Kostenlose Leseprobe (Auszüge)

S UCHTMEDIZIN
Organ der ÖGABS (Österreichische Gesellschaft für arzneimittelgestützte Behandlung von Suchtkrankheit)
HERAUSGEBER
Prof. Dr. Michael Soyka (Schriftleitung)
Privatklinik Meiringen, Meiringen, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Markus Backmund (Schriftleitung)
Institut für Suchtmedizin und Adipositas, München
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Michael Krausz
Department of Psychiatry
University of British Columbia, Vancouver, Canada
E-Mail: [email protected]
Dr. Hans Haltmayer
Sucht- und Drogenkoordination, Wien, Österreich
E-Mail: [email protected]
Dr. Philip Bruggmann
Arud, Zentren für Suchtmedizin, Zürich, Schweiz
E-Mail: [email protected]
HERAUSGEBERGREMIUM
Prof. Dr. Gabriele Fischer
Universitätsklinik für Psychiatrie-AKH
Wien, Österreich
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Ulrich John
Institut für Sozialmedizin und Prävention
Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald
E-Mail: [email protected]
Dr. Heinrich Küfner
Institut für Therapieforschung (IFT), München
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Michael Lucht
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie der Universitätsmedizin Greifswald
am HELIOS-Hanseklinikum Stralsund, Stralsund
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Dennis Nowak
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und
Umweltmedizin
Klinikum der Universität-Innenstadt, München
E-Mail: [email protected]
Prof. (apl) Dr. Ulrich W. Preuß
Kreiskrankenhaus Prignitz gemeinnützige GmbH
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen
Fakultät Rostock, Perleberg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Christian G. Schütz
Department of Psychiatry
University of British Columbia, Vancouver, Canada
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Rainer Spanagel
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Abt. Psychopharmakologie J 5, Mannheim
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Claudia Spies
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Universitäts-Klinikum, Berlin
E-Mail: [email protected]
PD Dr. Marc Walter
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Basel
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Reinhart Zachoval
Medizinische Klinik II
Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität,
München
E-Mail: [email protected]
Redaktion:
Susanne Fischer, ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg am Lech
E-Mail: [email protected], Internet: http://www.ecomed-suchtmedizin.de
Suchtmed 7
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(1)2005
1 (2015)
© ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg
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IMPRESSUM
Impressum
Suchtmedizin, Jg. 17, Nr. 1, 2015
Addiction Medicine
ehemals: Suchtmedizin in Forschung und Praxis
ISSN 2198-3798
Herausgeber:
Prof. Dr. Michael Soyka (Schriftleitung)
Privatklinik Meiringen
Postfach 612, CH-3860 Meiringen
Tel.: 0041-33 972-82 95; Fax: -82 91
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Markus Backmund (Schriftleitung)
Institut für Suchtmedizin und Adipositas
Tal 9, Rgb., D-80331 München
Tel.: 089-45 22 85 60; Fax: -22
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.p-i-t.info
Dr. Philip Bruggmann
Arud, Zentren für Suchtmedizin, Zürich, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Michael Krausz
Department of Psychiatry
The University of British Columbia,
Vancouver, Canada
E-Mail: [email protected]
Dr. Hans Haltmayer
Sucht- und Drogenkoordination, Wien, Österreich
E-Mail: [email protected]
Verlag:
ecomed Medizin
eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg am Lech
Justus-von-Liebig-Str. 1, D-86899 Landsberg
Internet: http://www.ecomed-suchtmedizin.de
Redaktion (verantwortlich):
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Landsberg am Lech
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Suchtmed 17 (1) 2 (2015)
© ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg
INHALT | SUCHTMED
INHALT
Umschlagbild
"Gelbes Feld mit Weg" (Acryl 50 x 70 cm)
Dr. med. Birgit Ablaßmeier – geboren 1954 in
München, Studium der Mathematik, Theologie und
Medizin. Zwei Kinder, Assistenzarztzeit. Seit 2004
niedergelassen in eigener Praxis in Landsberg am
Lech. Hausärztlich tätig, seit 2006 zusätzlich Substitutionspraxis mit bis zu 150 Patienten mit sehr
großem Einzugsgebiet. Malen in der Freizeit, wobei Gedanken und Gefühle, die das tägliche Leben
prägen, zum Ausdruck kommen:
"Gelbes Feld mit Weg" ist ein Ausschnitt aus meiner Umgebung. In Erinnerung an die "Cafeterrasse
bei Nacht" von van Gogh, mit dem sich meine
Tochter in der Schule beschäftigt hatte, entstand
das Gelb des Feldes.
Stacheldraht war mir eine sehr lange Zeit eine sehr
wichtige Ausdrucksweise meiner Wut über mein
einige Jahre dauerndes Strafverfahren als Substitutionsärztin. Mit viel Geld wurde das Strafverfahren eingestellt. Leider hat man an diesem Feld bei
Issing im Landkreis Landsberg am Lech den Stacheldraht mit seinen schönen alten ausgewaschenen Holzpfosten entfernt. Aber die Wut bleibt.
