S E I T E 12 D I E W E LT * S A M S TA G , 16 . M A I 2 015 Wirtschaft Versteckte Kosten bei billigem Zahnersatz ANJA ETTEL UND NINA TRENTMANN T Zahnärzte-Chef Eßer über Qualitätsprobleme A nders als die Innung der deutschen Zahntechniker sehen viele Zahnärzte die wachsende Nachfrage nach günstigem Zahnersatz aus dem Ausland relativ entspannt. Schließlich müssten auch importierte Zahnprothesen dem hiesigen Medizinproduktegesetz entsprechen, meint Wolfgang Eßer, Chef der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Unterm Strich sei die beste Option aber nach wie vor das klassische Modell aus Praxis und Labor in Wohnortnähe. WELT: Wie sicher ist Zahnersatz aus dem Ausland tatsächlich? WOLFGANG ESSER: Auslandszahnersatz ist nicht per se schlechter als in Deutschland gefertigte Prothetik. Beides muss den hohen Anforderungen des Medizinproduktegesetzes entsprechen. Grundsätzlich gilt aber: Je komplexer die prothetische Versorgung und je höher der ästhetische Anspruch des Patienten, desto sinnvoller ist eine qualitätsgesicherte, wohnortnahe Versorgungskette. Tatsächlich garantiert werden kann das nur durch eine Fertigung in einem praxisnahen Labor in Deutschland. Auch aus medizinischen Gründen sollte eine Zahnbehandlung möglichst immer in der Nähe des eigenen Wohnortes durchgeführt werden. Nur dann können etwaige Vor- und Nachbehandlungen mit der gebotenen Sorgfalt und ohne Zeitnot durchgeführt werden. Der heimische Zahnarzt steht bei Komplikationen oder in Notfällen in der Regel auch sofort zur Verfügung. KZBV/KZBV Was sollten Patienten außerdem beachten? Wer aus Kostengründen dennoch eine Behandlung im Ausland plant, sollte sich vergewissern, dass eine hochwertige Qualität der medizinischen und zahntechnischen Arbeiten gesichert ist. Besonders bei sogenannten Billigangeboten sollten zudem alle möglichen Kostenfaktoren berücksichtigt werden. Wird etwa aufgrund von Komplikationen eine Nachbehandlung erforderlich, für die eine erneute Anreise notwendig ist, kann der erhoffte Kostenvorteil schnell dahin sein. Für uns bleibt nach Abwägung aller Mahnt Qualität an: Wolfgang Eßer Argumente die oft langjährige und deshalb besonders eingespielte Zusammenarbeit von Zahnarzt und Labor im Inland das zu empfehlende Versorgungsmodell für Patienten bei Zahnersatz. Die Firma Globudent hat der Branche damals einen der größten Betrugsfälle im deutschen Gesundheitswesen beschert. Wie ist sichergestellt, dass sich Ähnliches nicht wiederholt? Gerade der Fall Globudent hat damals gezeigt, dass die zahnärztliche Selbstverwaltung im Bereich der Aufklärung sehr gut funktioniert hat. Selbstverwaltung und beteiligte Staatsanwaltschaften haben vorbildlich zusammengearbeitet. Die in den Fall verwickelten Zahnärzte sind straf- und berufsrechtlich belangt worden, teilweise wurde den Ärzten sogar die Approbation entzogen, was de facto einem Berufsverbot gleichkommt. Leider gibt es in allen Bereichen der Gesellschaft schwarze Schafe - die Zahnärzteschaft bildet da keine Ausnahme. Das unentschuldbare Verhalten von einigen wenigen schadet dem Vertrauen und dem Ansehen unseres Berufs. Daher ist es im Interesse von Patienten, Versicherten und Zahnärzten unverzichtbar, in solchen Fällen mit allen zur Verfügung stehenden berufs- und strafrechtlichen Mitteln konsequent gegen die Verfehlungen vorzugehen. Das Gespräch führte Anja Ettel ang Jiumin ist nicht zufrieden. Seit fast einer Stunde schon arbeitet er an einem Gipsabguss. Aber die Zähne beißen noch immer nicht einwandfrei aufeinander. Der schmächtige 32-Jährige dreht vorsichtig ein weiteres Mal an den Schräubchen, dann schleift er ein winziges Stück des hintersten Backenzahns ab und lässt Oberund Unterkiefer erneut zusammenschnappen. Nun passt alles. Ein kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht. Tang Jiumin stellt das fertige Gipsmodell vorsichtig auf den erhöhten Tresen in der Mitte seines Tisches, wo es später abgeholt wird. 15 bis 20 solcher