SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Feature am Sonntag Die Draufgängerin Von Egon Koch Sendung: Sonntag, 28. Februar 2016, 14.05 Uhr Redaktion: Walter Filz Regie: Egon Koch Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Feature am Sonntag sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Jetzt bist du 18, deine Kindheit ist vorbei, wie würdest du deine Kindheit bezeichnen? T.: … Ich hatte schon eine sehr glückliche Kindheit, also viel gespielt und so, aber ich glaub, dann hat’s meine Jugend wieder raus gehauen. Da ist ja dann doch relativ viel passiert. Aber bis ich zehn war oder so, war ich doch relativ behütet, ja. Autor: Bis zu der Trennung, bis zum ersten gravierenden Ereignis in deinem Leben? T. (unter Autor): Ja. O-Ton 1b: Autor und T. (0:36) (2 Sec Atmo) Autor: Wenn du jetzt so zurück blickst – die stärksten Erlebnisse, die du bisher hattest?! T.: … Was mir dominant im Gedächtnis geblieben ist, ist einmal der Moment, wo mir klar geworden ist, dass du und Cornelia, also dass ihr euch trennt. Als ich zu dir ins Zimmer gekommen bin nach dem großen Streit und gefragt hab, was jetzt los ist. Und du mit deiner Zigarette am Tisch saßt und … meintest, dass du es nicht wüsstest. Und ich wieder gehen soll. Das ist ein starker Moment. (2 Sec Atmo) Atmo 2: AB 1 (April 2007) (1:10) Ansage: Freitag, 19 Uhr 17. Piepton: T.: Hey Papa, hier ist T.. Ich wollt nur fragen, wie es dir geht. Und dir sagen, dass wir am 4.5. eine Mathearbeit schreiben. Und ich wollt fragen, ob wir davor noch ein bisschen üben können. (…) alles, was wir so gemacht haben, schriftliche Division und mit dem Zirkel und so. Ok, Papa, mir geht’s gut, Mama auch, ich hoffe und Mama auch, dass es dir auch gut geht, … Ok, dann, bis irgendwann mal. Hey, Papa, ich hab noch ne Frage. Und zwar, hättest du Lust am Donnerstag, hier her zu kommen. Also, da muss Mama weg zu ner Besprechung. Dann … könnten wir was zusammen machen, Fußball spielen, Abendessen und so. Du kannst dich ja noch mal melden, ja. Viel Glück. Regie: Autor versetzt über Atmo AB 1 3 Autor: Die Nachricht bricht mir heute noch fast das Herz. Nach meinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung in Hamburg Groß-Flottbek versuchte T., sie war zehn Jahre alt, frohe Stimmung zu verbreiten. Sie fühlte sich verantwortlich für mich. O-Ton 1c: T. (0:46) Dann war Australien, also es war ne sehr wichtige Zeit für mich. Also weil es immer ein neues Abenteuer war, irgendwie. Und dann war eben auch stark, als ich zurückgekommen bin, Herwigs Tod und dann die Mutter so zerstört zu sehen. Und das hat dann direkt zum nächsten starken Moment geführt, dass mir das zu viel war und ich dann drogentechnisch ein bisschen ausgerastet bin und eben mit Ecstasy angefangen hab und das so schief gegangen ist. Das ist eigentlich der stärkste Moment, weil er so essentiell war und so dicht am Tod dran und der meine ganze Wahrnehmung aufs Leben so verdreht und umgekrempelt hat. (2 Sec Atmo) Musik: Titelansage: Die Draufgängerin Meine Tochter und ich Von Egon Koch Musik: Regie: Folgende Takes über Atmo Intensivstation Atmo 4: Himmel und Hölle (0:20) Werfen eines Steins auf hartem Untergrund T.: Das war jetzt leider die Hölle Mädchen: Hölle T.: Das tut weh. 4 Hüpfen O-Ton 2: T. (0:22) Meine erste Erinnerung ist, dass du irgendwie neben mir am Bett saßt und geweint hast, und ich hab mich gefragt, wo ich bin, was ich mache und hab mich … an nichts erinnert. Ich wusste gar nichts mehr. Also, ich wusste nicht, was mir passiert ist, wusste nicht, wie ich heiße, wusste nicht, ob es Traum oder Wirklichkeit ist, das ist auch ein ganz, ganz kurzes Bild, das ich da an Erinnerung habe. O-Ton 3: Autor (0:44) Als du aufgewacht bist, das war absolut rührend nach über 50 Stunden. Und da … hast du so gelächelt, da warst du so fröhlich wie ein Baby, absolut … schön, dich erwachen zu sehen und ich hab zu dir gesagt: Weißt du, wer ich bin? Und dann hast du gesagt: Der Papa. Und dann habe ich gefragt: Ja, und wie heiße ich? Und dann hast du gesagt: Egon. (Leichtes Lachen) Weil wir ja testen mussten, … ob dein Gehirn noch funktioniert. Aber waren nicht zuerst die Tränen, sondern die Freude. T.: (Text „Ich habe den Tod gesehen“ von T.) Eine Frau im langen weißen Kittel trat herein und rauschte an mein Bett. „Jennifer, ich bin Christina! Weißt du, wo du bist?“ Ich schüttelte den Kopf. „ … Du liegst im AKA Altona auf der Intensivstation, seit vier Tagen schon. In der Nacht zu Sonntag wurdest du hier eingeliefert, aufgrund einer Überdosis. Wir sind alle froh, dass du wach bist. Ein paar Mal hast du schon die Augen aufgemacht, wir haben dir die ganze Geschichte erzählt, aber du erinnerst dich nicht, richtig?“ Ich schüttelte wieder den Kopf. „Na gut. Möchtest du gerne duschen?“ O-Ton 4: T.: (1:12) Meine nächste Erinnerung ist, das muss am nächsten Morgen gewesen sein, da kam ne Krankenschwester zu mir und hat mich gefragt, ob ich duschen möchte. Und dann dachte ich mir so, wird sie schon ihre Gründe haben. Und bin dann hinter ihr her zum Duschen, da hat sie mir irgendwie so den Pissschlauch raus gezogen und ich hatte ne Windel an und so ein …. Hemdchen. Und da hab ich auch noch nicht verstanden, was los ist. Und dann stand ich da allein im Badezimmer und … wusste gar nicht mehr, … wie das geht mit dem Duschen und was ich jetzt zu tun hab eigentlich und so. Mir war einfach schwindelig und ich hab nichts auf die Reihe bekommen mehr. 5 Und dann sind immer noch sehr löchrige Erinnerung, es war zu abgedreht, um das wirklich zu erfassen. T.: (Text „Ich habe den Tod gesehen“ von T.) „Jennifer, was machst du bloß für Sachen?“ fragte der junge Mann, der auf meiner Bettkante saß. Er fing an zu heulen. Sein ganzer Körper zitterte. „Was meinst du?“ fragte ich verdutzt. Angestrengt dachte ich nach. Kleine Erinnerungsfetzen kamen zurück. Er hieß Titus. Wir waren zusammen im Golden Pudel Club tanzen gewesen. „Du hast dich verdammt noch mal ausgeknockt für 54 Stunden, nur weil du es mit den Drogen nicht gepeilt hast.“ Er heulte immer noch, deshalb verstand ich erst verzögert. „Fang von vorne an!