1. Rahmenkonzeption für die Arbeit mit Flüchtlingen in der EKBO Bestandsaufnahme und neue Ausrichtung 1. Grundsätze kirchlicher Flüchtlingspolitik Die EKBO versteht sich aufgrund ihrer biblischen Tradition als Kirche mit Flüchtlingen. Für ihren verkündigenden, diakonischen und gesellschaftspolitischen Auftrag hört sie auf Flüchtlinge, berät sie, hilft ihnen und unterstützt ihre Teilhabe in der Gesellschaft. Im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit steht sie an ihrer Seite und verleiht ihnen Stimme. Deshalb wenden sich Gemeinden und Gemeindeglieder den Flüchtlingen zu und gewähren ihnen Schutzraum. Indem sie für die Menschenwürde und das Menschenrecht aller eintreten, suchen sie „der Stadt Bestes“. 2. Ausgangslage 2.1. Aufnahme und Schutz von Flüchtlingen in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz Asylsuchende und Kontingentflüchtlinge werden in Deutschland nach Bevölkerungszahl und Steueraufkommen (Königsteiner Schlüssel) den Bundesländern und Kommunen zugewiesen. Berlin nimmt jährlich 5,07% (in 2014 waren das 10.283 Personen), Brandenburg 3,07% (in 2014 6.227 Personen) und Sachsen 5,14% (in 2014 10.425 Personen) der Asylsuchenden auf.1 Hinzu kommen die bereits seit längerem hier lebenden Flüchtlinge und Asylberechtigten sowie die im Zuge von Familienzusammenführung und Aufnahmeprogrammen aufgenommene Menschen. In den letzten Jahren sucht darüber hinaus eine wachsende Zahl von Flüchtlingen Aufnahme in Berlin, für deren Asylverfahren andere europäische Mitgliedstaaten zuständig sind, die zum Teil dort einen Schutzstatus erhalten, aber keine Lebensperspektive für sich sehen. Sie haben hier kaum Aussicht auf eine Bleibeperspektive. Hinzu kommen Flüchtlinge mit gänzlich ungeklärtem Status, Flüchtlinge „ohne Papiere“, oder Flüchtlinge aus Ländern, die als sichere Herkunftsstaaten gelten. Die Flüchtlinge treffen dabei auf sehr unterschiedliche Aufnahmebedingungen in der Metropole Berlin, in kleineren Städten oder im ländlichen Raum. 2.2 Situationen in Kirchenkreisen und –gemeinden vor Ort - - - Viele Kirchengemeinden und Kirchenkreise in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz engagieren sich seit Jahrzehnten in der Unterstützung, Begleitung und Integration von Flüchtlingen. Sie beschäftigen sich mit den Fluchtursachen und unterhalten nicht selten Partnerschaften oder Kontakte mit Gemeinden in Kontexten der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit. Andere Gemeinden kommen erst seit kurzem durch neu entstehende Gemeinschaftsunterkünfte in ihrem Einzugsbereich in Berührung mit den Schicksalen und der Lebenssituation von Geflüchteten und möchten einen Beitrag leisten zur Verbesserung ihrer Lebensumstände und zur baldmöglichen Integration. Andere Gemeinden wiederum sind konfrontiert mit Ängsten und Vorbehalten gegen Flüchtlinge in ihrer direkten Nachbarschaft, innerhalb der Gemeinden selbst, sowie 1 Berechnung auf der Grundlage der Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: 202.834 Asylanträge in 2014, vgl. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/01/asylzahlen_2014.html?nn=3315 574 1 - mit fremdenfeindlichen Aktivitäten rechtspopulistischer Initiativen, die sich die Ängste der Menschen zunutze machen. Nicht wenige Gemeinden gewähren Flüchtlingen in menschenrechtlichen und humanitären Notsituationen Kirchenasyl. In Berlin sind Kirche und Diakonie seit etwa zwei Jahren intensiv mit Flüchtlingsprotesten, z.B. der Flüchtlinge am Oranienplatz und in der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg befasst, haben diese in ihren politischen Forderungen unterstützt und Beratung, Unterbringung und humanitäre Hilfe geleistet. Sie haben in den politischen Prozessen vermittelt und sich am Ringen um Lösungen beteiligt. Die brisante Situation hat Kirche und Diakonie vor große Herausforderungen gestellt und zuweilen an ihre Grenzen gebracht. Zugleich hat sie wichtige Impulse für die Solidarität mit Flüchtlingen und für kirchlich-diakonisches Engagement gesetzt und zu innerkirchlichen Lernprozessen beigetragen. 