Modelle stellt er am Tag her, ein guter Wert. Dabei hat er für diese Tätigkeit nie eine Prüfung abgelegt. In Deutschland, wo Zahntechniker ein Handwerksberuf mit dreijähriger Ausbildung ist, wäre das undenkbar. Aber im fernen China, wo Tang Jiumin gemeinsam mit seinen rund 1400 Kollegen in einer riesigen Laborfabrik am Rande eines Gewerbegebietes in Shenzhen arbeitet, gibt es solche Vorschriften nicht. Was zählt, ist das Ergebnis: Zahnersatz, der deutlich weniger kostet als anderswo. Es ist ein Geschäftsmodell, das seit Jahren gut funktioniert: Firmen wie die Mülheimer MDH, nach eigenen Angaben mit einem Umsatz von 45 Millionen Euro Marktführer in Deutschland, oder das Lübecker Zahnlabor Interadent, das auf den Philippinen fertigen lässt, verdienen gut daran, deutsche Patienten in großem Stil mit Auslandszahnersatz zu versorgen. Die Kronen, Brücken, Implantate und Prothesen, die im Ausland von Subunternehmern oder Partnerlaboren produziert und dann per Flugzeug nach Deutschland gebracht werden, sind deutlich günstiger als jene, die in deutschen Laboren gefertigt werden. Mindestens 50 Prozent, oft sogar noch mehr, lägen die künstlichen Zähne aus Fernost dank der deutlich geringeren Lohnkosten unter dem in Deutschland verlangten Preis, werben die Hersteller. Für viele Patienten ist das attraktiv, denn Zahnersatz ist teuer: Gut drei- bis vierhundert Euro kostet etwa eine Vollkeramikkrone. Für ein einzelnes Implantat inklusive der sogenannten Suprakonstruktion im Frontzahnbereich muss man um die zweitausend Euro rechnen, oft sogar noch mehr. Auch viele Zahnärzte haben offensichtlich keine Bedenken, künstliche Zähne aus chinesischen oder philippinischen Laboren einzusetzen: der Marktanteil für den Zahnersatz aus Fernost wächst. Nach internen Berechnungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) betrug der Importanteil bei Zahnersatz im Jahr 2013 – aktuellere Daten sind noch nicht verfügbar – etwa fünf bis zehn Prozent. „Auslandszahnersatz ist nicht per se schlechter als in Deutschland gefertigte Prothetik“, sagt Wolfgang Eßer, KZBVVorstandsvorsitzender (siehe Interview). Je komplexer die prothetische Versorgung und je höher der ästhetische Anspruch des Patienten, desto sinnvoller sei aber eine wohnortnahe Versorgung. „Tatsächlich garantiert werden kann eine solche praktisch nur durch eine Fertigung in einem praxisnahen Labor in Deutschland“, so Eßer. Vor allem die deutschen Zahntechniker sehen die Verlagerung der Laborarbeiten ins Reich der Mitte mit großer Sorge. Sie fürchten, dass ihnen der Zahnersatz aus China langfristig das Geschäft ruiniert und das Ende ihres traditionellen Handwerks bedeutet. „Deutsche Labore können bei dem, was ihnen die Krankenkassen preislich mittlerweile abverlangen, nur noch schwer mithalten“, sagt Guido Braun, Vizepräsident des Verbands Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI). Er kritisiert, dass die Importeure von Zahnersatz sich im Gegensatz zum Handwerk nicht an die rigorosen Abrechnungsregeln der Krankenkassen hielten, den Auslandszahnersatz also zu teuer verkauften, was die sagenhaften Gewinne der Branche erkläre. Das 2005 eingeführte Festzuschuss-System, bei dem die Kassen nur noch eine fixe Zuzahlung zur sogenannten Regelversorgung leisten und alles, was darüber hinaus geht, vom Patienten selbst gezahlt werden muss, habe die Wettbewerbsverzerrung noch verschärft. „Dieses System ist völlig intransparent und fördert das Korruptionsmodell „Auslandszahnersatz“ geradezu. Einer Abrechnungs-Kontrolle ist es nicht mehr zugänglich“, warnt er. Tatsächlich wurde die Branche vor zwölf Jahren durch einen millionenschweren Abrechnungsskandal erschüttert, bis heute einer der größten Betrugsfälle im deutschen Gesundheitswesen. Damals kam heraus, dass die Mülheimer Firma Globudent jahrelang billigen Zahnersatz aus China nach deutschen Höchstpreisen abgerechnet hatte. Zahnärzte, die diesen Betrug mitmachten, er- NINA TRENTMANN/NINA