergen sucht. Gerade deshalb aber gehören die beiden Szenen zu den stärksten Passagen im Buch überhaupt. Sie lassen schlagartig die ganze Absurdität und
Unlösbarkeit des Konflikts aufscheinen,
und man spürt am eigenen Leib den
Schmerz, der dem Autor beim Schreiben
dieser Reportagen ein ständiger Begleiter gewesen sein muss. ●
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23
Sachbuch
Biografie 100 Jahre nach seinem Tod ist Franz Marc neu zu entdecken – auch dank Texten seiner Frau
LebenundMalenzwischen
MachismoundSchwermut
Wilfried F. Schoeller: Franz Marc. Eine
Biografie. Hanser, München 2016.
400 Seiten, 32 Abb., Fr. 37.90.
Maria Marc: «Das Herz droht mir manchmal
zu zerspringen.» Mein Leben mit Franz
Marc. Hrsg. von Brigitte Rossbeck.
Siedler, München 2016. 192 Seiten,
Fr. 28.90, E-Book 18.90.
Die blauen Pferde von Franz Marc dürften selbst Kunstbanausen ein Begriff
sein. Auf Postern dekorieren sie Zimmerwände. Doch Franz Marc, der am 4. März
1916 im Ersten Weltkrieg bei Verdun mit
nur 36 Jahren fiel, ist weit mehr als seine
blauen Pferde und Rehporträts. Zum
hundertsten Todestag legt der Literaturwissenschafter Wilfried F. Schoeller eine
neue Marc-Biografie vor, und erstmals
gibt es ausserdem das Leben Franz Marcs
aus der Sicht seiner Ehefrau Maria Marc
erzählt. Brigitte Rossbeck, die im vergangenen Jahr auch eine grosse Marc-Biografie verfasst hat, erstellte aus zehn
existierenden Schriftstücken eine Lesefassung. Gründe genug, den Einladungen zu einer versprochenen Neuentdeckung des Künstlers zu folgen.
Zaudernder Gestalter
Dabei gilt es zunächst, ihn von Klischees
zu befreien. Viel Pathos ist nach seinem
Tod beschworen worden, nicht zuletzt
auch begünstigt durch Franz Marcs eigene Schriften über eine Kunst, die mit
schweren Begriffen wie «Schöpfung»,
«Glaube», «Paradies» operiert. Die spirituelle Verankerung rückte Marcs Arbeiten in eine süssliche Ecke. Hinzukommen seine «Briefe aus dem Feld» und
andere Essays, in denen er den Krieg begrüsste – Ansatzpunkt später auch für
Versuche, ihn in braune Ideologien einzugemeinden; der «heroische» Tod als
Soldat passte da gut hinein.
Franz
Marcs
bisweilen
krude
Sinnkonstruktionsversuche erhalten in
den Biografien erstmals eine Kulisse, vor
der sich der Farbenzauberer nüchterner
betrachten lässt. Spannend ist dabei vor
allem die Kriegszeit. Schon die Historikerin Brigitte Rossbeck zeigte Widersprüche; Marcs Kriegseuphorie etwa mündete in Verbitterung. Mit Schoellers Darstellung wird nun noch deutlicher, dass
der zuvor unpolitische Franz Marc nicht
national dachte, sondern europäisch. An
seiner «Verirrung» ändert das nichts:
Marc rechtfertigte das «Blutopfer» als
notwendige «Reinigung» und sehnte sich
nach der Wiedergeburt des idealistischen Typs.
