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Freilaw
– Freiburg Law Students Journal –
Ausgabe 1/2015
Recht auf Vergessen(werden)?
Freilaw 1/2015
Recht…auf Vergessen(werden)?
„Digitale Persönlichkeiten“ im „digitalen Zeitalter“. In einer Welt der Spähaffären und Vorratsdatenspeicherungen
lassen sich beinahe alle Begriffe mit diesem kleinen bezeichnenden Adjektiv versehen. Wie kein anderes strebt es
zeitgleich nach Freiheit und Schutz und hat vor allem eines im Netz und in den Köpfen der Menschen zur Folge:
Unsicherheit.
Schon einmal haben wir deshalb gefragt: „Legen die Menschen in heutiger Zeit keinen Wert mehr auf die Privatsphäre? (Freilaw Ausgabe 2/2010 – Datenschutz). Nun wollen wir auch wissen: Inwieweit kann man diese wahren und vor allem wirklich über Informationen selbst bestimmen? Kann ein „digitaler Radiergummi“ „digitale Fingerabdrücke und Fußspuren“ auslöschen?
Neue (digitale) Dimensionen drängen insofern nach neuen Rechten – oder? Laut BMI erfordert der technische
Fortschritt – gerade im Bereich des Datenschutzrechts – eine regelmäßige Überprüfung des erreichten Standards.
Unser Datenschutzgesetz stammt von 1977. Novellen folgten im Jahre 1990 und zuletzt 2009. Wir sollten also einmal die Homepage aktualisieren…
Frederic Probst greift in diesem Sinne in unserem dem Leitartikel "Das Recht auf Vergessen(werden)" eine
brandaktuelle Debatte auf: Es geht um die Möglichkeit, rechtlich gegen die Speicherung vermeintlich "unlöschbarer", im Internet befindlicher Daten vorzugehen. Er nimmt dabei eine abstrakte Definition des Rechts auf Vergessenen(werden) vor, um hieran verschiedene rechtliche Grundlagen zu messen, die eine taugliche Basis des Rechts
aus Vergessen(werden) sein können.
Ajay Sharma widmet sich in seinem Beitrag "Cross Border Merger Control by the Competition Commission of India: Law and Practice" dem indischen Übernahmerecht, wobei er insbesondere auf Vorschriften des indischen
"Competition Act" und aktuelle Entscheidungen eingeht.
Der Artikel von Eva Fischer beschäftigt sich mit den Grenzen des Kartellrechts in Bezug auf Standardpatente.
Sie geht besonders auf die Problematik der Abgrenzung des relevanten Marktes und der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers.
Philip J. Ridder untersucht in seinem Beitrag, wie bei der in Notlage geratenen GmbH eine Herabsetzung der
Geschäftsführervergütung erreicht wird und ob insbesondere eine Analogie zu § 87 AktG neuer Fassung statthaft
ist.
Zudem beantwortet Julian M. Egelhof die Frage, wie Gesellschaften der Rechtsunsicherheit, die entsteht, wenn
der Aufsichtsrat nach Feststellung des Jahresabschlusses rückwirkend seine Beschlussfähigkeit durch wirksame
Anfechtung der Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung verliert, vorbeugen können.
Rechtsreferendar Peter Zoth hat von November 2014 bis Januar 2015 seine Verwaltungsstation an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften (DUV) in Speyer verbracht. Seine Eindrücke schildert er in seinem "Speyer-Report".
Wir freuen uns außerdem sehr, mit „Vom schwierigen Kampf gegen Grabsteine aus Kinderarbeit“ von Klaus
Krebs den ersten Beitrag unserer neue Reihe mit Examensklausuren einzuleiten.
In unserer Reihe „Historische Juristen“ erscheint in dieser Ausgabe: "Bernhard Schlink – ein Leben zwischen
Prosa und Jurisprudenz" von Evelina Will. Hier soll Bernhard Schlinks schriftstellerisches sowie juristisches Schaffen kurz nach seinem 70. Geburtstag und dem Erscheinen des Romans „Die Frau auf der Treppe“ gewürdigt werden.
Viel Spaß beim Lesen wünscht euch euer Freilaw-Team!
www.freilaw.de
I
Recht auf Vergessen(werden)?
Freilaw 1/2015
Freilaw
– Freiburg Law Students Journal –
Ausgabe 1/2015
Das$Recht$auf$Vergessen(werden)$
Frederic'Probst'
S.'1010'
'
Cross$Border$Merger$Control$$
by$the$Competition$Commission$of$$India:$Law$and$Practice$
Ajay'Kr.'Sharma'
S.'11020'
'
Kartellrecht$als$Ausgleichsmechanismus$$
bei$planwidrigem$Einsatz$von$Standardpatenten$
Eva'Fischer'
S.'21032'
'
Herabsetzung$der$Geschäftsführervergütung$analog$§$87$AktG?$
Philip'Ridder'
S.'33044'
'
Feststellung$des$Jahresabschlusses$$
durch$rückwirkend$beschlussunfähig$gewordenen$Aufsichtsrat$
Julian'M.'Egelhof'
S.'45048'
'
Der$SpeyerSReport$
Peter'Zoth'
S.'49050'
'
Examensklausur$Öffentliches$Recht:$
Vom$schwierigen$Kampf$gegen$Grabsteine$aus$Kinderarbeit$$
Klaus'Krebs'
S.'51060'
'
Bernhard$Schlink$–$ein$Leben$zwischen$Prosa$und$Jurisprudenz$
Evelina'Will'
S.'61062'
www.freilaw.de
II
Probst, Das Recht auf Vergessen(werden)
Öffentliches Recht
Freilaw 1/2015
Das Recht auf Vergessen(werden)
Frederic Probst
I. Einleitung
Am 24. Dezember 2013 wurde dem Internetversandhandel
Amazon ein Patent erteilt, dessen geschütztes Verfahren "anticipatory package shipping" ermöglichen soll1. Amazon plant
Produkte zum Standort eines möglichen Kunden zu transportieren, bevor dieser überhaupt eine Bestellung abgegeben hat,
um Lieferzeiten zu verkürzen2.
Möglich wird dieses Verfahren durch die Analyse der von
dem einzelnen Internetnutzer hinterlassenen Daten: Aus seinem bisherigen Kaufverhalten, dem Inhalt des Wunschzettels,
der Verweildauer des Mauszeigers auf einem bestimmten Angebot3 und demographischen Informationen4 werden Wahrscheinlichkeiten für ein bestimmtes Kaufverhalten errechnet.
Aber auch heute schon können personenbezogene Daten
große Auswirkungen auf den gegenwärtigen Lebenswandel
eines Betroffenen haben. Etwa weil einmal online gestellte
Informationen im Rahmen einer Bewerbung negativ auffallen5
oder gar eine Kündigung des aktuellen Arbeitsverhältnisses
nach sich ziehen6.
Derartige Vorkommnisse und Entwicklungen hindern den
Nutzer, sich gänzlich frei im Internet zu bewegen: Werden alle
Interaktionen zur Erstellung eines Profils genutzt, wird er dazu
neigen, sein Verhalten möglichst unauffällig zu gestalten, um
keine unliebsamen Informationen preiszugeben. Ein schutzwürdiges Interesse des Bürgers gegen solche Einschüchterungseffekte hat das BVerfG bereits bei der Entwicklung des
Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil aus dem Jahre 1983 festgestellt7.
Vor diesem Hintergrund hat der EuGH in seinem Urteil vom
13. Mai 2014 den Bürgern der europäischen Union das sogenannte Recht auf Vergessenwerden gegenüber den Betreibern
von Suchmaschinen eingeräumt8. Demnach sind die Betreiber
auf Anfragen der Betroffenen dazu verpflichtet, Einträge aus
den Suchergebnissen zu löschen, sollte ihre Speicherung nicht
länger erforderlich sein und keine besonderen Gründe für die
weitere Speicherung vorliegen. Schon bevor dieses Urteil seine
Wellen schlug, implementierte die Europäische Kommission
ein gleichlautendes Recht in Art. 17 ihres Entwurfs zur Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO-E)9 vom 25.01.2012. Dieses
1
US Patent 8,615,473.
Bensinger, Amazon Wants to Ship Your Package Before You Buy
It,WSJ.com; US Patent 8,615,473, Description.
3
Stempel, "Anticipatory Shipping" – Amazon liefert schon, bevor Sie bestellen, Rheinische Post-online.
4
Lomas, Amazon Patents “Anticipatory” Shipping, Techcrunch.com.
5
Kemmer, Private Internet-Daten als Problem bei der Bewerbung, welt.de.
6
ArbG Krefeld - 3 Ca 1384/13: Kündigung eines krankgeschriebenen Lageristen, der auf einem Foto seine Braut trug.
7
BVerfGE 65, 1 (43).
8
EuGH C-131/12.
9
KOM(2012) 11 endgültig.
2
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soll zusammen mit den übrigen Regelungen der DS-GVO-E
jede Personen in die Lage versetzen, trotz des technologischen
und informationstechnischen Fortschritts, ihr Recht auf Schutz
der sie betreffenden, personenbezogenen Daten aus Art. 8 GRC
und Art. 16 I AEUV wirksam auszuüben10. Ausgehend von
dem Entwurf nimmt diese Arbeit aus dem Februar 2014 eine
abstrakte Definition des Rechts auf Vergessenen(werden) vor,
um hieran verschiedene rechtliche Grundlagen zu messen, die
unabhängig von der später ergangenen Rechtsprechung des
EuGH taugliche Basis des Rechts aus Vergessen(werden) sein
können.
II. Abstrakte Definition
1. Recht auf Vergessen(werden)
Das Recht auf Vergessen(werden) steht einer betroffenen Person bzgl. der über sie erhobenen personenbezogenen Daten zu.
Es richtet sich gegen denjenigen, der die Daten speichert - den
Datenverarbeiter. Wird nun – wie auch im ursprünglichen Titel
dieser Arbeit – von einem "Recht auf Vergessen" gesprochen,
so ist dies trotz der Kürzung als inhaltsgleich zu werten: Das
Umwandeln der grammatikalisch passiven in eine aktive Konstruktion verleiht dem Begriff lediglich eine schärfere Kontur
und adressiert den Betroffenen direkt. Es wird daher vielfach
als ein griffigeres Synonym verwendet11. Ohnehin ist es dem
Betroffenen nicht möglich, selbst zu vergessen, wenn nicht
auch seine personenbezogenen Daten von Dritten vergessen
werden. Sie würden ansonsten wiederholt an ihn herangetragen werden. Diese Arbeit widmet sich also dem Recht auf
Vergessenwerden (RaVw), das im Folgenden, auch als solches
bezeichnet werden soll.
2. Definition von Vergessen
a) Vergessen im herkömmlichen Sinn meint, dass ein Mensch
eine Information aus dem Gedächtnis verliert, sie sich nicht
merken kann oder nicht mehr daran denkt12. Indes soll nicht die
betroffene Person vergessen, sondern derjenige, der Daten
verwendet. Mittels EDV wird dieser menschliche Automatismus jedoch durch dauerhafte Speicherung ausgesetzt.
b) Das RaVw zielt deshalb darauf ab - ausgehend von den
unterschiedlichen Ausprägungen menschlichen Vergessens eine technisch-adäquate, in der Wirkung gleichwertige Handhabe informationstechnischer Systeme herbeizuführen.
aa) Verliert ein Mensch eine Information aus seinem Gedächtnis, so ist dies dem Umstand geschuldet, dass er mit Ablauf der Zeit neue Informationen sammelt und ältere - ange10
Erwägungsgründe (EG) 1, 5f. DS-GVO-E.
Bspw. bzgl. der DS-GVO-E: Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 235
(237); Kyotynek/Levine, Das Recht auf Vergessen, ZeitOnline, S. 1.
12
"Vergessen", Duden, S. 978.
11
ISSN: 1865-0015
1
Probst, Das Recht auf Vergessen(werden)
Öffentliches Recht
Freilaw 1/2015
sichts der abnehmenden Aktualität - wieder verwirft. Um diesen zeitlichen Ansatz technisch umzusetzen, müsste bei der
erstmaligen Speicherung der Daten ein Umstand festgelegt
werden, mit dessen Eintritt die Daten unleserlich gemacht oder
gelöscht werden.
Verarbeitung nicht mehr auf die Einwilligung des Betroffenen
nach Art. 6 I a) DS-GVO-E und auf keine andere Ermächtigungsgrundlage stützen kann, die betroffene Person Widerspruch nach Art. 19 DS-GVO-E einlegt oder die Verarbeitung
in sonstiger Weise nicht mit der DS-GVO-E in Einklang steht.
bb) Kann ein Mensch sich etwas nicht merken, so wird eine
aufgenommene Information gar nicht oder aber nur sehr kurz
gespeichert. Um dies technisch umzusetzen, wäre es denkbar,
dem Betroffenen einen Löschungsanspruch an die Hand zu
geben, der es ihm gestattet, gespeicherte Daten möglichst früh
wieder zu entfernen bzw. entfernen zu lassen. Bestenfalls richtet sich dieser gegen sämtliche veröffentlichte Exemplare und
Duplikate.
b) Art. 17 II DS-GVO-E verpflichtet denjenigen, der im Falle des Absatz 1 für eine Veröffentlichung der personenbezogenen verantwortlich ist, dazu, Dritte, die die Daten verarbeiten,
über das Löschungsersuchen des Betroffenen in Kenntnis zu
setzen – im Rahmen der vertretbaren Möglichkeiten und auch
für den Fall, dass ein Dritter die Daten mit Zustimmung des
Verantwortlichen veröffentlicht hat.
cc) Nicht mehr daran denken impliziert, dass die Information selbst zwar noch vorhanden, es dem menschlichen Organismus aber nicht möglich ist, sie sich ins Bewusstsein zu
rufen.
Parallel dazu wäre ein Verfahren denkbar, nachdem nicht
derjenige, der die Daten speichert, sie löscht, sondern den
möglichen Empfängern das Auffinden der Daten in einem solchen Maß erschwert wird, dass deren Existenz in Vergessenheit gerät.
III. "RaVw" in Art. 17 DSGVO-E
1. Sämtliche Rechte, die sich aus Art. 17 DS-GVO-E ableiten
lassen, stehen der "betroffenen Person" zu. Dabei handelt es
sich ausweislich des Art. 4 I, II DS-GVO-E um jede bestimmte
oder bestimmbare, natürliche Person. Sie richten sich gegen
den "für die Verarbeitung Verantwortlichen" nach Art. 4 V
DS-GVO-E: die natürliche oder juristische Person, die über die
Modalitäten der Datenverarbeitung i.S.d. Art. 4 III DS-GVO-E
entscheidet.
2. Der sachliche Schutzbereich des Art. 17 DS-GVO-E ist
eröffnet, sofern "personenbezogene Daten" i.S.d. des Art. 4 II
DS-GVO-E, d.h. Informationen, die sich auf die bestimmbare
Person beziehen, vorliegen.
Der Titel des Art. 17 DS-GVO-E weist neben dem RaVw
auch das Recht auf Löschung auf. Der Erwägungsgrund (EG)
53 der DS-GVO-E macht deutlich, dass es sich dabei nicht um
zwei getrennt nebeneinanderstehende Betroffenenbefugnisse
handelt. Das Recht auf Löschung ist vielmehr ein Teil des
RaVw. Die Struktur des Art. 17 DS-GVO-E unterstreicht diese
Annahme: Während sich das Recht auf Löschung nochmal
expressis verbis in Absatz 1 findet, steht das RaVw dem gesamten Artikel ausschließlich in der Überschrift vor.
Folgerichtig ergibt sich dessen Inhalt aus dem Zusammenspiel aus der Gesamtheit der in den verschiedenen Absätzen
des Art. 17 DS-GVO-E festgelegten Berechtigungen und Beschränkungen:
a) Nach Art. 17 I DS-GVO-E ist der Betroffenen berechtigt,
vom Verantwortlichen die Löschung seiner personenbezogenen Daten, sowie das Unterlassen deren weiteren Verbreitung
zu verlangen, sofern die Daten entweder zu den Erhebungszwecken nicht mehr erforderlich sind, der Verantwortliche die
2
Letztgenanntem obliegt nach Art. 13 DS-GVO-E auch die
Pflicht, direkte Empfänger der Daten i.S.v. Art. 4 VII DSGVO-E von der Löschung zu unterrichten, sofern dies nicht
unmöglich oder einen unverhältnismäßig hohen Aufwand
bedeuten würde.
c) Für den Fall, dass die Speicherung zur Ausübung des
Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 80 DS-GVO-E,
aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit gemäß Art. 81 DS-GVO-E, für historische,
statistische oder wissenschaftliche Zwecke nach Art. 83 DSGVO-E, zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufbewahrungspflicht oder in den Fällen des Absatz IV erforderlich ist, entfällt die Pflicht zur umgehenden Löschung.
d) Das RaVw aus Art. 17 DS-GVO-E setzt sich also aus
dem Löschungsanspruch gegen den Verantwortlichen und
dessen Informationspflicht im Fall der Übermittlung oder Veröffentlichung zusammen. Mit einem Vergessen im zeitlichen
Sinne hat diese Konzeption wenig zu tun. Es handelt sich
vielmehr um einen weitreichenden Löschungsanspruch, der
dem Betroffenen die Möglichkeit an die Hand geben soll, auch
Kopien und Querverweise seiner personenbezogenen Daten
wieder aus der Öffentlichkeit entfernen zu lassen. In die Kategorien menschlichen Vergessens eingeordnet handelte es sich
um "sich nicht merken können".
e) aa) Der Spezialfall der Veröffentlichung von Informationen im Kindesalter in Art. 17 I DSGVO-E weißt eigentlich die
Charakteristik eines Regelbeispiels auf. Jedoch mangelt es ihm
an dem zu konkretisierenden, auslegungsbedürftigen Begriff.
Die Wirkung muss sich somit auf die Interessengewichtung im
Rahmen einer Abwägung innerhalb der Voraussetzungen aus
a)-d) beschränken. Umgekehrt darf man die Gewichtung nicht
umkehren sollte der Spezialfall gerade nicht vorliegen. Dies
ließe die Wirkung des Art. 17 DSGVO-E zu einer Spezialregelung des unvorsichtigen Datenumgangs der Jugend13 verkommen und trüge zu einer Schlechterstellung Betroffener bei, die
sich bisher auf einen gleichartigen Löschungsanspruch aus Art.
12 b) DSRL berufen konnten. Der DSGVO-E hat indes die
Stärkung deren Rechte zum Ziel14. Der Spezialfall darf daher
nachteilige Gewichtung der Interessen der restlichen Betroffenen nicht zulassen.
13
14
Vgl. Schenk/Niemann/Reinmann/Roßnagel, Digitale Privatsphäre, S. 7 f.
Vgl. Erwägungsgründe 5f., 9 DSGVO-E; Hornung, ZD 2012, 103.
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Probst, Das Recht auf Vergessen(werden)
Öffentliches Recht
bb) Die Informationspflicht im Fall der Übermittlung wird
durch die Vertretbarkeit einschlägiger Maßnahmen begrenzt.
Zur Bewertung des Betroffenenrechts aus Art. 17 II DS-GVOE kommt man also um eine nähere Betrachtung der Vertretbarkeit nicht umhin. Es stellt sich also die Frage auf welche Weise
Verlinkungen, Kopien und Replikationen ausfindig gemacht
werden können15 und ob das entsprechende Verfahren i.V.m.
der sich anschließenden Information des Verarbeiters noch als
vertretbar qualifiziert werden kann16.
Die Speicherung eines jeden Abrufs der personenbezogenen
Daten durch einen Dritten wird schon in den meisten Fällen
mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig sein17, wird vom
Verantwortlichen ab einer gewissen Abrufzahl ökonomisch
und organisatorisch nicht mehr vertretbar sein18 und widerspricht dem Grundsatz der Datensparsamkeit. Sollten mit der
Unterscheidung von Kopien und Replikationen unter letzterem
auch Screenshots erfasst werden19, so wird die Informationspflicht diesbezüglich mangels vertretbarer Möglichkeiten zur
Ermittlung leer laufen.
Obwohl die Wirkung der Informationspflicht aus Art. 17 II
DS-GVO-E empfindlich eingeschränkt wird, ist das Vertretbarkeitskriterium unerlässlich, um nicht technisch oder wirtschaftlich Unmögliches zu fordern20 und so das Instrumentarium im Ganzen zu Fall zu bringen. Dies lässt unweigerlich den
Schluss zu, dass nicht der Anspruch erhoben werden kann dem
Betroffenen eine umfassende und abschließende Regelung zu
bieten. Die Informationspflicht gibt ihm dennoch ein grundsätzlich sinnvolles Mittel an die Hand, einem unbegrenzten
Umgang mit seinen Daten entgegenzuwirken.
Freilaw 1/2015
cherung vorzunehmen. Darüber hinausgehende Schritte wären
aus Sicht des Verantwortlichen ohnehin nur selten vertretbar.
Für künftige Fassungen könnte die Einführung unterschiedlich brisanter Datenkategorien erwogen werden, die jeweils
eine eigene Frist vorsehen mit deren Ablauf der Dritte sich
beim Betroffenen erkundigen soll, ob die gespeicherten Daten
zu löschen sind25. So könnte etwa im Falle sensibler Daten
i.S.d. Art. 4 X-XII DS-GVO-E die Benachrichtigung eine
unverzügliche Löschungspflicht des Dritten auslösen26, um
deren besonderer Peinlichkeit gerecht zu werden. Auf diese
Weise würde dem bloßen Löschungs- und Informationsanspruch noch eine Spur eines zeitlichen RaVws angehängt.
dd) Problematisch am RaVw in der Konzeption des Art. 17
DS-GVO-E ist, dass er dem Betroffenen eine eigentumsanaloge Verfügungsbefugnis über seine Daten zuschreibt, die sich
mit den sozialen Verflechtungen in der Realität nicht deckt27.
Es wird angeführt, dass auch im analogen Kommunikationsverkehr eine Rücknahme einmal preisgegebener Daten nicht
möglich ist. So kann etwa ein einmal versandter Liebesbrief
nicht wieder zurückgefordert werden28. Dieser parallel gezogene Schluss verläuft jedoch angesichts der sich erheblich unterscheidenden Risikopotentiale der Daten in Leere: während im
analogen Schriftverkehr zur Kenntniserlangung die Recherche
des Besitzers der Originalwerke oder der Kopien erforderlich
ist, kann auf digitalem Wege mittels Suchmaschine ein entsprechendes Dokument in Bruchteilen von Sekunden ausfindig
gemacht werden. Diese Dienste bieten zudem die Möglichkeit
in kurzer Zeit die Verknüpfung mit weiteren personenbezogenen Daten zu erreichen.
cc) Nach Art. 2 II d) DS-GVO-E findet die DSGVO keine
Anwendung gegenüber natürlichen Personen, die persönliche
Zwecke verfolgen21. So ist die Informationspflicht etwa nicht
anwendbar für den Fall, dass ein Nutzer ein personenbezogenes Datum innerhalb eines begrenzten Personenkreises im
Rahmen eines sozialen Netzwerkes verbreitet. Wird das Datum
jedoch für sämtliche Nutzer sichtbar, so sind die privaten Zwecke mangels persönlicher Verbindung zu den Rezipienten zu
verneinen22. Diese Einschränkung ist angesichts der geringeren
Gefahr der Verbreitung durch einen eingeschränkten Personenkreis angebracht.
ee) Etwaige Speicherfristen, wie sie etwa in Art. 14 I c) und
Art. 15 I d) DS-GVO-E enthalten sind, konstituieren keine
Löschpflicht. Sie dienen nur der Schätzung, inwieweit die
einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen wirksam sein werden
- allein diese entscheiden über die Rechtmäßigkeit gespeicherter Daten29. Mangels jeglicher zeitlicher Komponente wirkt der
Titel des Art. 17 DS-GVO-E daher zunächst irreführend, es
handelt sich um einen einfachen Löschungsanspruch in Kombination mit genannten Informationspflichten30.
Der Art. 17 II DS-GVO-E verpflichtet den Verantwortlichen
indes nicht, bei den Dritten für eine Löschung zu sorgen23. Dies
zeigt der Vergleich mit dem abweichenden Wortlaut eines
früheren Entwurfs, der eine eben solche Verpflichtung enthielt24: Der Dritte soll lediglich dazu angehalten werden bzgl.
derselben Daten eine Prüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Spei-
Im Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983 konkretisierte das
BVerfG einen Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung
(RiSB)31. Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht, selbst über die Preisgabe und Verwendung
seiner persönlichen Daten zu bestimmen32.
IV. Verfassungsrechtliche Grundlage
15
Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 239.
Gstrein, ZD 2012, 425; Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 238.
Hornung/Hoffmann, JZ 2013, 168.
18
Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 238.
19
ebd.
20
Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 238.
21
Kalabis, Selzer, DuD 2012, 675.
22
Hornung/Hoffmann, JZ 2013, 167.
23
so aber: Gstrein, ZD 2012, 425.
24
Hornung/Hofmann, JZ 2013, 167; Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013,
237.
16
17
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25
Gstrein, ZD 2012, 428.
ebd., 425.
27
ebd., 427; Schneider/Härting, ZD 2012, 200.
28
Härting, InternetR, Annex Rn. 24f.; Friedrich, Informationelle Selbstbestimmung: Das "Recht auf Vergessen" und die Netzfreiheit, SPON.
29
Hornung/Hoffmann, JZ 2013, 166.
30
Koreng/Feldmann, ZD 2012, 312, 315; Gstrein, ZD 2012, 427,
31
Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 51.
26
32
BVerfGE 65, 1 (43).
ISSN: 1865-0015
3
Probst, Das Recht auf Vergessen(werden)
Öffentliches Recht
Dabei bindet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Exekutive, Legislative und Judikative nach Art. 1 III
GG unmittelbar. Gegenüber Privaten, die sich zumindest auf
die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG berufen
können, entfaltet das RiSB hingegen lediglich eine mittelbare
Drittwirkung33. Folglich muss auch eine grundrechtliche Beurteilung des RaVws differenziert erfolgen.
1. Das RiSB schützt den einzelnen gegen die unbegrenzte
Erhebung, Speicherung oder sonstige Nutzung seiner personenbezogenen Daten durch den Staat34.
a) Eingriffe, also die Erhebung, Verarbeitung, Übermittlung
oder Veröffentlichung personenbezogener Daten, können lediglich unter Einhaltung enger Rahmenbedingungen gerechtfertigt werden. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage oder
informierten Einwilligung, müssen eng an einen Zweck gebunden sein und unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz35.
Aus einem Verstoß gegen diese Voraussetzungen folgt ein
Abwehranspruch des Grundrechteinhabers in Form der Löschung vorgehaltener Daten und Unterlassung des weiteren
Umgangs. Darüber hinaus leitet sich aus dem Datensparsamkeitsgrundsatz die Löschungspflicht der verarbeitenden Stelle
ab, sofern der Zweck, der dem Datenumgang zu Grunde lag,
erfüllt wurde36.
b) Möglicherweise bildet das RiSB außerdem eine taugliche
Grundlage eines weitergehenden "RaVw". Entscheidend dabei
ist Natur des Grundrechts aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG.
Freilaw 1/2015
cher bürgerlichen Aktivität ermöglichen. Diese verstieße gegen
den verfassungsimmanenten Persönlichkeitsvorbehalts der
Bundesrepublik Deutschland40. Die damit einhergehende Katalogisierung und Objektivierung menschlicher Individuen mittels umfassender Persönlichkeitsprofile bedeutete außerdem
eine Verletzung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG41.
Sollten die erhobenen Daten dabei nicht schon gegen den
Zweckbindungs- oder den Sparsamkeitsgrundsatz verstoßen,
ist es erforderlich, ein vom Erhebungszweck unabhängiges
Verfallsdatum festzulegen. Die Haltbarkeitsspanne muss die
Zeit, die zur Datenerhebung, Verknüpfung und Erstellung von
Persönlichkeitsprofilen erforderlich ist, dabei stets deutlich
unterschreiten. Auch wenn die Feststellung der entsprechenden
Speicherfrist und deren technische Realisierung42 mit immensen Problemen verbunden sein wird, so gebietet die instrumentelle Auffassung des RiSB ein RaVw im zeitlichen Sinne,
sollte der Kernbereich des Rechts auf Entfaltungsfreiheit betroffen sein.
cc) Versteht man das RiSB wiederum als rein objektivrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, Normen für die grundrechtskonforme Ausgestaltung der Datenverarbeitung festzulegen43,
so lassen sich auf verfassungsrechtlicher Ebene keine subjektiven Rechte des Betroffenen ableiten. Er wäre bei der Suche
nach einem RaVw auf eine entsprechende einfachgesetzliche
Ausgestaltung angewiesen.
bb) Sieht man hingegen das RiSB als reines Instrument zur
Gewährleistung der freien Persönlichkeitsentfaltung an38, so
kann nur dann ein weitergehender Anspruch des Betroffenen
abgeleitet werden, sollte diese in Gefahr geraten.
dd) Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass die personenbezogenen Daten als "Abbild sozialer Realität […] nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden" können44. Die Gesellschaft hat ein Interesse daran, dass der Staat
selbst Eingriffe vornimmt oder gesetzlich legitimiert. Nur so
lässt sich sicherstellen, dass den Interessen Dritter im Rahmen
ihrer Informationsfreiheit aus Art. 5 I GG, der Pressefreiheit
aus Art. 5 I S.2 GG, der Freiheit der Wissenschaft aus Art. 5 III
GG oder zumindest der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art.
2 I GG ausreichend Rechnung getragen wird45. Der Austausch
von personenbezogenen Daten ermöglicht erst die gesellschaftliche Diskussion, weswegen eine Eigentumsanalogie mit dem
Grundsatz der Demokratie, wie er in Art. 20 I GG festgelegt
ist, unvereinbar wäre46. Das RiSB kann folglich nicht als absolute Verfügungsbefugnis verstanden werden, die das Recht auf
gelungene Darstellung beinhaltet47.
Kritisch zu beobachten ist, ob die Erhebung und Verknüpfung von personenbezogenen Daten durch den Staat in einem
ähnlichen Maße zunimmt, wie im privaten Sektor; bzw. ob
öffentliche Stellen auf die immer größer werdenden Datenbestände aus der Privatwirtschaft zurückgreifen39. Eine derartige
Entwicklung würde auf lange Sicht die Rekonstruierung jegli-
Die Konzeption als rein objektive Pflicht käme hingegen einer Umkehr des Grundsatzes vom Verbot mit Erlaubnisvorbehalt48 gleich: Anstatt dem Betroffenen grundsätzlich Abwehransprüche aus dem RiSB zu garantieren, wäre er auf die einzelnen Freiheitsrechte beschränkt, die ihm der Gesetzgeber auf
einfachgesetzlicher Ebene zubilligt. Damit ginge eine Schwä-
33
40
34
41
aa) Folgt man dem Wortlaut des BVerfG aus dem Jahr 1983
und qualifiziert das RiSB als eigentumsanaloge Verfügungsbefugnis37, so gesteht man dem Betroffenen eine umfassende
Kontrolle bzgl. seiner personenbezogenen Daten zu. Als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unübertragbar,
verblieb ihm diese auch im Falle der Veröffentlichung oder
Übermittlung. Dem Betroffenen stünde demnach zu jeder Zeit
die Möglichkeit offen, mittels eines Löschungsanspruchs die
Datenverarbeiter seine personenbezogenen Daten "vergessen"
zu lassen.
Herdegen, Maunz/Dürig GG, Art. 1 III Rn. 59; Masing, NJW 2012, 2306.
Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 52.
35
Tinnefeld/Ehmann/Gerling DSR, S.147, 151; Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 53.
36
Schwartmann/Lamprecht/Weissenborn, DSR, S. XIV.
37
Vgl.: Britz, Offene Rechtswissenschaft, 562f; Simitis, NJW 1984, 400.
38
Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 521; Trute, Roßnagel, Hdb. DSR, S. 166,
169.
39
Bsp. polizeilicher Ermittlungen in sozialen Netzwerken: Schulz/Hoffmann
DuD 2012, 7 f.
4
BVerfGE 125, 324.
BVerfGE 27, 1 (5); 65, 1 (48); zur Gefahr unrichtiger Profile: Trute, Roßnagel, Hdb. DSR, S. 171 f.
42
Siehe hierzu: Fn. 3.
43
Simitis, NJW 1984, 399 f.
44
BVerfGE 65, 1 (44).
45
Woertge, Die Realisierung des Datenschutzrechts, S. 30.
46
Simitis, NJW 1984, 400.
47
BVerfGE 97, 125 (149); Britz, Offene Rechtswissenschaft, 571 f.
48
Schwartmann/Lamprecht/Weissenborn DSR, S.XIV.
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Öffentliches Recht
chung der Betroffenen einher, die den aktuellen Bestrebungen
eines wirksameren Datenschutzes49 nicht gerecht wird.
Das RiSB dient also der freien Persönlichkeitsentfaltung des
Grundrechtsträgers und sichert diesem auch ein RaVw als
Abwehrrecht gegen staatliches Handeln zu, für den Fall, dass
der technologische Fortschritt zu einer Totalerfassung bürgerlicher Aktivitäten führt.
2. Zwischen Privaten verpflichtet die mittelbare Drittwirkung des RiSB den Gesetzgeber zur Ausarbeitung einer dezidierten, gesetzlichen Regelung, die die widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Freiheiten der Privaten miteinander in Einklang bringt 50: Der Betroffene hat Interesse an
der Wahrung seines RiSB, wohingegen sich der private Datenverarbeiter auf seine Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG, den genannten Rechten aus Art. 5 GG oder zumindest auf seine allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG berufen wird. Es
stellt sich also die Frage, ob das RiSB auch bei nur mittelbarer
Drittwirkung die Grundlage für ein temporäres RaVw bietet in einfachgesetzlicher Ausgestaltung. Dabei ist nicht schon von
vorneherein ausgeschlossen, dass die mittelbare Drittwirkung
und die direkte Anwendung des Rechts aus Art. 2 I iVm. Art. 1
I GG den gleichen Wirkungsgrad erreichen51.
Der Datenverarbeiter hat meist ein wirtschaftliches Interesse
daran, die personenbezogenen Daten lange und ausgiebig zu
nutzen. Dem setzt die mittelbare Drittwirkung des RiSB Grenzen: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung darf den Datenumgang nur im Fall einer Einwilligung oder eines gesetzlichen
Erlaubnistatbestandes unter Beachtung der Grundsätze der
Zweckbindung und der Datensparsamkeit erlauben, um beschriebenen Einschüchterungseffekte zwischen Privaten beizukommen. Mittels gesetzlicher Abwägungen im Rahmen des
Verhältnismäßigkeitsprinzips lassen sich dabei die Interessen
der Betroffenen einzelfallbezogen in Einklang bringen52.
Dennoch ist gerade im privatwirtschaftlichen Bereich die
Gefahr umfassender Persönlichkeitsprofilbildungen aufgrund
deren wirtschaftlicher Rentabilität groß. Entfalten die Grundrechte ihre Wirkung gegenüber Privaten als objektive Wertordnung, so muss für die Schutzpflicht des Staates der gleiche
Maßstab wie bei der unmittelbaren Anwendung gelten. Um
das verfassungskonforme Minimum an Persönlichkeitsentfaltung und die Menschenwürde zu wahren, ist der Gesetzgeber
also verpflichtet, privaten Datenanbietern die vollständige
Katalogisierung von Bürgern zu untersagen. Ein temporäres
Recht auf Vergessen, gleich dem gegenüber staatlichen Stellen
wäre demnach einfachgesetzlich festzulegen. Denn auch wenn
die Erhebung der Daten vielfach aufgrund einer Einwilligung
erfolgt, kann dies der Verletzung der unabdingbaren53 Menschenwürde nicht entgegengehalten werden.
3. Das RiSB aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG beinhaltet zunächst ein RaVw, das dem menschlichen "sich nicht merken
können" gleich kommt: personenbezogener Daten deren Um49
Auf Europäischer Ebene: Erwägungsgrund 5 f. DS-GVO-E.
BVerfGE 7, 198; Tinnefeld/Ehmann/Gerling DSR, S. 154 f.
51
BVerfGE 128, 226 (248); Masing, NJW 2012, 2308.
52
Bspw. verschieden gewichtete Interessenabwägungen in §§28 ff. BDSG.
53
Jarass/Pieroth GG, Art. 1 Rn. 13; BVerwGE 86, 362 (366).
50
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gang im Widerspruch zu den genannten Prinzipien steht, werden nicht erhoben. Falls sie dennoch rechtswidrig erhoben
wurden oder ihr Zweck nach rechtmäßiger Erhebung erfüllt
wurde, sind sie zu löschen.
Darüber hinaus muss der Staat die Menschenwürde und ein
Mindestmaß an Persönlichkeitsentfaltung sicherstellen. Der
umfassende Rekonstruierbarkeit bürgerlicher Verhaltensweisen
ist also ein RaVw i.S.d. menschlichen "aus dem Gedächtnis
verlieren" entgegenzusetzen
Gegenüber staatlichen Stellen gelten diese Ansprüche unmittelbar aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG. Im Verhältnis zwischen Privaten bindet den Gesetzgeber seine Schutzpflicht,
eine gleichwertige, einfachgesetzliche Regelung zu schaffen.
V) Einfachgesetzliche Grundlagen
1. Das LDSG Schleswig-Holstein
a) Das Landesdatenschutzgesetz von Schleswig-Holstein
(LDSG SH) widmet sich seit dem 27. Januar 2012 in § 21 der
Veröffentlichung von personenbezogenen Daten im Internet.
Der Anwendungsbereich des LDSG SH ist nach § 3 I gegenüber allen Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen, der im
Landesverwaltungsgesetz genannten Träger der öffentlichen
Verwaltung eröffnet.
Nach § 21 I S.1 LDSG SH bedarf es zur Veröffentlichung
der personenbezogenen Daten einer Einwilligung oder gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Dieser Grundsatz des Verbots
mit Erlaubnisvorbehalts findet sich bereits in § 11 I LDSG SH
und bietet daher keine materiell rechtliche Neuerung54.
Absatz II schreibt vor, dass personenbezogene Daten, die im
Internet veröffentlicht werden, mit einer Frist von unter 5 Jahren versehen und nach deren Ablauf wieder aus dem Internet
entfernt werden.
b) Unklar bleibt, welche Regelung vorzuziehen ist, sollte an
anderer Stelle ein längerfristige Speicherung vorgesehen sein
und ob wirksam in eine längere Veröffentlichung eingewilligt
werden kann55. Problematisch erscheint außerdem § 21 II S. 3
LDSG SH, der eine erneute Veröffentlichung für zulässig erklärt und damit die Pflicht, die Daten nach Zeitablauf aus dem
Internet zu entfernen, untergräbt56.
§ 21 II S. 3 LDSG SH kann daher nicht schon als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage verstanden werden. Eine erneute
Veröffentlichung bedarf nach § 21 I S. 1 LDSG SH wiederum
einer gesetzlichen Grundlage oder der Einwilligung, wobei die
Grundsätze der Datensparsamkeit und Zweckbindung aus §§ 4
I, 13 II LDSG SH erneut zu beachten sind.
Nicht thematisiert, geschweige denn gelöst, werden die
Problematik unrechtmäßig angefertigter Kopien und deren
Weiterverbreitung nach Ablauf der Frist57. Zudem entfaltet des
54
Venske, Schleswig-Holstein normiert "Recht auf Vergessen", datenschutzcert.de.
55
ebd.
56
ebd.
57
Schulz/Brackmann, Landtag SH, Umdruck 17/2960, S. 8.
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5
Probst, Das Recht auf Vergessen(werden)
Öffentliches Recht
LDSG SH seine Wirkung nur gegenüber öffentlichen Stellen
des Landes Schleswig-Holstein. Im täglichen Datenverkehr
nehmen diese jedoch eine äußerst unbedeutende Rolle ein.
Nicht-öffentliche Stellen, die hier über das Gros der Datenverarbeitung und -veröffentlichung entscheiden, werden allerdings
nicht von den LDSG, sondern § 1 II Nr. 3 BDSG erfasst.
Die Befristung ist außerdem auf im Internet veröffentlichte
personenbezogene Daten beschränkt. Bei den Landesbehörden
gespeicherte Daten können somit weiterhin ohne pauschale
zeitliche Begrenzung erhoben und entsprechend ihrer Zwecke
verarbeitet werden.
Das LDSG SH bietet somit nur einen kleinen Anwendungsbereich und eine geringe Reichweite bzw. Wirksamkeit der
Löschpflicht. Eine Regelung wie in § 21 II S.1 LDSG SH kann
somit zwar keine umfassende Lösung für den Datenumgang im
Internet bieten, sie ist dennoch als erster Schritt in Richtung
eines "RaVw" mit temporärem Ansatz von staatlicher Seite zu
werten.
2. BDSG in Umsetzung der DSRL
In Umsetzung der Normen der DSRL58 entsprechend dem Art.
288 III AEUV regelt das BDSG den Umgang mit personenbezogenen Daten. Dabei handelt es sich gemäß § 3 I BDSG, Art.
2 a) DSRL um Angaben über eine "bestimmte oder bestimmbare Person" - dem Betroffenen. Diesem stehen verschiedene
Rechte gegen den für die Verarbeitung Verantwortlichen aus
Art. 2 d) DSRL zu.
Der deutsche Gesetzgeber hat den in Art. 12 II b) DSRL
vorgesehenen Löschungsanspruch des Betroffenen bzgl. seiner
personenbezogenen Daten differenziert umgesetzt: Öffentliche
Stellen i.S.d. § 2 I-III BDSG sind aus § 20 II BDSG, nichtöffentliche Stellen i.S.d. § 2 IV BDSG aus §35 II S.2 BDSG
verpflichtet, personenbezogene Daten zu löschen, sofern ein
entsprechender Tatbestand erfüllt wurde. Die Ausübung des
korrespondierenden, subjektiven Löschungsanspruchs des
Betroffenen ist hierfür nicht konstitutiv59.
a) Nach § 4 I BDSG ist der Umgang mit personenbezogenen
Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen nach § 4a I BDSG
oder auf der Basis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage
zulässig. Es stellt sich nun die Frage, ob dem Betroffenen die
Möglichkeit offen steht, personenbezogene Daten, die zunächst
rechtmäßig erhoben, gespeichert oder veröffentlicht wurden,
wieder entfernen zu lassen. Dabei muss zwischen den Möglichkeiten gegenüber öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen unterschieden werden.
aa) Öffentliche Stellen - § 20 II Nr. 2 BDSG
§ 14 I BDSG gestattet einer öffentlichen Stelle, personenbezogene Daten zu speichern, verändern oder zu nutzen, wenn und
solange60 es zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist und im
Rahmen der Erhebungszwecke erfolgt. § 14 II BDSG legt
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alternative Voraussetzungen für denselben Datenumgang zu
abweichenden Zwecken fest. Korrespondierend besteht eine
Löschpflicht in § 20 II Nr. 2 BDSG: Die ursprünglich rechtmäßig erhobenen und gespeicherten personenbezogene Daten
sind demnach wieder zu löschen, sollten sie zur Aufgabenerfüllung nichts mehr beitragen können, weil sie entweder ihren
Zweck erfüllt haben oder aber zur Förderung desselben nutzlos
wurden61.
Diese Umsetzung des Datensparsamkeitsprinzips sorgt dafür, dass die personenbezogenen Daten des Betroffenen mit
Ablauf einiger Zeit wieder "vergessen werden". Folglich bemessen sich die Zeitspanne und damit die Reichweite des Anspruchs nach dem Niveau der Anforderungen, die man für die
Erforderlichkeit des Datenumgangs voraussetzt.
Erforderlich ist ein Datum, ohne das die Aufgabe der öffentlichen Stelle nicht, nicht vollständig, nicht rechtzeitig oder nur
mit unverhältnismäßigem Aufwand erfüllt werden kann62. Der
Datenumgang muss hierfür zwingende Voraussetzung, also
"conditio sine qua non" sein63. Andere wollen die bloße Förderung der Aufgabe ausreichen lassen64. Während sich der Betroffene jedoch auf sein RiSB berufen kann, unterliegt das
Bestreben der öffentlichen Stelle, möglichst effizient zu arbeiten, keinem verfassungsrechtlichen Schutz. Somit sind deren
Interessen im konkreten Fall auf das Mindestmaß einer funktionierenden Aufgabenerledigung zu begrenzen, um einen möglichst geringen Eingriff in den Schutzbereich des RiSB zu
gewährleisten.
Personenbezogene Daten, die die Arbeit in geringem Maße
vereinfachen, jedoch nicht unerlässlich sind, dürfen also nicht
erhoben, gespeichert und auf sonstige Weise genutzt bzw.
müssen gelöscht werden. § 20 II Nr. 2 BDSG bietet dem Betroffenen also die Möglichkeit eines RaVw (bzw. eine Pflicht
der öffentlichen Stelle zu vergessen) mit zeitlicher Komponente. Werden die Daten im Rahmen von Aufgaben erhoben, die
auf einen Zeitpunkt terminiert sind, lässt sich die Frist sogar im
Vorhinein genau bestimmen. Problematisch wird dies bei längerfristigen und unbefristeten Aufgaben öffentlicher Stellen. In
diesem Fall lässt sich weder die Haltbarkeit der personenbezogenen Daten im Vorhinein, noch der Wegfall der Erforderlichkeit trennscharf bestimmen.
bb) Nicht-öffentliche Stellen
aaa) Nach § 35 II S. 2 Nr. 3 BDSG sind personenbezogene
Daten von einer nicht-öffentlichen Stelle zu löschen, wenn sie
für eigene Zwecke i.S.d. § 28 BDSG verarbeitet werden und
ihre Kenntnis für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung
nicht mehr erforderlich ist. Eigene Zwecke liegen vor, wenn
das Speichern der Daten nicht selbst das Geschäft der verantwortlichen Stelle beschreibt, sondern lediglich als untergeordnete Hilfstätigkeit ein anderes Geschäft ermöglicht65.
61
Gola/Schomerus BDSG, § 20 Rn. 11.
Albers, Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §14 Rn. 13;
Globig, Roßnagel Hdb. DSR, S. 647
63
BSGE 90, 162 (167 f.); Dammann/Simitis BDSG, § 14 Rn. 15.
64
So: BVerwG NJW 1994, 2499.
65
Gola/Schomerus BDSG, § 28 Rn. 4.
62
58
95/46/EG.
Worms, DatenschutzR, §20 Rn. 5; Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund
und Ländern, §35 Rn. 30.
60
Dammann/Simitis BDSG, § 14 Rn. 19; Gola/Schomerus BDSG, § 14 Rn. 7.