TRENTMANN(3) FRANKFURT/SHENZHEN In Deutschland beherrscht ein Zahntechniker alle Schritte vom Modell bis zum fertigen Zahnersatz. In China werden die Aufträge in viele Einzelschritte zerlegt Fabrik der künstlichen Zähne Immer mehr Deutsche entscheiden sich für günstigeren Zahnersatz aus dem Ausland – aber es gibt Risiken, wie der Besuch einer Zahnfabrik im chinesischen Shenzhen nahelegt hielten im Gegenzug Schmiergeldzahlungen. Zwar wanderten die verantwortlichen Manager damals in Haft, Globudent wurde liquidiert. Doch an dem Grundproblem, der großen Intransparenz im Geschäft mit dem Zahnersatz, habe sich bis heute wenig geändert – es habe sich durch das Festpreissystem sogar noch verschlimmert, meint Braun. Das Problem: Der Patient, der nur seinen Zahnarzt beauftragen kann, nicht aber das Dentallabor direkt, weiß häufig gar nicht so genau, wo und von wem sein Zahnersatz hergestellt wird – und von welcher Qualität und Güte die eingesetzten künstlichen Zähne wirklich sind. Es sei denn, er fragt gezielt nach oder entscheidet sich bewusst für ein Dentallabor aus dem Ausland. Zwar muss der Herstellungsort immer im sogenannten „Heil- und Kostenplan“ aufgeführt sein. Kritiker verweisen allerdings darauf, dass das Medizinproduktegesetz per Definition den Importeur – der seinen Sitz in der Regel in Deutschland hat – zum Hersteller macht. Im ungünstigsten Fall, warnen Kritiker, erfährt der Patient erst hinterher bei der Abrechnung, dass sein günstig erstandener Zahnersatz aus Fernost kommt, selbst wenn er sich womöglich gar nicht bewusst dafür entschieden hat. Für einen Rückzieher sei es dann aber zu spät, wenn der Patient nicht erneut eine schmerzhafte Proze- dur in Kauf nehmen wolle. „Zitronenmarkt“ nennt Braun diesen Effekt: „Wenn der Käufer die Qualität eines Gutes nicht so genau beurteilen kann, entscheidet er vor allem über den Preis. Selbst auf die Gefahr hin, eine Zitrone zu erwischen – in diesem Fall einen Zahnersatz von vielleicht minderer Qualität.“ Erschwerend kommt hinzu, dass man es den künstlichen Zähnen und Gebissen von außen in der Regel nicht ansieht, wie gut oder schlecht sie hergestellt sind. „Das kann nicht einmal ein Zahntechnikermeister und auch nicht der Zahnarzt beurteilen, denn dazu müsste man den Zahnersatz erst zersägen und damit zerstören“, sagt Braun. Für Patrick Ho sind solche Bedenken ziemlich abwegig. Es ist das perfekte Lächeln, das er seinen Kunden verspricht. Selbst dann, wenn die eigenen Zähne das längst nicht mehr hergeben. „Perfect Ceramic Dental“, die „perfekte Dentalkeramik“ hat der 54-jährige Hongkong-Chinese seine Firma für künstlichen Zahnersatz genannt. Im Internet wirbt Ho, ein kleiner Mann mit schüchternem Lächeln, selbstbewusst mit schneller Auftragsausführung, zertifizierten Rohstoffen und europäischer Expertise: ein „deutsches Meisterlabor im Herzen Shenzhens“. Die Realität wirkt ernüchternd: die Laborfabrik, das Herzstück von „Perfect Ceramic Dental“, ist in ei+ nem schlichten Fabrikgebäude in einem der vielen gesichtslosen Gewerbegebiete der südchinesischen Millionenmetropole untergebracht. Nebenan werden Möbel verkauft, in der Nähe rauscht die Autobahn. Kein Schild wirbt im Erdgeschoss mit dem perfekten Lächeln, eine prunkvolle Eingangshalle gibt es nicht. Besucher gelangen nur über einen ruckeligen Lastenaufzug in die höheren Stockwerke des Gebäudes, wo Angestellte wie Tang Jiumin auf drei Etagen verteilt unter der Anleitung deutscher Zahntechnikmeister an Gebissen schrauben, Zahnmodelle erstellen oder Kronen schleifen. Die Schlichtheit ist gewollt, sie spart Kosten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich potenzielle Patienten oder Zahnärzte hierher verirren, ist ohnehin denkbar gering. Denn die gut 800 Gebisse, Implantate, Brücken und Kronen, die pro Tag in Hos Fabrik der künstlichen Zähne entstehen – immerhin die Jahresleistung so mancher deutscher Dentallabore – wandern nicht etwa in die Münder von Patienten im