Doch zunächst zeigt Schoeller den
1880 geborenen jungen Akademiestudenten in München von seinen Anfängen
her. Als melancholischer Zauderer wirft
24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
FRANZ MARC MUSEUM, KOCHEL AM SEE
Von Anja Hirsch
Ein keineswegs leidensfreies Dreiecksverhältnis : Franz Marc mit seinen zwei Liebschaften Maria Franck und Marie Schnür am
Ufer des Kochelsees, 1906.
er die vom Vater tradierten alten Maltechniken ab und zerstört oft selbstkritisch das Eigene. Erweckungserlebnisse
sind Reisen nach Paris, die Bilder Van
Goghs – und nicht zuletzt mütterliche
Frauen, zeitweise drei gleichzeitig. Zwischen «Machismo und Schwermut» reift
ein Künstler heran, der die Akademie
abbricht, es halbherzig mit einer
Lithographieschule versucht und sein
Hauptwerk in nur einem halben Jahrzehnt produziert; ein Naturliebhaber,
der paradoxerweise die technikgläubigen
Futuristen schätzt und Kandinskys
abstrakte Bilder gegen Anfeindungen
schützt. Mit Kandinsky löst er den Avantgarde-Krach im eigenen «Blaue Reiter»Projekt auf und ist plötzlich umtriebiger
Gestalter der Kunstszene – erst in München, dann in Berlin; radikaler Individualist, aber vernetzt. Wie passt da seine
eigene Kunst hinein?
Für Schoeller ist Franz Marc einerseits
ein «Maler der Stille», der erste anatomische Abbildstudien mit Stippvisiten im
Berliner Zoologischen Garten verbindet.
Andererseits sieht er ihn als Methodiker,
der ein System schaffen will. Im Tier
sucht er das Urbild. Anima und Animalisches, Seele und Wildes, wachsen in seinen Bildern zusammen. Populäre Theorien wie die von Rudolf Steiner prägen
ihn. Vom Komponisten Schoenberg
übernimmt er die positive Ummünzung
des Begriffs «Dissonanz» und überträgt
ihn auf Farben. Schoeller, auch DöblinBiograf, zeigt, was Marc mit den Literaten verbindet; etwa mit Alfred Döblins
Tendenz der Entpersönlichung. Er bindet die Inhalte aus zahlreichen Korre-
spondenzen in die Zeit ein und pointiert
sie zu grossen Narrativen, die bis heute
interessieren: Generationenkonflikt, Beziehungskonflikt, innere Dramen, die
sich in Marcs Werken spiegeln, hier lustvoll und genau analysiert. Die bekannten
Entwicklungsstadien vom Klein- zum
Grossformatigen, vom Mensch zum Tier,
vom Abbilder zum Abstrakteur bleiben
erkennbar, sind aber mit reichlich Widersprüchen versehen.
Die Stimme der Frau
Einblick in Franz Marcs innere Zerrissenheit gewährt auch Maria Marc. Von den
Biografen oft zitiert und kritisch beleuchtet, liegt hier der Reiz weniger
darin, Neues zu entdecken. Charmant
aber ist der schwärmerisch-nüchterne
Tonartenwechsel ihrer Erinnerungen.
Maria Marc, gestorben 1955, war nicht
nur energische Nachlasshüterin, sondern selbst Künstlerin. Noch Anfang der
zwanziger Jahre erlernte sie im Weimarer
Bauhaus Weben und Färben. Diese Zeit
ist hier nicht Thema. Dafür ihre Rolle als
Frau und Tochter am Gängelband, die
sich freizuschwimmen versucht. Sie liefert den Subtext zu der berühmten Fotografie, die Franz Marc mit seinen beiden
Frauen, alle drei nackt, auf dem
«Tränenhügel» der Alm am Kochelsee
zeigt – keineswegs eine leidensfreie Libertinage. Mit Sachverstand beschreibt
sie Franz Marcs Ausdruckskämpfe. Ihre
wichtige Rolle im Krieg als Briefpartnerin, die Kontrapunkte zu den Irrungen
ihres Mannes setzt, kommt hier leider zu
kurz. Dennoch ist sie endlich als eigenständige Stimme hörbar. ●
Biografie Michael Ende wollte für das Kind im Menschen schreiben. In Deutschland als
Erwachsenenautor verkannt, wird er in Japan von allen Generationen geachtet
Birgit Dankert: Michael Ende. Gefangen in
Phantásien. Lambert Schneider,
Heidelberg 2016. 312 Seiten, Fr. 34.90,
E-Book 21.90.