2
Originalarbeiten
7
Erfahrungen mit der Umstellung von MethadonRazemat auf Levomethadon im Therapiealltag
(K.F. CIMANDER, T. POEHLKE, M. SOYKA)
29
Nutzung des Online-Tools "weniger-trinken" bei
übermäßigem Alkoholkonsum
(S. SENN, S. RÖSNER, S. STUTZ, P. EGGLI, E. MAIER,
M. RIDINGER)
Diskussionsbeitrag
22
Zwischen Katastrophenszenarien und Empowerment
– Paradigmen patientenzentrierter Suchtbehandlung
(M. KRAUSZ)
Neues aus der Literatur
26
Rezension: Psychopharmakotherapie griffbereit: Medikamente, Psychoaktive Genussmittel und Drogen
Impressum
Nachrichten
Editorial
5
(M. SOYKA)
27
Dachverband der Suchtgesellschaften nimmt weiter
Gestalt an
Suchtmedizin in Forschung und Praxis wird referiert in:
CCMed – Current Contents Medizin deutscher und deutschsprachiger Zeitschriften, Deutsche Zentralbibliothek für
Medizin, Köln
PSYNDEX – Zentralstelle für Psychologische Information und Dokumentation, Universität Trier
EMBASE, Excerpta Medica, Elsevier
SCOPUS, Elsevier
Die Herausgeberschaft ist Mitglied der "International Society of Addiction Journal Editors" (ISAJE)
Suchtmed 17 (1) 3 (2015)
© ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg
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SUCHTMED | EDITORIAL
Editorial
Michael Soyka
Psychiatrische Klinik, München und Privatklinik Meiringen
Sehr geehrte Leserinnen und Leser
Wir freuen uns, Ihnen die aktuelle Ausgabe der Suchtmedizin vorlegen zu können – Heft 1 im immerhin schon
17. Jahr unserer Fachzeitschrift. Die Herausgeber freuen
sich über einen konstanten und im Vorjahr erweiterten
Leserkreis und ein wachsendes Interesse am Thema Suchtmedizin insgesamt. Das noch recht frische Jahr beginnt
mit dem Abschluss und der Implementierung zweier wichtiger S3-Leitlinien zur Behandlung von Suchterkrankungen,
die seit kurzem im AWMF-Register online verfügbar sind,
nämlich zum "Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen" (076-001) und zum "Screening,
Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums" (076-006).
Das evidenzbasierte Wissen zur Diagnostik und Therapie
der Alkohol- und Nikotinabhängigkeit ist hier von verschiedenen Expertengruppen bewertet und nach langer Abstimmung in Leitlinien-Form "gegossen" worden.
Das aktuelle Heft der Suchtmedizin ist aktuellen klinischen
Fragestellungen gewidmet. Besonders hervorheben ist die
Arbeit von Senn et al. zur Nutzung eines Online-Tools
zur Reduktion des Alkoholkonsums. Die Arbeit ist insofern aktuell, da auch in der erwähnten S3-Leitlinie die
Reduktion des Alkoholkonsums jetzt als allgemein akzeptiertes Therapieprinzip für bestimmte Patienten verankert
ist. Zum anderen sind Online-Medien zunehmend für klinische, aber auch wissenschaftliche Fragestelllungen wie
z. B. epidemiologische Erhebungen, von Interesse. Diver-
Suchtmed 17
Suchtmed
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5 (2015)
© ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg
se Online-Fragebögen, Online-Tools oder Apps werden
den klinischen Alltag der Suchtmedizin wahrscheinlich in
Zukunft viel stärker prägen, als sich dies viele vorstellen.
Umso wichtiger ist, dass zu diesen Fragen auch erste empirische Arbeiten vorgelegt werden, in diesem Fall aus der
Schweiz – was den internationalen Anspruch der "Suchtmedizin" unterstreichen mag.
Wir danken allen neuen, aber vor allen treuen, Lesern für
ihr anhaltendes Interesse an der "Suchtmedizin", freuen
uns auch im Neuen Jahr auf Rückmeldungen und Einreichung von Manuskripten.
Wir verbleiben mit den besten Wünschen
Michael Soyka
Für alle Herausgeber
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Michael Soyka
Psychiatrische Klinik
Universität München
Nussbaumstraße 7
80336 München
Privatklinik Meiringen
Postfach 612
3860 Meiringen, Schweiz
E-Mail: [email protected]
5
ORIGINALARBEITEN | UMSTELLUNG METHADON-RAZEMAT AUF LEVOMETHADON
der Konsum zusätzlicher Suchtstoffe deutlich von 66% auf
41% zurück. Hinsichtlich der Verträglichkeit führte der
Wechsel auf das reine Levomethadon zu einer signifikanten Verminderung aller therapie- bzw. krankheitstypischen
Nebenwirkungsreaktionen wie Schwitzen, Kopfschmerzen,
Magen-Darm-Probleme, Schlafstörungen, Müdigkeit/Sedierung, Stimmungsstörungen/psychische Probleme, Libidostörungen, Antriebslosigkeit und Schmerzen. Die Zahl
unerwünschter Arzneimittelwirkungen, bei denen ein Zusammenhang mit der Levomethadon-Behandlung nicht ausgeschlossen werden konnte, lag bei unter 1% und führte
in der Regel nicht zum Therapieabbruch.