3. Struktur der Flüchtlingsarbeit innerhalb der EKBO Die Landespfarrerin der Ev. Landeskirche für Migration und Integration, die beteiligten Gremien und Synoden, Kirchenkreise und Gemeinden, die Diakonie mit ihren Mitgliedseinrichtungen sowie alle Christinnen und Christen arbeiten in ökumenischer Offenheit zusammen. 1. Die Landespfarrerin für Migration und Integration der EKBO im Berliner Missionswerk vertritt die EKBO in den Fachgremien auf Länder- und Bundesebene und nimmt flüchtlingspolitische Lobbyarbeit / Anwaltschaft, Advocacy wahr. Sie hat die Fachaufsicht über die unterschiedlichen Arbeitsbereiche der Flüchtlingsarbeit im Bereich der Landeskirche und vernetzt diese. Dabei stehen ihr der Kirchenleitungsausschuss für Migration und Integration (KLA), der Beirat für Migration und Integration, das Team der Seelsorge-Abschiebungshaft, das Team der kirchlichen Mitarbeitenden in den Härtefallkommissionen (HFK), das Team der Flüchtlingskirche und die Beauftragten in den Kirchenkreisen zur Seite. 2. Die Mitgliedseinrichtungen des Diakonischen Werkes (DWBO) engagieren sich in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz in der Unterbringung von Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen; sie halten in den Regionen Flüchtlingsberatungsstellen vor und gestalten Projekte mit spezifischen Angeboten z.B. für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Die Arbeit wird vom DWBO als Landesverband der Diakonie koordiniert und durch das Angebot von Fachgruppen und Fortbildungen fachlich begleitet. 3. Kirchengemeinden und -kreise sind die Basis für die kirchliche Arbeit mit Flüchtlingen vor Ort. Einige Kirchenkreise stellen Finanzmittel für Mitarbeitende im Bereich der Beratung und Seelsorge für Flüchtlinge zur Verfügung. Gemeindeglieder engagieren sich ehrenamtlich in der Arbeit mit Flüchtlingen. Gemeinden nehmen durch Beschluss der Gemeindekirchenräte Flüchtlinge in ihren Räumen auf. 4. Der ökumenische Verein „Asyl in der Kirche Berlin e.V.“ unterhält eine Beratungsstelle und eine mobile Flüchtlingsunterstützung in der Heilig-Kreuz-Kirche bzw. in der Flüchtlingskirche. Er unterstützt Gemeinden bei der Gewährung von Kirchenasylen, betreibt Netzwerk- und Lobbyarbeit für Flüchtlinge und hat eine Gruppe von Ehrenamtlichen. 4. Handlungsfelder und Ziele der Flüchtlingsarbeit innerhalb der EKBO 2 Ziel kirchlich-diakonischen Engagements ist der Schutz von Flüchtlingen, die Verbesserung ihrer Lebenssituation und ihre gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe sowie die Solidarität mit Flüchtlingen in Kirche und Gesellschaft. Gemeinden öffnen sich für die Begegnung mit Geflüchteten; sie erleben Gemeinschaft, feiern Gottesdienst und lernen mit- und voneinander in ökumenischer und interreligiöser Vielfalt. Kirchlich-diakonisches Engagement zielt nicht darauf, Bund, Länder und Kommunen aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Vielmehr sollen sie glaubwürdig an ihre Verantwortung erinnert werden, indem Kirche und Diakonie aus eigenem Selbstverständnis vor allem in folgenden Handlungsfeldern Verantwortung übernehmen: 1. Unterstützung von Flüchtlingen im Asylverfahren und bei der Inanspruchnahme ihrer Rechte, Förderung von Begegnung, Solidarität und Integration (Kita-Besuch, Sprachkurs, Nachhilfe, Integration in die Gemeinde, Zugang zu Praktika, Beschäftigung, Ausbildung, Arbeit, Bildung, medizinische Versorgung, Wohnraum etc.) 2. Schaffung von Begegnung mit Flüchtlingen „auf Augenhöhe“ z.B. in gemeinsamen Gottesdiensten 3. Flüchtlingspolitisches Engagement innerkirchlich und gegenüber Politik, Verwaltung und in gesellschaftlichen Diskursen (Anwaltschaft/Advocacy) 4. Beitrag zum sozialen Frieden im Gemeinwesen und der Nachbarschaft durch Beteiligung an/ Moderation von Willkommensinitiativen und Konflikten 5. Qualifizierung des eigenen haupt- und ehrenamtlichen Engagements in Kirchenkreisen und Gemeinden im Sinne einer auf gleichberechtigte Teilhabe gerichtete Haltung. 