Von Sieglinde Geisel
Michael Ende steht – zusammen mit Otfried Preussler und James Krüss – für die
Erneuerung der deutschen Kinderliteratur in der Nachkriegszeit. Als er 1957 mit
«Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer» begann, befand sich der knapp
dreissigjährige Autor in einer aussichtslosen Situation: Weder als Darsteller
noch als Theaterautor hatte er nach der
Schauspielschule Erfolg. Für den unsteten Bohémien sei «Jim Knopf» ein «Befreiungsschlag» gewesen, ein spielerisches Schreiben ohne jede Absicht, so
Birgit Dankert in ihrer Biografie. Nichts
hatte darauf hingewiesen, dass sich Michael Ende mit seinem Erstling an die
Spitze der deutschen Kinderliteratur
schreiben würde: 1961 erhielt er für Jim
Knopf den Deutschen Jugendbuchpreis.
Als Sohn des surrealistischen Malers
Edgar Ende hatte der 1929 geborene Michael Ende in der NS-Zeit erlebt, was
Ausgrenzung heisst – ein Motiv, das er in
seinen Kinderbüchern vielfältig variiert.
Die Schule im Dritten Reich sei «der
grösste Schock» seines Lebens gewesen,
so der schlechte Schüler Ende: Er sei
sich vorgekommen «wie ein in sich
zurückgestauchtes Kind». Auch die
Schule als Zwangsanstalt kennt man aus
seinem Werk.
Birgit Dankert, die für die Biografie
nicht nur in Archiven recherchiert, sondern auch Weggenossen von Ende inter-
viewt hat, beschränkt sich nicht auf
die drei Klassiker, denen Ende seinen Weltruhm verdankt: «Momo»
und «Die unendliche Geschichte»
neben «Jim Knopf». In prägnanten Zusammenfassungen erschliesst Dankert
auch Endes viele Erzählungen, Gedichte und Schauspielstücke, die sich an
ein erwachsenes Publikum richten. Von
Kinderpsychologie,
Pädagogik
oder Jugendschrifttum wisse er
nichts, betonte Ende: «Ich schreibe für das Kind in uns allen.» Michael Ende sah sich nicht als Kinderbuchautor, er war ein All-AgeAutor, bevor es den Begriff gab.
Dass er von der Kritik nicht ernst
genommen wurde, hatte ihn zeitlebens bekümmert. Er könne nichts zum
geplanten Jubiläumsband zu Michael
Endes 65. Geburtstag beitragen, schreibt
etwa Marcel Reich-Ranicki 1994, ein Jahr
vor Endes Tod: «Grund: Das Werk Michael Endes ist mir nicht bekannt.»
Birgit Dankert beleuchtet diese Verwerfungen ebenso wie die Kinderliteraturdebatten der 1970er Jahre, als
Ende von linker Seite Eskapismus vorgeworfen wurde: Statt Kinder zur Beschäftigung mit der politischen Realität hinzuführen, biete er ihnen die Flucht in die
Phantastik an. Gerade damit sei Ende für
die Kinderliteratur zukunftsweisend gewesen, so Dankert: «Er bediente sich des
Zeitgeistes, um ihn zu überspringen.»
Schreiben und Leben waren für Ende auf
untergründige Weise verbunden, so jedenfalls lässt sich sein Unvermögen in
finanzieller Hinsicht interpretieren: 1988
war der Auflagenmillionär mit sieben
Millionen D-Mark verschuldet. Er habe
nicht mit Geld umgehen können und
THOMAS & THOMAS
DenZeitgeistüberspringen
Jim Knopf und Lukas
der Lokomotivführer
traten auch im
Fernsehen auf, hier
in den 1970ern in
der Augsburger
Puppenkiste .
habe dies auch nicht gewollt, vermutet
ein Weggefährte. Schliesslich zielte Endes
Gesellschaftskritik etwa in «Momo» gerade auf die Macht des Geldes ab.
