Tiefschacht-Verfahren Dipl.-Ing. Elmar Baumann (Dr. Hettler & Partner) Tiefschacht-Verfahren Dipl.-Ing. Elmar Baumann Dr. Hettler & Partner, Gemeinschaft Beratender Ingenieure Volmerstrasse 7B, 12489 Berlin, [email protected] 1. Einleitung Bei dem Tiefschacht-Verfahren (engl. deep-shaft) handelt es sich um eine verfahrenstechnische Variante des Belebtschlammverfahrens. Das Belebungsbecken ist dabei als vertikal in den Boden eingebrachter Schacht ausgebildet. Das AbwasserBelebtschlamm-Gemisch wird in einem konzentrisch angeordneten Zentralrohr nach unten geführt, wo es ausströmt und im Ringspalt zwischen Zentral- und Mantelrohr wieder aufwärts gefördert wird. Die Motivation für die Entwicklung dieses Reaktortyps liegt im wesentlichen in einer verbesserten Ausnutzung des eingetragenen Sauerstoffs durch die Druckerhöhung (hydrostatischer Druck) und den verlängerten Kontaktweg der Luftblasen im Schacht. 2. Sauerstoff Wichtigstes gasförmiges Substrat für den mikrobiellen Stoffwechsel ist der Sauerstoff. Dabei ist Sauerstoff wegen der geringen Löslichkeit häufig der limitierende Faktor bei der Abwasserreinigung. Allgemein ist die Sauerstoffzufuhr abhängig vom Konzentrationsgradienten zwischen der Sättigungskonzentration und der Konzentration des gelösten Sauerstoffs im Medium: OTR = kLa * (c*-cl) OTR kL a c* cl Sauerstofftransportrate (oxygen transfer rate) [mg O2/l*h] volumetrischer Sauerstoffübergangskoeffizient [h-1] Sauerstoffsättigungskonzentration [mg/l] Sauerstoffkonzentration in der Flüssigkeit [mg/l] Tiefschacht-Verfahren Dipl.-Ing. Elmar Baumann (Dr. Hettler & Partner) Das Henry’sche Gesetz beschreibt die Löslichkeit von Sauerstoff in der flüssigen Phase: c* = p0 / H c* p0 H Sauerstoffsättigungskonzentration [mg/l] Partialdruck des Gases in der Gasphase [N/m2] Henry-Konstante (spezifisch für das verwendete Gas und die wässrige Phase) [m2/s2] Mit steigender Sauerstoffkonzentration in der Gasphase steigt unter konstanten Bedingungen (Gleichgewicht) der Sauerstoffanteil in der wässrigen Phase. Zur Verbesserung der Sauerstoffversorgung der Mikroorganismen gibt es daher prinzipiell zwei Möglichkeiten: a) Erhöhung des Partialdruckes des Sauerstoffs Begasung mit reinem Sauerstoff b) Erhöhung des Umgebungsdrucks Mit der Erhöhung des Umgebungsdruckes wächst proportional der Partialdruck des Sauerstoffs. Beim Tiefschacht-Verfahren wird die Druckerhöhung durch den hydrostatischen Druck im Schacht realisiert. 3. Geschichte ICI entwickelte in den 70er Jahren den Deep-Shaft-Reaktor; er diente zunächst der Produktion von SCP (single cell protein) aus Methanol und wurde später auch für die Abwasserreinigung eingesetzt. Weitere Entwicklungen fanden in den USA, Kanada, Japan und auch in der Bundesrepublik Deutschland statt (Tiefschacht-Anlagen in Leer und Emlichheim). Ende der 70er Jahre wurden in der damaligen UdSSR eigene Forschungen zur Anwendung des Verfahrensprinzips bei der biologischen Abwasserreinigung unternommen. Die verschiedenen Entwicklungen unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich Schachtdurchmesser, Schachttiefe und Belüftungssystem. Tiefschacht-Verfahren Dipl.-Ing. Elmar Baumann (Dr. Hettler & Partner) Dr. Hettler führte im Rahmen seiner Promotion experimentelle Untersuchungen am Ukrainischen Institut für Ingenieure der Wasserwirtschaft in Rowno durch. Auf der Grundlage dieser Arbeit wurden in der DDR weitergehende Forschungs- und Entwicklungsaufgaben von der Bauakademie der DDR, dem VEB Ingenieur- und Tiefbaukombinat Frankfurt (Oder) und dem VEB Kombinat Wassertechnik und Projektierung Wasserwirtschaft sowie dem Forschungszentrum Wassertechnik bearbeitet. Dies führte zur Entwicklung der sog. TSBT (Tiefschachtbiotechnologie)-Reaktoren. Projektiert wurden 2 Typen: Typ 1 mit Baugröße I (330 bis 660 EW) und Baugröße II (660 bis 2.240 EW) sowie Typ 2 mit 10.000 bis 30.000 EW. In den Jahren 1988-90 wurden mehrere Anlagen des Typs 1 in Betrieb genommen; als Typ 2 wurde bereits 1986 die KA Bad Freienwalde (25.000 EW) errichtet. Für das noch nicht völlig ausgereifte Tiefschacht-Verfahren wurde die sog. Breitenanwendung propagiert; in jedem Bezirk der DDR sollte eine Erstanwendungsanlage errichtet werden. Infolge fehlender materieller Ressourcen, technischer Unzulänglichkeiten bei der Bauausführung und unzureichend zugeteilter Forschungskapazitäten wurden die festgelegten Zielparameter nicht in vollem Umfang erreicht. Nach der Wende wurde das Tiefschacht-Programm nicht fortgeführt. 