Test_Mercedes-Benz Sprinter City 77 Richtung Midi Der Dortmunder Minibus-Hersteller schickt mit dem Sprinter City 77 einen Kleinbus ins Rennen, der deutlich aus den Fußstapfen der Transporter tritt. Auf knapp 9 m Länge nimmt er es mit bis zu 40 Fahrgästen auf, die hohen Komfort genießen. Z uerst herrschte ratloses Staunen. Während die einen auf größere und schwerere Modelle zurückgreifen, soll es beim Omnibus-Vollsortimenter Mercedes-Benz ein Sprinter auf drei Achsen richten. Dessen Kleinbusfraktion beschränkt sich schon seit Jahren auf die Basis des bewährten Großserientransporters Sprinter, die sich heute inklusive aller Varianten rund 150.000-mal jährlich verkauft. Zum einen ist das ein Segen für die Kleinbusbetreiber, die in den Genuss ausgereifter Technik und günstiger Ersatzteile kommen. Zum anderen limitiert aber der Hersteller seine Sprinter auf maximal 5,5 t Gesamtgewicht – wenigstens bisher. Die bei hoher Auslastung natürlich weder hinten noch vorne ausreichte. Weil es in Dortmund zum Sprinter keine Alternative gibt, musste eine konstruktive Lösung her. Bereits 2010 wurde der erste Prototyp gezeigt, mittlerweile hat das Projekt Sprinter City 77 deutlich an Fahrt aufgenommen. Mit Hilfe einer dritten Achse wird der CitySprinter verlängert, statt 7,7 m Länge werden es jetzt 8,7 m. Doch ganz so einfach machten es sich die Entwickler nicht. Sie nutzten die Chance, aus der Low-Entry-Basis (Sprinter City 65) einen vollwertigen Niederflurbus zu komponieren. So musste die starre zwillingsbereifte Antriebsachse zwei einzelbereiften Einzelradführungen weichen. Mit der leichten, aber ungelenkten Nachlaufachse wird die nötige Traglast möglich. Wie steht es um Nur 27 cm Einstiegshöhe, zwei elektrische Doppeltüren sorgen für schnelles Ein- und Aussteigen B 10 Bus-Fahrt 05/2013 · Stünings Medien GmbH · Krefeld · www. busfahrt.com Bis zu 35 Fahrgäste auf 8,7 m Länge: Mercedes Sprinter City 77 mit drei Achsen,. die Gewichtsbilanz? Die Summe der Achslasten überschreitet das zulässige Gesamtgewicht von 6,8 t immerhin um 200 kg, der Dreiachser bringt leer gemäß Hersteller 4,4 t auf die Waage. So bietet der Riesen-Sprinter für maximal 40 Fahrgäste Platz, unser Testkandidat belässt es bei 35. Da bleiben pro Fahrgast exakt 68 kg, Knappheitsfaktor bleibt nach wie vor das Gesamtgewicht. Aber bis zu zehn Personen mehr packt er im Vergleich zu seinem nächstkleineren Kollegen auf zwei Achsen, der Sprinter City 65 heißt. Der gilt mit einem Einstandspreis von 130.000 Euro nicht gerade als Schnäppchen, unser 77er toppt die Marke auf bemerkenswerte 174.000 Euro – und kommt damit vollformatigen Niederflurbussen schon recht nahe. In Sachen Ausstattung braucht sich der XL-Mini nicht vor seinen CitaroKollegen zu verstecken. Nur beim Thema Sicherheit gibt es beim Sprinter 77 noch Nachholbedarf. Alle Sprinter, auch die Kleinbusse, sind jetzt mit neuester ESP-Technologie unterwegs. Nur der größte Mercedes-Mini bekommt kein ESP mit auf den Weg – das dreiachsige Fahrwerk verlangt nach einer eigenen Entwicklung –, die soll jetzt nach einer nachhaltigen Produktpflege Einzug halten. Dann kommt der 77er auch in den Genuss des fabelhaften SeitenwindAssistenten. Der baut auf das elektronische Stabilitätsprogramm auf und wird ab einer Geschwindigkeit von 80 km/h tätig – ein Tempo, das der Dreiachser Bus-Fahrt 05/2013 · Stünings Medien GmbH · Krefeld · www. busfahrt.com B 11 Test_Mercedes-Benz Sprinter City 77 Fakten Kompakt