“ sagte ich leise. Atmo 5/Musik: Mischung aus Atmo (Kneipe, Stimmen etc. – Archiv -) und psychedelischer Musik (Nurse with wounds) Regie: Folgende Takes über Mischung O-Ton 5: T. (1:11) Man kann so anfangen, dass es irgendwie ne unglückliche Verkettung von Umständen gab. Es fing damit an, dass der Freund von meiner Mutter gestorben ist und meine Mutter daraufhin so ein bisschen abgedriftet ist, depressiv wurde und nicht mehr so mit dem Leben so klar gekommen ist und ich die Verantwortung hatte. Und meine einzige Möglichkeit, dem Ganzen zu entkommen und jung zu sein und mich nicht mehr wie die Mutter meiner Mutter zu fühlen, war halt irgendwo so das Feiern. Das hab ich halt für mich entdeckt. Und hab halt teilweise exzessiv, teilweise zwei Mal am Wochenende oder sogar mehr gefeiert. Und hab dann, durch die falschen Leute in meinem Profil bin ich dann halt so in die Drogenszene ganz stark abgerutscht. Es fing an mit Gras und Saufen. Und dann kam halt Ecstasy dazu. … Als es dann zu diesem Ereignis kam, hab ich halt zum Zweiten Mal Ecstasy genommen in meinem Leben und das halt in einem ziemlich ausgetrockneten oder dehydrierten Zustand, weil ich halt vorher mit einer Freundin auf einem Konzert war und wir viel geschwitzt und getanzt haben. Und dann bin ich weiter auf den Geburtstag von dieser …. (Piepton anstelle des Namens), die mich halt in diese Drogenszene rein gebracht hat. (5’ Atmo) 6 Autor: Wo war ich in dieser Nacht? In meinem Wohnatelier habe ich gelesen: James Salter – seinen Roman „Alles, was ist“. Er beginnt mit dem Satz „Die ganze Nacht hindurch, im Dunkel, preschte das Wasser vorbei“. Nicht, dass ich ahnungslos gewesen wäre. T. hatte sich am Tag zuvor mit einem eigenartigen Glänzen in den Augen von mir verabschiedet. Sie hatte was vor, das hatte ich gesehen. Nur was, das nicht. Atmo 5/Musik: Mischung aus Atmo (Kneipe, Stimmen etc.) und Musik (Macklemore – And we danced / Dakota Fanning - Cherry Bomb – „Hello Daddy, hello Mum, I am your cherry bomb… „) Autor: Eine Woche vor ihrem Drogenunfall hatten T. und ich länger miteinander gesprochen. O-Ton 5a: T. und Autor (3:44) Autor: Heute ist der 1. Februar 2014, ein Samstag. Ich hab einen Ehrengast hier sitzen, eingewickelt (leichtes Lachen) in der roten Decke. Es war nämlich kalt, die T. hat nicht viel geschlafen. T.: Heute geht’s mir gerade sehr gut, weil ich zwei schöne aufregende Nächte hinter mir hab. Und das bestärkt einen immer so. Autor: Willst du ins Detail gehen, was du so für schöne Nächte hattest und was so das Selbstwertgefühl stärkt? T.: Ja, also … die Nächte habe ich eigentlich hauptsächlich im „Goldenen Pudel“ verbracht“, ein Club unten an der Hafentreppe in Hamburg. Und da hab ich viel getanzt und nette Leute kennen gelernt und das war gut fürs Selbstbewusstsein. Autor: Das hast du irgendwann entdeckt, den Golden Pudel Club, vor Weihnachten letzten Jahres. Da hast du mal gesagt: die Jugend ausleben, möchtest du da? T.: Ja, weil ich halt immer noch damit klar kommen muss, dass ich das letzte Jahr mich immer um meine Mutter kümmern musste und so. Und jetzt hab ich mir für das Jahr 2014 vorgenommen, dass ich mich endlich mal wie ne 16, 17-jährige verhalte. Autor: … Wenn du ausgehst, … dann rauchst du, trinkst du – wie fühlt sich das so an? 7 T.: Gut, fühlt sich das an. Autor: Gehört dazu? T.: Ja, auf jeden Fall, also auch Kiffen schon gehört dazu. Das ist halt der perfekte Ausbruch, wenn man in einem rauchigen Club tanzt und irgendwie es sich gut gehen lässt. Und alles vergisst, irgendwie so. (1: 48) Autor: Ich will dich jetzt … damit konfrontieren, mit der Sorge, dass du dich übernimmst mit all den Dingen, die du da tust. Und dass darunter deine Gesundheit, dein Wohlbefinden … leidet, weil du einfach zu wenig Pause hast und zu wenig Regeneration. (2: 09) T.: Kann ich zustimmen, aber es hat ja einen Grund, warum ich mir alles so voll lade. Dass ich das einfach so nicht mehr aushalte, wenn ich Zuhause bin, dann kommen so viele Gedanken. Und irgendwie fühlt man sich so nutzlos und irgendwie so belanglos. Und deswegen möchte ich einfach gern unterwegs sein und was erleben. Und so ein bisschen, um diese Gedanken da raus zu halten aus meinem Leben, so ein bisschen zu verdrängen, weil dann immer so düstere Gedanken kommen, irgendwie. Autor: Ich hab den Eindruck, dass du in einer anderen Welt bist jetzt, zu der ich jetzt nicht mehr so Zugang habe. Wie siehst du das, unser Verhältnis? T.: Ich würde es schon offener als viele andere Verhältnisse von meinen Freundinnen zu ihren Vätern beschreiben. Ich find schon, dass ich dir viel erzähle, aber manche Sachen brauchst du auch nicht zu wissen. Sage ich ja, dass es hier manchmal so ein bisschen wie ein Zufluchtsort ist, was ja auch was Schönes ist. Aber es ist halt dadurch, dass ihr getrennt seid, bist du halt nicht immer so ein Teil von meinem Alltagsleben. Das macht halt einen großen Unterschied aus. (Atmo 20 sec) Atmo 5/Musik: Mischung aus Atmo (Kneipe, Stimmen etc.) und psychedelischer Musik (Nurse with wounds) Autor: Später sollte ich erfahren, ihre Mutter habe T. in der Nacht zum 9. Februar noch in der S-Bahn getroffen, Station Sternschanze, und sei mit ihr nach Hause gefahren. Obwohl T. eigentlich nach dem Besuch des Konzertes müde gewesen sei, habe sie unbedingt noch auf diese Party gemusst. Ihre Mutter habe sie noch mit dem Rad durch den dunklen Jenischpark zur Villa an der Elbchaussee begleitet. Was hätte sie 8 tun können? Sie habe ihre Tochter nicht erreicht. Zwar habe sie noch gesagt, mutig sei jetzt, „Nein“ zu sagen. Das konnte T. nicht, meinte ihre Mutter, sie wollte dazu gehören. O-Ton 6: T. (0.32) Da haben wir bei ihr im Partykeller gechillt, und alle waren auf was, entweder haben sie Alkohol oder Ecstasy, Heroin, … ich glaube LSD war auch… Ich bin halt als Letzte gekommen, weil ich vorher noch auf einem Konzert war und dann hat … (Piepton anstelle des Namens) mir die Pille hingelegt und Wasser und meinte: So jetzt nimm, wir wollen gleich los. Und dann hab ich diese Pille genommen, weil also wie ich dachte, dass ich gut damit umgehen kann, dass ich die Kontrolle darüber hab. Und dann hat sich aber heraus gestellt, dass eben diese Droge doch mehr Kontrolle über mich hatte. Atmo 5/Musik O-Ton 7: T. (0:39) Als die Tablette gewirkt hat, hab ich noch ein größeren Energieschub gehabt als das Mal davor, deshalb dacht ich mir, passiert mal, und dann hab ich total angefangen zu schwitzen und irgendwie so auch zu kotzen dann. Und das war für die Leute, die mit mir waren auch nichts besonderes, weil sie alle von Ecstasy schon mal gekotzt haben. Das hörte dann aber nicht auf, … dass es mir wirklich dreckig ging, irgendwie hat da keiner was unternommen und ich war nur wirklich über Stunden mit Kotzen beschäftigt, mit Schwitzen und Trinken und irgendwie hab ich dann gemerkt, dass da etwas absolut nicht gut läuft. O-Ton 7a: T. (0:27) Da waren wir zu dritt auf der Mädchentoilette eingeschlossen. … Das letzte Bild, was mir vor Augen hängt, ist… (Piepton anstelle des Namens) direkt vor meinem Gesicht, die zu mir sagt: „Komm, ich mach dich wieder schön, ich schmink dich, ich schmink dich“. Ganz panisch, sie hatte schon dieses Zittern und so einen ganz wilden Blick irgendwie. Und ich hab da so … gemerkt für mich: Scheiße, hier läuft was richtig schief. (2 Sec. Atmo) Autor: Um diese Zeit, in der Frühe des Wintermorgens, habe ich geschlafen. Ob gut oder schlecht, das weiß ich nicht mehr. Zumindest habe ich keinerlei Warnsignal über den bedrohlichen Zustand meiner Tochter empfangen. Regie: Jäher Abbruch vorheriger Atmo/Musik! Ein paar Sekunden Stille! 