Dass der Dextromethadon-Anteil insbesondere bei hohen
Razemat-Dosierungen wesentlich an der Entstehung von
Nebenwirkungen beteiligt ist, konnte an Patienten aus einem mehrjährigen Methadon-Programm gezeigt werden
(Mitchell et al. 2004). Während eines 24-stündigen Dosierungsintervalls unter steady-state-Bedingungen stellte man
bei den Patienten nach durchschnittlich 70 mg MethadonRazemat eine beträchtliche intra- und interindividuelle
Streuung im Verhältnis der Plasmaspiegel von Dextro- und
Levomethadon (D/L-Quotient) fest. Bei Patienten mit hohen Methadon-Dosen über 100 mg korrelierte der D/LQuotient signifikant mit der Intensität der negativen Stimmungslage, die sich mit steigendem Quotienten in vermehrter Nervosität, Müdigkeit und Verwirrtheit äußerte.
Diese Befunde sind für die tägliche Substitutionspraxis von
großer Tragweite, da neben den häufig anzutreffenden
Infektionskrankheiten mehr als 50% der Drogenkonsumenten unter schweren und dauerhaften psychiatrischen
Erkrankungen leiden. Im Einzelfall kann eine Umstellung
von Methadon-Razemat auf Levomethadon zu einer deutlichen Besserung psychischer Störungen und zu einem
Verzicht auf Antidepressiva führen (Gölz 2011). In der
vorliegenden Gesamtauswertung wiesen etwa 44% der
Betroffenen eine psychische Störung auf.
Einen experimentellen Beleg für die klinisch beobachtete
stimmungsaufhellende bzw. antidepressive Wirkung von
Levomethadon lieferten Codd und Mitarbeiter (Codd et
al. 1995). Sie untersuchten unterschiedliche Opioide und
deren Enantiomere auch im Hinblick auf ihre Fähigkeit
die Wiederaufnahme von dem Neurotransmitter Serotonin
und Noradrenalin zu blockieren. Aus der Gruppe der Opioide, die die Neurotransmitter-Wiederaufnahme inhibierten, zeigte sich für Levomethadon gegenüber Dextromethadon eine stärkere Reuptake-Inhibition was auf eine zusätzliche antidepressive Wirkkomponente von Levomethadon
durch eine selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmung
schließen lässt.
Die Ergebnisse der gemeinsamen Auswertung der beiden
offenen, nicht-interventionellen Praxisstudien (Cimander
& Poehlke 2010, Soyka & Zingg 2009) zeigen, dass eine
Umstellung auf Levomethadon bei unbefriedigender Vorbehandlung mit einem Methadon-Razemat zu einer signifikanten Verbesserung der Einstellungsqualität hinsichtlich
Entzugssymptomatik, Beikonsum psychotroper Substan-
18
zen und Nebenwirkungsrate führt. Die Aussagen der Primärstudien werden durch die Gesamtauswertung der gepoolten Daten nicht nur bestätigt, sondern gewinnen aufgrund des größeren Patientenkollektivs von zusammen über
2 400 Patienten und der breiteren Zentrumsabdeckung an
Repräsentativität. Trotz der bestehenden Limitierungen
durch das offene Design, die relativ kurze Behandlungsdauer sowie die Beschränkung auf ein inadäquat vorbehandeltes, multimorbides Patientengut sind die Ergebnisse für
die ärztliche Routine nützlich, da sie die realen Therapiebedingungen widerspiegeln. So können me-thodisch gut
geplante und sorgfältig dokumentierte Datenerhebungen
mit großen, praxisnahen Patientenkollektiven zum langfristigen Erfolg der Substitutionstherapie beitragen. Um
den Einsatz der zur Zeit verfügbaren Methadon-Zubereitungen beim einzelnen Patienten im Sinne einer Nutzen/
Risiko-Abwägung noch besser beurteilen zu können, sollten weitere vergleichende Untersuchungen mit speziellen Fragestellungen bzw. Patientengruppen durchgeführt werden.
Danksagung
Wir danken Dr. Peter Sistig aus Schmitten für die freundliche Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts,
der Tabellen sowie der Graphiken.
Interessenkonflikte
Michael Soyka hat in den letzten 5 Jahren Forschungsgelder erhalten von oder Beraterfunktionen ausgeübt für:
Lundbeck, Novartis, Sanofi Aventis, Reckitt Benckiser.
Thomas Poehlke erklärt, dass er Vortragshonorare von
Hexal, Lundbeck, Molteni, Reckitt-Benckiser und SanofiAventis erhalten hat.
Konrad Cimander hat in den letzten 5 Jahren Honorare
für Vorträge und Beraterfunktionen erhalten von AbbVie,
Bristol-Meyers Squibb, Janssen, Lundbeck, Reckitt Benckiser und Sanofi Aventis.