Mercedes-Benz Sprinter City 77 23,00 l/100 km bei 35,29 km/h Konstant 50 km/m 10,06 l/100 km Was unser Tester sagt Antrieb Kräftiger und kultivierter Vierzylinder-Diesel Semioptimale Leistungsverwertung der altbewährten Fünfgang-Automatik Hoher Kraftstoffverbrauch im Stadtverkehr und über Land Fahreigenschaften Leichtfüßig sicheres Fahrverhalten Stabiler Geradeauslauf Vorbildliche Federung Feinfühlige und standfeste Bremsanlage Im Fahrgastraum wie ein kleiner Citaro – mit zwei Stehplattformen vorn und im Heck. Technische Daten Motor Vierzylinder-Dieselmotor OM 651 DE 22 LA, zwei VTG-Turbolader und Ladeluftkühler, elektronisch geregelte Common-Rail-Direkteinspritzung, abgasarm nach Euro 5/EEV mit Partikelfilter Hubraum 2.143 cm³ Leistung 120 kW/163 PS bei 3.800 U/min Maximales Drehmoment 360 Nm bei 1.400–2.400 U/min Kraftübertragung Fünfgang-Automatikgetriebe MB W5A380; Umlenkgetriebe ULG 340, Antrieb Hinterachse mit Übersetzung i = 4,364 Fahrwerk Vorderachse mit Einzelradaufhängung und Querblattfeder, Stabilisator; zul. Achslast 2,0 t. einzelradgeführte Antriebsachse einzelradgeführte Nachlaufachse B 12 mit 2-Balg-Luftfederung, je ein Stabilisator; zul. Achslasten 2 x 2,5 t; Bereifung 235/65 R 16C Lenkung Servo-Zahnstangen-Lenkung LZS54 von Thyssen-Krupp mit variabler Übersetzung. Bremsanlage Zweikreis-Hydraulikbremse mit Unterdruckverstärker, elektronische Traktionshilfe, innenbelüftete Scheibenbremsen an beiden Achsen, Bremsassistent, EBV, ABS, Dauerbremse Telma AE 30-35, Betätigung über Bremspedal oder Handhebel. Elektrik Lichtmaschine 14 V/220 A, Batterie 12 V/95 Ah plus Zusatzbatterie 12 V/100 Ah Maße und Gewichte Länge x Breite x Höhe 8.663 x 2.115 x 2.875 mm (inkl Klimaanlage) Radstand 4.100/990 mm Wendekreis 17.300 mm Stehhöhe (Mittelgang) 2.150 mm Leergewicht (lt. Hersteller) 4.405 kg Zul. Gesamtgewicht 6.800 kg Kraftstofftank 100 l Fahrgastkapazität 35 Personen Preis Grundpreis 145.200 Euro Preis Testfahrzeug 174.600 Euro Messwerte Durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch 24,34 l/100 km Kraftstoffverbrauch der einzelnen Etappen Stadtkurs bei Durchschnittsgeschwindigkeit 24,64 l/100 km bei 22,98 km/h Überlandkurs bei Durchschnittsgeschwindigkeit Fahrgastkomfort Hervorragend (Sitze, Heizung/Lüftung/Klima) Satt schließende Türen Kaum Fahrzeugresonanzen Fahrerarbeitsplatz Einfache Fahrzeugbedieung Übersichtlich modernes Cockpit mit gutem Bedienungskomfort Vorbildliche Pedalerie Wirtschaftlichkeit Hoher Anschaffungspreis Fahrdynamik Beschleunigung 0–20/40/50/60 km/h 2,9/7,2/10,1/14,1 s Innengeräusche in dB(A) 50 km/h Front/Mitte/Heck 64,6/65,3/66,5 dB(A) Bus-Fahrt 05/2013 · Stünings Medien GmbH · Krefeld · www. busfahrt.com durchaus mitgehen kann. Sensoren für die Gierrate und die Querbeschleunigung registrieren die einwirkenden Windkräfte. Das Assistenzsystem bremst daraufhin gezielt einzelne Räder auf der dem Wind zugeneigten Seite und kompensiert so die Windeinflüsse auf das Fahrzeug. Auch ein Abstandswarn-Assistent kann dann geordert werden. Kompakt, aber nicht kleinkariert Seine Proportionen heben ihn von allen Wettbewerbern ab: Ein ziemlich langer Überhang hinten, der letztlich genau dem Zweiachser entspricht und eine sportlich breite Spur für die Hinterachsen, die von keck ausgestellten Kotflügeln betont wird. Seinen Fahrgästen kommt der sportliche Niederflur-Sprinter an der Haltestelle so weit entgegen wie nur wenige seiner Wettbewerber – die Einstiegshöhe (mit Kneeling) liegt mit 27 cm bereits auf Randsteinhöhe. Zwei großzügige Doppelportale öffnen sich, konsequent stellen sich auch im Fahrzeug keine Stolperschwellen in den Weg. Weil selbst bei den Hinterachsen keine Achsbrücke im Weg steht, muss der Innenboden an keiner Stelle angehoben werden. 