INDUSTRIEÖKONOMIK I: UNTERNEHMEN, KOSTEN UND MARKTSTRUKTUR Vorlesung: Donnerstag, 11.15 – 12.45 Uhr; G22 – A105 Übung: Donnerstag, 13.15 – 14.45 Uhr; G22 – A105 Ziele: Die Veranstaltung befasst sich mit den theoretischen Grundlagen der modernen Industrieökonomik. In Erweiterung der „klassischen“ Preistheorie werden die grundlegenden Marktformen unter verhaltensorientierten Gesichtspunkten analysiert und anhand ausgewählter Beispiele auf ihre praktische Bedeutung geprüft. Gegenstand der Vorlesung ist auch die Diskussion alternativer Methoden zur Untersuchung von Marktprozessen. Inhalt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. Prof. Dr. Horst Gischer Unternehmung und Kosten Vollkommener Wettbewerb Monopol, Monopson und Dominant Firm Kartelle Oligopol Produktdifferenzierung und monopolistische Konkurrenz Industrieökonomik I 1 Basisliteratur: Carlton, D.W./Perloff, J.M. (2005): Modern Industrial Organization, 4. Aufl., Boston u. a. Sekundärliteratur: Belleflamme, P./Peitz, Martin (2010): Industrial Organization, Cambridge u. a. Knieps, G. (2008): Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl., Berlin u. a. Wied-Nebbeling, S. (2009): Preistheorie und Industrieökonomik, 5. Aufl., Berlin u. a. Neumann, M. (2000): Wettbewerbspolitik, Wiesbaden Anrechnung: Master: BWL-Vertiefung: Economics (WPF: BWL) Wahlmodul (BWL) VWL/IEPC-Vertiefung: Policy Consulting (WPF: VWL/IEPC) Elective Modules (WPF: MAN) Diplom: Volkswirtschaftstheorie Volkswirtschaftspolitik Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 2 1. UNTERNEHMEN UND KOSTEN 1.1 Die Unternehmung □ Definition: Eine Unternehmung ist eine Organisation, die Inputs (d.h. erworbene Ressourcen) in Outputs (d.h. veräußerbare Produkte) transformiert. □ beachte: „Firma“ „Unternehmung“ „Betrieb“ □ in der Literatur dennoch häufig synonym verwendet Argumentationszusammenhang beachten □ primäres Unternehmensziel: Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung □ in der ersten Näherung: Gewinn = Erlös – Kosten bzw. (1.1) x E x K x sowie als notwendige Bedingung für Gewinnmaximierung (1.2) Prof. Dr. Horst Gischer d dE dK ! 0 dx dx dx Industrieökonomik I 3 Kostenminimierung keine geeignete Strategie Suche nach der effizienten Produktionsstruktur erneut: Sorgfalt bei Verwendung des Effizienzbegriffs □ vorläufige Erkenntnisse: □ Ziele des Unternehmens nicht zwingend Ziele der Unternehmensleitung: Geschäftsführer (Manager) vs. Eigentümer-Unternehmer Prinzipal-Agenten-Problematik □ Differenzierung an geeigneter Stelle, zunächst Approximation des Unternehmensverhalten über Hypothese der Gewinnmaximierung □ Voraussetzung für unternehmerische Tätigkeit: Kapitalausstattung Eigen- vs. Fremdkapital Organisation der Kontrollrechte Wahl der Rechtsform des Unternehmens Beschränkung der Haftung □ erhebliche Konsequenzen für Gewinnverteilung bzw. Rentabilität von Investitionen „Leverage-Effekt“: (1.3) Prof. Dr. Horst Gischer ROA ROE EK i FK EK FK Industrieökonomik I 4 sei θ der Verschuldungsgrad des Unternehmens, dann gilt (1.4) ROA EK FK i EK EK ROE i EK FK 1 EK EK ROE einfache Umstellungen liefern (1.5) ROE ROA 1 i ROA ROA i mit ROE 0 ROA i □ aus (1.5) folgt unmittelbar, dass die Eigenkapitalrentabilität maximiert wird, wenn beinahe ausschließlich Fremdkapital eingesetzt wird □ unternehmerische Orientierung an ROE völlig irreführend Konkursrisiko nimmt mit Verschuldungsgrad zu aktuelles Beispiel: internationale Finanzkrise Stakeholder- vs. Shareholder-Orientierung □ Wahl der Rechtsform hat auch Auswirkungen auf Kontrolle des Unternehmens Zusammensetzung von Kontrollgremien mehrstufige