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UMSTELLUNG METHADON-RAZEMAT AUF LEVOMETHADON | ORIGINALARBEITEN
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19
DISKUSSIONSBEITRAG | PARADIGMEN PATIENTENZENTRIERTER SUCHTBEHANDLUNG
Zwischen Katastrophenszenarien und Empowerment
Paradigmen patientenzentrierter Suchtbehandlung
Michael Krausz
University of British Columbia (UBC), Vancouver, Canada
1 Vorweg
Jeder Therapeut weiß, dass der Umgang mit psychischen
Krisen nicht in erster Linie eine Frage technischer Fähigkeiten ist. Die beste Hilfe kann abhängig von den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Betroffenen in unterschiedlichen Strategien liegen, die unterschiedliche Therapieziele
adressieren sollen (Körkel 2002). Das haben wir in den
letzten Jahrzehnten gerade im Suchtbereich lernen müssen. Dogmen sind etwas ganz anderes als Paradigmen.
Katastrophenszenarien sind selten auf Evidenz, sondern
auf Ideologie gebaut. Nicht der Betroffene steht im Mittelpunkt, sondern mehr oder weniger paternalistische Ideen
im Rahmen der "Mainstream Politik" der Prohibition
(Thomasius 2000).
In der Versorgung von Menschen mit einem schädlichen
Konsum psychotroper Substanzen – oft verbunden mit anderen psychischen Problemen – gab es ohne Frage Fortschritte. Trotzdem können wir als Teil des Versorgungssystems selbst bei bescheidenen Ansprüchen, nicht zufrieden
sein:
Suchtkranke gehören immer noch zu den am stärksten
Stigmatisierten in unserer Gesellschaft inklusive in der Medizin (Krausz et al. 2012).
Der größte Teil der Gelder im Umgang mit Sucht fließt in
die Ausstattung von Polizei und Justiz, weniger als 20%
in die Therapie (Meara et al. 2005).
Wir machen nur der Minderheit der Betroffenen ein akzeptables Behandlungs- oder Hilfeangebot (Kessler et al. 2005,
Wang 2005, Wienberg 2001). Je kränker die Betroffenen
sind, umso schwerer wird ihnen der Zugang zur Hilfe gemacht (Krausz et al. 2012).
Die Hilfe kommt i. d. R. 10 Jahre nach den ersten eindeutigen Symptomen, Frühinterventionen sind auf Ausnahmen
beschränkt.
Die Behandlungsziele sind teilweise rechtlich auf Abstinenz
vorgegeben, den Betroffenen bleibt keine therapeutische Wahl
oder die Abwendung vom bestehenden Hilfsangebot.
Liegt eine Veränderung überhaupt im Bereich des Möglichen? Schon diese Frage allein kennzeichnet die besonde-
22
re Stellung der Sucht in unserem Hilfesystem. Stellen Sie
sich vor, nur 10% von Patienten mit einer schweren Herzerkrankung, Krebs oder HIV hätten Zugang zu existierenden effektiven Behandlungen? Die Grundfesten unseres Systems wären erschüttert. Das Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit offensichtlich verletzt und die öffentliche
Meinung wäre extrem kritisch. Stellen Sie sich vor, Betroffene in der somatischen Medizin dürften bei der Auswahl
der Therapie mitentscheiden?
2 Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie
Der Zustand unseres Systems ist insgesamt veränderungsbedürftig, es geht nicht nur um Guidelines, Therapieziele
oder gar bestimmte Interventionen. Die Verwendung begrenzter vorhandener Ressourcen setzt die Einigung auf
Prioritäten voraus, die auf definierten Behandlungsparadigmen und Wertvorstellungen basieren. Nur das erklärt
die große Aufmerksamkeit der UN Resolution für die Rechte der Behinderten (UN 2006, http://www.un.org/disabilities/
convention/conventionfull.shtml).
Der faktische Druck der HIV-Epidemie in den Achtzigern
und danach hat so einen Systemwechsel auf der Grundlage eines Paradigmenwechsels geführt. Harm reduction
(Uchtenhagen 2005) statt des herrschenden Abstinenzdogmas und Substitution in Ergänzung bestehender abstinenzorientierter Ansätze (Rhodes et al. 2010) (http://www.
emcdda.europa.eu/publications/monographs/harmreduction). Ein Musterbeispiel für die Bedeutung von Paradigmen für die Effektivität und Qualität von Therapie.
Im Ergebnis war dies die erfolgreichste Maßnahme zur
Senkung der HIV-Inzidenz. Es ebnete die Entwicklung zum
heutigen Konsensus in der Europäischen Gemeinschaft bzgl.
Korrespondenzautor:
Prof. Dr. Michael Krausz
University of British Columbia (UBC)
Department of Psychiatry
Vancouver
Canada
E-Mail: [email protected]
Suchtmed
2015
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© ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg
PARADIGMEN PATIENTENZENTRIERTER SUCHTBEHANDLUNG | DISKUSSIONSBEITRAG
der Suchttherapie (Uchtenhagen 2005) und war ein erster
ernsthafter Schritt der Anpassung des Systems an die Bedürfnisse der Betroffenen. Insbesondere die Schweizer Drogenpolitik und ihre Implementierung in den Neunzigern
und etwas später die Portugiesische Regierung mit der Entkriminalisierung des Drogenkonsums (Greenwald 2009) gab
der Entwicklung zentrale Impulse (http://www.heise.de/tp/
artikel/34/34857/1.html).
nur sehr partiell. Um die mit Sucht einhergehenden psychischen und körperlichen Erkrankungen zu adressieren,
brauchen wir einen holistischen nicht nur auf Substanzkonsum reduzierten Ansatz, der hilft, die enorme Mortalität dieser Patienten zu senken (Frischer et al. 1993).
