Bestandsentwicklung fischereilich genutzter Fischarten in der Lippe

Kuss: Bestandsentwicklung fischereilich genutzer Fischarten
Bestandsentwicklung fischereilich genutzter
Fischarten in der Lippe im Bereich
der Lippefischereigenossenschaft Lippborg
Siegfried Kuss
Einleitung
Mit Lachs, Meerforelle, Flussneunauge und Meerneunauge konnten seit Ende der 90-er Jahre wieder über Jahrzehnte verschollene Arten in der Lippe nachgewiesen werden. So erfreulich die Rückkehr dieser Arten auch ist,
so ist festzustellen, dass die von Anglern genutzten Fischarten im Vergleich der letzten zehn Jahre im Bestand
erheblich zurückgegangen sind. Die Ursachen sind sicher vielfältig und nicht immer eindeutig. An Hand von
Fangstatistiken der Lippefischereigenossenschaft (LFG) Lippborg sollen die Veränderungen bei den von Anglern
genutzten Fischarten dargestellt werden. Aus dem Vergleich verschiedener Untersuchungen des Makrozoobenthos sowie einer Beschreibung der Strukturveränderungen in der Lippe soll versucht werden, die Veränderung der
Fischbestände zu erklären.
Fangstatistik der LFG Lippborg
von 1993 bis 2000
Das Gebiet der LFG Lippborg hat eine Länge von
ca. 40 km, beginnt am Wehr Benninghausen und
endet am Wehr in Heessen. Die Wasserfläche beträgt
ca. 91 ha.
In der Tabelle 1 sind die Fänge der am häufigsten
genutzten Fischarten im Bereich der LFG Lippborg
aufgelistet. Betrachtet man die aufgeführten Arten
etwas näher, so fällt auf, dass die Fänge aller Arten
im Vergleich von 1993 bis 2000 zurückgegangen
sind. Das gilt auch für Äsche, Bachforelle, Hecht,
Karpfen und Schleie, die zur Bestandsstützung eingesetzt werden. Besonders Äsche, Bachforelle und
Schleie haben nur einen sehr geringen Anteil am
Gesamtfang.
Besondere Beachtung verdient hier noch die Barbe.
Der überwiegende Teil der Gewässerstrecke gehörte
ursprünglich zur Barbenregion. Wenn die Leitfischart dieser Region nur noch in geringen Mengen
vorkommt, ist dies auch ein Hinweis auf die Veränderung im Gewässer selbst. Die Statistik zeigt auch,
dass nur durch Besatz allein der Fischbestand nicht
immer verbessert werden kann.
Der Gesamtfang ist demnach von 1993 bis 2000 um
33 Prozent zurückgegangen. Im Vergleich hierzu
sind die Fänge im Bereich der FG Hamm für die
Lippe und Ahse von 1991 bis 2000 um ca. 70 Prozent zurückgegangen. Dass die Fänge in der LFG
Lippborg weniger stark zurück gingen und ab 1998
sogar wieder leicht anstiegen, könnte möglicherweise auch auf die Renaturierung der Klostermersch
Barbe.
130
NUA-Seminarbericht Band 9
Lippe: Entwicklung, Visionen
Tabelle 1: Fangergebnisse der Lippefischereigenossenschaft Lippborg in kg.
Art
Aal
Äsche
Barbe
Barsch
Brasse
Döbel
Forelle
Hecht
Karpfen
Rotauge
Schleie
Zander
Gesamtgewicht [kg]
1993
1994
Fangergebnis [kg] für das Jahr
1995
1996
1997
1998
1999
2000
1794
90
407
524
2078
856
681
2393
4573
2765
397
968
2209
65
504
503
2124
942
648
2442
5572
2949
537
1121
1831
76
463
620
1639
983
1185
2309
4569
2385
347
916
1813
69
288
605
1320
643
1047
1901
3293
2159
315
567
2105
26
331
306
1018
501
565
1587
3104
1988
209
464
1447
16
271
379
968
427
402
1687
3180
1714
195
539
1466
21
192
439
841
707
265
1634
3072
2083
232
564
1514
60
166
393
966
596
201
1700
3209
2156
158
640
17 526
19 616
17 323
14 020
12 204
11 225
11 516
11 759
bzw. Entfesselung der Ufer zurückzuführen sein. Ob
dieser Trend anhält, muss abgewartet werden.
Probestellen sind örtlich genau festgelegt und wurden nicht durch Baumaßnahmen verändert.
Die Entwicklung von Fischbeständen ist neben chemisch-physikalischen Parametern besonders vom
Nahrungsangebot und den im Gewässer vorhandenen Strukturen abhängig. Da sich die chemische
Gewässergüte in den vergangenen Jahren in den
meisten Gewässern verbessert hat, dürfte die Gewässergüte allein kein Grund für den Rückgang der
Fischbestände sein.