Kontrollverfahren Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 5 □ Beispiel: Aktiengesellschaft Hauptversammlung (aller Eigentümer/Aktionäre) Aufsichtsrat (unterschiedlicher Share- und Stakeholder) Vorstand (geschäftsführend) □ in der Praxis sind z.T. sehr subtile Mechanismen notwendig, um Kontrollkosten so gering wie möglich zu halten anreizkompatibles Verhalten der Manager zu induzieren perspektivisch-strategische Geschäftspolitik zu fördern □ in der Diskussion: Manager- und Aufsichtsrathaftung □ wesentliche strategische Determinante: Unternehmensgröße Konkurrenzsituation Einflussnahme auf Beschaffungs- und Absatzmärkte Krisenanfälligkeit („too big to die“) Suche nach der „optimalen Unternehmensgröße“ 1.2 Fusionen und Übernahmen („Mergers and Acquisitions“) □ Begriffliche Differenzierung: Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 6 Fusion Zusammenschluss auf vertraglich freiwilliger Basis Verschmelzung in neuem Unternehmen Anpassung der Firma möglich Übernahme Zusammenschluss unter Ausübung wirtschaftlicher Macht Integration bzw. Unterordnung in bestehendes Unternehmen häufig Untergang der Identität des übernommenen Unternehmens □ drei wesentliche Formen des Zusammenschlusses: vertikal Abnehmer und Zulieferer horizontal Unternehmen auf gleicher (Markt-)Ebene konglomerat Unternehmen ohne vorherige Geschäftsbeziehung □ Zusammenschlüsse können unterschiedliche Konsequenzen für das einzelne Unternehmen einerseits und die Ökonomie andererseits haben Profitabilität vs. Effizienz □ typische Kriterien für Zusammenschlüsse sind Realisierung von Synergieeffekten (z.B. im Bereich Beschaffung oder Logistik) Reduzierung von Transaktions- und Overheadkosten (z.B. Standortoptimierung) Nutzung von Massenproduktionsvorteilen (Skaleneffekte) Straffung und Verbesserung der Managementleistung (Qualifikationssteigerung) Diversifizierung als Komponente des Risikomanagements Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 7 □ Übernahmen setzen häufig an Ineffizienz des übernommenen Unternehmens an „hostile takeovers“ („Scheffler vs. Continental“) □ unterschiedliche Abwehrstrategien denkbar Suche nach geeigneten Kooperationspartnern für „freiwillige“ Fusion („Deutsche Bank/Postbank“, „Commerzbank/Dresdner Bank“) Erhöhung des Eigenkapitals durch die bisherigen Eigentümer Management-Buyout „going private“ durch Übernahme der Eigenkapitalanteile (Aktien) durch das Management, spezielle Variante: „LBO“ (leveraged buyout“) □ Zusammenschlüsse großer Unternehmen in der Vergangenheit oft wenig erfolgreich „Daimler-Benz/Chrysler“, „BMW/Rover“, „Allianz/Dresdner Bank“ … □ Motiv nicht selten Aufbau und Ausnutzung von Marktmacht, nennenswerter „EffizienzZuwachs“ empirisch zweifelhaft 1.3 Kostenkonzepte □ effiziente Produktion bedeutet Erfüllung der Minimalkostenbedingung Minimierung der Produktionskosten für einen gegebenen Output und ebenfalls gegebene Technologie □ Kostenbegriffe: Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 8 Fixkosten (FK) = von der Produktionsmenge unabhängige Kosten variable Kosten (VK) = mit der Produktionsmenge variierende Kosten totale Kosten (TK) = FK + VK totale Durchschnittskosten (TDK) = TK/q durchschnittliche variable Kosten (DVK) = VK/q durchschnittliche Fixkosten (DFK) = FK/q Grenzkosten (GK) = dTK/dq □ zum Zusammenhang vgl. Abbildung 1 □ darüber hinaus von Bedeutung: „sunk costs“ (versunkene Kosten) sog. Istkosten der Vergangenheit, d.h. Fixkosten, die unwiederbringlich verloren sind, weil keine alternative Nutzung (Veräußerung) möglich ist □ beachte: sunk costs sind nicht entscheidungsrelevant Betrieb einer