2,10 m Stehhöhe reichen im Mittelgang, mehr als 2 m auch auf den Podesten. Viele Komponenten stammen aus dem Citaro-Baukasten. Außen und innen, von den Rückleuchten bis zur Inneneinrichtung kommen bewährte Gleichteile zum Zug. Der Innenraum wirkt sachlich, freundlich und aufgeräumt. Zwei Stehplattformen an Tür 1 und 2, jeweils mit Klappsitzen und Klapprampe, fördern den Fahrgastfluss. Dazwischen sitzt der Mitfahrer auf hauseigenen Sitzschalen Typ City Star Eco mit angenehmer Stoffoberfläche. Ins professionelle Bild passt der sauber geklebte Boden, der Plafond mit feiner Dachkanalverkleidung, sauber integrierten Deckenleuchten und elektrischen Hubdächern – da gibt sich der große Kleine keine Blöße. Routinierte Lösungen finden wir bei Heizung, Lüftung und Klima: Eine 10-kW-Warmwasserheizung beschickt die Konvektoren im Fond, der Fahrer wird von der Frontbox gewärmt. Und im Sommer gekühlt, die Dachklimaanlage temperiert mit 11 kW Leistung den Fahrgastraum. narrensicheren Arbeitsplatz und seiner hervorragenden Rundumsicht, auch Lenkung und Pedalerie gehen so zu Hand und Fuß, wie man es sich immer wünscht. Flink fädelt sich der Dreiachser an jeder Haltestelle in den Verkehr ein, der kleine Vierzylinder im Bug reagiert aufgeweckt auf jeden Fahrbefehl. Mit 163 PS aus Sprinter-Cockpit mit vorbildlicher Ergonomie – der Telma-Retarder wird über den Hebel rechts neben dem Lenkrad oder übers Bremspedal aktiviert. Typisch Sprinter Auch mit knapp 9 m Länge ist der XL-Mini dort zu Hause, wo es knapp hergeht. Mit 2,2 m Breite schlängelt er sich durch enge Gassen und findet auch immer ein Schlupfloch im Verkehr. Man spürt trotz 6,8 t die TransporterGene – der 77er lässt sich wie jeder Sprinter einfach und sicher pilotieren. Das beginnt beim Bus-Fahrt 05/2013 · Stünings Medien GmbH · Krefeld · www. busfahrt.com B 13 Test_Mercedes-Benz Sprinter City 77 Fahrwerkseigenheiten Klapprampen an Tür 1 und 2 Unser Fazit Konsequent wird der lange 77er-Sprinter auf den städtischen Einsatz getrimmt. Mit einer überschaubaren Anzahl an Sitzen und zwei Stehplattformen ist er für kurze Fahrstrecken und enge Haltestellenabstände konzipiert. Mit rund 2 m Breite passt er auch auf enge und winkelige Innenstadtkurse, selbst wenn die dritte Achse in knappen Radien nicht mitlenkt. Er ersetzt in Schwachlastzeiten große Omnibusse, spart aktiv Kraftstoff und Emissionen, bei der Anschaffung aber nicht. Gute Argumente liefern die Wartungskosten, hier punktet der große Kleine mit Rechnungen auf TransporterNiveau. Omnibusspezifisch: Die Matrixanzeige und der Digitacho sitzen zu tief B 14 Die Fahrwerkstechniker haben ganze Arbeit geleistet. Der dreiachsige Sprinter spurt sauber geradeaus und dreht mit leichter Hand präzise ein, wenn es um die Ecke geht. Schnell gefahrene Kurven werden trotz knapp 3 m Höhe mit Contenance genommen. Schlaglöcher und Kanaldeckel werden fein abgefedert, kein Nicken bei tiefen Bodenwellen, selbst harsche Frostaufbrüche werden wenn überhaupt sanft weiter gereicht. Mit Einzelradführung rundum und Luftfederung hinten zeigt der große CitySprinter so manchem Vollformat-Kollegen, wie es richtig geht. Und lässt