9 O-Ton 8: T. (0:40) Dann habe ich halt beschlossen, dass ich nach Hause gehe. Und die haben mich dann zwar noch zur Bahn gebracht, … und … (Pieptöne anstelle zweier Namen), die war auch beteiligt, aber ich musste dann so das Stück vom Bahnhof Othmarschen nach Hause alleine gehen. Und da, also ich hab halt durchgekotzt und lag dann am nächsten Morgen im Bett. Und da hat mich meine Mutter gefunden. … Als sie zu mir ins Zimmer kam, hab ich mit epileptischen Anfällen oder ja, hab ich angefangen zu zucken und hab auch nicht mehr geatmet, dann hat sie einen Krankenwagen gerufen und ich bin ins Krankenhaus gekommen. Und lag da, 54 Stunden, glaube ich, lag ich da im Koma. Autor: Gegen 8: 45 Uhr an diesem 9. Februar 2014, ein Sonntag, erhielt ich den Anruf von T.s Mutter. Sanitäter bringen T. in die Notaufnahme, sagte sie mit betont gefasster Stimme, T. ist weggetreten, aber stabil… Atmo: Notaufnahme / Intensivstation – Piepen Apparaturen (Archiv) Musik: Laurie Anderson - Radar Regie: Atmo/Musik unter folgende Takes Zitator: Anamnese: Aufnahme bei Krampfanfall, Vigilanzminderung (Minderung der Wachheit) und ausgeprägte Hyponatriämie (zu niedrigen Natriumspiegel im Blut), nach Intoxikation mit Ecstasy. Von der Mutter im Bett liegend aufgefunden worden, sie habe noch nach ihr gerufen, dann seien alle Extremitäten angezogen, verkrampft gewesen, die Pupillen seien nach hinten gerollt und sie sei nicht mehr ansprechbar gewesen. Im Mundwinkel Reste des Erbrechens, nicht schaumig. T.: (Text „Ich habe den Tod gesehen“ von T.) „Naja, dann lagst du auf der Notfallstation. Die meinten immer, dass es besser wird. Dass die Drogen schon nachlassen würden. Taten sie aber nicht. Als die Wirkung schon abgeklungen sein sollte, ging es bei dir erst richtig ab. Die Krämpfe wurden schlimmer. Du hast dich regelmäßig ausgezogen, dich wie die Letzte übers Bett 10 gewälzt und wolltest dir immer die Schläuche raus reißen. Erst musste ich dich halten, aber dann wurdest du festgebunden.“ Autor: Unheimlich. Sieben Wochen vor ihrem 17. Geburtstag war T. ein ohnmächtiges, fremd gesteuertes, heftig um sich schlagendes Wesen. Damit sie sich nicht selbst verletzte, hielt ich sie vor der Untersuchung in der Computertomographieröhre im Krankenhausflur an beiden Armen fest. Bis heute behalte ich davon einen Knorpel in meiner linken Handfläche, Ausdruck meiner Angst. Wieder im Zimmer der Notaufnahme zurück, glitten T.s Hände ständig in ihr Gesicht und ihre Haare, als wolle sie Spinnweben wegwischen. Nichts konnte sie beruhigen. Kein Streicheln der Stirn, kein Zureden. Sie bekam Infusionen, Natrium. Die Notärztin erklärte, T. habe durch die Droge und das Erbrechen einen elektrolytischen Schock bekommen. Der Natriumchloridmangel bringe das Gehirn in Unordnung und verursache die epileptischen Krämpfe. Der Mangel könne nur langsam ausgeglichen werden. Zu Spätfolgen des Gehirns konnte sie nichts sagen. Sie wusste auch nicht, wie lange T.s Körper brauchen würde, das vollsynthetisch hergestellte Ecstasy abzubauen. Die Halbwertzeit betrage zwischen sieben und elf, im Extremfall 31 Stunden. Sie verlegte T. von der Notaufnahme auf die Intensivstation. Ihre Mutter und ich, wir hofften, in der Nacht keinen Anruf aus dem Krankenhaus zu bekommen. O-Ton 9: T. (0:28) Also, wirklich, dass man so nah am Tod vorbei geschrammt ist und ich auch … dieses Nahtoderlebnis hatte, dass ich da Bilder aus Arizona und Australien gesehen hab irgendwie, in meinem schwarzen Loch tauchten die dann auf einmal auf. Also, weil Tod ist ja was unwirkliches, wenn man da so nah irgendwie, ich hab so das Gefühl gehabt, ich hab schon ein Einblick drin, ja ein Einblick bekommen. … Dem dann von der Schippe gesprungen zu sein, ist halt krass. Atmo 6: Fotos umblättern… Musik: Sacred Spirit – Track 9 (sphärisch) Atmo 7: Navajoland – Vorbeifahrt Autos / Stimmen Redwing, Blackfire Regie: O-Töne über Musik/Atmo O-Ton 10: T. (0:44) (Geräusch Papier) Das ist Arizona… Wann war das? Zweitausend… Da war ich 13, 2010. … Da sieht man mich also beim Sonnenuntergang, irgendwo in Arizona auf der Straße und es ist eine verlassene Straße, frisch geteert sieht sie aus. Ich bin im Vordergrund und dann, äh, guck so ein bisschen modelposig in die Kamera. Das war 11 da, wo wir den Regentanz auch gemacht haben, auf der Straße. Und da haben wir uns den Regenbogen, glaube ich, angeguckt, genau, vom Regen und von der Sonne, irrer Himmel so. (Atmo 1 sec) Atmo 8: Fotos umblättern… O-Ton 11: T. (0:34) (Atmo 5 sec) Hier sind wir, steh ich neben Redwing und seiner zweiten Freundin. Mit denen haben wir einen Ausflug gemacht zum Canyon de Chelly. … Und da stehen wir so an der Brüstung und hinter uns ist so der Canyon. Und es ist nicht so gutes Wetter. Wir sind ja morgens ja auch ganz früh los, weil wir in so ein Unwetter gekommen sind. Da hatten wir nachts, als wir draußen gecampt haben, hatten wir so eine Katze, die immer ums Zelt geschlichen ist. (Atmo 6 sec) Atmo 10: Fotos umblättern… Musik: Blackfire - Epilogue O-Ton 12: Autor und T. (1:06) Autor: T., heute ist Mittwoch, 4. August, und wir sitzen am Anfang des Canyon de Chelly im Dunkeln am Lagerfeuer. Und wir übernachten in einem Zelt. Ist das Abenteuer? T.: Na ja, ziemlich gering, das ist eigentlich alles ziemlich zivilisiert, also, die Autos fahren rum, es kann eigentlich nicht wirklich was passieren. Autor: Und du fürchtest dich nicht in der Dunkelheit. T.: (flüstert lieblich) Die süße Katze auf dem Schoß, oh, ist die süß. Hallo, Kleine. Ja, Ja. Oh, die ist ganz weich. Jetzt bin ich grad ganz glücklich, die ist ganz süß. … Die Pferde …. sind toll. Ich bin ein Quarter horse geritten, so ein Rotes, ein Fuchs, das war ganz schön. (Atmo 13 sec) O-Ton 13: T. (0:14) (Geräusch Umblättern Fotos) 12 Das war der schönste Ausritt, den ich jemals hatte, weil ich mit zwei Navajo sind wir einfach durch die Gegend galoppiert. Und es war richtig toll. Und das Pferd war so schnell. (Atmo 2 sec) Regie: Folgende Take über Atmo Zitator: Befundkorrektur vom 10. Februar 2014. Gering verstrichenes Hirnfurchenrelief sowie schlitzförmig verengter III. Ventrikel als Zeichen einer globalen Hirnschwellung. Autor: Eine junge Ärztin bat uns Eltern zum Gespräch. T. habe acht Liter Urin in der Nacht ausgeschieden, berichtete sie, auf der Intensivstation hätten sie die Flüssigkeiten schnell wieder nachgefüllt. Ecstasy würde die Abwehrmechanismen des Gehirns umgehen und sich am Gehirn andocken, es könnte seine Funktionen länger stören, insgesamt das lange Liegen zu Komplikationen führen, Lunge, Infektionen… Sie schilderte ein Szenario, bei dem sich jäh der Boden unter mir öffnete und tatsächlich das Unvorstellbare geschehen könnte, T. stirbt. T.: (Text „Ich habe den Tod gesehen“ von T.) Seine Stimme bebte immer noch. Titus atmete kurz durch, erzählte dann weiter: „Montagabend war es am schlimmsten. Ich saß an deinem Bett, hab dir über die Haare gestrichen und mit dir geredet. Da kam Frau Dr. Meier herein, das ist die Oberärztin hier, und meinte, dass du durch diese Überdosis ein schlimmes Nierenleiden hättest, die tausend Tests nichts Neues ergeben hätten und sie nicht wüssten, was jetzt noch helfen kann. Also kurz, dass ich mich auf das Schlimmste vorbereiten soll. O-Ton 14a: T. (0:42) (8 sec Geräusch