Eisenbahnstrecke nicht deshalb sinnvoll, weil in Schienenweg bereits existiert wurde □ Kenntnis der spezifischen Kostenfunktion ermöglicht Rückschlüsse auf Produktionstechnologie Dualität von Kosten- und Produktionsfunktion bei gegebenen Faktorpreisen □ in der Praxis können häufig nicht alle relevanten Parameter in einer Kostenfunktion geeignet abgebildet werden z.B. Anpassungsfähigkeit der Technologie in Bezug auf saisonale Mengenschwankungen Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 9 □ zur korrekten Preiskalkulation sind neben pagatorischen auch nicht auszahlungsrelevante Kosten zu berücksichtigen kalkulatorische Kosten □ Beispiele: Opportunitätskosten Entscheidung zwischen Eigenfertigung und Fremdbezug (analog: „sell and lease back“), Kapitalbindungsargument mittelbar erfolgswirksam Abschreibungen faktische Wertminderung von Vermögensgegenständen über die Nutzungsdauer unmittelbar erfolgswirksam Unternehmerlohn Gegenwert der Leistung des Unternehmers, wenn kein expliziter Arbeitsvertrag sondern nur Residualanspruch besteht bedingt erfolgswirksam angemessene Verzinsung des Eigenkapitals Kompensation des systematischen unternehmerischen Risikos in der Regel durch Gewinnanspruch (ex post!) abgegolten 1.4 Spezielle Eigenschaften von Kostenfunktionen □ Abbildung 1 gibt „typischen“ Kostenverlauf wieder: zunächst fallende Durchschnittskosten („steigende Skalenerträge“) (quasi-)konstante Durchschnittskosten im Betriebsoptimum („konstante Skalenerträge“) steigende Durchschnittskosten („fallende Skalenerträge“) Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 10 □ ökonomisch besonders interessant sind positive Skaleneffekte „Extremfall“: natürliches Monopol (ausführlich in Abschnitt 3) □ positive Skaleneffekte (auch: Größenvorteile) sind regelmäßig Eigenschaften industrieller Massenproduktion „Fließbandfertigung“ □ weitere Ursache: Spezialisierung sowohl auf der Absatz- als auch auf der Faktorseite Lern- und Erfahrungseffekte □ ein einfaches Messkonzept nutzt die systematischen Beziehungen der unterschiedlichen Kostenabgrenzungen (1.6) K q TDK dq K q q s dK q GK q dK q dq s > 1 steigende Skalenerträge s = 1 konstante Skalenerträge s < 1 fallende Skalenerträge □ Klassifizierung: □ es ist offensichtlich, dass ein Unternehmen den Bereich steigender Skalenerträge vermeiden sollte Produktionsplanung, Anpassung der Betriebsgröße … Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 11 □ Sachverhalte für Einprodukt-Unternehmen relativ leicht nachvollziehbar und transparent, bei Mehrprodukt-Unternehmen werden die Zusammenhänge sehr schnell ausgesprochen komplex □ analoges Konzept: Verbundvorteile („economies of scope“) gegenseitige Beeinflussung der Produktionskosten einzelner Produkte □ Analyse anhand eines allgemeinen formalen Beispiels, sei (1.7) K q1,q2 die Kostenfunktion eines Unternehmens, das ein Produkt 1 mit der Menge q1 und ein Produkt 2 mit der Menge q2 herstellt □ die Grenzkosten der Produktion des Gutes 1 bei gegebener Produktionsmenge des Gutes 2 seien (1.8) GK1 K q1,q2 , q1 analog für die Produktion des Gutes 2 Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 12 □ die Durchschnittskosten der Produktion sind jetzt abhängig von den Produktionsniveaus beider Güter, es sei (1.9) qi iq die Produktionsmenge des Gutes i als Anteil λi der Gesamtproduktion q, dann sind die Strahlendurchschnittskosten SDK definiert als (1.10) SDK q K 1q, 2q q □ für jede Kombination λ1 und λ2 lassen sich jetzt die entsprechende Strahlendurchschnittskostenkurve sowie das die Kosten minimierende (Gesamt-)Outputniveau q ermitteln □ beachte: das jeweils