Der Johannis -Lehrlingsgrad in Vorträgen von Br. Otto Hieber Spezieller Teil Handschrift für Brüder Lehrlinge Berlin 1905 BBr. E r n s t S ie g frie d M i t t l e r u n d S o h n Königliche Hofbuchhändler und Hofbuchdrucker Kochstraße 68—71 Vorwort. In den Vorträgen, welche den zweiten Band der Sammlung bilden, ist der Versuch gemacht worden, die Überlieferungen unserer Akten, welche dem Johannis-Lehrlingsgrade zugewiesen sind, einer erklärenden Betrachtung zu unterwerfen. Für die Reihenfolge der Betrachtungen ist das Fragebuch maßgebend gewesen, ohne dabei das in den Erklärungen sowie in dem Aufnahmeritual selbst enthaltene Unterrichtsmaterial außer acht zu lassen und, sollte ich meinen, einen irgend wichtigen Punkt übergangen zu haben. Die vorliegenden Vorträge sind wie die des ersten Bandes zu sehr verschiedenen Zeiten entstanden, die wenigsten sind jedoch in ihrer ursprünglichen Form zum Abdruck gelangt, vielmehr sind die meisten überarbeitet oder vollständig neu bearbeitet worden. Wo zwei Jahreszahlen am Schluß angefügt sind, weist die erste auf die Entstehung, die zweite auf die Neubearbeitung hin. Eine große Zahl der Aufsätze ist zwecks Herausgabe des vorliegenden Bandes ganz neu entstanden. Noch mehr als im ersten Bande werden dem Leser die öfteren Wiederholungen auffallen; sie ließen sich hier noch viel weniger vermeiden als dort. Wenn wir darangehen, unsere Riten, Symbole und sonstigen Überlieferungen einer näheren Betrachtung zu unterwerfen, dann merken wir erst, wie alle diese Dinge durch die mannigfachsten Beziehungen miteinander verbunden sind. Ein Beispiel möge statt vieler dienen: Der rechte Winkel ist überall zu finden, nicht nur auf der Arbeitstafel als Winkelmaß für sich allein und als gestaltgebendes Element in den meisten anderen Symbolen, >VI< sondern auch in den Aufnahmegebräuchen, in den rechtwinkligen Schritten, im rechtwinklig geöffneten Zirkel und anderen Momenten; er bedingt die Form des Altares und der Loge selbst, er spielt bei den Erkennungszeichen eine große Rolle usw. Es läßt sich daher nicht umgehen, bei der Behandlung dieser Dinge immer wieder auf den rechten Winkel zurückzukommen und auf seine Bedeutung hinzuweisen. Es war dies umsomehr nötig, als jeder Vortrag für sich ein Ganzes bilden soll. Auch machen die Vorträge nicht den Anspruch darauf, in der Reihenfolge, wie sie da stehen, gelesen zu werden, was höchstens bei den die Lehrlingsaufnahme behandelnden Aufsätzen der Fall sein könnte. An einer großen Zahl von Stellen ist auf frühere oder später folgende Vorträge verwiesen worden, was sich aber bis zur äußersten Konsequenz nicht durchführen ließ. Bei Zitierung von Seitenzahlen ist stets die alte, metallographierte Ausgabe unserer Akten gemeint, deren Pagina in den neu gedruckten Akten am Rande angefügt ist. Es bleibt mir endlich noch übrig, meinem innigsten Dank und meiner Freude Ausdruck zu geben für die liebevolle, nachsichtige, vorurteilslose und brüderliche Art, mit welcher der erste Band meines Werkes von der maurerischen Presse und auch von denjenigen Organen, welche unsere Auffassung der Freimaurerei nicht teilen, beurteilt worden ist. Es erfüllt mich das mit dem beruhigenden Bewußtsein, daß Unduldsamkeit und Gehässigkeit, wie wir Brüder der Großen Landesloge solche schon oft haben erfahren müssen, zu den Seltenheiten gehören, und daß namentlich die führenden Geister — und als solche müssen wir doch die Vertreter der Presse ansehen — zum