3 Subjektive Vorschläge für 10 essentielle
Behandlungsparadigmen
Veränderungen in langfristigen/chronischen Prozessen
brauchen normalerweise Zeit. Die Bedeutung von Beziehungskontinuität in jeder Behandlung ist gut untersucht
(Grawe et al. 1993). Trotzdem müssen die Betroffenen sich
ständig neu orientieren und ihre Geschichte erzählen. Nachhaltigkeit könnte man einfach unterstützen, z. B. durch
Die essentiellen Paradigmen eines modernen und humanen
Behandlungssystems für Suchterkrankungen, wie andere
psychische Krisen wären aus meiner Sicht die folgenden:
3.1 Frühe Identifikation von Problemen und
Frühintervention
Die Behandlung schwerer chronischer Verläufe verbraucht
die Masse des verfügbaren Budgets. Wir produzieren chronische Fälle und lebenslang Behinderte durch langes Warten unter dem Druck begrenzter Ressourcen. Prävention
gibt es nicht wirklich und Frühintervention nur in Ausnahmen. 10 Jahre vergehen im Durchschnitt bei Suchterkrankungen von ersten definitiven Symptomen und professioneller Hilfe.
Frühe Problemerkennung und Hilfe sind nicht teuer, erfordern aber eine Umorganisation des Systems – einen Paradigmenwechsel! Drei Beispiele:
a) Die Nutzung neuer Technologien
Durch webbasierte und mobile Technologien könnte
man leicht den Zugang zu Selbstbewertung eigenen
Konsums und den Zugang zur Hilfe unterstützen (https://
www.drinkaware.co.uk/make-a-change/how-to-cutdown/are-you-ready-to-cut-down).
b) Die Nutzung kritischer Schnittstellen
Dort wo die Betroffenen in kritischen Situationen auffällig werden, beim Hausarzt und Notfallambulanzen,
könnte man den Zugang zur Hilfe organisieren (Krausz
et al. 2002).
c) Brief Intervention als Standard
Durch Schulung in einfachen Methoden im ganzen
Versorgungssystem könnte man Betroffene ohne spezialisierte Institutionen erreichen.
3.2 Harm reduction und die Senkung der Mortalität
Harm reduction ist ein akzeptierter Standard medizinischen Handelns, eigentlich seid Hippokrates (Rhodes et
al. 2010). Die EU u. a. haben es als strategisch wichtige
Komponente des Hilfesystems akzeptiert. Umgesetzt ist es
Suchtmed 17 (1) 2015
3.3 Nachhaltigkeit der Hilfen – Kontinuität in
Beziehungsgestaltung und Therapie
a) verbesserte Kommunikation und Dokumentation in
Kontrolle der Betroffenen, z. B. persönliche Gesundheitsakten (personal medical health record),
b) die Unterstützung der Kommunikation mit dem bevorzugten Therapeuten über web basierte Systeme und
virtuelle Kliniken.
3.4 Stigma und Therapie statt Strafe
Nur ein kleiner Prozentsatz der Gelder, die die Gesellschaft
im Umgang mit Sucht investiert, kommt der Therapie zugute. Die meisten Ressourcen fließen in Strafverfolgung und
Justiz in Konsequenz der Prohibition. Dazu sind psychisch
Kranke, insbesondere Suchtkranke, auch im Hilfesystem
strukturell benachteiligt. Stigma und Kriminalisierung sind
große Hindernisse zu einem effektiven Hilfesystem. Unabhängig von der Art der Intervention ist Akzeptanz und der
Umgang im Rahmen der Grundrechte und geltenden internationalen Abkommen Voraussetzung für erfolgreiche Hilfe.
3.5 Empowerment und Ressourcenorientierung
• Entscheidend für Erholung und Reintegration – die
Recovery – sind die Ressourcen der Betroffenen. Therapie ist häufig, die Entwicklung der Ressourcen zu
unterstützen – Empowerment. Die Professionellen verbringen zwangsläufig nur einen kleinen Teil der Zeit
mit den Betroffenen, diese müssen es lernen, mit den
Herausforderungen des Lebens selber besser umzugehen. Empowerment ist der Schlüssel für Überwindung
der Krisen, die Recovery! (http://www.mentalhealth4kids.
ca/healthlibrary_docs/PrinciplesOfStrengthBasedPractice.pdf)
3.6 Orientierung an den Bedürfnissen der Betroffenen
Warum ist die "objektive" Ausrichtung an Gesundheitsparametern für die Medizin unzureichend? Weil Gesund-
23
DISKUSSIONSBEITRAG | PARADIGMEN PATIENTENZENTRIERTER SUCHTBEHANDLUNG
heit nicht nur eine Reflektion des biologischen Funktionierens ist, wie es schon die WHO-Definition reflektiert (http:/
/www.who.int/about/definition/en/print.html), sondern gerade die Determinanten von Lebensqualität über Laborwerte hinausgehen. Subjektive Bedürfnisse als maßgebend für
Verhaltensmodifikation müssen therapeutische Strategien
steuern oder diese drohen zu scheitern.
