„Schulausflug“ Skript (Webrelease 2016, pdf)

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Herbstwind pfeift um die Bäume, unter meinen Füßen
knistert das Laub. Weit vor mir sehe ich noch die Umrisse
meiner Klassenkameraden. Alle laufen meiner Lehrerin
hinterher, die unsere Klasse in den Gemeindewald führt.
Die Zeltausrüstung auf meinem Rücken scheint mit jedem
Schritt schwerer zu werden. Aus irgendeinem Grund laufe
ich heute langsamer als sonst, aber weder die Lehrerin,
noch einer meiner 11 Klassenkameraden scheint dies zu
bemerken.
Die Sonne senkt sich über dem Wald und ihr Licht taucht
die Landschaft in ein kräftiges Rot. Ich bleibe stehen und
genieße den Moment. Doch er hält nicht lange an. Schon
nach kurzer Zeit sind auch die letzten Sonnenstrahlen
hinter dem Wald verschwunden, und mit der einbrechenden
Dunkelheit wird es kühl.
Scheiße. Wer auch immer auf die bescheuerte Idee gekommen
ist, an Halloween im Wald zu campen, den sollte man in den
dunkelsten Keller dieses Landes sperren und ihn – Halt. Es
war meine Idee… Als wir vor einer Woche in der Schule
Ideen für eine Halloweenfeier gesammelt haben, fiel mir
der kleine Zelt- und Grillplatz im Wald ein, und im hellen
und warmen Klassenzimmer schien es mir auch noch eine gute
Idee zu sein. Doch jetzt, hier im kalten und dunklen Wald
habe ich meine Meinung geändert. Aber die Erkenntnis kommt
zu spät. Langsam wird mir auch klar, warum niemand mein
Fehlen bemerkt: Meine Lehrerin ist zu beschäftigt mit den
anderen, und die wollen es nicht bemerken. Normalerweise
bin ich kein ängstlicher Typ, aber vorsichtshalber suche
ich in meinem Rucksack nach der Taschenlampe. Ganz unten
finde ich sie schließlich und knipse sie an. Im Schutz
ihres Scheines stapfe ich weiter durch den Wald…
Einige Zeit später treffe ich endlich am Zeltplatz ein.
Die Erste, die das bemerkt, ist meine Lehrerin: Sie läuft
mit bösem Blick auf mich zu und schnauzt mich an, wie ich
mich denn so weit von der Gruppe entfernen hätte können.
Ich antworte ihr, dass ich mich genauso gut auch verlaufen
hätte können und jetzt irgendwo alleine herumirren würde.
Auf die Frage, ob ihr das lieber wäre, verzieht sie das
Gesicht, entschuldigt sich und geht zurück zu den Anderen.
Ich laufe ihr hinterher. In der Zwischenzeit brennt in der
Grillstelle ein Lagerfeuer und die anderen bauen ihre
Zelte auf. Als sie mich sehen, schreit einer: „Oh, er hat
sich doch nicht verlaufen – Schade!“ Ein anderer schaut
ihn böse an. „Jaaa ok – ich bin ja schon still…“ Ich setze
meinen Rucksack ab und baue mein Zelt auf. Ein paar
Minuten später stehen alle Zelte und wir setzen uns mit
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Würstchen ans Lagerfeuer. Unsere Lehrerin kündigt den
„Höhepunkt“ des Ausfluges an: Sie wird uns eine
Gruselgeschichte vorlesen, die sie durch einen
Schreibwettbewerb in einer der unteren Klassenstufen
erhalten hat. Ein leises, genervtes Stöhnen geht durch die
Menge, wahrscheinlich haben sich alle das gleiche gedacht.
Das wird „bestimmt“ der Höhepunkt des Abends – Nicht.
Sie zerrt ein Stapel Papier aus ihrem Rucksack, rückt die
Brille zurecht und beginnt zu lesen. Wärend sie von
fliegenden Kürbismonstern, wildgewordenen Fledermäusen,
und schwarzen Katzen erzählt, werden meine Augenlider
schwer. Das Licht des Lagerfeuers wird schwächer, die
Stimme der Lehrerin leiser, und schließlich schlafe ich
ein…
Ein Knall. Ich schrecke hoch. Etwas rennt weg. Mit einem
Mal bin ich hellwach. Ich weiß weder wie lange ich
geschlafen habe, noch warum mich ich die anderen nicht
geweckt haben. Ich schaue mich um, doch außer mir selbst
und meinem Zelt sehe ich niemanden. Die Lichtung ist leer.
