DGPF Tagungsband 24 / 2015 Erdbeobachtung für Jugendliche – Entwicklung einer adaptiven, webbasierten Lernplattform für den Einsatz von Satellitenbildern im Geographieunterricht NILS WOLF1, VERA FUCHSGRUBER1, KATHRIN VIEHRIG1, SIMONE NAUMANN2 & ALEXANDER SIEGMUND2 Zusammenfassung: Das Projekt „Die Erde verstehen lernen – Einsatz moderner Satellitenbildtechnologie zur Erdbeobachtung für Jugendliche“ (Space4Geography) verfolgt das Ziel, Jugendlichen das Anwendungspotenzial der Fernerkundung zur Beantwortung umwelt- und raumrelevanter Fragestellungen näherzubringen. Vor diesem Hintergrund wird eine webbasierte Lernplattform für den Einsatz im Geographieunterricht und verwandten Fächern entwickelt. In verschiedenen Lernmodulen sollen Schüler/-innen die Möglichkeit erhalten, auf Grundlage originaler, räumlich hochauflösender Fernerkundungsdaten und mit der webbasierten Fernerkundungssoftware „BLIF“ geographische Fragestellungen eigenständig zu bearbeiten. Hierzu werden RapidEye- und TerraSAR-X-Satellitenbilddaten für exemplarische Themen- und Raumbeispiele bereitgestellt und für einen problemorientierten Unterricht in didaktische Kontexte eingebettet. Eine adaptive Umsetzung der Plattform soll individuelles Lernen unterstützen, indem Lerninhalt und Schwierigkeitsgrad über Nutzer-/Nutzungsprofile an die Kompetenzen, Bedürfnisse und Präferenzen des jeweiligen Lerners angepasst werden. 1 Einleitung Das Projekt „Die Erde verstehen lernen – Einsatz moderner Satellitenbildtechnologie zur Erdbeobachtung für Jugendliche“ (Space4Geography) verfolgt das Ziel, Jugendlichen das Anwendungspotenzial der Fernerkundung zur Erdbeobachtung näherzubringen und dabei ihre Kompetenzen im Umgang mit Satellitenbilddaten zu fördern. Satellitenbilddaten sollen hierbei einen zeitgemäßen und motivierenden Zugang zu aktuellen umwelt- und raumrelevanten Fragestellungen ermöglichen und nachhaltiges Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Themen und entsprechenden Berufszweigen wecken. Die Fernerkundung zählt zu den grundlegenden fachspezifischen Arbeitsmethoden der Geographie und verfügt über ein großes didaktisches Potenzial für den Geographie- und fächerübergreifenden Unterricht (KESTLER 2002; NAUMANN et al. 2009). Nicht nur in der geographiedidaktischen Diskussion sondern auch in den Bildungsplänen und nationalen Bildungsstandards wird der Einsatz von digitalen Satelliten- und Luftbildern im Unterricht explizit und zunehmend gefordert. Eine wesentliche Kompetenz stellt dabei die Fähigkeit dar, 1 Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo), Pädagogische Hochschule Heidelberg, Czernyring 22 / 11-12, 69115 Heidelberg; E-Mail: [wolf3, fuchsgruber, viehrig]@ph-heidelberg.de 2 Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo) & GIS-Station, Klaus-TschiraKompetenzzentrum für digitale Geomedien, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Czernyring 22 / 1112, 69115 Heidelberg; E-Mail: [naumann, siegmund]@ph-heidelberg.de 72 DGPF Tagungsband 24 / 2015 Satelliten- und Luftbilder selbständig interpretieren und auszuwerten zu können, um geographische Informationen zu gewinnen (DGfG 2007; SIEGMUND 2011; KMK 2013). Die konkrete Umsetzung im Schulalltag geschieht bis heute jedoch nur sehr zögerlich, wie eine internationale Vergleichsstudie zum Einsatz der Fernerkundung in Schulen gezeigt hat (SIEGMUND 2011). Zudem geht der Einsatz von Satellitenbildern in Schulen i.d.R. nicht über (analoge) Echtfarbdarstellungen in Schulbüchern hinaus, während die weitergehenden Möglichkeiten einer aktiven Auseinandersetzung mit digitalen, originalen Satellitenbilddaten zur eigenständigen Bearbeitung geographischer Fragestellungen ungenutzt bleiben. Dies liegt zum einen an der Komplexität und der damit verbundenen zeitaufwendigen Einarbeitung bisheriger Bildungsangebote (DITTER 2013), die auf methodisch komplexer Fernerkundungssoftware bzw. komplexen Daten- und Anwendungsbeispielen basieren (BYFIELD et al. 2012; FRITSCH et al. 2009; SORENSEN et al. 2009). Des Weiteren ist eine konkrete Abstimmung des Lernangebots auf aktuelle Bildungsplaninhalte in Deutschland nicht immer gegeben, was eine breitere Anwendung in Schulen erschwert. Vor diesem Hintergrund wird im Projekt „Space4Geography“ eine adaptive webbasierte Lernpattform für den Einsatz der Fernerkundung im Geographieunterricht und anderer verwandter Fächer entwickelt. 