Umblättern Fotos) Oh, Australien! (Erstaunter Ausruf!) Musik: didgeridoo meditation (sphärisch, traumhaft) O-Ton 14b: T. Machen wir mal Australien. April 2013. Ich war ja für drei Monate in Australien. Genau, da sieht man mich hier einmal im roten Kleid, im roten kurzen Kleid, in Adelaide war das, da sind wir nämlich beim Bürgermeister. Und dann haben wir lecker Häppchen beim Bürgermeister bekommen und wurden vorgestellt und so. Der 13 hat mein Englisch gelobt, weil er so begeistert war, dass ich nicht so wie die letzte Kröte geredet hab. (2 sec Atmo) Atmo 11: Fotos umblättern… O-Ton 15: T. (0:27) (2 ½ sec Atmo) Und hier auf dem letzten Bild, das war … am letzten Tag der outback tour, da waren wir auf so einem Aborigene Reservat, Eager Water hieß das, es war ein paar Stunden von Alice Springs weg, und da wurden wir von Aborigenes so bemalt, da haben wir so drei Punkte auf die Stirn bekommen, also einmal so ein rötlicher, weiß und gelb, und jeder stand für eben etwas anderes, also jede hat was anderes symbolisiert. Musik: Australian didgeridoo music O-Ton 16: T. und Autor, Skype ( ) Geräusch Skype Anmeldung (0: 05) T.: Papa! Autor: (leise) T., hi. T.: Hallo. Autor: Hallo, klappt ja gut. T.: Ja. Autor: Hey, Große, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. T.: Danke schön. Autor: Wie spät ist bei dir jetzt? T.: Es ist Neun. 14 Autor: Und wie geht’s dir? Bist du kaputt? T.: Ja, es s war ein total Kack-Geburtstag, also... Autor: Wieso denn? T.: Also, ich hab ja unter den Sternen rein geschlafen, das war ganz schön, und dann sind wir, ich saß halt den ganzen Tag im Bus, also das war auch nicht so prickelnd, und dann hatte ich eine Geburtstagsdepression irgendwie, hab ich Musik gehört und hab im Bus angefangen zu weinen. (….) Autor: Oh. (Lachen) Haben sie dir ein Leidchen gesungen? Sag mal, und was war das Allerschönste? (1: 15) T.: Das war gestern, da waren wir im Aborigene Reservat. Autor: Oh, gestern wart ihr da? Und wie war’s da? T.: Das war total schön. Also, da waren Aborigenes, die wurden noch nicht aus ihrem Leben raus gerissen, die hatten noch Kultur und Ahnung von der Natur und allem. Und die haben sich da wohl gefühlt, wo sie gelebt haben. - Grad vermisse ich Hamburg so ein bisschen. … Autor: Ja, T., am Geburtstag ist man immer sehr so bei sich, sensibel, das ist was ganz normales. Mann, vor 16 Jahren, da war so ein stürmischer Wind, da war es kühl, das werd ich nie vergessen, das war ein schöner Tag, das war mein glücklichster Tag. Du hast mir den glücklichsten Tag beschert. T.: Das ist schön. Autor: Joa. T.: Ich weiß gar nicht, was mein glücklichster Tag ist. Das ist das Traurige, wenn man kein Kind hat. Autor: Wollen wir aufhören? 15 T.: Ja, können wir machen. Autor: Ruh dich gut aus. T.: Ach, du schläfst ja gar nicht. Autor: Ne, ich nicht, aber du. T.: Dir einen schönen Tag. Autor: Bis bald, Große. T.: Tschüß. Autor: Schlaf gut, tschüß. (3: 32) Geräusch Skype - Abmeldung Atmo 12: T. (9 Jahre) spielt auf Flöte und Gitarre: Kuckuck. Gitarre: Max & Moritz Regie: Die folgenden Takes über die beiden Atmos! Autor: Weiterhin lag T. auf der 15. Etage der Asklepios Klinik Altona in einem Bett der Intensivstation. Sie war noch ruhig gestellt, von der Untersuchung in der Röhre der Magnetresonanztomographie. Ihr rötlichbraunes Haar breitete sich auf dem Weiß des Kopfkissens aus. O-Ton 17: T. (Kleinkind) (0:15) Des, Des, Des, äh, des, Ball, Ball, Bär, Bär, Bär... Autor: T. roch wieder wie das Baby von damals. Jetzt, da sie im Koma lag, kamen ihre Mutter und ich abermals ganz nah an sie heran. Ich sprach sie immer wieder mit dem Kosenamen an, den ich ihr als Kleinkind gegeben hatte. 16 O-Ton 18: T. (Kleinkind) (0:13) Kokodil macht? Kokodil? Kann Kokodil fliegen? Autor: Komm zurück, sagte ich, du willst doch noch so viel erleben, jetzt fängt dein Leben doch erst richtig an: Musikfestival, Interrail, Jungs… O-Ton 19: T. (10 Jahre) und Autor (0:30) T.: Also nach dem Abitur möchte ich mit einem Freund oder einer Freundin erst mal eine Weltreise machen. Und dann möchte ich mir gerne, wenn ich das Geld hab (leichtes Lachen) ne Villa mit einem Pool kaufen. Und ich möchte auf jeden Fall was mit Pferden zu tun haben. Und ich möchte mir zwei Pferde kaufen. Ja, also halt auch mit 30 möchte ich ein Kind haben, aber nicht früher. Autor: T., hast du ein Freund? T.: Nein. Autor: Möchtest du einen Freund? T.: Ja, aber nicht jetzt. Ich find, zehn ist noch zu früh. Autor: Wann hättest du denn gern ein Freund? T.: Mit 14, 13. Autor: Komm zurück! Komm zurück!, sagte ich immer und immer wieder. Regie: Folgende Collage der Erinnerung mit Musik unterlegen, einzelne Takes überlappen Atmo 13: Himmel und Hölle Werfen eines Steins auf hartem Untergrund 17 Mädchen: Sieben. Werfen Stein, T.: Ja, war das Himmel oder war das Hölle? Mädchen: Himmel. …. Gewonnen. T. muss ein Strich bekommen. Hüpfen (Flugzeug im Hg.) Musik: Atmo 14: Hufabzeichen (brummender Ton von Filmchen) (0:50) … (0: 10) Frauenstimme (fern): Und T., angaloppieren… Mann (fern) Nimmt die Gerten nach hinten… O-Ton 20: T. (9 Jahre) und Autor (0:49) Autor: Du hast Reithosen an und Burlington Socken, rosa, Wahnsinn. Gehst du reiten heute? T.: Ne, ich geh zu meinem Pflegepferd pflegen. Autor: Und was hast du für ein Pflegepferd? T.: Einen Schimmel, Max. Autor: Und Max, wie ist der, erzähl mal, ist der wild? Ein Hengst, denk ich, wenn er Max heißt. T.: Er ist kein Hengst, er ist ein Wallach. Er ist halb groß, halb klein. Und er ist (leise) lahmarschig. Autor: Er ist lahmarschig? T.: Ja, aber nur im Galopp auf dem Zirkel ist er gut. 18 Autor: Aber du liebst ihn? T.: (leise) Ja, ich lieb ihn, ja, ja. Autor: Deinen Max. Atmo 15: T. (10 Jahre) und Autor spielen mit dem Steckenpferd (Ton von Filmchen) (1:00) T.: Treib los. Autor (Pferdegeräusch) T.: Lenk sie ein bisschen nach außen. Autor: Ja, ein Hindernis T.: Lenk sie weiter, genau. (…) Autor: Die Longe, ich bin vertütert, ich falle… T.: O.k., dann trab mal leicht. Lob sie mal. Autor: Ich lobe dich. … T.: Steh! Regie: O-Ton über Atmo O-Ton 21: T. (0:18) Da. (erfreut) Ja, hier sieht man, es muss auch Weihnachten gewesen sein, 2004, man sieht mich ganz glücklich, mit pinken Pulli und meinem neuen Steckenpferd, das ich zu Weihachten bekommen habe, Abendröte, ein schwarzes Steckenpferd, das ich über alles geliebt hab und lange, lange mit der gespielt hab. 19 Atmo 16: Kinderkassette „Bibi und Tina“ Darüber: T.: Spitznamen: Tete Mein Sternzeichen: Wider Haarfarbe/Frisur: Dungelblont. Was mich unverwechselbar macht: Ich bin schnell (hat Caro gesagt) Meine Liebe zu Pferden. Wen und was ich besonders mag: Mein Hamster Schnuffel, Die Wilden Hühner, aber am meisten Pferde. Was ich nicht mag: Krieg, Streit, Eitelkeit. In mein Freundschaftsbuch geschrieben am: 30. Juli 2004 Atmo 17: AB 6 (April 2011) Ansage: Drücken sie 4 zur Wiedergabe neuer Nachrichten, drücken sie 5 zur Wiedergabe aller Nachrichten. (…) Piepton T.: Hallo Papa, ich bin’s, ich wollt dich fragen … ob ich