Dudeninstitut für Lerntherapie Samstag, 18. April 2015 Hinweise zur Arbeit mit von ADHS betroffenen Kindern und Jugendlichen Prof. Dr. Friedrich Linderkamp, Bergische Universität Wuppertal Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 DSM-Kriterien • 3 ADHS Kardinalymptome: • Hyperaktivität • Impulsivität • Unaufmerksamkeit • 3 ADHS Subtypen: • Vornehmlich unaufmerksamer Typus • Vornehmlich Hyperaktiv-Impulsiver Typus • Mischtypus è Probleme in der Selbst-Regulation und Selbstorganisation ! Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 ADHS im Jugendalter • Abnahme (sichtbarer) Symptome,insbesondere Hyperaktivität • Kein “Auswachsen” der Problematik à “Durchgangssyndrom”; das „innere Chaos“ bleibt • Selbstregulation and metakognitive Organisation bleiben beeinträchtigt • Zusätzliche biologische und normative Entwicklungsaufgaben… Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 ADHS im Jugendalter a) Verhaltensprobleme Ablenkbarkeit – schwache Konzentration – schwache SchulleistungenVerabredungen vergessen – durch Verabredungen durchrauschen – Hausaufgaben(hefte) vergessen – Langeweile in der Schule – nicht abwarten können / mit Antworten herausplatzen – Lehrer und Mitschüler unterbrechen - Zappeligkeit – Probleme in der Klasse stillzusitzen – beim Sport, nach der Schule, von Gleichaltrigen ausgegrenzt werden - thrill suchen – Risikoverhalten suchen – Unfallgefahr erhöht - Verkehrsunfälle – unreifes Urteilsvermögen Alkoholmissbrauch - Drogenmissbrauch ( Marijuana) - delinquentes Verhalten ... b) Emotionale Probleme è comorbidity... Soziale Unsicherheit– Depressionen – soziale Ängste Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Prävalenz und Komorbidität klinische Problematiken sind weitaus seltener als allgemeine AufmerksamkeitsStörungen: Lehrer (verschiedene Schultypen): - mehr als 20% der Schüler sind aufmerksamkeitsgestört - über 15% der Schüler sind motorisch unruhig Tatsächliche Prävalenzraten: - ADHS im Schulalter: 3 bis 7 % - ADHS bei bereits bestehenden Verhaltensauffälligen: mindestens 50% - Aufmerksamkeitsstörung + Störungen im Sozialverhalten: 30-90% Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Prävalenz und Komorbidität - Aufmerksamkeitsstörung + Emotionale Störungen: ¼ bis 1/3 - Aufmerksamkeitsstörung + Schulleistungsstörungen 80% bis über 90% - Aufmerksamkeitsstörung + Klassenwiederholung: ca. 1/3 Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Prävalenz • Kinder und Jugendliche zusammen: 5,29 % • Häufigkeit von ADHS-Diagnosen in Deutschland (KiGGS; Huss et al., 2008): Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Ätiologie / Bedingungsmodelle è die Entstehung und Aufrechterhaltung von ADHS wird anhand „bio-psycho-sozialer“ Modelle erklärt. Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Theoretischer; empirischer Zugang: Entwicklungswissenschaften: << Kindliche Entwicklung vollzieht sich über kontinuierliche reziproke Wechselwirkungen zwischen aktivem Individuum und aktiver Umwelt >> è Das Vulnerabilitätskonzept … Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Risiko mindernde Faktoren Risiko steigernde Faktoren Ressourcen Belastungen Kind bezogene Risikofaktoren prä-, peri- und postnatale Beeinträchtigungen oder Schädigungen Umgebungsbezogene Risikofaktoren a) gesellschaftliche Stressoren: - geringer sozioökon. Status Kind bezogene Schutzfaktoren - - positives Temperament hohe Intelligenz soziale Responsivität b) familiäre Stressoren - - negative Elternmerkmale (psych. Probleme, dysfunktionelles Erzieh.verhalten) chronischer Streit Bilanz der Belastungen und Ressourcen Umgebungsbezogene Schutzfaktoren a) Schutzfaktoren innerhalb des sozialen Umfeldes - soziale Unterstützung - b) Schutzfaktoren innerhalb der Familie - stabile emotionale Beziehungen - offenes unterstützendes Erziehungsklima - familiärer Zusammenhalt - Modelle positiven Bewältigungsverhalten s ! Gesamtbelastung des Kindes und seiner Familie ! Notwendige Anstrengungen zur Belastungsbewältigung Abbildung 1. Biopsychosoziale Risiken in der kindlichen Entwicklung: das Vulnerabilitätskonzept (modifiziert nach Scheithauer et al., 2000). Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 ADHS-spezifisches Erklärungsmodell... Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Theory of ADHD (Barkley, 2011) Inhibitionskontrolle Arbeitsgedächtnis Selbst-Regulation Motivation (Sprachliche) Selbstanweisungen SelbstOrganisation Motorische Kontrolle Handlungskontrolle Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Aufmerksamkeitsleistungen Verstehen und Akzeptieren eines Handlungsziels. Voraussetzungen hierfür sind u.a. inhaltliches (Vor-)Wissen, Anweisungsverständnis, interessensbezogene und motivationale Aspekte Handlungsbegleitendes Speichern des Handlungsziels. Voraussetzung hierfür ist ein ausreichend funktionierendes Kurzzeitgedächtnis Entwurf eines Planes bei komplexen, unbekannten Aufgaben Aufmerksamkeitsfokussierung auf handlungsrelevante Reize. Dazu gehören Reaktionshemmung bzgl. irrelevanter und störender Reize (selektive Aufmerksamkeit) Einsatz handlungsnotwendiger Kenntnisse, Fertigkeiten und Strategien. Voraussetzung ist, dass diese erlernt und erprobt sind Reflexivität, d.h. permanente Überwachung der eigenen Tätigkeit ggf. Korrektur des Vorgehens. Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Aufmerksamkeitsstörungen mangelnde Beherrschung notwendiger kognitiver Grundfertigkeiten/Operatoren (z.B. mangelnde Diskriminationsfähigkeit, oberflächliche Vergleichsprozesse) mangelnde Steuerung der Handlungsausführung (z.B. das Ziel aus den Augen verlieren, das eigene Vorgehen nicht überwachen, Rückmeldungen nicht einholen bzw. nicht verarbeiten, Handlungsergebnisse nicht mehr kontrollieren). Mangelnde Handlungsplanung bzw. –organisation (z.B. keine Vorüberlegungen anstellen, stattdessen darauf los arbeiten; übergeordnete Strategien nur unzureichend einsetzen, die Aufgabenstellung nicht näher analysieren) keine Reflexionsphase einhalten metakognitive Defizite (z.B. sich keine Fragen zum eigenen Handeln stellen, Problemlösestrategien nicht verfügbar, systematische Überwachung und Korrektur der Tätigkeit gelingt nicht). fehlerhafte Handlungsergebnisse Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Therapie... Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Wirksamkeit Psychopharmaka; CBT... Kindesalter: Ø Ø Ø Ø Wenig wirksam: non-direktive Verfahren Moderat bis gut wirksam: CBT Gut bis sehr gut wirksam: Stimulanzientherapie Sehr gut wirksam CBT + Stimulanzientherapie Erwachsenenalter: Meta-Analyse von Linderkamp, F. & Lauth, G. (2011): content.karger.com/ProdukteDB/miscArchiv/ 000/332/429/000332429_sm_eversion.pdf Gewichtete gemittelte Effektstärken: Ø psychotherapeutische Studien d = 0,84 Ø Pharmakologische Behandlungsformen d = 0,44 Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Wirksamkeit CBT und Coaching Kognitiv-behavioraler Ansatz Robinson, Smith, Miller & Brownell (1999) d = 0.74 Durlak, Fuhrman & Lampman (1991) d = 0.92 bei 11-13jährigen Weisz, Weiss, Han, Granger & Morton (1995) Kinder: d = 0.48; Jugendliche: d = 0.65 McCart, Priester, Davies & Azen (2006) Alter als signifikanter Moderator der Effektstärken Coaching bei ADHS im Erwachsenenalter z. B. Ramsay & Rostain (2007) mittlere Effektstärken Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Wirksamkeit der Vermittlungstechniken Weisz et al., 1995 Soziale Verstärkung d = 1.24 Selbstbekräftigung d = 1.29 Baer & Nietzel, 1991 Strategieinstruktion + operante Verstärkung d = 1.98 Selbstinstruktionstraining + andere CBTTechniken d = 0.7 Swanson & Hoskyn,1998 direkte Instruktion + Strategieinstruktion d = 0.84 Direkte Instruktion; Strategieinstruktion; Selbstinstruktion Grünke, 2006 Wiederholtes Üben mit Überprüfungen und Feedback; Prozessorientierung mittlere bis hohe Effektstärken Swanson & Deshler, 2003 „Organization and explicit practice“ Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Wirkprinzipien: Ø Soziale Verstärkung; Selbstverstärkung Ø Selbstinstruktion (Metakognition) Ø Direkte Instruktion Ø Strategieinstruktion Ø Ressourcenorientierung Ø Trainer-Schüler-Beziehung Ø Selbstmanagementansatz Ø Ökologische Fundierung (è Schule) è Wirksamkeit: d= .73 Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 LeJA - Konzeption Zielgruppe • Jugendliche im Alter von 12 – 17 mit ADHS • Ausschluss: Jugendliche mit schweren komorbiden Störungen Anliegen • Verbesserung der Lern- und Leistungsmöglichkeiten è Kompetenzen und Performanz steigern • Autonomieentwicklung unterstützen è Selbstmanagement Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Inhalte • Lernstrategien aufbauen und