vermuten, dass die Dortmunder vielleicht gar eine verlängerte Reisebusvariante planen. Nur eine saubere Anfahrt an die Haltestelle will nicht auf Anhieb gelingen, der Preis der breiteren hinteren Spur. Wer vorn Maß nimmt, touchiert hinten den Randstein – mit dem Ergebnis, dass man künftig lieber mehr Abstand als nötig hält. Ob die fehlende Lenkung für die Nachlaufachse ins Geld geht, vermögen wir heute nicht zu sagen. In engen Kehren verschränken sich die Räder der Hinterachsen schon heftig, die Räder radieren und lassen erhöhten Verschleiß vermuten. 2,15 l Hubraum ist der kleine Vierzylinder erste Wahl, seine zwei VTG-Turbolader setzen ihn schon bei niedrigen Drehzahlen mächtig unter Druck. Verstärkt durch den Drehmomentwandler kommt der schwere Sprinter erstaunlich behände aus dem Stand. Der recht kultivierte CDI tritt wacker an und dreht mühelos hoch, einen Mangel an Dynamik kann man dem kleinen Dreiachser gewiss nicht attestieren. Die Fahrleistungen stellen jeden großen Niederflurbus in den Schatten, der große Sprinter beschleunigt beinahe sportlich, eher drängt sich die Frage auf: Hat man es hier mit der Leistung nicht Anzeige zu gut gemeint? Unterstützt wird der moderne Diesel vom vieltausendfach bewährten Fünfgang-Wandlerautomaten, der demnächst einer topaktuellen Siebengangautomatik weichen soll. Aus gutem Grund: Nicht nur bei leistungsIhr Partner für jeden Omnibus! orientierter Fahrweise fordert das Getriebe dem 0 21 54/95 80-0 · www.boeckels.de kräftigen CDI-Vierzylinder hohe Motordrehzahlen ab, ohne sich die zweifelsohne vorhandene Zugkraft mehr zunutze zu machen. Mit dem Für eine hohe Qualität der Ausführung Ergebnis, dass unser Sprinter im städtischen Boeckels_04_12.indd 1 27.03.12 17:14 Einsatz mit engen Haltestellenabständen 24,64 sprechen gut schließende Türen, nichts klapl/100 km zu sich nimmt – mit moderner Getrie- pert oder knarzt im 77er. Nur das Abrollgebebestückung plus Start-Stopp-System, die es räusch der Reifen singt leise in den Radkästen, zur anstehenden Modellpflege gibt, kann er es aber nie lästig. Das frühere Dröhnen des Umlenkgetriebes ist beinahe verschwunden, nur sicher besser. Beim Antriebsstrang vertrauen die Dort- bei höheren Geschwindigkeiten mischt sich munder Techniker auf die bisher bewährte ein leichter Unterton aus dem Untergeschoss. Lösung. Damit die Antriebskräfte des Trieb- Die Bremsanlage verzögert bekannt feinfühlig werks an die Antriebsachse gelangen, bleibt oder messerscharf – stets wie es der Fahrer es beim sogenannten Z- oder Umlenkgetriebe, verlangt. Gute Noten verdient auch die Telmadas ursprünglich als Verteilergetriebe für den Bremse. Sie verzögert sanft, aber verschleißAllradantrieb zum Einsatz kommt. Der Leis- frei beinahe bis in den Stand. Ihre tiefe Positungsausgang für die Kardanwelle sitzt dann tionierung fordert im Alltag etwas Umsicht, ein Stockwerk tiefer als die Eingangswelle – zumindest wenn man über Randsteine muss. das hat er mit den zweiachsigen City-Kollegen Eine Haltestellenbremse, nicht selbstverständgemein. Der Telma-Retarder sitzt wie bisher lich für Minibusse, gibt es bei Mercedes als mittschiffs im Kardanstrang und nicht wie Option – sie sollte auch in kleinen Stadtbussen beim Wettbewerber Auwärter schwingungstil- zum Serienumfang gehören. Wolfgang Tschakert gend am freien Z-Getriebe-Abtrieb. Bus-Fahrt 05/2013 · Stünings Medien GmbH · Krefeld · www. busfahrt.com
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