Eine gewisse Scheu legt Birgit Dankert
gegenüber der spirituellen Dimension an
den Tag, die Endes Werken die gedankliche Tiefe verleiht. Michael Ende selbst
hat etwa Momos Begegnung mit der
Todesfigur Meister Hora als «Initiation»
bezeichnet. Seine Beschäftigung mit der
Anthroposophie und in späteren Jahren
auch mit okkulten Praktiken wird nur gestreift, ausführlicher kommt seine Beziehung zu Japan zur Sprache, die durch
seine japanische Ehefrau befördert
wurde. In Japan gibt es ein MichaelEnde-Museum, und 1988 erschien dort
eine erste Biografie. Hier steckte er nicht
in der Kinderbuchecke fest, sondern
wurde in einem Atemzug mit Autoren
wie Böll und Grass genannt. ●
Gesellschaft Der männliche Elternteil rückt verstärkt ins Interesse der Forschung
Renaissance der Väter
Victor Chu: Vaterliebe. Klett-Cotta,
Stuttgart 2016. 320 Seiten, Fr. 29.90,
E-Book 25.90.
Von Walter Hollstein
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die
Väter abgedankt. Nicht unbedingt so
sehr in der sozialen Wirklichkeit. Aber
umfänglich in den Wissenschaften und
dann zunehmend im Zeitgeist. Vor allem
in den achtziger Jahren feierte ein bestimmter Feminismus die Familie ohne
Vater. Aber bereits zuvor hatte die Entwicklungspsychologie den Vater entsorgt und das Dogma formuliert, dass die
Förderung des Kindes exklusiv Aufgabe
und Leistung der Mutter sei. Den Vätern
wurden als Folge nur noch alimentatorische Funktionen zugewiesen, das
heisst: finanzielle Leistungen, um den
Lebensunterhalt des Kindes zu sichern.
Solchem hält Victor Chu, seines Zeichens
Diplompsychologe, sein Buch «Vaterliebe» entgegen. Was ein Plädoyer für die
Wichtigkeit des Vaters sein soll, ist allerdings nur eine schlecht geschriebene
Biografie: Chu hüpft von einer persönlichen Episode zur nächsten. Der Erkenntniswert des Buches bewegt sich auf niedrigstem Niveau, und garniert wird das
Ganze mit einer Vielzahl appellativer Banalitäten. Zum Beispiel: «Auch wir Männer verdienen Achtung und Respekt.»
Chu ist offenbar entgangen, dass es
seit rund einem Dutzend Jahren eine
machtvolle Renaissance des Vaters gegeben hat. Das verwundert nicht weiter,
weil der Autor weder die Standardwerke
der zeitgenössischen Väterforschung zur
Kenntnis nimmt noch den Tatbestand,
dass es seit geraumer Zeit so etwas wie
eine Männerforschung gibt. Beide bele-
gen eindrücklich: Ein absenter Vater ist
eine lebenslange Quelle von Traurigkeit,
Ärger, Verbitterung und Scham. Es gibt
einen klaren Zusammenhang von
Vaterpräsenz und gesunder Entwicklung
des Sohnes auf der einen Seite und von
Vaterabsenz und der hohen Gefahr von
Scheitern auf der anderen.
Allerdings dräuen schon neue Probleme. Statistiken belegen, dass junge Männer zunehmend gar nicht mehr Vater
werden wollen. Die amerikanische Psychologin Helen Smith hat das kürzlich als
Protest gegen die zunehmende gesellschaftliche Entwertung des Männlichen
interpretiert – in Chus oberflächlichem
Buch sucht man selbstredend vergebens
nach Reflexionen über diese erschreckende Sachlage. ●
Walter Hollstein ist emerit. Professor
für Politische Soziologie und hat mehrere Bücher zu Genderfragen publiziert.