heute zu dir kommen kann, wir vielleicht … ein bisschen an der Geschichte weiter schreiben. Du kannst ja zurückrufen, wenn du das abhörst. Ja, bis dann, tschüß. Besetztzeichen T.: Hallo Papa, ich wollt sagen, dass ich zu dir komme…“ Atmo 18: T. (13 Jahre) – Schwäbisch Total (Ton von Filmchen) 20 Guten Tag und herzlich willkommen zum Schwäbisch Total. Mir hänn jo jetzt den kalten Winter draußen und deswegen hab ich mir eine Inspiration – Inspiration, würden die Engländer sagen – bei 33 magische Suppen gsucht, gell. Und ich hab hier ne super Suppe g’funden, die heißt die Struwelmax Suppe. Die wird ihren Kindern, ihren Kids richtig gut gefallen, die ist super und hat auch Aroma. … O-Ton 22: T. (15 Jahre) (0:41) Ich bin realistischer geworden in letzter Zeit, weil … erst war mein Wunsch Schriftstellerin zu werden, dann hab ich mir vorgenommen, dass ich, bis ich 18 bin, zwei Bücher veröffentlicht haben möchte, damit ich weiß, ich schaff das, ich kann mich da durchsetzen. Und natürlich hat es bis jetzt noch nicht geklappt, weil es nicht einfach ist, mal eben zwei Bücher zu veröffentlichen. Dann war mein nächster Wunsch, Lektorin zu werden. Und dann hab ich mir jetzt ne Kamera bestellt und fotografiere und hab mir schon immer viel Fotografieausstellungen angeguckt, und dann bin ich in mich gegangen und da dacht ich, also ja, Kuratorin ist sehr realistisch und würd mir Spaß machen. ( 2 sec Atmo) Atmo 19: Kindermusik „Es tappt der Bär den Berg hinauf, dann tappt er wieder runter…“ Atmo 20: T. (11 Jahre) – Eiffelturm (Ton von Filmchen) Wir sind hier gerade auf dem Eiffelturm in Paris und da, genau da, das Haus mit der goldenen Kuppel, dort wurde Napoleon begraben, mit noch ein paar anderen Berühmtheiten. Atmo 21: AB 3 (April 2009) Besetztzeichen Piepton T.: Hey Papa, ich bin’s. Ich wollt fragen, wie es dir geht und dir sagen, dass ich in der NUT Arbeit eine 2- hab, in Französisch eine 3+ und in der Mathearbeit eine 4. Hü, hü, hü. Na ja, es ist ja nur eine Arbeit. … Ok, Ciao. Besetztzeichen Piepton Atmo 22: T. (3 Jahre) und Junge (0:25) Junge: Heute wird Boom- Boom gemacht, Musik wird gemacht, ne. 21 T.: Papa, ich möchte auch machen. Junge: du kannst auch mit mir zusammen spielen. Wir können doch hier drauf spielen. (Die Kinder schlagen auf ein kleines Xylophon aus Holz) O-Ton 23: T. (15 Jahre) (0:12) Mein Lebensmotto ist „Live fast, die young“, alles aufzusaugen, also „live fast, die young“. Und „Yolo“, also „you only live once“ Autor: Am Dienstag, den 11. Februar 2014, wachte T. auf. Das pure Glück, ihre blauen Augen wieder zu sehen. Nicht nach sieben, elf oder gar 31, nein, nach 54 Stunden. T.s Geist war noch weit weg, aber sie erkannte ihre Mutter und ihren Vater, sie redete, wenn auch langsam und leise. T.: (Text „Ich habe den Tod gesehen“ von T.) „Wir wollen Sie verlegen. Auf die Beobachtungsstation!“ erklärte die Krankenschwester. (…) In meinem Bett wurde ich die Flure entlang gerollt. Ich starrte die weiße Decke an, ab und an stach ein Wasserfleck heraus. (…) Stunden lag ich im Krankenhauszimmer wach in der Dunkelheit, konnte mich durch nichts ablenken. Furchtbare Bilder aus dem Koma kamen zurück. Die Hoffnungslosigkeit, die ich verspürt hatte, und die Einsamkeit. (…) Ich hatte den Tod gesehen. Er war schwarz. Aber absolut angenehm, so weich. Atmo 23: Himmel und Hölle Werfen Stein Mehrere Mädchen: Himmel Hüpfen Musik: „American beauty“ Soundtrack Regie: Folgende Takes über Musik: 22 O-Ton 24: T. (1:07) … Erst mal im Krankenhaus war immer das Ziel, nach Hause zu kommen. Und dann war es eben soweit, dass ich Zuhause war, mein Zimmer, das hat mich an so vieles erinnert, das Bett und alles. Und da, ich weiß nicht, ich hab auch diese starken Medikamente gehabt, die haben irgendwie Depression ausgelöst und Appetitlosigkeit. Und ich war so kraftlos und ich hatte einfach zu nichts Lust, mich konnte nichts reizen. Also auch mein Gesicht und meine Augen, das war alles so wahnsinnig, ich war so dürr, ich hab bestimmt zehn Kilo abgenommen im Krankenhaus, also ich hatte noch so große Pupillen und … alles war so unwirklich und gar nicht mehr ich. Und dann war das Einzige, was mir geholfen hat, war die Musik, dass wir da zwei CDs gekauft haben, das hat schon gut getan. Aber sonst konnte ich gar nichts machen, als auf dem Bett liegen und nachdenken. (…) Autor: Trotz der eigenen Schwäche und Bedenken von uns Eltern, drei Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wollte T. unbedingt wieder hinaus in die Welt. O-Ton 25: T. (0:39) Montag bin ich in die Schule, hauptsächlich um … (Piepton anstelle des Namens) zu zeigen, wie scheiße es mir ging. Ich bin eigentlich nur zurück in die Schule, weil es drei, vier Mädchen gab, die mir … echt den Rücken gestärkt haben, ohne die wäre ich auch nicht zurückgegangen. Die erste Woche hatte ich so ein Energiekick in der Schule, weil ich einfach dachte: Toll, dass ich wieder hier sein kann mit den Leuten und ich mag die wirklich total gerne. Und war wirklich so aufgekratzt und wild. Und dann kam immer dieser Abfall, wenn ich nach Hause gekommen bin und da war wieder alles weg, also der ganze Enthusiasmus war weggefegt und ich wollte nur ins Bett. (4 sec Atmo) O-Ton 26: Autor und T. (1:15) Autor: Wie siehst du die ganze Drogensituation in Othmarschen, an deiner Schule, was hast du da mitbekommen? … T.: Man hat so seine Grenzen ausgetestet einfach, Die meisten wussten, wo sie liegen, halt Gras und Alkohol. Ich war so selbst zerstörerisch, dass ich irgendwie gar keine Grenzen mehr kannte. …. Es fing ja an mit tausend Alkoholabstürzen und … das hat irgendwie nicht gereicht, ich war immer nie zu genug, hab nie genug vergessen können und so. Und mit Ecstasy … ist man ja so glücklich… Autor: Was wolltest du denn vergessen? 23 T.: Ja, den Alltag einfach so verdrängen. Ich hab mich in der Schule nicht wohl gefühlt, weil ich halt nirgends dazu gehört hab. Zuhause war auch nicht so ein Zufluchtsort, weil … Cornelia mit sich und Herwig beschäftigt war. Ja, irgendwie …. Das war doof, war einfach doof. Und das war dann so mein Ding mit dem Feiern, das war das Einzige, was ich dachte, kann ich. Ich hab mich da immer so als mutig gesehen, dass ich das so ausprobiere und so über meine Grenzen gehe. O-Ton 27: T. und Autor (0:49) Autor: Das könnte jetzt so das Ende deiner Kindheit gewesen sein, das ist ja ein großer Einschnitt gewesen, diese Erfahrung, die du jetzt gemacht hast. Ist das so? T.: Ende der Kindheit? Würde ich gar nicht sagen. Ich glaub, das kam nach Australien. Weil in Australien hatte ich noch mal eine unbeschwerte, schöne Zeit, irgendwie in einem anderen Land, aber das kam so wie so ein Faustschlag, als ich aus Australien zurück gekommen bin und Herwig tot war. Da musste ich erwachsen werden, schnell, also so im Laufe von … Wochen musste ich dann irgendwie so Stärke zeigen und meine Gefühle so hinten anstellen, das ist so für mich erwachsen werden, oder mal so die Härte des Lebens spüren. Und das war auf jeden Fall da schon. (Atmo 3 sec) Musik: Already dead (Soundtrack – American beauty) Regie: Folgende Takes über Musik Autor: Erleichterung im Juni 2014: Nach einer Untersuchung erkannte die Neurologin keinerlei Folgeschäden in T.s Gehirn. O-Ton 28: T. und Autor (2:09) Autor: Es ist jetzt vier Monate her mit deinem Drogenunfall. Wie ist das heute gegenwärtig noch für dich? T.: Ja, also es ist überall, einmal, weil es mich als Person total verändert hat. Wie ich jetzt finde im Nachhinein auch doll zum Positiven, also (…) das meinte auch die Ärztin zu mir, die Neurologin am Freitag, also dass ich jetzt mein zweites Leben habe, sozusagen, und das nutzen soll. Autor: Du hast ein neues Lebensmotto. 