Auffällig ist an beiden Probestellen die Veränderung
der Arten. An der Probestelle Fährstraße, Tabelle 3,
ist nur die Wasserassel über einen Zeitraum von
35 Jahren ständig vorhanden. Auch die Veränderungen bei den Flohkrebsen sind bemerkenswert. Der
Bachflohkrebs Gammarus pulex fehlt 2001 an beiden Probestellen, dafür ist an der Fährstraße der
Entwicklung des Makrozoobenthos
in der Lippe
Tabelle 2: Häufigkeit der Organismen nach Kategorien und in diesem Beitrag angenommene Individuenzahlen (vgl. Text; Arten mit Häufigkeit 1
wurden nicht berücksichtigt).
Die in Tabelle 3 und 4 aufgeführten Benthosarten
wurden im Rahmen von biologischen Gewässergütebestimmungen ermittelt. Bei der Berechnung der
Gewässergüte wird in der Regel die Häufigkeit der
Organismen verschlüsselt angegeben. Da diese
Angaben kaum Rückschlüsse auf die Gesamtzahlen
zulassen, wurde, wie in Tabelle 2 angegeben, jeder
Häufigkeit eine Durchschnittszahl zugeordnet. Wissenschaftlich sicher keine genaue Methode, aber
doch eine Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum Veränderungen festzustellen. Die aufgeführten
NUA-Seminarbericht Band 9
Einteilung
der Häufigkeiten
Angenommene
Anzahl
h1=
1–2 Stück
–
h2=
3–10 Stück
7 Stück
h3=
11–30 Stück
20 Stück
h4=
31–60 Stück
45 Stück
h5=
61–100 Stück
80 Stück
h6=
h7=
101–150 Stück
massenhaft über 150
125 Stück
200 Stück
131
Kuss: Bestandsentwicklung fischereilich genutzer Fischarten
Tabelle 3: Makrozoobenthos der Lippe in Hamm Fährstraße 1966.
Quellen:
1966: Prof. Ant, zit. nach AQUARIENVEREIN AMAZONAS (1985): Die Lippe in Hamm.
1985: AQUARIENVEREIN AMAZONAS (1985): Die Lippe in Hamm.
1997: Dr. Thomas: Gewässergütebericht Stadt Hamm.
2001: Dr. Thomas: Gewässergütebericht Stadt Hamm.
Art
Makrozoobenthos (Anzahl Individuen) für das Jahr
1966
1985
1997
2001
Tubifex tubifex
Chironomus spec.
Limnodrilus hof.
Asellus aquat.
Radix perega
Physa fontinalis
Sphaerum corneum
Gammarus pulex
Gammarus roeseli
Gammarus tigrinus
Erpobdella octocu.
Cloeon spec.
Galba truncatula
Lestes spec.
Bithynia tentaculata
Dugesia tigrina
Physella acuta
Sialis lutaria
Corbicula flumina.
Ischnura elegans
Pisidium spec.
200
200
80
80
20
20
20
15
–
–
7
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
200
–
125
–
7
–
20
–
–
–
45
80
7
–
–
–
–
–
–
7
–
–
–
80
–
–
–
45
–
–
–
–
–
–
–
45
20
20
45
–
–
–
–
–
80
–
–
–
–
7
20
–
7
–
–
7
–
20
20
20
7
7
Gesamtindividuenzahl
Artenzahl
Gewässergüte
642
9
3,08
491
8
2,58
255
6
2,24
195
10
2,28
Flussflohkrebs G. roeseli in geringer Zahl erstmals
vertreten. Der salztolerante G. tigrinus kam bisher
nur unterhalb Wehr Hamm im Bereich einer Grubenwassereinleitung vor. Nach Beendigung dieser Einleitung Ende 2000 hat er möglicherweise auf der
Suche nach neuen Lebensräumen das Wehr bei
Hochwasser über den Deichseitengraben überwunden.
Da das Makrozoobenthos die wichtigste Nahrungsquelle für die Fische in der Lippe bildet, ist auch die
Gesamtzahl der gefundenen Individuen von Bedeutung. Mit abnehmendem Fraßdruck der Fische
müsste die Dichte des Makrozoobenthos eigentlich
132
zunehmen. Im Vergleichszeitraum ist aber an beiden
Probestellen die Individuenzahl erheblich zurückgegangen.
Allgemein wird die verbesserte Gewässergüte und
die verringerte Nährstoffzufuhr als Grund für den
Rückgang des Makrozoobenthos und damit auch der
Fische genannt. Die biologische Gewässergüte der
Lippe im Bereich der LFG Lippborg liegt zur Zeit
zwischen 2,0 und 2,3. Bedenkt man, dass der Verbreitungsschwerpunkt z. B. für Flohkrebse, Köcherfliegenlarven, Eintagsfliegen etwa bei 2,2 und besser
beginnt, so muss es für den Rückgang oder das Fehlen dieser Arten weitere Gründe geben.
NUA-Seminarbericht Band 9
Lippe: Entwicklung, Visionen
Tabelle 4: Makrozoobenthos der Lippe in Hamm Haarener Weg.
Quellen:
1966: Prof. Ant, zit. nach AQUARIENVEREIN AMAZONAS (1985): Die Lippe in Hamm.
1985: AQUARIENVEREIN AMAZONAS (1985): Die Lippe in Hamm.
1997: Dr. Thomas: Gewässergütebericht Stadt Hamm.