59
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Erneut ergibt sich das Problem der Unschärfe bei der Ermittlung der Erforderlichkeit. Unter der Berücksichtigung, dass
nicht-öffentliche beim Datenumgang ebenfalls Grundrechte
geltend machen, muss die Konkordanz der widerstreitenden
Interessen angestrebt werden66. Erforderlich i.S.d. § 35 II S. 2
Nr. 3 BDSG ist die Speicherung demnach auch noch, wenn sie
nicht zwingende Voraussetzung zur Wahrnehmung des eigenen
Geschäftszweckes ist, diese aber in erheblichem Maße fördert
und eine objektiv zumutbare Alternative deshalb nicht existiert67. Nicht mehr erforderlich ist die Speicherung jedenfalls,
sofern das eigentliche Geschäft entfällt, erledigt ist oder das
Datum mit dem Ablauf der Zeit jedwede Bedeutung verliert68.
Auch gegenüber nicht-öffentlichen Stellen hat der Betroffenen also ein RaVw bzw. die Stelle, die Pflicht zu vergessen.
Die Negierung der Erforderlichkeit und damit die Feststellung
der Haltbarkeit der personenbezogenen Daten bereitet hier
jedoch mangels conditio-sine-qua-non-Formel ungleich größere Schwierigkeiten, die die nicht-öffentliche Stelle im Zweifel
zu ihren Gunsten ausreizen wird.
bbb) Werden personenbezogene Daten geschäftsmäßig zum
Zweck der Übermittlung i.S.v. § 29 BDSG verarbeitet, so sind
sie nach § 35 II S. 2 Nr. 4 BDSG zu löschen, sollte eine Prüfung am Ende des vierten oder dritten (im Falle der Erledigung
des Sachverhalts, sofern kein Widerspruch des Betroffenen
vorliegt) Kalenderjahres nach erstmaliger Speicherung ergeben, dass diese nicht länger erforderlich ist. Die Prüfung ist
obligatorisch, wie der entsprechenden amtlichen Begründung
zum Regierungsentwurf zu entnehmen ist69.
Die Datenverarbeitung ist geschäftsmäßig, wenn sie auf eine
gewisse Dauer angelegt, auf Wiederholung ausgerichtet ist und
der Datenumgang selbst das geschäftliche Interesse bildet70. Es
stellt sich daher die Frage, ob die turnusmäßige Erforderlichkeitsprüfung nach § 35 II S. 2 Nr. 4 BDSG als RaVw qualifiziert werden kann.
Wie auch bei der Verarbeitung für eigene Zwecke bemisst
sich die Speicherfrist am Maßstab der Erforderlichkeit. Weil
sich erneut die gegenläufigen Interessen von Privaten gegenüberstehen, ist eine grundsätzlich enge Auslegung der Erforderlichkeit aufgrund des RiSB des Betroffenen nicht angebracht71. Das subjektive Verlangen des Betroffenen, dass seine
Daten gelöscht werden, kann daher keinen Einfluss auf die
Erforderlichkeit haben72. Umgekehrt können personenbezogene Daten, die für die Vermarktung nur "interessant" sind, nicht
mehr als erforderlich angesehen werden73. Denn ist jedes Datum aufgrund der Verknüpfungsmöglichkeiten74, der finanziell
verwertbar und damit interessant. Um einen angemessenen
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Ausgleich der Interessen zu erzielen, kann eine Speicherung
daher nur erforderlich sein, wenn sich anhand objektiver Umstände, eine konkrete Gelegenheit zur Verwertung abzeichnet75. Wie auch bei der Speicherung zu eigenen Geschäftszwecken ergeben sich hierbei weite Spielräume zu Lasten des
Betroffenen.
b) Der Betroffene kann sich der unzulässigen Speicherung
seiner Daten mittels Löschungsansprüche aus §§ 20 II Nr. 1, 35
II S. 2 Nr. 1 BDSG erwehren. Die Unzulässigkeit kann nach §
4 I BDSG mangels gesetzlicher Grundlage oder Einwilligung
schon bei der Erhebung der Daten vorliegen oder aber durch
einen Widerspruch des Betroffenen ausgelöst werden76.
aa) In Umsetzung des Art. 14 S. 1 a) DSRL steht dem Betroffenen ein Widerspruchsrecht gegen den bis dato rechtmäßigen Datenumgang öffentlicher (§ 20 V BDSG) und nichtöffentlicher Stellen (§ 35 V BDSG) zu. Gelingt es ihm, das
Überwiegen seines schutzwürdigen Interesses aufgrund seiner
besonderen persönlichen Situation nachzuweisen, wird der
Datenumgang für die Zukunft gemäß §§ 20 V S. 1, 35 V S.1
BDSG unzulässig, sofern nach §§ 20 V S. 2, 35 V S. 2 BDSG
nicht eine Rechtsvorschrift hierzu verpflichtet. Wurden die
Daten bereits gespeichert, so kann er einen Löschungsanspruch
aus § 20 II Nr. 1 oder § 35 II S.2 Nr.1 BDSG geltend machen.
Grundsätzlich wird der Fall geregelt, dass ein zunächst
"harmloser" Datenumgang nachträglich an einer für den Betroffenen unzumutbaren Eingriffsqualität gewinnt77, etwa weil
die die Datenverarbeitung Leib und Leben gefährdet 78 oder der
Betroffene bereits mehrfach Opfer von Datenschutzverletzungen geworden ist und der weitere Umgang deshalb aus Präventionszwecken unterbleiben soll79. Berücksichtigt man neben
diesen Beispielen den Umstand, dass die bisherige Verarbeitung rechtmäßig und damit verhältnismäßig erfolgte, bleibt die
Anwendung des Widerspruchsrechts auf Ausnahmefälle beschränkt80. Das Interesse eines Betroffenen, unangenehme,
aber korrekte, rechtmäßig gespeicherte und veröffentlichte
personenbezogene Daten aus dem Internet entfernen zu lassen
kann daher kein überwiegend schützenswertes Interesse darstellen81: die der DSRL zugrundeliegenden Datenschutzgrundrechte des Betroffenen aus Art. 8 GRC, sowie Art. 16 AEUV
garantieren zwar den Schutz der personenbezogenen Daten. Sie
werden jedoch nicht unbeschränkt gewährt82 und müssen mit
der Meinungs- und Informationsfreiheit von Internetnutzern
aus Art. 11 GRC und der Unternehmerischen Freiheit von
Websitenbetreibern aus Art. 16 GRC dergestalt in Einklang
gebracht werden, dass kein Recht auf gelingende Darstellung
ermöglicht wird. Als RaVw, dass dem Betroffenen jederzeit
ermöglicht eine weitreichende Löschung, seiner "normalen"
66
BGH NJW 1986, 2505 (2506); Vgl.: Dix/Simitis BDSG, §35 Rn. 37.
Gola/Schomerus BDSG, § 28 Rn. 15; Simitis BDSG, §28 Rn. 143.
Wedde, Roßnagel Hdb DSR, S. 560; Däubler/Klebe/Wedde/Weichert
BDSG, §35 Rn. 23.
69
BR-Drs. 461/100, 113; Dix, Simitis BDSG, § 35 Rn. 39.
70
Buchner, Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, § 29 Rn. 21
f.; Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S.139.
71
So aber: Wedde, Roßnagel Hdb. DSR, S. 561.
72
So aber: Nolte, ZRP 2011, 238.
73
So aber: Gola/Schomerus, BDSG, § 35 Rn. 14.
74
BVerfGE 1984, 419 (423).
67
68
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75
Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §35 Rn. 44.
Dix/Simitis BDSG, §35 Rn. 25.
77
Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG, §35 Rn. 34.
78
Dix/Simitis BDSG, §35 Rn. 56.
79
Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §35 Rn. 76.
80
BT-Drs. 14/4329, 41; Worms, Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und
Ländern, §20 Rn. 74, 76.
81
PM EuGH Nr. 77/13, S. 3.
82
Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 18 f.
76
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Probst, Das Recht auf Vergessen(werden)
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personenbezogenen Daten zu veranlassen, taugt das Widerspruchsrecht aus §§ 20 V, 35 V BDSG daher nicht.
bb) Der § 28 IV BDSG setzt das Widerspruchsrecht des Betroffenen gegen nicht-öffentliche Stellen um, wie es in Art. 14
S. 1 b) DSRL vorgesehen ist: Er kann demnach die Verarbeitung oder Nutzung seiner Daten für Zwecke der Werbung,
Markt- oder Meinungsforschung jederzeit untersagen. § 29 IV
S.2 BDSG verpflichtet die nicht-öffentliche Stelle außerdem
dazu, den Betroffenen über die Möglichkeit des Widerspruchs
zu informieren und ihm die Herkunft der von einer anderen
Stelle übermittelten Daten zu offenbaren. Gemäß § 29 IV
BDSG entfaltet sich die Wirkung zusätzlich auf Daten, die im
Rahmen eines geschäftsmäßigen Datenumgangs nach § 29
BDSG übermittelt wurden.
Anders als noch §§ 20 V, 35 V BDSG ist der Widerspruch
jederzeit und ohne Abwägung zulässig. Damit kann § 28 IV
BDSG als spezifisches RaVw in Form eines Löschungsanspruchs herangezogen werden, dessen Wirkung allerdings auf
den Bereich der Werbung beschränkt ist, sich nur gegenüber
nicht-öffentlichen Stellen entfaltet und auch nur sofern nicht
die bereichsspezifischen Reglungen des TMG nach § 1 III
BDSG Vorrang genießen.
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Um die Nachberichtspflicht aus § 20 VIII BDSG bzw. § 35
VII BDSG zu einem wirksamen Instrument auszugestalten,
sollten jedoch sämtliche Löschgründe aus §§ 28 II, 35 II S. 2, 3
BDSG ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen werden, um auch personenbezogene Daten zu erfassen, die zu
Werbezwecken gespeichert und übermittelt werden. Denn der
einschlägige § 29 BDSG enthält das Tatbestandsmerkmal der
Erforderlichkeit nicht.
Der Betroffene muss sich im Fall der Übermittlung also
nicht gegen jede einzelne Stelle zu wenden, um zu veranlassen,
dass möglicherweise ebenfalls unzulässig gespeicherte Duplikate seiner Daten entfernt werden. In der weiten Ausgestaltung/Auffassung käme die Nachberichtspflicht dem "RaVw"
aus der DS-GVO-E gleich. Mithin ergeben sich dieselben
Probleme bei der Ermittlung der Dritten, die die im Internet
bereitgestellten, personenbezogenen Daten abrufen.
c) Das BDSG bietet dem Betroffenen umfangreiche Ansprüche, ihn betreffende Daten wieder löschen zu lassen. Die
entsprechenden Löschpflichten der speichernden Stellen entfalten ihre Wirkung meist unabhängig von der Geltendmachung
des korrespondierenden Anspruchs mit Ablauf der Erforderlichkeit.
cc) Übermittelt eine Stelle personenbezogenen Daten, so ist
sie nach § 20 VIII BDSG bzw. § 35 VII BDSG dazu verpflichtet, die Empfänger über die eigene Löschung der personenbezogenen Daten zu informieren, sollte die Speicherung unzulässig gewesen sein. Diese werden dadurch veranlasst, ihrerseits
eine Prüfung vorzunehmen, ob die personenbezogenen Daten
sie zur Verarbeitung der Daten noch länger berechtigt sind83.
Ausgenommen sind die Fälle, in denen der Benachrichtigung
Interessen des Betroffenen oder ein unverhältnismäßig hoher
Aufwand entgegenstehen. Damit wird Art. 12 c) DSRL in
nationales Recht umgesetzt. Übermitteln i.S.v. Art. 2b) /§ 3 IV
Nr. 3 BDSG ist das Bereithalten personenbezogener Daten
zum Abruf durch einen Dritten oder deren direkte Weitergabe.
Hält eine Stelle personenbezogene Daten zum Abruf über das
Internet bereit, so handelt es sich dabei um eine Übermittlung84.
Deren Feststellung bleibt indes problematisch. Damit dies
nicht zu einem Nachteil des Betroffenen zu gerät, sind umfassende Kontrollen durch die Aufsichtsbehörde getreu ihrer Befugnis aus § 38 I BDSG von Nöten. Denkbar wäre auch die
Erteilung eines Datenschutzaudits nach § 9a BDSG, das die
jeweilige Stelle erhält, sofern sie sich selbst an speziell zugeschnittene, konkrete Kriterien zur Bestimmung der Erforderlichkeit bindet.
Erfasst werden sollen nur Löschungen, die wegen Unzulässigkeit nach §§ 20 II Nr. 1, 35 II S. 2 Nr. 1 BDSG vorgenommen werden. Daten, die mangels Erforderlichkeit zur Aufgaben- oder Zweckerfüllung nach §§ 20 II Nr. 2, 35 II S. 2
Nr. 3 BDSG zu löschen sind, würden die Nachberichtspflicht
demnach nicht auslösen85.
1. Abwehransprüche aus dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht (aPR)
Jedoch greifen auch die gesetzlichen Erlaubnistatbestände
aus §§ 14, 28 BDSG nur, sofern die Erforderlichkeit noch
gegeben ist. Auch mit deren nachträglichen Wegfall wird die
Datenverarbeitung mangels gesetzlicher Grundlage daher unzulässig i.S.d. § 4 I BDSG. Somit unterfällt auch die darauf
folgende Löschung der Nachberichtpflicht.
Zusammen mit einer entsprechenden Auslegung bzw. Erweiterung der Nachberichtspflicht bietet das BDSG also das
RaVw und die Pflicht zu vergessen, in Form umfassender
Löschungs- und Informationsansprüche mit zeitlichen, wenn
auch schwammigen, Ansätzen.
VI. Ansätze aus Rechtsprechung und Literatur
Ein Löschungsanspruch von im Internet veröffentlichten, personenbezogenen Daten lässt sich in bestimmten Fällen aus dem
Unterlassungsanspruch des Betroffenen nach §§ 823 I,
1004 I BGB analog i.V.m. dem aPR aus Art. 2 I, 1 I GG herleiten.
Grundsätzlich muss die Berichterstattung über wahre Umstände hingenommen werden, auch wenn dies für den Betroffenen nachteilig ist86. Indes kann in Ausnahmefällen eine
Persönlichkeitsverletzung angenommen werden, wenn ein
außer Verhältnis stehender Schaden zu erwarten ist, weil der
Betroffene Stigmatisierung und Isolierung ausgesetzt ist87.
So erkennt die Rechtsprechung ein Löschungsanspruch für
83
Gola/Schomerus BDSG, §20 Rn. 35, §35, Rn. 22.
Schild, Roßnagel Hdb. DSR, S. 518.
85
So Malmann, Simitis § 20 Rn. 95; Worms, Wolff/Brink Datenschutzrecht in
Bund und Ländern,, §20 Rn. 83.
84
8
86
87
Koreng/Feldmann, ZD 2012, 313; BGHZ 183, 353 (357).
BGHZ 183, 353 (358).
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den Fall an, dass eine öffentliche Berichterstattung die Resozialisierung eines verurteilten Straftäters gefährdet, weil sie das
abgeklungene Interesse der Öffentlichkeit wieder entfacht88.
Erforderlich ist die Feststellung einer Verletzung der Achtung
des Privatlebens aus Art. 8 I EMRK und des aPR durch Abwägung mit der Meinungs- und Pressefreiheit der Berichterstatter
aus Art. 10 EMRK, Art. 5 I GG89. Die Berichterstattung über
aktuelle Ereignisse, so auch über Straftaten ist Aufgabe der
Medien, sodass deren Interesse zunächst überwiegt. Mit der
Zeit gewinnt das Resozialisierungsinteresse des Straftäters
jedoch die Oberhand90. Es darf daher keine erneute Berichterstattung stattfinden, die den "Anschein der Aktualität" hat und
den Betroffenen erneut ins Licht der Öffentlichkeit zerrt91. Der
Anspruch kann jedoch nicht so weit gehen, dass der Betroffene
überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert werden darf92.
Sonst würde eine ehemals rechtmäßige Berichterstattung irgendwann unrechtmäßig, was entsprechende, den Medien
unzumutbare Prüfpflichten mit sich zöge93. Denn es ist deren
Aufgabe den öffentlichen Diskurs durch das Archivieren der
Zeitgeschichte zu fördern94. Die Bereichsausnahme in § 41
BDSG macht deutlich, dass im Zweifel die Meinungs- und
Pressefreiheit als notwendiges Mittel des demokratischen
Rechtsstaats Vorrang genießen95.
Der bloße Ablauf der Zeit kann deshalb nicht die Grundlage
sein, jegliche negative Berichterstattung aus den Archiven zu
tilgen. Erforderlich ist eine dem Betroffenen im Einzelfall
unzumutbare Belastung. Als RaVw ist der Anspruch aus §§
823 I, 1004 I BGB analog i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (aPR) aus Art. 2 I, 1 I GG daher nicht geeignet.
2. Nichtauffindbarkeit über Suchmaschinen
In einem Kodex, dem sich verschiedene, kleinere, soziale
Netzwerke auf privatrechtlicher Basis verpflichtet haben, findet sich der Grundsatz, Nutzerprofile von Jugendlichen nicht
von externen Suchmaschinen auslesen zu lassen96. Die Pflicht,
eine solche Voreinstellung bzgl. aller Nutzerkonten vorzunehmen, findet sich in Umsetzung des Prinzips "Privacy by
default" auch in § 13a I S. 3 TMG-ÄE. Das wirft die Frage auf,
ob das Nichtauffinden personenbezogener Daten mittels
Suchmaschinen als Vergessenwerden qualifiziert und dem
Betroffenen ein dahingehendes Recht gesetzlich zugebilligt
werden kann.
a) Werden personenbezogene Daten rechtswidrig veröffentlicht und lassen sich über Suchmaschinen auslesen, so kommt
eine Haftung des Suchmaschinenbetreibers als Störer nach
§1004 I BGB analog i.V.m. RiSB des Betroffenen in Betracht.
88
Hornung/Hofmann, JZ 2013, 165; Lebach I, II: BVerfGE 34, 341; 104, 41.
BGHZ 183, 353 (357).
90
BGHZ 183, 353 (356 f.).
91
BGHZ 183, 353 (361).
92
Koreng/Feldmann, ZD 2012, 313; BGHZ 183, 353 (359).
93
Hornung/Hofmann, JZ 2013, 165.
94
BGHZ 183, 353 (362).
95
Koreng/Feldmann, ZD 2012, 313.
96
BT-Drs. 17/6765, S. 15.
89
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So ist mittelbarer Störer, wer einem Dritten eine Beeinträchtigung ermöglicht und diese im Anschluss nicht verhindert97.
Das RiSB schützt den Betroffenen vor einem unkontrollierten
Umgang mit seinen Personenbezogenen Daten. Er erfährt daher bereits mit der ersten Veröffentlichung seiner Daten eine
Beeinträchtigung. Weitaus einschneidender wird die Beeinträchtigung jedoch durch die Tätigkeit von Suchmaschinen: Sie
machen die Daten einem breiten Publikum zugänglich. Der
Suchmaschinenbetreiber verursacht also mittelbar adäquat eine
Beeinträchtigung des RiSB und ist damit Störer98. Weil die
Inhalte jedoch von Dritten zur Verfügung gestellt werden und
eine Überprüfung aller Inhalte auf ihre Rechtmäßigkeit mit
dem Geschäftsmodell einer Suchmaschine nicht vereinbar ist,
können die Betreiber nur bei offensichtlich rechtswidrigen
Inhalten (nach Benachrichtigung durch den Betroffenen) zu
einer Löschung aus den eigenen Zwischenspeichern bzw. dem
Entfernen entsprechender Links aus den Suchergebnissen verpflichtet sein99. Dies beeinträchtigt zwar das Interesse der
Suchmaschinenbetreiber, möglichst umfangreiche Suchergebnisse aufzuweisen, ist aber nur der mangelhaften Durchsetzung
etwaiger Löschungsansprüche geschuldet. Könnte der Betroffene seine legitimen Ansprüche durchsetzen, so wäre es der
Suchmaschine schließlich auch nicht mehr möglich die gelöschten Inhalte anzuzeigen
b) Werden personenbezogene Daten rechtmäßig online veröffentlicht, muss unterschieden werden: Das Auffinden selbst
online gestellter Inhalte kann mittels einer robot.txt-Anweisung
in den Metadaten einer Internetseite verhindert werden100. Eine
andere Konstellation ergibt sich, sofern die Daten rechtmäßig
von Dritten im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit veröffentlicht werden.
Diese Rechte können ihre Wirkung lediglich dann entfalten,
wenn die Daten - etwa journalistische Beiträge - auch der breiten Masse zugänglich gemacht werden. Dafür ist die Nutzung
von Suchmaschinen unerlässlich: Werden Inhalte aus dem
Suchergebnis entfernt, so gehen sie in der Informations- und
Adressflut des Internets unter. Die Auffindbarkeit entsprechender Meldungen ist also vom grundrechtlichen Schutz gedeckt. Somit stellt das Entfernen rechtmäßig veröffentlichter
personenbezogener Daten aus Suchergebnissen eine unzulässige Zensur dar.
c) In ihrer Eigenschaft als Knotenpunkt, sind Suchmaschinen ein nützlicher Angriffspunkt, um die rechtswidrige Verbreitung personenbezogener Daten zu unterbinden. Können
diese nicht gelöscht werden, so ist es möglich den Zugriff auf
die Wenigen einzuschränken, die über die genaue Internetadresse verfügen.
Es wäre deshalb sinnvoll die Informationspflicht in Art. 17
II DS-GVO-E um eine entsprechende Verpflichtung von
Suchmaschinenbetreibern zu erweitern. Sie wären demnach
nicht nur dazu verpflichtet Kopien von nach Art. 17 I DS97
Bassenge, Palandt BGB §1004 Rn. 18.
Vgl.: Arenas/Yankova, ZD-Aktuell 2012, 02845.
Hornung/Hofmann, JZ 2013, 165; OLG Hamburg MMR 2012, 62; Dix,
Simits BDSG, §35 Rn. 8.
100
Arenas/Yankova, aaO; EuGH ZD-Aktuell 2013, 03639.
98
99
ISSN: 1865-0015
9
Probst, Das Recht auf Vergessen(werden)
Öffentliches Recht
GVO-E gelöschte Daten aus ihren eigenen Speichern zu löschen, sondern auch Seiten, die die Daten rechtswidrig vorhalten nicht mehr in ihren Suchergebnissen aufzuführen101.
Die Nichtauffindbarkeit könnte somit als Zwischenstufe
zwischen Sperrung und Löschung102 Probleme lindern, die sich
bei der Durchsetzung von Betroffenenrechten etwa aufgrund
der multinationalen Gestalt des Internets ergeben103. Damit
würde eine große Nähe zum menschlichen Vergessen eingehalten: Die personenbezogenen Daten sind zwar noch vorhanden,
sie können aber nur sehr schwer gefunden werden. Das "Erinnern" ist also nicht bzw. nur noch unter sehr großem Aufwand
möglich.
VII. Fazit
1. Es zeigt sich, dass der Grundsatz der Datensparsamkeit
bereits eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen hervorgebracht hat, die Ansätze eines RaVw erkennen lassen. Sie reichen vom einfachen Löschungsanspruch, über Informationspflichten bis hin zur Nichtauffindbarkeit durch Suchmaschinen. Obwohl Regelungen wie die umfangreiche Informationspflicht aus Art. 17 II DS-GVO-E wohl nicht umgesetzt werden104, zeigt sich, dass bereits zahlreiche Ansätze bestehen,
etwa im BDSG in Umsetzung der DSRL, die aber aufgrund der
besonderen, dezentralen und multinationalen Struktur des Internets nicht zufriedenstellend durchgesetzt werden können105.
2. Schlussendlich wird sich eine Patentlösung in Form eines
einzigen RaVw nicht realisieren lassen. Vielmehr ist eine
Kombination aufgezeigter Ansätze nötig, will man die Position
der Bürger nicht nur in rechts-theoretischer, sondern auch
tatsächlicher Hinsicht stärken.
Freilaw 1/2015
Darüber hinaus sollte einem jeden Bürger die Möglichkeit
obliegen, zur Persönlichkeitsentwicklung die eigene Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich unbeeinträchtigt neuen
Lebensabschnitten zuzuwenden. Solange diesem Recht noch
technische Mängel entgegenstehen, sollte eine Übergangslösung gefunden werden, um speziell den Schutz der Jugend zu
forcieren. In Frage kämen bereichsspezifische Verwertungsverbote, etwa im Rahmen arbeitsrechtlich relevanter Vorgänge,
um den Rückgriff auf private Nutzerprofile o.ä. zu unterbinden106. Auf diese Weise würde jedem Bürger ein unbelasteter
Übergang von einem in den nächsten Lebensabschnitt ermöglicht.
3. Auch wenn das Zusammenspiel von Gesetzgebung und
technologischer Entwicklung dem Rennen des Hasen und des
Igels gleicht, ist eine vollständige Privatisierung des Datenschutzes nicht mit der staatlichen Pflicht zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung vereinbar. Es muss daran
gelegen sein die aufgezeigte Lücke zwischen fortschreitender
Technologie und Gesetzgebung möglichst gering zu halten.
Mit Blick in die Zukunft und die in der Einleitung aufgeworfene Problematik der zunehmenden Verknüpfung von
personenbezogenen Daten muss in jedem Fall eine klare Grenze gezogen werden: die Erstellung umfassender Persönlichkeitsprofile, die lückenlose Aussagen über das vergangene und
vermeintlich auch über das zukünftige Verhalten eines Bürgers
zulässt, ist mit der demokratischen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar und ist mit allen technischen und rechtlichen Mitteln in Form des Rechts auf Vergessenwerden zu verhindern.
Der Autor studiert im achten Semester Rechtswissenschaft
an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er absolvierte
den Schwerpunktbereich „Geistiges Eigentum“ (SPB 8b).
Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte und überarbeitete
Version einer Seminararbeit im Rahmen eines Seminars
zum Datenschutzrecht bei Prof. Dr. Jens-Peter Schneider.
Wichtiger als die Schaffung eines neuen RaVw um des Namens willens, ist die Überwindung der Probleme, die sich
bereits bei der Durchsetzung existierender Löschungsansprüche ergeben. Hier bieten die Suchmaschinen als zentrale Stelle
den entscheidenden Ansatzpunkt. Sie bieten eine praktikable
Stellschraube, um die Auffindbarkeit widerrechtlich gespeicherter Daten und damit auch deren rechtsverletzende Wirkung
abzuschwächen.
101
Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 239.
ebd., 241.
OLG Hamburg MMR 2012, 62; Dix, Simits BDSG, §35 Rn. 8.
104
Entwurf für einen Änderungsantrag (LIBE) der DS-GVO-E vom
21.10.2013 enthält nur noch beschränkte
Informationspflicht, siehe: http://tinyurl.com/nhu7zja, abgerufen am
20.03.2014.
105
Prummer, Der Mann, der Facebook nervt, Süddeutsche.de.
102
103
10
106
Koreng/Feldmann, ZD 2012, 315.
ISSN: 1865-0015
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Sharma, Cross Border Merger Control
International
Freilaw 1/2015
Cross Border Merger Control
by the Competition Commission of India: Law and Practice
Ajay Kr. Sharma
This article extensively analyses pertinent statutory provisions and critiques certain important recent decisions
including, in the highly contentious Jet-Etihad and MylanAgila combinations rendered by the Competition Commission of India (CCI) relating to cross-border mergers
under its merger control jurisdiction. At the onset the
article explores the competition policy dimension of merger control. The improper manner in which the power to
impose penalty for non-furnishing of information on combinations is exercised by the CCI under Section 43A of
the Competition Act is also elaborately discussed and
criticized with the help of decided cases. Thus, this article
offers significant insights into the salient aspects pertaining to the Indian competition authority’s law and practice
in this key area.
I. Introduction
The Indian competition authority, Competition Commission of
India (CCI), is relatively in the stage of infancy with only five
years of experience,1 when compared to its counterparts in
certain other jurisdictions like, almost a century old US Federal
Trade Commission (FTC)2. The practice of CCI has become
tremendously exciting, and yet it is somewhat intriguing. This
article explores pertinent contemporary aspects pertaining to
the CCI's powers, conferred under the Indian Competition
Law, the Competition Act, 2002, appertaining to the merger
control (or combinations)3. After discussing ‘merger control’
from competition policy perspective, this article explores some
pertinent provisions of the Indian Competition Act of 2002 and
Combination Regulations of 2011, and critiques certain decisions of the Commission in cases concerning cross-border
combinations4. One of them concerns the aviation sector, the
Jet-Etihad combination5, whereas the other relates to the
pharmaceuticals sector, the Mylan inc. case6 based on the
Mylan-Agila deal which, until recently, was the largest pharmaceutical merger in India. The bone of contention in the
Mylan-Agila deal, so far as CCI is concerned, was the presence
of a “non-compete clause” in the relevant transaction document. An element of uncertainty which exists in the current
Indian competition law and policy regime pertaining to merger
control increases the transaction costs for businesses. This
uncertainty may be attributed largely to one reason, the 'inexperience' of the regulator. The interpretation of legal provisions
will also become clearer once more decisions have been rendered.
Cross-border mergers may invoke the extra-territorial jurisdiction of the CCI; and so the relevant provision is discussed7.
Another aspect pertains to the critiquing the manner in which
CCI exercises powers under Section 43-A of the said 2002 Act
to impose penalty for non-furnishing of information on relevant combinations to the CCI. Some cases discussed herein
will highlight the improper and arbitrary exercise of this statutory power by the CCI.
II. Merger Control, the Competition Policy
1
Notification S.O. 1198(E), Ministry of Finance (Department of Company
Affairs) (Government of India), (14 Oct. 2003),
http://www.mca.gov.in/Ministry/notification/Notifications_2003/noti_1410200
3_1198(E).html (last visited August 29, 2014) Though CCI was established
with effect from Oct. 14, 2003 but it could not be made functional till May,
2009Competition Act, 2002 replaced the Monopolies and Restrictive Trade
Practices (MRTP) Act, 1969, and was based on the recommendations given in
the Report of the High Level Committee on Competition Policy and Law,
https://theindiancompetitionlaw.files.wordpress.com/2013/02/report_of_high_l
evel_committee_on_competition_policy_law_svs_raghavan_committee.pdf
(last visited August 29, 2014) (SVS Raghavan Committee Report).
2
FTC was set up after enactment of the Federal Trade Commission Act of
1914 by the US Congress. Another major legislation passed in the same year
was the Clayton Act. See Debra A. Valentine, US Competition Policy and
Law: Learning from a Century of Antitrust Enforcement, in INTERNATIONAL
AND COMPARATIVE COMPETITION LAWS AND POLICIES , 71–79 (YC Chao et
al. eds., 2001). Of course, the good old pioneering legislation, Sherman Act of
1890 cannot be forgotten, as the genesis of the anticompetitive law regime in
the United States. The most relevant statutory provisions are Sections 1 and 2
of the Sherman Act, Section 5 of the Federal Trade Commission (FTC) Act,
1914 (15 U.S.C §§ 41-58) and Section 7 of the Clayton Act which prohibits
mergers if “in any line of commerce or in any activity affecting commerce in
any section of the country, the effect of such acquisition may be substantially
to lessen competition, or to tend to create a monopoly.” Both FTC and Department of Justice are the agencies involved under these Federal Antitrust
Laws.
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The ideal merger control review policy is debatable. Two general caveats given by a well-known author must be kept in
mind by Competition Authorities:8
3
In this area the experience of CCI is even lesser as the pertinent provisions of
the Competition Act, 2002 were only notified with effect from June 1, 2011,
see Notification S.O. 479(E), Ministry of Corporate Affairs (Government of
India), dated March 4, 2011).
4
CCI (PROCEDURE IN REGARD TO TRANSACTION OF BUSINESS RELATING TO
COMBINATIONS) REGULATIONS, 2011 (INDIA).
5
See CCI Order under Section 31(1) of the Competition Act, 2002 in the
matter of Etihad Airways PJSC and Jet Airways (India) Limited (Combination
Registration No. C-2013/05/122, dated Nov. 12, 2013),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C2013-05-122%20Order%20121113.pdf (last visited August 29, 2014).
6
See CCI Order under Section 31(1) of the Competition Act, 2002 in the
matter of Mylan Inc. (Combination Registration No. C-2013/04/116, dated
June 20, 2013),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C2013-04-116.pdf (last visited August 29, 2014).
7
See Section 32 of the Competition Act, 2002, supra n. 1.
8
See MASSIMO MOTTA, COMPETITION POLICY: THEORY AND PRACTICE 39
(2004).
ISSN: 1865-0015
11
Sharma, Cross Border Merger Control
International
Competition policy is not concerned with maximizing the number of
firms, and
Competition policy is concerned with defending market competition
in order to increase welfare, not defending competitors.
He defines “Competition Policy” as “the set of policies and
laws which ensure that competition in the marketplace is not
restricted in such way as to reduce economic welfare9.” This
should be read in conjunction with the objective set up for
competition authorities and courts to pursue viz., economic
welfare10, which also becomes the yardstick to determine the
competitive effects of a merger.11Economic welfare in an industry is an aggregate of the consumer surplus (or consumer
welfare) and producer surplus12.
It is generally agreed that two aspects relating to a merger
need to be scrutinized by the Competition/Anti-trust Authorities13:
1. whether the merger leads the merged firm to unilaterally
exercise market power and raise prices (i.e., leading to single
firm dominance) (i.e., the unilateral effects), and
2. where though the merged firm may not unilaterally increase prices, whether the merger leads to such industry conditions where the scope of collusion (called coordinated effects
in the US merger policy) between the remaining firms in the
market increases (i.e., leading to joint/collective dominance)
(the pro-collusive effects).
However, even in mergers the gains in efficiency may be
such that they outweigh the enhanced market power and benefit consumers by leading to lowered prices resulting in higher
welfare.14 Though the mergers are generally classified as either
Horizontal Mergers or Vertical Mergers15 this article focuses
on Horizontal Mergers, as they primarily cause anticompetitive concerns. The concept of dominance plays a central role in merger review16. For the assessment of market
power, and its potential increase, the definition and determination of the ‘relevant market’ is indispensable.
The traditional approach to analyze the unilateral effects has
been to define the ‘relevant market’ and then, to assess the
market power enjoyed by the merging entities17. To determine
9
Id. at 30
Id.
11
Id. at 231 et. seq.
12
Id. at 18. Consumer surplus is defined by the author as ‘the aggregate
measure of surplus of all consumers’. Whereas, producer surplus is simply
defined as ‘the sum of all profits made by producers in the industry’. The
consumer welfare appears to have much more importance that the producer
surplus in an efficiency defence raised in merger review, see Article 2.1 of EC
Merger Regulation.
13
See MOTTA, supra note 8 at 231, and SIMON BISHOP & MIKE WALKER, THE
ECONOMICS OF EC COMPETITION LAW 259 (2 ed. 2002).
14
MOTTA, id. at 233, 238.
15
The basic distinction between the two is, that a horizontal merger is between
two competitors, and a vertical merger is ‘between firms operating at successive stages of production process’, see id. 231. A third category of merger is
known as conglomerate merger which doesn’t fit in the either description of
relationship, see BISHOP AND WALKER, supra note 13 at 259.
16
See id. at 260.
17
Id.
10
12
Freilaw 1/2015
the scope of the ‘relevant market’ the SSNIP (i.e., Small but
significant non-transitory increase in prices) test a.k.a. the
Hypothetical Monopolist Test furnishes a guide to analyze the
appropriateness of the relevant market definition chosen in a
given case18.
The next important stage after determining the relevant
market is to assess the unilateral market power. Though, a
theoretical measure of market power is the Lerner index19 its
direct application in practical cases may cause problems; and
the competition authorities traditionally have given primary
importance to the market shares, whose crossing the prescribed
thresholds leads to an inference regarding dominance of the
firm20. Despite the central importance of market shares a few
other factors like, ease and likelihood of entry and buyers’
power are also important in this regard.
The ability of the merging firms to exercise enhanced market power post-merger in respect of their pricing decisions
largely depends on the number of rival competitors in the relevant market; and thus concentration of the market becomes
important. A merger in a highly concentrated sector will thus,
ceteris paribus, cause more concern than in a fragmented sector. The most popularly used concentration index used as a
screening device to measure unilateral effects of a merger is
the Herfindahl-Hirschman Index (HHI)21.
The aspect pertaining to the determination of pro-collusive
(or coordinated) effects of a merger may exist even in the absence of any clear finding regarding inimical unilateral effects,
requiring stalling the merger on the basis of the unilateral effects review22. The concept of joint dominance applies in this
scenario as the merger is likely to create the structural conditions for the firms which may not be able to collude premerger, to attain collusive outcome, either explicitly or tacitly23.
In view of the importance given to the efficiency gains objective in mergers, pleading an efficiency defence may be
allowed even if a single firm dominance is imminent, as it may
lead to price decreases24.
The final aspect in merger review policy concerns “merger
remedies”. It is arguable, that despite some apprehensions
about the effects of a merger on competition, the competition
authorities may approve certain mergers, if the remedies offered by the parties are found acceptable by the concerned antitrust authority25. The US and European Competition Authori-
18
See id. at 102.
See MOTTA, supra note 8 at 116.
20
See id. at 117-18.
21
See id. at 124, 235.
22
See Gisela Aigner, Oliver Budzinski & Arndt Christiansen, The Analysis of
Coordinated Effects in EU Merger Control: Where do We Stand After
SONY/BMG and IMPALA?, 2 Eur. Competition J. 311 (2006).
23
See MOTTA, supra note 8 at 251.
24
Id. at 252.
25
Id. at 265.
19
ISSN: 1865-0015
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Sharma, Cross Border Merger Control
International
ties explicitly incorporate many of these aspects in their Merger Review Guidelines26.
Competition Law and Policy go hand in hand complementing each other27.
In a very generic sense however, competition law effectuates the competition policy, and so the latter subsumes the
competition law. After understanding the nuances of ‘merger
control’ competition policy, this article now proceeds to examine the Indian Competition Law and Practice dealing with the
regulation of ‘combinations’.
III. Appreciating the CCI’s review of ‘Combinations’:
The Law
The S.V.S. Raghavan Committee in its report, pursuant to
which the Competition Act, 2002 was enacted, duly emphasized in its recommendations on the competition policy on
merger review in India28. Though, the Indian Competition law
applies to all types of mergers, as discussed previously, the
Raghavan committee rightly opined on the competition policy
focusing on horizontal mergers as they usually provide a cause
of concern29. This article now examines salient statutory provisions in the Competition Act, 2002 and the CCI (Procedure in
regard to transaction of business relating to combinations)
Regulations, 2011, to understand the scheme and procedure of
merger review in India in nutshell30.
Freilaw 1/2015
verse effect on competition within the relevant market in India,32 and further annuls such a combination by declaring it as
‘void’. Subject to this sub-section, Section 6(2) makes it mandatory (by using the word ‘shall’) for any person33 or enterprise34, who or which proposes to enter into a ‘combination’
which corresponds to one of the three types of combinations
specified in clauses (a), (b) or (c) of Section 5 of the Act viz.,
acquisition of control, shares, voting rights or assets of an
enterprise; or acquisition of ‘control’ of an enterprise when the
acquirer ‘has already direct or indirect control over another
enterprise engaged in production, distribution or trading of a
similar or identical or substitutable goods or provision of a
similar or identical or substitutable service’; or, a merger or
amalgamation respectively, and which crosses the monetary
asset or turnover thresholds specified therein, to give notice to
the CCI disclosing details of the proposed combination, within
thirty days of specified events appertaining to these combinations35.
The provisions pertaining to ‘acquisition’36 viz., clauses (a)
and (b) of Section 5 of the Act contextually show that the acquirer is a standalone acquirer. The said assets and turnover
thresholds for a ‘combination’ under different clauses of Section 5, as modified by the Section 20(3) notification37, are as
follows:
For both Parties to the acquisition [for clause (a)]/ For enterprise
whose control is acquired and the enterprise over which acquirer al-
Section 6(1) of Act imposes a prohibition on a ‘combination’31 ‘which causes or is likely to cause an appreciable ad32
26
See ‘Guidelines on the assessment of horizontal mergers under the Council
Regulation on the control of concentrations between undertakings’ (2004/C
31/03), supra note 29; and US ‘Horizontal Merger Guidelines’, (DoJ and FTC,
August 19, 2010), supra note 20. See Alan Goldberg, Merger Control, in
COMPETITION LAW TODAY, 93 (Vinod Dhall ed., 2007).
27
See REPORT OF THE WORKING GROUP ON COMPETITION POLICY (PLANNING
COMMISSION, GOVERNMENT OF INDIA), (2007),
http://theindiancompetitionlaw.files.wordpress.com/2013/02/report-of-theworking-group-on-competition-policy.pdf (last visited August 29, 2014).
28
See SVS Raghavan Committee Report, supra note 1, ¶ 4.6.1. See also Dr. S.
Chakravarthy, Indian Competition Law on the Anvil, World Competition 24(4):
571 (2001) (offering useful historical insights and perspectives on the then
draft Indian Competition Act, and comparisons with the then extant Monopolies and Restrictive Trade Practices (MRTP) Act, 1969, the (in)famous predecessor of the Competition Act, 2002); and Avinash Sharma, Revisiting Competition Law in India: Challenging Dimensions in the Era of Globalized Economy, World Competition 31, no. 4 (2008) 607 (extensively analyzing both the
MRTP Act and the Competition Act regimes).
29
Id. See also, S.M. DUGAR, 1 COMMENTARY ON MRTP LAW, COMPETITION
LAW & CONSUMER PROTECTION LAW 844–46 (4 ed. 2006)., and T. RAMAPPA,
COMPETITION LAW IN INDIA 190 (2 ed. 2009).
30
See also Tony Reeves & Dan Harrison, India’s New Merger Control Regime: When Do You Need to File?, 26 ANTITRUST 94 (2011).
31
Regulation 2(1)(b) of the 2011 Regulations reads: ‘”Combination” means
and includes combination as described in section 5 of the Act and any reference to combination in these regulations shall mean a proposed combination or
the combined entity, if the combination has come into effect, as the case may
be.” Though there was some skepticism regarding review of Joint Ventures
under CCI combinations review, the position seems to have been settled by
Section 31(1) Order in Combination Registration No. C-2011/07/01, dated July
26, 2011 approving acquisition by RIL and RIIL (which was held by CCI to
fall under Section 5(a) of the Act),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/RIL
Order270711.pdf (last visited August 29, 2014). See also, RAMAPPA, supra
note 45 at 224.
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‘Relevant Market’ is defined in Section 2(r) of the Competition Act, 2002,
supra note 1, as: ‘”relevant market” means the market which may be determined by the Commission with reference to the relevant product market or the
relevant geographic market or with reference to both the markets.’ Section
2(s) defines “relevant geographic market”; and Section 2(t) defines “relevant
product market”. (emphasis supplied)
33
‘Person’ is defined in Section 2(l) of the Competition Act and provides for a
very wide inclusive definition including, an individual, a firm, a Company and
any body corporate by or under the laws of a country outside India.
34
‘Enterprise’, defined in Section 2(h) of the Competition Act, includes both a
‘person’ and a ‘government department’ under its ambit, which is or has been
engaged in an (economic) activity of the description and in the manner prescribed therein.
35
These events are: in case of a proposal for a merger or amalgamation,
approval of the proposal by the board of directors of the enterprises concerned
with such merger or amalgamation; and in case of acquisitions covered by
Sections 5(a) or 5(b) execution of any agreement or other document for acquisition. Furthermore,
Section 6(2-A) of the Competition Act states: “No combination shall come
into effect until two hundred and ten days have passed from the day on which
the notice has been given to the Commission under sub-section (2) or the
Commission has passed orders under Section 31, whichever is earlier.”
36
The statutory definition of ‘acquisition’ as given in Section 2(a) of the
Competition Act reads: “’acquisition’ means, directly or indirectly, acquiring
or agreeing to acquire—
shares, voting rights or assets of any enterprise; or
control over management or control over assets of any enterprise.”
37
The last Section 20(3) notification was S.O. 480(E), dated Mar. 4, 2011
(Ministry of Corporate Affairs, Government of India),
http://www.mca.gov.in/Ministry/notification/pdf/Notifications_4mar2011.pdf
(last visited August 29, 2014), whereby the Central Government in consultation with the CCI enhanced, on the basis of wholesale price index, the value of
assets and turnover, by fifty percent for the purposes of Section 5 of the Act.
Though, Section 20(3) prescribes for a fresh notification after every two years
no fresh notification has been issued subsequent to the said Mar. 4, 2011
notification till date.
ISSN: 1865-0015
13
Sharma, Cross Border Merger Control
International
ready has control jointly [for clause (b)]/Enterprise remaining after
Merger or Created after amalgamation [for clause (c)]
Criteria
Location
Assets
In India
OR
OR
In or Outside
India
Turnover
In India
OR
In or Outside
India
Monetary Value of Threshold
More than (Indian Rupees)
INR. 1500 Crore38
(Aggregate)USD 750 Million including, INR 750
Crore is in India
More than INR4500 Cr.
USD 2250 Million including, INR 2250 Crore is in
India
OR,
For Groups to which the above parties/enterprises belong
post acquisition/merger or amalgamation:
Criteria
Location
Assets
In India
OR
In or Outside India
OR
Turnover
In India
OR
In or Outside India
Monetary Value of
Threshold
More than INR6000
Crore
(Aggregate) USD 3 Billion including, INR750
Crore is in India
More than INR18000
Crore
USD 9 Billion including,
INR 2250 Crore is in
India
Schedule I to the 2011 Regulations (read with its Regulation 4) currently lists ten categories of combinations which are
‘ordinarily not likely to cause an appreciable effect on competition in India’ and thus in such cases notice under Section 6(2)
‘need not normally be filed.’39
The inquiry into whether a ‘combination’, referred to in
Section 5, has caused or is likely to cause an appreciable adverse effect on competition in India may be done by the CCI,
as per Section 20 of the Act, on its own initiative; but the initiation of this inquiry can only be done within one year from
the date on which the combination has taken effect40. Further,
sub-section (2) of Section 20 prescribes for the usual mode of
said inquiry by the CCI upon receipt of notice under Section
6(2).Sub-section (4) of Section 20 lists various factors which
the CCI will have ‘due regard’ to in its above determination in
the said inquiry.
The notice is to be filed in Form I or Form II, appropriately
drafted, by the acquirer or jointly by the parties along with the
requisite fee, as prescribed41. Within 30 days of receipt of the
38
1 Crore = 10 Million; and 1 Crore= 100 Lakhs.
See Regulation 4 of the 2011 Regulations, supra note 4.
40
See supra note 1, proviso to Section 20(1) of the Competition Act.
41
See Regulations 9 to 13 of the 2011 Regulations, supra note 4.
39
14
Freilaw 1/2015
notice the CCI forms a prima facie opinion under Section 29(1)
of the Act, ‘as to whether the combination is likely to cause or
has caused an appreciable adverse effect on competition within
the relevant market in India.’42 Before forming this prima facie
opinion the CCI may call for additional information from the
parties concerned or examine and accept any modification
offered by the parties43. If the prima facie opinion is against the
combination, show cause notice is issued to the parties for
them to respond within 30 days of its receipt, ‘as to why an
investigation in respect of such combination should not be
conducted’44. After receiving response from the parties concerned, the CCI may call for a report from the Director General, within the directed time45. Where the prima facie opinion
is against the combination, parties are directed to publish the
details of the combination, as directed, so that the affected
stakeholders including, members of the public have the
knowledge of the combination and can be permitted to file
written objections before the CCI46. The culmination of combination review results in a Section 31 order under its relevant
sub-section. Three courses are provided for by that provision.
