Friedrich Schorb Gewichtsdiskriminierung – Die Rolle von Public Health Diskriminierung auf Grund eines hohen Körpergewichts passiert täglich, überall. Gewichtsdiskriminierung ist präsent im Gesundheitswesen, am Arbeitsplatz, in Kindergärten, Schulen und Universitäten, in Freundschafts- und Intimbeziehungen, in Familien und in den Medien. Gewichtsdiskriminierung führt zu sozialem Ausschluss und wirkt sich negativ auf den Gesundheitszustand aus. Das Phänomen Gewichtsdiskriminierung ist mittlerweile gut untersucht. Mehr als dreihundert Studien zur Thematik aus verschiedenen Ländern sind allein seit dem Jahr 2000 in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht worden. Im Folgenden sollen diese Ergebnisse vorgestellt und daraus resultierende Konsequenzen für Public Health und Gesundheitsförderung diskutiert werden. Forschung zu Gewichtsdiskriminierung schließt alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche wie den Arbeits-, den Beziehungs-, den Bildungsmarkt und die Medien ein. Studien über Gewichtsdiskriminierung am Arbeitsplatz verweisen unter anderem auf diskriminierende Einstellungspraktiken (Sartore und Cunningham 2007, Giel, Thiel et al. 2010, Giel, Zipfel et al. 2012) und auf niedrigere Löhne bei vergleichbarer Qualifikation (Baum und Ford 2004, Brunello und D'Hombres 2007, Greve 2008). Auch persönlichen Beziehungen sind von Gewichtdiskriminierung beeinträchtigt. So finden verschiedene Studien Hinweise dafür, dass insbesondere dicke Mädchen und Frauen seltener Intimbeziehungen führen (Fikkan und Rothblum 2012) und weniger finanzielle Unterstützung von ihren Eltern erhalten (Kraha und Boals 2011, Fikkan und Rothblum 2012). Auch die Stigmatisierung dicker (Ehe-)partnerInnen konnte empirisch nachgewiesen werden (Boyes und Latner 2009). Nicht zuletzt schränkt Gewichtsdiskriminierung die Chancen dicker Menschen auf dem Heiratsmarkt ein (Fikkan und Rothblum 2012, Kark und Karnehed 2012). Ebenso wie der Arbeitsmarkt ist auch das Erziehungswesen von Gewichtsdiskriminierung in vielfältiger Hinsicht betroffen. Studien zeigen nicht nur, dass die Diskriminierung dicker Schülerinnen und Schüler virulent ist, sondern sie zeigen auch, dass sie sich negativ auf deren Schulleistungen auswirkt (Krukowski, West et al. 2009). Des Weiteren schränkt Gewichtsdiskriminierung den Zugang zu höherer Bildung auch dadurch ein, dass dicke Menschen bei gleicher Leistung oft schlechter benotet werden (MacCann und Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation 20. Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2015 Seite 1 von 6 Roberts 2013) und zudem schlechtere Chancen haben, in Einstellungsgesprächen an Universitäten angenommen zu werden (Burmeister, Kiefner et al. 2013, Swami und Monk 2013). Auch in den Medien ist Gewichtsdiskriminierung omnipräsent. Verschiedene Untersuchungen können zeigen, dass Schauspieler/innen mit hohem Gewicht selten in romantischen Beziehungen gezeigt werden, und dass in Komödien und Sitcoms dicke Schauspieler/innen überdurchschnittlich häufig Objekte der Belustigung sind. Dicke Schauspieler/innen werden zudem häufiger bei scheinbar typischen Verhaltensweisen wie dem Konsum großer Mengen Junk Food gezeigt (Ata und Thompson 2010). Die häufig Einstellungen von Angestellten im Gesundheitswesen (Pfleger/innen, Ärzt/innen, Medizinstudierende, Fitnesspersonal) führt zu einer eingeschränkten Nutzung von Gesundheitsleistungen wie (Vorsorge-)untersuchungen und erklärt zum Teil die schlechtere Lebensqualität und den schlechteren Gesundheitsstatus dicker Menschen (Drury und Louis 2002, Malterud und Ulriksen 2010, Forhan und Salas 2013). Gewichtsdiskriminierung trägt zudem zur Entwicklung von Depressionen und Essstörungen bei (Almeida, Savoy et al. 2011, Madowitz, Knatz et al. 2012, Magallares 2012, Pearl, White et al. 2013) und führt zu körperlichen Stressreaktionen (Schvey, Puhl et al. 2014). Die vielfältigen negativen sozialen und gesundheitlichen Folgen von Gewichtsdiskriminierung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Gewichtsdiskriminierung führt zu gesellschaftlicher Abwärtsmobilität bedingt durch die vielfältigen Ausschlussmechanismen auf dem Arbeits-, dem Bildungs- und dem Beziehungsmarkt. Gewichtsdiskriminierung, kann zu Körperbildstörungen, Essstörungen und Depressionen führen und Gewichtsdiskriminierung im Gesundheitswesen hat negative Auswirkungen auf die Nutzung und die Qualität von medizinischen Untersuchungen und damit direkten Einfluss auf den Gesundheitszustand der Betroffenen. Alle sozialen und auch viele der gesundheitlichen Probleme dicker Menschen resultieren nicht aus ihrem Körpergewicht selbst, sondern aus der gesellschaftlichen Deutung ihrer Körper als unästhetisch, krank und als sichtbares Zeichen mangelnder Selbstdisziplin. Die Gründe für Gewichtsdiskriminierung liegen maßgeblich im vorherrschenden Schönheitsideal, das die Wahrnehmung dicker Körper als attraktiv von vornherein ausschließt. Diese Tendenz wird durch eine Politik der Gesundheitsförderung, die ausschließlich auf schlanke respektive normalgewichtige Vorbilder setzt, noch weiter verschärft. Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation 20. Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2015 Seite 2 von 6 Nicht zuletzt lässt sich mit dem Wunsch nach Gewichtsabnahme viel Geld verdienen. Ein Umstand, der ebenfalls zur Perpetuierung gewichtsdiskriminierender Einstellungen beiträgt. Der wichtigste Grund aber dafür, dass Gewichtsdiskriminierung so weit verbreitet ist und – anders als andere Formen der Gruppendiskriminierung – auf so wenig Widerstand stößt, ist, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das Körpergewicht allein für eine Frage der Disziplin hält (Hilbert, Rief et al. 2008). Aufklärung über die komplexen Ursachen für ein hohes Körpergewicht ist daher dringend erforderlich. Denn die Ursachen für eine Gewichtszunahme sind keinesfalls auf eine falsche Ernährungs- und Bewegungsweise zu reduzieren. Als maßgebliche Ursache für die kollektive Gewichtszunahme der letzten Jahrzehnte gelten die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Industrie- und Schwellenländern. Versuche, diesen adipogenen Umweltbedingungen mit individuellen Abnehmstrategien zu begegnen, schlagen jedoch regelmäßig fehl. Die Anpassung an adipogene Umweltbedingungen scheitert unter anderem an der kulturellen Prägung respektive dem Habitus der Betroffenen, an sozialem Stress, mangelnden finanziellen Möglichkeiten (Schorb 2015) und nicht zuletzt an Gewichtsdiskriminierung selbst (Carels, Young et al. 2009). Was sind vor dem skizzierten Hintergrund mögliche Konsequenzen für Public Health? Vorrangig sollte ein Bewusstsein für die vielfältigen Ursachen einer Gewichtszunahme in der Bevölkerung geschaffen werden. Das medizinische Fachpersonal aber auch Public Health Studierende, Ernährungsberater/innen und Fitnesstrainer/innen sollten schon in der Ausbildung für die Thematik Gewichtsdiskriminierung sensibilisiert werden. Was Public Health zudem – nicht nur im Umgang mit abweichenden Körperformen – häufig noch fehlt, ist ein Bewusstsein dafür, dass das eigene Handeln selbst mit dazu beitragen kann, soziale Probleme zu konstruieren und so Realitäten überhaupt erst zu schaffen. Erst durch die Beobachtung, Definition, Deutung und Behandlung durch Disziplinen wie Public Health werden Phänomene, aus deren bloßer Existenz noch nicht not wendigerweise soziale Konsequenzen folgen, zu sozialen Problemen, die als dringend behandlungs- und veränderungsbedürftig interpretiert werden. Für die theoretische Fundierung und Weiterentwicklung von Public Health ist daher eine Problematisierung gesundheitlicher Probleme dringend notwendig. Bezogen auf den gesellschaftlichen Umgang mit Körperfett existiert eine solche Problematisierung der Problematisierung bereits in den sich gerade an US-amerikanischen Universitäten etablierenden Fat Studies (Rothblum und Solovay 2009). Fat Studies führen eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Behandlung und Wahrnehmung von Körperfett aus einer Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation 20. Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2015 Seite 3 von 6 Perspektive, die die Medikalisierung dicker Körper in Frage stellt. Im Fokus von Fat Studies steht nicht länger die Frage, ob und gegebenenfalls wie ungesund Körperfett ist: Fat Studies untersuchen Körperfett als ein soziales Phänomen. Dabei beschäftigen sich Fat Studies insbesondere mit der Frage, welche politischen Veränderungen für eine Entpathologisierung und Entstigmatisierung dicker Menschen auf sozialer, kultureller und juridischer Ebene notwendig sind. Daneben ist es aber vor allem wichtig, neue Konzepte der Gesundheitsförderung im Umgang mit dicken Körpern zu entwickeln. Das Paradigma der Gewichtsabnahme um jeden Preis, das in der Vergangenheit allzu oft nicht zu einer dauerhaften Gewichtsabnah me, wohl aber zu Frustration, Selbstzweifeln und einer Abwendung von einem gesundheitsförderlichen Lebensstil insgesamt geführt hat, sollte durch Gesundheit mit jedem Gewicht (Health at Every Size) abgelöst werden (Burgard 2009). Unter dem Konzept wird eine Gesundheitsförderung verstanden, die nicht die Gewichtsabnahme in den Vordergrund stellt, sondern das physische und psychische Wohlbefinden der Betroffenen. Literatur / Quellen: Almeida, L., et al. (2011). "The role of weight stigmatization in cumulative risk for binge eating." J Clin Psychol 67(3): 278-292. Ata, R. N. und J. K. Thompson (2010). "Weight bias in the media: a review of recent research." Obes Facts 3(1): 41-46. Baum, C. L., 2nd und W. F. Ford (2004). "The wage effects of obesity: a longitudinal study." Health Econ 13(9): 885-899. Boyes, A. D. und J. D. Latner (2009). "Weight stigma in existing romantic relationships." J Sex Marital Ther 35(4): 282-293. Brunello, G. und B. D'Hombres (2007). "Does body weight affect wages? Evidence from Europe." Econ Hum Biol 5(1): 1-19. Burgard, D. (2009). What is Health at Every Size. The Fat Studies Reader. E. Rothblum and S. Solovay. New York, New York University Press: 41-53. Burmeister, J. M., et al. 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