einüben • Metakognitive Fertigkeiten trainieren • Selbstorganisation fördern • Wissen vermitteln Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Sitzung 1 2+3 4 5 - 12 13 -15 16 - 19 Thema / Trainingsbaustein Kennen lernen / Beziehungsaufbau Sitzungsinhalte • Formelles, Organisation, Fragen • Trainingsvertrag abschließen Psychoedukation • Psychoedukation ADHS • • Psychoedukation Lernstörung Analyse des persönlichen Lernprozesses • Entwicklung eines individuellen Störungs- bzw. Bedingungsmodells Problem- und Zieldefinition erarbeiten • Lerntraining / Verbesserung des • Lern- und Arbeitsverhaltens Lernorganisation • Systematisches Aufgabenlösen anhand aktueller individueller Schulaufgaben • • Spezifische Lernstrategien Lernumgebung • Terminplanung • Coaching individueller Probleme • 20 Abschluss Follow-up (optional) Auffrischung relevanter Inhalte Ableitung therapeutischer Ziele Systematisches Aufgabenlösen anhand beispielhafter Aufgaben Klassenarbeiten und Langzeitaufgaben (Zeitplanung) Probleme mit Gleichaltrigen, Eltern, Lehrern • Komorbide Störungen • Vorbereitung einer Berufsperspektive • Reflektion zur Stabilisierung und Generalisierung der Trainingserfolge Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Ablauf der Sitzungen 1. Türöffner / Blitzlicht 2. Wiederholung letzte Sitzung 3. Wege der Problemlösung gemeinsam erarbeiten (Brainstorming / Modellierung / Elaboration) 4. Übungsphase (Instruktionen, Prozess orientierte Hilfen/Verstärkungen) 5. Verhaltensfeedback; soziale Verstärkung 6. spielerischer Ausklang Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Gestaltung der Lernsituation I • Ritualisierung – Fester Ort und feste Zeit für das Training; keine Störungen – Strukturierte Sitzungen mit immer gleichem Ablauf – Nur Utensilien auf den Tisch, die für die Erledigung der aktuellen Aufgabe benötigt werden – … • Rollen und Zuständigkeiten klären – Der Jugendliche ist „sein eigener Manager“ – Der Therapeut unterstützt ihn (ist sein Coach) è Selbstmanagement fördern Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Gestaltung der Lernsituation II • Trainingsinhalte portionieren – Aufgaben in bewältigbare Teilschritte aufgliedern è Komplexitätsreduktion – Mit leichten Aufgaben beginnen und Schwierigkeit langsam erhöhen – Kontinuierlich Lernerfolge hervorrufen, die der Jugendliche auf seine eigene Anstrengung und Fähigkeit attribuieren kann („Lernen am Erfolg“) Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Verhaltensfeedback o Problem: „negative Verstärkerbilanz“ o soziale Verstärkung unmittelbar nach der Arbeitsphase des Kindes - Kontiguität, Kontingenz o soziale Verstärkung positiver Verhaltensaspekte o genaue Rückmeldung über gelungene „Verhaltensteile“ Und... o identifizieren dysfunktionaler Attributionen und Selbstabwertungen o Kognitive Umstrukturierung / Erkenntnisdialoge Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Arbeitsgruppe: 1:1 Übung Trainerhandlungen: Lautes Denken / Selbstverbalisierung / Selbstinstruktion Strategieinstruktion Prozess orientierte soziale Verstärkung Verhaltensfeedback Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Sokratischer Dialog • Der Sokratische Dialog ist geeignet, um dysfunktionale kognitive Schemata, Weltbilder und moralische Dogmen der Kinder herauszuarbeiten, zu hinterfragen und ggf. zu modifizieren • Ziel: Übernahme von Eigenverantwortung, Mut zur Selbstbestimmung, Festlegung eigener Lebensziele Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Sokratischer Dialog Grundsätze 1. 2. Bleibe beim Thema Vermeide abstrakte Themen ohne Alltags- oder Realitätsbezug für den Patienten 3. Stelle kurze, präzise Fragen 4. Bewahre eine naive, fragende Haltung 5. Sei offen und verstehe das Modell des Kindes 6. Vermeide belehrende Aussagen 7. Sei geduldig 8. Vermeide jegliches Sendungsbewusstsein Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14 Sokratischer Dialog Grundsätze 9. Vermeide den Eindruck des allwissenden Fachmanns 10. Agiere nicht als Punktrichter 11. Fahre die Ernte ein: Wiederhole und präzisiere die herausgearbeiteten Erkenntnisse des Kindes und lasse sie durch das Kind bestätigen, um es dann als dessen Ergebnis festzuhalten 12. Die Erfolge des Dialogs gehören dem Kind! Prof. Dr. F. Linderkamp, Univ. Wuppertal, 03_14
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