Brownsche Bewegung M. Gruber 20. M¨arz 2015, Rev.1 Zusammenfassung Stochastische Prozesse, Pfade; Definition der Brownschen Bewegung; Eigenschaften der Brownschen Bewegung: Kovarianz, Stationarit¨at, Selbst¨ahnlichkeit; L´evy-Konstruktion; Approximation durch skalierte symmetrische Irrfahrt; quadratische Variation. M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Simulation 0.5 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 -0.5 -1.0 Abbildung 1: Drei Pfade einer Brownschen Bewegung 1 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Stochastische Prozesse • Stochastische Prozesse sind Familien von Zufallsvariablen X(t) auf einem gemeinsamen Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P), die von einem kontinuierlichen Parameter t abh¨angen. • Typischerweise durchl¨auft der Parameter t ein Intervall nichtnegativer reeller Zahlen, z.B. das Intervall [0, T ] oder [0, ∞[. Man schreibt dann den Prozess als (X(t))0≤t≤T bzw. (X(t))t≥0 • Man kann sich t als Zeit und X(t) als Ort oder Zustand zur Zeit t vorstellen. • Der realisierte Wert eines X(t) ist X(t, ω). 2 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Pfade Vor allem interessieren uns die Pfade stochastischer Prozesse. • Ein Pfad beschreibt die Orte oder Zust¨ande, die eine Realisierung des Prozesses im Laufe der Zeit aufsucht. • Mathematisch ist ein Pfad die Abbildung t 7→ X(t, ω) mit einem festem ω. • Ein stochastischer Prozess hat i.a. viele Pfade — einen fu ¨r jedes ω ∈ Ω. Am besten sieht man das Ganze so: Jedes ω repr¨asentiert einen Pfad des Prozesses und X(t, ω) die Position dieses Pfades zur Zeit t. So gesehen repr¨asentiert Ω die Menge aller Pfade (den “Pfadraum”) des Prozesses. 3 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Definition der Brownschen Bewegung Die Brownsche Bewegung ist ein spezieller Prozess. Sie ist fundamental fu ¨r alles, was kommt. Definition 1. [Brownsche Bewegung] Eine Brownsche Bewegung (oder: ein Wienerprozess) ist ein stochastischer Prozess (B(t))t≥0 mit 1. B(0) = 0, 2. B(t) − B(s) ∼ N (0, t − s) fu ¨r 0 ≤ s < t, 3. {B(ti+1) − B(ti) | t1 ≤ . . . ≤ tk } sind unabh¨angig, 4. t 7→ B(t, ω) ist fast sicher stetig 1. “Start im Nullpunkt” “normalverteilte Zuw¨achse” “unabh¨angige Zuw¨achse” “stetige Pfade” Anstatt (B(t))t≥0 ist auch die Notation (W (t))t≥0 (“W” fu ¨r “Wienerprozess”, benannt nach Norbert Wiener) gebr¨auchlich. 1 d.h. P({ω | t 7→ B(t, ω) ist stetig}) = 1 4 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Kovarianz der Brownschen Bewegung Satz 1. Cov(B(s), B(t)) = min{s, t}. Beweis Cov(B(s), B(t)) = E B(t)B(s) − E B(t) E B(s) (nach dem “Verschiebungs- satz fu ¨r die Kovarianz”). Da die Erwartungswerte E B(t) und E B(s) null sind, ist im vorliegenden Fall Cov(B(s), B(t)) = E B(t)B(s). Wir nehmen nun 0 ≤ s ≤ t an. E B(t)B(s) = E(B(s) + (B(t) − B(s)))B(s) 2 = E B(s) + E(B(t) − B(s))B(s) 2 = E B(s) + E(B(t) − B(s))(B(s) − B(0)). Die Zuw¨achse B(t) − B(s) und B(s) − B(0) sind unabh¨angig und haben den Erwartungswert null. Folglich ist der zweite Ausdruck null und es folgt Cov(B(s), B(t)) = E B(s)2 = s. □ 5 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Stationarit¨ at der Brownschen Bewegung Wenn man die Zuw¨achse einer Brownschen Bewegung ab einem beliebigen Zeitpunkt beobachtet, sieht man wieder eine Brownsche Bewegung: Satz 2. Ist (B(t))t≥0 eine Brownsche Bewegung und s > 0, so ist auch (B(s + t) − B(s))t≥0 eine Brownsche Bewegung. Beweis Der neue Prozess erfu ¨llt alle vier Punkte von Definition 1. □ 6 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Selbst¨ ahnlichkeit der Brownschen Bewegung Wenn man die Pfade einer Brownschen Bewegung in geeigneter Weise “zoomt”, sieht man wieder eine Brownsche Bewegung: Satz 3. Ist (B(t))t≥0 eine Brownsche