If the CCI opines against the combination on the basis that it is
likely to cause or has caused an appreciable adverse effect on
competition (AAEC) it results in a Section 31(2) order, ordering that the combination shall not have effect, resulting it to be
void47. However, if in addition to this finding the CCI is also of
the opinion that ‘such adverse effect can be eliminated by
suitable modification to such combination’, under Section
31(3), the CCI may propose appropriate modification to the
parties, to be carried out within the time specified by the CCI.
The third course of action open is to render a Section 31(1)
order approving the combination. Subject to statutorily prescribed relaxations, a period of two hundred and ten days from
the date of Section 6(2) notice is prescribed under Section
31(11) for the CCI to pass an appropriate order under subsections (1), (2) or (7) of Section 31.
IV. Analyzing Jet-Etihad Combination Review
Let us now proceed to the discussion of the Jet-Etihad ‘combination’ review by the CCI. In this ‘combination’ Jet Airways
(India) Ltd. proposed a sale of 24% of its equity to Abu-Dhabi
based Eithad Airways PJSC for US Dollars (USD) 379 million
[price per share of Indian Rupees (INR) 754.74] along with
some other rights. Pursuant to entering the three transaction
documents viz., Investment Agreement (‘IA’), a Shareholder’s
Agreement (‘SHA’) and a Commercial Cooperation Agreement (‘CCA’), all executed on April 24, 2013 the notice under
Section 6(2) was given by the parties to the CCI on 1 May,
2013. The review of this combination resulted in two orders.
42
See id. Regulation 19(1) of the 2011 Regulations, and Section 29 of the
Competition Act, supra note 1.
43
See id. Regulation 19(2) of the 2011 Regulations.
44
See Section 29(1) of the Competition Act, supra note 1. The section bears
the heading “Procedure for investigation of combinations”.
45
See Section 29(1-A) of the Act, id., and Regulations 20 and 21 of the 2011
Regulations, supra note 4.
46
See id., sub-sections (2) and (3) of Section 29 of the Act.
47
See id. Section 31(13) of the Act.
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The majority order granted approval under Section 31(1), and
the minority order under Section 29(1) by the sole member, Mr
Anurag Goel, found prima facie that the proposed combination
is likely to cause appreciable adverse effect on competition
(AAEC), and thus suggested further investigation48.
Etihad, the national airline of UAE is a wholly owned company of the Government of Abu Dhabi, and its hub airport is
Abu Dhabi, the capital of UAE. Whereas, Jet, a listed Indian
company incorporated in 1992 primarily engages in the business of ‘low cost and full service scheduled air passenger
transport services to/from India.’49 The CCI order began by
emphasizing the sovereignty of nations over their airspace and
then went on to discuss the significance of bilateral air service
agreements (BASAs) between two countries in this regard50.
The importance of the definition of the relevant market in an
industry like the ‘airline industry’ in a given fact situation is
well highlighted by this case. The majority on basis of the
demand based approach to the market definition used the popular Origin & Destination (O&D) pair approach in airline industry for defining the relevant market. The relevant market for
international passengers in this way, as per the majority comprised of: (a) on the O&D pairs originating from or ending in
nine specified pertinent cities in India, and (b) on the O&D
pairs originating from or ending in India to/from international
destinations on the overlapping routes of the parties to the
combination51. It however went further than the O&D approach
and covered the potential ‘network effects’ in its analysis52.
Through both the aforementioned approaches the CCI (i.e., the
majority) was of view that this combination did not cause
AAEC in the relevant market in India. The minority order
defines the relevant market to be the international air passenger
transportation from and to India53, and assessed the impact on
macro and micro levels as follows54:
a) Macro level impact on the different sectors of international air passenger traffic from and to India; and
b) Analysis of the extent of overlaps of flights of the two
airlines between specific points of origin and destination (O&D
pairs or routes).
48
Majority order under Section 31(1) of the Act, dated Nov. 12, 2013, supra
note 5; and the Minority Order was passed on Oct. 14, 2013 under Section
29(1) of the Act,
http://cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/FINAL%
20Order%20M(AG)%20-%20141013.pdf (last visited August 29, 2014); a
kind of supplemental order to this Oct. 14, 2013 order was again passed by the
same CCI member on 5 Feb., 2014, taking note of the majority Section 31(1)
order of Nov. 12, 2013, but still reiterating succinctly its said earlier minority
order,
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C2013-12-144%20M(AG)%20Minority.pdf. It is submitted that this later Feb.
2014 minority order was unnecessary in view of the prior majority order, and
subsequent references to the minority order in this case refers only to the Oct.
14, 2013 order of dissent.
49
See Jet-Etihad CCI Order, supra note 5, ¶ 12.
50
See id., ¶ 21.
51
See id., ¶ 32.
52
See id., ¶ 39 and note 9 therein.
53
See Jet-Etihad Minority Order, supra note 48, ¶ 11.
54
Id.
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One important study in this sector commissioned by the CCI
and FIAS of the World Bank Group was conducted in the year
2008 by the Administrative Staff College of India (ASCI)
entitled “Competition Issues in the Domestic Segment of the
Air Transport Sector in India”55. This study observed on the
basis of the 1997 OECD Report on “Competition Policy and
International Airport Services” that: “the provision of air services between any two given cities requires two complementary inputs: aircrafts services and airports services. Therefore
there must be effective competition in both these markets if we
want effective competition in the air transport sector.”56 The
relevant market was defined in this study as “the route between
city pairs at a particular time on a particular date”.
The crux of CCI’s approach has been to proceed to its analysis for each O&D pair on two presumptions: incorporating
indirect flights in its analysis on the presumption of price sensitive Indian customers, and airport substitutability in the same
catchment area particularly, considering Abu Dhabi, Sharjah
and Dubai to be substitutable mainly due to free shuttle service
by Emirates and Etihad between Abu Dhabi (AUH) and Dubai
and public transport between them (each being within two
hours distance of each other). Wherever, existing competitor
had credible market share this fact, without much analysis, was
simply taken in favor of the proposed combination.
The above ASCI study indulged in an analysis incorporating
therein inter alia the discussion on slot allotment policy in
airports and slot dominance and barriers to new entrants into
the already oligopolistic market; HHI analysis on various O&D
pairs to calculate market concentrations, as explained above;
scope of demand substitution; price data analysis and analyzing
price parallelism between dominant market players; fleet size
and average fleet age of players and other factors affecting
their competitiveness. Going by these parameters discussed
extensively in the ASCI study it may appear, that particularly
in view of an adverse order under Section 29(1), the remaining
members of the CCI could have done a more elaborate investigation before forming its prima facie opinion resulting in passage of Section 31(1) order.
To the credit of the minority it showed more pragmatically,
skepticism about Air India’s (AI) capacity to pose significant
competitive restraints post combination.57It examined at least
one transaction between the parties concerning slots at one of
the busiest airports, London Heathrow Airport (‘LHR Airport’)58. But, detailed slot and time analysis of each relevant
airport in O&D analysis was not done by the minority also,
though it did point out to the relevance of availability of slots
in its analysis59. The minority did not appear to be convinced
with the independence of the data provided by the parties to the
55
ADMINISTRATIVE STAFF COLLEGE OF INDIA (ASCI) RESEARCH & CONSULTANCY, COMPETITION ISSUES IN THE DOMESTIC SEGMENT OF THE AIR
TRANSPORT SECTOR IN INDIA (2008),
http://www.cci.gov.in/images/media/completed/transport_20090421133744.pd
f (last visited August 29, 2014).
56
See id. at 99.
57
See Jet-Etihad Minority Order, supra note 48, ¶ 17.
58
See id., ¶ 47.
59
See id., ¶ 13.
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CCI60, and seemed to underestimate other competitors and
somewhat overestimated the parties’ market power postmerger, particularly on the basis of seat allocation enhancement under the then recent MoU between India and UAE (Abu
Dhabi) to 50,000 from 13,33061. A few other salient aspects
from the minority order which reveals some chinks in the CCI
Order are as follows:
these efficiency claims, as they were not quantified69. This
concludes the analysis of both the majority and minority orders
in the Jet-Etihad Combination Review.
1. It rubbished the parties claim regarding substitutability of Abu
Dhabi with Dubai on the basis of the analysis of data of the overlapping routes provided by the parties, which showed that “passengers
travelling to Dubai are not using Abu Dhabi as a substitutable op62
tion . Furthermore, it was also pointed out that website of none of the
Indian carriers including, Jet showed Dubai as substitutable to Abu
Dhabi or vice versa.
2. Furthermore, the inclusion of indirect flights in its analysis by
the majority on the basis of price sensitivity of the Indian consumer
63
was effectively challenged in the minority order which said that
[A] premium customer who travels business/executive class is timesensitive and will therefore prefer a direct point-to-point connection
over a connecting one-stop or two-stop flight. For the remaining passengers who are not time-sensitive but may be fare-sensitive, again the
direct point-to-point flight may be the preferred option over connecting
flights for the routes Mumbai-Abu Dhabi and Delhi-Abu Dhabi, as the
direct flights are found to be cheaper on average as compared to connecting flights. (emphasis supplied)
In the Mylan-Agila deal, Mylan Inc., a US Corporation acquired Agila India for INR 94.8 billion in cash and contingent
buyout.70The main problem with this combination was the
presence of the non-compete obligation contained in both the
Share Purchase Agreement (SPA) and the restrictive covenant
agreement (RCA) signed between the acquirer, Mylan Inc., and
Strides Arcolab Limited (SAL) with its promoters. Agila India,
which was a wholly owned subsidiary (WoS) of SAL, and
Onco Therapies Ltd. (OTL), which was a WoS of Agila India
were the ‘Target Enterprises’ in the deal. We shall first turn to
certain aspects examined by the CCI in this matter resulting in
its Section 31(1) approval order.
Another important aspect in this matter concerns one of the
CCA clauses which restricts Jet not to code share64 with other
airlines in certain O&D pairs. Though the majority anticipated
the anti-competitive effects that such cancellations of code
sharing agreements may have, it was of the view that the competition which the parties will face from the ‘credible’ airlines
named therein would constrain their combined power65. The
minority order however views this clause leading to a prima
facie conclusion about its having AAEC inter alia due to resultant weakening of inter-hub competition which may restrict
passengers’ choices in their journeys from/to certain destinations66. Finally, though the majority saw this combination resulting in enhanced efficiency and price reduction for consumers,67 and sort of incorporated a failing firm defense, appreciating benefits of it for Jet, which was beleaguered with huge
debt;68 the minority on the other hand was not convinced by
V. Critiquing the Mylan-Agila Combination Review
5.1 Discussing generally the Section 31(1) Order
Agila India was involved in the development and manufacturing of various injectable products. OTL’s core business
concerned R&D and manufacturing of oncology related pharmaceutical products including, injectables. Mylan with its
subsidiaries was involved in generic and specialty (viz., respiratory, allergy, psychiatric and anti-retroviral therapies) pharmaceuticals with presence in around 140 countries. Its Indian
subsidiaries were manufacturing Active Pharmaceutical Ingredients (APIs). The CCI importantly noticed, that both the Acquirer and Target Enterprises had limited presence in the domestic market in India; and Targets’ sale in domestic market
were less than 5 per cent of their consolidated sales in the year
201271. Further, it noted that the products offered by the acquirer and the target entities to the consumers in the Indian
market fell in different therapeutic categories except for a few
products, that were also entirely different in their characteristics and intended use72. Another significant observation in
favor of the combination was, that the majority of the domestic
sales in India of the acquirer were in APIs and of the target
enterprises were in injectables73. Furthermore, the majority of
these APIs were non-sterile which cannot be used to formulate
injectables74. These facts went in favour of the proposed combination.
60
See id., ¶ 22.
See id., ¶¶ 14, 15.
62
See id., ¶ 33.
63
See id., ¶ 37.5.
64
Jet Airways website itself explains code sharing as: “A Codeshare is an
arrangement between two airlines (Airline A & Airline B) whereby Airline A
will market and sell the flights of Airline B as though they were the flights of
Airline A and / or vice versa. This arrangement allows us to provide you with a
greater choice of destinations with seamless connections.”, see Codeshare
Partners, JET AIRWAYS,
http://www.jetairways.com/EN/IN/AboutUs/CodeShare.aspx (last visited
August 29, 2014).
65
See supra note 5, ¶ 43.
66
See Jet-Etihad Minority Order, supra note 68, ¶ 25.
67
See supra note 5, ¶ 6, ¶¶ 46-50.
68
See id., ¶ 51.
61
16
69
See supra note 68, Jet-Etihad Minority Order, ¶ 42.
See Mylan-Agila Transaction Summary (Deal No. 730521) on Mergerstat
M&A Database (on LexisNexis Academic).
71
See Mylan Inc. Section 31(1) Order, supra note 6, ¶ 14.
72
See id., ¶ 15.
73
See id., ¶ 16.
74
See id.
70
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5.2 The CCI’s Concerns in relation to the Noncompete Clauses
Despite the CCI’s approval, the non-compete obligation in the
SPA and RCA initially created concerns, as the CCI observed75:
SPA and the RCA provide that for a period of six years from the
date of closing of the proposed combination, each of Arun Kumar,
Pronomz Ventures LLP, SAL and any of SAL's group companies (collectively known as the "Promoters") shall not (whether alone or jointly
with another and whether directly or indirectly) carry on or be engaged, concerned or interested economically or otherwise in any manner in the business of developing, manufacturing, distributing, marketing or selling any injectable, parenteral, ophthalmic or oncology
pharmaceutical products for human use, anywhere in the world.
The acquirer justified these clauses imposing non-compete
obligations on promoters of target enterprises and the selling
shareholders, at the time of their exit, to protect business interests of the acquirer and target entities.76The CCI quoted its
following view on non-compete obligations from its former
order in the matter relating to combination of Hospira-Orchid
(Comb. Reg. No. C-2012/09/79)77:
“non compete obligations, if deemed necessary to be incorporated,
should be reasonable particularly in respect of (a) the duration over
which such restraint is enforceable; and (b) the business activities, geographical areas and person(s) subject to such restraint, so as to ensure that such obligations do not result in an appreciable adverse effect on competition.”
Actually in the Hospira-Orchid deal the Business Transfer
Agreement (BTA) in its non-compete clause stipulated that
Orchid Chemical and Pharmaceuticals Ltd. (OCPL) and its
promoter cannot undertake certain business and R&D activities
pertaining to the transferred business for a period of eight and
five years respectively78. As a justification for the same the
parties to the Hospira-Orchid combination review contended
that the incorporation of such non-compete clauses was a
standard industry practice, which was ‘generally considered
necessary for the effective implementation of the proposed
combination and allows the acquirer to obtain full value from
the acquired assets’79. Being questioned by the CCI, the parties
suggested certain modifications in the Hospira-Orchid matter
by offering to reduce the time period to four years in relation to
the domestic market in India and removed certain R&D restrictions, which were accepted by the CCI80.
In Mylan-Agila the CCI observed that ‘in spite of the fact
that the Target Enterprises are engaged in the business of injectable products belonging to a few therapeutic categories, the
75
Ibid., ¶ 17.
See id., 18.
77
See id., 19 (citing from 10 of Hospira-Orchid, Section 31(1) Order dated
Dec. 21, 2012).
78
See Hospira-Orchid, Section 31(1) CCI Order dated Dec. 21, 2012, 9,
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C2012-09-79.pdf (last visited August 29, 2014).
79
Id.
80
See id., 10-12.
76
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non-compete covenant sought to impose a blanket restriction
covering injectable products across all the therapeutic categories’. It went on to say, that ‘the scope of the non-compete
covenant covered all products under the oncology and ophthalmic categories even though there are products under these
categories which are not being currently manufactured by the
Target Enterprises’81. In view of the CCI, the non-compete
clause should only cover those products which are being currently developed, manufactured or sold by the target entities;
and thus acquirer was issued notice to provide a justification
for the above non-compete clauses82. In response the parties
offered to: modify the non-compete covenant by reducing the
time period to four years (like in Hospira-Orchid case); curtailing the scope of the non-compete obligation to the Indian market, and only to the products either manufactured by the target
entities or which are in the pipeline or development phase,
which were accepted by the CCI before passing its favorable
Section 31(1) order83. However, in the US this deal raised
concerns with the FTC which initiated an investigation of the
proposed acquisition leading to the respondents Mylan and
Agila to enter into a consent agreement with the FTC, in terms
of which it also conditionally approved the Mylan-Agila transaction. Agila India was to divest its eleven generic injectable
drugs to its competitors as there were less competitors in these
eleven markets84.
There is a view that the CCI is skeptical about non-compete
clauses in Brownfield pharmaceutical sector combinations, and
combinations in other sectors with non-compete clauses were
cleared by the CCI without objections. As an example, lawyers
point to the SunCoke-VISACoke combination approved by CCI
in Jan. 201385. Thus, in absence of a clear policy regarding
such ancillary restraints, the CCI practice in this regard may
become subjective and arbitrary with passage of time86. The
CCI can evolve general guidelines regarding non-compete
clauses in combinations, like the ones contained in the European Commission’s ‘notice on restrictions directly related and
necessary to concentrations’, lending its analysis more objectivity and predictability for the parties concerned87.
81
See Mylan Inc. Order, supra note 6, 20.
See id., 20.
83
See id., 21-23.
84
See Decision and Order In the Matter of Mylan Inc.,(Docket No. C-4413)
FTC Order dated Dec. 12, 2013, available at:
http://www.ftc.gov/sites/default/files/documents/cases/131218mylando.pdf
(last visited August 29, 2014); and Mylan-Agila Transaction Summary (Deal
No. 730521) on Mergerstat M&A Database, supra note 70. (on LexisNexis
Academic).
85
See CCI’s Non-Compete Concerns!, THE FIRM (2013),
http://www.moneycontrol.com/video/management/ccis-non-competeconcerns-_912663.html (last visited August 29, 2014).
86
See Payaswini Upadhyaya, HOSPIRA, MYLAN MODIFY CLAUSES FOR CCI
NOD ON BUYS MONEYCONTROL.COM (2013),
http://www.moneycontrol.com/news/cnbc-tv18-comments/hospira-mylanmodify-clauses-for-cci-nodbuys_912570.html (last visited August 29, 2014).
87
See COMMISSION NOTICE ON RESTRICTIONS DIRECTLY RELATED AND NECESSARY TO CONCENTRATIONS, http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2005:056:0024:0031:EN:
PDF (last visited August 29, 2014).
82
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Probably as a response to the background concerns post
Mylan-Agila deal the 2014 FDI Policy the Government though
continuing to allow 100% FDI in the Brownfield Pharmaceuticals sector introduced the following two new restrictive conditions88:
(i) ‘Non-compete’ clause would not be allowed except in special
circumstances with the approval of the Foreign Investment Promotion
Board.
(ii) The prospective investor and the prospective investee are required to provide a certificate along with the FIPB application as per
Annex-11.
Interestingly but unfortunately, they are self-contradictory.
This ‘certificate’ in ‘Annex-11’ expressly mentions in one of
the clauses: “It is also certified that none of the inter-se agreements, including the shareholders agreement, entered into
between foreign investor(s) and investee Brownfield pharmaceutical entity contain any non-compete clause in any form
whatsoever.” Since, the above condition (ii) requiring submission of certificate in Annex-11 precludes presence of noncompete clauses in the transaction documents the exception in
the preceding condition (i) is rendered nugatory and otiose.
VI. Extraterritorial Application:
The cross-border combinations review with an Indian nexus
due to the target being an Indian company has been elaborately
discussed above through the Jet-Etihad and Mylan-Agila combinations reviews conducted by the CCI. However, if say, the
combination between foreign companies takes place outside
India, the CCI’s jurisdiction to review such combination may
be questioned on the basis of territorial scope of the Act as
provided in Article 1. Although, Section 5 incorporates the
‘effects doctrine’89 and the relevance of the AAEC in India, to
put doubts to rest, Section 32 confers extraterritorial jurisdiction to the CCI to inter alia inquire in accordance with Sections 20, 29 and 30 in respect of a combination outside India90
or where all the parties to the combination are located outside
India91 provided the concentration has or is likely to have an
AAEC in the relevant market in India, and to pass such orders
as it may deem fit in accordance with the provisions of the
Competition Act, 2002.
In both cross border ‘combination’ cases, Jet-Etihad and
Mylan-Agila Section 32(e) was applied. Perhaps the only matter where both clauses (d) and (e) of Section 32 become pertinent is the 2013 Titan Combination,92 whose Section 43A
order is discussed below. Both parties to the combination were
foreign corporations, Titan International, Inc. (a US Corporation) and Titan Europe Plc. (a UK Company), with the former
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acquiring the entire share capital of the latter, resulting in indirect acquisition of 35.91 per cent share capital of an Indian
Company, Wheels India from Titan Europe. It was observed by
the CCI that ‘there is no horizontal overlap in the business
activities of Titan International and Wheels India, as Titan
International has no significant presence in India except its
indirect stake in Wheels India’ and ‘that post combination,
there is no change in the number of players in the market for
steel wheels in India’, and thus the CCI passed a favorable
Section 31(1) order93.
VII. Imposition of Penalties under Section 43A
This penultimate section examines the manner of exercise of
an important power conferred upon the CCI under Section
43A. This section reads as follows:
If any person or enterprise fails to give notice to the Commission
under sub-section (2) of section 6, the Commission shall impose on
such person or enterprise a penalty which may extend to one percent
of the total turnover or the assets, whichever is higher, of such a combination.
Though a ‘belated notice’ beyond the time prescribed under
Section 6(2) may be admitted by the CCI under Regulation 7
of the 2011 Regulations, both the belated notice and failure to
file notice, which is dealt under Regulation 894, attract proceedings under Section 43A. The use of the word ‘shall’ suggests
mandatory imposition of penalty. This interpretation is also
supported by the mandatory duty to serve a notice imposed
under Section 6(2), when falling within its purview and unless
excepted out, due to the use of the word ‘shall’ therein, which
was substituted for the words ‘may, at his or its option’ by the
Competition (Amendment) Act, 2007; one of consequences of
whose non-compliance is given in Section 43A95.
The first Section 43A order sought to be examined was rendered in the Jet-Etihad matter discussed above96. CCI imposed
the penalty of INR One Crore on Etihad for consummating and
implementing certain parts of transaction, LHA Transaction
and CCA without giving notice in accordance with Section
6(2), as imposed on it under Regulation 9 of the 2011 Regulations. The CCI, keeping in view the facts and circumstances as
summarized by it in its order, opined that the penalty imposed
served the ends of justice said97.
Although the penalty of INR one crore imposed on Etihad in
an apparently well-reasoned order may not appear excessively
harsh to many, this opinion may change in light of another
93
See id., ¶ 5.
Regulation 8, supra note 4, prescribes that in case of failure to file notification for a combination the Commission, upon its own knowledge or information regarding the same, shall direct parties to file notice in Form II and
inquire into the same.
95
See FRANCIS BENNION, BENNION ON STATUTORY INTERPRETATION 44–57
(5 ed. 2008).
96
Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2013/05/122
(CCI, Dec. 19, 2013),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/Ord
er%20191213.pdf (last visited August 29, 2014).
97
Id., ¶ 12.
94
88
See Consolidated FDI Policy, 2014 (DIPP, Government of India), 6.2.18.3.
See Vinod Dhall, The Indian Competition Act, in COMPETITION LAW
TODAY, 530–31 (Vinod Dhall ed., 2007).
90
See clause (d) of Section 32 of the Competition Act, supra n. 1.
91
See id., clause (e) of Section 32.
92
See Titan-Titan CCI Order under Section 31(1) (Combination Registration
No. C-2013/02/109), April 2, 2013,
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C2013-02-109.pdf (last visited August 29, 2014).
89
18
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previous Section 43A order passed in Zulia-Kinder matter98
where for a very serious and inordinate delay of 399 days the
penalty imposed by the CCI was only INR Fifty Lakhs i.e., half
of penalty imposed in Jet-Etihad matter just discussed. The
latter also concerned a cross border combination, based on the
Share Purchase Agreement (SPA), dated April 2, 2012 yet the
belated Section 6(2) notice was filed on June 6, 2013, with a
delay of around 399 days99. This matter highlights the failure
on the part of the CCI, in spite of internal mechanisms, to detect the proposed combination in time. Had it been consummated, the CCI would have lost its power to inquire into the
same after one year from the date on which such combination
has taken effect, as discussed earlier100.
In Zulia-Kinder the main justifications for the delay, which
was rejected by the CCI, were: incomplete and hence erroneous legal advice given by the first set of Indian counsel on the
applicability of the Competition Act, the proposed transaction
being entirely offshore, and the fact that this is the acquirers’
first merger notification in India101. There was a previous Section 43A in an intra-group merger in Dewan Housing case102.
In this case the delay was that of 388 days, similar to ZuliaKinder, and a similar plea of incorrect legal advice leading to
this delay was raised. Despite the apparent absence of bad
faith, and although the CCI considered that the delay was due
to a bonafide mistake and consequently to be a mitigating
factor, it did not exculpate the parties. The CCI however imposed a fine of INR 5 Lakhs only, although it could have imposed a fine of up to around INR 230 Crores, 4600 times the
amount actually fined103. Notably, intra-group mergers are
excluded from the notification requirements in several jurisdictions and so even this decision in Dewan Housing has been
subject to criticism104. In April, 2013 an exemption from notification for certain intra group mergers was introduced in the
Schedule I to 2011 Regulations105. Later amendments to the
2011 Regulations in March 2014 inter alia added subregulation (5) to regulation 9 providing for determination of
requirements for filing notice to be ‘determined with respect to
the substance of the transaction’, and omitted category (10) in
its Schedule I which previously exempted a combination ‘taking place entirely outside India with insignificant local nexus
and effect on markets in India’ from notice requirement. Apart
from questioning the legality of the CCI Section 43A orders
imposing fines in intra-group mergers, as arguably infringing
98
Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2013/06/124
(CCI, Aug. 1, 2013),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/PC-2013-06-124.pdf (last visited August 29, 2014).
99
See id., ¶ 4.
100
See id., ¶ 15.
101
See id., ¶ 8.
102
CCI Order under Section 43A in Combination Registration No. C2012/11/92 (CCI, Jan. 3, 2013),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/PC-2012-11-92.pdf (last visited August 29, 2014).
103
Id., ¶ 11.
104
See, Ruchit Patel, The Treatment of Late Filings in Indian Merger Control,
World Competition 37 no. 2 (2014) 249, 255-56.
105
See Category 11 of the Schedule I to the Combinations Regulations, supra
note 4.
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Freilaw 1/2015
Public International Law, an article also criticizes the above
March 2014 amendments as exacerbating this issue further106.
In the same year, before the Zulia-Kinder matter, in the Titan combination the CCI through its Section 43A order imposed a penalty of INR One Crore, although the delay was of
around six months107. As per a view, the fine in Dewan Housing is justified on comparison with Titan on the basis, that the
transaction in Titan unlike in Dewan had been implemented108.
A similar justification may be given on comparison between
Zulia-Kinder with Titan. However, it is contended that the
quantum of the fine in Titan, which is double to that imposed
in Zulia-Kinder, with arguably much more serious lapses in
respect of serving Section 6(2) notice suggests unjustified
leniency on the part of the CCI in Zulia-Kinder matter. If however, the Zulia-Kinder decision serves as a yardstick, then the
quantum of the fine in Jet-Etihad is also unjustified.
This inconsistency in approach of the CCI in regard to the
imposition of a penalty under Section 43A is reinforced by
another case, where discretion is used by the CCI in not imposing a fine. This discretion was exercised on a flimsy and unjustifiable ground. In a Section 43A order of April 2012 in the
matter of a combination concerning Siemens Ltd. (SL) and
Siemens Power Engineering Pvt. Ltd. (SPEL), although the
Section 6(2) notice was served belatedly approximately forty
days after the Board Resolutions approving the scheme of
amalgamation between the parties, the CCI condoned the delay
and did not impose any penalty109. Paragraph 4 of the order,
reproduced below, gives these reasons for this decision: “Considering the facts and circumstances of the case coupled with
the fact that this is the first year of implementation of enforcement provisions relating to combinations in the Act, the Commission is of the opinion that no penalty is required to be imposed on SL and SPEL in terms of Section 43A.” These reasons forming the basis of this Section 43A order can be challenged on the following grounds:
(1) As discussed above, once the condition of notice or failure to
serve notice under Section 6(2) is fulfilled, as per Section 43A, it is
mandatory for the CCI to impose a penalty.
(2) The CCI in its order has not been able to justify reading of
‘shall’ in Section 43A as ‘may’, giving it discretion in not imposing a
penalty thereunder.
(3) Even if assuming, although not conceding, such a discretion is
read into Section 43A, the CCI has not given a speaking order with
due appreciation of the facts and circumstances of the case. Merely to
state, that ‘considering the facts and circumstances…” does not provide any insight in the adjudicatory reasoning adopted by the CCI in
deciding this issue.
106
Supra note 104, 256-57.
CCI Order under Section 43A in Combination Registration No. C2013/02/109 (CCI, 2 Apr. 2013),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/PC-2013-02-109.pdf (last visited August 29, 2014).
108
Supra note 104 at 254.
109
Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2012/03/43
(CCI, Apr. 19, 2012),
http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/NPC-2012-03-43.pdf (last visited August 29, 2014).
107
ISSN: 1865-0015
19
Sharma, Cross Border Merger Control
International
(4)The only adjunct reason to support its order is, that ‘this is the
first year of implementation of provisions relating to combinations in
the Act’. This is an extraneous consideration for rendering this decision, and may raise questions about the competence of the CCI to handle such issues given its inexperience. Imposing optimal penalties
which are not disproportionate to the violation most certainly is important in order to reduce recidivism and to have a deterrent effect on
110
future violators .
In fact, this is not the only case where such condonation was
done by the CCI. In the Dewan Housing penalty order the CCI
admittedly states, that subsequent to its order dated 28 December 2011, clarifying the notice requirements for intra-group
mergers, in several cases, ‘belated notices’ were received in
response in respect of mergers between parent and subsidiary
companies; and the CCI in such cases decided not to impose
any penalty as it was the first year of enforcement of the pertinent provisions of the Competition Act111. The CCI’s adjudication in these cases can also be subject to the above criticism.
The CCI may also contemplate evolving guidelines in this
regard to lend more objectivity and certainty in this regard,
thereby more efficaciously enforcing the provisions of the
Competition Act, 2002 furthering its objectives112. The 2006
EC ‘Guidelines on the method of setting fines’113may be instructive in this regard.
Freilaw 1/2015
cussing competition policy issues, the article discussed ‘combinations’ review mechanism as contained under the pertinent
provisions of the Indian Competition Act, 2002 read with the
Combinations Regulations, 2011.The merits and demerits of
the CCI’s majority and minority’s Jet-Etihad combination
review orders were discussed next. The Mylan-Agila combination review order of the CCI threw some interesting issues,
particularly regarding the manner in which ‘non-compete’
clauses in the transaction documents are being viewed by the
CCI. The CCI’s inconsistent practice in restricting these ‘noncompete’ clauses was discussed there. The last issue curiously
revealed inconsistent and somewhat arbitrary practice of CCI
in the imposition of penalties under Section 43A of the Competition Act, 2002 as demonstrated through the Section 43A
orders discussed therein. By and large, this article objectively
reveals the relative inexperience of the CCI in combinations
review, but apparently shows its zeal in enforcing the legal
provisions applicable. If there is a competence problem too,
that needs to be thoroughly researched into by researching into
law and practice concerning appointments of the members of
the CCI, preferably through a comparative law study, but the
same falls outside the scope of this research article.
VIII. Conclusion
This article analyzed the Indian competition law pertaining to
the ‘combination’ review, giving special emphasis on the mergers with a cross-border component, and critically commented
on the CCI’s merger control practice in this regard. After dis-
* LL.B. (Delhi), LL.M. (Gold Medalist with Distinction) (ILI),
Ph.D. Candidate (NLUJ). Assistant Professor of Law, National Law University, Jodhpur, India. Comments can be mailed to: [email protected]. This article is adapted from a
chapter of author’s Ph.D. thesis submitted to the NLU,
Jodhpur. The author expresses gratitude to his colleague
Dr. Souvik Chatterji for discussing some of the ideas and
views expressed in this paper. Any errors and shortcomings
are entirely attributable to the author.
110
See ROBERT COOTER & THOMAS ULEN, LAW AND ECONOMICS 491–
517 (5 ed. 2007).; and Wouter P.J. Wils, Optimal Antitrust Fines: Theory and
Practice, 29 WORLD COMPETITION 183 (2006).
111
See supra note 102,¶ 8.
112
See also supra note 104, at 258 (making a similar suggestion); and at 25758 (demonstrating through analysis of Dewan, Titan and Zulia-Kinder (‘Temasek’) how the ‘level of fine imposed by the CCI is not necessarily linked to
the length of delay’, and is ‘heavily influenced’ by other more non-quantifiable
factors).
113
Guidelines On The Method Of Setting Fines Imposed Pursuant To Article
23(2)(A) Of Regulation No 1/2003 (EC, 2006/C 210/02), http://eurlex.europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX:52006XC0901(01) (last
visited August 29, 2014).
20
ISSN: 1865-0015
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Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus
Öffentliches Recht
Freilaw 1/2015
Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus
bei planwidrigem Einsatz von Standardpatenten
Eva Fischer
Kartellrecht, der Hüter des Wettbewerbs? Führt die Geltendmachung von Immaterialgüterrechten zu dysfunktionalen Effekten, wird das Kartellrecht oft als letztes
Regulierungsinstrument bemüht. Am Beispiel der
wirtschaftlich begehrten Standardpatente zeigt sich
jedoch, dass das Kartellrecht insbesondere bei der
Abgrenzung des relevanten Marktes und bei der
Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eines
Patentinhabers an seine Grenzen stößt.
“Considering the exclusive right to invention as given not of natural
right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the em1
barrassment of an exclusive patent, and those which are not.”
Thomas Jefferson (1813)
A. Einleitung
Standardisierungen können einen missbräuchlichen Umgang
mit Patentschutz verstärken. Ist die Offenhaltung von Märkten
Aufgabe des Kartellrechts, so gewährt ein Schutzrecht dem
Inhaber ausschließliche Nutzung. Weil andere Wettbewerber
im Falle eines Standardpatents auf das Patent angewiesen sind,
kann der Inhaber damit potentiell Wettbewerb beschränken.
Grundidee der Patenterteilung war jedoch die Schaffung von
Innovationsanreiz durch die Möglichkeit zur Refinanzierung
der getätigten Investitionen. Patente sollten gerade nicht zur
massiven Einschränkung von Wettbewerb, der Verschließung
von Märkten oder der Verhinderung neuer innovativer Entwicklungen dienen2.
Die Bedeutung von bestehenden Standards könnte sich
durch ständig neue Innovation relativieren3. Schnelle technologische Entwicklung und die folgende Patentierung nämlich
überholen laufend einen gesetzten Standard. Damit hat der
Inhaber von Standardpatenten nur für eine begrenzte Dauer ein
marktmächtiges Instrument. Längst sind Standards jedoch
Gegenstand von Wettbewerbsstrategien geworden. Bereits im
Standardisierungsverfahren gibt es Verfahrensmissbräuche,
sogenannte Patenthinterhalte. Die Bildung von Patentpools
führt zur Akkumulation großer Patentportfolios, die durch die
gepoolten Standardpatente entscheidenden Einfluss am Markt
haben können. Besonders im Mobilfunksektor handeln sogenannte Privateers. Diese erhalten Standardpatente von produ-
1
Jefferson, Jefferson to Issac McPherson, 13. August 1813, in: LIPSCOMB/BERGH (Hg.), The Writings of Thomas Jefferson, Vol. 20: The
Founder’s Constitution, Volume 3, Article 1, Section 8, Clause 8, Document
12, Washington 1905, 333 ff.
2
Diskutiert beim sog. „evergreening“; deutlicher im Urheberrecht bei neuen
Werkformen wie „Mash-ups“.
3
Spulber, J. Com. L. & Ec. 2013, 778.
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zierenden Unternehmen für Verletzungsverfahren4. Grundsätzlich verstärkt werden die Folgen der Standardsetzung durch
sog. Netzwerkeffekte: Aktuell wird das iPhone 6 auf dem USMarkt mit Apple Pay Funktion vermarktet. War Google mit
Google Wallet bisher nicht erfolgreich, sprechen Experten nun
von einer zweiten Chance für das erste mobile Kreditkartenzahlsystem mit NFC- Technik. Denn warum, so die Argumentation, sollten Warenhäuser neben Apple Pay nicht auch
Google Wallet zulassen: Ist Apple Pay bei Verbrauchern
beliebt, wären Android- Kunden zur Nutzung von Google
Wallet motiviert. Beide Systeme machen sich nämlich gegenseitig bekannt. Die NFC- Technik wäre dann für alle Smartphonehersteller wichtig. Damit werden NFC- Patente so bedeutend, dass trotz Fehlens rechtlicher Verbindlichkeit der NFCStandard den Austausch mit einer neuen Technologie mit gleichen Funktionen unwahrscheinlich macht. Damit kann ein
Standard den Markt für neue Innovation verschließen5.
Dennoch kann Standardsetzung auf Informations- und
Technologiemärkten positiv wirken. Bei schneller technologischer Entwicklung und kurzlebigen Produktzyklen hat ein
einzelner Unternehmer nicht ausreichend Innovationspotenzial.
Dieser ist auf die Nutzung von Standardtechnologie angewiesen. Koordination bei Standardsetzung verhindert Doppelinnovation und senkt Marktrisiken der beteiligten Unternehmen, die
sich zum Beispiel auf die Nutzung des Standards durch andere
Unternehmen einstellen können6.
In diesem Zusammenhang wird das Kartellrecht häufig als
Regulationsinstrument gesehen. Als letzter Anker zur Bewahrung funktionierenden Wettbewerbs sollen die negativen Folgen von Standardisierung verhindert werden. Dies soll am
Beispiel von Patentpool, Patenthinterhalt und Privateers hinterfragt werden.
Bei der Anwendung des Kartellrechts durch die Europäische
Kommission (Kommission) konzentriert sich diese hauptsächlich auf die Verwertungshandlung der Standards7. Um wettbewerbsschädigende Nutzung von Patenten zu verhindern, müssten – so die These dieses Beitrags – kartellrechtliche Mechanismen jedoch vor der eigentlichen Verwertungshandlung
durch Lizenzierung greifen. Denn diese – nachträgliche – Kontrolle kann die Schäden für den Wettbewerb nur noch begrenzen. Regulative außerhalb des Kartellrechts haben sog. Stan-
4
Abzugrenzen von Patenttrollen; vgl.: Jerruss/Feldmann/Walker, Duke L. &
Tech. R. 2012, 359.
5
Lemley, Cal. L. R. 2002, 1938.
6
Baron/Pohlmann, J. Com. L. & Ec. 2013, 908; Gall/Waller, J. Com. L. & Ec.
2012, 449.
7
Komm., Leitlinien für Technologietransfer- Vereinbarungen, 2014/C 89/03,
Rn. 7; EUGH, Slg. 1996, 429 - Consten und Grundig.
ISSN: 1865-0015
21
Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus
Öffentliches Recht
dardisierungsorganisationen etabliert8. Schnittstellen zum Kartellrecht finden sich auch im Marken- und Urheberrecht9. Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind jedoch Standardpatente.
Zunächst sollen daher ein Standard definiert und die Problemlagen herausgearbeitet werden. Darauf sollen die kartellrechtliche Verhaltens- und die Fusionskontrolle angewandt
werden, um bezüglich deren Wirksamkeit zur Sicherung des
unverfälschten Wettbewerbs zu einer Beurteilung zu gelangen.
B. Standardsetzung auf dem Mobilfunkmarkt
I. Möglichkeiten der Standardsetzung
Standards wie NFC entstehen in Standardisierungsorganisationen (SSO) wie beispielsweise der europäischen SSO ETSI10.
Davon zu unterscheiden sind am Markt entstehende Standards,
sogenannte de facto Standards11 und Normungen. Letztere
werden von Unternehmen12 oder in staatlich anerkannten SSOs
wie DIN gesetzt13.
Die NFC zugrunde liegenden Standards Bluetooth und
RFID sowie NFC sind durch Patente geschützt, zu denen es
(noch) keine technischen Substitute am Markt gibt14. Diese
sind essentiell zur Standardimplementierung, also standardessentielle Patente (SEP).
Allen Standards ist gemein, dass sie aufgezeichnet werden
und Regelungsgehalt haben15. Ihre wiederholte Anwendung ist
durch mehrere Wettbewerber möglich. NFC kann etwa von
iOS und Android getriebenen Smartphones implementiert werden. Ein Standard wirkt also vereinheitlichend16. Wegen dieser
Gemeinsamkeiten sind Standards im Folgenden gleich zu behandeln.
Freilaw 1/2015
II. Märkte der Mobilfunkbranche
Grundsätzlich können in der Mobilfunkbrache drei Märkte
unterschieden werden: Innovations-17, Technologie-, und Produktemarkt18. Dabei ist der Innovationswettbewerb den beiden
letzteren, und damit der Technologie und dem Produkt, vorgelagert19. Dort entsteht durch Entwicklung etwa die NFC- Technik. Idealerweise besteht zwischen diesen Märkten ein Wertschöpfungszusammenhang. Einschränkungen des Wettbewerbs
auf einer Stufe der Wertschöpfung aber werden durch knock-on
Effekte weiter gegeben20.
Liegt ein SEP vor, ist der Innovationswettbewerb bereits
abgeschlossen. Eine Technologie hat sich durchgesetzt. Daher
ist der Technologiemarkt im Zusammenhang mit SEPs entscheidend.
III. Problemstellung auf dem Technologiemarkt bei
Standardisierung
1. Patenthinterhalt
Vor der Verwendung eines Standards am Markt finden Wettbewerbsbeschränkungen im SSO- Verfahren statt21. Beispielhaft wird der sog. Patenthinterhalt herausgegriffen. Dabei unterlassen Teilnehmer des SSO- Verfahrens die Offenlegung
von Patenten und Patentanmeldungen, die Teil des Standards
werden22. Nach Standardsetzung kann das Unternehmen mit
dem Kartellrecht unvereinbare Verwertungshandlungen begehen oder sich kartellrechtskonform verhalten.
17
8
IPR- Policies wie Datenbank und Schlichtungsverfahren, BRUZStandards under EU Competition Law: The Open Issues,
in: Caggiano,/Muscolo (Hg.), Competition Law and Intellectual Property. A
European Perspektive, New York 2012, 96-111, 102.
9
Abgrenzungsvereinbarung bei Jette Joop; urheberrechtlich geschützte
Schnittstellen zur Kompatibilität wie im Fall Microsoft.
10
http://www.etsi.org/deliver/etsi_ts/102100_102199/102190/01.01.01_60/ts_1
02190v010101p.pdf (abgerufen: 6.11.2014), auch in ISO und ECMA.
11
Auch going-it-alone- Strategie, wegen steigender Investitionskosten ist die
langfristige Durchsetzung wirtschaftlich unattraktiv: Lea/Hall, Info. Ec. & P.
2004, 75; etwa PAL & SECRAM; FORRESTER, The Interplay between Standardization, IPR and Competition Law, in: Caggiano|Muscolo|Tavassi (Hg.),
Competition Law and Intellectual Property. A European Perspective, New
York 2012, 113-145, 117.
12
Sog. Werkstandards: WÖLKER, Entstehung und Entwicklung des Deutschen
Normenausschusses, Berlin, u.a. 1992, 21 f.
13
Shapiron/Varian, Hav. B. S. P. 1999, 44, 228 ff.; synonyme Verwendung der
Begriffe: KOMM., Leitlinien zu Technologietransfer- Vereinbarungen, 2004/C
101/02, Rn. 167.
14
Komm., Case No COMP/M.6381- Google/Motorola Mobility, Rn. 54;
Ullrich, Patent Pools – policy and problems, in: Drexl, Research Handbook on
Intellectual Property and Competition Law, Cheltenham/Northampton 2008,
139-161, 147.
15
Dorn, Technische Standardisierung im Spannungsfeld von Immaterialgüterrechten, Kartellrecht und Innovation, Studien zur Rechtswissenschaft Bd. 322,
Hamburg 2014, 11.
16
Auch Ziel der internationalen Standards der WTO: Struck, Product Regulations and Standards in WTO Law, Global Trade Law Series Bd. 45, Alphen
aan den Rijn 2014, 70.
ZONE/BOCCACCIO,
22
Kritisch zu Innovations“markt“, Hilty,
http://www.ip.mpg.de/files/pdf2/Taetigkeitsbericht_2010-2011.pdf, (abgerufen
am 1.11.2014), 36.
18
Überblick: Katz/Shelanski, Anti. L. J. 2007, 39 f.; Abgrenzung von drei
Märkten: Komm., Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 AEUV,
2011/C11/01, Rn. 261; Picht, GRUR Int. 2014, 7; anwendbar wegen Gleichbehandlung von Normung und Standardisierung: Emmerich, Kartellrecht, 12.
Aufl., München 2012, § 8 Rn. 53.
19
Deskriptiver Begriff, engl. downstream market im Gegensatz zu upstream
market, vgl. FRÜH, Immaterialgüterrechte und der relevante Markt, Schriftenreihe zum gewerblichen Rechtsschutz Bd. 181, Köln 2012, 159.
20
Wirtschaftsnobelpreisträger 2014, Jean Tirole in der Financial Times,
Whipp/Harding, http://www.ft.com/intl/cms/s/0/01bc3910-52ca 11e4a23600144feab7de.html?siteedition=intl#axzz3G6o8g1ps, (abgerufen am
14.10.2014).
21
Kooperation als Wettbewerbshindernis, negative Einflüsse auf Produktemarkt durch Marktmacht, Ausschluss von Nichtmitgliedern und von alternativer Technologie: vgl.: Walther/Baumgartner, WuW 2008, 162 ff.
22
Fall Rambus in SSO JEDEC, FTC, In the Matter of Rambus Inc., Docket No.
9302, http://www.ftc.gov/enforcement/cases-proceedings/011-0017/rambusinc-matter (abgerufen: 6.11.2014), Immenga, GRUR Int. 2006, 929; ebenso:
Dell-Fall endete mit Vergleich; FTC, In the Matter of Dell Computer Corporation, Docket No. 3658, Consent Order v. 20.5.1996, S. 616 ff.
(http://www.ftc.gov/system/files/documents/cases/960617dellconsentorder.pdf
, Stand: 5.10.2014, 17h45); vgl. Fischmann, GRUR Int. 2010, 185; Stambler v.