2001: Dr. Thomas: Gewässergütebericht Stadt Hamm.
Art
Makrozoobenthos (Anzahl Individuen) für das Jahr
1966
1985
1997
2001
Dugesia lugubris
Gammarus pulex
Zygopterna indet.
Dendrocoelum lact.
Ancylus fluviat.
Glossophonia comp.
Erpobdella octocul.
Rheotanytarsus spec.
Simulium spec.
Theodoxus fluviat.
Erpobdella testacea
Dugesia gonocephala
Baetis spec.
Ephemerella ignita
Radix perega
Lumbriculus variegat.
Chironomus thumi
Galba truncatula
Cloeon spec.
Centroptilum luteum
Ischnura elegans
Bronchuria sowerbyi
Physella acuta
Sialis lutaria
Corbicula fluminalis
Ecnomus tenellus
Platycnemis pennipes
Calopterix spendens
Galba palustris
Tubifex tubifex
125
45
45
20
20
20
20
20
20
15
15
15
15
15
15
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
7
45
–
–
–
–
–
–
7
–
–
–
–
–
20
200
125
20
20
–
–
–
–
–
–
–
–
–
7
7
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
7
–
–
–
7
7
45
20
7
7
45
20
7
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
20
–
–
–
–
–
20
–
20
20
7
7
20
–
7
7
–
–
Gesamtindividuenzahl
Artenzahl
Gewässergüte
425
15
2,15
458
10
2,71
172
10
2,17
128
9
2,09
Strukturveränderung in der Lippe
zwischen Wehr Uentrop
und Wehr Heessen
Nach Angaben des StUA Lippstadt und des Lippeverbandes zum Lippeauenprogramm hat sich die
Lippe unterhalb des Lippesees in Sande in den ver-
NUA-Seminarbericht Band 9
gangenen 100 Jahren durch Erosion bis zu drei
Meter tiefer ins Gelände eingegraben. Nach eigener
Einschätzung beträgt die Eintiefung im hier betrachteten Abschnitt ca. zwei Meter in den letzten 50 Jahren. Geht man von einer durchschnittlichen Sohlbreite von 20 m aus, so sind dies 40 m3 Sediment pro
Meter oder 400 000 m3 für den 10 km langen
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Kuss: Bestandsentwicklung fischereilich genutzer Fischarten
Abschnitt. Der Verlust dieser Sedimente hat zur
Folge, dass die Wassertiefe im Staubereich um ca.
zwei Meter zugenommen hat. Oberhalb der Stauwurzel ist das Grundwasser abgesunken. Die Gewässersohle besteht jetzt teilweise aus Mergel, der
Geschiebetransport findet wegen Mangel an losen
Sedimenten nur noch in geringem Umfang statt.
Umschichtungen und damit die Neubildung kleinräumiger Biotope sind kaum noch möglich. Die
Sohlerosion über einen Zeitraum von 50 Jahren verläuft langsam. Eintiefungen von vier Zentimeter im
Jahr werden kaum bemerkt und daher als Ursache
für negative Biotopveränderungen nicht immer
erkannt. Wer sein Gewässer aber kennt, wird auch
ohne aufwendige Untersuchungen die Veränderung
der Wasserpflanzenbesiedlung bemerken. Vor 50
Jahren wuchsen die Pflanzen noch teilweise bis zur
Flussmitte. Heute sind davon nur noch vereinzelte
und spärliche Reste übergeblieben.
Abbildung 1: Die vom Aussterben bedrohte Flussschwimmschnecke (Theodoxus fluviatilis) kommt noch in
und um Lippstadt vor. Sie zeigt eine gute Qualität des
Flusswassers an.
Foto: G. Laukötter
Wasserpflanzen sind Laichsubstrat verschiedener
Fischarten, sie bieten den Fischen Deckung, sie sind
Siedlungsfläche und Nahrungsgrundlage vieler Wirbelloser.
Da die Flohkrebse zur Gruppe der Zerkleinerer
gehören und von Pflanzensubstanz leben, könnte der
Rückgang der Wasserpflanzen auch eine Ursache für
die Abnahme wirbelloser Tiere sein.
Zusammenfassung und Ausblick
Durch Besatz können einzelne Fischarten unterstützt
werden. Der Gesamtfischbestand ist aber abhängig
vom Nahrungsangebot und den Strukturen im
Gewässer und kann durch Besatz nur unwesentlich
verbessert werden.
Eine Zunahme der Fischbestände sowie die Sicherung einer nachhaltigen Nutzung kann nur durch
Strukturverbesserung erreicht werden. Neben Renaturierung und Entfesselung der Ufer muss auch dem
Sedimentdefizit mehr Beachtung geschenkt werden.
134
Abbildung 2: Die heimischen Flohkrebse (Gammarus)
erhalten vielfache Konkurrenz durch Neozooen, die über
den Rhein in die Lippe vordringen. Werden sie demnächst
komplett durch diese Neueinwanderer ersetzt?
Foto: G. Laukötter
Anschrift des Verfassers
Siegfried Kuss
Gewässerwart im Landesfischereiverband Westfalen
und Lippe e. V.
Kanalstraße 15
59077 Hamm
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