3.7 Steuerung aus der Gemeinde – einfacher Zugang
zu Hilfe und Integration der Behandlungssettings
Unser Versorgungssystem ist ausgerichtet an der Krisenintervention. Das Akutsystem ist weitgehend getrennt von
der Gemeinde. Warum wird nicht auch die Krise aus der
Sicht des langfristigen Veränderungsprozesses bewältigt?
Recovery braucht lange Anstrengung, der Raum dafür ist
das Leben in der Gemeinde, die Hilfe sollte mit dieser
Perspektive gesteuert werden.
konsum ist oft Ausdruck kollektiver Hilflosigkeit, basierend auf Katastrophenszenarien und verbunden mit dem
Unverständnis insbesondere jugendlicher Motivationslagen.
Dabei wissen wir, dass Lernen vor allem von positiver Verstärkung profitiert. Der Konsum psychotroper Substanzen
ist dabei oft schon ein Versuch, mit anderen bestehenden
Problemen umzugehen, sich in eine Alkohol oder Drogen
geschwängerte Umgebung einzufügen und ein guter Peer
zu sein.
Bessere Entscheidungen und effektive Bewältigung konkurrieren mit Werbung und den üblichen Vorbildern/Verdächtigen, das sind die Herausforderungen, denen wir uns
stellen müssen. Wenn die Betroffen sich durch Therapien
gestärkt, von Therapeuten unterstützt und den Informationen orientiert fühlen, können wir auf langfristige Effekte
hoffen.
5 Literatur
3.8 Peersupport und Familienarbeit
Die sozialen Netze ebenso wie die Herkunftsfamilie sind
am nächsten an den Betroffenen, auch wenn die Interaktion nicht notwendigerweise konfliktfrei ist. Für viele Menschen sind sie die wichtigste Ressource im Umgang mit
Krisen und verdienen Unterstützung sowie direkte Hilfe
bei Rückfällen und Recovery (Stanton et al. 1978)! Dies
muss bei jedem Betroffenen eingeplant und an die spezifischen Wünsche angepasst werden.
3.9 Abstinenzdogma, Behandlungsziele und
Veränderungswunsch
Um erfolgreich zu sein müssen Ziele realistisch auf vorhandene Ressourcen aufbauen und dem Veränderungswunsch der Betroffenen entsprechen. Der Betroffene muss
sich entscheiden, Dogmen sind nicht hilfreich (Körkel 2002).
3.10 Reale Hilfe bei der Problemlösung
Jede Therapie muss reale Hilfe bei der Problemlösung realer Herausforderungen beinhalten (Wohnung finden, Arbeit, Kontakte herstellen etc.), um wirksame Veränderungen zu unterstützen (Grawe 1991).
4 Zwischen Katastrophenszenarien und
Empowerment
Das Beschwören schrecklicher Konsequenzen oder Drohen
mit signifikanten Strafen im Umgang mit Substanzmittel-
24
Frischer M, Bloor M, Goldberg D, Clark J, Green S, McKeganey N (1993). Mortality among injecting drug users: a critical reappraisal (see comments). Journal Of Epidemiology And Community Health 47 (1), 59-63
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Suchtmed 17 (1) 2015
AUS DER LITERATUR | REZENSION
Psychopharmakotherapie griffbereit: Medikamente, Psychoaktive
Genussmittel und Drogen
Jan Dreher
1. Auflage, 2014, 248 Seiten, 10 Abb., 14. Tbl., ISBN 978-3-7945-3078-6, Euro 24,99
Dieses von dem Chefarzt der Klinik Königshof in Krefeld
vorgelegte Fachbuch aus der Reihe "Griffbereit" informiert
praxisnah und kompetent, zum Teil stichwortartig über
psychotrop-wirkende Substanzen. Es mag auf den ersten
Blick etwas ungewöhnlich erscheinen, dass klinisch eingesetzte Psychopharmaka und sogenannte illegale Drogen in einem Fachbuch abgehandelt werden: Das Gehirn
unterscheidet aber nicht zwischen legalen und illegalen
Substanzen und oft sind die gleichen Neurotransmitter
betroffen. Thematisch nur in knapper Form über die Grundlagen der Psychopharmakotherapie referiert, der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Darstellung der einzelnen
Substanzen und ihrer therapeutischen Anwendungen. Dargestellt werden Wirkungen und Wirkungsweisen von Antidepressiva, Neuroleptika, Phasenprophylaktika, Anxiolytika, Sedativa und Hypnotika, aber auch ADS-Therapeutika sowie von Genussmitteln (Alkohol, Nikotin, Koffein)
und sogenannten illegalen Drogen (von Heroin bis GHB).
Kapitel über Gerontopsychiatrie und Notfälle, sowie, ganz
knapp gehalten, Medikamentenwechselwirkungen runden
das empfehlenswerte Kompendium ab.
Dem letzten Kapitel hätten einige klinische Beispiele gut
getan, verwiesen wird hier im wesentlichen nur auf eine
kostenlose App. Ansonsten werden die wichtigen Informationen zu den einzelnen Substanzen vermittelt: Wirkprinzip,
Dosierung, Anwendungsgebiet, Kontraindikationen. Die
Tabellen sind durchweg praxisnah und informativ gehalten, so gibt es etwa Tabellen zur Umrechnung der verschiedenen Wirkdosen von Neuroleptika oder zur Dosierung
von Methadon und Buprenorphin im Opiatentzug.