24 T.: Ja, take it easy. Autor: Hast du einen Sinn des Lebens entdeckt? T.: Mein Sinn des Lebens ist auf jeden Fall… Also, ich hab ja auch durch diesen Unfall gelernt, wie wichtig Gesundheit ist. Manchmal einfach abzuschalten oder diese kleinen Probleme auszublenden und einfach nur auf das Schöne fixiert zu sein. Und das wirklich auch zu genießen. Und das fällt mir so viel leichter seit dem Unfall, dass ich mich nicht mehr durch Mathearbeit in zwei Wochen oder so einen Druck irgendwie, oder generell Schule so einschränken lasse in meinem Glücksempfinden. Das ist so mein Sinn des Lebens, immer wieder nach dem Glück zu suchen. (1: 29) Autor: Jetzt hast du am Wochenende Musikfestival und dann möchtest du Interrail – ja, wie gehst du das an? … T.: Ich freu mich einfach auf das, was kommt. Auf diese kleinen Abenteuer. Ich find meinen Zustand ganz schön, dass ich noch Zuhause bin, noch ein bisschen Rückhalt hab, also noch nicht ganz allein durch die Welt flatter, aber dass ich schon so erkunden kann irgendwie und jetzt einen Monat durch Europa fahren kann mit dem Zug. Und jetzt erst mal nächstes Wochenende mit ein paar Freunden auf’s Hurricane gehe. So könnt ich mir mein Leben immer vorstellen, einfach Musik und Reisen, … das ist toll. Und dann diese Freiheit, ich verbinde das ganz stark mit Freiheit. Das wünsche ich mir am meisten, diese Freiheit, das ist mir so unglaublich wichtig. (2 sec Atmo) Atmo 24: Paris – Straße, Öffnen Haustür, Hauseingang, Stimmen… Musik: O-Ton 29: T. (0:46) (10 sec Geräusch Fotos durchschauen) T.: Paris 2014. (Geräusch Fotos durchschauen) … Genau, Paris 2014. Das war in der Mitte meiner Interrail Tour. Und hier sieht man mich, wie ich im schicken Kleidchen und in Flipflops … auf einem Bürgersteig sitze in Paris, mit ner Löwenmähne und Sonnenbrille, mit nem Starbucks-Getränk nebenan. Und gerade das W-Lan des Starbuck Ladens ausnutze, … das war doch da bei Sacre Coeur oder nicht?! (7 sec Geräusch Fotos durchschauen) 25 O-Ton 30: T. und Autor (1:10) Autor: Heute ist der 2. August 2014, es ist ein Samstag, die T. und ich sind seit 3 Tagen in Paris, 19. Arrondissement …..in der Nähe des Buttes Chaumont. Ich find ja schön, dass wir jetzt noch ein paar Tage in Paris verbringen, wir zwei, und wer weiß, wie oft wir noch zusammen sind. Und wie geht’s dir denn hier mit mir in Paris? (0: 30) T.: (leichtes Lachen) Mir geht’s gut. Jemand, der zahlt, jemand, der den Weg vorgibt. Ja, es ist entspannt. Es ist was anders als mit ner Freundin. Aber so wie gestern Abend, da ist es halt auch so ein bisschen einschränkend. … Da ist man entspannter mit ner Freundin, weil … du halt immer noch mein Vater bist. Autor: Wenn Jungs ins Spiel kommen, nä. T.: Wenn Jungs ins Spiel kommen. Oder wenn du dann 5000 mal stehen bleibst auf dem Rückweg. Autor: (leichtes Lachen) Ja, ich guck halt, gell. (5 sec Atmo) O-Ton 31: T. und Autor (2:39) T.: … Dieses mal haben wir es umgedreht, ich bin der Interviewmann und Papa ist der Interviewte. Meinst du, das macht für dich noch einmal ein Unterschied, weil ich bin ja jetzt so auf dem Ausbruch, also ich werd aus Hamburg weggehen wahrscheinlich, bin jetzt auch länger auf Reisen gewesen so, ob das für dich noch mal was verändert so an der Lebensqualität in Hamburg. Autor: Wenn du nicht mehr da bist, wenn du weg bist? T.: Ja. Autor: Na klar, … die letzten siebzehn Jahre warst du ja ziemlich zentral in meinem Dasein, und das wird weniger, weil du deine eigenen Wege findest und eigene Weg gehst, und das wird immer weniger werden, … unser Verhältnis ändert sich ja auch. Und das bedeutet, … dass es dann auch ein Freiraum gibt für mich, ja, da wird sich einiges verändern, ändert sich ja auch schon. 26 T.: War das für dich auch ne Sorge, ist das ein Problem, wenn du mich so auf Reisen lässt? Gerade jetzt nach dem Unfall, wo wir alle noch ein bisschen enger gerückt sind? Autor: Nein, das gar nicht. Ich hatte so am Anfang, … nach dem Drogenunfall Schwierigkeiten, wieder los zu lassen, was ich vorher gemacht habe, das ist halt manchmal ein bisschen schwierig, vielleicht ist das für Mütter schwieriger als für Väter. T.: Und noch mal gerade die Zeit nach dem Unfall, wieder loszulassen, wie hast du das gehandhabt? Hat’s Zeit gebraucht? Oder? Autor: Na ja, da ging es um Leben und Tod und das ist für mich eine andere Dimension als ne Reise, da geht’s nicht um Leben und Tod, sondern da gibt es Unsicherheiten und Gefahren, … das ist halt im Leben so, und Risiken, das ist ja, was Cornelia und … ich dir immer sagen, wir fördern ja, dass du Risiko eingehst und mutig bist, und Selbstvertrauen hast… das ist ja wichtig, um sich zu entwickeln. Natürlich kann immer dies und das passieren. Aber wie soll ich das verhindern? Ich kann das nicht verhindern. … Da muss ich einfach Vertrauen ins Leben haben. Es geht ja darum, dass du auf eigenen Beinen stehst und selbständig wirst … und ich nicht immer so über dir schwebe. Das ist ja keine Lösung. T.: Nee, das stimmt. Atmo 25: Himmel und Hölle Werfen Stein: Mädchen: Sieben. Werfen Stein. Mädchen: Himmel. Sie hat gewonnen. Stein werfen. Musik: Robosonic – Verwandlung / Joy Division - Epilepsy 27 Atmo: Clubstimmung Regie: Folgende Takes über Musik/Atmo T.: (Text „Ich habe den Tod gesehen“ von T.) Mir eröffneten sich komplett neue Perspektiven auf St. Pauli. Endlich kam ich mir nicht mehr wie der letzte Abschaum vor, sondern fühlte mich wohl in meiner Haut. Wir hatten eine kleine, stickige Wohnung und einander. Titus half mir in der Zeit ungemein. Er verstand mich zwar selten, versuchte es aber immerhin. Vor allem wusste er, was mir half. Es waren die so genannten Rock’n Roll Wochenenden. Zwar nahm ich keinerlei Drogen mehr, dennoch ließen wir es uns nicht nehmen, zu tanzen. Die ganzen Probleme der Welt abschütteln. Mit ihm an meiner Seite konnte ich den Pudel betreten, dort ließen wir uns von dem wummernden Bass weit fort tragen… O-Ton 32: T. und Autor (1:06) Autor: Was ist los? … Wen hast du jemand am Stissel, wie du so schön zu sagen pflegst? Gibt’s da jemand? T.: Papa (leichtes Lachen), wenn du so auf Jugendsprache machst. Also, so vor fünf Wochen im Pudel, war ich mit Emma, waren wir tanzen, war ein bisschen Drama und so, dann kam eben Maxi, den ich jetzt gerade so gut finde, sozusagen, kam eben zu mir und hat gefragt, was los ist? So sind wir zum ersten Mal ins Gespräch gekommen. Also, er war so ein bisschen zurückhaltend und dann hat sich ganz langsam was entwickelt, ganz schön, haben wir uns häufig getroffen, haben was schönes zusammen gemacht und hatten auch immer ne gute Zeit zusammen. Und er war immer so angenehm anders, weil er so absolut nichts von Drogen hält, schon trinkt und feiert, aber nicht so exzessiv, und irgendwie sein Leben im Griff hat. Und ich war dann immer so auf ganz oder gar nicht und hab dann schon tausend Mal wieder alles angezweifelt und so. Aber für mich ist es schon mal ein riesengroßer Fortschritt, mich so fünf Wochen fast auf jemand einzulassen. (Anhang 3 sec) Musik: Kraftklub „Zu jung“ Atmo 26: Tattoostudio, Tattoonadeln (Archiv) Regie: Folgende Takes über Atmo/Musik. 