Diebold Inc., 11 U.S.P.Q.2d, 1709 ff. (1988); aktives Werben um Aufnahme in
den Standard ohne Offenlegung der eigenen Anmeldung: Wang Laboratories,
Inc. V. Mitsubishi Electronics America, Inc., 103 F3d 1571 ff. (1997); nach
Verpflichtung, keine Patentanmeldungen nach Informationserhalt zu tätigen,
werden Patente Teil des Standards: In the matter of Union Oil Company of
California, FTC Compliant, Doc No. 9305;
http://www.ftc.gov/sites/default/files/documents/cases/2005/08/050802do.pdf
(abgerufen: 10.10.2014). .
ISSN: 1865-0015
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Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus
Öffentliches Recht
2. Standards in Technologiepools
Nach Abschluss eines Standardisierungsverfahrens werden zur
Lizenzierung der Patente häufig Patentpools gebildet. Dabei
schnüren zumeist mehrere Parteien ein Paket meist zusammengehöriger Technologien, hier von SEPs23. Positiv verringert
das „one-stop-shop“-Prinzip Transaktionskosten. Standards
können wirksam implementiert werden, da der Hersteller die
SEPs nicht separat lizenzieren muss24. Pools verringern jedoch
den Anreiz, die Gültigkeit der Patente zu überprüfen und neue
Technologien zu entwickeln25.
Freilaw 1/2015
tums, Art. 14 II GG34. Damit ist jedes Marktverhalten an den
Wettbewerbsregeln zu messen35.
II. Kontrolle durch Missbrauchsverbot einer
marktbeherrschenden Stellung, Art. 102 AEUV
Die missbräuchliche Verhaltensweise in einer SSO, eines Patentpools, oder eines Privateers wie Rockstar müsste von
marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen.
1. Marktbeherrschende Stellung
3. Standards in Portfolios von Privateers
a) Adressatenstellung
Ebenfalls über große Patentportfolios mit SEPs verfügen auf
dem Technologiemarkt Privateers26. Die SEPs werden durch
andere Unternehmen an Privateers wie Rockstar übertragen.
Rockstar erwarb 6000 Patente des insolventen Nortel- Konzerns aus finanziellen Mitteln von Apple, Microsoft, Sony,
Ericsson und Blackberry27. Bei anschließenden Verletzungsklagen gegen Wettbewerber setzen Privateers auf einen günstigen Vergleich. Diese sind besonders wegen der hohen Kosten
bereits vor Prozessbeginn28 erzielbar. Sollte dies fehlschlagen,
können attraktive Lizenzgebühren ausgehandelt werden. Praktischer Hintergrund ist, dass etwa Rockstar kein Interesse an
sog. Kreuzlizenzen hat29, da Rockstar mangels produktiver
Tätigkeit keiner Lizenzen bedarf. Somit könnte der Zugang zu
SEPs erschwert und ein Wettbewerber auf dem Produktemarkt
für einige Zeit verhindert werden. Die Zugangsverhinderung
verringert die Produktauswahl für den Verbraucher30. Zur
rechtlichen Bewertung fehlen aber oft Detailinformationen31.
Die Teilnehmer des SSO-Verfahrens und die Mitglieder eines
Patentpools erfüllen unproblematisch den funktionalen Unternehmensbegriff, indem sie einer wirtschaftlichen Tätigkeit
nachgehen36. Rockstar könnte hingegen Unternehmen oder
Unternehmensvereinigung sein. Eine Unternehmensvereinigung liegt dann nicht mehr vor, wenn Rockstar aufgrund eigenständiger Tätigkeit im Geschäftsverkehr als Unternehmen
auftritt37. Rockstar handelt nach eigenen Angaben selbstständig38 und ist daher Unternehmen.
C. Verhaltenskontrolle als Ausgleichsmechanismus
für Standardsetzung
Aus Sicht der Produktnachfrager könnten alle Smartphones
mit einem NFC- Feature zum gleichen Produktemarkt gehören40. Auf dem vorgelagerten Technologiemarkt ersetzt ein
Patent bzw. eine Technologie wie NFC das Produkt41. Um
überhaupt auf dem Produktemarkt tätig zu werden, also das
Smartphone mit NFC- Feature herstellen zu können, muss
Zugang zur Technologie erlangt werden42. Eine alleinige Konzentration auf den Technologiemarkt würde jedoch eine Substituierbarkeit des Standards auf dem Produktemarkt unberücksichtigt lassen. Bei Berücksichtigung käme es allerdings auf
die Sicht der Nachfrager des Produktes an. Für den Zugang
I. Anwendbarkeit von Kartellrecht
Lange war die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf immaterielle Güter fraglich32. Jetzt ist anerkannt, dass Patent- und Kartellrecht gemeinsame Ziele von Wettbewerbs- und Wohlstandsförderung verfolgen33. Grund dafür ist schon der auf
Verfassungsebene verankerte Schrankenvorbehalt des Eigen-
23
Klawitter, Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. München 2008,
§ 13 Rn. 302.
24
Verbruggen/Lörincz, GRUR Int. 2002, 827.
25
Heyers, GRUR Int. 2011, 215.
26
Pools als Trolle: Schickedanz, GRUR Int. 2009, 902.
27
McMillen, How Apple and Microsoft Armed 4,000 Patent Warheads,
http://www.wired.com/2012/05/rockstar/all/ (abgerufen am 22.10.2014), 1;
Nach Veröffentlichung dieses Artikels wird es Rockstar nicht mehr geben, s.:
http://www.ft.com/intl/cms/s/0/2ab78182-8ad1-11e4-be0e00144feabdc0.html#axzz3MzfUwW2c (abgerufen: 23.12.2014).
28
Andrews, Col. Sc. & Tech. L. R. 2011, 222.
29
Kostenreduktion, US Supreme Court in Standard Oil Co. v. United States,
283 U.S. 163 (1931).
30
Geradin, J. L. & Ec. 2013, 1126.
31
Ewing/Feldmann, Stan. Tech. L.R. 2011, Rn. 14, 90.
32
Haedicke, Handbook Patent Law, München 2014, § 1 Rn. 180; Vardner,
Hav. J. L. & Tech. 2001, 226.
33
Aufgabe Inhaltstheorie, sog. Komplementaritätsthese: Drexl, GRUR Int.
2004, 720.
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b) Relevanter Markt
Die unternehmerische Tätigkeit müsste auf dem relevanten
Markt stattfinden. Nach dem Bedarfsmarktkonzept grenzt sich
der sachlich relevante Markt nach der Substituierbarkeit der
Produkte aus Sicht der Marktgegenseite ab39. Bei Patenten
könnte auf die Nachfrager der Technologie bzw. des Produktes
abzustellen sein.
34
Art. 17 I 3 GRCh., WALZ, GRUR Int. 2013, 719; vorher: Ausschließlichkeitsrechte stehen nicht im Widerspruch zur Wettbewerbsordnung; schutzrechtsimmanente Schranken: Lober, GRUR Int. 2002, 7.
35
Vgl. Dorn, 206 ff. m.w.N.; Nebeneinander der Schutzrechte: Schmidt,
Lizenzverweigerung als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung,
Schriften zur Rechtswissenschaft Bd. 49, Berlin 2005, 60 ff.
36
EuGH, Slg. 2004, I-2493 Rn. 46 – AOK.
37
Zimmer, Immenga/Mestmäcker, § 1 Rn. 72.
38
„We are separate“ – John Veschi, McMillen, 1.
39
EUGH Slg. 1998, I-7791 Rn. 32 f. – Bronner; KOMM., Bekanntmachung
zum relevanten Markt, 97/C 372/03, Rn. 7, 15; Kritik: FRÜH, 205 m.w.N.
40
Sofern als austauschbar angesehen: zumindest getrennte Märkte Feature
Phones/Smartphones, Komm., Fn. 14, Rn. 41.
41
Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, Wirtschaft
und Wirtschaftspolitik Bd. 231, Baden-Baden 2009, 274; missverständlich
zwei Produktionsstufen: EUGH, GRUR Int. 2004, 644, Rn. 45 – IMS Health;
Spindler/Apel, JZ 2005, 135.
42
Bspw.: EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 - Magill, Rn. 56; Schwintowski,
WuW 1999, 850.
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23
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zum Produktemarkt relevant ist aber allein die Marktgegenseite
zum Patent, also der Nachfrager der durch das Patent geschützten Technologie43.
Der Umfang dieses Technologiemarktes richtet sich nun danach, ob andere Technologien bestehen, die gleiche Funktionen erfüllen. Dies können andere geschützte oder freie Lehren
sein, die mit dem fraglichen Standard konkurrieren44. Dieser
Grundsatz müsste nun auf das Vorliegen von SEPs übertragen
werden. Dabei verzichtet die Kommission häufig auf eine
Abgrenzung des relevanten Marktes, weshalb es an Kasuistik
fehlt45. Dennoch müsste wegen der fehlenden Austauschbarkeit
des SEPs mit anderen geschützten oder nicht geschützten Lehren der Markt auf das einzelne SEP begrenzt werden46. Damit
bliebe aber die faktische Austauschbarkeit mit anderen Standards auf dem Technologiemarkt unberücksichtigt. Überzeugender ist es daher, auf austauschbare Standards als auf die
Austauschbarkeit des SEPs abzustellen47. Dafür spricht auch,
dass es unbillig wäre, ein Unternehmen als Inhaber eines SEPs
dem Kartellrecht zu unterstellen, wenn der dahinterstehende
Standard auf dem Markt jeglicher Relevanz entbehrt.
Der räumlich relevante Markt besteht aus dem Wirtschaftraum, in dem sich die objektiven Wettbewerbsbedingungen
gleichen48. Im Mobilfunksektor besteht ein weltweiter Wirtschaftsraum49. Der zeitlich relevante Markt deckt sich grundsätzlich mit der Geltungsdauer der wettbewerbsrelevanten
Maßnahme und ist daher nicht separat zu bestimmen50.
c) Marktbeherrschende Stellung auf relevantem
Markt
Auf dem relevanten Technologiemarkt müsste die Marktmacht
von Rockstar oder Teilnehmern der SSO ausreichen, sich unabhängig von Verbrauchern, Wettbewerbern und Abnehmern
zu verhalten51. Wird einer engen Abgrenzung des relevanten
Markts gefolgt, dann hat der Inhaber eines SEPs konsequenterweise per se eine marktbeherrschende Stellung. Denn das
SEP ist zur Implementierung des Standards nicht substituierbar
und der Inhaber kann sich aufgrund der Alleinstellung unabhängig von anderen Marktteilnehmern verhalten. Mit einer
solchen per se Betrachtung blieben jedoch die Marktrealitäten
außer Betracht. Die tatsächliche Marktmacht eines Inhabers
43
Burghartz, Technische Standards, Patente und Wettbewerb, Schriften zum
Technikrecht Bd. 10, Berlin 2011, 203.
44
Picht, Strategisches Verhalten bei der Nutzung von Patenten in Standardisierungsverfahren aus der Sicht des europäischen Kartellrechts, in: Drexl, Josef
(Hg.), Münchner Schriften zum Europäischen und Internationalen Kartellrecht,
Band 31, Bern 2013, 434 f.
45
Melischek, The Relevant Market in International Economic Law, Cambridge
international Trade and Economic Law, Cambridge University Press 2013, 33,
Grund: Marktbeherrschung kann ohnehin verneint werden.
46
Komm., Fn. 14, Rn. 54.
47
Komm., Fn.18, Rn. 116; Komm., Case AT.39985 – Motorola – Enforcement
of GPRS Standard Essential Patents, Rn. 192.
48
EuGH, Slg. 2001, II-3414 - AAMS, Rn. 39.
49
So zumindest: “client PC operating systems, work group server operating
systems and media players”, Komm., Case COMP/C-3/37.792 – Microsoft, Rn.
427; erweitert auf Betriebssysteme von Mobiltelefonen: Komm., Fn. 14, Rn.
31, 33.
50
Jakobs, Standardsetzung im Lichte der europäischen Wettbewerbsregeln,
Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik Bd. 259, Baden-Baden 2012, 82.
51
EuGH Rs. 85/76, Slg. 1979, 461– Hoffmann-La Roche/Kommission, Rn. 38.
24
Freilaw 1/2015
hängt – zumindest wirtschaftlich – von der Bedeutung des
Standards auf dem Produktemarkt ab. Bestehen dort andere
Standards, die den Bedürfnissen der Verbraucher ebenfalls
gerecht werden, verringert das die Marktstellung des SEPInhabers52. Somit bedeutet die Wesentlichkeit des SEPs für den
Standard noch nicht, dass daraus Marktmacht folgt53.
Fraglich ist, woran die Marktmacht erkennbar ist. Die
Marktmacht könnte sich am Marktanteil des Standards festmachen lassen54, der durch substituierbare andere Standards auf
dem Markt begrenzt wird und dadurch bestimmt werden
kann55. Jedoch sind die Normadressaten die Unternehmen, die
Inhaber eines SEPs, nicht aber des Standards sind. Der Anteil
eines SEPs am Marktanteil, den der Standard messbar auf sich
vereinigt, ist aber wohl nicht feststellbar. Denn in den Produkten wird der Standard, nicht das einzelne SEP implementiert56.
Daher kann der Marktanteil nicht als Kriterium herangezogen
werden und es ist auf das SEP, nicht auf den Standard zur
Bestimmung der Marktmacht abzustellen.
Ausnahmsweise kann sich Marktbeherrschung durch ein
SEP beispielsweise durch eine gesetzliche Vorschrift zur Einhaltung eines bestimmten Standards oder aus faktischer Verbindlichkeit ergeben. Eine solche besteht etwa, wenn Verbraucher nur Produkte annehmen, die einen bestimmten Standard
implementieren57.
Fraglich ist jedoch die Bestimmung von Marktmacht im
Normalfall. Marktmacht könnte bestehen, wenn das SEP wie
eine Marktzutrittsschranke wirkt. Dabei können Parameter wie
Ablösewahrscheinlichkeit des Standards oder die Lizenznehmerquote mitberücksichtigt werden58. Diese Marktzutrittsschranke kann sich verschiedentlich äußern. Sog. switching
costs der Nutzer zwischen den Standards binden die Nutzer an
einen Standard und verstärken die Marktmacht des Inhabers
der dahinterstehenden SEPs59. Netzwerkeffekte etwa zwischen
Google Wallet und Apple Pay haben gleiche Wirkung60. Daraus kann etwa ein natürliches Monopol entstehen, da neue
52
Keine Marktmacht per se: EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 - Magill, Rn.
46; Schommer, Die „essential facility“- Doktrin im Europäischen Wettbewerbsrecht, Münchner Juristische Beiträge Bd. 38, München 2003, 210.
53
Monopolmacht bejahend: Conde Gallego, GRUR Int. 2006, 22.
54
Komm.: keine Marktmacht bei weniger als 40 %; EuGH: Marktmacht bei 75
%, EuG 70 %; zwischen 25% und 70% nachzuweisen, Übersicht: Holzmüller,
Einseitige Wettbewerbsbeschränkungen als Regelungsproblem des internationalen Kartellrechts, Münchner Schriften zum Europäischen und Internationalen Kartellrecht Bd. 21, Bern 2009, 182; Picht, 440.
55
Ullrich, GRUR 2007, 827; Weiß, Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Kommentar, 4. Aufl., München 2011, Art. 102 AEUV, Rn. 14.
56
Etwa: Picht, 440.
57
Burghartz, 205.
58
EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 – Magill, Rn. 47; etwas unklar getrennt:
BGH, GRUR 2004, 966 (968); Berücksichtigung von Marktverhalten, Dynamik, Standardnutzung trotz Substituierbarkeit, Marktdynamik, Picht, 442 ff.;
Maaßen, Normung, Standardisierung und Immaterialgüterrechte, KWI Bd. 13,
München 2006, Rn. 547 ff.
59
Farrell/Klemperer, Coordination und Lock-in: Competition with Switching
Costs und Network Effects, in: Armstrong,/Porter, Handbook of Industrial
Organization, Handbooks in Economics Bd. 3, 3. Aufl., Oxford 2007, 19672072, 1967; sog. log-in Effekte, etwa Maaßen, Rn. 229.
60
Knott, Apple Pay nach 72 Stunden: Millionen Fans in den USA, Alibaba
inklusive. Trotz prominentem Widerstand,
http://www.netzwelt.de/news/149631-apple-pay-72-stunden-millionen-fansusa-alibaba-inklusive.html, (abgerufen am 2.11.2014)1.
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Nachfrager dem bestehenden großen Netzwerk beitreten anstatt
einem alternativen61. Sollte sich das Bezahlsystem durchsetzen,
haben Kaufhäuser beispielsweise nur Vorrichtungen für NFCErkennungstechnik, nicht für alternative Datenübertragungsmöglichkeiten.
Andererseits wäre eine „antizipierte“ marktbeherrschende
Stellung anzunehmen, wenn aufgrund des Hinterhalts nach
Standardsetzung Marktmacht erlangt würde68. Dabei ist aber
bereits die Bestimmung des relevanten Marktes schwierig, da
der Markt des SEPs noch gar nicht besteht69.
Das von Rockstar erworbene Nortel- Portfolio umfasste unter anderem SEPs für Wlan62. Eine Marktzutrittsschranke läge
vor, wenn Rockstar anderen Unternehmen die Verwendung der
Wlan-Technik untersagen könnte, da Mobiltelefone ohne Wlan
für Kunden unattraktiv wären. Portfolios von Privateers zeichnen sich durch fehlende Zusammengehörigkeit der Patente aus,
so dass die vorhandenen SEPs nicht zwangsläufig genügen, um
einen Standard wie Wlan gänzlich zu blockieren63. Ob eine
Marktzutrittsschranke vorliegt, ist daher vom Beweisvortrag
abhängig.
In Hinsicht auf die Rechtssicherheit ist beides abzulehnen.
Die besondere Verantwortung des Unternehmens, die die Anwendung des Kartellrechts auf das Ausschließlichkeitsrecht
rechtfertigt, ergibt sich erst mit Marktmacht. Es widerspräche
auch einer liberalen Wirtschaftsordnung, wenn Kartellamt bzw.
europäische Kommission auf diese Weise die Kompetenz erhielten, jede Standardsetzung zu kontrollieren.
d) Beeinträchtigung des Binnenmarktes
Der Binnenmarkt als ganzer ist bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Mobilfunkmarkt aufgrund
seiner internationalen Bedeutung betroffen.
Aufgrund der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung von
Standards ließe sich aber argumentieren, dass eine Kontrolle
der Standardsetzung rechtspolitisch wünschenswert wäre.
Denn durch einen Missbrauch kann eine Technologie zum
Standard werden, die nicht die beste ist und somit nicht zum
Wohle der Verbraucher künftig in allen Endprodukten implementiert wird. Die Annahme hängt davon ab, ob sich im Folgenden die Verletzung von Offenlegungspflichten im Zuge
eines Patenthinterhalts als missbräuchlich darstellt.
e) Zeitpunkt der Marktbeherrschung
Beim Patenthinterhalt stellt sich das Problem, dass zwischen
der Verwertungshandlung und der Unterlassung der Offenlegung zu unterscheiden ist. Bei Vornahme der Missbrauchshandlung muss Marktbeherrschung vorliegen. Während der
Verwertungshandlung verleiht der implementierte Standard
dem Inhaber Marktbeherrschung. Ausnahmsweise kann bei der
Verletzung der Offenlegungspflicht hohe Nachfrage nach einem Patent vor Standardsetzung dem Inhaber Marktmacht
verleihen64. Dies dürfte aber schon deswegen selten sein, da
interne Verfahrensregeln von SSOs die Standardisierung eines
bestehenden Patentes oft verhindern. Daher liegt Marktmacht
erst mit Standardimplementierung vor.
Bei SEPs könnte es jedoch gerechtfertigt sein, auf Marktmacht zu verzichten65. Dazu könnte rechtsvergleichend die
Figur des attempt to monopolize herangezogen werden. Nach
Sherman Act Section 2 ist im us-amerikanischen Rechtssystem
lediglich die Wahrscheinlichkeit von Monopolmacht nachzuweisen66. Zwar hat Art. 102 AEUV mit der Voraussetzung
eines Missbrauchs eine andere Schutzrichtung, der Rechtsgedanke von Section 2 zur Erfassung missbräuchlichen Verhaltens vor signifikanter Marktmacht könnte jedoch übertragbar
sein67.
61
Heinemann, Immaterialgüterrechte in der Wettbewerbsordnung, Jus Privatum. Beiträge zum Privatrecht Bd. 65, Tübingen 2002, 63.
62
http://www.justice.gov/opa/pr/statement-department-justice-s-antitrustdivision-its-decision-close-its-investigations (abgerufen: 22.10.2014).
63
Genau darauf baut das Prinzip von Privateers auf, da sie einen Standard wie
Wlan nicht blockieren wollen, wohl aber Tantiemen durch Verletzungsverfahren erhalten: CRANE, Tex. L. R. 2009, 286.
64
Weck, NJOZ 2009, 1187.
65
Picht, GRUR 2014, 17.
66
Swift & Co. v. US, 196 US 375; Spectrum Sports Inc. v. McQuillan, 506 US
447, 456 (1993); gegen Ausweitung des Kartellrechts: Kobayashi/Wright, J.
Com. L. & Ec. 2009, 516.
67
Bjorkman, Pug. L. R. 1982, 290; AMERICAN BAR ASSOCIATION, Anti. L. J.
1980, 1197.
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2. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung
a) Missbrauch durch Patenthinterhalt
Der Patenthinterhalt findet vor der Verwertungshandlung statt.
Daher müsste sich die Verletzung der Offenlegungspflichten
als missbräuchlich darstellen. Wie eine solche einzuordnen ist,
wird unterschiedlich bewertet. Die Durchsetzung eines Patents
als Standard wird von manchen Stimmen als kartellrechtsneutral eingestuft70. Andere weisen darauf hin, dass auch einzelne
Unterlassungen der Offenlegung Teil eines Gesamtplanes sein
könnten und damit als Ganzes als Missbrauch angesehen werden müssen71. Ferner könnten die Teilnehmer des SSO- Verfahrens zur Garantie unverfälschten Wettbewerbs und damit
von vornherein zur Offenlegung verpflichtet sein72. Eine solche
Garantenstellung wurde bisher aber nur nach Art. 101 AEUV
angenommen73. Auch finden bei Patenthinterhalt nicht mehrere
Missbräuche statt, sondern es wird die SSO- Pflicht zur Offenlegung verletzt74. Daher ist die Verletzung nicht missbräuchlich. Auf eine Modifizierung des Marktmachterfordernisses
kommt es folglich nicht an.
b) Missbrauch durch Privateers oder Patentpool
Bei Privateers und Patentpools stellt sich dies Problem nicht.
Ihre relevanten Handlungen entstehen erst nach Standardset68
Petritsi, World Com. 2005, 34 ff.
Geradin/Rato, ECJ 2007, 160.
70
Staniszewski, JIPLP 2007, 676; berufend: EuGH, v. 6.10.1988, Rs. C-238/87
– AB Volvo v Erik Venk UK Ltd, Rn. 8.
71
Fischmann, GRUR Int. 2010, 192.
72
Loest/Bartlik, ZWeR 2008, 52.
73
Dreher, ZWeR 2008, 288, 290.
74
Brakhahn, Manipulation eines Standardisierungsverfahrens durch Patenthinterhalt und Lockvogeltaktik, Europäische Hochschulschriften, Reihe 2:
Rechtswissenschaft Bd. 5560, Frankfurt/Main 2014 , 172; dagegen: PICHT,
480.
69
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zung. In Betracht kommen zunächst missbräuchliche Lizenzverträge, auf die zwar Art. 102 AEUV anwendbar ist, aber die
nicht Inhalt dieses Beitrags sind.
Darüber hinaus verwendet ein Privateer präventiv vor Lizenzverhandlungen Abmahnungsstrategien, welche einen
Missbrauch begründen könnten. Ein solches Verhalten kann
auch der Pool75 aufgrund der gepoolten SEPs begehen.
Ob ein solcher Missbrauch durch die Geltendmachung von
SEPs vorliegt, bestimmt sich danach, ob der Beklagte dem
Anspruch den sog. Zwangslizenzeinwand nach Art. 102 AEUV
entgegenhalten kann. Anwendbares Recht wäre in einem solchen Unterlassungsverfahren das Recht des Schutzlands76. Bei
einem deutschen Patent ist die Anwendbarkeit des Zwangslizenzeinwandes, gerichtlich mit „Orange-Book“77 bestätigt und
neben § 24 PatG anerkannt78. Die gerichtliche Geltendmachung
des SEPs als Ausschließlichkeitsrecht ist noch nicht missbräuchlich. Es müssten also weitere Umstände hinzukommen,
die die Anwendung des Missbrauchstatbestands rechtfertigen79.
Ein gültiges SEP wie GSM, 3G, 4G, LTE im Rockstar- Portfolio könnte auf dem Produktemarkt ein Erzeugnis verhindern.
Diese Verhinderung wäre bei Geltendmachung aber gerechtfertigt. Zwar sind die Anforderungen an ein Angebot des Lizenzsuchers derzeit strittig und die Entscheidung des EuGH noch
abzuwarten. Dass aber gar kein vorheriges Angebot ausreichen
könnte, ist eher unwahrscheinlich80. Da ein Privateer aber
gerade wahllos abmahnt, dürfte kein Angebot zum Lizenzvertrag des Beklagten vorliegen.
Sollte der Zwangslizenzeinwand dennoch greifen, etwa bei
einem Pool, fehlt es an einer generellen Abschreckungswirkung, da das einzige Prozessrisiko des Klägers in der Gewährung einer angemessenen Lizenz liegt. Bereits die Erhebung
der Unterlassungsklage hat erhebliches Schädigungspotenzial
beim Beklagten, führt doch die drohende Unterlassungsverfügung in den meisten Fällen zur Einstellung des Unterfangens
und zu womöglich vernichtenden wirtschaftlichen Schäden81.
Langwierige Prozesse und etwaige Schadensersatzforderungen
verleihen schon der Klageerhebung zusätzlich Drohpotenzial82.
3. Würdigung
Ein wirksamer Ausgleichsmechanismus müsste daher möglichst früh in der Wertschöpfungskette greifen. Fällt der Innovationswettbewerb bei Standardsetzung schon aus dem Anwendungsbereich, so kann eine marktbeherrschende Stellung
bzw. eine Marktzutrittsschranke auf dem Technologiemarkt
schwer nachgewiesen werden. Selbst der prozessuale Aus-
75
Die Unternehmen; der Pool selbst, sofern als juristische Person organisiert;
Komm. Fn. 7, Rn. 244.
76
Pitz, Patentverletzungsverfahren. Grundlagen – Praxis – Strategie, 2. Aufl.,
München 2010, Rn. 236.
77
BGH v. 06.05.2009 – KZR 39/06, Rn. 26; zum damaligen Streitstand: Rn.
24 und 25.
78
BGH GRUR 2004, 967 - Standard- Spundfass.
79
Gastner, Schröter/Thinman/Mederer, Kommentar, 2. Auf., Baden-Baden,
2014, Art. 101 AEUV, Rn. 1021 (zit. NK-).
80
LG Düsseldorf, GRUR Int. 2013, 552.
81
Barthelmeß/Gaus, WuW 2010, 633.
82
Heyer, GRUR Int. 2011, 214.
26
Freilaw 1/2015
gleich greift bei Privateers oft zu kurz und führt im Ergebnis
zu einer angemessenen Lizenz.
Ebenso kann bei Patenthinterhalt zwar die Verwertung reguliert, nicht aber die ursprünglich missbräuchliche Durchsetzung
verhindert werden. Dahingehend sind auch die Vorschläge aus
der Literatur zu verstehen, die neue Verwertungsmodelle für
den Fall des Patenthinterhalts anregen wie niedrigere Lizenzgebühren nach Patenthinterhalt oder ein transparenteres Lizenzierungsverfahren83.
Art. 102 AEUV ist damit auf die Verwertungshandlung angelegt. So hat die Kommission nach Art. 9 VO 1/2003 die
Möglichkeit, bei Verpflichtung zu angemessener Lizenzierung
von der kartellrechtlichen Sanktion abzusehen84. Auch befördert ein Mangel an Offenlegung vor allem sog. hold-up Strategien. Das Tätigen von Investitionen in Erwartung des Standards aber und die anschließende Ausnutzung dieser Abhängigkeit des investierenden Unternehmens durch den SEP- Inhaber ist durch Lizenzregulation zu verhindern85.
III. Kontrolle durch Kartellverbot, Art. 101 AEUV
Zweiseitige Verhaltensweisen könnten bei einem Patentpool,
bei Standardsetzung oder im Beispielsfall Rockstar zu spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen führen.
1. Koordinierung, Art. 101 I AEUV
Es müsste eine Koordinierung mindestens zweier Unternehmen
über ein zukünftiges gemeinsames Auftreten am Markt vorliegen86. Eine Standardsetzung zwischen Unternehmen in einer
SSO und Errichtungsvereinbarungen von Pools erfüllen diese
Voraussetzung.
Bei Privateers könnte eine Koordinierung mit den investierenden Unternehmen vorliegen. Zwischen diesen könnte aber
ein Beherrschungsverhältnis bestehen, sodass nicht unabhängige Unternehmen am Markt tätig wären. Folglich würde das
sog. Konzernprivileg greifen87. Ein Beherrschungsverhältnis
setzt die Möglichkeit zur Einflussnahme voraus. Dies wird bei
Anteilsmehrheit, § 17 II AktG, oder bei vertraglichem Beherrschungsvertrag vermutet. Bei Rockstar könnte dafür Indiz sein,
dass systematisch nur Android nutzende Unternehmen verklagt
werden und Apple den Kauf der Nortel- Patente zu überwiegendem Anteil finanziert hat. Dies würde für ein Beherrschungsverhältnis und das Konzernprivileg sprechen. Ob ein
koordiniertes Verhalten nach Art. 101 I AEUV oder ein Beherrschungsverhältnis vorliegt, ist eine Beweisfrage. Wird
letzteres abgelehnt, dann stellen sich für die Annahme von
Koordinierungen zwischen Rockstar und Apple die gleichen
Beweisprobleme. Zumindest nach eigenen Angaben handelt
Rockstar eigenständig. Art. 101 AEUV ist daher mangels anders gelagerter Beweise nicht auf Privateers anwendbar.
83
Schnelle, GRUR- Prax. 2010, 170.
Rambus: Komm., Pressemitteilung v. 9.12.2009, IP/09/1897; vgl.: Klees,
EuZW 2010, 161.
85
Dorsey, Col. Sc. & Tech. L. R. 2013, 129; Scott Miller, Ind. L. R. 2007, 366
f.
86
Weiß, Callies/Ruffert, Art. 101 AEUV, Rn. 47.
87
Lettl, Kartellrecht, 3. Aufl., München 2013, § 2 Rn. 22.
84
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2. Wettbewerbsbeschränkung
Mit Koordinierung müsste nach Inhalt und Ziel der Handlung eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem relevanten Markt
bezweckt oder bewirkt werden88. Durch Standardsetzung und
die Schaffung eines Pools zur Verwertung des Standards können der Wettbewerb zwischen den Vertragsparteien verringert
und alternative Technologien ausgeschlossen werden89. Eine
Wettbewerbsbeschränkung liegt vor.
3. Spürbarkeit und Zwischenstaatlichkeit
Bei Annahme von Marktmacht ließe sich bei Vereinbarung
eines internationalen Mobilfunkstandards mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit vermuten, dass zumindest potenziell der
Handel zwischen den Mitgliedsstaaten betroffen ist90. Dies
wäre aufgrund der Marktmacht durch SEPs91 auch spürbar.
Das ist genauso wie bei Art. 102 AEUV eine Beweisfrage.
4. Ausnahmen vom Kartellverbot, Art. 101 III AEUV
Eine Freistellung des SSO- Verfahrens oder eines Pools ist
möglich, wenn Vorteile für Verbraucher, Produkte und Fortschritt überwiegen, Art. 101 III AEUV.
a) Freistellung des Standardisierungsverfahrens
Standardsetzung gilt zwar als grundsätzlich wettbewerbsfördernd und wird generell freigestellt.
Die Kommission könnte jedoch im Rahmen der Freistellung
Offenlegungspflichten als interne Verfahrensregeln verlangen,
obwohl diese zu den IPR- Policies der SSO gehören92. Dadurch
könnte einem Patenthinterhalt, der nicht von Art. 102 AEUV
erfasst ist, vorgebeugt werden. In der SSO ETSI kam es zur
Verletzung von Offenlegungspflichten, da das ETSI-Mitglied
Sun Teile der Patente mit Relevanz für den neuen Standard
GSM 03.19 nicht offenlegte93. Nach Bekanntwerden verlangte
die Kommission eine Änderung der Verfahrensregelungen von
ETSI. Dabei leitete sie ein Verfahren, gestützt auf Art. 101
AEUV, ein. Anschließend implementierte ETSI die Vorschläge
der Kommission im SSO- Verfahren94. Damit waren die folgenden Verfahren der Standardisierung von ETSI wieder nach
Art. 101 III AEUV freigestellt. Somit kann die Kommission
Einfluss auf Verfahrensvorschriften nehmen.
b) Freistellung eines Patentpools
Der Patentpool könnte bereits durch die TT-GVO freigestellt
sein. Mangels Herstellungselement und der Vereinbarung von
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mehr als zwei Unternehmen (Art. 1 c) TT-GVO) ist dies aber
nicht der Fall95.
Daher ist auf Art. 101 III AEUV abzustellen. Positive Effekte des Pools wie etwa Kostensenkung durch zentrale Lizenzvergabe96 führen zu Verbesserung der Warenerzeugung und
dienen dem Fortschritt. Preiskartelle und Ausschluss alternativer Technologien haben gegenteilige Wirkung97. Das Überwiegen positiver oder negativer Effekte hängt entscheidend an
der gepoolten Technologie. Dies bestimmt daher über die Freistellung.
Dafür lassen sich die Leitlinien zur TT-GVO heranziehen98,
die auf die Förderung der Innovation durch Anreize für Forschung und Entwicklung abzielen99. Dafür entwirft die Kommission einen „Safe-Harbour“ für einen Technologiepool, also
eine garantierte Freistellung.
Dies gilt für wesentliche Technologie100. Darunter fällt solche, die innerhalb und außerhalb des Pools kein wirtschaftlich
oder technisch mögliches Substitut hat101. Solange ein SEP
Patentschutz genießt und eine nicht ersetzbare Technologie
schützt, kann der Pool freigestellt werden. Dass tatsächlich
SEPs gemeint sind, ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss
aus der Abgrenzung zu „nichtessentiellen Technologien“102.
Neu eingeführt ist, dass der Pool offen sein muss. Sensible
Information darf nur eingeschränkt ausgetauscht. Nicht- Exklusivlizenzen zwischen Pool und Inhaber sowie Lizenzen
zwischen Pool und Dritten nur nach FRAND- Bedingungen
vergeben werden dürfen. Die Gültigkeit der SEPs muss überprüfbar bleiben103. Der Ausschluss von Wettbewerbern soll
damit verhindert werden. Die Beschränkung des Informationsaustausches soll Missbräuche im Verfahren und sog. over declarations verringern104. Damit sollen Wettbewerber zur Partizipation und zur Lizenzierung ihrer Patente durch den Pool nach
Standardsetzung durch garantierte Freistellung motiviert werden105. Denn ein Pool basiert auf Freiwilligkeit106. Soll dieser
aber gerade seine positiven Effekte wie das „one-stop-shop“Prinzip verwirklichen, müssen alle SEPs durch die Inhaber an
den Pool gegeben werden.
Dass diese Lizenzen ferner nicht exklusiv sein dürfen, dient
der Abgrenzung zu Privateers, die die Patente exklusiv erhalten. Durch die Möglichkeit zur ständigen Überprüfung der
gepoolten SEPs kann neue Technologie auf den Markt kommen107. Die Kommission ermöglicht damit, über Privilegierun-
95
Komm., Fn. 7, Rn. 247; Erwäg. 7, VO 316/2014.
Komm., Fn. 7, Rn. 245 ff.; Pfaff/Osterrieth, Rn. 214.
Farrell/Hayes/Shapiro/Sullivan, Anti. L. J. 2007, 614.
98
Komm., Fn. 7, Rn. 57; Frenz, EuZW 2014, 534.
99
Komm. EuZW 2014, 284; Besen/Slobodenjuk, GRUR 2014, 741; gefordert:
Heyers, GRUR Int. 2011, 222.
100
Komm., Fn. 7, Rn. 261 b.
101
Komm,. Fn. 7, Rn. 252.
102
Komm., Fn. 7, Rn. 262; weniger deutlich: Komm. Leitlinien zu Technologietransfer- Vereinbarungen, C(2013) 924 draft, Rn. 245: „nichtwesentliche“.
103
Komm., Fn. 7, Rn. 261.
104
Dorn, 107 ff.
105
Safe Harbour, auch bei Lizenzen, Müller/Henke, GRUR 2014, 663 f.
106
Fröhlich, GRUR 2008, 216.
107
Kriegel, Wash. U. L. R. 2006, 223.
96
97
88
Komm., Fn. 18, Rn. 25.
Komm., Fn. 7, Rn. 246.
90
EuGH, Rs. 5/69 – Völk, Rn. 7; Angleichung von Spürbarkeit und marktbeherrschender Stellung, Aicher/Schuhmacher u.a., Grabitz/Hilf, Art. 81 EGV,
Rn. 514.
91
Zimmer, Fn. 37, Art. 101 AEUV, Rn. 217.
92
Durch Setzung von Leitlinien etwa, Freistellung selbst erfolgt nicht durch
Einzelfallentscheidung, Chiao/Lerner/Tirole, Rand J. Ec. 2007, 907 ff.
93
Picht, 127.
94
Komm., Pressemitteilung v. 12.12.2005, IP/05/1565.
89
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gen auf dem Technologiemarkt auch den Innovationswettbewerb zu fördern.
Mobility/Google zu nennen, in dem die Kommission den Erwerb von SEPs gestattete.
Mit berücksichtigt werden typische IPR- Policies wie die
Einschaltung von Sachverständigen und die Etablierung von
Streitbeilegungsverfahren108. Somit entsteht ein starker Anreiz
zu deren Einhaltung auch durch Auferlegung von Bußgeldern
durch die SSO. Diese verhindert damit kartellrechtliche Sanktionen und wird für Unternehmen interessant.
I. Aufgreifkriterien
Im Safe Harbour ist der Pool freigestellt, was der Kommission die Durchsetzung von wettbewerbspolitischen Zielen bei
SEPs ermöglicht.
5. Würdigung
Trotz des möglichen Einflusses auf die Verfahrensvorschriften
einer SSO zur Verhinderung eines Patenthinterhalts oder der
Begrenzung negativer Pooling – Effekte bleiben die Folgen
begrenzt109. Verfahrensvorschriften können nur als nicht
rechtsverbindliche Codes of Conduct vorliegen110. Ein Schadensersatzanspruch der SSO aus einem Gesellschaftsvertrag
kann nach § 280 I BGB gegen den Verletzer bestehen111, als
inter alia Pflicht aber nicht gegenüber Dritten. Ob die Patente
tatsächlich standardessentiell sind, ist auch nicht überprüfbar.
Besonders nach Patenthinterhalt wäre die Forderung nach
Standardrücknahme effektiver. Wegen der dann verlorenen
Entwicklungskosten und der log-in Effekte, die am Markt an
den Standard binden112, ist dies angesichts einer unterlassenen
Offenlegung eines Patents nicht interessengerecht.
Durch mehr Bereitschaft zur Partizipation, dem Ziel des Safe Harbours, könnten Missbräuche verringert werden113 . Sind
die Verfahren attraktiver für Wettbewerber, kann das Prinzip
des „one-stop-shop“ verbessert werden, da die Wahrscheinlichkeit der freiwilligen Lizenzierung wächst. Denn wegen des
Bedarfs zahlreicher SEPs zur Standardimplementierung ist
Pooling wirtschaftlich sinnvoll114 . Der dem Safe Harbour entsprechende Pool hat also Ausgleichsfunktion für Schwachstellen des SSO- Verfahrens. Insofern lässt sich ein kartellrechtliches Regulativ festmachen. Dieses ist jedoch wegen der bleibenden Freiwilligkeit der Teilnahme begrenzt.
D. Fusionskontrolle als Ausgleichsmechanismus
nach Standardsetzung
Wenn, wie gezeigt, das Marktverhalten schwer greifbar ist,
könnte bereits die Entstehung eines Privateers durch die Fusionskontrolle zu regulieren sein. Die Fusionskontrolle ist dabei
Gegenspieler zur Verhaltenskontrolle und will die Marktstruktur als solche schützen. Daher könnte sie angemessenes Kontrollinstrument sein. Dabei sollen die kritischen Punkte in Kürze dargestellt werden. Beispielhaft ist das Verfahren Motorola
108
Komm., Fn. 7, Rn. 265, 258.
Einfluss notwendig: Stadheim, Alb. L. J. Sc. & Tech. 2009, 485.
110
Etwa ECMA, Übersicht: Brakhahn, 112.
111
Maaßen, 705.
112
Staniszewski, JIPLP 2007, 670; Blind/Pohlmann, GRUR 2014, 715.
113
Tsilas, Hav. J. L. & Tech. 2004, 500.
114
Früh, 236.
109
28
1. Unternehmenszusammenschluss, Art. 3 FKVO
Zwischen den Unternehmen,115 etwa Rockstar und Nortel,
müsste ein Zusammenschluss nach Art. 3 FKVO vorliegen116.
Dafür gelten, anders als für die deutsche Fusionskontrolle,
qualitative Kriterien117.
a) Voraussetzungen von Art. 3 FKVO
Auf das Beispiel Rockstar angewandt, müsste das Unternehmen mit rund 6000 erworbenen Patenten die Möglichkeit zur
bestimmenden Einflussnahme haben. Dabei ist ein Kontrollerwerb i.S.v. Art. 3 I b) FKVO bereits an einem Unternehmensteil möglich118, sofern dieser eigenen Umsatz und rechtliche
Selbstständigkeit hat119. Dass Rockstar etwa nicht alle Unternehmensteile von Nortel kaufte, sondern nur große Teile des
Patentportfolios, schadet demnach nicht. Fraglich ist weiter,
wer Erwerber im Falle Rockstar wäre. Dies bestimmt sich nach
Art. 3 I b) FKVO. Ein Privateers wie Rockstar könnte ein
eigenes Unternehmen sein oder mit Apple, Microsoft, Sony,
Ericsson und Blackberry in einem Mutter-Tochter-Verhältnis
stehen. Dies würde eine 10%-ige Beteiligung der Mutter an der
Tochter voraussetzen120. Dies ist wohl nicht beweisbar. Weil
einige Nortel- Patente nach dem Erwerb an Google verkauft
wurden121, könnte Google, nicht Rockstar Erwerber sein. Der
Zwischenerwerb durch Rockstar und der Weiterverkauf hätten
jedoch vorab rechtsverbindlich festgelegt werden müssen122.
Dies ist nicht erkennbar. Rockstar ist also Erwerber.
b) Problematisch: das Kontrollmittel
Im Falle des Erwerbs von SEP ist jedoch das Kontrollmittel zur
Eröffnung des Anwendungsbereichs der FKVO problematisch.
Nach Art. 3 II 3. HS FKVO setzt Kontrolle die bestimmende
Einflussnahme voraus. Die Möglichkeit (2.HS) der Ausübung
über Rechte, Verträge und faktische Mittel ist durch Gesamtschau aller Umstände zu ermitteln123. Unter einen Vermögenserwerb nach Art. 3 I lit. a) FKVO (Asset Deal) fallen durch
Übertragung124 oder Lizenzierung125 auch Patente126. Diese
115
Hirsbrunner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 8.
Umsatzschwellen i.S.v. Art. 1 II FKVO dürften erreicht sein, damit ist
FKVO vor §§ 37 ff. GWB anwendbar.
117
Unterschiede wegen Abweichungen in Mitgliedsstaaten, vgl. Hirsbrunner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 1.
118
Jaglarz, Die fusionskontrollrechtliche Behandlung von Immaterialgüterrechtsakquisitionen im US-amerikanischen, europäischen und deutschen
Recht, Osnabrücker Schriften zum Wirtschafts- und Unternehmensrecht Bd.
16, Frankfurt 2012, 209.
119
Quark, Vermögenserwerb als Zusammenschlusstatbestand in der Fusionskontrollverordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21.
Dezember 1989, in: Loewenheim/Raiser (Hg.), Festschrift für Fritz Traub,
Frankfurt 1994, 321-330, 323.
120
Art. 3 RL 90/435/EWG.
121
http://www.heise.de/mac-and-i/meldung/Apple-erwirbt-ueber-1000-Patentevon-Rockstar-Patentgemeinschaft-1751292.html (abgerufen: 24.11.2014).
122
Komm., Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, 2009/C 43/09, Rn. 31.
123
Henschen, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 963 f.
124
Erwerb des Vollrechts nach Art. 3 II a) 1. Alt. FKVO.
116
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müssten einen Geschäftsbereich bilden, dem ein Marktumsatz
zuzuordnen ist127. Grund dafür ist, dass erst mit Leistung an
Dritte strukturelle Veränderung der Marktbedingungen eintreten, die eine Anwendung der FKVO rechtfertigt128. Microsoft
etwa übernahm mit Nokia auch Verkauf und Produktion von
Feature- Phones129.
Problematisch ist die Übertragung rein immaterieller Assets.
Statt eines Geschäftsbereichs verlangt die Kommission dann
Exklusivlizenzen auf einem Gebiet mit umsatzgenerierender
Tätigkeit130. Rockstar erwarb lediglich die Patente ohne umsatzgenerierende Tätigkeit. Danach wäre die FKVO unanwendbar. Zweck dieser Einschränkung ist, dass der Erwerber
in die bestehende Markstellung des Veräußerers eintreten soll,
welcher ausscheidet131. So würde der Erwerb zur weiteren
Marktkonzentration beitragen. Dies wäre anzunehmen, wenn
die immateriellen Güter Marktbedeutung hätten. Für das Kriterium spricht, dass die Kommission wegen der Beurteilungsschwierigkeiten im Fall des Erwerbs rein immaterieller Assets
von Unternehmensteilen in einer Gesamtschau auf den wirtschaftlichen Gehalt des Zusammenschlusses abstellt132.
Rechtsvergleichend könnte die Figur des loss of going concern
hinzugezogen werden133. Scheidet der Veräußerer also aus dem
relevanten Markt aus, kommt es zur Verschiebung von Marktstrukturen. SEPs gültiger Mobilfunkstandards sind Güter mit
großer Marktbedeutung, denn sie sind in der Lage, die Implementierung eines Standards zu verhindern. Dies spricht dafür,
den Kauf von SEPs mit der Übertragung des Geschäftsbereichs
gleichzusetzen134. Zahlreiche SEPs wären Kontrollmittel über
einen Teil des Nortel-Konzerns.
gie- oder Produktemarkt eingesetzt werden138. Auf dem Technologiemarkt stellt die Kommission nicht auf den Standard,
sondern auf das einzelne SEP ab139. Diese Reduktion ist sachgerecht, da der Zusammenschluss von Unternehmen durch
einzelne Assets und nicht durch den ganzen Standard geschieht. Denn das Unternehmen hat nur einzelne SEPs inne.