optimale Niveau der Gesamtproduktion kann sich mit dem Verhältnis der Produktion der Einzelgüter verändern □ der Funktionsverlauf von SDK(q) ist nicht pre-determiniert, vielmehr können die Skaleneigenschaften der Produktionstechnologie herangezogen werden, um die Steigung der Funktion SDK(q) (abschnittsweise) zu beschreiben, es gilt Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 13 (1.11) K q s 1 K q K q q1 q2 q1 q2 □ die Interpretation von s im Mehrproduktfall ist allerdings etwas umständlicher □ im Einprodukt-Unternehmen ist s = 1, wenn der Preis den Grenzkosten entspricht und darüber hinaus im Betriebsoptimum produziert wird (GK = TDK) □ das Verhältnis von TDK zu GK bestimmt im Einprodukt-Unternehmen die Höhe von s □ für das Mehrprodukt-Unternehmen gilt die (allgemeine) Analogie: für s > 1 gilt: SDK fallen mit q für s < 1 gilt: SDK steigen mit q □ s kann auch interpretiert werden als Messgröße für das Verhältnis von Gesamtkostenanstieg in Abhängigkeit vom prozentualen Zuwachs aller Outputs für s > 1 ist der prozentuale Kostenzuwachs geringer als prozentuale Anstieg des Gesamtoutputs □ im Mehrproduktfall existieren zusätzliche Kostengrößen: Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 14 „isolierte“ Grenzkosten (IGK) für den Anstieg der Produktion des Gutes 2 von 0 auf q2 Einheiten bei einem gegebenen Output q1: IGK 2 K q1,q2 K q1,0 durchschnittliche isolierte Grenzkosten (DIGK) für den Anstieg der Produktion des Gutes 2 von 0 auf q2 Einheiten bei einem gegebenen Output q1: DIGK 2 K q1,q2 K q1,0 / q2 □ vor diesem Hintergrund lassen sich in einem Mehrprodukt-Unternehmen auch produktspezifische Skalenerträge PSi für die Herstellung von qi ermitteln, wenn qj konstant gehalten wird: (1.12) □ DIGK i GK i si Verbundvorteile SC liegen dann vor, wenn die gemeinsame Produktion verschiedener Güter günstiger ist als die separate, d.h. wenn (1.13) □ PSi SC K q1,0 K 0,q2 K q1,q2 K q1,q2 0 q1,q2 ein Zahlenbeispiel soll die Zusammenhänge illustrieren: Unternehmen produziert rote (q1) und blaue (q2) Luftballons auf einer Maschine mit der Kostenfunktion Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 15 (1.14) K q1,q2 100 q1 2q2 □ offensichtlich sind die Grenzkosten der Produktion eines Ballons der jeweiligen Farbe konstant mit GK1 = 1 bzw. GK2 = 2 □ seien die Produktionsanteile λ1 = λ2 = 0,5, dann erhalten wir (1.15) □ K 0,5q,0,5q 100 0,5q 2 0,5q 100 1,5q Entsprechend lassen sich die Strahlendurchschnittskosten ermitteln als (1.15) SDK q 100 1,5q 100 1,5 q q □ die Strahlendurchschnittskosten verlaufen fallend in q □ als Maß für die Skalenerträge s erhält man (1.16) s K q1,q2 100 q1 2q2 100 1 1 K K q 2q q 2q 1 2 1 2 q1 q2 q1 q2 d.h. die Produktion weist steigende Skalenerträge auf Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 16 □ die separaten Produktionsfunktionen lauten (1.17a) (1.17b) □ die Gesamtkosten der separaten Produktion belaufen sich dann auf (1.18) □ K q1,0 100 q1 K 0,q2 100 2q2 K q1,0 K 0,q2 200 q1 2q2 die Prüfung auf Verbundvorteile ergibt dann SC (1.19) K q1,0 K 0,q2 K q1,q2 K q1,q2 100 q1 100 2q2 100 q1 2q2 100 q1 2q2 100 0 100 q1 2q2 es liegen mithin Verbundvorteile der Produktion vor Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 17 □ auch die durchschnittlichen isolierten Grenzkosten lassen sich leicht errechnen, z.B. für Produkt 1, wenn der Output des zweiten Gutes auf q2 fixiert wird (1.20) □ DIGK1 100 q1 2q2 100 2q2 q1 q1 1 q1 wegen GK1 = 1 sind die produktspezifischen Skalenerträge wegen PS1 = 1 konstant Prof. Dr. Horst Gischer Industrieökonomik I 18
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