2 Konzeption und Entwicklung der Lernplattform Die Konzeption und grundlegenden Arbeitsschritte des Projekts sind in Abb. 1 dargestellt und werden im Folgenden näher erläutert. Im Rahmen des Projekts „Space4Geography“ wird der didaktischen Gesamtkonzeption der Plattform und der Entwicklung von Lernmodulen eine umfassende Bildungsplananalyse vorausgestellt. Untersucht werden hierbei alle gymnasialen Bildungspläne der 16 Bundesländer für das Fach Geographie an Gymnasien (Stand Juli 2014) auf thematische und räumliche Vorgaben für die Klassenstufen 5 bis 12 bzw. 13. Eine grundsätzliche Problematik bei dieser Untersuchung stellt die hohe Variabilität der Bildungspläne u.a. hinsichtlich Umfang, Aufbau und Konkretisierung der Fachinhalte sowie die Vorgabe der Raumbeispiele dar. Um räumliche und thematische Vorgaben dennoch einheitlich erfassen zu können und hinsichtlich Ausprägungen wie „Klassenstufe“ und „Bundesland“ zu untersuchen, wurden sämtliche Einträge der Bildungspläne tabellarisch erfasst und entsprechend der Klassenstufe gekennzeichnet sowie einer Themen- und einer Raumkategorie zugeordnet. Die insgesamt elf Themen- und zwölf Raumkategorien wurden dabei auf Grundlage der thematischen und räumlichen Aufgliederungen eines Standardlehrwerkes der Geographie (GEBHARDT 2007) sowie unter Einbezug der Vorgehensweisen und Kategorisierungen vorheriger Studien (HEMMER & HEMMER 2010; REUSCHENBACH 2007) abgeleitet. Insgesamt umfasst die Tabelle 1.109 Einträge. Neben der Ableitung von relevanten Themen, Fragestellungen und Anforderungsniveaus ermöglicht dieses Vorgehen umgekehrt auch, vom Bundesland und einer gegebenen Klassenstufe ausgehend auf passende Lernmodule der Plattform zu verweisen. 73 DGPF Tagungsband 24 / 2015 Abb. 1: Konzeption und Arbeitsschritte im Rahmen des Projekts „Space4Geography“ Auf Grundlage der Bildungsplananalyse werden exemplarische Themen- und Raumbeispielen zur bildungsplankonformen Umsetzung in insgesamt zehn Lernmodulen definiert. Ein Lernmodul ist dabei für eine Bearbeitungszeit innerhalb von zwei Schulstunden ausgelegt. Im Zentrum steht jeweils die Bearbeitung einer geographischen Fragestellung auf Grundlage originaler, räumlich hochauflösender Fernerkundungsdaten. Für die Umsetzung der Lernmodule steht dabei ein Datenvolumen von 50 Szenen aus den RapidEye Science- (RESA) und EyeFindArchiven sowie 15 Szenen aus dem TerraSAR-X Science Service System zur Verfügung. Die wesentliche Grundlage zur Verarbeitung und Analyse der Satellitenbilddaten durch die Schüler/-innen bildet die in der Abteilung Geographie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg entwickelte, webbasierte Fernerkundungssoftware „BLIF“ (vgl. DITTER & SIEGMUND 2010). „BLIF“ stellt in einer schülergerechten Weise die wesentlichen Grundfunktionen zur Auswertung von digitalen Satellitenbilddaten zur Verfügung – u.a. Datenimport, Bildverbesserung und -darstellung, Kanalkomposite, Berechnung von Vegetationsindizes, unüberwachte und überwachte Klassifikation sowie Veränderungsanalysen. Aktuell sind die Arbeitsschritte und Funktionen in „BLIF“ auf optische Daten von Landsat 5/7/8 und RapidEye abgestimmt. Sie sollen jedoch im Rahmen des Projekts um Funktionalitäten zur Bearbeitung der aktiven Radardaten (TerraSAR-X) erweitert werden. Vorgesehen ist hier die 74 DGPF Tagungsband 24 / 2015 Implementierung von Glättungs- und Texturfiltern zur Reduktion des Speckle-Effekts bzw. Hervorhebung räumlicher Strukturen. Zudem soll über ein interaktives Schwellwertverfahren die einfache, teil-automatische Klassifikation von Oberflächenkategorien ermöglicht werden. Die Lernmodule in „Space4Geography“ werden auf ein Unterrichtssetting mit hohem Virtualisierungsgrad (BACHMANN et al. 2002) ausgelegt, d.h. das Erlernen von Inhalten, Testen von Wissen sowie Feedback und Bewertung erfolgen online, wobei die Lehrkraft eher in der Rolle eines Lernbegleiters, weniger eines Inputgebers agiert. Auf diese Weise wird der Arbeits/Zeitaufwand der Integration der Lernmodule – und damit der angewandten Fernerkundung – in den Geographieunterricht möglichst einfach gehalten. Dies erscheint insbesondere sinnvoll, da mangelnde Vorkenntnisse der Lehrerkräfte im Bereich Fernerkundung eine wesentliche Barriere für den Einsatz im Schulunterricht darstellen (SIEGMUND 2011) und damit