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25
Sachbuch
Musik Jodeln lernen ist im Trend – seit den 1990ern boomt die Neue Schweizer Volksmusik
Der Ländler nach Wysel Gyr
Dieter Ringli, Johannes Rühl: Die Neue
Volksmusik. Siebzehn Porträts und eine
Spurensuche in der Schweiz (mit CD).
Chronos, Zürich 2015. 362 S., Fr. 41.90.
Von Corinne Holtz
Das Alphorn und der Jodel sind zum Inbegriff der Schweizer Volksmusik geworden, die Tracht gilt als uralter Schmuck
der ländlichen Bevölkerung. Alles Mythos, weiss der Musikethnologe Dieter
Ringli zu belegen. Das Trachtenwesen
entstand wie die Ländlermusik am Anfang des 20. Jahrhunderts und war zuerst
ein städtisches Phänomen. Im Zuge der
Heimatschutzbewegung wurde es in den
1930er-Jahren in den Bäuerinnenschulen
Pflicht, Tracht zu tragen. So kam die
Tracht, meistens neu erfunden, aufs
Land. Das Alphorn seinerseits wurde im
19. Jahrhundert nur für Touristen geblasen, etwa auf der Rigi und im Berner
Oberland. Die Popularisierung dieses
beinahe vergessenen Instruments trieb
der Eidgenössische Jodlerverband in den
1920er-Jahren voran.
Wer über Volksmusik schreibt, muss
zuerst Licht ins Dunkel ihrer Instrumentalisierung bringen und Musikgeschichte
auch als Sozialgeschichte verstehen. Das
ist das vielleicht grösste Verdienst der
beiden Autoren, die für ihre Darstellung
auf die pionierhafte Aufarbeitung durch
Dieter Ringli sowie auf die lebendige Praxis der neuen Schweizer Volksmusik zurückgreifen können.
Deren Blüte beginnt in den 1990erJahren. «Überalterung, Imageverlust
und allgemeines Desinteresse» machen
der traditionellen Volksmusikszene zu
schaffen, während Wysel Gyr, Ländlerpapst des Schweizer Fernsehens und
Sympathisant der Rechtsaussenpolitik,
seine letzten Sendungen moderiert. Die
Zeit ist reif für Veränderungen, nebst der
World Music kommt auch die «eigene»
Musik auf den Prüfstand. In der Innerschweiz etwa bricht der Schwyzerörgeli-
und Klarinettenspieler Markus Flückiger
auf. «Dirty Ländler» heisst eine wegweisende CD von 1994, während die erste
Volksmusikwoche in Arosa junge Formationen zusammenbringt, die die Traditionalisten das Fürchten lehren. Wo sich
fünfzig Jahre nichts bewegt hat, blasen jetzt Gruppen wie pareglish und
Hujässler zum Aufbruch.
Inzwischen hat sich die Szene etabliert. Ob Re-Interpretation oder Neukomposition, ob Improvisation oder Retrospektive: Alles ist erlaubt. Der Heimatzwang ist der Befreiung gewichen,
Festivals wie «Alpentöne» und «Stubete
am See» sind Sammelbecken einer erfrischend heterogenen Szene, von der
zwölf prominente Vertreter und fünf Vertreterinnen im zweiten Teil des Bandes
zu Wort kommen. Wo aber tatsächlich
Innovation stattfindet und wo nicht –
darüber schweigen die Autoren. Ist die
mehrheitlich brave Ästhetik der neuen
Volksmusik, auch in der Transformation
in die sogenannte E-Musik, ein Tabu? ●
Das amerikanische Buch Folgenreiche Diagnose: eine Geschichte des Autismus
Ihr Donald war kein normaler Bub.
Diese Einsicht wurde mit jedem Monat
eine grössere Belastung für Mary und
Beamon Triplett. Donald war ohne
Zweifel intelligent. Mit zwei Jahren
konnte er bereits das ganze Alphabet
aufsagen – vorwärts und rückwärts.