28 O-Ton 33: T. und Autor (1:26) Autor: Heute ist der 18. Oktober 2014. T., was ist passiert heute? T.: Heute habe ich mein erstes Tattoo gestochen bekommen. Um 15 Uhr, am Winterhuder Markt, und im … Hakuna Ma Tattoo Laden habe ich mir einen Lebensschlüssel stechen lassen. (Lachen) (…) Ein Lebensschlüssel steht für das endlose Leben. … Auf den Rippenbogen direkt unter den BH, auf die rechte Seite habe ich es mir stechen lassen. (…) Autor: Ich musste ja mit, weil du …. noch nicht 18 bist. Mir ist eingefallen auf dem Weg dahin: Ist das jetzt ein Zeichen dafür, … dass du jetzt erwachsen bist? T.: Ja, weil allein die Entscheidung, das Tattoo allein mit mir rum zu tragen, ist schon so ne erwachsene Entscheidung, die ich gefällt hab, und hilft mir auf jeden Fall so meinen Unfall … irgendwo so zu zeigen, dass es ein Teil von mir ist, aber dass es so der Vergangenheit angehört und so ein Schritt jetzt, damit abzuschließen, das war jetzt das Letzte, was ich noch machen wollte, eben, dass ich es so bei mir hab so, aber ins Positive umgewandelt hab. … Dafür steht das Zeichen so, eben das ewige Leben, ich hab’s überlebt und sehr viel Positives raus gezogen. Dafür ist es schon ein Zeichen auf jeden Fall. O-Ton 34: T. und Autor (0:58) Autor: Und dann hast du eben gesagt, als du hier dich hingesetzt hast, noch mit deinem Tattoo beschäftigt, dass du dir ein Kind wie du es bist, du dir nicht wünschen würdest – …. wie kommst du da drauf? T.: Ich hab das mal so ein bisschen zugespitzt, weil das ist so ein Alptraum, ich mit meinem Drogenunfall, mit viel älteren Männergeschichten, und mit Tattoo und allem und jetzt auch nicht so übermotiviert in der Schule und so…. Dem norm-guten Kind entsprechend, das kann ich jetzt nicht bieten. Aber das liegt auch immer ein bisschen an den Eltern. Das ist ja nicht nur das Kind, nä. Autor: Inwiefern meinst du das jetzt? T.: Na ja, ihr seid beide auch relativ extreme Eltern, also mit euren Künstlerlaunen. Du musst jetzt nicht so gucken, du bist ja sowieso immer unschuldig deiner Meinung 29 nach, ja, dass ihr halt beide schon euere exzentrischen Launen habt und guckt wo ihr bleibt und dass ich da auch gucke, wo ich bleibe. O-Ton 35: T. und Autor (1:10) Autor: Du machst neuerdings so ein paar Bemerkungen, da würde ich jetzt gerne mal mit dir darüber reden. Also gerade eben hast du die Bemerkung gemacht, ich wär sowieso unschuldig und du hast … ein paar Mal zu mir gesagt „Alter Mann“ fällt mir gerade ein. T.: Also mit 60, weiß nicht, mit deinen grauen Zottelhaaren, du wirst so ein bisschen urig, mit deinen Selbstgesprächen hinter mir auf dem Fahrrad oder in der Bibliothek redest du auch immer mit dir, wenn du Bücher durchliest, redest du mit dir. Ja, eigen, ein eigener älterer Herr bist du. Wenn du mal wieder deine melancholische Stimmung hast, nur weil ich keinen Bock hab mit dir Kaffee trinken zu gehen, (…) da hab ich auch so gedacht, da ist er jetzt halt griesgrämig, kann ich jetzt auch nichts machen. Und das ist halt das Gute und Angenehme durch … mein Erwachsenwerden, dass ich mich davon komplett frei gemacht hab: Das sind eure Launen, das sind eure Probleme, ich muss da nichts besser machen oder gut, das ist mir scheißegal, dann kannst du hier versauern in deinem Selbstmitleid, war mir dann Latte, und ich hab mir dann ein Kaffee gekauft und bin gegangen. So und das hätte ich vor drei Jahren noch nicht hingekriegt oder auch vor einem halben Jahr, hab ich mich dafür immer viel zu verantwortlich gefühlt. (Atmo 3 sec) Atmo 27: AB 7 (Dezember 2012) (Piepton) T.: Hallo Papa, ich bin’s. Du hast ja auf den Anrufbeantworter gesprochen, dass ich mich mal melde, jetzt sprech ich dir auf den Anrufbeantworter und sage dir, dass du dich mal melden sollst. Bis dann, Tschüß. Besetztzeichen Piepton Ansage: Ende der letzten Nachricht. Verbleibende Aufnahmezeit noch 14 Minuten 51 Sekunden. Atmo 28: Himmel und Hölle 30 Werfen T.: Das war Himmel, ja Hüpfen Mädchen: T. hat 3. T., du hast gewonnen. Hüpfen Musik: Laurie Anderson – Happy Birthday (0:59) You were born so your are free, so Happy Birthday. (Instrumental) O-Ton 36: T. (11 sec Geräusch Fotos wechseln) T.: Ah ja, und hier ist noch ein Foto von mir, das war, … also an meinem Geburtstag, an meinem 18. Geburtstag im März, da sitz ich mit frisch gewaschenen Haaren und getuschten Wimpern und Kaschmirpulli bei dir auf dem Sofa. Das war kurz bevor ich mit Maxi nach Berlin gefahren bin, da bin ich noch mal kurz hier rum gekommen, damit du mich auch siehst als Geburtstagskind und dann bin ich mit ihm abgedüst und mit meinen neuen Adidas Turnschuhen, genau. (5 sec Atmo) O-Ton 37: T. und Autor (0:46) Autor: Du warst mit deinem Freund, in Berlin an deinem 18. Geburtstag direkt. Wie war das da? T.: Oh, es war richtig gut, weil es hat unsere Beziehung auf jeden Fall noch mal gefestigt. Autor: Was hat euch da näher gebracht? … T.: Na ja, dass wir so zweit waren … so aufeinander angewiesen irgendwie, dass es ein schönes Wochenende wird, also beide dafür verantwortlich und so, einfach, dass wir mal so Zeit hatten füreinander. Und irgendwie so das nicht im Alltagsstress so untergebracht werden muss, sondern dass es so das ganze Wochenende war. … so 31 zu merken, dass wir auch zusammen reisen können. Also, er tut mir auf jeden Fall einfach richtig gut. (Atmo 2 sec) O-Ton 38: T. und Autor (1:02) Autor: Wie fühlst du dich mit 18? Und was ist anders als mit 17? T.: Ich fühl mich immer noch so unglaublich jung. Unheimlich klein - mit 18. Aber es ist auf jeden Fall mega erlösend, dass ich jetzt so auf dem Papier volljährig bin und selber die Entscheidungen treffen kann. Und selber Zigaretten kaufen kann, ohne dass ich doof angekackt werde, wenn die nach dem Ausweis fragen und so. Dennoch bin ich froh, dass ich erst im März 18 geworden bin, weil hätte ich schon vorher die Möglichkeit gehabt, Entschuldigungen für die Schule zu schreiben, wäre ich, glaube ich, gar nicht mehr hin. Und jetzt ist vorbei. Jetzt hab ich Montag meinen letzten Schultag. Und dann geht’s in die Studienfreizeit. Und dann schreib ich Abitur. Meine erste Prüfung hab ich am 22. April, Biologie. Ne Woche später Geschichte. Und Deutsch. Dann hab ich fünf Wochen frei. Und dann kommt meine Englischprüfung, mündlich. Autor. Und wie siehst du dem entgegen? T.: Relativ entspannt. Musikakzent: Laurie Anderson – Track 5 Big Science, Fortsetzung Happy Birthday O-Ton 39: T. und Autor (1:14) Autor: Heute ist der 7. Mai 2015, ein Donnerstag, du hast Abiturprüfung gehabt, schriftliche. T.: Seit einer Woche hab ich keine Prüfung mehr und bin ganz durch, und irgendwie vergeht die Zeit voll schnell. … Ich bin aber nicht so gut da drin, irgendwie einfach zu chillen und so rumzuhängen. Deshalb hab ich mich jetzt um einen Job gekümmert und hab morgen mein Vorstellungsgespräch, mal schauen wie das wird, weil ich will die Zeit ohne Schule möglichst gut nutzen, also ein bisschen Geld zu verdienen für Interrail und so. Und dass ich nie in meinem Leben mehr Mathe machen muss, ist schon toll. Autor: Du hast auch vorhin die Bemerkung fallen lassen, … dass die ganze Schulzeit auf diese Abiturprüfungen hinaus fixiert werden und dass es eher so kalter Kaffee war letztendlich. 