Unterrichtssettings, die einen starken Lehrerinput vorsehen für eine breite Anwendung in Schulen nicht förderlich sind. „Klassische“ webbasierte Lernangebote sind oftmals dahingehend problematisch, dass sie die Zielgruppe in ihrer Heterogenität nur unzureichend berücksichtigen. „Statische“ Inhalte sowie rein lineare Lernwege werden den individuellen Lernanforderungen einzelner Schüler/-innen meist nicht gerecht. Eine individuelle Anpassung, wie sie in Präsenz- oder „blended“-Settings durch die Lehrkraft erfolgen kann, ist bei konventionellen Lernplattformen nicht gegeben. Aus diesem Grund rückt aktuell in Forschungsbereichen von Bildungswissenschaften, E-Learning und Web-Didaktik das personalisierte und adaptive Lernen in den Mittelpunkt (REY 2009). Aus o.g. Gründen wird die Lernplattform „Space4Geography“ als adaptives und individuelle Lernwege unterstützendes System umgesetzt. Wie in Abb. 2 schematisch dargestellt, werden einzelne Inhalte als „Content-Bündel“ bereitgestellt, die sich z.B. in Bezug auf Schwierigkeitsgrad, inhaltlichen Schwerpunkt und/oder Vermittlungsform unterscheiden können. Die Verzweigungen und damit individuelle Anpassung an die Kompetenzen und Bedürfnisse des einzelnen Lerners ergeben sich auf Basis von Nutzerprofilen (z.B. Information über bereits absolvierte Lerneinheiten) und Quiz/Test-Ergebnissen. Zusätzlich kann der Lerner auch nach seinen eigenen Präferenzen zwischen bestimmten Lerninhalten bzw. Vermittlungsformen auswählen. Die Nutzer der Plattform haben die Möglichkeit sich als „Schüler“ oder „Lehrer“ zu registrieren und entsprechende Learning Management System-Funktionen zu nutzen. Schüler/-innen können so über ein persönliches Nutzerprofil Bearbeitungsstände abspeichern und ihren Lernfortschritt einsehen. Zusätzlich erhalten sie Feedback zu den Quizergebnissen sowie ein Zertifikat nach erfolgreichem Abschluss eines Lernmoduls. Lehrer haben die Möglichkeit Nutzerzugänge für ihre Schulklassen zu generieren und den Lernfortschritt ihrer Schüler einzusehen. Die Lernplattform ist für die Nutzung am PC/Laptop, aber auch auf mobilen Endgeräten wie Tablets vorgesehen und wird mit einem entsprechend responsiven Layout umgesetzt. Zur Gewährleistung der fachlich-methodischen Qualität und schulpraktischen Anwendbarkeit wird die Entwicklung der Lernplattform im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie auf Basis des Educational Design Research, auch entwicklungsorientierte Bildungsforschung genannt (PLOMP 2007; REINMANN & SESINK 2011), begleitet. Ein wichtiger Aspekt des Ansatzes stellt die Einbeziehung von Experten und Anwendern, also Schüler/-innen, Lehrer/-innen und Referendar/-innen sowie Forscher/-innen der Fachwissenschaft und -didaktik dar. 75 DGPF Tagungsband 24 / 2015 Abb. 2: Schema adaptiver Lernpfade im Rahmen der Lernplattform des Projekts „Space4Geography“ 3 Ausblick und Danksagungen Im Anschluss an die technische Implementierung der Plattform „Space4Geography“ und Fertigstellung der Lernmodule folgt eine praktische Erprobungsphase u.a. im Rahmen der GISStation, Klaus-Tschira-Kompetenzzentrum für digitale Geomedien an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und des DLR_School_Labs in Oberpfaffenhofen. Das Projekt „Space4Geography“ wird vom Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie gefördert. Wir danken dem DLR und der BlackBridge AG für die Bereitstellung der RapidEye- und TerraSARX-Produkte. 4 Literaturverzeichnis BACHMANN; G., DITTLER, M.; LEHMANN, T.; GLATZ, D. & RÖSEL, F., 2002: Das Internetportal "Learn Tec Net" der Universität Basel: Ein Online-Supportsystem für Hochschuldozierende im Rahmen der Integration von E-Learning in die Präsenzuniversität. Campus 2002: Die virtuelle Hochschule in der Konsolidierungsphase, Bachmann, G., Haefeli, O. & Kindt, M. (Hrsg.), Münster: Waxmann (Medien in der Wissenschaft 18), S. 87-97. BYFIELD, V.; BERNARD, S.; DOBSON, M.; EDWARDS, A. J.; LOUW, D. C.; OBEN, B. M. & WHITTLE, C., 2012: Bilko and African capacity development in coastal and marine remote sensing. 2012 IEEE International Geoscience and Remote Sensing Symposium (IGARSS), S. 73697372. DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR GEOGRAPHIE (DGfG), 2007: Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss – mit Aufgabenbeispielen. 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