Auf dem Produktemarkt entstehen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Implementierungen der SEPs in den Produkten. Grundsätzlich besteht ein Markt für mobile devices140. Für
Rockstar wäre nur der Technologiemarkt relevant.
2. Marktbeherrschende Stellung, Art. 2 III FKVO
a) Marktanteil
Kriterium für Marktmacht (Art. 2 III FKVO) des Unternehmens ist der Marktanteil, der sich an der Zahl und der Bedeutung der Wettbewerber misst141. Zwar besteht keine Marktbeherrschungsvermutung, dennoch spricht ein Marktanteil von
unter 25% gegen Marktmacht142. Die Kommission verglich das
Portfolio von Google post-merger etwa mit dem des Wettbewerbers Sony143. Rockstar wäre noch unbedeutender als
Google. Marktmacht ist aber schwer am SEP zu messen144.
b) Marktzutrittsschranken
Ein Wettbewerbshindernis kann durch Zutrittsschranken entstehen. Anders als bei der Verhaltenskontrolle müssen diese
nicht Marktmacht statuieren, sondern es müssen post-merger
signifikante Wettbewerbsbeschränkungen eintreten.
aa) Wahrscheinlichkeit von Markeintritten
II. Eingriffsvoraussetzungen, Art. 2 FKVO
Der Zusammenschluss müsste mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar sein, sog. SIEC- Test135.
1. Relevanter Markt
Der Umfang des relevanten Marktes könnte durch die Zielrichtung der FKVO von dem der Verhaltenskontrolle abweichen136. Nach der Kommissionspraxis ist dabei der Verwendungszweck maßgeblich137. Ein SEP kann auf dem Technolo-
125
Art. 3 II lit. a 2. Alt. FKVO, als Exklusivlizenzen: Strohmayr, GRUR 2010,
584.
126
Komm., Bekanntmachung zum Zusammenschlussbegriff, 98/C 66/02, Rn.
11; Komm. nur bezüglich „Marken oder Lizenzen“, nicht abschließende
Aufzählung, Komm., Fn. 122, Rn. 24.
127
Hirsbrunner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 16.
128
Henschen, Schulte, Fusionskontrolle, 2. Auflage 2009, Rn. 1045.
129
Komm., EuZW 2014, 85; damit FKVO wegen Nichtexklusivlizenzen nicht
auf Pools anwendbar, vgl. zur Freistellung: Komm., Fn. 7, Rn. 261 d).
130
Komm., Fn. 122, Rn. 24.
131
Henschen, Rn. 1046.
132
Henschen, Rn. 1046.
133
Sec. 7 Clayton Act; JAGLARZ, 291.
134
Jaglarz, 211 f.; damit wesentlicher Teil; Streit vgl.: Immenga/Körber, Fn.
37, Art. 3 FKVO, Rn. 51 m.w.N.; nicht: Heinemann, 523.
135
Hacker, NK-Art. 2 FKVO, Rn. 8 f.
136
Komm., Definition des relevanten Marktes, 97/C 372/03, Rn. 12.
137
Keine Definition in FKVO: Rösler, NZG 2000, 762.
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Diese abschottende Wirkung könnte sich an der Wahrscheinlichkeit des Marktzutritts anderer Wettbewerber messen145.
Google könnte nach Erwerb Android nur noch in eigenen Endgeräten, den ursprünglichen Motorola Geräten, implementieren146. Google generiert hauptsächlich durch Online-Dienste
Einkommen. Dazu muss Android möglichst weit verbreitet
sein147. Trotz Smartphones von Google können neue und bestehende Hersteller Android nutzen. Der Zugang zum Betriebssystem und damit der Zugang zum Smartphone- Markt wird
also nicht entscheidend versperrt. Durch die Abmahnstrategie
von Rockstar und das fehlende Interesse an Lizenzierung könnten aufgrund fehlender Substituierbarkeit der SEPs Zutrittsschranken entstehen. Wettbewerber wären am Markteintritt
gehindert.
138
Zwischen horizontalen, vertikalen und konglomeraten Zusammenschlüssen
zu trennen; meist verbunden und gleiche Zielrichtung der Beurteilung postmerger, Ritter/Dreher/Kulka, 1414 ff.
139
Komm., Fn. 14, Rn. 53.
140
Komm., Fn. 14, Rn. 73.
141
26. Erwäg. FKVO; Montag/Kacholt, Dauses, Handbuch des EUWirtschaftsrechts. Band 1, München 2014, § 4 Rn. 73.
142
32. Erwäg. FKVO.
143
Komm., Fn. 14, Rn. 110.
144
S. B.II.1.c)aa).
145
Zeise, Schulte, Fusionskontrolle, 2. Auflage 2009, Rn. 1348.
146
Komm., Fn. 14, Rn. 111.
147
Komm., EuZW 2012, 165.
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29
Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus
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Dennoch ist der schnell wachsende Mobilfunkmarkt für potenzielle Wettbewerber sehr rentabel148. Dies schwächt das
blockierende Verhalten von Rockstar ab. Auch ist Rockstar
kein etablierter Wettbewerber, der den Wettbewerbsdruck
derart verringert, dass der Eintritt für andere Wettbewerber
wegen des Erwerbs der SEPs unrentabel würde. Trotz des
Zusammenschlusses besteht noch potenzieller Wettbewerb.
Dies spricht gegen wirksame Marktzutrittsschranken.
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Auf die Kausalität, auch failing company defence, kommt es
aber nur in der Sanierungsfunktion an158. Nokia schied wegen
fehlender Wettbewerbsfähigkeit aus dem Mobilfunkmarkt
post-merger aus. Rockstar aber kaufte die SEPs aus der Insolvenzmasse159 von Nortel. Damit schied Nortel nicht erst in
naher Zukunft160 aus dem Markt, sondern war bereits ausgeschieden. Da Rockstar nicht zwangsläufig der Nortel- Marktanteil zugewachsen wäre, ist das Verhalten post-merger auf den
Zusammenschluss rückführbar.
bb) Förderung weiterer Wettbewerber
Würden durch den Zusammenschluss Newcomer ermöglicht,
würde das den Wettbewerb bestärken, statt zu beschränken149.
Dennoch waren Newcomer nach bisheriger Kommissionspraxis
nicht ausreichend zur Verneinung von Marktzutrittsschranken150. Mit Erwerb erhalten Microsoft und Google erstmals
Mobilfunkpatente und hardware- Produktion151 und können
Smartphones herstellen. Dies betrifft allein den Produktemarkt,
weshalb dies nicht berücksichtigt wird. Berücksichtigung findet, ob die Bereitschaft von Google zur Lizenzierung abnehmen oder verstärkt würde, da insofern Google durch Inhaberschaft der SEPs neuer Wettbewerber ist. Dies wird zwar verneint152. Bei einem Privateer würde jedoch Gegenteiliges gelten, denn Lizenzbereitschaft an den erworbenen assets besteht
gerade nicht. Dies spräche für Beschränkungen des potenziellen Wettbewerbs post-merger.
Ob durch Verhinderung von Newcomern also doch Marktzutrittsschranken anzunehmen wären, kann offen bleiben,
wenn es an der Kausalität nach Art. 2 III FKVO fehlt oder
Abhilfemaßnahmen vorliegen.
d) Abhilfemaßnahmen
Ein Zusammenschluss kann auch dann nicht nach Art. 2 III
FKVO untersagt werden, wenn sich die Parteien zu Abhilfemaßnahmen verpflichten. Zwar zielt die Fusionskontrolle
hauptsächlich auf strukturelle Maßnahmen zur Wettbewerbssicherung.161 Dennoch sind Verhaltenszusagen anerkannt162.
Diese Privilegierung des Zusammenschlusses ist besonders bei
SEPs sachgerecht. Denn dadurch kann die Verwertung der
SEPs etwa durch FRAND- Verpflichtung erreicht werden.
Ohne den fraglichen Zusammenschluss würden die SEPs nämlich ohne Verwertungspflicht beim Veräußerer bleiben.
Google etwa verpflichtete sich zu FRAND-Lizenzen163
ebenso wie Nokia164. Rockstar sicherte zu, die SEPs aus dem
Nortel- Portfolio nicht für Unterlassungsklagen zu verwenden165. Damit war eine Genehmigung durch die amerikanische
Kartellbehörde möglich. Da die spezifische Wirkung möglicher Zutrittsschranken dadurch entfällt, könnte dies auch von
der Kommission angenommen werden.
III. Würdigung
c) Kausalität, Art. 2 III FKVO
Der Zusammenschluss zwischen Rockstar und Nortel ist nach
Art. 2 III FKVO nicht zu untersagen, wenn das wettbewerbsschädliche Verhalten nicht kausal aus dem Zusammenschluss
folgt (not merger specific153)154. Nicht kausal ist unabhängiges
Unternehmensverhalten155. Da etwa Nokia das Mobilgerätegeschäft mit Verkauf aufgab, könnte auch Nokia die SEPs zu
Verletzungsklagen nutzen. Denn nach Zusammenschluss mit
Microsoft blieben die SEPs bei Nokia, Microsoft erhielt nur für
30.000 SEPs eine Nicht-Exklusivlizenz156. Daher versicherten
Microsoft und Nokia, keine Absprachen bezüglich des Umgangs mit den Nokia- SEPs getroffen zu haben157. Nokia würde
bei Abmahnung aufgrund eigener SEPs eigenständig handeln.
148
Montag/ v. Boning, Hirsch/Montag/Säcker (Hg.), Münchner Kommentar
zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht). Band 1:
Europäisches Wettbewerbsrecht, München 2007, Art. 2 FKVO, Rn. 290 (zit.
MüKo).
149
Hacker, NK-Art. 2 FKVO, Rn. 201.
150
Montag/ v. Boning, MüKo, Art. 2 FKVO, Rn. 296.
151
Besonders: WiFi, LTE, UMTS, Komm., Fn. 14, Rn. 7, 62.
152
S. C.II.2.b)aa).
153
Etwa: Komm., Fn. 156, Rn. 261.
154
Zeise, Rn. 1467.
155
Komm., Fn. 156, Rn. 224 f.; 244 (Durchsetzung von SEPs nach der Fusion),
250 (möglicher Anstieg der Gebühren), 258, 261.
156
Komm., Case No COMP/M.7047 – Microsoft/Nokia, Rn. 3 f.; d.h. kein
Kontrollmittel; C.I.1.c).
157
Komm., Fn. 156, Rn. 263.
30
Ist das Vorliegen von Markzutrittsschranken schon fraglich, ist
bei einer Abhilfemaßnahme die Untersagung des Zusammenschlusses nicht mehr gerechtfertigt. Wird durch den Zusammenschluss negatives Verhalten ermöglicht, verweist die
Kommission auf Art. 101, 102 AEUV166. Die Entstehung eines
Privateers wird also nicht verhindert.
Die Patenthäufung bei Unternehmen wie Google oder Apple
könnte aber deshalb nicht wünschenswert sein, da beispielweise der Kauf von Motorola durch Google hauptsächlich dazu
diente, Gegenklagen gegen Rockstar anzustrengen. Handelt es
sich dabei schon um unabhängiges Unternehmensverhalten,
muss sich die Bewertung der Fusion auf den dafür relevanten
Markt beziehen. Obwohl Google durch den Ankauf von Patenten nunmehr auch Smartphones herstellt und der Konzern als
solcher sich vergrößert, kann nur der Markt des SEPs berücksichtigt werden.
158
Zeise, Rn. 1468.
http://www.justice.gov/opa/pr/statement-department-justice-s-antitrustdivision-its-decision-close-its-investigations (abgerufen: 25.10.2014).
160
Komm., Leitlinien horizontale Zusammenschlüsse, 2004/C 31/03, Rn. 89
ff.; trotz Lockerungen bestehend: Zeise, Rn. 1476.
161
Komm., Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen, 2008/C 267/01, Rn.
15.
162
EUG, Slg. 1999, II-753 - Gencor/Kommission, Rn. 319.
163
Komm., Fn. 14, Rn. 9.
164
Komm., Fn. 156, Rn. 244 ff.
165
Camesasca/Langus/Neven/Treacy, J. Com. L. & Ec. 2013, 286.
166
Komm., Fn. 14, Rn. 111.
159
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Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus
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Ferner ist das Wohl des Verbrauchers Maßstab für die Beurteilung des Zusammenschlusses. Dem ordnet sich die Beurteilung des potenziellen Wettbewerbs unter167. Ein Zusammenschluss kann Qualität und Quantität der Innovationen fördern168. Dies wäre zum Wohle der Verbraucher. Damit werden
Zusammenschlüsse grundsätzlich nicht allzu restriktiv behandelt. Dies ist auch sachgerecht, da die Vorhersage künftiger
Marktverhältnisse schwer ist169. Gegen eine Erweiterung der
Befugnisse der Kommission zu restriktiveren Fusionskontrollen spricht auch die Vertragsfreiheit der Unternehmen i.S.v.
Art. 16 GRCh170.
E. Abschließende Betrachtungen
Grundidee des Patentschutzes ist, dem Erfinder eine angemessene Vergütung für seine Leistungen verschaffen. Auf die
Forschungs- und Entwicklungstätigkeit von Unternehmen
übertragen, soll durch die Möglichkeit zur Patentierung der
Innovation eine Refinanzierung gesichert werden.
Mit Standardsetzung aber wird zwischen konkurrierender
Technologie ausgewählt und somit deren Wettbewerb beendet.
Da die Implementierung von Standards für die Kaufentscheidung relevant ist, benötigen Unternehmen Lizenzen für die
SEPs. Dabei ist die Verwertung im Technologiepool wirtschaftlich sinnvoll. Jedoch kommt es zu ungewollter Ausnutzung dieser Privilegierung, wenn Wettbewerber ausgeschlossen werden oder alte Technologie gepoolt wird. Denn dann
verliert sich der Anreiz für Investitionen in Forschung und
Entwicklung, weil die Refinanzierung versperrt ist. Daher ist
die Freistellung eines Pools an wettbewerbsschützende Kriterien zu binden.
mit Hilfe der Durchsetzung von Verfahrensvorschriften über
die Freistellung des Standardisierungsverfahrens nach Art. 101
III AEUV bietet geringen Schutz. Dem Schutzzweck besonders
evident zuwider läuft die Abmahnstrategie eines Privateers,
welcher damit auf Verringerung des Substitutionswettbewerbs
zielt171. Neben stattfindender Wettbewerbsverzerrung erfolgt
durch das Patent keine Refinanzierung und nicht nur eine Verhinderung des Imitationswettbewerbs. Wegen Beweisfragen
und wegen fehlender Marktmacht eines Privateers ist Art. 101,
102 AEUV meist unanwendbar. Zwar könnte die Entstehung
über die FKVO reguliert werden. Ist dabei aber das Kontrollmittel schon fraglich, verhindern Abhilfeerklärungen die Anwendung von Art. 2 III FKVO. Eine Abhilfeerklärung abzugeben, ist aber reizvoll, da die Abmahnstrategie eines Privateers
auch mit nicht standardessentiellen Patenten gelingen kann.
Andererseits scheint sich dieses Strategie nicht durchzusetzen.
Zumindest zeigt der Ausverkauf aller Rockstar- Patente und
die Beruhigung der Patentkriege in eine andere Richtung.
Auf Standardpatente kann wegen Marktzutrittsschranken also grundsätzlich Kartellrecht angewandt werden. Eine Kontrolle von Offenlegungspflichten und Privateers unterbleibt. Über
die Freistellung ist ein geringes Maß an Kontrolle möglich.
Abgesehen von Ausnahmen kann das Kartellrecht damit nur
zur Kontrolle der Lizenzierung der Patente greifen und ist
damit ein Mittel zur Schadensbegrenzung.
Die Autorin war studentische Hilfskraft bei Herrn Prof. Dr. D.
Murswiek und ist derzeit am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München. Sie studiert Rechtswissenschaft und Geschichte (BA) an der Ludwig- MaximiliansUniversität München. Der vorliegende Beitrag entstand im
Rahmen der Seminararbeit im Schwerpunktbereich 3
(Wettbewerb, Geistiges Eigentum und Medienrecht) zum
Thema „Gebrauch und Missbrauch von Schutzrechten: Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus?“ im WS 2014/15.
Verläuft aber schon die Standardsetzung missbräuchlich, ist
zweifelhaft, ob sich die beste verfügbare Technik durchsetzt.
Kartellrechtlich bedenklich ist insbesondere der Patenthinterhalt; dieser fällt nicht unter Art. 102 AEUV. Die Prävention
167
Werden, Consumer welfare and competition policy, in:
Drexl/Kerber/Podszun (Hg.), Competition Policy and the Economic Approach,
Cheltenham/Northampton 2011, 11-43, 17; international: „total welfare“,
Evans, The consumer and competition policy: welfare, interest and engagement, in: Ezrachi (Hg.), Research Handbook on International Competition
Law, Cheltenham/Northampton 2012, 545-564, 547 ff.
168
Buss, The Impact of Technological Acquisitions to Innovation Quality, in:
Audretsch/Lehman/Link (Hg.), Technology Transfer in a global Economy,
Boston 2012, 143-184, 144; zurückhaltende Genehmigung bei Effizienzgewinn, Kokkoris, Merger control: substantive issues, in: Lianos/Geradin
(Hg.), Handbook on European Competition Law, Cheltenham/Northampton
2013, 516-560, 559.
169
Mackenrodt, IIC 2005, 116 f.
170
Jarass, Kommentar, 2. Aufl., München 2013, Art. 16 GRCh, Rn. 1; vgl.
Art. 2 I GG.
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171
Lamping, Innovationsförderung nach TRIPS, in: Hilty/Jeager/Lamping
(Hg.), Herausforderung Innovation, MPI Studies on Intellectual Property and
Competition Law Bd. 17, Heidelberg 2012, 119-143, 143.
ISSN: 1865-0015
31
Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus
32
Öffentliches Recht
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Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
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Herabsetzung der Geschäftsführervergütung analog § 87 AktG?
Ein Beitrag zur Corporate Governance in Kapitalgesellschaften
Philip Ridder
Die Gehälter von „Managern“ großer Unternehmen sind
seit langem ein Zankapfel. Im Jahre 2009 wurde die Regelung über die Vorstandsbezüge im Aktiengesetz reformiert; insbesondere wurden entscheidende Rechtsbegriffe in § 87 Abs. 2 AktG geändert, welcher in Krisenzeiten der Gesellschaft die Herabsetzung der Vergütung gebietet. Im GmbH-Gesetz fehlt eine Regelung der
Geschäftsleiterbezüge hingegen, obwohl in Notlagen der
GmbH ebenfalls ein Anpassungsbedürfnis entstehen
kann. Der Beitrag untersucht, wie im Recht der GmbH
eine Herabsetzung der Geschäftsführervergütung erreicht wird und ob insbesondere eine Analogie zu § 87
AktG neuer Fassung statthaft ist.
A. Einführung
Auch mehr als fünf Jahre nach Abschluss des MannesmannVerfahrens1 ist die Vergütung von „Managern“2 ständiger
Gegenstand einerseits der gesellschaftlichen, andererseits der
rechtswissenschaftlichen Diskussion.
Im gesellschaftlichen Bereich zeigt sich dies beispielsweise
an der in den Medien umstrittenen Jahresvergütung des
Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden Winterkorn, die für 2011
mit über 17 Millionen Euro deutlich über dem Durchschnitt
seiner Amtskollegen in den Dax-Gesellschaften lag (5,5 Millionen Euro) 3.
Andererseits spielt die Vergütung auch in der rechtswissenschaftlichen Corporate-Governance-Debatte eine wichtige
Rolle4. Wenn nach der optimalen Organisation der Leitung und
Überwachung eines Unternehmens gefragt wird, muss die
Entlohnung berücksichtigt werden, denn sie ist zumindest ein
maßgeblicher Anreiz für die erfolgreiche Ausübung leitender
Positionen.
Angefacht wurde die Diskussion durch Änderungen an § 87
AktG, die im Jahr 2009 durch das Gesetz zur Angemessenheit
der Vorstandsvergütung (VorstAG)5 erfolgten und insbesondere die Möglichkeit der nachträglichen Herabsetzung vereinbarter Vorstandsvergütungen betreffen, wenn sich die Lage der
Gesellschaft verschlechtert6. Es handelt sich um ein aktien-
rechtliches Institut, allerdings wird schon länger seine Wirkung
und gar entsprechende Anwendbarkeit auf die Gesellschaft mit
beschränkter Haftung (GmbH) diskutiert7. Diese Frage bildet
den Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung.
Zunächst sollen § 87 AktG und seine Wirkung für die Aktiengesellschaft (AG) aufgezeigt werden (unter B.), wobei hier
der Herabsetzungsmechanismus den Schwerpunkt der Darstellung bildet. Anschließend wird die Rechtslage zur Geschäftsführervergütung und ihrer Kürzung im GmbH-Recht erläutert
(unter C.). Erst das Verständnis beider Themenkomplexe erlaubt schließlich die Würdigung der Frage, ob § 87 II AktG für
die Herabsetzung der Vergütung eines GmbH-Geschäftsführers
analog anzuwenden ist (unter D.). Die Ausarbeitung schließt
mit einer Zusammenfassung in Thesenform (unter E.), in einem Anhang (unter F.) ist die Vorschrift des § 87 AktG in alter
und neuer Fassung wiedergegeben.
B. Regelungen des § 87 AktG für die
Aktiengesellschaft
In der AG ist der Aufsichtsrat für die Festsetzung der Vorstandsbezüge zuständig8. Mit dem Anstellungsvertrag verpflichtet er die Gesellschaft zu Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen, welches mittels der Anteile im Eigentum der
Aktionäre steht. Der Aufsichtsrat bindet also das Vermögen
der Aktionäre, ohne dass diese an der Entscheidung mitwirken.
Zudem reduziert er den Haftungsfonds, auf den die Gläubiger
der AG vertrauen.
Nicht nur in schlechten Zeiten der Gesellschaft birgt das Gefahren9. Es überrascht deshalb nicht, dass die Vorstandsvergütung gesetzlich geregelt wurde.
I. Zweck und Geschichte des § 87 AktG
Eine Regelung zur nachträglichen Herabsetzung der Vorstandsbezüge bestand seit dem AktG 193710 weitgehend unverändert bis 2009 (heute § 87 II AktG). Damals sollten nach
der Weltwirtschaftskrise „Riesengehälter“11 angepasst werden
können; man wollte die Aktionäre vor übermäßigem Kapitalabfluss schützen und für die Gläubiger einen ausreichenden
Haftungsfonds gewährleisten12. Zugleich wurden die Auf-
1
Ausführlich Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127 ff.
Darunter verstehen Tilch/Arloth, Dt. Rechts-Lexikon, S. 2791 „die Leitungsoder Führungspersonen von Unternehmen“.
3
S. Ankenbrand/Meck, F.A.S. 18.03.2010, S. 33 und Löhr, F.A.Z. 14.03.2012,
S. 16.
4
So auch Seibert, WM 2009, 1489 (1489) und Hopt, ZHR 175 (2011), 444
(489 f.) mwN.
5
Verabschiedet am 18. Juni 2009, verkündet am 4. August 2009 im BGBl. I S.
2509-2511 (Nr. 50).
6
§ 87 AktG wurde geändert durch Art. 1 Nr. 1 VorstAG. Auf die Änderungen
wird noch eingegangen.
2
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7
S. nur Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 241 + 218 (Stand 2007) sowie die
Nachweise in Teil D. dieser Ausarbeitung.
8
Dazu sogleich unter B. II.
9
S. nur Greven, BB 2009, 2154 (2154).
10
Damals § 78 II (nicht: 87) AktG 1937. S. Schlegelberger/Quassowski,
Aktiengesetz, § 78 Rn. 1 ff.
11
Begriff aus Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz, § 78 Rn. 1.
12
Hüffer, AktG, § 87 Rn. 1; auch Geßler, JW 1937, 497 (500).
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33
Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
sichtsräte zu einer generell angemessenen Festsetzung verpflichtet (§ 87 I AktG13).
II. Festsetzung der Vorstandsvergütung nach § 87 I
14
AktG n.F .
§ 87 I AktG greift in die Vertragsfreiheit hinsichtlich des Anstellungsvertrages des Vorstandsmitglieds ein15. Nach seinem
Wortlaut muss („hat“) der Aufsichtsrat16 die Gesamtbezüge der
einzelnen Vorstandsmitglieder so festsetzen, dass sie im Vergleich (1) zur Lage der Gesellschaft und (2) zu den Aufgaben
und Leistungen17 des Vorstandsmitglieds angemessen sind und
(3) die übliche Vergütung18 nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Nach Satz 419 gilt dies auch für die Versorgungsbezüge nach dem Ausscheiden.
Zusätzlich schreiben die durch das VorstAG neu eingefügten Sätze 2 und 3 für börsennotierte AGs die Ausrichtung der
Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung vor20.
Detaillierte Ausführungen zu Absatz 1 würden den Rahmen
dieser Ausarbeitung sprengen21. Ohnehin bestand schon vor
dem VorstAG Einigkeit darüber, dass für die Angemessenheit
der Vergütung alle für die Geschäftsleitung relevanten Aspekte
eine Rolle spielen22.
Angemerkt sei, dass angemessen nicht ein spezifischer Betrag, sondern eine „Bandbreite“23 zulässiger Vergütungen ist24.
Eine schlechte gesellschaftliche Lage muss dabei keine niedrige Vergütung erfordern, wenn nur durch attraktive Angebote
ein geeigneter Geschäftsleiter gefunden werden kann25.
III. Die nachträgliche Herabsetzung der Bezüge nach
§ 87 II AktG
Verschlechtert sich nach Festsetzung der Vergütung die Lage
der Gesellschaft so, dass die Weitergewährung der Gesamtbezüge unbillig für die Gesellschaft wäre, gibt § 87 II 1 n.F.
AktG dem Aufsichtsrat in einer Soll-Vorschrift auf, die Bezüge
so zu reduzieren, dass sie wieder angemessen sind. Hiervon
betroffen sind nach Satz 2 auch die Ruhebezüge, sofern die
Herabsetzung spätestens drei Jahre nach Ausscheiden des Vor13
Im AktG 1937 noch § 78 I.
Mit „a.F.“ wird die Fassung vor dem VorstAG, mit „n.F.“ die geänderte
Fassung bezeichnet.
15
S. die Begründung zum Regierungsentwurf des VorstAG, BT-Drs.
16/12278, S. 5.
16
Die zwingende und ausschließliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die
Vergütungsabrede, die Teil des Anstellungsvertrags ist, ergibt sich aus § 84 I 5
AktG. S. Spindler, DStR 2004, 36 (36) mwN; GroßkommAktG/Kort, § 87 Rn.
19 mwN.
17
Das Leistungskriterium wurde durch Art. 1 Nr. 1 lit. a) VorstAG neu eingefügt, s.a. BT-Drs. 16/12278, S. 5.
18
Die Üblichkeit war vor der Einfügung durch das VorstAG ein anerkannter
Gesichtspunkt der Angemessenheit, s. Peltzer, FS Lutter, 571 (575); Tegtmeier, Vorstandsvergütung, S. 278.
19
Dasselbe war vor der Änderung durch das VorstAG in Satz 2 geregelt.
20
Ausführlich Marsch-Barner, ZHR 175 (2011), 737 ff.
21
Ausführlich Bauer/Arnold, AG 2009, 717 ff.
22
Statt aller KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 14 mwN.
23
Wörtl. Zitat aus KölnKommAktG/Mertens/Cahn, aaO. S.a. Peltzer, FS
Lutter, 571 (577).
24
Und das ist ausreichend, s. Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155 (157).
25
Statt aller GroßkommAktG/Kort, § 87 Rn. 35 mwN.
14
34
Freilaw 1/2015
standsmitglieds erfolgt – sie wirkt aber freilich für die gesamte
Laufzeit26.
Nicht nur wegen der durch das VorstAG bewirkten Änderungen verdient dieser Mechanismus eine Analyse. Vorab
werden zur Verständniserleichterung systematische Probleme
beleuchtet.
1. Vertragsrechtliche und systematische Probleme
bei § 87 II AktG
Der Wissenschaft fällt es zu Recht nicht leicht, § 87 II AktG
mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen. Problematisch ist, dass der einseitige Eingriff der AG in die vertragliche
Vereinbarung zulasten des Vorstandsmitglieds27 eine Durchbrechung der grundsätzlichen Vertragstreuepflicht darstellt
(pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten) 28.
a) Rechtfertigung der Norm
Vielfach wird der Ausnahmecharakter der Norm betont29. § 87
II AktG a.F. wurde überwiegend als Spezialfall des Wegfalls
der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) gesehen,30 wobei § 313
BGB nach der Vertragsrisikolehre nicht unmittelbar anwendbar
ist31. Die Tatbestandsvoraussetzungen waren aber ähnlich:
Nach § 313 BGB kann bei wesentlicher Veränderung grundlegender Verhältnisse eine Partei die Vertragsanpassung durchsetzen, wenn der bisherige Vertrag für sie unzumutbar wird32.
§ 87 II AktG n.F. weist gegenüber der alten Fassung niedrigere Voraussetzungen auf. Zudem erfolgt die Reduzierung
weitergehend, als es für die Beseitigung der Unbilligkeit erforderlich wäre (nämlich auf das angemessene Maß)33. Schließlich handelt es sich nun um eine „Soll“-Vorschrift34. All dies
bewirkt gegenüber dem anerkannten § 313 BGB35 einen erhöhten Rechtfertigungsbedarf.
Ein verfassungsrechtliches Problem ergibt sich daraus, dass
die Vertragstreuepflicht über das Prinzip der Vertragsfreiheit,
deren „notwendiges Korrelat“36 sie ist, Grundrechtsschutz
genießt37. Weller rechtfertigt den erleichterten Eingriff des § 87
II AktG n.F. damit, dass erstens die Vertragsfreiheit eine
„normativ konstituierte Freiheit“38 sei, also nur „im Rahmen
der geltenden Gesetze“39 wirke und vom Gesetzgeber mal
stärker, mal schwächer ausgeformt werden dürfe. Zweitens
bedinge die Einordnung des Vorstandsvertrages als fremdinte26
Seibert, WM 2009, 1489 (1491).
Im Einzelnen dazu s. unter B. III. 3.
So auch DIHK, NZG 2009, 538 (539); Spindler/Stilz/Fleischer, § 87 Rn. 60;
KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 104.
29
S. nur Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688 (689); Menke F.A.Z.
02.09.2009, S. 21; Klöhn, ZGR 2012, 1 (5).
30
S. nur Spindler/Stilz/Fleischer, § 87 Rn. 60 mwN; GroßkommAktG/Kort, §
87 Rn. 73; ähnl. KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 94.
31
Kuntz, WM 2009, 1257 (1259 f.); ausführlich Weller, NZG 2010, 7 (8).
32
Zum Tatbestand des § 87 II AktG a.F. s. sogleich unter B. IV. 3.
33
So auch Thüsing, AG 2009, 517 (523); Klöhn, ZGR 2012, 1 (4).
34
Zu allem s. B. III. 3.
35
S. nur MünchKommBGB/Roth, § 313 Rn. 42.
36
Wörtl. Zitat aus Weller, Vertragstreue, S. 153. In der Sache auch schon
Soergel/Siebert/Schmidt, Vor § 241 Rn. 11.
37
BVerfGE 8, 274 (328) u. 72, 155 (170); BVerfG NJW 2006, 596 (598).
38
Wörtl. Zitat aus Weller, NZG 2010, 7 (9).
39
Wörtl. Zitat aus BVerfG NJW 1990, 1469 (1470).
27
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ressenwahrend eine gesteigerte Vertragstreuepflicht des Vorstandsmitglieds und eine schwächere der AG, sodass vorliegend eine vorstandsbenachteiligende Regelung – gerade wegen
vorstandsprivilegierender wie § 76 I und § 84 III AktG – sachgemäß sei40. Die „autonome Finanzierungsfähigkeit“41 der AG
müsse geschützt werden.
schlechterung und schwere Unbilligkeit52. Erst durch das VorstAG wurden zudem die Ruhebezüge der Herabsetzung unterworfen (Satz 2)53. Für die Rechtsfolgenseite ist bereits hier zu
beachten, dass aus der bloßen Berechtigung zur Herabsetzung
eine „Soll“-Vorschrift wurde. Nichts änderte sich dagegen an
den Sätzen 3 und 4.
Weller sieht somit § 87 II AktG n.F. als einen (systemkohärenten) Spezialfall des § 313 BGB an42. Andere sind der Ansicht, für die Geschäftsgrundlagenlehre greife § 87 II AktG
n.F. nunmehr zu früh und zu weitgehend ein, sodass die Norm
nur auf die organschaftliche Treuepflicht43 gestützt werden
könne44.
Die Auslegung der Vorschrift nach ihren Änderungen wird
ausgiebig diskutiert. Bislang erfolgte wegen des Eingriffs in
Vertragsrechtsprinzipien eine restriktive Auslegung54, § 87 II
AktG a.F. wurde mitunter als „äußerster Notbehelf“55 angesehen und manche attestierten ihm ein „Schattendasein“56.
Letztlich ist die Einordnung für die hier betrachtete Frage
nicht entscheidend – deutlich muss werden, dass es sich um
eine einschneidende Ausnahme des Vertragstreuegrundsatzes
handelt.
a) Verschlechterung der Lage der Gesellschaft
b) Einbeziehung der Ruhebezüge
Die bislang erforderliche wesentliche Verschlechterung der
Lage der AG lag erst vor, wenn ihre wirtschaftliche Existenz
unmittelbar bedroht war57. Zu denken ist beispielsweise an eine
drohende Insolvenz58. Selbst Personalabbau oder der Zwang
zur Veräußerung von Betriebsteilen reichten nicht aus59.
Als besonders problematisch gilt der Eingriff in die bereits
erdienten Ruhebezüge nach dem Ausscheiden45. Zwar kann
sowohl § 313 BGB schon erbrachte Leistungen einbeziehen46
als auch die organschaftliche Treuepflicht über die Amtszeit
hinauswirken47. Jedoch wird der erworbene Anspruch teils dem
Schutz von Art. 14 GG unterstellt,48 was hohe Rechtfertigungsanforderungen bedingt.
Das neue Merkmal wird als „unklarer und unschärfer“ kritisiert60. Eine Verschlechterung liegt schon bei einem Gewinnrückgang vor61. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll der Tatbestand zwar erst greifen, wenn die AG
„Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss und
keine Gewinne mehr ausschütten kann“62. Eine unmittelbare
Krise oder Insolvenz seien jedoch nicht erforderlich.
Die Diskussion um die Rolle des BetrAVG würde den
Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen49. Es muss jedoch der
besondere Ausnahmecharakter von § 87 II 2 AktG betont50 und
dies bei der Analogiefähigkeit der Regelung berücksichtigt
werden. Denn auf das Wohl der Gesellschaft hat der Betroffene
nach seinem Ausscheiden nicht nur keinen Einfluss mehr, er
kann auch nicht mehr wegen der Herabsetzung die Gesellschaft
wechseln51.
Angesichts der oben aufgezeigten Schärfe des Eingriffs in
Privatrechtsprinzipien ist eine weiterhin enge Auslegung überzeugend63. Damit ist zumindest eine „nicht nur vorübergehende, krisenhafte Situation“64 der Gesellschaft zu verlangen.
Stellenabbau in einer Sanierung65 etwa kann nicht ausreichen66.
Auf eine Zurechnung der Verschlechterung zum Vorstandshandeln kann es zudem nicht ankommen,67 denn § 87 II AktG
ist keine Straf- oder Ersatzvorschrift wie § 93 II 1 AktG68.
2. Tatbestand des § 87 II AktG
Die Tatbestandsmerkmale der neu gefassten Herabsetzungsvorschrift sind die Verschlechterung der Lage der AG sowie
eine daraus folgende Unbilligkeit der Weitergewährung der
vereinbarten Bezüge für die Gesellschaft. Beide Merkmale
wurden durch Art. 1 Nr. 1 lit. b) VorstAG modifiziert, verlangte die alte Fassung doch (strenger) eine wesentliche Ver40
Weller, NZG 2010, 7 (9 ff.).
Wörtl. Zitat aus Weller, NZG 2010, 7 (11 f.).
42
Weller, NZG 2010, 7 (12). So auch Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688
(691); Spindler/Stilz/Fleischer, § 87 Rn. 60.
43
Dazu s.u. C. I. 2. a)
44
Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (535); Henssler/Strohn/Dauner-Lieb, § 87
AktG Rn. 35 aE; Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1124).
45
S. nur DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612 (614 f.); Hohenstatt,
ZIP 2009, 1349 (1351).
46
Jauernig/Stadler, § 313 Rn. 27.
47
Dazu s.u. C. II. 2. d)
48
S. nur KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 94.
49
S. nur Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (729); Hohenstatt, ZIP 2009, 1349
(1353); dagegen Thüsing, AG 2009, 517 (523).
50
So zu Recht Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (544). Auch Weller, NZG 2010, 7
(11) sieht in § 87 II 2 AktG eine nur „noch vertretbare“ Norm.
51
So auch DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612 (614).
41
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52
S. nur die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 16/12278, S. 6.
Insoweit wird auf B. III. 1. b. verwiesen.
Diese vornehmend auch LG Essen NZG 2006, 356 f. und OLG Düsseldorf
ZIP 2004, 1850 ff.
55
Wörtl. Zitat aus Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (812).
56
Wörtl. Zitat aus Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688. Um § 87 II AktG
ging es aber immerhin in OLG Frankfurt WM 2011, 2226 ff.; LG Duisburg BB
1971, 145 f.; LG Essen NZG 2006, 356 f.; OLG Düsseldorf NZG 2004, 141
(142 f.).
57
LG Essen NZG 2006, 356 (356); Wagner/Wittgens, BB 2009, 906 (910);
Weisner/Kölling, NZG 2003, 465 (466).
58
S. Koch, WM 2010, 49 (53).
59
OLG Düsseldorf NZG 2004, 141 (142 f.); LG Essen NZG 2006, 356; Wagner/Wittgens, BB 2009, 906 (910).
60
So DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612 (613 Rn. 13).
61
So auch Diller, NZG 2009, 1006 (1006); vgl. Koch, WM 2010, 49 (50 f.).
62
BT-Drs. 16/12278, S. 6.
63
So auch Koch, WM 2010, 49 (51).
64
So Weppner, NZG 2010, 1056 (1056) (Wörtl. Zitat) mit Verweis auf Bauer/Arnold, AG 2009, 718 (725).
65
Sanierungsmaßnahmen können erforderlich sein und dürfen dem Vorstand
nicht automatisch zum Nachteil gereichen. S. Hohenstatt, ZIP 2009, 1349
(1352); Thüsing, Stellungnahme VorstAG, S. 8.
66
Diller, NZG 2009, 1006 (1006).
67
BT-Drs. 16/12278, S. 6 kann nur die Zurechnung zur allgemeinen
Vorstandsverantwortung während der Amtszeit meinen, s. Diller, NZG 2009,
1006 (1007); Bosse, BB 2009, 1650 (1651).
53
54
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Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
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b) Unbilligkeit der Weitergewährung für die
Gesellschaft
Wirkung gem. § 315 II BGB mit Zugang der Gestaltungserklärung eintritt76.
Nach der a.F. musste in der unveränderten Weitervergütung
eine schwere Unbilligkeit für die Gesellschaft liegen. Dies
verlangte ein „krasses, völlig unangemessenes Missverhältnis
zwischen der wirtschaftlichen Lage der AG und den Vorstandsgehältern“69.
Aus der Soll-Vorschrift folgt die grundsätzliche Pflicht des
Aufsichtsrats zur Herabsetzung, wenn nicht besondere Gründe
die Beibehaltung rechtfertigen77 - Ankündigungen eines unentbehrlichen Vorstandsmitglieds, bei Herabsetzung das Sonderkündigungsrecht (§ 87 II 4 AktG) auszuüben, können berücksichtigt werden78.
Auch hier ist es überzeugend, die neue Fassung eng auszulegen (s. schon oben). Es soll nicht schon unbillig sein, wenn
die Vergütung nicht mehr angemessen (§ 87 I 1 AktG) ist70 Die
bisherige Vergütung dürfe „unter Berücksichtigung der Situation der Gesellschaft und ihrer Arbeitnehmer […] nicht mehr
vertretbar“71 sein. Unbilligkeit ist zu verneinen, wenn durch
variable Vergütungsbestandteile schon eine weitgehende Beteiligung des Vorstandsmitglieds an der Gesellschaftslage eintritt72.
Bemerkenswert ist ein neuer Ansatz von Klöhn, der mit dem
Ziel des VorstAG argumentiert73 und § 87 II AktG n.F. „auch
als Norm zur Verhinderung von Fehlanreizen“74 ansieht. Er
betrachtet neben der Lage der Gesellschaft auch die nachhaltige Vergütungsstruktur (§ 87 I 2+3 AktG) als Geschäftsgrundlage und nimmt Unbilligkeit an, wenn die Vergütungsstruktur
nicht mehr nachhaltig ist.75 Demgegenüber lässt er jede Lageverschlechterung ausreichen, sie müsse jedoch dem Vorstandsmitglied zurechenbar sein.
Allerdings finden sich weder im Wortlaut noch den Materialien zum VorstAG Anhaltspunkte für einen derart starken Umbau der Tatbestandsstruktur; zudem vergisst Klöhn, dass die
Nachhaltigkeit zumindest dem Wortlaut nach nur für börsennotierte AGs gilt (§ 87 II AktG jedoch für alle AGs). Ihm wird
deshalb hier nicht gefolgt.
c) Ergebnis: Eingriffsschwelle weiterhin hoch
Insgesamt ist es überzeugend, den Tatbestand des § 87 II AktG
weiterhin eng zu handhaben. Der gesetzgeberischen Intention
ist es aber geschuldet, dass die Eingriffsschwelle gleichwohl
gegenüber der a.F. niedriger liegt.
Nach der alten Rechtslage durfte der Aufsichtsrat bei der
vorgeschriebenen „angemessenen Herabsetzung“ nur die Unbilligkeit beseitigen.79 In der Neufassung soll auf das angemessene Maß reduziert werden; der Aufsichtsrat kann dabei nur
innerhalb der Bandbreite angemessener Vergütungen wählen80.
Die Herabsetzung reicht damit neuerdings „einige Grade“
weiter81. Der Aufsichtsrat kann jedoch entscheiden, durch
Anpassung welcher Vergütungsbestandteile er die Angemessenheit erreicht82.
Bei Verstoß gegen § 87 II AktG haften die Aufsichtsratsmitglieder nach wie vor gem. §§ 116 S. 1, 93 II 1, I AktG83.
Die Einfügung des § 116 S. 3 AktG, der nur auf § 87 I AktG
verweist, sollte daran nichts ändern84.
IV. Abschließende Bemerkungen
Der Gesetzgeber hat in einem zügigen Gesetzgebungsverfahren
die Ausnahmevorschrift des § 87 II AktG deutlich geändert.
Den erhöhten Rechtfertigungsbedarf, der mit der erheblich
gesenkten Schwelle des Eingriffs in Vorstandsverträge einhergeht, fängt das Schrifttum mit einer auffällig restriktiven Auslegung des Tatbestands auf – nichts ändern kann die Wissenschaft dagegen an den strengeren Rechtsfolgen. Insgesamt ist
keineswegs alles beim Alten geblieben; die Einordnung und
dogmatische Legitimation der neuen Fassung bereiten zumindest Schwierigkeiten. Dies gilt besonders für die Einbeziehung
der Ruhebezüge.
„Klarer und schärfer“85 gestaltet sich ebenso wenig die neue
Norm wie der Umgang mit ihr.
3. Rechtsfolgen der Herabsetzung
C. Rechtslage zur Geschäftsführervergütung und
ihrer Herabsetzung im GmbH-Recht
§ 87 II AktG gewährt dem Aufsichtsrat ein einseitiges Gestaltungsrecht hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung, dessen
Anders als bei der AG besteht bei der GmbH grundsätzlich
keine Pflicht zur Einrichtung eines Aufsichtsrats86. Die organ-
76
68
Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688 (690); Wittuhn/Hamann, ZGR
2009, 847 (861).
69
Diller, NZG 2009, 1006 mit Verweis auf Wilsing/Kleißl, BB 2008, 2422
(2423).
70
Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (812).
71
Wörtl. Zitat aus Gaul/Janz, aaO. Seibert, WM 2009, 1489 (1490) verlangt
Unzumutbarkeit der Weiterzahlung.
72
Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (811).
73
Nach BT-Drs. 16/12278, S. 1 besteht dieses darin, „die Anreize in der
Vergütungsstruktur für Vorstandsmitglieder in Richtung einer nachhaltigen
und auf Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung zu stärken“.
74
Wörtl. Zitat aus Klöhn, ZGR 2012, 1 (34).
75
Klöhn, ZGR 2012, 1 (22).
36
S. zuletzt OLG Frankfurt, AG 2011, 790 (Rn. 50); auch Oetker, ZHR 175
(2011), 527 (537).
77
Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (540); Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (811).
78
Bosse, BB 2009, 1651; Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (727); im Ergebnis
auch Hohenstatt, ZIP 2009, 1349 (1352).
79
Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (539); ähnl. Spindler/Stilz/Fleischer, 1. Aufl.,
§ 87 Rn. 33.
80
Oetker, aaO.
81
Waldenberger/Kaufmann, BB 2010, 2257 (2261); Wittuhn/Hamann, ZGR
2009, 847 (865) mwN; Greven, BB 2009, 2154 (2155). Wörtl. Zitat aus Hdb.
VorstandsR/Thüsing, § 6 Rn. 32 aE.
82
Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (727).
83
Keiser, RdA 2010, 280 (281 f.); Diller, NZG 2009, 1006 (1009).
84
Angedeutet bereits in BT-Drs. 16/12278, S. 6; präziser Seibert, WM 2009,
1489 (1491); Fleischer, NZG 2009, 801 (804).
85
So sah die Bundesregierung die neue Fassung, BT-Drs. 16/12278, S. 6.
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Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
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schaftliche Bestellung und schuldrechtliche Anstellung der
Geschäftsführer werden von der Gesellschafterversammlung
vorgenommen (dazu unter I.), sodass die Anteilseigner Verpflichtungen auf die eigenen Anteile treffen. Zunächst wird
diese Ausgangskonstellation betrachtet (unter II. und III.).
Die Beschränkungen werden im Wesentlichen auf Treuepflichten gestützt,98 bei deren Verletzung Ersatzansprüche
drohen99.
Anschließend ist zu fragen, ob etwas anderes für GmbHs
mit fakultativem Aufsichtsrat (vgl. § 52 I GmbHG) oder solche
gilt, die nach Mitbestimmungsrecht einen Aufsichtsrat bilden
müssen (unter IV.).