Doch die Anhänglichkeit eines Kindes
zeigte er nie. Und wenn die Eltern
merkwürdige Gewohnheiten wie das
endlose Drehen von Topfdeckeln unterbrachen, reagierte Donald mit extremen Wutanfällen. Im ländlichen Mississippi der 1930er-Jahre gab es für Kinder wie ihn nur eine Zukunft: die Einweisung in eine geschlossene Anstalt
für Geisteskranke. Doch die Tripletts
gingen einen anderen Weg. Sie suchten
und fanden Rat beim Kinderpsychologen Leo Kanner. Nach jahrelanger Forschungsarbeit prägte der gebürtige
Wiener einen Begriff für Donalds Zustand: Autismus.
fegruppen, dann mächtige Interessenverbände wie «Autism Speaks» und
schliesslich neue Probleme schuf. Diese
gipfelten in jüngst wieder aufgeflammten Verschwörungstheorien, wonach
Autismus durch Impfstoffe und Quecksilber ausgelöst werde.
Donald Triplett, dem als erstem die Diagnose «Autismus» gestellt wurde,
steht am Anfang von John Donvans und Caren Zuckers (unten) Buch.
Mit dieser Episode beginnen John
Donvan und Caren Zucker ihr Buch In a
kalen Elite an, und auch deshalb fand
der Sohn Zugang zu Schulbildung und
später eine Lebensstellung in der Bank
im Besitz der Familie.
(Crown Publishers, 670 Seiten). Auf medizinische Themen spezialisiert, nutzen
die prominenten Fernsehjournalisten
die Kunstgriffe ihres Metiers und machen anhand persönlicher Schicksale
die Geschichte des Autismus in Amerika
begreifbar. Die Autoren sind aus ihren
eigenen Familien mit Entwicklungsstörungen vertraut und breiten ihre aufwendigen Recherchen in einer anschaulichen und klischeefreien Sprache aus.
Die Geschichte, die sie schreiben, präsentiert sich als hürdenreicher Wandel
von Ausgrenzung hin zu Verständnis
und gesellschaftlicher Akzeptanz. Dennoch erscheint Donald Triplett als
Glücksfall. Seine Eltern gehörten der lo-
Aber selbst Mary Triplett musste jahrelang mit dem üblen Verdacht leben, Donalds Leiden als gefühlskalte «schlechte
Mutter» verursacht zu haben. Mit dieser
These brachte der Psychologe Bruno Bettelheim 1967 eine ganze Generation betroffener Amerikanerinnen in Verruf.
Doch Mary Triplett wies die haltlose Diagnose Bettelheims zurück. Und sie war
damit nicht allein. Seit Anfang der
1960er-Jahren traten Eltern als Fürsprecher ihrer autistischen Kinder auf, fanden einander und fochten gemeinsam
für Bildungsmöglichkeiten und eine umfassende Erforschung der Störung.
Donvan und Zucker zeichnen nach, wie
dieses Engagement erst kleine Selbsthil-
Different Key: The Story of Autism
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Februar 2016
Diese nie bewiesenen Ideen benutzen
Eltern seit den 1990er-Jahren als Grundlage für eine Art Selbstermächtigung:
Aus einer schweigenden und ausgegrenzten Minderheit wurden lautstarke
Aktivisten, die an Gerichten und in den
Medien um Geld, Macht und Aufmerksamkeit kämpften. Wie die «New York
Times» in einer positiven Rezension
beiläufig bemerkt, passt dies in einen
breiteren, von der Bürgerrechtsbewegung angestossenen Trend in den USA:
Ausgelöst von gesellschaftlicher Ablehnung, wurden in den letzten Jahrzehnten auch Aids und Brustkrebs zu identitätsstiftenden Faktoren. Hat «In a Different Key» ein Manko, dann den Verzicht
auf eine Untersuchung auch dieses Phänomens.