6. Unterstützung von Flüchtlingen mit ungeklärtem oder irregulärem Status bis zur Klärung ihres Aufenthalts und der weiteren Perspektive, humanitäre Unterstützung und Grundversorgung (vorübergehende Unterbringung, Lebensunterhalt, medizinische Leistungen) und Unterstützung bei der Entwicklung einer Perspektive (durch Legalisierung, Rückkehr, Weiterwanderung etc.).2 7. Kirchenasyl: Beistand einer Gemeinde für Flüchtlinge auf der Grundlage eines GKRBeschlusses bei drohender Abschiebung in Verbindung mit Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder bei drohenden sonstigen schweren Menschenrechtsverletzungen, z.B. der Trennung von Familien.3 4.1. Flüchtlingskirche Die Flüchtlingskirche in Berlin ist ein Ort für soziale und kulturelle Begegnungen, Kontakte und Veranstaltungen von und mit Flüchtlingen. Als Ort des Ankommens, der Begegnung, der Spiritualität, der Bildung und Beratung konzentriert sie Kompetenzen und ist Ansprechpartnerin für die gesamte Landeskirche und ihre Ehrenamtlichen, Neben- und Hauptamtlichen in Kirchenkreisen und Gemeinden. Das Team der Flüchtlingskirche stärkt die vorhandenen Strukturen kirchlicher Flüchtlingsarbeit und entwickelt sie zusammen mit Kirchenkreisen und –Gemeinden in der gesamten Landeskirche weiter. Träger der Flüchtlingskirche soll der Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte (KKBS) sein. Dabei kooperieren Landeskirche (BMW), KKBS und die Ev. KG in Kreuzberg-Mitte. 2 Siehe hierzu u.a.: Verantwortlich Handeln, Handreichung der Kirchenleitung für Kirchengemeinden der EKBO zum Umgang mit Protesten von Flüchtlingen, 2014 3 Vgl. Handreichung der Kirchenleitung zum Thema Asyl in der Kirche, Stand 2002 3 Es wird ein “Beirat Flüchtlingskirche“ zur Begleitung und Vernetzung der Flüchtlingskirche gebildet, in dem bisherige Akteure der Flüchtlingsarbeit sowie auch Vertreter und Vertreterinnen der Flüchtlinge vertreten sind. (siehe Konzeption) 4.2. Mobile Beratung in Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz Es wird eine mobile Beratung für Gemeinden, Kirchenkreise und ehrenamtliche Initiativen in Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz für zunächst 3 Jahre eingerichtet (100% RAZ, ggf. zwei halbe Stellen). (siehe Konzeption) 4.3. Gemeinden und Ehrenamtliche In Kirchengemeinden und Kirchenkreisen engagieren sich Ehrenamtliche und Hauptamtliche als Kirche mit Flüchtlingen vor Ort. Es wird empfohlen, dass jeder Kirchenkreis haupt- oder nebenamtlich eine Ansprechperson für diese Aufgabe beauftragt oder einen Arbeitskreis / Synodalausschuss für dieses Handlungsfeld bildet. Die Gemeinden und Kirchenkreise werden durch das Team der Flüchtlingskirche, die Landespfarrerin und die Diakonie unterstützt. Kirchengemeinden bieten Schutzräume für Flüchtlinge bis hin zur Gewährung von Kirchenasyl im Einzelfall. Für die Aufnahme und für das Kirchenasyl gibt es eigene Handreichungen der Landeskirche. Die Landespfarrerin für Migration und Integration, das Team in der Flüchtlingskirche und der Verein „Asyl in der Kirche Berlin“ stehen für Fragen der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Ehrenamtlichen zur Verfügung, ebenso regionale Diakonische Werke und Initiativen in den Kirchenkreisen. Auch viele Migrantenkirchen unterstützen Flüchtlinge. Sie sind im Ökumenischen Rat Berlin-Brandenburg und im Internationalen Konvent christlicher Gemeinden in Berlin und Brandenburg zusammengeschlossen. Die Zusammenarbeit von Kirchengemeinden und Migrantenkirchen wird weiter gefördert. Auch im interreligiösen Dialog ist die Arbeit mit Flüchtlingen ein wichtiges Thema. 