26
Etwas überraschend ist in dem Buch der Hinweis, dass
die Einnahme von Buprenorphin bei Heroinabhängigkeit
zu einem "Turbo-Entzug" führen kann. Die Dosierung in
der Opiatentzugsbehandlung mit Buprenorphin im Heroinentzug wird anschaulich wiedergegeben. Die Kombination Buprenorphin/Naloxon findet keine Erwähnung. Unklar ist die Quelle und empirische Evidenz des sogenannten "Rivotril"-Schemas zum Entzug von Benzodiazepinen
bei Substitutionspatienten. Vermisst habe ich jegliche Literaturverweise.
Fazit
Ein sehr preiswertes, informatives, gut handhabbares Kompendium (kein Lehrbuch!!!), das Theorielastigkeit zu Gunsten knapper klinischer Informationen vermeidet. Der Schwerpunkt liegt sicher im Psychopharmaka-Bereich.
Prof. Dr. Michael Soyka
Psychiatrische Klinik
Universität München
Nussbaumstrasse 7
80336 München
Privatklinik Meiringen
Postfach 612
3860 Meiringen, Schweiz
E-Mail: [email protected]
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© ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg
NACHRICHTEN
Dachverband der Suchtgesellschaften nimmt weitere Gestalt an
Nach Vorstellung des Konzeptes zur Etablierung eines
Dachverbandes der Suchtgesellschaften bei den Mitgliederversammlungen der Dt. Gesellschaft für Suchtforschung
und Suchttherapie (Sept 2014) sowie Suchtmedizin (Nov.
2014) trafen sich Vertreter der Partnergesellschaften (Dt.
Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, Dt.
Gesellschaft für Suchtpsychologie) Mitte Januar in Leipzig,
um über die Weiterentwicklung eines gemeinsamen Dachverbandes zu diskutieren. Neben der Fassung eines Gesellschaftsvertrages und Satzung standen vor allem die gemeinsamen inhaltlichen Ziele aller Gesellschaften im Mittelpunkt der Diskussion. Darunter zählen die bessere Anerkennung von stoffgebunden und nicht-stoffgebundenen
Abhängigkeiten als Krankheit, die Stärkung der Suchtprävention, die Verbesserung der Versorgung opioidabhängiger Patienten und der Substitutionstherapie, die Etablierung von Frühinterventionsmaßnahmen, insbesondere
in der medizinischen Versorgung, die Fragen zur Reform
des Betäubungsmittelrechtes und der BtMVV, die Entwicklung von differenzierten Indikationskriterien für Suchtbehandlungen aus den genannten Gebieten im Suchthilfesystem, die Sicherung, Vernetzung und Erweiterung der
Behandlungsmöglichkeiten von Suchterkrankungen, die Erweiterung der komplementären Strukturen in der Behandlung von Suchtkranken, die Ausarbeitung von Behandlungsleitlinien, die Stärkung aller Bereiche der Suchtfor-
Suchtmed 17
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© ecomed Medizin, eine Marke der ecomed-Storck GmbH, Landsberg
Hintere Reihe von links: Christel Lüdecke, Konrad Isernhagen, Tim Neumann,
Stephan Walcher, Tobias Rüther, Markus Backmund, Hans-Günter MeyerThompson, Anil Batra
Vorne: Ulrike Havemann-Reincke, Hans-Jürgen Rumpf, Gabriele JungbluthStrube, Michael Klein
schung und des Wissenstransfers sowie die Optimierung
der Aus-, Weiter- und Fortbildung. Nach Abschluss der
Fassung des Gesellschaftsvertrages sind regelmäßige Treffen von delegierten Vertretern der Vorstände zweimal jährlich vorgesehen. Über die weitere Entwicklung werden wir
gerne regelmäßig allen Mitgliedern berichten.
Prof. Dr. U. W. Preuss
27
ORIGINALARBEITEN | NUTZUNG DES ONLINE-TOOLS "WENIGER-TRINKEN"
Verglichen mit Ergebnissen aus Übersichtsarbeiten im Bereich der Onlinetherapie bei alkoholbezogenen Problemen
schneidet "weniger-trinken" gleich gut ab (Barak et al.
2008, White et al. 2010).
Die Zufriedenheitsbefragung bei Programmende fällt positiv aus. Die meisten Teilnehmer sind mit dem Angebot
von "weniger-trinken" zufrieden und geben mit Ausnahme
der Bearbeitungszeit, welche als zu lang eingestuft wurde, eine positive Bewertung ab. Dieses Ergebnis stimmt
überein mit der Befundlage, dass internetbasierte Programme bei Alkoholproblemen auf gute Akzeptanz stoßen
(Cloud & Peacock 2001, Cunningham et al. 2000).