32 T.: Dafür, dass man 12 Jahre so ein Tam-Tam drum macht und darauf hin arbeitet, war es relativ echt easy. Und, mein Gott, da hängt auch nicht alles von ab so, also, es kommt auch auf die Zeugnisse in der Oberstufe an und die zählen letztendlich nur 30 Prozent. Also, wenn du insgesamt in allen vier Prüfungen, also mit mündlichen, 21 Punkte schaffst, dann hast du bestanden. Musikakzent: O-Ton 40: T. und Autor (1:14) Autor: (leichtes Lachen) Mensch. Letzten Freitag hast du mich angerufen, kurz nach Mittag …. Tränen erstickte Stimme, du warst ganz verzweifelt, als du deine schriftlichen AbiNoten erfahren hast. Da ging’s dir schlecht. … Da hast du nicht mitgerechnet? T.: Wir sollten halt Freitag vor einer Woche in die Schule kommen und unsere Umschläge mit den schriftlichen Noten abholen. Dann habe ich eben gesehen, dass ich in Deutsch 4 Punkte, in Geschichte 5 Punkte und in Bio auch 4 Punkte geschrieben hab, dass ich halt insgesamt auf 13 Punkte gekommen bin, also 7 Punkte fehlen, um das Abitur zu bestehen. … Und war ich halt erst irgendwie so in Schockstarre. Und alle anderen haben sich gefreut, … manche, von denen hat man es nicht so mitgekriegt, haben es eben auch nicht bestanden. Und dann ist mir das so bewusst geworden, und dann bin ich hinter … die Aula gegangen, weil mich das so, der erste Gedanke war: Ja, was ist, wenn ich das Abitur nicht schaffe. (Atmo 6 sec) T.: Cybercrime - To what extent does cybercrime relate to cyberwar? Definition of cybercrime. Types of cybercrime. Comparison between cybercrime and conventionel crime. The impact of cybercrime on individual and society... Regie: Autor versetzt über T. Autor: Am 26. Juni war um 13 Uhr T.s mündliche Prüfung in Englisch angesetzt. Eines war klar, wenn sie das Abitur nicht bestünde, wollte sie die 12. Klasse nicht wiederholen. Und dann? Ich wurde unruhig. Die Prüfung hätte längst vorbei sein müssen, aber sie 33 meldete und meldete sich nicht. Ich wollte kein weinendes Kind mehr am Telefon trösten und aufbauen müssen. Endlich, 13 Uhr 55, traf die SMS bei mir ein: 12 Punkteeee!!! Musikakzent: O-Ton 41: T. und Autor (0:59) Autor: T., als wir neulich zum letzten Mal gesprochen haben miteinander, mit Mikrofon, hast du eine kleine Hängepartie gehabt, was dein Abitur betrifft, wie ist die denn jetzt ausgegangen? T.: Gut, hat sich alles zum Guten gewendet, ich hatte dann ja meine Mündlichprüfung und in der hätte ich 7 Punkte machen müssen, um mein Abitur zu bestehen, da hab ich 12 gemacht und demzufolge bin ich jetzt Abiturientin 2015. Also, ich bin … sehr erleichtert, … aber ich hab nicht so Bock auf diesen ganzen Abizirkus, also wie jetzt mit diesem Abiball, ja, da saufen halt alle und haben hübsche Kleider an. … Mir geht es jetzt eigentlich so um die Zeit danach, dass ich die frei gestalten kann und irgendwie ein bisschen mein Ding machen kann. Und eben dass man die 12 Jahre nicht umsonst gemacht hat, sondern dass man mit einem Abitur raus geht. … Ich weiß nicht, was mein Schnitt ist, hab ich noch nicht ausgerechnet, aber damit wird sich schon was anfangen lassen, denk ich. Atmo 29: AB 9 (2014) Ansage: Wiedergabe neuer Nachrichten. Piepton T.: Hallo Papa, ich bin’s, du, ich müsste mal vorbei kommen, mir ein Formular bei dir ausdrucken, …. Für heute Abend den Abiball. Wenn du Zuhause bist, dann schreib mir bitte doch mal. Danke. Besetztzeichen Atmo 30: Abiball (Musik, Stimmen von Filmchen) Regie: Autor über Atmo 34 Autor: Trotz aller Widerstände, auf dem Abiball trug T. dann doch ein langes weißes Abendkleid. Sie strahlte. Und ich, der Papa, hatte beim ersten Tanz das Vergnügen, mich mit der jungen Frau im Kreis zu drehen. O-Ton 42: T. und Autor (1:34) Autor: Was … liegt jetzt an in nächster Zeit? T.: Jetzt am 22. 7. fahr ich mit drei Freunden los auf Interrail. Autor: Und danach – gibt’s schon irgendwelche Ideen? T.: Mit Anna wollte ich nach Namibia dann für ein halbes Jahr. Wir verstehen uns gerade richtig gut. … Also sind so wahnsinnig auf einer Wellenlänge, wie wir zu diesem ganzen Schulkram stehen und was wir schon alles miteinander durchgemacht haben, wir sind schon echt durch viel durch. Von daher denke ich, dass es auf jeden Fall die richtige Reisepartnerin für mich ist. Und meine Vorstellung ist, in den Flieger steigen und los geht’s. Und dann halt gucken, was wir das halbe Jahr treiben. Autor: Und ist das ungefähr auch so, was dein zukünftiges Leben betrifft, so, du steigst ins Flugzeug und du guckst, wo du landest…. Ist das auch zu übertragen auf dein Leben? T.: Ja, bestimmt. Ich glaub, ich bin sehr instinktgetrieben, … also nicht nach dem Kopf gehe, eher nach dem Herzen. Autor: Ja, gut, aber du kannst schon so ein bisschen steuern. T.: Ich steuer jetzt erst mal ein Jahr Freizeit an und halt, dass ich möglichst viel sehe von der Welt, also möglichst viel mitnehme. Und dann hab ich überlegt, dass ich nächstes Jahr im Oktober – also, weil ich kenn mich, mir wird dann immer wahnsinnig schnell langweilig und werd unruhig und so und deswegen überlege ich, ob nächstes Jahr im Oktober anfange, entweder in Berlin oder in einer anderen schönen Stadt irgendwie zu studieren. … Bis jetzt würde mich Sozialpädagogik und Ethnologie am meisten interessieren. Musik: Filmmusik - Lost in Translation (Klavier und Meeresgeräusch) 35 O-Ton 43: T. und Autor (0:32) Autor: Wo bist du … heute mit deinem Drogenunfall? T.: … Es ist halt ein Erlebnis, das mich ausmacht und das mich sehr geprägt und verändert hat, aber ich hab keine Lust immer auf der Vergangenheit rum zu reiten, aber jetzt fängt ein neuer Abschnitt an und jetzt ist Zeit, so nach vorne zu gucken. Das sind jetzt so Wunden aus der Jugend, so Narben, die halt da sind, aber relativ gut verarbeitet alles. (Atmo 3 sec) Musik: Absage: Die Draufgängerin Meine Tochter und ich Von Egon Koch Es sprachen: T. Zitator Und der Autor Ton und Technik: Regie: Egon Koch Redaktion: Walter Filz Eine Produktion des Südwestrundfunks 2016 36
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