Hierbei ist zwischen zwei Treuepflichten zu unterscheiden:
Der Treuepflicht der Gesellschafter und derjenigen der Organmitglieder100.
2. Beschränkungen aus Treuepflichten
a) Die organschaftliche Treuepflicht
I. Festsetzung der Geschäftsführervergütung
Das GmbH-Gesetz ist offener konzipiert87 als das AktG und
überlässt vieles der Autonomie des – oft überschaubaren88 –
Gesellschafterkreises. Es enthält keine Regelungen über die
Geschäftsführervergütung oder ihre Herabsetzung89. Lediglich
weist § 46 Nr. 5 GmbHG der Gesellschafterversammlung die
Zuständigkeit über die organschaftliche Bestellung der Geschäftsführer zu, woraus als Annexkompetenz auch diejenige
für Anstellungs- und Vergütungsfragen folgt90.
Eine unmittelbare Anwendung des § 87 AktG auf die GmbH
verbieten dagegen der Wortlaut der Norm („Vorstandsmitglieder“) und die Systematik (AktG)91.
1. Grenzen der Vertragsfreiheit
Die Vertragsfreiheit bei der Vergütungsvereinbarung erfährt
also zunächst nur die Grenze des § 138 BGB92.
Da bei Gesellschafterbeschlüssen interne Konflikte bestehen
können93 – etwa kann ein beherrschender Gesellschaftergeschäftsführer geneigt sein, sich mittels seiner Stimmenmehrheit
(s. § 47 I, II GmbHG) eine überhöhte Vergütung einzuräumen94 – wurden weitere Beschränkungen herausgearbeitet. So
müssen die Bezüge eines wesentlich beteiligten Gesellschaftergeschäftsführers bei einem Fremdvergleich angemessen95
erscheinen, wobei eine „umfassende Würdigung aller Umstände erforderlich“96 ist. Aber auch die Entlohnung eines Fremdgeschäftsführers darf nicht völlig überhöht sein97.
86
S. nur Ulmer/Raiser/Heermann, § 52 Rn. 1; Michalski/Heyder, § 52 Rn. 1.
Der Beirat bleibt im Folgenden außer Betracht.
87
Vgl. Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (536).
88
S. MünchKommGmbHG/Fleischer, Einl. Rn. 37.
89
So auch Wübbelsmann, GmbHR 2009, 988 (989); Bosse, BOARD 2011, 142
(143).
90
S. Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1122); Keiluweit, BB 2011, 1795
(1798) mwN.
91
So im Ergebnis auch Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 183.
92
Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner, § 35 Rn. 98 mwN.
93
So auch Fleischer, DStR 2005, 1279 (1281).
94
Ein Stimmverbot nach § 47 IV GmbHG greift hier noch nicht, s. MünchKommGmbHG/Drescher, § 47 Rn. 165 f. mwN.
95
Zuletzt BGH GmbHR 2008, 1092 (1094), s. schon BGHZ 111, 224 (227 f.);
BGH BB 1992, 1583 (1585). Auch die Ausschüttungssperre des § 30 I
GmbHG ist freilich zu beachten.
96
Wörtl. Zitat aus BGHZ 111, 224 (228).
97
So auch Mohr, GmbHR 2011, 402 (402); Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack,
§ 35 Rn. 183.
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Die Gesellschafter überantworten den Geschäftsführern die
Lenkung der GmbH und den Umgang mit dem Gesellschaftsvermögen. Die Gewährung so weitreichender Einwirkungsmöglichkeiten und Befugnisse101 kann nur aufgrund eines
erheblichen Vertrauens geschehen102.
Die Organmitglieder müssen deshalb besonders auf die
Wahrung der Gesellschaftsinteressen verpflichtet sein, damit
Konflikte mit eigenen oder Drittinteressen nicht der Gesellschaft zum Nachteil gereichen103. Daraus folgt eine organschaftliche Treuepflicht, nach der die Geschäftsleiter „in allen
Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren,
allein deren und nicht den eigenen Vorteil zu suchen“ haben104.
Damit ist auch das Anstellungsverhältnis erfasst105.
Die Bindung reicht allerdings nicht so weit, dass ein Geschäftsführer bereits bei der Aushandlung seines Anstellungsvertrages seine Interessen zurücknehmen muss106. Demnach
kann die organschaftliche Treuepflicht die obigen Einschränkungen nicht begründen, auf sie ist aber bei der Reduzierung
der Bezüge zurückzukommen.
b) Die gesellschaftliche Treuepflicht
Parallel besteht eine Treuepflicht der Gesellschafter untereinander und gegenüber der Gesellschaft107. Aus dem Zusammenschluss ergibt sich, dass die Gesellschafter die Gesellschaftsinteressen fördern und alles unterlassen müssen, was der
Erreichung des Gesellschaftszwecks zuwiderläuft108. Insbesondere ist auf die Interessen der Mitgesellschafter Rücksicht zu
nehmen109.
Diese Treuepflicht verbietet dem beherrschenden Gesellschaftergeschäftsführer, sich selbst eine unangemessene Vergütung zuzugestehen - sowie der Gesellschafterversammlung,
98
BGHZ 111, 224 (227); Mohr, GmbHR 2011, 402; LG Mainz NZG 2002,
918 (918).
99
Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, § 13 Rn. 82 ff.
100
So für die AG bereits Hüffer, AktG, § 84 Rn. 9 mwN; für die GmbH
Fleischer, WM 2003, 1045 (1047).
101
Münchener Hdb. GesR/Marsch-Barner/Diekmann § 45 Rn. 2.
102
BGHZ 13, 188 (192 f.) u. 20, 239 (246).
103
S. nur Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 38; Scholz/Schneider, §
43 Rn. 151 ff.
104
Wörtl. Zitat aus dem Leitsatz von BGH NJW 1986, 586.
105
Fleischer, WM 2003, 1045 (1946).
106
KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 5; Klöhn, ZGR 2012, 1 (30);
Fleischer, WM 2003, 1045 (1047).
107
Fleischer, WM 2003, 1045 (1047) mwN;
Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, § 13 Rn. 20.
108
Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, § 13 Rn. 21.
109
So letztlich auch BGHZ 65, 15 (18).
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37
Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
einem Fremdgeschäftsführer eine maßlos überhöhte Vergütung
zu zahlen.
II. Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Da auf den Grundtyp der GmbH § 87 AktG nicht unmittelbar anwendbar ist, kann keine Vergütungsherabsetzung mittels
Gestaltungserklärung erfolgen110. Eine Kürzung ist praktisch
nur durch einvernehmliche Änderung des Anstellungsvertrages
möglich111.
1. Anspruch auf Zustimmung zur vertraglichen Reduzierung
der Bezüge
Der 2. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschied allerdings 1992:
„Verschlechtern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft in wesentlichem Maße, so kann allerdings ein Organmitglied
aufgrund der von ihm als solchem geschuldeten Treuepflicht gehalten
sein, einer Herabsetzung seiner Bezüge zuzustimmen. Das Aktienrecht
sieht dies in § 87 Abs. 2 AktG für Vorstandsmitglieder ausdrücklich
vor. Für Geschäftsführer einer GmbH gilt unabhängig davon, ob und
in welchem Umfang sie an der Gesellschaft beteiligt sind, im Grundsatz nichts anderes112 ."
Für die wesentliche Verschlechterung wird überwiegend eine existenzgefährdende Notlage verlangt. Die Auszahlung der
Vergütung muss gerade Mittel in Anspruch nehmen, die für die
Gesellschaft überlebensnotwendig sind119.
Mehrheitlich wird verlangt, dass die Weitergewährung der
bisherigen Vergütung „besonders“ oder auch „schwer“ unbillig
erscheinen muss120. Nicht jede Lageverschlechterung gebietet
also eine Kürzung der Bezüge.
Unbilligkeit kann aber beispielsweise vorliegen, wenn zur
Bedienung von Verbindlichkeiten das Stammkapital der GmbH
angegriffen werden muss121. Andererseits wird mit Verweis auf
den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 I
InsO) argumentiert, das Überleben der Gesellschaft könne auch
schon vor Antastung des Stammkapitals gefährdet sein122.
b) Ähnlichkeit zu § 87 II AktG a.F.
Hier fallen bereits Ähnlichkeiten zu § 87 II AktG auf (Merkmale der wesentlichen Lageverschlechterung und schweren
Unbilligkeit); dies überrascht nicht, immerhin stellte der BGH
den Mechanismus auch in Anlehnung an die damalige Fassung
des § 87 II AktG fest.
Ohne zu einer Anwendbarkeit des § 87 II AktG (a.F.) Stellung zu nehmen, weist der Senat auf die Norm hin und stellt
die Zustimmungspflicht des Geschäftsführers aufgrund der
organschaftlichen Treuepflicht fest (im Folgenden: Treuepflicht). Der Senat beruft sich dabei auf das Schrifttum113. Der
Mechanismus wurde in der späteren Rechtsprechung bestätigt,114 zuletzt durch das OLG Düsseldorf im Dezember
2011115. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Literatur116.
c) Zumutbarkeit für den Geschäftsführer
Insgesamt bleibt es also bei der einverständlichen Vertragsanpassung. Die vom BGH festgestellte Zustimmungspflicht ist so zu deuten, dass die Gesellschaft bei Vorliegen der
Voraussetzungen wegen der Treuepflicht des Geschäftsführers
einen Anspruch aus § 242 BGB117 gegen diesen auf Abgabe
der erforderlichen Willenserklärung erlangt118.
d) Ruhebezüge
2. Voraussetzungen des Anspruchs
a) Wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse und schwere Unbilligkeit der Weitergewährung
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Zu beachten ist aber, dass überwiegend auch die Zumutbarkeit
der Herabsetzung für den Geschäftsführer verlangt wird123. Die
Herabsetzung darf dem Geschäftsleiter nicht die Lebensgrundlage nehmen und muss sich im Rahmen des Erforderlichen
halten, insbesondere also gegebenenfalls befristet oder rückgängig gemacht werden124.
Die Treuepflicht des Geschäftsführers wirkt anerkanntermaßen
über sein Anstellungsverhältnis hinaus125. Sie kann deshalb
auch eine Zustimmung zur Kürzung der Ruhebezüge im Rahmen der Erforderlichkeit gebieten, wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen126. Freilich müssen hierbei die Grenzen des BetrAVG eingehalten werden127.
3. Rechtsfolgenseite
Kommt der Geschäftsführer seiner Zustimmungspflicht
schuldhaft nicht nach, löst dieser Treuepflichtverstoß einen
110
Andererseits zur hohen Schwelle einer Änderungskündigung s. Lunk/Stolz,
NZA 2010, 121 (122 f.) mwN.
111
Anders, wenn vertraglich eine Anpassungsmöglichkeit vereinbart ist;
Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (122).
112
Wörtl. Zitat aus BGH BB 1992, 1583 (1585). Hervorhebungen vom Verfasser.
113
Erwähnt werden Fleck, FS Hilger/Stumpf, 197 (219); Scholz/Schneider, 7.
Aufl., § 35 Rn. 191; Lutter/Hommelhoff 13. Aufl., Anh. § 6 Rn. 34; Rowedder/Koppensteiner, 2. Aufl., § 35 Rn. 85.
114
S. nur OLG Naumburg GmbHR 2004, 423 (423). Für weitere Entscheidungen mit z.T. abweichenden Begründungen der Pflicht siehe unter D. I.
115
OLG Düsseldorf DStR 2012, 309 (313).
116
S. nur Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 241;
Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 187 mwN; Baeck/Götze/Arnold,
NZG 2009, 1121 (1124).
117
S. nur Ulmer/Paefgen, § 35 Rn. 237 mwN.
118
So schon Bauder, BB 1993, 369 (371); auch OLG Düsseldorf DStR 2012,
309 (313) mwN.
38
119
MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 325; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek,
Anh. § 6 Rn. 34a; OLG Naumburg GmbHR 2004, 423.
120
So auch Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 187 (mit dem Begriff
„schwer“); Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, Anh. § 6 Rn. 34a (mit dem Begriff
„besonders“).
121
So Bauder, BB 1993, 369 (370); OLG Naumburg GmbHR 2004, 423 (424).
122
Lindemann, GmbHR 2009, 737 (741); Ulmer/Paefgen, § 35 Rn. 193.
123
So Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 241; MünchKommGmbHG/Jaeger, §
35 Rn. 325; OLG Naumburg GmbHR 2004, 423 (424); Eingehend OLG Köln
NZG 2008, 637 (637).
124
MünchKommGmbHG/Jaeger, aaO.
125
Fleischer, WM 2003, 1045 (1058); BGH WM 1977, 194 (194).
126
Ulmer/Paefgen, § 35 Rn. 237; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (125).
127
S. dazu Lunk/Stolz, aaO; Ulmer/Paefgen, aaO.
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Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
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Schadensersatzanspruch aus128. Die Gesellschaft kann ihren
Anspruch auf Zustimmung zudem klageweise geltend machen.
Oetker stellt zutreffend fest, dass nach § 894 ZPO der Anstellungsvertrag erst mit Rechtskraft des Urteils geändert
wird129. Bis dahin hat der Geschäftsführer Anspruch auf die
ursprünglichen Bezüge. Diese können zwar als Schadensersatz
zurück zu gewähren sein; diesen muss die Gesellschaft aber
ebenfalls erst durchsetzen. Bis zur Rechtskraft kann längst
Insolvenz mit irreversiblen Folgen eingetreten sein.
Lunk/Stolz ist deshalb darin Recht zu geben, dass dem Vergütungsanspruch – soweit er nunmehr überhöht ist – die doloagit-Einrede130 entgegengehalten werden kann131. Es müssen
also nur noch die reduzierten Bezüge gezahlt werden132 .
III. Abweichungen für GmbHs mit Aufsichtsrat?
Fraglich ist, ob bei solchen GmbHs § 87 AktG unmittelbar gilt
und wer die Akteure der Kürzung sind.
1. Die GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat
Sieht der Gesellschaftsvertrag einen Aufsichtsrat vor, erklärt §
52 I GmbHG einige aktienrechtliche Vorschriften für anwendbar. Dazu gehört aber weder § 87 AktG noch § 84 AktG. Deshalb behält die Gesellschafterversammlung die Kompetenz in
Vergütungsfragen (s.o. unter C. I.)133.
Der Verweis des § 52 I GmbHG auf § 116 AktG ändert daran nichts, denn der neue § 116 S. 3 AktG setzt § 87 I AktG
voraus und begründet nicht seine Anwendbarkeit134.
Wird im Gesellschaftsvertrag die Zuständigkeit für Vergütungsfragen dem Aufsichtsrat zugewiesen (s. §§ 45 II, 46 Nr. 5
GmbHG), tritt dieser diesbezüglich schlicht an die Stelle der
Gesellschafterversammlung.
2. Die drittelmitbestimmte GmbH
Eine GmbH mit mehr als 500 Arbeitnehmern muss nach § 1 I
Nr. 3 DrittelbG einen Aufsichtsrat einrichten. Auch hier bleibt
die Gesellschafterversammlung für die Anstellung der Geschäftsführer zuständig, denn auch § 1 I Nr. 3 DrittelbG statuiert nichts anderes.
3. Die quasi-paritätisch mitbestimmte GmbH
Für GmbHs mit mehr als 2000 Arbeitnehmern ordnet § 1 I
MitbestG die Einrichtung eines Aufsichtsrats an; gemäß § 31 I
MitbestG, § 84 I AktG ist der Aufsichtsrat hier zwingend für
die Bestellung der Geschäftsführer und damit (kraft Annex128
Im Einzelnen Bauder, BB 1993, 369 (373); Lunk/Stolz, NZA 2010, 121
(125).
129
Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (532).
130
„Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est” – Danach ist es
rechtsmissbräuchlich (und mithin nach § 242 BGB unzulässig) etwas zu verlangen, das sofort wieder zurückzugewähren ist. S. nur Erman/Hohloch, § 242
Rn. 111.
131
Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (125).
132
So auch Wimmer, DStR 1997, 247 (249).
133
Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 46 Rn. 24; Greven, BB 2009, 2154 (2157).
134
Habersack, ZHR 174 (2010), 2 (6); Greven, BB 2009, 2154 (2157).
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kompetenz) auch für ihre Anstellung und Vergütung zuständig135. §§ 25 I Nr. 2, 31 I MitbestG verweisen jedoch wieder
nicht auf § 87 AktG, sodass dieser nicht direkt anwendbar
ist136. Der Aufsichtsrat muss aber bei Vergütungsentscheidungen wiederum an die Stelle der Gesellschafterversammlung
treten.
IV. Abschließende Bemerkungen
Auf die GmbH ist § 87 AktG nicht direkt anwendbar. Das
GmbH-Recht hat eigene Ansätze für die Schranken der Geschäftsleitervergütung entwickelt – für die Reduktion der Bezüge geschah dies aus der Kenntnis der aktienrechtlichen Lösung heraus. Die Mechanismen fußen nicht auf gesetzlicher
Regulierung, sondern auf Prinzipien des Privatrechts; im Folgenden ist gleichwohl auf die Rolle des Aktienrechts zurückzukommen.
D. Zur Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
analog § 87 II AktG
Wenn es um die Kürzung der Geschäftsführerbezüge geht,
wird im GmbH-Recht schon lange auf das kodifizierte Herabsetzungspendant im Aktienrecht geschielt:
I. Blick der GmbH-Rechtsprechung auf § 87 II AktG
Als sich der 2. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil aus dem
Jahr 1992 (s.o. unter C. II. 1.) wegen der Zustimmungspflicht
zwar auf die Treuepflicht der Organmitglieder gegenüber der
GmbH berief,137 wies er schon auf § 87 II AktG für die AG hin
und betonte, für GmbH-Geschäftsführer könne „im Grundsatz
nichts anderes“ gelten. 1995 sprach der BGH (zwar der 1.
Strafsenat) bereits – technisch ungenau – von einem „Anspruch
auf Herabsetzung“ aus „§ 242 BGB i. V. m. entsprechender
Anwendung von § 87 Abs. 2 AktG“138. Im Jahr 2004 nahm das
AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg schließlich die Möglichkeit
einer Zustimmungspflicht „analog § 87 Abs. 2 AktG“139 an,
eine Entscheidung darüber konnte im Fall jedoch dahinstehen.
Zuletzt nahm gar das OLG Köln im Jahr 2008 an, der Geschäftsführer könne „in entsprechender Anwendung des § 87 II
AktG verpflichtet sein, sein Gehalt zu reduzieren“140.
Zu beachten ist, dass stets die alte Fassung des § 87 II AktG
in Bezug genommen wurde. Dessen hohe Voraussetzungen
waren ähnlich wie die der Zustimmungspflicht aus der Treuepflicht (s. oben: wesentliche Lageverschlechterung und schwere Unbilligkeit der Weitergewährung; für die GmbH zusätzlich
Zumutbarkeit).
Jedoch wurde in den genannten Entscheidungen nur der
Tatbestand des § 87 II AktG für den GmbH-Sachverhalt herangezogen. Als Rechtsfolge stand immer eine Zustimmungspflicht im Raum, nie ein Gestaltungsrecht. Technisch ist dies
135
136
137
138
139
140
So bereits BGHZ 89, 48 sowie Greven, BB 2009, 2154 (2158) mwN.
So auch Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (127).
BGH BB 1992, 1583 (1585).
Wörtl. Zitate aus BGH GmbHR 1995, 654 (655).
Wörtl. Zitat aus AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg FPR 2004, 507 (508).
Wörtl. Zitat aus OLG Köln NZG 2008, 637 (637).
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39
Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
keine saubere Gesetzesanalogie;141 vielmehr dient danach § 87
II AktG nur als Auslegungshilfe für die Ausformung der Treuepflichtherabsetzung. Darauf ist im Folgenden noch einzugehen (E. I.). Zunächst soll allerdings aus Sicht des heutigen § 87
II AktG erörtert werden, ob eine analoge Anwendung auf die
Reduktion der Geschäftsführerbezüge geboten ist.
II. Voraussetzungen der Analogie
142
Die Gesetzesanalogie ist ein anerkanntes Instrument ergänzender Rechtsfindung143. Dafür müsste erstens im GmbH-Recht
eine ausfüllungsbedürftige, planwidrige Regelungslücke hinsichtlich der Herabsetzung von Geschäftsführervergütungen
vorliegen. Zweitens müsste die diesbezügliche Interessenlage
in der GmbH mit derjenigen vergleichbar sein, die § 87 II
AktG n.F. zugrunde liegt144.
1. Ausfüllungsbedürftige Regelungslücke
Das GmbHG trifft keine Regelungen zur Kürzung der Geschäftsführervergütung (s.o. unter C. I.). Die Vergütung ist
aber ein wichtiger Teil des Anstellungsverhältnisses, denn sie
ist Entgelt für die Leitungstätigkeit und wesentlicher Anreiz
dafür, das Amt zu übernehmen; zudem eine beachtliche Verpflichtung der GmbH. Es fehlt damit eine Regelung dort, wo
sie nach der Regelungsabsicht des Abschnitts über die GmbHGeschäftsführung zu erwarten wäre. Nach Larenz/Canaris
konstituiert dies eine Regelungslücke145.
Da die Vergütung sich aus dem Anstellungsvertrag ergibt,
könnte zwar nach Regelungen im Dienstvertragsrecht gesucht
werden. § 612 BGB befasst sich jedoch erstens nicht mit der
Anpassung der Vergütung; zweitens zeigt § 87 II im AktG,
dass durchaus eine Regelung bei den organschaftlichen Normen zu erwarten ist.
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b) Kein Analogiebedürfnis?
In der Tat ist mit dem Anspruch auf Zustimmung zur Kürzung
aus Treuepflichtgesichtspunkten ein Mittel zur Herabsetzung
der Geschäftsführerbezüge gefunden. Allerdings sind eine
Analogie zu § 87 II AktG und die Treuepflichtlösung sind
parallele Versuche, die Regelungslücke im GmbHG zu füllen.
Die Anwendung des einen kann dabei die des anderen nicht
kategorisch ausschließen. Denn wiese die erste Möglichkeit
Unzulänglichkeiten auf und stellte sich heraus, dass diese bei
der zweiten Möglichkeit nicht vorliegen, könnte nach der Auffassung der genannten Autoren nicht mehr korrigiert werden.
Ein solches Ergebnis könnte freilich nicht überzeugen.
Außerdem muss das Analogiebedürfnis jedenfalls soweit
noch bestehen, wie die Analogie über die Treuepflichtlösung
hinausreicht. Mithin kann dem Ansatz, das Analogiebedürfnis
entfalle von vornherein, nicht gefolgt werden.
Es verfängt dabei nicht, dass sich die Voraussetzungen des
Treuepflichtmechanismus nicht punktgenau verallgemeinern
lassen. Denn ähnliche Unsicherheit besteht bei § 87 II AktG
n.F. (s.o. unter B. III.). Ebenso gewährt die Treuepflichtlösung
zwar nur einen Zustimmungsanspruch, der aber durch die doloagit-Einrede ähnlich dem Gestaltungsrecht sofort wirkt151.
Über die Treuepflicht kann die Kürzung nur erzwungen
werden, soweit die Unbilligkeit reicht. Nach § 87 II AktG wird
dagegen – schärfer – gleich auf eine angemessene Gesamtvergütung herabgesetzt. Insoweit besteht also ein Analogiebedürfnis.
Letztlich durchgreifend ist der Einwand, dass die Eingriffsschwelle des § 87 II AktG n.F. nunmehr – wie oben gezeigt
(unter B. III. 2.) – niedriger liegt als beim GmbH-rechtlichen
Pendant.
a) Schließung der Lücke durch den
Treuepflichtmechanismus?
c) Zwischenergebnis: Regelungslücke und
Analogiebedürfnis bestehen
Gaul/Janz146, Oetker147 und Menke148 wenden ein, die Regelungslücke sei durch den Mechanismus der Zustimmungspflicht zur Herabsetzung von der Rechtsprechung beseitigt
worden149. Dies erscheint ungenau, denn die Lücke ist nur
„vom Standpunkt des Gesetzes“ zu beurteilen150 und liegt mithin vor. Jedoch lässt sich der Einwand dergestalt umformulieren, dass die genannten Autoren ein Analogiebedürfnis ablehnen: Wegen anderweitig existierender Mechanismen müsse
keine weitere Regelung getroffen werden.
Die Regelungslücke besteht. Sie wurde durch die Treuepflichtlösung nicht vollständig ausgefüllt, sodass das Analogiebedürfnis nicht entfällt.
Dieser Ansicht sind denn wohl auch Schneider152, MarschBarner/Diekmann153 und Raiser/Veil,154 wenn sie sich sogar
insgesamt für eine Analogie zu § 87 II AktG aussprechen.
Dennoch wenden auch sie dabei die Rechtsfolge der Norm
nicht an.
2. Planwidrigkeit
141
Auch Adrian, Methodenlehre, S. 903 erkennt: „Analogie ist die Zuordnung
einer Rechtsfolge […] zu einem anderen Tatbestand“. Hervorhebung vom
Verfasser.
142
Im Folgenden wird aus Platzgründen auf dogmatische Details der Analogie
nicht eingegangen. Soweit es auf solche ankommt, werden sie freilich im
Überblick dargelegt.
143
Bydlinski, Methodenlehre, S. 475; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202.
144
Zu den Analogievoraussetzungen s. nur BGHZ 149, 165 (174).
145
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 194.
146
Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959 (961).
147
Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (533).
148
Menke, F.A.Z. 02.09.2009, S. 21.
149
Zweifelnd auch Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1124 f.).
150
Wörtl. Zitat aus BGHZ 149, 165 (174).
40
Weiter ist zu fragen, ob es nach dem gesetzgeberischen Regelungsplan des GmbH-Gesetzes einer Regelung zur Herabsetzung der Geschäftsführervergütung bei Lageverschlechterung
bedürfte, so wie § 87 II AktG sie für die AG trifft155.
151
152
153
154
155
S. unter C. II. 3.
Scholz/Schneider, 9. Aufl., § 35 Rn. 191.
Münchener Hdb. GesR/Marsch-Barner/Diekmann, § 43 Rn. 24.
Raiser/Veil, KapitalgesellschaftsR, § 32 Rn. 50.
So im Ergebnis Bork, BGB AT, Rn. 144.
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Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
a) Ausgangspunkt
Zwar ist das GmbHG offen konzipiert, damit die Gesellschafter die innere Organisation der GmbH ihren Bedürfnissen anpassen können156. Trotzdem kann eine Vergütungsanpassung
an eine instabile Lage der GmbH nötig sein – diese hängt jedoch von der Zustimmung des Geschäftsführers ab. Es ist kein
Grund ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber hierfür absichtlich
keine Lösungsmöglichkeit vorgesehen haben sollte. Darauf
deutet auch historisch nichts hin, im Gegenteil galt die Reichsnotverordnung von 1931 sogar auch für GmbHs (s.u. unter 3.
a) ee) ). Traf der Gesetzgeber dagegen keine Regelung, um die
Klärung der Frage Wissenschaft und Rechtsprechung zu überlassen, kann das der Analogie gerade nicht schaden157. Nachdem sich auch im Dienstvertragsrecht nichts zur Herabsetzung
der Bezüge findet, ist die Regelungslücke im GmbHG als
planwidrig anzusehen158.
b) Gilt etwas anderes nach dem VorstAG?
Nach der Begründung zum VorstAG soll § 87 AktG n.F. gerade keine Anwendung auf die GmbH finden; auch nicht auf
GmbHs mit Aufsichtsrat über § 116 AktG159.
Mit Verweis auf den eindeutigen gesetzgeberischen Willen
lehnen auch Habersack160, Greven161, Jaeger162 und
Lunk/Stolz163 eine Analogie ab, obwohl sie teils eine Vergleichbarkeit der Interessenlage annehmen.
Wenn der Gesetzgeber sich eindeutig gegen eine Anwendbarkeit des § 87 AktG auf die GmbH ausspricht, dann beeinflusst dies zwar zunächst nicht die Regelungslücke im GmbHRecht – darf aber unter dem hier behandelten Prüfungspunkt
nicht unberücksichtigt bleiben.
c) Von der Planwidrigkeit zur Planmäßigkeit
Deshalb muss die ursprüngliche Planwidrigkeit zu einer Planmäßigkeit werden. Diese kann nur relativ wirken, da sie sich
nur aus einer gesetzgeberischen Äußerung zum Fall des § 87 II
AktG n.F. ergibt. Die Umdeutung rechtspolitischer Fehler in
eine planwidrige Regelungslücke ist unzulässig164. Der Gesetzgeber darf sachwidrige Gesetze erlassen; eine „Emanzipation
von dem Willen des Gesetzgebers“165 ist abzulehnen.
Damit ergibt sich, dass vor Erlass des VorstAG die Planwidrigkeit bejaht werden konnte166. Zu § 87 II AktG n.F. ist dies
156
Vgl. Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, S. 285.
Bork, BGB AT, Rn. 145.
Vgl. MünchKommGmbHG/Stephan/Tieves, aaO.
159
BT-Drs. 16/13433, S. 10. Bestätigend BMJ-Referatsleiter Seibert, WM
2009, 1489 (1490).
160
Habersack, ZHR 174 (2010), 2 (9).
161
Greven, BB 2009, 2154 (2158).
162
MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 324.
163
Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (126).
164
Dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 194; Adrian, Methodenlehre, S.
895.
165
Treffend erkennt dahingehende Bestrebungen (Wörtl. Zitat) Oetker, ZHR
175 (2011), 527 (529).
166
So wohl auch OLG Köln NZG 2008, 637 (637); Scholz/Schneider 9.Aufl.,
§ 35 Rn. 191; Münchener Hdb. GesR/Marsch-Barner/Diekmann § 43 Rn. 24.
157
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hingegen nicht mehr der Fall. Wegen der relativen Planmäßigkeit ist von der Analogie abzusehen.
3. Vergleichbarkeit der Interessenlage
Viele Stimmen gelangen nicht zu diesem Ergebnis, sodass die
Vergleichbarkeit der Interessenlage noch immer kontrovers
diskutiert wird. Diese soll auch mit Rücksicht auf die Lage zu
§ 87 II AktG a.F. erörtert werden, denn vor 2009 kam es darauf
entscheidend an.
Eine Gesetzesanalogie ist sachgemäß, wenn der in Frage
stehende Fall demjenigen ähnlich ist, den die Ausgangsnorm
nach ihrer ratio erfassen soll167. Denn die „Gleichbehandlung
des Gleichartigen“168 ist ein allgemeines Rechtsprinzip169.
Ähnlichkeit bedeutet, dass wesentliche Aspekte gleichgelagert
sind, wohingegen die Unterschiede als vernachlässigbar erscheinen170.
Fraglich ist also, ob der Fall, den § 87 II AktG regeln will,
in für § 87 II AktG gerade wesentlichen Merkmalen mit dem
Fall einer Reduzierung der Geschäftsführerbezüge übereinstimmt.
a) Bei der GmbH ohne Aufsichtsrat
Bei AG wie GmbH liegen Anstellungsverträge der Körperschaft mit ihren Geschäftsleitern vor, die zunächst dem Vertragstreuegrundsatz unterfallen. Darüber hinaus sind folgende
Gesichtspunkte relevant:
aa) Der GmbH-Geschäftsführer ist
weisungsgebunden
Döring/Grau171 konstatieren, dass die Gesellschafterversammlung ein Weisungsrecht (s. § 37 I GmbHG gegenüber § 76 I
AktG) gegenüber den Geschäftsführern hat und somit verhindern könne, dass schlechte Geschäfte abgeschlossen werden.
Sie erachten bereits dies als einen wesentlichen Unterschied
zur AG, der eine Analogie ausschließe172. Dem kann jedoch
nicht zugestimmt werden: § 87 II AktG soll gerade auch greifen, wenn unabhängig von einem Verschulden eine schlechtere
Lage eingetreten ist, beispielsweise wegen einer allgemeinen
Finanzmarktkrise (s.o. unter B. III. 2. a) ).
bb) Die GmbH ist häufig personalistisch geprägt
Der oft kleine GmbH-Gesellschafterkreis gegenüber zahllosen
Aktionären macht keinen wesentlichen Unterschied,173 denn in
beiden Fällen kann ein Geschäftsleiter Gehaltsreduzierungspläne zunächst blockieren. Es bedarf dann eines Herabset-
158
www.freilaw.de
167
S. Bydlinski, Methodenlehre, S. 475.
Wörtl. Zitat aus Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 195.
169
Soergel/Hefermehl, § 133 Anh. Rn. 13. S nur Art. 3 I GG.
170
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202.
171
Döring/Grau, DB 2009, 2139 (2141).
172
Nach Weller, NZG 2010, 7 (11) diene § 87 II AktG gerade der Kompensation der Vorstandsunabhängigkeit, sodass auch er die Vergleichbarkeit wohl
ablehnen würde. Dieser Aspekt ist jedoch eher als ein Gesichtspunkt bei der
dogmatischen Einordnung zu sehen.
173
So aber Döring/Grau, DB 2009, 2139 (2140 f.).
168
ISSN: 1865-0015
41
Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
zungsinstruments. Für eine freiwillige Kürzung der Bezüge ist
dagegen in beiden Fällen Raum.
cc) Öffentliches Interesse an der Anpassung der
Geschäftsleiterbezüge bei der AG
Schneider/Sethe174, Lindemann175 und Lunk/Stolz176 lehnen die
Analogie mit Hinweis auf ein bei der AG bestehendes öffentliches Interesse an der Reduzierung der Bezüge ab, welches bei
der GmbH nicht bestehe. Dies kann nur meinen, dass viele
große Gesellschaften (gerade Banken) als AG organisiert sind,
wohingegen viele GmbHs kleinere Unternehmen tragen.
Es mag zwar zutreffen, dass die Verschärfung zur Soll-Form
auch erfolgte, weil in der Finanzmarktkrise bei den durch Steuergelder geretteten AGs Empörung über unverändert hohe
Vorstandsbezüge aufkam177. Die Steuerzahler haben ein berechtigtes Interesse daran, dass alle Mittel ergriffen werden,
um die Belastung des Steuerhaushalts gering zu halten178.
Allerdings erfasst § 87 II AktG auch nichtbörsennotierte
AGs. Wübbelsmann konstatiert zutreffend, dass bei diesen kein
erhebliches öffentliches Interesse an der Anpassung der Bezüge bestehen kann,179 indem sie weder am öffentlichen Kapitalmarkt teilnehmen noch sonst von so großem wirtschaftlichem
Gewicht sind, dass sie einem öffentlichen Rettungsfonds unterfallen. Zugleich erscheint die Grenze zwischen nichtbörsennotierten AGs und besonders großen GmbHs nicht derart scharf,
dass hier eine Differenzierung geboten wäre180.
Dass bei vielen Anwendungsfällen des § 87 II AktG ein öffentliches Interesse mitschwingt, ist also nicht wesentlich.
dd) Gläubigerschutzwirkung des § 87 II AktG n.F.
Hinzuzufügen ist, dass die Gläubiger von GmbH und AG in
ihrem Vertrauen auf den Haftungsfonds vergleichbar schutzwürdig erscheinen. Auch die Ausschüttungssperren bei GmbH
und AG liegen ähnlich (§ 30 I 1 GmbHG; § 57 I 1 AktG).
ee) Gesetzgebungsgeschichte
Oetker bemerkt, dass die Herabsetzungsregelung in der Notverordnung von 1931 (s.o. unter B. I.) rechtsformneutral
galt181. Freilich enthielt die damalige Norm weder die erleichterten Eingriffsvoraussetzungen des § 87 II AktG n.F. noch den
Soll-Charakter.
174
Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 218.
Lindemann, GmbHR 2009, 737 (739).
176
Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (126).
177
Vgl. zur Ansicht der „Öffentlichkeit“ Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (717).
178
So auch Hopt, ZHR 175 (2011), 444 (491 f.).
179
Wübbelsmann, GmbHR 2009, 988 (990 f.).
180
Beispielsweise machte die Robert Bosch GmbH 2011 mit über 300.000
Beschäftigten einen Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro (s. den
Pressebereich der Unternehmenswebsite: www.bosch-presse.de). Die
nichtbörsennotierte Jowat AG produziert demgegenüber in Detmold mit rund
700 Beschäftigten Klebstoffe (s. Geschäftsbericht 2010 im Bundesanzeiger,
abrufbar unter www.unternehmensregister.de).
181
Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (532 f.).
Freilaw 1/2015
ff) Die Anteilseigner entscheiden über die
Geschäftsführervergütung
Döring/Grau182 und Wachter183 weisen weiter darauf hin, dass
in der AG ein Drittorgan über den vergütungsbedingten Kapitalabfluss entscheidet; in der GmbH ohne Aufsichtsrat tun dies
die Anteilseigner selbst. Die Autoren sehen hierin einen erheblichen Unterschied.
Zu § 87 II AktG a.F. wäre dies nicht von Belang, sondern
beträfe nur Absatz 1. Soweit § 87 II AktG nämlich eine (bloße)
Berechtigung zur Herabsetzung normiert, hat er nicht den
Zweck, vor einer schon anfangs unangemessenen Vergütung
zu schützen. Er geht vielmehr davon aus, dass eine angemessene Vergütung festgesetzt und diese wegen einer Lageverschlechterung angepasst werden muss184.
Der Einwand verfängt also in diesem Punkt nicht. Die Herabsetzungsvorschrift soll in Zeiten einer schlechten Lage der
Gesellschaft – gleich, wodurch diese verursacht wurde (s.o.
unter B. III. 2. a.) – die Gesellschaft, ihre Anteilseigner und
Gläubiger davor schützen, dass unangemessen viel Kapital als
Vergütung der Geschäftsleiter abfließt (s.o. unter B. I.) und
letztere nicht freiwillig ihre Bezüge anpassen. Diese Gefahr
besteht unabhängig davon, wer für die Vergütung zuständig ist
– und damit bei AG und GmbH gleichermaßen.
§ 87 II AktG wurde jedoch in eine Soll-Vorschrift geändert.
Dies spricht ein Risiko an, welches bei der GmbH ohne Aufsichtsrat nicht besteht: Passt trotz schlechter Lage der Aufsichtsrat die Bezüge nicht an, geschieht dies zum Nachteil von
Gesellschaft,
Aktionären
und
Gläubigern.
GmbHGesellschafter sind insoweit nicht schutzwürdig, da sie selbst
die Herabsetzung beschließen können185. Dass bei einer Weitergewährung überhöhter Bezüge dann die Gläubiger benachteiligt werden, kann diesen Unterschied nicht heilen. Ohnehin
können die Gesellschafter außerhalb des § 30 I GmbHG in
anderer Weise zum Nachteil der Gläubiger Kapital aus dem
Haftungsfonds abziehen.
Die Soll-Anweisung könnte höchstens unter Minderheitenschutzgesichtspunkten in der GmbH berechtigt sein, wenn der
beherrschende Gesellschaftergeschäftsführer davon abgehalten
werden muss, es unter Missbrauch seiner Mehrheit bei der zu
hohen Vergütung für sich selbst zu belassen. In dieser Konstellation liegen die Interessen ähnlich wie in der AG186.
Döring/Grau und Wachter ist damit grundsätzlich zuzustimmen. Eine Soll-Herabsetzungsvorschrift trifft in der GmbH
ohne Aufsichtsrat nicht auf eine Interessenlage, die derjenigen
bei der AG im Wesentlichen ähnelt. Anders liegt nur der Fall
des beherrschenden Gesellschaftergeschäftsführers.
175
42
gg) Niedrigere Eingriffsschwelle und weiterreichende
182
Döring/Grau, DB 2009, 2139 (2140 f.).
Wachter, GmbHR 2009, 953 (957).
Vgl. Henssler/Strohn/Dauner-Lieb, § 87 AktG Rn. 35; Hohenstatt, ZIP
2009, 1349 (1357).
185
Im Gegenteil wäre es überzogen, die GmbH grundsätzlich zur
Herabsetzung zu zwingen und sie dem Sonderkündigungsrecht (§ 87 II 4
AktG) auszusetzen.
186
Details zum Minderheitenschutz in der GmbH bleiben hier außer Betracht.
183
184
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Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
Rechtsfolge – Analogiefähigkeit des § 87 II AktG
n.F.?
Fraglich ist weiter, ob § 87 II AktG als Ausnahmevorschrift
(s.o. unter B. III. 1.) überhaupt analogiefähig ist. Bei solchen
sind erhöhte Anforderungen zu stellen: Eine Analogie ist entgegen einer weit verbreiteten Formel nicht ausgeschlossen,
aber „die Vergleichbarkeit muss […] gerade mit dem engeren
Zweck der Ausnahmevorschrift gegeben sein“187.
Zwar bestätigt die Entwicklung des Treuepflichtmechanismus, dass auch in der GmbH der nachträgliche Eingriff in
vertragliche Vergütungsvereinbarungen geboten sein kann.
Allerdings ist für die verschärften Parameter des § 87 II AktG
n.F. in der GmbH kein spezifisches Bedürfnis zu entdecken,
ihre Anwendung ohne gesetzliche Grundlage erscheint bedenklich188. Hinzu kommt, dass bei der Betrachtung unter B. III. 1.
selbst zum kodifizierten § 87 II AktG n.F. Bedenken verblieben.
hh) Fazit für die GmbH ohne Aufsichtsrat
Für die GmbH ohne Aufsichtsrat liegt hinsichtlich fast aller
Punkte Vergleichbarkeit vor. Allerdings zeigt der Charakter als
Soll-Vorschrift einen erheblichen Unterschied: Eine solche
Regelung ergibt nur in von einem Gesellschaftergeschäftsführer beherrschten GmbHs und in der AG Sinn. Da bei der Analogie Tatbestand und Rechtsfolge des § 87 II AktG angewandt
werden müssten189, ist die Vergleichbarkeit der Interessenlagen
bereits hier nur für die enge Konstellation zu bejahen, in der
Minderheitsgesellschafter geschützt werden müssen. Im Übrigen ginge es zu weit, eine grundsätzliche Reduzierungspflicht
zu statuieren.
Für alle GmbHs scheitert die Ähnlichkeit jedoch an den
niedrigeren Voraussetzungen des § 87 II AktG n.F. sowie der
ausgedehnten Höhe der Herabsetzung.
Nach § 87 II AktG a.F. lagen die Interessen hingegen vergleichbar, denn neben den höheren Anforderungen war Rechtsfolge nur eine Berechtigung zur Herabsetzung.
b) Bei der GmbH mit Aufsichtsrat
Ist der Aufsichtsrat nicht für die Vergütung zuständig, kann im
Ergebnis nichts anderes gelten. Der Aufsichtsrat spielt für die
Interessenlage dann keine Rolle.
In der MitbestG-mitbestimmten GmbH nimmt der Aufsichtsrat dagegen eine ähnliche Rolle ein wie in der AG190. Die
Soll-Vorschrift ist hier mithin sinnvoll.
auch in der mitbestimmten GmbH nichts dafür spricht, die
erleichterte Eingriffsschwelle und die erweiterte Herabsetzung
anzuwenden.
III. Gesamtergebnis
Insgesamt ist also eine Herabsetzung der Geschäftsführervergütung analog § 87 II AktG n.F. abzulehnen. Die Regelungslücke ist nicht mehr planwidrig; die Interessenlagen sind zwar
weitgehend vergleichbar, aber es verfangen elementar die
Verschärfungen in Tatbestand und Rechtsfolge. Mit leichten
Abweichungen gelangt man zu demselben Ergebnis für
GmbHs mit Aufsichtsrat und solche, die von einem Gesellschaftergeschäftsführer beherrscht sind. Vor 2009 wäre die
Analogie bei allen GmbHs jedoch möglich gewesen.
E. Zusammenfassung in Thesenform
§ 87 II AktG hat durch das VorstAG eine deutliche Verschärfung in Tatbestand und Rechtsfolge erfahren.
Die Herabsetzungsnorm ist weiterhin eng auszulegen, da sie
eine Ausnahme von dem elementaren Grundsatz der Vertragstreue darstellt und Bedenken ausgesetzt bleibt.
Eine direkte Anwendung des § 87 II AktG kommt auch für
GmbHs mit Aufsichtsrat nicht in Betracht.
Für GmbH-Geschäftsführer ist zu Recht anerkannt, dass sie
wegen ihrer organschaftlichen Treuepflicht verpflichtet sein
können, einer Reduzierung ihrer Bezüge durch Änderungsvertrag zuzustimmen. Die GmbH erhält dann einen entsprechenden Anspruch aus § 242 BGB.
Das GmbH-Gesetz weist eine Regelungslücke zur Vergütungsherabsetzung auf. Diese ist im Hinblick auf eine analoge
Anwendung von § 87 II AktG jedoch nach dem VorstAG nicht
mehr planwidrig. Die Analogie scheitert.
Die Interessenlage hinsichtlich der Vergütungskürzung ist in
GmbH und AG zwar weitgehend vergleichbar. Dies gilt jedoch
nicht für die erleichterten Eingriffsvoraussetzungen des § 87 II
AktG n.F. sowie seine Rechtsfolgenseite. Auch daran würde
die Analogie scheitern.
Nichts anderes gilt bei GmbHs mit Aufsichtsrat, insbesondere bei mitbestimmten GmbHs.
Die alte Fassung des § 87 II AktG konnte sowohl analog als
auch bloß konkretisierend im GmbH-Recht herangezogen
werden.
So nehmen denn auch Bosse191, Oetker192 und
Baeck/Götze/Arnold193 eine Analogie zu § 87 II AktG n.F. an.
Sie verkennen jedoch die mangelnde Planwidrigkeit und, dass
187
Wörtl. Zitat aus Larenz/Wolf, BGB AT, § 4 Rn. 80. So auch
Soergel/Hefermehl, § 133 Anh. Rn. 13.
188
S. nur Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (533).
189
Adrian, Methodenlehre, S. 903.
190
So auch MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 305.
191
Bosse, BOARD 2009, 142 (144).
192
Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (535 f.).
193
Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1124 f.).
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Freilaw 1/2015
ISSN: 1865-0015
Der Autor hat im Sommer 2014 die Erste juristische Prüfung
in Freiburg abgelegt und ist nun wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht
und Wirtschaftsrecht von Professor Dr. Barbara Grunewald,
Universität zu Köln. Dieser Artikel basiert auf einer Seminararbeit, die im Sommersemester 2012 im Rahmen eines
Seminars bei Professor Dr. Marc-Philippe Weller an der
Universität Freiburg verfasst wurde. Schrifttum und Rechtsprechung befinden sich noch auf diesem Stand; jedoch ist
die Gesetzeslage und, soweit ersichtlich, auch die höchstrichterliche Rechtsprechung bis heute unverändert.
43
Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung
Zivilrecht
F. Anhang:§ 87 AktG a.F. (bis 4.8.2009)
§ 87 AktG n.F. (seit 5.8.2009, nach VorstAG)
Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder
(1) 1Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge
des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen,
Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und
Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, daß die Gesamtbezüge in
einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des
Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. 2Dies gilt
sinngemäß für Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen
verwandter Art
(2) 1Tritt nach der Festsetzung eine so wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen der Gesellschaft ein, daß die
Weitergewährung der in Absatz 1 Satz 1 aufgeführten Bezüge eine
schwere Unbilligkeit für die Gesellschaft sein würde, so ist der
Aufsichtsrat, im Fall des § 85 Abs. 3 das Gericht auf Antrag des
Aufsichtsrats, zu einer angemessenen Herabsetzung berechtigt.