Vor dem Hintergrund des hohen Drop-Outs im Programmverlauf ist auf die eingeschränkte Repräsentativität der
Ergebnisse zur Konsumreduktion und zur Programmbewertung zu verweisen. Der Nachweis einer signifikanten
Konsumreduktion und einer vergleichsweise hohen Nutzungszufriedenheit sind auf die Teilgruppe der regelmäßigen Beender beschränkt, die sicherlich eine nicht-repräsentative Teilgruppe der Gesamtnutzer darstellt. So dürften
vor allem die eher unzufriedenen Nutzer das Programm
vorzeitig beendet und auf die abschließende Evaluation
verzichtet haben.
Es bleibt zu erwähnen, dass das vorliegende Selbsthilfeprogramm unter natürlichen Bedingungen evaluiert wurde
und es daher keine Kontrollgruppe gibt. Dies könnte zur
Folge haben, dass die Ergebnisse aufgrund anderer Ursachen zustande kamen. Auch ist keine Follow-up-Messung
vorhanden, sodass die längerfristige Wirksamkeit des Programmes nicht belegt ist.
ßer Nutzerkreis angesprochen werden. Zudem konnte in
der Gruppe der regelmäßigen Beender im Programmverlauf
eine starke Reduktion des Konsums nachgewiesen werden.
Auch wenn diese Effekte nicht langfristig geprüft wurden,
ist bei ausreichender Aufschaltungsdauer mit einer positiven Kosten-Nutzen-Bilanz zu rechnen (Berger & Caspar
2011, Khadjesari et al. 2011a).
Die Umsetzung der durch die Teilnehmerbewertung nahegelegte Reduktion des Assessments auf wenige programmrelevante Variablen dürfte die motivationalen Barrieren
einer regalmäßigen Beendigung reduzieren und so die Teilnehmerquote weiter erhöhen. Motivational unterstützend
könnten auch Erinnerungsnachrichten per E-Mail oder die
Rückmeldung eines positiven Feedbacks bei Zielerreichung
gegeben werden (Eysenbach 2005). Die Kompatibilität mit
Alltagssituationen könnte durch den Zugang zum Programm via Smartphone erhöht werden; diese Vereinbarkeit
hat sich bislang als wichtiger Einflussfaktor einer vermehrten Nutzung von Online-Selbsthilfeprogrammen erwiesen
(Anhøj & Jensen 2004). Das Programm könnte beispielsweise auch als App konzipiert werden.
Da sich die Veränderungsbereitschaft als ein wichtiger Prädiktor in der Teilnahme am Programm herausgestellt hat,
sollte diese gefördert und die Ambivalenz reduziert werden. Dazu könnten z.B. Methoden der motivierenden Gesprächsführung in das Online-Programm integriert werden
(Miller & Rollnick 2004). Darüber hinaus legt die kontinuierlich abnehmende Nutzungshäufigkeit nach Aufschaltung
eine kontinuierliche Bewerbung des Tools nahe. Dadurch
würde die Teilnehmerzahl konstant hoch gehalten werden,
sodass künftig mehr Personen von diesem wirksamen Online-Selbsthilfeprogramm profitieren könnten.
4.2 Schlussfolgerung
Danksagung
Nach Aufschaltung des Tools "weniger-trinken" wurde
dies von über 1 100 Personen genutzt, um die Risiken ihres Alkoholkonsums einzuschätzen. Im weiteren Verlauf
des Programms reduziert sich der Nutzerkreis, weniger
als ein Drittel der angemeldeten Personen durchlaufen das
motivationale Assessment, davon nutzt wiederum nur jeder Fünfte das Selbsthilfetool. Auch wenn die BeenderQuoten auf den ersten Blick gering erscheinen, sind diese
durchaus mit anderen Programmen vergleichbar (vgl. z. B.
Christensen et al. 2004, Farvolden et al. 2005). Da die
Bewertung des Programmes nur von den Beendern ausgefüllt wurde, können die Gründe für den Abbruch der
Programmteilnahme sowie die Zufriedenheit mit dem Programm in der Gesamtgruppe nicht zuverlässig eruiert werden. Zukünftig wäre es sinnvoll, Teilnehmer, welche das
Programm nicht regulär beenden, nach ihrem Abbruchgrund
zu fragen. So wäre es möglich "weniger-trinken" anzupassen und eine höhere regelmäßige Beendigung zu erreichen.
Im Vergleich zu Face-to-Face-Interventionen kann durch
Online-Tools mit vergleichsweise wenig Aufwand ein gro-
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Die Autoren bedanken sich bei allen Teilnehmern des Programmes sowie bei der KTI, der Schweizer Kommission
für Technologie und Innovation, für die Förderung des
Projekts SEMPER (Projekt-Nr. 9937.2) in dessen Rahmen
das Online-Tool entwickelt wurde.
Interessenskonflikte
Es bestehen keinerlei Interessenskonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung dieser Publikation.
5 Literatur
Anhøj J, Jensen AH (2004). Using the internet for life style changes in diet
and physical activity: a feasibility study. Journal of Medical Internet Research 6 (3), e28
Babor TF, Higgins-Biddle JC, Saunders JB, Monteiro MG (2001). AUDIT. The
Alcohol Use Disorders Identification Test. Guidelines for Use in Primary
Care (2nd ed.). Geneva, World Health Organization WHO
Barak A, Hen L, Boniel-Nissim M, Shapira N (2008). A Comprehensive Review
Suchtmed 17 (1) 2015