Lehrreich und anregend ist das Buch jedoch zweifellos. Auch deshalb, weil
Donvan und Zucker den Ausgang ihrer
«Autism Story», der Thematik angemessen, offen lassen. Am Ende des Buches
tritt der greise Donald Triplett in seinem
Kleinstadt-Idyll auf. Einen Kontrast
dazu bilden Autismus-Betroffene, die
keine Fürsprecher mehr wollen und
sich aus dem Schatten von Eltern oder
Therapeuten zu lösen versuchen. Unter
dem Schlagwort «Neuro-Diversität» verlangen sie nicht mehr Akzeptanz, sondern eine Ausweitung des Begriffs «Normalität» auf ihren Zustand. ●
Von Andreas Mink
Agenda
Rock The Who im Konzert und privat
Agenda März 16
Basel
Dienstag, 1. März, 19 Uhr
Ursula März: Für eine Nacht oder fürs
ganze Leben. Moderation: Katrin Eckert,
Fr. 18.–. Literaturhaus, Barfüssergasse 3.
Reservation: 061 261 29 50.
Dienstag, 15. März, 19.30 Uhr
Sabriye Tenberken: Die Traumwerkstatt
von Kerala. Lesung und Gespräch, Fr.
20.– (Museumseintritt). Kulturhaus
Bider & Tanner, Aeschenvorstadt 2.
Reservation: 061 206 99 96.
Bern
Freitag, 4. März, 19.30 Uhr
Leta Semadeni: Tamangur. Lesung.
LibRomania Buchhandlung, LänggassStrasse 12. Info: www.libromania.ch.
«Get Yer Ya-Ya’s Out!» von den Rolling Stones als eines
der besten Livealben in der Rockgeschichte. John Entwistle, der Bassist, war der versierteste Musiker in der
brachialen Truppe. Ein Schnappschuss zeigt ihn in seinen jungen Jahren, wie er zu Hause übt, auf einer selbstgebauten elektrischen Gitarre, zu Füssen seiner braven
Mutter, die aussieht, als wäre sie einer Serie von Dennis
Potter entlaufen. Ein Bild, welches das Image der Band
aufs Schönste konterkariert. Manfred Papst
Ben Marshall mit Pete Townshend und Roger Daltrey:
The Who. Prestel, München 2015. 320 Seiten, Fr. 52.–.
Bestseller Februar 2016
Belletristik
Sachbuch
1
2
3
4
5
6
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8
9
10
1
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5
6
7
8
9
10
Rita Falk: Leberkäsjunkie.
DTV. 272 Seiten, Fr. 23.90.
Jojo Moyes: Ein ganz neues Leben.
Wunderlich. 528 Seiten, Fr. 28.90.
Camilla Läckberg: Die Schneelöwin.
List. 448 Seiten, Fr. 22.90.
Tommy Jaud: Sean Brummel: Einen Scheiss muss
ich. Fischer. 320 Seiten, Fr. 23.90.
Michael Robotham: Der Schlafmacher.
Goldmann. 416 Seiten, Fr. 22.90.
Donna Leon: Endlich mein.
Diogenes. 320 Seiten, Fr. 33.90.
Paula Hawkins: Girl on the Train.
Blanvalet. 448 Seiten, Fr. 18.90.
Stephen King: Basar der bösen Träume.
Heyne. 768 Seiten, Fr. 33.90.
Bruno Ziauddin: Bad News.
Nagel & Kimche. 208 Seiten, Fr. 22.40.
Pedro Lenz: Der Gondoliere der Berge.
Cosmos. 144 Seiten, Fr. 31.90.
Giulia Enders: Darm mit Charme.
Ullstein. 288 Seiten, Fr. 23.90.
Ildikó von Kürthy: Neuland.
Wunderlich. 400 Seiten, Fr. 23.90.
Arno Renggli: Der Hund starb – was er nicht
überlebte. Wörterseh. 168 Seiten, Fr. 18.90.