Meine Klassenkameraden, die Lehrerin, die anderen Zelte –
Alles weg. Ich fange an einem meinem Verstand zu zweifeln,
das kann nicht wahr sein. Ich reibe mir die Augen - schaue
nochmal - und wieder bietet sich mir das gleiche
unheimliche Bild der leeren Lichtung. Das Lagerfeuer ist
zusammengefallen und glimmt nur noch schwach vor sich hin.
Ich laufe zu meinem Zelt und suche meine Taschenlampe, um
irgendetwas sehen zu können – finde sie schließlich –
drücke einmal, zweimal, dreimal – nichts. Die Taschenlampe
bleibt dunkel. Ersatzbatterien habe ich keine, andere
Taschenlampe auch nicht – aber irgendwie brauche ich
Licht. Wütend werfe ich die Lampe auf den Boden. Nach
kurzem Suchen fällt mir ein Campingkocher in die Hände,
den ich für den absoluten Notfall eingepackt habe. Zwar
keine Taschenlampe, aber besser als nichts. Luftzufuhr zu,
Gas auf, anzünden. Einen Augenblick später erleuchtet eine
große, flackernde Flamme die Nacht.
Um mich herum rauscht ein leichter Wind in den Blättern,
irgendwo im Wald knacken Ästchen – wahrscheinlich von
vorbeihuschenden Tieren – neben mir rauscht die Flamme des
Campingkochers. Sonst ist es still. Egal wie sehr ich mich
anstrenge noch etwas anderes zu hören, ich höre nichts
anderes. Nicht mal ein Kichern von meinen
Klassenkameraden, die sich hinter irgendwelchen Büschen
versteckt haben und es jetzt bestimmt sehr witzig finden,
dabei zuzuschauen wie ich mir den Arsch abfürchte. Die
nächsten drei Minuten gehen für den Versuch drauf, mich
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davon zu überzeugen, dass da wirklich jemand hinter den
Büschen sitzt. Doch nach gefühlten 1000 Büschen erklärte
ich den Versuch für gescheitert und sehe ein, dass ich
wirklich alleine bin. Während ich noch überlege, ob ich
das ganze als die ultimative Rache oder als ein
abgefucktes Halloweenmysterium halten soll, spaltet ein
spitzer Schrei aus der Ferne die Nacht. Ich breche meine
Überlegungen ab, ordne die Situation als
Halloweenmysterium ein und renne in die Richtung, aus der
der Schrei kam.
Schon nach ein paar Metern weiß ich nichtmehr, wo genau im
weiten Unterholz ich mich befinde. Die Bäume sehen alle
gleich aus, auch ist die improvisierte Gaslaterne beim
Rennen nicht gerade die hellste Lichtquelle – genauer
gesagt sehe ich garnichts. Und so kommt es, wie es kommen
musste, ich stolpere über einen Ast, schlage mit dem Kopf
auf und – Filmriss.
Als ich wieder zu mir komme, bin ich in einem Krankenhaus.
In einem großen, wenig eingerichteten Raum. Die Umgebung
lässt sich in ein paar Worten zusammenfassen: Blauer PVCBoden, kahle weiße Wände und Decke, auf der rechten Seite
ein großes Fenster, auf der linken Seite ein Wandschrank
und die Zimmertür, und mittendrin mein Bett, ebenfalls mit
weißen Kissen und Decken. Beleuchtet wird das ganze von
einer Neonröhre an der Decke, die leicht flackert. Draußen
geht gerade die Sonne auf. Ich schaue an mir herunter.
Mein Bein, das vom Sturz immer noch weh tut, ist in eine
Kunststoffform fixiert und hochgelagert. Mein Blick
streift weiter im Zimmer umher – irgendwas stört mich hier
– aber ich komme nicht drauf was es ist. Also warte ich
ein paar Minuten ab. Plötzlich bemerke ich es: Es ist
ruhig. Zu ruhig. Normalerweise laufen doch auf dem Flur
immer hektisch Leute umher, die zu irgendwelchen Patienten
müssen, und um diese Zeit sollte der Geschirrwagen vom
Frühstück zu hören sein. Aber ich höre weder das eine,
noch das andere – als ob ich alleine im Krankenhaus wäre.