4. Versuchsanlage Niewitz Seit einiger Zeit gab es bei Dr. Hettler & Partner Überlegungen, die Schwachstellen des TSBT-Tiefschacht-Verfahrens zu eliminieren und den Prozess zu optimieren. Durch den Kontakt zum Trink- und Abwasserzweckverband (TAZV) Luckau ergab sich die Möglichkeit, praktische Untersuchungen an einem noch in Betrieb befindlichen Tiefschacht durchzuführen. Bei der Tiefschacht-Anlage in Niewitz (bei Lübben) handelt es sich um die kleinste der TSBT-Kläranlagen mit einer projektierten Anschlussgröße von 330 EW (Typ 1, Baugröße I). Die Anlage wurde 1989/90 in Betrieb genommen und lieferte zuletzt nur unbefriedigende Reinigungsleistungen. Tiefschacht-Verfahren Dipl.-Ing. Elmar Baumann (Dr. Hettler & Partner) 5. Schwachstellenanalyse und Optimierung In Zusammenarbeit mit dem TAZV Luckau wurde eine Ist-Analyse der rekonstruktionsbedürftigen Anlage durchgeführt. Folgende Schwachstellen wurden für den mangelhaften Betrieb verantwortlich gemacht: • • • • Belüftung (nicht optimierter Injektor) Strömungsführung im Schacht Strömungsführung in der Nachklärung undichte Flotationshaube (Korrosion) Neben Korrosionsproblemen und Unzulänglichkeiten bei der Bauausführung ergaben sich demnach auch Schwachstellen aus der projektierten Konfiguration einzelner Anlagenteile, so z.B. der Zu- und Abflüsse der Flotationshaube. Die beanstandeten Komponenten wurden nach überarbeiteter Auslegung rekonstruiert. Diese Maßnahmen betrafen insbesondere: • • • Injektor Zentralrohr Flotationshaube und Verrohrung Nachklärung Weitere Ansätze zur Optimierung behandeln die Verringerung von Druckverlusten im System, eine Optimierung der Fließgeschwindigkeiten im Schacht und eine Verbesserung der Ausnutzung des eingetragenen Luftsauerstoffes (Phasengrenzflächenerneuerung). Die laufenden Versuche werden im Rahmen des AiF-Forschungsprojektes „Entwicklung eines neuen Tiefschacht-Verfahrens zur Reinigung von Abwässern“ in Kooperation mit SCHULZ VERFAHRENSTECHNIK GmbH (Britz b. Eberswalde) und mit Unterstützung des TAZV Luckau durchgeführt. Tiefschacht-Verfahren Dipl.-Ing. Elmar Baumann (Dr. Hettler & Partner) Literatur Chisti, Y.; Moo-Young, M.: Airlift bioreactors Elsevier Applied Science, London (1989) Hesse, G. Das Deep-Shaft-Verfahren - Technologie, Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Anwendung Veröffentlichungen des Institutes für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik der Universität Hannover, Bd. 59 (1985) Hettler, V. Tiefschachttechnologie - bisherige Erfahrungen in der DDR wwt Wasserwirtschaft - Wassertechnik, 4 (1989) Hettler, V. Technologie der biologischen Reinigung kommunaler Abwässer in Tiefschachtanlagen Dissertation Ukrainisches Institut für Ingenieure der Wasserwirtschaft, Rowno (1984) Krahn, P.: Rationalisierung, Weiterentwicklung und Breitenanwendung biologische Reinigungsstufe der Tiefschachtbiotechnologie (TSBT) Abschlußbericht zur zentralen Aufgabe TA 425.1 der Tiefbauforschung VEB Verkehrs- und Tiefbaukombinat Frankfurt / Oder (1988) Lange, K.-P.; Jäkel; Hensel, G.: Abschluss der Verfahrens- und Anlagenentwicklung für Tiefschachtanlagen Typ II am Beispiel der ABA Bad Freienwalde, V 5/0 Forschungszentrum Wassertechnik Dresden (1988) Schröter; Kranawettreiser: Strömungstechnische Untersuchungen zur Tiefschachtbelüftung VEB Prowa Halle (BT Erfurt, PB Hydrolabor Schleusingen) (1988) Seyfried, C.F.; Zielke, W.; Tuchs, M.; Hesse, G. Einsatz des Tiefstrombelüftungsverfahrens bei der biologischen Reinigung von kommunalem Abwasser mit erheblichem Industrieabwasseranteil Berichte der ATV, Nr. 32 (1980) Tuchs, M.; Zielke, W. Zur baulichen Situation des Tiefschachtes Leer Gutachten (1987)
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