Peter Wohlleben: Das geheime Leben der
Bäume. Ludwig. 224 Seiten, Fr. 28.90.
Marcel Gyr: Schweizer Terrorjahre.
NZZ Libro. 184 Seiten, Fr. 37.90.
Ajahn Brahm: Der Elefant, der das Glück vergass.
Lotos. 240 Seiten, Fr. 24.90.
Richard David Precht: Erkenne die Welt.
Goldmann. 576 Seiten, Fr. 33.90.
Per Andersson: Vom Inder, der nach Schweden
fuhr. Kiepenheuer & Witsch. 336 S., Fr. 21.90.
Dagmar Hemm, Andreas Noll: Die Organuhr.
Gräfe & Unzer. 128 Seiten, Fr. 17.90.
M. Schmieder, U. Entenmann: Dement, aber
nicht bescheuert. Ullstein. 224 S., Fr. 28.90.
Erhebung GfK Entertainment AG im Auftrag des SBVV; 16.02.2016. Preise laut Angaben von www.buch.ch.
Lenzburg
Dienstag, 1. März, 19.15 Uhr
Dana Grigorcea: Das primäre Gefühl der
Schuldlosigkeit. Lesung und Gespräch,
Moderation: Christine Lötscher, Fr. 18.–.
Aargauer Literaturhaus, Bleicherain 7.
Reservation: 062 888 01 40.
Montag, 7. März, 19.15 Uhr
Monique Schwitter: Eins im
Anderen. Lesung und Gespräch, Moderation: Heinrich
Vogler, Fr. 18.–. Aargauer Literaturhaus (siehe oben).
KEYSTONE
Sie galten als eine der wildesten britischen Bands in den
späten sechziger Jahren: The Who rebellierten mit krudem Rock, der den Punk vorwegnahm, gegen das Establishment. Auf der Bühne zertrümmerten sie bisweilen
ihre Instrumente. Das war ein Teil der Show, gewiss.
Doch Sänger Roger Daltrey, Gitarrist Pete Townshend,
Bassist John Entwistle und Drummer Keith Moon waren
authentische Figuren. Sie spielten sich die Seele aus
dem Leib. Mit Hits wie «My Generation» sowie mit der
Rockoper «Tommy» schrieben sie Musikgeschichte. Der
Konzertmitschnitt «Live at Leeds» gilt zusammen mit
Zürich
Mittwoch, 2. März, 20 Uhr
Zora del Buono: Gotthard / Das Leben
der Mächtigen. Lesung und Gespräch.
Buchhandlung Hirslanden, Freiestr. 221.
www.buchhandlung-hirslanden.ch.
Mittwoch, 2. März, 19.30 Uhr
Peter Stamm: Weit über das
Land. Buchpremiere, Moderation: Eva Wannenmacher, Fr. 18.–.
Literaturhaus, Limmatquai 62. Kartenreservation: 044 254 50 00.
AYSE YAVAS
COLIN JONES / IDOLS
Sonntag, 20. März, 11 Uhr
Rolf Lappert: Über den Winter. Lesung
und Gespräch, Moderation: Alexander
Sury, Ausstellungseintritt. Zentrum Paul
Klee, Monument im Fruchtland 3.
Info: www.zpk.org.
Dienstag, 8. März, 19.30 Uhr
Bettina Spoerri: Herzvirus. Buchpremiere. Volkshaus, Stauffacherstr. 60.
Reservation: www.volkshausbuch.ch.
Donnerstag, 10. März, 19.30 Uhr
Catalin Dorian Florescu: Der Mann, der
das Glück bringt. Lesung und Gespräch,
Fr. 18.–. Literaturhaus (siehe oben).
Bücher am Sonntag Nr. 3
erscheint am 27.03.2016
Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am
Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60
oder E-Mail [email protected]. Oder sind
– solange Vorrat – beim Kundendienst der NZZ,
Falkenstrasse 11, 8001 Zürich, erhältlich.
28. Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27
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FREITAG 11.03.2016
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