Also richte ich mich auf, löse mein Bein aus der
Fixierung, stehe auf, humple mit meinem schmerzenden Bein
zur Tür, öffne sie und stehe wenig später auf einem leeren
Flur.
Die Tür des Nachbarzimmers steht offen. Ich betrete es und
schaue mich um, doch es gleicht meinem exakt. Bis auf den
Punkt, dass es nicht bewohnt ist. Jedoch lehnen ein paar
Krücken am Wandschrank. Ich nehme sie an mich und laufe
mit ihrer Hilfe wieder auf den Flur. So ist die
Fortbewegung mit gebrochenem Bein gleich viel angenehmer
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und schneller. Mein Weg führt mich weiter den Flur
entlang, vorbei an den anderen Zimmern. Allesamt sind sie
leer, und ihre Tür steht offen. Nur die Tür des letzten
Zimmers auf dem Flur ist geschlossen. Ich klopfe – nochmal
– keine Antwort. Also öffne ich die Tür und stehe in einem
Zimmer, welches garnicht ins bisherige Bild passt. Die
bisherigen Zimmer waren allesamt peinlich genau aufgeräumt
und bis ins letzte Detail geputzt. In diesem Zimmer liegen
Decken kreuz und quer auf dem Boden und auf dem Bett
prangt ein großer Blutfleck. Ich trete etwas näher, und
plötzlich habe ich das Gefühl, als ob jemand hinter mir
steht. Langsam und unsicher drehe ich mich um – und starre
in ein paar tiefschwarze Augen.
Vor Angst lasse ich meine Krücken fallen. Vor mir steht
eine Frau. Mit zerzausten Haaren, faltigem Gesicht,
blutigen Klamotten und den besagten leeren Augenhöhlen. In
ihrer Hand hält sie ein Messer, das sie langsam anhebt und
auf mich richtet. Zuerst kommt mir der Gedanke zu
schreien, doch beim Überdenken stelle ich fest, dass es
nichts bringen würde. Also setze ich alles auf eine Karte,
greife blitzschnell nach den Krücken und schlage damit
einmal kräftig auf die Frau ein. Sie fällt zur Seite und
ich nutze die Gelegenheit. So schnell mich meine
schmerzenden Füße tragen renne ich den Flur entlang zum
Aufzug. Doch noch bevor er ankommt, hat mich die Frau
eingeholt und reißt mich zu Boden…
„HEY!!! WACH AUF!!! KOMM!!! DU MUSST AUFWACHEN!!!“ Langsam
kommt das Licht in meine Augen zurück. Der erste Blick
gilt meiner Umgebung. Ich bin am Zeltplatz. Es ist Tag,
schätzungsweise 9 Uhr. Der zweite Blick gilt dem Mädchen,
das mich gerade geweckt hat. Als mein Blick klarer wird,
erkenne ich sie als eine Klassenkameradin. Sie hat sich
über mich gelehnt und zerrt mit einer Hand an meiner
Jacke. Ich richte mich auf und erkenne, dass ich wohl
schlecht geträumt haben muss. Zwischen all ihrem
hektischen Zerren, Stöhnen und verzweifelt vor sich hin
reden höre ich immer wieder Satzteile mit „die anderen“,
„Lehrerin“ und „tot“ heraus. Nach einer mir ewig
vorkommenden Zeit schaffe ich es, sie zu beruhigen und zu
fragen, was denn los sei. Da zieht sie ihre andere,
bluttriefende Hand unter der Jacke vor, und noch bevor sie
mir antworten kann, bricht sie zusammen. Mit einer
Mischung aus Entsetzen, Unverständnis und Trauer starre
ich sie an, bis mich eine Hand an der Schulter berührt.
Ich blicke hoch. Schräg hinter mir steht meine Lehrerin
und starrt mich wie in Trance an. „Was ist passiert?“
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frage ich sie. Doch anstatt mir zu antworten, zückt sie
ein Messer…