größten Teil von solchem unmaurerischen Wesen frei sind. In der Anerkennung jedes ehrlichen maurerischen Strebens ist ein festeres Band der Einigung gegeben als in der unseligen Gleichmacherei, die uns nicht zur Ruhe und zur inneren Arbeit kommen läßt. So sei denn auch diese zweite Sammlung dem brüderlichen Wohlwollen der Leser empfohlen! Königsberg i. Pr., den 27. November 1904. Br. Otto Hieber. Inhaltsverzeichnis. Seite Was ist ein Freimaurer und wie arbeitet er? (1903) Die Grade des Ordens (1880) Die Pflichten des Lehrlings (1897) Was ist die Loge? (1879) Die Gestalt der Loge (1886) Die Bedeutung des Wortes „Loge" (1903) Orden und Ritterschaft (1903) Wo ist die allgemeine oder Johannis-Freimaurerloge gelegen? (1895. 1904) Der Altar (1896. 1903) Winkelmars und Zirkel auf dem Altar (1898. 1904) Das Hausgerät der Loge (1895. 1904) Die Bibel, unser größtes Licht (1876. 1904) Die Beamten der Loge (1891) Das Eröffnungs- und Schlußritual der Loge und die freimaurerische Zeitrechnung (1881) Die allgemeinen Zeichen des Freimaurerordens (1901) Das freimaurerische Klopfen (1899) Vom Wandern und vom Wetter, vom Alter und vom Lohne (1904) Die Moral des Ordens (1904) Kreide, Kohlen und Feuer (1899) Die drei Pfeiler (1904) Das Kleid des Meisters (1904) Die Fragen an die besuchenden Brüder (1900) Das Geheimnis der Freimaurerei: Erster Vortrag (1903) Das Geheimnis der Freimaurerei: Zweiter Vortrag (1904) Zeichen, Griff und Wort (1904) Die Losung des Lehrlings (1881) l 10 25 39 44 49 57 64 74 80 85 91 102 110 125 131 138 147 156 163 170 178 186 194 205 222 Die Lehrlingsaufnahme. Aus dem Dunkel zum Licht (1881. 1904) Die dunkle Kammer und die Lichtprobe (1900) Das Ablegen der Metalle (1900) Die Entkleidung (1891. 1904) >VIII< Seite Die Binde vor den Augen des Suchenden (1900) Die drei harten Schläge (1904) Die an den Suchenden gerichteten Fragen (1901) Das Schicksal, das sich der Maurer selbst bereitet (1892) Das dreifache Ja des Anhaltenden (1901) Vorsicht, kaltes Blut und Sammeln der Gedanken (1901) 235 241 249 256 265 271 277 284 289 294 Die Lehrlingsreisen (1901) Suchen, Anhalten, Leiden (1904) Der Weg zum Altar und der Zirkel auf dem Herzen (1897) Eid und Gelübde (1902) Salomos Siegel (1902) Die Lichterteilung. Erster Vortrag (1901) Die Lichterteilung Zweiter Vortrag (1901) Blutmischung und Weihe (1902) Die Eintragung in das Jahrbuch des Ordens (1904) Der Lehrlingsschurz (1902) Die Kelle des Lehrlings (1902) Das Schwert (1898) Die Handschuhe (1904) 300 307 314 323 330 338 349 356 363 370 374 380 389 Die Lehrlingstafel. Die schwarze Tafel mit den weißen Figuren (1888. 1904) Der Rahmen der Arbeitstafel (1888. 1904) Die auf dem Rahmen der Tafel verzeichneten Himmelsgegenden (1890. 1904) Die drei unbeweglichen Kleinodien: Der rauhe Stein (1891) Der kubische Stein (1891) Das Reißbrett (1904) Die drei beweglichen Kleinodien: Winkelhaken, Wasserwaage und Senkblei (1904) Die drei Sinnbilder Der Hammer (1904) Der Zirkel (1904) Die Kelle (1904) Die drei Zierarten: Der musivische Fußboden (1904) Der flammende Stern (1904) Das Vereinigungsband (1904) Die vier Gleichnisse: Sonne und Mond (1895. 1904) Die beiden Säulen (1874. 