Spirit of Health: Nepper, Schlepper, Wunderheiler

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DocCheck News; 04.05.2015
Spirit of Health: Nepper, Schlepper,
Wunderheiler
4. Mai 2015
Zum zweiten Mal präsentierte der Spirit of Health-Kongress alternative Heilmethoden. Der
bittere Beigeschmack: Skurrile, wirkungslose und teure „Therapien“ wecken vor allem bei
unheilbar Kranken falsche Hoffnungen, die sogar gesundheitsgefährdend sein können.
Bereits im Vorfeld des umstrittenen Kongresses „Spirit of Health“ ging es hoch her. Xing
Events hat seine Zusammenarbeit mit den Organisatoren aufgekündigt – nach Hinweisen des
Deutschen Konsumentenbunds (DKB). Man sehe Hinweise, dass bei der Messe „ethischmoralisch fragwürdige Dinge geschehen“, sagte Vorstandschef Professor Dr. Cai-Nicolas
Ziegler. Auch das „Bündnis gegen Pseudomedizin und Quacksalberei“ warnte vor
gefährlichen Heilmethoden. Und nicht zuletzt scheiterten alle Bemühungen des Autors, sich
als Journalist offiziell zu akkreditieren. Medienvertreter scheinen unerwünscht zu sein.
Inkognito gelang die Teilnahme trotzdem.
Doktor Scharlatan
Ein Blick auf die illustre Dozentenschaft: Schon bei der Ankündigung von „Spirit of Health
2015“ warben Veranstalter mit Titeln, um Seriosität vorzugaukeln. Zwei Beispiele: „Dr.“
Andreas Kalcker und „Dr.“ Leonard Coldwell. Nachdem Vermutungen laut wurden, es
handele sich um medizinische Laien, die akademische Würden über Titelhandelsfirmen
erworben hätten, wurden DKB-Juristen aktiv. Kongressorganisatoren erhielten postwendend
eine Abmahnung – und korrigierten ihre Agenda. Der ursprüngliche Programmentwurf ist
über „Internet Archives“ zugänglich. Kritiker mag dieser Teilerfolg freuen. Trotzdem gelang
es Wunderheilern, kritische Themen zu kommunizieren.
MMS – teuflisches Gebräu
Einmal mehr steht das „Miracle Mineral Supplement“ im Fokus. Verschiedene Hypochlorite
werden kurz vor der Einnahme mit Zitronensäure als „Aktivator“ gemischt. Dabei entwickelt
sich giftiges Chlordioxid. Zuletzt war MMS zur Heilung von Krebs, Malaria oder chronischen
Infektionen verkauft worden. Andreas Kalcker (ohne Doktortitel) bewertet die Salzmischung
als hochwirksame Therapie für Autisten. Er hatte bereits in 2013 auf der Konferenz
„AutismOne“ sein umstrittenes Konzept vorgestellt. Gemäß der „parasitären Vaccinose“
gelten Toxine von Parasiten als Ursache für Symptome. Zuhörer stellen entsprechende Thesen
des geschickten Rhetorikers nicht infrage. Umso kritischer reagieren Medien. Zuletzt hatte
das Magazin „Kontraste“ Kalcker böse vorgeführt. Journalisten mailten ihm ein Foto
zerschnittener Schollenfilets mit dem Hinweis, diese Masse sei durch MMS-Einläufe bei
autistischen Patienten abgegangen. Der selbsternannte Experte reagierte prompt – und
erkannte im Bild einen angeblichen Seilwurm (rope worm, Funis Vermis). Diese Spezies ist
bei Biologen unbekannt; sie gilt als Erfindung der MMS-Jünger. „Autismus ist heilbar“,
schrieb Kalcker. Laien kaufen entsprechende Wundermittelchen vor allem über das Internet.
Zuletzt stufte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) MMS als
bedenkliches Arzneimittel ein. Werbung und Verbreitung stehen seither unter Strafe – ohne
erkennbaren Erfolg. Grund genug für BfArM-Präsident Professor Dr. Karl Broich, zentrale
Zuständigkeiten zu fordern.
https://youtu.be/99U6l4KlJ-A
Videomitschnitt: Andreas L. Kalcker, Chlordioxid, Impfungen & Autismus (SPIRIT OF
HEALTH 2014)
Krebs und Pilz
Das nächste Thema: Tullio Simoncini, ein Ex-Arzt aus Rom, arbeitete unter anderem als
Onkologe. Er vertritt die These, manche Krebserkrankungen seien Folge einer
Infektionskrankheit. Simoncini macht verschiedene Pilze für maligne Erkrankungen
verantwortlich – und bringt gleich ein Wundermittel in das Gespräch: Natron
(Natriumhydrogencarbonat) wirke als hochwirksames Fungizid. Sein Buch „Krebs ist ein
Pilz: Eine Revolution in der Behandlung von Tumoren“ verschafft ihm weltweit Anhänger.
Medienangaben zufolge hat Simoncini in Italien seine Approbation aufgrund von Todesfällen
in Zusammenhang mit Natriumhydrogencarbonat-Infusionen verloren. Mehrfach war es zu
Verurteilungen gekommen.
https://youtu.be/01_hdwiXQ3A
Videomitschnitt: Tullio Simoncini, Krebsbehandlung mit Natriumhydrogencarbonat
Schwarze Salbe – schwarze Seele
Als „heißes Thema“ präsentiert Adrian Jones, Australien, eine schwarze Salbe. Die
Zubereitung soll Brustkrebs und Hautkrebs heilen, quasi als chemisches Skalpell. Was steckt
dahinter? Ammoniumbituminosulfonat, sprich sulfonierte Schieferöle, sind seit mehr als 100
Jahren in der Pharmazie bekannt. Jones beruft sich auf die Mohs-Chirurgie: Frederic E. Mohs
(1910-2002) hätte bei zeitgenössischen Eingriffen zur Entfernung maligner Hauttumoren
postoperativ mit schwarzer Salbe gearbeitet. Ein gefährliches Unterfangen – Histopathologien
lassen sich kaum durch das ominöse Präparat ersetzen. Nach punktuellen Biopsien sollte das
Präparat auch angewendet werden, erklärt Jones weiter. Er beruft sich auf immunologische
Reaktionen der altehrwürdigen „Zugsalbe“, ohne wissenschaftliche Daten vorzulegen.
https://youtu.be/byDNhDzXxcY
Videomitschnitt: Adrian Jones, Schwarze Salbe – Heilung von Brust- und Hautkrebs (SPIRIT
OF HEALTH 2014)
Der Druck wächst
Andere Länder sehen das Treffen mit weniger Toleranz. Kürzlich musste „Spirit of Health“ in
den Niederlanden abgesagt werden – nach England und Irland der dritte Rückzug. Auch in
Deutschland werden kritische Stimmen immer unüberhörbarer. Tatsache ist, dass es
tatsächlich juristische Möglichkeiten gegeben hätte. Ein Blick auf das Heilmittelwerbegesetz.
Der Staat stellt irreführende Werbung oder Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel unter
Strafe. Apothekerkammern oder Ärztekammern hielten es nicht für nötig, sich mit der Materie
inhaltlich zu befassen.
Artikel von Michael van den Heuvel