Großraum Shenzhen. Sie werden erst viele tausend Kilometer weiter in deutschen Arztpraxen eingesetzt: Zahnersatz als Exportschlager. Das System funktioniert bei den Anbietern von Auslandszahnersatz in der Regel recht ähnlich: zunächst senden kooperierende Arztpraxen die Abdrücke ihrer Patienten bei einer deutschen Dentaltechnikfirma wie MDH oder Interadent ein. Die Aufträge werden zentral erfasst und per Flugzeug in die Partnerlabore oder Subunternehmen im Ausland gebracht. Drei bis fünf Tage später geht die fertige Ware auf demselben Weg zurück und wird nach Schlusskontrolle durch deutsche Zahntechniker an die Arztpraxen im Bundesgebiet versandt. Kleinere Reparaturen finden in der Regel in Deutschland statt, bei größeren Nachbesserungen muss der Zahnersatz allerdings wieder nach China gesendet werden, was für den Patienten durchaus längere Wartezeiten bedeuten kann. Hos Labor in Shenzhen, das in Deutschland ausschließlich mit der MDH kooperiert, ist praktisch rund um die Uhr in Betrieb, um den Zeitverlust durch den knapp zehnstündigen Flug von Deutschland nach Hongkong und zurück auszugleichen. Viel wichtiger als der Faktor Zeit ist die schiere Masse. Während ein Labor in Deutschland meist eine Handvoll Angestellte hat, sind es hier mehrere hundert pro Flur. Allein in der Gipsabteilung arbeiten 120 Leute, statt einem oder zwei Brennöfen für die Keramik hat das Labor in Shenzhen über ein Dutzend. Und anders als in Deutschland, wo ein ausgebildeter Zahntechniker alle Schritte vom Modell bis zum fertigen Zahnersatz beherrschen sollte, werden die Aufträge in Shenzhen in viele Einzelschritte zerlegt. Es gibt auf den drei Stockwerken über ein Dutzend verschiedene Abteilungen. „Die Kunst ist, den Individualstandard auf Industrieniveau zu erreichen, so stellen wir sicher, dass die Qualität stimmt“, sagt Charles Mamisch. Der 40-jährige Mediziner mit den lockigen dunklen Haaren und dem selbstbewussten Auftreten ist Vorstandschef des deutschen Marktführers MDH, er pendelt wie seine Ware regelmäßig zwischen dem Unternehmenssitz in Mülheim und den Laboren seines chinesischen Vertragspartners Ho hin und her. „Wir geben vier Jahre Gewährleistung und haben eine Kulanzquote von zehn Prozent“, sagt er. Mamisch ist sichtlich bemüht, sich von der Vorgeschichte zu distanzieren. Immerhin waren es seine Brüder Tarek und Omar John Mamisch, die den damaligen Globudent-Skandal zu verantworten hatten. Nach der Haftentlassung 2003 gründete Tarek Mamisch ein neues Unternehmen, die heutige Mamisch Dental Health AG, kurz MDH, und zog dasselbe Modell noch einmal auf. Allerdings diesmal auf legale Weise, wie Charles Mamisch betont. Schließlich sei das Konzept, günstigen Auslandszahnersatz nach Deutschland zu bringen, grundsätzlich eine gute Geschäftsidee. Er selbst sei damals nicht in den Skandal involviert gewesen. Auch für seine Kunden spiele das heute keine Rolle mehr, beteuert er und verweist darauf, dass das Unternehmen heute professionell geführt werde. Angesichts dieser Vorgeschichte ist es allerdings kein Wunder, dass in Deutschland bei ausländischem Zahnersatz immer noch eine gewisse Vorsicht herrscht, auch wenn der Marktanteil der Auslands-Dentalanbieter wächst. Anders sieht es in den USA und in Skandinavien aus, dort wird vielfach Zahnersatz aus dem Ausland eingesetzt. Seit knapp einem Jahr ist auch MDH nicht mehr in deutscher Hand sondern gehört einem schwedischen Zahnkonzern, der Lifco Dental. Charles Mamisch ist seitdem nur noch im Auftrag als Vorstandschef tätig. „Meine Brüder wollten das Geschäft abgeben. Ich will es nun weiterentwickeln“, sagt er. Rund 4000 deutsche Praxen hat er inzwischen nach eigenen Angaben von seinem Modell überzeugen können. Das Haupthindernis für weiteres Wachstum sei die mangelnde Aufklärung der Patienten, meint der Geschäftsmann: „Es gibt nicht genug Leute, die wissen, dass diese Möglichkeit überhaupt existiert.“
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