2Durch eine Herabsetzung wird der Anstellungsvertrag im übrigen
nicht berührt. 3Das Vorstandsmitglied kann jedoch seinen Anstellungsvertrag für den Schluß des nächsten Kalendervierteljahrs mit
einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen.
(3) Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und kündigt der Insolvenzverwalter den Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds, so kann es Ersatz für den Schaden, der
ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entsteht, nur für zwei
Jahre seit dem Ablauf des Dienstverhältnisses verlangen.
44
Freilaw 1/2015
Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder
(1) 1Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge
des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen,
Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen, anreizorientierte Vergütungszusagen wie zum Beispiel Aktienbezugsrechte
und Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, dass diese in einem
angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des
Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die
übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. 2Die
Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. 3Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage
haben; für außerordentliche Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine
Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren. 4Satz 1 gilt sinngemäß für
Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art.
(2) 1Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so, dass die Weitergewährung der Bezüge nach Absatz 1 unbillig für die Gesellschaft wäre, so soll der Aufsichtsrat oder im Falle des
§ 85 Absatz 3 das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats die Bezüge auf
die angemessene Höhe herabsetzen. 2Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art können nur in den
ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft nach Satz 1
herabgesetzt werden. 3Durch eine Herabsetzung wird der Anstellungsvertrag im übrigen nicht berührt. 4Das Vorstandsmitglied kann jedoch
seinen Anstellungsvertrag für den Schluß des nächsten Kalendervierteljahrs mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen.
(3) Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und kündigt der Insolvenzverwalter den Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds, so kann es Ersatz für den Schaden, der
ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entsteht, nur für zwei
Jahre seit dem Ablauf des Dienstverhältnisses verlangen.
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Egelhof, Feststellung des Jahresabschlusses
Zivilrecht
Freilaw 1/2015
Feststellung des Jahresabschlusses
durch rückwirkend beschlussunfähig gewordenen Aufsichtsrat
Julian M. Egelhof
1
Mit Urteil vom 19.2.2013 hat der BGH die Streitfrage, ob
die Lehre vom fehlerhaften Organ auf die Stimmabgabe
der Mitglieder des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft
anwendbar ist, verneint. Dies führt insbesondere dann zu
Rechtsunsicherheit, wenn der Aufsichtsrat nach Feststellung des Jahresabschlusses rückwirkend seine Beschlussfähigkeit durch wirksame Anfechtung der
Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung verliert. Nach
Ansicht des Verfassers können Gesellschaften dieser
Rechtsunsicherheit vorbeugen, indem sie Aufsichtsratsmitglieder, gegen deren Wahlbeschluss Anfechtungsklage erhoben wurde, analog § 104 Abs. 1 S. 1 AktG bis
zur nächsten Hauptversammlung gerichtlich bestellen
lassen.
A. Einführung
Die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrates erfolgt grundsätzlich2 durch Wahlbeschluss der Hauptversammlung gemäß
§ 101 Abs. 1 S. 1 AktG. Dieser Wahlbeschluss ist gemäß
§ 251 AktG anfechtbar, wenn er Beschlussmängel aufweist.
Die Anfechtung des Wahlbeschlusses erfolgt durch Anfechtungsklage gemäß §§ 246 Abs. 1, 251 Abs. 3 AktG. Gibt das
Gericht der Anfechtungsklage statt, erklärt es den Wahlbeschluss durch Urteil für nichtig3.
Die Nichtigerklärung entfaltet Rückwirkung, sodass der
Wahlbeschluss als von Anfang an (ex tunc) nichtig gilt. Zwar
lässt sich diese Rückwirkung dem Gesetzeswortlaut nicht unmittelbar entnehmen, doch stellt § 241 Nr. 5 AktG Hauptversammlungsbeschlüsse, die auf Anfechtungsklage durch Urteil
für nichtig erklärt worden sind, Hauptversammlungsbeschlüssen gleich, die schon qua Gesetz nichtig sind. Für letztere wiederum sieht der Wortlaut des § 241 HS 1 AktG die Nichtigkeit
ex tunc vor4.
Damit ist jedoch noch nicht geklärt, welche Auswirkungen
die Nichtigkeit des Wahlbeschlusses auf die Stimmabgabe des
betroffenen Mitglieds des Aufsichtsrats hat.
B. Auswirkung der wirksamen Anfechtung des
Wahlbeschlusses der Hautversammlung auf die
Stimmabgabe des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds
Grundsätzlich müsste die Rückwirkung der Nichtigkeit des
Wahlbeschluss dazu führen, dass der Betroffene niemals Mit1
II ZR 56/12, NJW 2013, 1535.
Die Satzung kann auch Entsendungsrechte vorsehen, § 101 Abs. 2 AktG.
3
Die bloße Erhebung der Anfechtungsklage zieht hingegen nach allg. M. keine
Rechtsfolgen nach sich, vgl. nur Bayer/Lieder NZG 2012, 1, 7 f; Lieder, GWR
2010, 552.
4
E. Vetter ZIP 2012, 701, 702; a.A. noch Würdinger, Aktienrecht und das
Recht der verbundenen Unternehmen 1981, S. 155.
2
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glied des Aufsichtsrates geworden ist und mithin auch niemals
wirksam seine Stimme bei Beschlussfassungen des Aufsichtsrates abgeben oder auch nur an Sitzungen des Aufsichtsrates
teilnehmen konnte. Nach dem gesetzlichen Regelfall besteht
der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern, § 95 S. 1 AktG; zugleich
ist gemäß § 108 Abs. 2 S. 3 AktG der Aufsichtsrat beschlussunfähig, wenn an der Beschlussfassung weniger als drei Mitglieder teilnehmen. Bliebe es vorbehaltlos bei der Rückwirkung der Nichtigkeit, würde im gesetzlichen Regelfall der
Aufsichtsrat bei erfolgreicher Anfechtung nur eines Wahlbeschlusses rückwirkend beschlussunfähig und hätte seit der
Wahl des betroffenen Mitglieds keinen wirksamen Beschluss
fassen können.
Es ist jedoch methodisch zulässig, die Rechtsfolgen der
Rückwirkung der Nichtigkeit teleologisch zu reduzieren, soweit sie auf gesellschaftsrechtliche Rechtsverhältnisse nicht
passen5. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Rechtsverhältnis aufgrund seiner vielfältigen Wirkungen nicht sinnvollerweise rückabgewickelt werden kann. So liegt es etwa bei
der anerkannten Rechtsfigur der fehlerhaften Gesellschaft6.
Eine ähnliche Problematik ergibt sich, wenn der Vorstand einer
AG oder Geschäftsführer einer GmbH zwar bestellt wurde,
aber der Bestellungsakt an Wirksamkeitsmängeln leidet. Wird
die Bestellung dennoch vollzogen, ist der Geschäftsleiter an
einer Vielzahl von Geschäften im Innen- oder Außenverhältnis
beteiligt, die kaum rückabzuwickeln sind7. Mithin können
Mängel bei der Berufung von Geschäftsleitern nur mit Wirkung für die Zukunft geltend gemacht werden; die vollzogene
Bestellung ist vorläufig wirksam8 („Lehre vom fehlerhaften
Organ“)9.
Diese Grundsätze könnten auf die Stimmabgabe des Aufsichtsrats übertragen werden. Das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahlbeschluss wirksam angefochten ist, verlöre dann zwar
ex tunc seine Amtsstellung, seine bisherige Stimmabgabe bliebe jedoch wirksam10. Davon wäre eine Ausnahme zu machen,
wenn – angelehnt an die funktional entsprechenden Grundsätze
der fehlerhaften Gesellschaft11 – eine Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses mit höherrangigen Interessen der Aktionäre an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gesellschaft
unvereinbar wäre12.
5
Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht 2002, S. 141; weitergehend Schultz NZG
1999, 89.
6
Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht 2002, S. 141.
7
Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände 2007, S. 268.
8
BGH, 6.4.1964, II ZR 75/62, NJW 1964, 1367.
9
Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände 2007, S. 268.
10
Happ, FS-Hüffer 2010, S. 293, 307.
11
Zu den entsprechenden Fallgruppen siehe Goette DStR 1996, 266.
12
Vgl. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände 2007, S.
290.
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45
Egelhof, Feststellung des Jahresabschlusses
Zivilrecht
Eine Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ auf den
Aufsichtsrat setzt jedoch voraus, dass Rückabwicklungsschwierigkeiten, wie sie in Bezug auf die fehlerhafte Bestellung von Geschäftsleitern bestehen, auch in Bezug auf die
Beschlussfassungen des Aufsichtsrates bestehen.
Gerade solche Rückabwicklungsschwierigkeiten hat der
BGH jüngst verneint13 und somit eine Anwendung der Lehre
vom fehlerhaften Organ auf die Stimmabgabe14 der Mitglieder
des Aufsichtsrates grundsätzlich abgelehnt. Vielmehr sei ein
Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahlbeschluss wirksam angefochten wurde, einem Nichtmitglied gleich zu achten: Rückabwicklungsschwierigkeiten bestünden insbesondere deshalb
nicht, weil Dritte, gegenüber denen Aufsichtsratsbeschlüsse im
Außenverhältnis vollzogen werden, schon nach Rechtsscheinrundsätzen ausreichend geschützt seien; der durch den Aufsichtsrat fehlerhaft bestellte Vorstand nach den Grundsätzen
der fehlerhaften Bestellung geschützt sei und die Nichtigerklärung der Wahl ohne Auswirkung auf Beschlussvorschläge des
Aufsichtsrates zur Beschlussfassung der Hauptversammlung
bliebe15.
Diese Argumentation des BGH ist in der Literatur auf Kritik
gestoßen16. Vorliegend soll jedoch nur auf die Folgen der
Nichtanwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ auf die
Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat
eingegangen werden.
C. Rechtsunsicherheit bei Feststellung des
Jahresabschlusses durch anfechtbar gewählte
Aufsichtsratsmitglieder
Gemäß § 172 S. 1 AktG ist der Jahresabschluss festgestellt,
wenn der Aufsichtsrat ihn billigt. Die Billigung erfolgt durch
Beschluss gemäß § 108 Abs. 1 AktG. Nach § 256 Abs. 2 AktG
ist der Jahresabschluss nichtig, wenn der Aufsichtsrat bei seiner Feststellung nicht ordnungsgemäß mitwirkt. Eine nicht
ordnungsgemäße Mitwirkung liegt vor, wenn der Beschluss
des Aufsichtsrates nicht ergangen ist17. Nicht ergangen ist der
Beschluss, wenn es an der erforderlichen Mehrheit fehlt oder
der Aufsichtsrat bei der Beschlussfassung nicht beschlussfähig
war. Deshalb müsste im gesetzlichen Regelfall der Besetzung
des Aufsichtsrates mit drei Mitgliedern (s.o.) die Nichtanwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ bei erfolgreicher Anfechtung des Wahlbeschlusses auch nur eines Mitglieds des
Aufsichtsrats zur rückwirkenden Nichtigkeit des Jahresabschlusses führen.
Davon abweichend lässt der BGH in seiner oben zitierten
Entscheidung ausdrücklich offen, „ob die Mitwirkung eines
lediglich anfechtbar gewählten Mitglieds, dessen Wahl bis zur
Nichtigerklärung als wirksam zu behandeln ist, überhaupt als
fehlerhafte Mitwirkung des Aufsichtsrates anzusehen ist“18.
13
BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1537 f.
Anwendbar ist die Lehre vom fehlerhaften Organ hinsichtlich der Pflichten,
Haftung und Vergütung des Aufsichtsrates; so bereits BGH, 3.7.2006, II ZR
151/04, NZG 2006, 712.
15
BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1537 f.
16
Vgl. statt vieler Cziupka/Pitz NJW 2013, 1539.
17
E. Vetter ZIP 2012, 701, 710 m.w.N.
18
BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1538.
14
46
Freilaw 1/2015
Dies weckt Zweifel an der dogmatischen Stringenz der Entscheidung: Entfaltet die Nichtigerklärung Wirkung für die
Vergangenheit, so kann es gerade nicht darauf ankommen, ob
die Wahl bis zur Nichtigerklärung wirksam war19. Anderenfalls
läge nur eine Nichtigkeit mit Wirkung für die Zukunft (ex
nunc) vor, doch gerade dies lehnt der BGH ausdrücklich ab20.
Mithin müsste bei stringenter Anwendung der dogmatischen
Grundsätze des BGH der Jahresabschluss in der hier diskutierten Konstellation nichtig sein21. Der Jahresabschluss ist gemäß
§ 174 AktG Grundlage der Gewinnverwendung. Seine Nichtigkeit hat nicht zuletzt deshalb komplexe Abwicklungsprobleme zur Folge. Folglich wäre schon wegen der Gefahr eines
nichtigen Jahresabschlusses eine Anwendung der Lehre vom
fehlerhaften Organ auf die Stimmabgabe des Aufsichtsrates
vorzugswürdig.
Darin läge auch keine Umgehung des § 256 Abs. 6 AktG,
der zum Schutz der Gesellschaft Spezialregelungen in Bezug
auf die Geltendmachung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses
enthält22. Denn erstens ist § 256 Abs. 6 AktG nicht auf die
Besonderheiten der fehlerhaften Aufsichtsratswahl zugeschnitten und insoweit nicht abschließend23. Zweitens verhilft die
Lehre vom fehlerhaften Organ nicht jedem Aufsichtsratsbeschluss zur Wirksamkeit (s.o.), sodass für § 256 Abs. 6 AktG
ein eigener Anwendungsbereich verbliebe.
Nach der Entscheidung des BGH verbleibt somit eine nicht
unerhebliche Rechtsunsicherheit, wenn Aufsichtsratsmitglieder, gegen deren Wahlbeschluss Anfechtungsklage erhoben
worden ist, an der Feststellung des Jahresabschlusses mitwirken und eine Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses der
Hauptversammlung den Feststellungsbeschluss des Aufsichtsrates rückwirkend beseitigt, im gesetzlichen Regelfall also
schon bei wirksamer Anfechtung nur eines Wahlbeschlusses24.
D. Gerichtliche Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder analog § 104 Abs. 1 S. 1 AktG
Für die Gesellschaften folgt daraus ein Bedürfnis nach der
Beseitigung dieser Rechtsunsicherheit. Nach hier vertretener
Auffassung ist es zulässig, Aufsichtsratsmitglieder, deren Wahl
durch
Erhebung
einer
Anfechtungsklage
gemäß
§ 251 Abs. 1 AktG
angefochten
ist,
analog
§ 104 Abs. 1 S. 1 AktG bis zur nächsten Hauptversammlung
gerichtlich bestellen zu lassen, ohne dass ihre Position im Aufsichtsrat zuvor vakant würde, wenn die erfolgreiche Anfechtung rückwirkend zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates
führte25. So wird die Mitgliedschaft der Betroffenen im Auf-
19
Vgl. Schürnbrand NZG 2013, 481, 482.
BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1537.
21
Vgl. Cziupka/Pitz NJW 2013, 1539.
22
A.A.BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1538.
23
Schürnbrand NZG 2013, 481, 482.
24
Unproblematisch ist freilich der Fall, in dem der Aufsichtsrat aus mehr als
drei Personen besteht und auch nach rückwirkendem Wegfall einer Stimme
genug Stimmen verbleiben, um den Feststellungsbeschluss zu tragen.
25
Dafür OLG München, 18.1.2006, 7 U 3729/05, BeckRS 2007, 04374;
Kocher NZG 2007, 372; Marsch-Barner FS-Karsten Schmidt 2009, 1120;
Schroeder/Pussar BB 2011, 1930; dagegen OLG Köln, 29.3.2007, 2 Wx 4/07,
WM 2007, 837; OLG Köln 23.2.2011, 2 Wx 41/11, NZG 2011, 508;
20
ISSN: 1865-0015
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Egelhof, Feststellung des Jahresabschlusses
Zivilrecht
sichtsrat für die Zukunft auf eine neue rechtliche Grundlage
gestellt und der Aufsichtsrat bleibt uneingeschränkt handlungsfähig, ohne dass eine außerordentliche Hauptversammlung
einberufen werden müsste.
Dem Wortlaut nach setzt § 104 Abs. 1 S. 1 AktG zunächst
voraus, dass dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder angehören,
als für die Beschlussfähigkeit erforderlich wären. Zwar entfällt
diese später rückwirkend, doch kann sich die Gesellschaft
freilich bei Stellung des Antrages darauf noch nicht berufen, da
andernfalls die Entscheidung des über die Anfechtungsklage
befindenden Gerichts gleichsam vorweggenommen würde.
Mithin scheidet eine direkte Anwendung der Norm aus. Eine analoge Anwendung ist jedoch statthaft, da in Bezug auf die
rückwirkende Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates eine
planwidrige Regelungslücke vorliegt und die Interessenlage bei
erhobener Anfechtungslage der Interessenlage bei aktueller
Handlungs- und Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrates entspricht.
Freilaw 1/2015
es sich insoweit bei den vorherigen Reformen des Beschlussmängelrechts lediglich um „erste Schritte“ handelt.31 Mithin
hat der Gesetzgeber die Regelungslücke nicht bestätigt.
Die Analogie scheitert auch nicht an einer vorrangigen Zuständigkeit des Gesetzgebers, die planwidrige Regelungslücke
zu schließen32. Denn aufgrund der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers ist es auch und gerade den Gerichten anheimgegeben, innerhalb der durch Art. 20 Abs. 2, 3 GG
vorgegebenen Schranken das Recht an veränderte Umstände
anzupassen33. Als veränderter Umstand, den der Gesetzgeber
zwar erkannt, aber auf den er nicht reagiert hat, kommt auch
die vermehrte missbräuchliche Erhebung von Anfechtungsklagen gegen die Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung durch
„räuberische Aktionäre“ 34 in Betracht.
Damit liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, die den
Weg einer analogen Anwendung des § 104 AktG auf Aufsichtsratsmitglieder, deren Wahl angefochten ist, eröffnet.
II. Vergleichbare Interessenlage
I. Planwidrige Regelungslücke
Eine Ergänzung des Aufsichtsrates durch gerichtliche Bestellung ist nur für den Fall der aktuellen Beschlussunfähigkeit des
Aufsichtsrates geregelt, nicht hingegen für den Fall, dass diese
rückwirkend entfällt. Diese Regelungslücke ist auch planwidrig.
Erstens ist schon aus den Gesetzesmaterialien nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Abfassung von § 104 AktG
an den Fall der rückwirkend wegfallenden Beschlussunfähigkeit gedacht hätte26. Zweitens ist § 104 AktG gerade darauf
gerichtet, die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrates zu sichern, sowie den Bestand und die Vollständigkeit des Aufsichtsrates sicherzustellen27. Vor dem Hintergrund
dieses gesetzgeberischen Plans wäre es sinnwidrig, eine gerichtliche Bestellung des Aufsichtsrates zuzulassen, wenn der
Aufsichtsrat gegenwärtig keinen Beschluss fassen kann, diese
Möglichkeit aber zu versagen, wenn absehbar ist, dass gefasste
Beschlüsse nach wirksamer Anfechtung rückwirkend als nicht
gefasst gelten werden.
Zwar könnte argumentiert werden, der Gesetzgeber habe an
der gegenwärtigen Fassung des § 104 AktG festgehalten, obwohl ihm die vorliegende Problematik bekannt sei und – etwa
im Rahmen des UMAG28 – Gelegenheit zur Änderung der
Rechtslage bestanden habe29. Doch kann von dieser Untätigkeit
des Gesetzgebers nicht auf eine planvolle Bestätigung der
Regelungslücke geschlossen werden. Vielmehr lässt der Gesetzgeber etwa in der Gesetzesbegründung des ARUG30 erkennen, dass er durch spätere Gesetzesentwürfe eine umfassende
Regelung des Beschlussmängelrechts zu schaffen gedenkt und
Hüffer/Hüffer § 104 AktG Rn. 6, 10. Auflage 2012; Schürnbrand, NZG 2013,
481, 484; offengelassen BayObLG, 9.7.2004, 3Z BR 99/04, ZIP 2004, 2190.
26
Kocher NZG 2007, 372, 373.
27
BayVerfGH, 24.8.2005, Vf. 80/VI-04, NZG 2006, 25, 26.
28
Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des
Anfechtungsrechts, BGBl. I 2005, 2802.
29
So OLG Köln, 29.3.2007, 2 Wx 4/07, WM 2007, 837, 838.
30
Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie, BGBl. I 2009, 2479.
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Die Interessenlage bei erhobener Anfechtungslage entspricht
der Interessenlage bei aktueller Handlungs- und Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrates, wenn die Nichtigerklärung durch
Anfechtungsurteil rückwirkend die Beschlussfähigkeit des
Aufsichtsrates beseitigt. Denn wie unter C. gezeigt, besteht
insbesondere im Falle der Mitwirkung anfechtbar gewählter
Aufsichtsratsmitglieder an der Feststellung des Jahresabschlusses ein besonderes Bestandsschutzinteresse der Gesellschaft.
Der Aufsichtsrat wäre andernfalls gezwungen, weitreichende
Beschlüsse zu fassen, über deren Bestandskraft Unklarheit
herrscht. Dies führt zu nicht hinnehmbarer Rechtsunsicherheit,
die geeignet ist, den Aufsichtsrat zu lähmen. Da die gerichtliche Bestellung nur vorläufig bis zur nächsten Hauptversammlung wirken soll, liegt ein schonender Interessenausgleich
zwischen dem Bestandsschutzinteresse der Gesellschaft und
dem Interesse des klagenden Aktionärs an der Gesetzmäßigkeit
der Verwaltung der Gesellschaft vor. Nicht zuletzt muss es
auch im Interesse des klagenden Aktionärs liegen, die Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrates zu erhalten.
E. Fazit
Der BGH lässt ausdrücklich offen, ob die Mitwirkung anfechtbar gewählter Aufsichtsratsmitglieder an der Feststellung des
Jahresabschlusses eine nicht ordnungsgemäße Mitwirkung des
Aufsichtsrates im Sinne von § 256 Abs. 2 AktG darstellt. Doch
bei stringenter Anwendung der dogmatischen Grundsätze des
BGH ist ein Jahresabschluss dann nichtig, wenn nach erfolgreicher Anfechtungsklage gegen den Wahlbeschluss eines
Aufsichtsratsmitgliedes der Beschluss des Aufsichtsrates über
die Feststellung des Jahresabschlusses entfällt. Dies ist im
gesetzlichen Regelfall des mit drei Personen besetzten Auf31
Vgl. Schroeder/Pussar BB 2011, 1930, 1933 f.
So aber OLG Köln 23.2.2011, 2 Wx 41/11, NZG 2011, 508.
33
BGH 14.12.2006, IX ZR 92/05, NJW 2007, 992, 994.
34
Zum Phänomen missbräuchlich erhobener Anfechtungsklagen durch räuberische Aktionäre oder Berufskläger vgl. Ehmann ZIP 2008, 584; Kiethe NZG
2004, 489; Paulus BB 2012, 1556.
32
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47
Egelhof, Feststellung des Jahresabschlusses
Zivilrecht
sichtsrates schon dann der Fall, wenn nur ein Wahlbeschluss
wirksam angefochten ist, da der Aufsichtsrat dann rückwirkend
beschlussunfähig wird. Gesellschaften können deshalb nach
hier vertretener Auffassung Aufsichtsratsmitglieder, gegen
deren Wahlbeschluss Anfechtungsklage erhoben wurde, bis zur
nächsten Hauptversammlung analog § 104 Abs. 1 S. 1 AktG
gerichtlich bestellen lassen.
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ISSN: 1865-0015
Freilaw 1/2015
Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre (Lehrstuhlinhaber StB Prof. Dr. Wolfgang Kessler). Dieser Artikel
beruht auf einem Kapitel einer im Sommersemester 2014
erstellten Arbeit im Rahmen des Seminars „Internationales
Unternehmensrecht und aktuelle Gesellschaftsrechtsdogmatik“ bei Prof. Dr. Marc-Philippe Weller.
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Zoth, Der Speyer-Report
Referendariat
Freilaw 1/2015
Der Speyer-Report
Peter Zoth
I. Einleitung
Die „Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften
(DUV)“ in Speyer bietet seit 1947 ein „Ergänzungsstudium“
für Rechtsreferendare an. Ca. 30.000 Juristinnen und Juristen
haben seitdem dieses Angebot genutzt. Die DUV wurde schon
unter den französischen Besatzungsmächten als „Deutsche
Hochschule für Verwaltungswissenschaften (DHV)“ gegründet. Heute wird sie vom Bund und den 16 Bundesländern getragen. Sie ist eine Postgraduierten-Universität. Das heißt, in
Speyer kann nur studieren, wer bereits einen Universitätsabschluss erworben hat.
Das Ergänzungsstudium dauert jeweils drei Monate und beginnt zum 1. Mai und 1. November des Jahres. Im WS
2014/2015 war ich einer von ca. 170 Referendaren, die sich
entschlossen, nach Speyer zu gehen. Speyer ist eine Stadt mit
49.000 Einwohnern im Süd-Osten von Rheinland-Pfalz. Sie ist
vor allem berühmt für den romanischen Speyrer Dom (UNESCO-Weltkulturerbe). Die S-Bahn verbindet Speyer mit Heidelberg (ca. 25 km Luftlinie), Mannheim (ca. 35 km) und
Karlsruhe (50 km). Auf dem Campus tummeln sich aber keineswegs nur Juristen. Die Uni Speyer bietet neben dem Ergänzungsstudium für Rechtsreferndare noch ein Magister-Studium
in Verwaltungswissenschaften, die Master-Studiengänge „Administrative Science“ und „Öffentliche Wirtschaft“ sowie den
neuen LL.M.-Studiengang „Staat und Verwaltung in Europa“
an. So entsteht eine bunte Mischung aus Juristen und anderen
Geisteswissenschaftlern.
II. Speyer ist, was du draus machst
An meinem Speyer-Semester hat mich vor allem das vielfältige
Angebot von fachlichen wie sozialen Veranstaltungen fasziniert. In Speyer wird großen Wert auf Eigenverantwortung
gelegt. Hier gilt das Credo: Speyer ist, was du draus machst!
An der DUV gibt es ein für Universitäten paradiesisches Betreuungsverhältnis: Auf ca. 300 Studierende kommen 17 Lehrstühle und etwa 65 Lehrbeauftrage. Ca. 100 Veranstaltungen
aus den Disziplinen Verwaltungswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaften sowie Sprachkurse standen für uns zur Wahl. Unter den
Kursen fand sich Klassisches wie auch Exotisches. So zum
Beispiel ein Seminar zum „Öffentlichen Dienstrecht“ wie auch
das „Leadership Training AMNE“ von Oberstleutnant a.D.
Rudolf Hartmann.
Um „Speyer“ erfolgreich zu absolvieren, mussten 20 Semesterwochenstunden belegt werden, davon ein „Seminar“ und
eine „Arbeitsgemeinschaft“. Ansonsten waren bei der Auswahl der Kurse der Phantasie des Einzelnen keine Grenzen
gesetzt.
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Als Seminar habe ich beispielsweise „Public Management“
bei Herrn Prof. Dr. Hermann Hill gewählt. In „Public Management“ beschäftigten wir uns mit der Frage, wie und ob
Ansätze aus dem modernen Management auf die öffentliche
Verwaltung übertragen werden können. Am Anfang war es
noch sehr ungewohnt, sich als Jurist auf wirtschaftswissenschaftliche Denkmuster einzulassen. Am Ende machte es aber
riesigen Spaß, die Konzepte mit den mehrheitlich nichtjuristischen Teilnehmern zu diskutieren.
In der Arbeitsgemeinschaft „Vertragsgestaltung im öffentlichen Baurecht“ erarbeiteten wir gemeinsam einen Vertragsentwurf für den Bau eines großen Einzelhandelsmarktes. Herr
RA Dr. Curt Jeromin gewährte uns dabei spannende Einblicke
in den Berufsalltag einen Rechtsanwaltes, welcher auf die
Vertragsverhandlungen zwischen Kommunen und privaten
Investoren spezialisiert ist.
Als Leistungsnachweis diente im Seminar eine schriftliche
Arbeit von 15 Seiten. In der Arbeitsgemeinschaft hielt ich
einen Vortrag über ein Urteil des EuGH zur Vergabe von Bauleistungen. Die an der DUV erworbenen Leistungen sind keineswegs nur auf die Verwaltungsstation beschränkt. Man kann
sich die erworbenen ECTS-Punkte auf ein späteres Magisteroder LL.M.-Studium in Speyer anrechnen lassen. So bietet sich
die Möglichkeit, nach dem Ende des Referendariats in einem
zweiten Speyer-Semester noch einen weiteren universitären
Abschluss zu erwerben. Da man selten unmittelbar nach dem
Referendariat gleich eine Stelle findet, sind so drei Monate
sinnvoll überbrückt.
Als besonders Angebot der DUV sind die Kurse zur Vorbereitung auf das Zweite Staatsexamen hervorzuheben. Sie sind
in ihrer Anzahl und Konzeption einmalig in Deutschland. Vergleichbares gibt es nur bei kommerziellen Repetitorien. In
Speyer kostenfrei.
Exemplarisch dafür steht der Kurs „Öffentliches Recht im
Assessorexamen“ von Herrn RiVG Roland Kintz. Herr Kintz
ist Autor des gleichnamigen Buches in der JuS-Schriftenreihe
und „Altmeister“ der Referendarausbildung. Er kennt sich im
Landesrecht aller 16 Bundesländer aus, sodass bei ihm keine
Frage offen blieb. Des Weiteren gibt es Übungen im Zivil-,
Straf- und Zwangsvollstreckungsrecht sowie eine Praxisübung
im Aktenvortrag, welche von erfahren Prüfern geleitet werden.
Zusätzlich hierzu verfügt die DUV Speyer über eine der größten Bibliotheken für öffentliches Recht in Deutschland. Hier
ist aktuelle fächerübergreifende Ausbildungsliteratur für
Rechtsreferendare verfügbar. „Speyer“ ist also nicht nur Party
fern von Examensvorbereitung und Berufsalltag, wie von manchen Nicht-Speyer-Absolventen behauptet wird! Von solchen
Vorurteilen sollte man sich nicht abhalten lassen, nach Speyer
zu gehen.
ISSN: 1865-0015
49
Zoth, Der Speyer-Report
Referendariat
Speyer lebt vom Engagement der Studierenden. Bei 300
zumeist unbekannten Gesichtern fiel es nicht schwer, neue
Kontakte zu knüpfen. Das vielbeschworene „Networking“
ergibt sich so fast von selbst. Die DUV bietet viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Die „Hörerschaft“ genannte Studierendenvertretung besteht neben dem Vorstand aus den Referaten Sport, Kultur, Integration, Almuni-Betreuung, Party, Medien, EDV und Bierbar. Hier ist für jeden etwas dabei. Weitere
kulturelle Angebote gab es durch die Hochschulseelsorge, wie
z.B. eine große Domführung und die Weinprobe mit Pfälzer
Essen. Der festliche Abschlussball ist das Highlight eines jeden
Speyer-Semesters.
III. Fazit und Organisatorisches
Wer seinem Referendariat neben Ausbilder, Akten und Arbeitsgemeinschaft Farbe verleihen möchte, ist in Speyer richtig. Die DUV bietet die Möglichkeit, sich fachlich weiterzubilden und auch in Bereiche vorzudringen, die für Juristen eher
ungewohnt sind. Gleichzeitig kommen an der DUV die Examensvorbereitung und auch das soziale Leben nicht zu kurz.
Einfach gesagt: Es lohnt sich!
DUV beim Ausbildungsleiter des Landgerichts anzuzeigen.
Zwar sind theoretisch die Plätze begrenzt. Praktisch standen sie
aber in den letzten Jahren immer ausreichend zur Verfügung.
Zur Unterbringung in Speyer kann man entweder die OnlinePrivatzimmerkartei der Universität konsultieren oder sich um
ein Zimmer in den beiden Wohnheimen Freiherr-vom-Stein
und Otto Mayer bewerben. Als Miete sind 280-350 Euro pro
Monat im möblierten Zimmer realistisch. In BadenWürttemberg erhält man für die Zeit in Speyer ein Trennungsgeld von insgesamt 450 Euro. Es empfiehlt sich auf jeden Fall,
ein Zimmer in Speyer oder Umgebung zu nehmen. An der
DUV gibt es einige Dozenten aus der Berufspraxis, die von
außerhalb anreisen. Die interessantesten Veranstaltungen finden daher meist abends statt. Ich selbst habe in Speyer in einer
WG mit zwei Referendaren aus Bremen und Mainz gelebt und
die Zeit dort sehr genossen. Weitere Informationen finden sich
auf www.dhv-speyer.de (sic). Demnächst soll ein Relaunch der
Homepage stattfinden.
Die Abordnung nach Speyer verläuft in Baden-Württemberg
unbürokratisch. Es ist ausreichend, den Entsendewunsch an die
50
Freilaw 1/2015
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Der Autor ist seit Oktober 2013 Rechtsreferendar am LG
Offenburg (Baden-Württemberg). Von November 2014 bis
Januar 2015 verbrachte er die Verwaltungsstation an der
Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften
(DUV) in Speyer.
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Krebs, Examensklausur
Öffentliches Recht
Freilaw 1/2015
Vom schwierigen Kampf gegen Grabsteine aus Kinderarbeit
Klaus Krebs
Die Klausur behandelt vor allem Fragen des Verwaltungsprozess- sowie des Kommunal- und Bestattungsrechts.
Entsprechend ihrem Schwierigkeitsgrad richtet sie sich
vor allem an Examenskandidaten. Die Klausur war in
wesentlichen Teilen Gegenstand des Probeexamens an
der Universität Freiburg im Sommersemester 2014.
Sachverhalt
Über zwei Drittel der Grabsteine, die auf deutschen Friedhöfen
aufgestellt werden, stammen ursprünglich aus Indien. Nach
Angaben der ILO, einer Sonderorganisation der Vereinten
Nationen, arbeiten weit mehr als 150.000 Kinder in der indischen Steinindustrie. Die Bedingungen, unter denen die Kinder
arbeiten, gelten als gefährlich.
In der baden-württembergischen Gemeinde K wurden zwischen November 2011 und September 2012 insgesamt 112
neue Grabmale errichtet. Davon wurden in 99 Fällen Grabsteine aus Indien verwendet.
S ist Inhaber eines in K ansässigen Steinmetzbetriebes. Die
Anfertigung und Errichtung von Grabmalen bildet den
Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit als Steinmetz; er hat
in der Vergangenheit Grabsteine auf den Friedhöfen in K aufgestellt und beabsichtigt dies auch zukünftig zu tun.
Unter dem drittletzten Tagesordnungspunkt der öffentlichen
Gemeinderatssitzung vom 12.9.2012 („TOP 12: Änderung der
Friedhofssatzung – neue Regelungen gegen Grabsteine aus
Kinderarbeit“) beschließt der Gemeinderat einstimmig die
neuen § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5, § 19 Nr. 1a der Friedhofssatzung (FS). Die so geänderte Friedhofssatzung wird ordnungsgemäß ausgefertigt und am 29.9.2012 im Amtsblatt der
Gemeinde bekannt gemacht.
S hält die neuen Vorschriften gegen Grabsteine aus Kinderarbeit aus mehreren Gründen für „grob rechtswidrig“. S lehnt
zwar jede Form der Kinderarbeit entschieden ab. Ihm sei jedoch nach eigenen Angaben „völlig unklar“, wie er den von
§ 13 Abs. 2 verlangten Nachweis führen soll. Er meint, dass es
derzeit keine verlässlichen Zertifizierungssysteme oder sonstige Nachweismöglichkeiten für Steinmetzbetriebe gebe, die
garantieren können, dass Grabsteine „frei von Kinderarbeit“
sind. Das trifft zu. Auch besteht derzeit keine allgemeine Verkehrsauffassung darüber, welche Zertifikate als vertrauenswürdig einzustufen sind. Vor diesem Hintergrund behauptet S,
dass ihn die neuen Vorschriften auch unverhältnismäßig in
seiner Geschäftstätigkeit beschränken.
Der seit Jahrzehnten für K tätige G, der sonst stets zuverlässig
arbeitet, ging fälschlich davon aus, dass die Ratssitzung, die
bereits um 16 Uhr begonnen hatte, zum Zeitpunkt der Schließung der Eingangstüre um 21 Uhr längst beendet sei. Der Bürgermeister B hat von dem Malheur erst erfahren, nachdem er
die Sitzung geschlossen hatte. Nur dank seines Generalschlüssels für alle Rathaustüren konnte er den ebenso erschöpften
wie von der verriegelten Türe überraschten Räten den Weg
nach Hause frei machen. S hält diesen Sitzungsverlauf „für ein
Zeugnis intransparenter Rathauspolitik“, die seine Rechte als
Gemeindeeinwohner verletze. Er habe schließlich noch um
21.05 Uhr vergeblich versucht der Gemeinderatssitzung als
Zuhörer beizuwohnen.
Ferner bemängelt S, dass die Bekämpfung von Kinderarbeit
nicht in erster Linie ein kommunales, sondern ein allgemeinpolitisches Thema sei. Den neuen Satzungsbestimmungen fehle
schließlich jeglicher Hinweis auf eine Ermächtigungsnorm im
Landesgesetz. Eine Ermächtigungsgrundlage, die es der Gemeinde erlaube, seine beruflichen Freiheiten durch Satzungsrecht zu beschneiden, gebe es ohnehin nicht.
K räumt ein, in dem Beschluss über die neuen Vorschriften
keine Angaben zur gemeindlichen Normsetzungsbefugnis
gemacht zu haben. Das sei jedoch unschädlich, da sie als Gemeinde beim Erlass von Satzungen nicht jedes Mal die Gesetzesvorschrift nennen müsse, die sie zum Erlass der jeweiligen
Satzung ermächtige. Sie ist sich zudem sicher, dass es eine
entsprechende Satzungsermächtigung mittlerweile gibt, da der
Landtag von Baden-Württemberg das Bestattungsgesetz erst
kürzlich reformiert habe.
Auch S meint sich zu erinnern, von einer solchen Gesetzesänderung im Jahr 2012 gehört zu haben, er bezweifelt jedoch,
dass Bundesländer Gesetze erlassen dürfen, die Importe aus
Indien und damit den ausländischen Warenverkehr betreffen.
Die Länder dürften vielleicht noch das Friedhofswesen reglementieren, aber doch nicht das Recht der Wirtschaft und das
Recht des Handwerks.
Der Rechtsanwalt des S stellt am 16.9.2012 beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einen Normenkontrollantrag gegen § 13 Abs. 2 und § 19 Nr. 1a der Friedhofssatzung von K in der Fassung der Änderungssatzung vom
12.9.2012. Als Antragsgegnerin bezeichnet er K.
Zudem seien die neuen Satzungsvorschriften auch deshalb
fehlerhaft, weil – wie sich zwischenzeitlich tatsächlich herausgestellt hat – der Gemeindebedienstete G kurz nach Aufruf von
TOP 13 den einzigen Zugang zu dem Ratssaal, in dem die
Gemeinderatssitzung am 12.9.2014 stattfand, verschlossen hat.
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51
Krebs, Examensklausur
Öffentliches Recht
Freilaw 1/2015
Aufgabe
Prüfen Sie in einem Gutachten, das – ggf. hilfsgutachterlich –
auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, ob der Antrag
des S Aussicht auf Erfolg hat.
Bearbeitungshinweise:
Der Bund hat bislang keine Vorschriften erlassen, wonach
Steinmetze bestimmte Produkte wegen ihres Herstellungsprozesses nicht oder jedenfalls nicht für bestimmte Zwecke verwenden dürfen.
Auf Europa- und Völkerrecht ist nicht einzugehen.
Nach der Friedhofssatzung von K (§ 35 Abs. 1) bedarf die
Errichtung, Wiederverwendung und jede Veränderung eines
Grabmals der vorherigen schriftlichen Genehmigung durch die
Friedhofsverwaltung.
Auszüge von § 13 und § 19 der Friedhofssatzung von K in
der Fassung der Änderungssatzung vom 12.9.2012:
㤠13 Allgemeine Gestaltungsvorschriften
Grabmale und sonstige Grabausstattungen müssen der Würde des
Ortes entsprechen.
1
Für Grabmale und sonstige Grabausstattungen dürfen nur Naturstein, Holz, Schmiedeeisen, Bronze, Stahl, bruchsicheres Glas oder
Hartplastik verwendet werden.2 Es dürfen nur Grabsteine verwendet
werden, die nachweislich aus fairem Handel stammen und ohne
ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt sind. 3Bei Steinen, die
ausschließlich aus Deutschland
oder dem
Europäischen
Wirtschaftsraum stammen, reicht der Nachweis der ausschließlichen
Herkunft aus diesen Ländern.4 Im Übrigen wird der Nachweis in der
Regel durch ein vertrauenswürdiges, allgemein anerkanntes Zertifikat
erbracht.5 Die zuständige Friedhofsverwaltung führt und aktualisiert
fortlaufend ein Verzeichnis der vertrauenswürdigen Zertifikate und
hält dieses zur Einsicht der Friedhofsbenutzer, die ein Grabmal
aufstellen wollen, und ihrer bevollmächtigten Beauftragten bereit.
§ 19 Ordnungswidrigkeiten
Ordnungswidrig im Sinne von § 49 Abs. 3 Nr. 2 BestattG BW handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig (…)
1a. entgegen § 13 Absatz 2 Satz 4 Grabsteine ohne Zertifizierung
aufstellt, (…).“
52
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Krebs, Examensklausur
Lösungsvorschlag
Öffentliches Recht
1
Der Antrag des S hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und
begründet ist.
A. Zulässigkeit des Antrags
Der Antrag ist zulässig, wenn alle für eine Sachentscheidung
notwendigen Voraussetzungen vorliegen.
I. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
(§§ 47 Abs. 1, 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
Alle angegriffenen Vorschriften der Friedhofssatzung von K
in der Fassung der Änderungssatzung vom 12.9.2012 (im Folgenden kurz: FS) sind Normen des öffentlichen Rechts. Sie
weisen indes einen gemischten Inhalt auf. Während sich aus
dem Vollzug von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS im Einzelfall auch öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ergeben können, insbesondere solche um die
Genehmigung nach § 35 Abs. 1 FS, können gegen auf
§ 19 Nr. 1a FS iVm. § 49 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 BestattG BW
gestützte Bußgeldbescheide der Verwaltungsbehörde nach § 68
OWiG allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden. Da
die Anwendung von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS zu Verfahren vor den Verwaltungsgerichten führen können, ist der
Rechtsweg zum VGH BW insoweit eröffnet. Da der Vollzug
der Ordnungswidrigkeitsbestimmung in § 19 Nr. 1a FS demgegenüber nicht zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten i.S.d.
§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO führen kann, scheidet eine Kontrolle
dieser Vorschrift durch den VGH BW aus.3
Wesentliche Teile des Falles basieren vor allem auf der Entscheidung VGH
BW, Urteil v. 29.4.2012, Az. 1 S 1458/12 (nach Abschluss der Arbeiten an
dieser Klausur wurde dieses Urteil abgedruckt in VBlBW 2014, 462 ff.), sowie
den Entscheidungen BVerwG, BVerwGE 148, 133; BVerwG, LKV 2010, 509;
BayVerfGH, NVwZ-RR 2012, 50; BayVGH, BayVBl., 2009, 367 und OVG
Koblenz, NVwZ-RR 2009, 394; vgl. zu dieser Fallkonstellation nach hessischem Landesrecht jüngst Winkler, LKRZ 2015, 41 ff.
1
Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, VwR, 3. Aufl. 2013, § 47 VwGO Rn. 23
m.w.N.
2
VGH BW, VBlBW 1983, 302; zu weiteren Begründungen Unruh (Fn. 2),
§ 47 VwGO Rn. 22.
3
Diesem Ergebnis könnte noch entgegenstehen, dass sich die Feststellung der
Ungültigkeit von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS auch auf Bußgeldbescheide
auf der Grundlage des § 19 Nr. 1a FS auswirken würde, das Normenwww.freilaw.de
Deshalb ist der Normenkontrollantrag insoweit unzulässig,
als er sich gegen § 19 Nr. 1a FS richtet. Insbesondere kommt
auch keine Verweisung des Antrags an die ordentlichen Gerichte nach § 173 VwGO iVm. § 17a, § 17b GVG in Betracht,
da für Bußgeldsachen nach §§ 68 ff. OWiG keine abstrakte
Normenkontrolle vorgesehen ist.
2. Zuständigkeit
Für Normenkontrollen nach § 47 Abs. 1 VwGO ist in BadenWürttemberg ausschließlich der VGH BW mit Sitz in Mannheim zuständig.
3. Beteiligungsfähigkeit (§§ 47 Abs. 2 VwGO)
Nach § 47 Abs. 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht, das in Baden-Württemberg gem. § 184 VwGO,
§ 1 Abs. 1 AGVwGO die Bezeichnung „Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg“ (VGH BW) führt, „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“. Das setzt zum einen voraus, dass die zu
kontrollierenden Normen dem öffentlichen Recht angehören;
zum anderen müssen sich aus der Anwendung der angegriffenen Rechtsvorschriften Rechtsstreitigkeiten ergeben können,
für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1
Satz 1 VwGO eröffnet ist.1 Letztere Beschränkung der gerichtlichen Kontrollbefugnis soll vor allem verhindern, dass Oberverwaltungsgerichte die Gerichte anderer Gerichtszweige für
Streitigkeiten präjudizieren, für deren Entscheidung im Einzelfall letztere ausschließlich zuständig sind.2
1
Freilaw 1/2015
Die Beteiligungsfähigkeit richtet sich primär nach
§ 47 Abs. 2 VwGO; § 61 VwGO kommt nur subsidiär zur
Anwendung.4 S ist als natürliche Person gem.
§ 47 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 VwGO beteiligungsfähig. Beteiligungsfähig als Antragsgegner ist die Gebietskörperschaft K
(§ 1 Abs. 4 GemO BW)
gem.
§ 47 Abs. 2 Satz 2 Var.
1 VwGO.
4. Prozess- und Postulationsfähigkeit
(§§ 62 Abs. 1 , Abs. 3, 67 Abs. 1 VwGO)
S ist gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Vor dem
VGH BW muss er sich gem. § 67 Abs. 4 VwGO durch einen
Prozessbevollmächtigten – dazu zählen Rechtsanwälte
(§ 67 Abs. 4 Satz 3 iVm. Abs. 2 Satz 1 VwGO) – vertreten
lassen. S hat dies bei der Antragsstellung berücksichtigt.
Als ihr gesetzlicher Vertreter vertritt der Bürgermeister B
die Gemeinde K gem. § 62 Abs. 3 VwGO, § 42 Abs. 1
Satz 2 GemO BW. Auch er bedarf eines Prozessbevollmächtigten, § 67 Abs. 4 Satz 1, Satz 3 VwGO.