4.4. Flüchtlingsberatung und Unterstützung einschließlich Härtefallberatung Kirchenkreise und Kirchengemeinden engagieren sich in der Unterstützung und Begleitung von Flüchtlingen und halten nach ihren Möglichkeiten ein hauptamtliches Beratungsangebot für Flüchtlinge vor. Die EKBO ist in den Härtefallkommissionen in Berlin und in Brandenburg vertreten. Die Härtefallberatung findet überwiegend durch ein hohes ehrenamtliches Engagement innerhalb der kirchlichen und diakonischen Beratungsangebote statt. In Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz stehen vor Ort Flüchtlingsberatungsstellen diakonischer Mitgliedseinrichtungen mit unterschiedlicher regionaler Zuständigkeit zur Verfügung. Sie werden durch den Landesverband der Diakonie fachlich unterstützt und begleitet und auf Landes- und Bundesebene vertreten. Mitgliedseinrichtungen der Diakonie engagieren sich auch in der Bereitstellung von Unterkünften und Wohneinheiten für Flüchtlinge. Sie achten auf menschenwürdige Unterbringung und halten entsprechende qualitative Standards ein. Sie stellen die sozialpädagogische Begleitung der Bewohnerinnen und Bewohner sicher. Die Einrichtungen und Dienste sind in die örtliche Infrastruktur und in die kirchlichen Ehrenamtsstrukturen eingebunden. 4 Die Flüchtlingsberatung in der Flüchtlingskirche wird durch den Verein „Asyl in der Kirche Berlin e.V.“ gewährleistet. Für seine Beratungsarbeit (Juristin / Jurist, Sozialarbeiterin / Sozialarbeiter) wird der Verein durch die Landeskirche (Flüchtlingshilfefonds, Kirchenkreise) unterstützt. 4.5. Seelsorge Abschiebungshaft Im Auftrag der EKBO arbeiten Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Abschiebungshafteinrichtungen Berlin, Eisenhüttenstadt und im Flughafengewahrsam. Landeskirche, Kirchenkreise und Diakonische Werke beteiligen sich an der Finanzierung einer halben Pfarrstelle. Für diesen Arbeitsbereich im Spannungsfeld staatlichen Handelns und beratender, seelsorgerlicher und diakonischer Zuwendung gibt es eine eigene Konzeption. 4.6. Anwaltschaft, Advocacy Kirche und Diakonie engagieren sich im Wissen um die Situation von Flüchtlingen aus der Erfahrung des Zusammenlebens mit Flüchtlingen und aus dem biblischen Auftrag zur Nächstenlieben innerkirchlich und gegenüber Politik, Verwaltung und in gesellschaftlichen Diskursen für den Schutz und die Rechte von Flüchtlingen in unserer Region, in Deutschland und in Europa. Kirchengemeinden leisten durch Beteiligung an bzw. durch die Moderation von Willkommensinitiativen und Konflikten einen Beitrag zum sozialen Frieden im Gemeinwesen und in der Nachbarschaft. 4.7. Öffentlichkeitsarbeit und Internetpräsenz Es wird eine interaktive Internetpräsenz in Kooperation mit der Öffentlichkeitsarbeit von EKBO, BMW und DWBO eingerichtet, in der Informationen zusammengetragen und vernetzt werden. Dafür sollen von Beginn an Honorarmittel bereitgestellt werden. 5. Flüchtlingsfonds und nachhaltige Finanzierung Die Rahmenkonzeption kann nicht ausschließlich mit Mitteln des Flüchtlingsfonds umgesetzt werden. Es soll eine Fachkraft für Fundraising und die Einwerbung von Drittmitteln, z.B. EUMittel, auf Honorarbasis verpflichtet werden. Für die Jahre 2015 und 2016 unterstützt ein Flüchtlingsfonds diese Arbeit. Er dient dem Aufund Ausbau nachhaltiger, struktureller und beispielhafter Maßnahmen zur Verbesserung der kirchlichen Arbeit mit Flüchtlingen. Er wird durch den Finanzausschuss Migration und Integration verwaltet. (siehe Vergaberichtlinie) 5
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