Bewegung und c > 0, so ist auch ( √1c B(ct))t≥0 eine Brownsche Bewegung. Beweis Der neue Prozess erfu ¨llt alle vier Punkte von Definition 1. □ Bemerkung. Die Aussage gilt sowohl fu ¨r sehr große als auch sehr kleine c. 7 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Existenz einer Brownschen Bewegung: L´ evy-Konstruktion Die “L´evy-Konstruktion” 2 (benannt nach Paul L´evy) ist ein konstruktiver mathematischer Beweis fu ¨r die Existenz einer Brownsche Bewegung. • Schrittweise wird eine Folge von Prozessen erzeugt, von denen jeder die Punkte 1 bis 3 von Definition 1 auf einer endlichen Menge dyadischer Stu ¨tzstellen erfu ¨llt und ausserdem stetige Pfade hat. • Bei jedem Schritt w¨achst die Stu ¨tzstellenmenge und liegt dichter auf dem Zeitstrahl. • Die Folge der konstruierten Prozesse konvergiert pfadweise P-fast sicher gleichm¨aßig auf kompakten Zeitintervallen gegen einen Grenzprozess. Dieser erfu ¨llt alle vier Punkte von Definition 1. 2 Eine gut lesbare Beschreibung der L´evy-Konstruktion findet man in [2]. 8 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Grenzwert einer skalierten symmetrischen Irrfahrt Die Brownsche Bewegung kann durch eine skalierte symmetrische Irrfahrten approximiert werden3. • Seien X1, X2, . . . iid4 mit P(X1 = −1) = P(X1 = 1) = 12 . Der diskrete ∑ Prozess (Mk )k∈N mit Mk = 1≤j≤k Xj heisst “symmetrische Irrfahrt”. ∑ √1 M⌊nt⌋ einen • Fu X = ¨r jedes n bilden die ZVn Bn(t) = j 1≤j≤nt n kontinuierlichen Prozess (Bn(t))t≥0, eine “skalierte symmetrische Irrfahrt”. √1 n Satz 4. Die Verteilung der Zuw¨achse Bn(t)−Bn(s) konvergiert gegen N (0, t− s), d.h. ( ) Bn(t) − Bn(s) √ lim P ≤ a = Φ(a). n→∞ t−s 3 4 siehe hierzu [3], Abschnitt 3.2., und [1]. unabh¨angig und identisch verteilt (independent, identically distributed ) 9 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Pfade skalierter symmetrischer Irrfahrten 2.0 2.0 1.5 1.5 1.0 1.0 0.5 0.5 0.0 0.0 -0.5 - 0.5 -1.0 - 1.0 -1.5 - 1.5 -2.0 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 - 2.0 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Abbildung 2: Einige Pfade von B16(t) (links) und B256(t) (rechts) fu ¨r 0 ≤ t ≤ 1. 10 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Quadratische Variation (1) Die quadratische Variation misst das pfadweise Schwankungsverhalten stochastischer Prozesse. Definition 2. [Quadratische Variation] Die quadratische Variation [X, X]t eines Prozesses (X(t))t≥0 ist, falls er existiert, der Limes nach Wahrscheinlichkeit lim n→∞ ∑ (n) (n) (X(ti ) − X(ti−1))2, 1≤i≤kn wobei der Limes u ¨ber beliebige verfeinernde Folgen von Partitionen Πn = {0 = (n) (n) (n) (n) (n) t0 ≤ t1 ≤ . . . ≤ tkn = t} mit ∥Πn∥ = max1≤i≤kn |ti − ti−1| → 0 fu ¨r n → ∞ gebildet wird. Definition 3. Der Prozess ([B, B]t)t≥0 heißt Quadratvariations-Prozess . 11 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Quadratische Variation (2) Satz 5. 1. [M, M ]k = ∑ 1≤j≤k (Mj − Mj−1)2 = k fu ¨r k ∈ N, 2. [M, M ]k = Var Mk , 3. [Bn, Bn]t = ∑ j j−1 2 (B ( ) − B ( ¨r t ≥ 0 mit nt ∈ N, n n 1≤j≤nt n n )) = t fu 4. [Bn, Bn]t = Var Bn(t) fu ¨r t ≥ 0 mit nt ∈ N, 5. [B, B]t = t P-fast sicher, 6. [B, B]t = Var B(t). Praktisch alle Pfade einer Brownschen Bewegung weisen das gleiche Schwankungsverhalten auf. Wir werden auf dieses Resultat sp¨ater zuru ¨ckgreifen. 12 M.Gruber, SS 2015 Stochastic Processes in Risk and Finance Literatur [1] David Gamarnik and Premal Shah. Brownian Motion; introduction. http://ocw.mit. edu/NR/rdonlyres/B93A685B-1781-406F-AD73-22040D2A4D0F/0/lec5.pdf. [2] Hank Krieger. Construction of Brownian Motion. http://www.math.hmc.edu/~krieger/ brownianmotion.pdf. [3] Steven E. Shreve. Stochastic Calculus for Finance II. Springer, 2004. 13
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