II. Statthaftigkeit des Antrags
(§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO)
Gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO iVm. § 4 AGVwGO ist die
verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle statthaft zur Überprüfung der Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz
stehenden Rechtsvorschriften.
Fraglich ist, ob hier bereits eine Rechtsvorschrift vorliegt,
da die Satzungsänderung zum Zeitpunkt der Antragsstellung
noch nicht verkündet wurde.
Verfahrensgegenstand einer Normenkontrolle kann grundsätzlich nur eine bereits verkündete Vorschrift sein. Erst mit
Verkündung kann es sich um eine Vorschrift mit formeller
kontrollverfahren in diesem Fall also doch eine präjudizierende Wirkung auf
Gerichte anderer Gerichtszweige für Streitigkeiten hätte, für deren Entscheidung diese im Einzelfall ausschließlich zuständig sind. Bußgeldtatbestände
können nach der Rechtsprechung jedoch auch dann keiner gerichtlichen
Kontrolle unterzogen werden, wenn – wie hier – der Tatbestand der Ordnungswidrigkeit auf andere der Normenkontrolle durch die Verwaltungsgerichte
unterliegenden Rechtsvorschriften Bezug nimmt und im Fall der Unwirksamkeitserklärung dieser in Bezug genommenen Rechtsvorschriften die
Bußgeldbestimmung leerläuft (siehe hierzu nur VGH BW, 1983, 302). Ausführungen hierzu wurden nicht erwartet.
4
Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2013, § 19 Rn. 8.
ISSN: 1865-0015
53
Krebs, Examensklausur
Öffentliches Recht
Geltungskraft und damit um eine Rechtsvorschrift i.S.d.
§ 47 VwGO handeln; eine vorbeugende Normenkontrolle gibt
es im Grundsatz nicht.5 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Existenz der Rechtsvorschrift ist indes der Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung. Insoweit ist es durchaus möglich,
einen Antrag nach § 47 VwGO bereits vor Verkündung zu
stellen. Der Antragssteller begibt sich dann allerdings in die
Gefahr, dass der jeweilige Normentwurf bis zum Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung noch nicht verkündet worden
ist.6
Hier wurde der Antrag auf Normenkontrolle am 16.9.2012
und damit noch vor der Verkündung am 29.9.2012 gestellt.
Indes ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass
mit einer Entscheidung des Gerichts über die Gültigkeit der
Satzung nicht vor dem 29.9.2012, also nicht vor der Verkündung der Satzung zu rechnen ist, da der Antrag nicht einmal
zwei Wochen vor der Verkündung der Änderungssatzung beim
VGH BW gestellt wurde. Da es für das Vorliegen eines zulässigen Normenkontrollantrags nach zutreffender herrschender
Ansicht nicht auf den Zeitpunkt der Antragsstellung, sondern
auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt, ist hier von einem zulässigen Verfahrensgegenstand
auszugehen.7 Einer Prüfung im Hinblick auf die besonderen
Voraussetzungen des vorbeugenden Rechtsschutzes bedarf es
daher nicht.
Der Antrag auf Überprüfung von § 13 Abs. 2 Satz 2
bis Satz 5 FS ist folglich statthaft.
III. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen
1. Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO)
Während es für die Begründetheit eines Normenkontrollantrags
nach § 47 VwGO nicht auf eine subjektive Rechtsverletzung
ankommt, wird auf Zulässigkeitsebene eine Antragsbefugnis
verlangt, um Popularanträge auszuschließen.8 S müsste nach
§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO geltend machen können, durch
§ 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS oder deren Anwendung in
seinen subjektiven Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer
Zeit zu werden. Für die Antragsbefugnis gelten dabei im
Grundsatz die gleichen Anforderungen wie für die Klagebefugnis im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO: Insoweit genügt
zwar schon die bloße Möglichkeit einer Rechtsverletzung, die
Betroffenheit in eigenen Rechten muss jedoch feststehen.9
Als subjektive Rechte kommen hier nur Vorschriften des
höherrangigen Rechts, insbesondere solche des Unions- oder
5
Statt vieler Kerkmann/Lambrecht, in: Gärditz, Kommentar zur VwGO mit
Nebengesetzen, § 47 VwGO Rn. 53; zu einer ähnlich gelagerten europarechtlichen Problematik EuGH, EuZW 2014, 118 ff.
6
Siehe zum Ganzen Kerkmann/Lambrecht (Fn. 5), § 47 VwGO Rn. 53 mit
weiteren Hinweisen (auch zur Gegenansicht).
7
A.A. ebenso vertretbar. Dann ist die Normenkontrolle insgesamt unzulässig.
Die weitere Prüfung erfolgt dann im Hilfsgutachten.
8
BVerwGE 82, 225, 232.
9
Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar
zur VwGO, Band I, § 47 Rn. 41; Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 20.
Aufl. 2014, § 47 Rn. 46.
54
Freilaw 1/2015
Verfassungsrechts sowie durch Parlamentsgesetz verliehene
Rechte in Frage.10
Möglicherweise wurde die Änderungssatzung unter Verletzung des in § 35 Abs. 1 GemO BW verbürgten Öffentlichkeitsgrundsatzes beschlossen. Ob sich daraus eine subjektive
Rechtsverletzung des S ergeben kann, ist indes fraglich. Die
Rechtsprechung verneint heute überwiegend ein Recht des
Bürgers auf Einhaltung der Vorschriften über die Sitzungsöffentlichkeit.11 Zur Begründung wird u.a. angeführt, dass die
Regelungen über die Sitzungsöffentlichkeit nach Wortlaut und
Zweck ausschließlich dem allgemeinen öffentlichen Interesse
dienen.12 In der Literatur hingegen wird wohl mehrheitlich
angenommen, dass sich insbesondere mit Blick auf die Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsprinzips ein subjektives Recht
des Bürgers auf Sitzungsöffentlichkeit ergeben kann.13
Die Frage kann hier letztlich dahinstehen,14 wenn S möglicherweise zumindest in seiner Berufsfreiheit aus
Art. 12 Abs. 1 GG betroffen ist.
Der Schutz der Berufsfreiheit erfasst auch die gewerbliche
Betätigung innerhalb einer öffentlichen Einrichtung, die wie
ein gemeindlicher Friedhof mit Anstaltscharakter betrieben
wird.15
Die Möglichkeit einer Verletzung der Berufsfreiheit des S
wäre jedenfalls dann gegeben, wenn sich § 13 Abs. 2 Satz 2
bis Satz 5 FS unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit des S
beziehen würden. § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS regeln unmittelbar die Nutzungsmöglichkeiten und Nachweispflichten
der Grabstätteninhaber auf den Friedhöfen in K. Die Vorschriften betreffen also das Benutzungsverhältnis zwischen den
Grabstättenberechtigten und K, enthalten jedoch keine Regelungen zur Berufstätigkeit des S selbst. Steinmetze sind nicht
direkte Adressaten der Neuregelungen. Ein finaler Eingriff in
Art. 12 Abs. 1 GG zulasten des S scheidet daher aus.
S könnte aber in absehbarer Zeit mittelbar in seiner Berufsfreiheit betroffen sein. Ein mittelbarer Eingriff ist anzunehmen,
wenn die Regelung in einem engen Zusammenhang mit der
Berufsausübung steht oder objektiv eine berufsregelnde Tendenz aufweist.16 Dieser notwendige Berufsbezug besteht für
Steinmetze, die wie S die Möglichkeit haben, aufgrund eines
Ehlers, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2009, § 27
Rn. 40; Kopp/Schenke (Fn. 9), § 47 Rn. 47.
11
OVG RP, DÖV 1990, 622 = NVwZ-RR 1990, 322; OVG NRW, NWVBl.
2011, 182; anders noch OVG NRW, NWVBl. 2002, 31, 32; an letzterer
Entscheidung anknüpfend VG Münster, NWVBl. 2009, 163.
12
VGH BW, NVwZ-RR 1992, 373; OVG MV, LKV 1999, 109.
13
Schnapp, VerwArch 78 (1987), 407, 431 m.w.N.; Lange/Rönn, Der
Städtetag 1982, 592, 594; im Ergebnis auch Faber, NVwZ 2003, 1317, 1321;
a.A. Aker, in: Aker/Hafner/Notheis, Kommentar zur Gemeindeordnung und
Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, § 35 Rn. 21; Püttner,
Kommunalrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 228 Fn. 48; zu weiteren Nachweisen
Striedl/Troidl, BayVBl. 2008, 289, 298.
14
Die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung im Hinblick auf
§ 35 Abs. 1 GemO BW an dieser Stelle offenzulassen, dürfte sich anbieten, ist
aber selbstverständlich keinesfalls zwingend. Auch wenn man die Möglichkeit
einer subjektiven Rechtsverletzung an dieser Stelle ablehnt, wird im Rahmen
der Begründetheit auf eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes einzugehen sein.
15
VGH BW, VBlBW 2003, 65, 66.
16
BVerfGE 113, 29, 48 m.w.N.; BVerwGE 148, 133, 142.
10
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Öffentliches Recht
Auftrags eines Grabnutzungsberechtigten ein Grabmal für
einen Friedhof in K zu gestalten.17 Für S ist dies mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu erwarten, da
er in der Vergangenheit zahlreiche Grabsteine auf den Friedhöfen der K aufgestellt hat und dies auch zukünftig beabsichtigt.
Er ist daher in erheblicher Weise faktisch den Beschränkungen
des § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS unterworfen, weil er seine
berufliche Dienstleistung, die gegenüber dem Nutzungsberechtigten als Kunden erbracht wird, an den Bestimmungen tatsächlich ausrichten muss. Die Grabnutzungsberechtigten werden bei Vertragsschluss mit einem Steinmetz aufgrund des
§ 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS regelmäßig verlangen, dass
dieser nur Steine verwendet, die den Bestimmungen entsprechen und dass er hierüber einen ausreichenden Nachweis vorlegt. Die Kosten und Mühen der Nachweisbeschaffung hat der
S zu tragen. Folglich ist nicht auszuschließen, dass S durch
§ 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS mittelbar in seinem Recht aus
Art. 12 Abs. 1 GG verletzt wird. S ist mithin antragsbefugt.
Freilaw 1/2015
derats als Verwaltungsorgan unterliegt.20 Als Satzungsermächtigung kommen Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 71 Abs. 2 LV BW,
§ 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW, § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW und
§ 15 Abs. 2, 3 BestattG BW in Betracht. Es gilt der Grundsatz
lex specialis derogat legi generali.
1. § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW
Richtiger Antragsgegner ist nach § 47 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 die
Körperschaft, die § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS erlassen hat,
hier also K.18
Denkbare Satzungsermächtigung könnte § 4 Abs. 1 Satz 1
GemO BW sein, wonach Gemeinden ihre weisungsfreien Angelegenheiten durch Satzung regeln dürfen. Bei dem vorliegenden Eingriff in die Rechtsstellung des S erscheint es jedoch
bedenklich, eine derart weite Norm wie § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW als Ermächtigungsgrundlage ausreichen zu lassen. Der
Eingriffsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt eine
gesetzliche Grundlage, die Umfang und Grenzen des Eingriffs
deutlich erkennen lässt.21 Der demokratisch legitimierte (Landes-)Gesetzgeber darf die wesentlichen Entscheidungen nicht
auf die Gemeinden delegieren, sondern hat diese selbst zu
treffen.22 Die Ermächtigung in § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW
genügt diesen Erfordernissen nicht. Sie ist zu unbestimmt, um
Eingriffe in die (Berufs-)Freiheit zu rechtfertigen und wird
dem
Wesentlichkeitsprinzip
nicht
gerecht.
§ 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW scheidet daher als Ermächtigungsgrundlage aus.23
3. Antragsfrist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO)
2. § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW
Die Jahresfrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist noch nicht
abgelaufen.
In Betracht kommt jedoch die durch Gesetz vom 26.6.201224
neu
geschaffene
Ermächtigungsgrundlage
in
§ 15 Abs. 1, 3 BestattG BW und § 15 Abs. 2, 3 BestattG BW.25
Vorliegend wurde der Friedhof innerhalb einer Gemeinde
durch Satzung geregelt. Es handelt sich damit um einen Gemeindefriedhof im Sinne von § 15 Abs. 1 BestattG BW iVm.
§ 1 Abs. 1 Satz 1 BestattG BW. Ein anderer Bestattungsplatz
im Sinne von § 15 Abs. 2 BestattG BW liegt daher nicht vor.
Nur § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW kann daher eine taugliche
Ermächtigungsgrundlage begründen. Diese müsste allerdings
selbst mit höherrangigem Recht vereinbar, dh. insbesondere
verfassungsgemäß sein.
2. Passive Antragsbefugnis
(§ 47 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 VwGO)
IV. Zwischenergebnis
Soweit sich der Antrag des gegen die Ordnungswidrigkeitsbestimmung des § 19 Nr. 1a FS richtet, ist er unzulässig; im Übrigen ist der Antrag zulässig.
B. Begründetheit des Antrags
Der Antrag des S ist begründet, wenn § 13 Abs. 2 Satz 2
bis Satz 5 FS ungültig sind, vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
§ 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS sind ungültig, wenn die Bestimmungen unwirksam sind, dh. gegen höherrangiges Recht
verstoßen.19 Ein Verstoß liegt vor, sofern § 13 Abs. 2 Satz 2
bis Satz 5 FS ohne verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage erlassen wurden bzw. gegen formelles oder materielles
höherrangiges Recht verstoßen.
I. Satzungsermächtigung
Es müsste zunächst eine Satzungsermächtigung bestehen. Dieses Erfordernis folgt aus dem Grundsatz des Vorbehalt des
Gesetzes als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art.
20 Abs. 3 GG), dem die Rechtssetzungstätigkeit des Gemein-
Vgl. hierzu und zum Folgenden VGH BW, Urteil vom 29.04.2012, Az. 1 S
1458/12, Rn. 39; OVG RP, NVwZ-RR 2009, 394 f.
18
Vgl. hierzu Ehlers (Fn. 10), § 27 Rn. 46.
19
Da es sich bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle um ein objektives Beanstandungsverfahren handelt, kommt es auf die eigene Rechtsverletzung des Antragsstellers nicht an.
17
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Die Einordnung des Gemeinderats als Exekutivorgan entspricht ganz h.M.,
siehe nur BVerfGE 120, 82, 112; 78, 344, 348; BVerwG, NVwZ 2010, 834,
835; BGH, NJW 2006, 2050, 2053.
21
BVerwGE 148, 133, 144.
22
BVerwGE 148, 133, 142 f.; Lange, KommunalR, Kap. 12 Rn. 17.
23
Vgl. hierzu BVerwGE 148, 133, 144 sowie BayVGH, BayVBl., 2009, 367,
368 (§ 23 Satz 1 GO BY entspricht inhaltlich § 4 Satz 1 GemO BW); Kaltenborn/Reit, NVwZ 2012, 925, 928 m.w.N.; Misera/Kessler, KommJur 2009, 52,
53 f.; anders unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Erwägungen Lorenzmeier, BayVBl. 2011, 485 ff.
24
GBl. BW, S. 437.
25
Vergleichbar spezielle Ermächtigungsgrundlagen bestehen bisher lediglich
in Bremen (§ 4 Abs. 5 des Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen in
der Fassung vom 24.1.2012 [BremGBl., S. 24]) und dem Saarland
(§ 8 Abs. 4 BestattG in der Fassung vom 15.9.2012 [Amtsbl. I S. 1384]). NRW
wird diesen Beispielen voraussichtlich bald folgen, wobei hier gleichzeitig
spezielle Vorschriften zur Zertifizierung geplant sind, s. LT NRW, Drucks.
16/6138.
20
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55
Krebs, Examensklausur
Öffentliches Recht
II. Verfassungsmäßigkeit des
§ 15 Abs. 1, 3 BestattG BW
Der VGH BW besitzt zwar nicht die Befugnis, Parlamentsgesetze mit inter omnes-Wirkung für ungültig zu erklären.
Gleichwohl prüft er inzident die Verfassungsmäßigkeit der
Satzungsermächtigung, da die Satzungsbestimmungen nur
rechtmäßig sein können, wenn sie auf einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage beruhen, also in formeller und
materieller Hinsicht der Verfassung entsprechen.
1. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Nach Art. 70 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit sich nichts anderes aus Art. 71 – 74 GG ergibt.
Allein die Stellung des § 15 Abs. 3 BestattG BW im Friedhofsund Bestattungswesen, das der Regelungskompetenz der Länder unterfällt, schließt für sich das Bestehen einer vorrangigen
Kompetenz des Bundes nicht aus.26
a) Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 Var. 4 GG
(„Warenverkehr mit dem Ausland“)
Aufgrund von Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG27 steht dem Bund die
ausschließliche Regelungskompetenz für alle Wareneinfuhrverbote zu.28 § 15 Abs. 3 BestattG BW statuiert indes kein
Wareneinfuhrverbot, sondern lediglich ein Verwendungsverbot, das sich zumindest formal auch nicht ausschließlich auf
ausländische Produkte bezieht.29 Es wird nicht die Einfuhr der
Ware selbst aus außenpolitischen Gründen allgemein verboten.
Die Regelung hat allenfalls mittelbar Auswirkungen auf den
Import und Handel von Grabmalen.30 Die Kompetenzgrundlage des Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG steht der Regelung in
§ 15 Abs. 3 BestattG BW daher nicht entgegen.31
b) Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG
(Recht der Wirtschaft, Handwerk)
Erwägenswert erscheint die Annahme einer konkurrierenden
Gesetzgebung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Im Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis
zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner
Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch
gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Ob das Verbot der Verwendung
von
Grabmalen
aus
Kinderarbeit
unter
Art. 72 Abs. 1 Nr. 11 GG fällt, kann hier folglich dahinstehen,
da der Bund bislang keine Vorschriften erlassen hat, wonach
Näher hierzu Kaltenborn/Reit, NVwZ 2012, 925, 929.
Eine Prüfung von Art. 73 Nr. 1 GG, siehe hierzu Kaltenborn/Reit, NVwZ
2012, 925, 929, legt der Sachverhalt nicht nahe und wurde nicht erwartet. Das
BVerwG hat hierzu keinerlei Ausführungen gemacht.
28
Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2003,
Art. 73 Rn. 25 m.w.N.
29
Kaltenborn/Reit, NVwZ 2012, 925, 929.
30
BVerwG 148, 133, 140.
31
A.A. vertretbar, in diese Richtung etwa auch Hoppe, LKV 2010, 497, 498.
27
56
Steinmetze bestimmte Produkte wegen ihres Herstellungsprozesses nicht oder jedenfalls nicht für bestimmte Zwecke verwenden dürfen. Es besteht daher keine vorrangige Kompetenz
des Bundes. Der Landesgesetzgeber besitzt mithin die für den
Erlass des § 15 Abs. 3 BestattG notwendige Regelungskompetenz. § 15 Abs. 3 BestattG ist formell verfassungsgemäß.
2. Materielle Verfassungsmäßigkeit
a) Verstoß gegen höherrangiges Recht
aa) Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG
Im Rahmen der formellen Verfassungsmäßigkeit ist allein
fraglich, ob das Land die für den Erlass von
§ 15 Abs. 3 BestattG BW notwendige Regelungskompetenz
besitzt.
26
Freilaw 1/2015
Fraglich ist, ob § 15 Abs. 3 BestattG mit Art. 12 Abs. 1 GG
vereinbar ist32.
Der mittelbare Eingriff in den Schutzbereich kann unter den
Voraussetzungen des Regelungsvorbehalts in Art. 12 Abs. 1
Satz 2 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Nach
Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden.
Grundsätzlich konnte der baden-württembergische Gesetzgeber durch das formelle Gesetz des § 15 Abs. 3
Satz 1 BestattG die Berufsausübung regeln. Er hat dadurch
selbst die grundlegende Entscheidung getroffen, dass die Berufsfreiheit der Steinmetze, in die Satzungsregelungen wie die
streitige eingreifen, gegenüber dem allgemeinen Interesse an
der Bekämpfung von Kinderarbeit gegebenenfalls zurücktreten
muss.33
Fraglich ist jedoch, ob der Gesetzgeber die Regelungen der
Nachweisanforderungen zulässigerweise gem. § 15 Abs. 3
Satz 2 BestattG den Gemeinden überantworten durfte oder ob
er diese nicht mit Blick auf den Wesentlichkeitsvorbehalt
selbst regeln musste.
Es gibt derzeit keine verlässlichen Zertifizierungssysteme
oder sonstige Nachweismöglichkeiten für Steinmetzbetriebe,
die garantieren können, dass Grabsteine „frei von Kinderarbeit“ sind. Wenn es der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund
den Gemeinden überlässt, wie der Nachweis, dass Grabsteine
und Grabmale „nachweislich aus fairem Handel stammen“, zu
erbringen ist, lässt er eine für die Berufsausübung von Steinmetzen elementare Frage vollständig offen. Jede Gemeinde
könnte insoweit unterschiedliche Nachweisforderungen aufstellen, wodurch die Wettbewerbsgleichheit unter Steinmetzen
beeinträchtigt werden könnte. Aufgrund des erheblichen Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG hätte der Gesetzgeber wenigsten
die Grundzüge der an das Nachweissystem zu stellenden Anforderungen regeln müssen. § 15 Abs. 3 BestattG verstößt
daher gegen Art. 12 Abs. 1 GG.34
32
Es ist an dieser Stelle ebenso vertretbar, in der bloßen Ermächtigung der
Gemeinden noch keinen entsprechenden Eingriff zu sehen. In diesem Fall
müsste im Anschluss an die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage eine Problematisierung auf der Ebene der Vereinbarkeit
der FS mit höherrangigem Recht stattfinden.
33
VGH BW, Urteil v. 29.04.2012, Az. 1 S 1458/12, Rn. 44.
34
Vgl. BVerwGE 148, 133, 145; so tendenziell, aber letztlich offenlassend,
auch VGH BW, Urteil v. 29.04.2012, Az. 1 S 1458/12, Rn. 46; a.A. mit
entsprechender Argumentation vertretbar.
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bb) Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG,
Art. 71 LV
a) Zuständigkeit
Zudem könnte Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG im Hinblick darauf
verletzt sein, dass die durch § 15 Abs. 3 Satz 1 BestattG BW
eingeräumte Satzungsbefugnis die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft übersteigt. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG,
Art. 71 LV sind die Gemeinden befugt, alle Angelegenheiten
der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich zu regeln. Hierbei handelt es sich um diejenigen
Angelegenheiten, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln
oder auf diese einen spezifischen Bezug haben und von ihr
eigenständig und selbstverantwortlich bewältigt werden können, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen
gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen
der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen.35
Ob § 15 Abs. 3 Satz 1 BestattG den Gemeinden die Regelung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft oder
stattdessen von überörtlichen Angelegenheiten erlaubt, kann
dahinstehen, da Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 71 LV lediglich
eine Mindestgarantie enthält, die es nicht ausschließt, dass der
Gesetzgeber den Gemeinden darüber hinausgehende Aufgaben
zuweist.36 Es dürfte insoweit lediglich zu fordern sein, dass die
Satzungsermächtigung einen Gemeindebezug aufweist.37
§ 15 Abs. 3 BestattG sieht eine Ermächtigung für Regelungen
zur Benutzung kommunaler Friedhöfe, also von öffentlichen
Einrichtungen der Gemeinde vor. Damit ist bereits ein hinreichender Gemeindebezug gegeben. § 15 Abs. 3 BestattG verstößt nicht gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
b) Zwischenergebnis
§ 15 Abs. 3 BestattG
ist
wegen
Verletzung
von
Art. 12 Abs. 1 GG materiell verfassungswidrig (a.A. vertretbar). Das Bundesverfassungsgericht würde dies nach Vorlage
gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG feststellen. Da mithin
§ 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS auf keiner wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, sind die Vorschriften bereits aus
diesem Grund nichtig (a.A. vertretbar).
III. Rechtmäßigkeit der Satzung
(ggf. hilfsgutachterlich zu prüfen)
Gem. § 15 Abs. 1, 3 Satz 1, § 50 Abs. 2 BestattG BW iVm.
§ 31 Abs. 3 BestattVO iVm. § 62 Abs. 3 Satz 1 PolG BW
können Gemeinden in ihren als Satzung zu erlassenden Friedhofsordnungen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BestattG BW) festlegen,
dass nur Grabsteine und Grabeinfassungen verwendet dürfen,
die nachweislich aus fairem Handel stammen und ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt sind. Gem.
§ 15 Abs. 3 Satz 2 BestattG BW sind die Anforderungen an
den Nachweis nach Satz 1 sind in den Friedhofsordnungen und
Polizeiverordnungen festzulegen.
1. Formelle Rechtmäßigkeit der Satzung
BVerfGE 79, 127, 151 f.
BVerwGE 148, 133, 138 m.w.N.; Lange (Fn. 22), Kap. 12 Rn. 4.
37
Lange (Fn. 22), Kap. 12 Rn. 4.
35
36
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aa) Verbandskompetenz
Die gemeindliche Verbandskompetenz für den Erlass von
§ 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS folgt aus § 15 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 3 BestattG BW. Da Gemeinden vom Gesetzgeber auch
zu Satzungsregelungen mit überörtlichem Charakter ermächtigt
werden dürfen, kommt es auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in
diesem Zusammenhang nicht entscheidend an.
bb) Organkompetenz
Der Erlass und damit auch die Änderung von Satzungen fällt in
den (nach § 39 Abs. 2 Nr. 3 GemO BW unübertragbaren) Zuständigkeitsbereich
des
Gemeinderats,
§ 24 Abs. 1 GemO BW.38
b) Verfahren
Zweifel an einem ordnungsgemäßen Beschlussverfahren bestehen lediglich im Hinblick auf den in § 35 Abs. 1 GemO BW
konstituierten Öffentlichkeitsgrundsatz. Nach dem darin festgelegten Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit muss prinzipiell
jedermann Zutritt zum öffentlichen Teil einer Gemeinderatssitzung haben.39 Die Zutrittsmöglichkeit muss für die gesamte
Dauer der öffentlichen Ratssitzung bestehen.
Eine Verletzung von § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO BW könnte
sich zunächst aus dem Sitzungsbeginn um 16 Uhr ableiten.
Nach einer Ansicht müssen „breite Teile aller Bevölkerungsgruppen – insbesondere auch der Berufstätigen –“ grundsätzlich die Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Ratssitzungen haben.40 An dem Vorliegen dieser Voraussetzung könnte
man bei einem Sitzungsbeginn durchaus zweifeln. Nach der
Rechtsprechung des VGH BW ist jedoch ein Sitzungsbeginn
um 16 Uhr zulässig, da „auf irgendwelche Hinderungsgründe“
interessierter Zuhörer keine Rücksicht zu nehmen sei.41 Dem
ist schon aus praktischen Erwägungen zu folgen.42
Bedenken an der Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes
könnten sich aber ferner aus der Schließung der Eingangstüre
zum Ratssaal um 21 Uhr ergeben. Ein solches Zugangshindernis führt nach der Rechtsprechung allerdings nur dann zu einer
Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips, wenn es dem Ratsvorsitzenden zuzurechnen ist.43 Daran fehlt es, wenn der Ratsvorsitzende weder Kenntnis vom Hindernis hatte noch bei entsprechender Sorgfalt haben musste.44 Abgeleitet wird dieses
Ergebnis aus einer Parallelwertung zum gerichtlichen Öffentlichkeitsprinzip.45
Vorliegend wussten weder der Ratsvorsitzende noch der
Gemeinderat von dem Zugangshindernis. Mit einem FehlverVgl. Lange (Fn. 22), Kap. 4 Rn. 104.
Aker (Fn. 13), § 35 Rn. 3.
40
OVG Saarlouis, DÖV 1993, 964.
41
VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107.
42
A.A. vertretbar.
43
VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107.
44
Aker (Fn. 13), § 35 Rn. 4.
45
s. VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107, wo auf BVerwG, Urt. v. 15. 12. 1978
– 6 C 14/77 sowie BGH, NJW 1980, 249 Bezug genommen wird.
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Öffentliches Recht
Freilaw 1/2015
halten des G mussten sie auch nicht rechnen, da der G bereits
seit Jahrzehnten zuverlässig für K arbeitete. Damit scheidet auf
der Grundlage der Rechtsprechung des VGH BW eine Verletzung des Öffentlichkeitsgebotes aus.46
chen juristischen Methoden bewältigt werden können.50 Die
Anforderungen an die Bestimmtheit steigen dabei mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung
in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird.51
c) Form
(2) Vorliegen einer Unklarheit im Hinblick auf
§ 13 Abs. 2 Satz 5 FS
Eine Formvorschrift für den Erlass kommunaler Satzungen
findet sich in § 4 Abs. 3 GemO BW. Danach müssen Satzungen öffentlich bekannt gemacht werden. Die öffentliche Bekanntmachung durch die Gemeinde kann u.a. durch Einrücken
in das eigene Amtsblatt der Gemeinde durchgeführt werden,
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 DVO GemO BW. K hat die geänderte Satzung
in ihrem Gemeindeblatt veröffentlicht und damit ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht.
Es könnte jedoch eine Verletzung des Zitiergebotes vorliegen, da K in der neu gefassten Friedhofssatzung keinerlei Angaben zur gemeindlichen Normsetzungsbefugnis gemacht hat.
Fraglich ist indes, ob überhaupt eine Pflicht zur Angabe von
Satzungsermächtigungen besteht. In der GemO BW ist eine
solche Verpflichtung nicht vorgesehen. Eine entsprechende
Pflicht lässt sich auch nicht aus Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG,
Art. 61 Abs. 1 Satz 1 Satz LV ableiten, die das Zitiergebot auf
Rechtsverordnungen begrenzt. Auch eine analoge Anwendung
dieser Normen kommt nicht in Frage, da sich Rechtsverordnungen und Satzungen kategorial unterscheiden und auch keine planwidrige Regelungslücke gegeben ist. Der Erlass kommunaler Satzungen unterliegt daher nicht dem Zitiergebot.47
Die Satzung ist daher in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Satzung
bb) Unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG
durch § 13 Abs. 2 Satz 4 FS
a) Verstoß gegen höherrangiges Recht
Die Änderungssatzung könnte gegen das Gebot aus dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Gebot
der Klarheit und Bestimmtheit der Norm verstoßen.
aa) Verstoß gegen den Grundsatz der Normenklarheit
und -bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG)
(1) Anforderungen des Grundsatzes der
Normenklarheit und -bestimmtheit
Rechtsstaatliche Grundsätze verlangen, dass Normen mit ausreichender Bestimmbarkeit zum Ausdruck bringen, was von
den Normbetroffenen verlangt wird.48 Die Normbetroffenen
müssen wissen, wozu sie verpflichtet bzw. berechtigt werden,
um ihr Verhalten danach ausrichten zu können.49 Der hinreichenden Bestimmtheit fehlt es nicht, wenn die entsprechenden
Normen Auslegungsprobleme aufwerfen, die mit herkömmli46
Vgl. nochmals VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107. Mit entsprechender
Argumentation konnte auch vertreten werden, dass eine Verletzung des
§ 35 Abs. 1 Satz 1 GemO BW deshalb ausscheidet, weil bei der Verhandlung
von TOP 12 die Tür zum Sitzungssaal noch offen stand.
47
Näher Dols/Plate/Schulze, KommunalR BW, Rn. 55 m.w.N.
48
BVerwGE 148, 133 140.
49
BVerfGE 21, 73, 79; 51, 1, 41.
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§ 13 Abs. 2 Satz 5 FS geben selbst keinen Aufschluss darüber,
welche Möglichkeiten für den Nachweis bestehen, dass die
verwendeten Grabsteine aus fairem Handel stammen und ohne
ausbeuterische
Kinderarbeit
hergestellt
sind.
Nach
§ 13 Abs. 2 Satz 5 FS führt die Friedhofsverwaltung ein Verzeichnis darüber, welche Zertifikate als vertrauenswürdig i.S.d.
§ 13 Abs. 2 Satz 4 FS anzuerkennen sind. Die im Zusammenhang mit der Anwendung der § 13 Abs. 2 Satz 2 FS bestehenden Nachweisprobleme werden dadurch in den Normenvollzug
verlagert.52 Da es bislang keine verlässlichen Zertifizierungssysteme oder sonstige Nachweismöglichkeiten für Steinmetzbetriebe gibt, lässt die Satzung den Normbetroffenen im Unklaren darüber, welche Nachweise ausreichen, um zu belegen,
dass Grabsteine „frei von Kinderarbeit“ sind. Da es auch keine
allgemeine Verkehrsauffassung dazu gibt, welche Zertifikate
als vertrauenswürdig einzustufen sind, hätte der Gemeinderat
selbst Regelungen dazu erlassen müssen, welche Nachweise
als ausreichend angesehen werden. Daran fehlt es. Stattdessen
delegiert § 13 Abs. 2 Satz 5 FS die Entscheidung über die
anzuerkennenden Zertifikate unzulässiger Weise auf die Friedhofsverwaltung. Folglich wird § 13 Abs. 2 Satz 5 FS dem
Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit nicht gerecht.
Zudem könnte der mit § 13 Abs. 2 Satz 4 FS verbundene mittelbare Eingriff, in Art. 12 Abs. 1 GG, der grundsätzlich auch
durch kommunales Satzungsrecht („auf Grund eines Gesetzes“) zu rechtfertigen ist,53 unverhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird für Art. 12 Abs. 1 GG durch
die sog. Dreistufentheorie konkretisiert.54
Die Anforderungen an den verfassungslegitimen Zweck bestimmen sich nach der Dreistufentheorie. Die Anforderungen
hängen demnach davon ab, ob es sich um eine Berufsausübungsregelung oder eine subjektive bzw. objektive Berufszulassungsregelung handelt. Da hier nur das „Wie des Berufes“,
also die Berufsausübung betroffen ist, verfolgt schon dann
einen verfassungslegitimen Zweck, wenn sie vernünftigen
Zwecken des Allgemeinwohls dienen. Das Verwendungsverbot
soll der Würde des Gemeindefriedhofs dienen und ausbeuterischer Kinderarbeit in Drittländern entgegenwirken. Das sind
verfassungslegitime Zwecke. Dem nationalen Allgemeinwohl,
welches das Grundgesetz schützt, sind auch internationale
BVerfGE 90, 1, 16 f.
BVerfGE 83, 130, 145.
52
Vgl. BVerwGE 148, 133, 141.
53
BVerfGE 98, 106,117 m.w.N.; im konkreten Fall zweifelnd BVerwGE 148,
133, 142 f.
54
Nolte/Tams, JuS 2006, 130, 131.
50
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Zwecke immanent, sofern diese zumindest mittelbaren Einfluss
auf die nationalen Zwecke nehmen.
Eine Regelung ist geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; dem Normgeber kommt bei
der Beurteilung der Geeignetheit ein Beurteilungsspielraum
zu.55 § 13 Abs. 2 Satz 4 FS ist mangels eines allgemein anerkannten Zertifikates nicht vollzugsfähig und damit auch nicht
geeignet, den verfolgten Zweck, dass Grabsteine aus ausbeuterischer Kinderarbeit auf Gemeindefriedhöfen nicht verwendet
werden, zu fördern.
Solange nicht klar geregelt ist, welcher Art der geforderte
Nachweis zu sein hat und welche Nachweise als ausreichend
angesehen werden, ist die Regelung zudem auch unverhältnismäßig im engeren Sinne.
§ 13 Abs. 2 Satze 4 und 5 FS sind somit materiell rechtsfehlerhaft.
c) Reichweite der Unwirksamkeit
Materiell fehlerhafte Satzungsbestimmungen haben grundsätzlich ihre Nichtigkeit zur Rechtsfolge.56
Fraglich ist hier allein, welche Bestimmungen von der Nichtigkeit des § 13 Abs. 2 Sätze 4 und 5 FS erfasst werden. Die
Nichtigkeit einzelner Satzungsbestimmungen führt grundsätzlich nicht zur Gesamtnichtigkeit einer Satzung, da der gemeindliche Wille regelmäßig darauf gerichtet sein wird, das
von der Nichtigkeit nicht unmittelbar erfasste Satzungsrecht
aufrecht zu erhalten.57 Anderseits sind all diejenigen Vorschriften nichtig, die in einem untrennbaren Zusammenhang zu der
VGH BW, Urteil v. 29.04.2012, Az. 1 S 1458/12, Rn. 49 m.w.N.
Näher Lange (Fn. 22), Kap. 12 Rn. 28 ff.
57
Stober, KommunalR, 3. Aufl. 1996 m.w.N.
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unwirksamen Vorschrift stehen.58 Als rechtlicher Maßstab
kann insoweit auf § 139 BGB analog oder den Rechtsgedanken
des § 78 BVerfGG zurückgegriffen werden.59
Der Ortsgesetzgeber wird § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 5 FS keine
so große Bedeutung beigemessen haben, dass die Nichtigkeit
des gesamten § 13 FS oder gar der gesamten Satzung eine
adäquate Rechtsfolge wäre. Diese Vorschriften können vielmehr selbstständig bestehen bleiben und bilden als solche
weiterhin eine sinnvolle Einheit. Auch eine Unwirksamkeit
von § 13 Abs. 2 Satz 1 FS ist nicht anzunehmen, da sie eine
von den übrigen Bestimmungen dieses Absatzes eigenständige
Regelung darstellt. § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 5 FS stellen demgegenüber ein geschlossenes System dar. Das Verwendungsverbot kann ohne ein damit verbundenes Nachweissystem nicht
aufrechterhalten werden. Hier ist daher davon auszugehen,
dass sich die Unwirksamkeit auf die angegriffenen Regelungen
der § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 5 FS erstreckt. Diese Vorschriften
sind ungültig und damit für unwirksam zu erklären
(§ 47 Abs. 5 Satz 2 Hs.1 VwGO).
C. Gesamtergebnis
Soweit der Antrag zulässig ist, ist er auch begründet. Er hat
daher teilweise Aussicht auf Erfolg.
Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei SCHRADE &
PARTNER sowie Doktorand am Institut für Staatswissenschaft
und Rechtsphilosophie, Abt. 2 (Prof. Dr. Ralf Poscher), der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
55
56
www.freilaw.de
58
59
BVerwGE 117, 58, 61.
Näher zum Ganzen Gern, NVwZ 1987, 851, 852 m.w.N..
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Will, Bernhard Schlink
Studium
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Bernhard Schlink – ein Leben zwischen Prosa und Jurisprudenz
Evelina Will
„Vielleicht, weil die Wahrheit des Rechts ebenso in Worten und
Sätzen liegt wie die Wahrheit von Geschichten und weil die Dinge hier
1
wie dort zu ihrem Ende gebracht werden müssen.“ .
Poscher, welcher gegenwärtig an der Albert-LudwigsUniversität Freiburg Öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte und Rechtsphilosophie lehrt.
So lautet Bernhard Schlinks Antwort auf die Frage nach seinem Motiv für die Doppeltätigkeit als Jurist und Schriftsteller.
Mit dieser Doppelbegabung ist er unter den Juristen jedoch
kein Einzelfall. Denn auch Goethe, Kafka und Tucholsky
widmeten sich beiden Disziplinen. Bernhard Schlinks Œuvre
sowie sein juristisches Schaffen – vornehmlich an der Humboldt-Universität zu Berlin – verdienen kurz nach seinem 70.
Geburtstag und dem Erscheinen des Romans „Die Frau auf der
Treppe“ eine eingehende Würdigung.
Darüber hinaus war Bernhard Schlink in der Zeit von 1987
bis 2006 als Richter am Verfassungsgerichtshof für das Land
Nordrhein-Westfalen in Münster tätig und wirkte zwischen
Dezember 1989 und April 1990 als Berater am Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches der DDR mit.
Der emeritierte Rechtsprofessor schrieb nicht nur mit Bodo
Pieroth das juristische Standardwerk „Staatsrecht II Grundrechte“ (fortgeführt von Thorsten Kingreen und Ralf Poscher),
um welches kein Student der Rechtswissenschaft herumkommt, sondern ist auch Verfasser des 1995 erschienenen
Bestsellers „Der Vorleser“, der mittlerweile in dreiundfünfzig
Sprachen übersetzt und auch in Hollywood verfilmt wurde2.
Geboren wurde Bernhard Schlink am 06. Juli 1944 in Großdornberg bei Bielefeld. Er wuchs in einem evangelischen Theologenhaushalt in Heidelberg auf. Um die gleiche Laufbahn
wie die seines Vaters als evangelischen Pfarrer einzuschlagen,
war sein Glaube nicht tiefgehend genug. So entschied er sich
die Gesellschaft im Wege der Juristerei zu verbessern3 und
nahm nach dem Abitur das Studium der Rechtswissenschaft an
der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg auf. Später wechselte er an die Freie Universität Berlin. Schließlich wurde er
1975 in Heidelberg promoviert. 1981 folgte die Habilitation an
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Von 1982 bis 1991 lehrte er an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn Öffentliches Recht.4 Im Anschluss
daran war er bis 1992 Professor für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Rechtsphilosophie an der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Frankfurt am Main. 1992, kurz nach der Wende,
ging er nach Berlin und übernahm an der HumboldtUniversität zu Berlin den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und
Rechtsphilosophie, wo er bis zu seiner Emeritierung 2009
lehrte. Zu seinen bekanntesten Schülern zählt Prof. Dr. Ralf
1
Güntner, Fabulierender Jurist mit klarer Prosa - Bernhard Schlink wird 70,
http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/fabulierender-jurist-mit-klarer-prosa1.18336895 vom 06.07.2014, 05:30 Uhr.
2
Kegel, Vergangenheit, Schuld und Sühne,
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/dem-autor-bernhardschlink-zum-siebzigsten-13017359.html vom 06.07.2014, 00:01 Uhr.
3
dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70,
http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhardschlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr.
4
dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70,
http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhardschlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr.
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Schon seit längerer Zeit zählt Bernhard Schlink zu den verlässlichen Bestsellerautoren. Exemplarisch hierfür ist das Werk
„Die Frau auf der Treppe“, das im vergangenen Jahr erschien
und direkt eine Spitzenreiterposition in einschlägigen Bestsellerlisten einnahm. Regelmäßig werden seine klare, schnörkellose Sprache, seine souveräne Erzählweise und seine Raffinesse im Konstruieren von Handlungen von Kritikern gewürdigt.
Es ist nicht ganz fernliegend, dass Schlinks nüchterne und
schmucklose Sprache seiner juristischen Herkunft zuzurechnen
ist. Denn auch in dieser Disziplin gilt die Sprache als bedeutsames, ja unumgängliches Handwerkszeug.
Bernhard Schlink, der sich das Schreiben von Unterhaltungsliteratur durch begeistertes Lesen von Kriminalromanen
angeeignet hat, schrieb während eines Freisemester in Aix-enProvence mit Walter Popp seinen ersten Roman „Selbs Justiz“
(1987), der von einem etwa siebzigjährigen pensionierten
Staatsanwalt und Detektiv mit einer „braunen Vergangenheit“
handelt. Auch in seinem folgenden Buch „Selbs Betrug“
(1992), das Schlink als alleiniger Autor verfasste und das sogar
mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde, lässt er
den Protagonisten Gerhard Selbs als Privatdetektive Kriminalfälle ermitteln. 2001 schließt Schlink die Selbs-Buchreihe mit
dem Buch „Selbs Mord“ ab.
Zwischenzeitlich schrieb er den Kriminalroman „Die gordische Schleife“ (1988), wofür er 1989 den Friedrich-GlauserPreis erhielt.
Weltweite Bekanntheit erlangte Bernhard Schlink jedoch
mit seinem 1995 in Deutschland erschienenen Roman „Der
Vorleser“, einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen
einem fünfzehnjährigen Gymnasiasten und einer ehemaligen
KZ-Aufseherin. Hierzulande wird das Werk zunächst wegen
seiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der
Leserschaft sehr verhalten aufgenommen. Entertainerin Oprah
Winfrey war es, die „The Reader“ nach dem US-Start 1999
zum Buch des Monats ernannte und das Interesse der Öffentlichkeit an Bernhard Schlinks Werk weckte5. Hierauf folgten
eine rasante und außergewöhnliche (internationale) Erfolgsgeschichte und diverse Literaturpreise. Schließlich wurde das
5
dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70,
http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhardschlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr.
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Will, Bernhard Schlink
Historische Juristen
Werk „Der Vorleser“ auch in eine erfolgreiche, englischsprachige Verfilmung umgesetzt, in welcher Kate Winslet die
weibliche und David Kross die männliche Hauptrolle übernahmen.
Trotz seines sensationellen Erfolges schrieb Bernhard
Schlink weiter. Es folgten die Romane „Die Heimkehr“ (2006),
„Das Wochenende“ (2008), „Sommerlügen“ (2010), „Gedanken über das Schreiben“ (2011) und zuletzt das o.g. Werk „Die
Frau auf der Treppe“. Auch diese Bücher fanden beim Publikum immer große Resonanz.
In seinen Romanen beschäftigt sich Schlink regelmäßig mit
der Vergangenheitsbewältigung und insbesondere mit der
Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich in der Gegenwart.
In seinen Büchern geht es primär um Lebensbilanzen, Sehnsüchte und Abgründe sowie um Verstrickungen und Schuld.
Mit seinen literarischen Werken bietet er also Gelegenheit, sich
noch einmal an die Vergangenheit und der dort entstandenen
Schuld zu erinnern. Gleichzeitigt wirkt er auf diesem Wege
dem Verdrängen und Vergessen entgegen und trägt mithin zum
Freilaw 1/2015
öffentlichen Diskurs bei.6 So lösten Schlinks Bücher, insbesondere der Roman „Der Vorleser“, Debatten über den Umgang mit dem Holocaust in der Literatur aus.7 Schlink musste
sich Kritikern stellen, die ihm vorwarfen, dass er die Schuld
der Deutschen in der Zeit des Dritten Reichs verharmlose und
die Täter zur Helden seiner Romane mache.8 Dem entgegnet
der stets zurückhaltend auftretende Autor jedoch, dass die Welt
sich nun mal nicht in Gut und Böse teilen ließe und „dass Menschen, die monströse Verbrechen begehen, nicht immer einfach
Monster sind“9.
Der besondere Charakter der Romane sowie sein juristisches
Schaffen machen Bernhard Schlink zu einer herausragenden
Persönlichkeit. Es bleibt zu hoffen, dass er auch in den kommenden Jahren zum öffentlichen und auch fachspezifischjuristischen Diskurs beiträgt.
Die Autorin ist Studentin der Rechtswissenschaften an der
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
6
Kilb, Herr Schlink, ist „Der Vorleser“ Geschichte?,
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/im-gespraech-bernhard-schlinkherr-schlink-ist-der-vorleser-geschichte1100720.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 vom 20.02.2009, 16:35
Uhr.
7
Kegel, Vergangenheit, Schuld und Sühne,
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/dem-autor-bernhardschlink-zum-siebzigsten-13017359.html vom 06.07.2014, 00:01 Uhr.
8
dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70,
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dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70,
http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhardschlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr.
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