1894) 399 407 413 497 503 Namen- und Sachregister 513 423 439 446 456 467 470 473 477 483 489 Was ist ein Freimaurer und wie arbeitet er? Die erste und letzte Frage des Lehrlings-Fragebuches. Die Akten der Großen Landesloge enthalten in jedem Grade ein Fragebuch, welches in Katechismusform den ganzen Inhalt der betreuenden Ordensstufe kurz und treffend zur Darstellung bringt. Das Fragebuch des Lehrlingsgrades zerfällt in zwei Teile, von denen der erste, die Abteilungen I bis III, die Kenntnisse umfaßt, welche die Freimaurerei im allgemeinen betreffen, der zweite dagegen, die Abteilungen IV bis VI, die besonderen Kenntnisse des Lehrlingsgrades zur Darstellung bringt. Der erste allgemeine Teil ist der ersten Ordensstufe zugewiesen, weil diese, wie es die Akten eines späteren Grades sagen, den gesamten Inhalt der Freimaurerei schon vorgebildet enthält. Hierdurch erhält das erste Fragebuch einen außerordentlich reichen Inhalt. Wir werden darin belehrt 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) über das stufenweise Erfassen der Ordenslehre, wie es in den verschiedenen Graden geschehen soll; über den Raum, den der Freimaurer bewohnt, die Loge, ihre Beschaffenheit und Lage, ihr Hausgerät und ihre Beamten; über die Zeiteinteilung, in welcher die maurerische Arbeit sich vollzieht, wohin auch die Fragen zur Eröffnung und zum Schluß der Loge gehören, welche als I. Abteilung an der Spitze des Ganzen stehen; über die allgemeinen Kennzeichen des Freimaurers, über Wandern, Alter und Lohn; über Art und Materialien der Arbeit, Unterweisung im Verhalten beim Besuch anderer Logen und anderes. Der spezielle Lehrlingsteil unterweist ferner 6.) 7.) 8.) über die besonderen Erkennungszeichen des Lehrlings ; über den freimaurerischen Entwicklungsgang, wie er durch die Lehrlingsaufnahme dargestellt wird, und endlich über die Werkzeuge, durch welche das freimaurerische Werk getrieben, und welche auf der Arbeitstafel der Lehrlinge dargestellt sind. Dieser große umfassende Inhalt wird gleichsam eingerahmt von zwei Fragen, welche an den Anfang und an den Schluß gestellt sind. Sie gehören ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung nach zusammen und sollen daher auch zusammen betrachtet werden. Die erstere gibt eine Definition des Freimaurers, und die letztere redet von der vornehmsten Arbeit desselben. Frage 1 lautet: „Was ist ein Freimaurer?“ „Ein Freimaurer ist ein freier Mann, der seine Neigungen zu überwinden, seine Begierden zu mäßigen und seinen Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen weiß.“ Die Antwort enthält also eine Definition des Freimaurers. Ist nun diese Definition erschöpfend? — Man kann das bejahen und verneinen. Die Definition ist wohl zutreffend; denn jene drei Merkmale, welche die Antwort anführt, das Überwinden der Neigungen, das Mäßigen der Begierden und das Unterwerfen des Willens, müssen sich bei jedem Freimaurer finden; sie sind unbedingte Erfordernisse für jeden, der wirklich ein Freimaurer sein und nicht bloß heißen will. Aber es gibt noch andere Menschen, die in dem Überwinden, Mäßigen und Unterwerfen es manchem Freimaurer vielleicht noch zuvortun, trotzdem aber darum noch nicht Jünger der k. Kunst genannt werden können. Die Definition ist mithin zu weit und bedarf der Einschränkung; wir müssen weiter fragen: welche von jenen Menschen, die ihre Neigungen, ihre Begierden und ihren Willen im Zaume zu halten verstehen, sind keine Freimaurer? — Die Antwort darauf lautet: alle diejenigen, welche jene Selbstzucht üben nicht um des freimaurerischen Zieles willen, sondern aus irgend einer anderen Rücksicht. So gibt es Leute, welche ihre Neigungen überwinden können, weil ihnen die Gelegenheit oder die Mittel fehlen, sie zu befriedigen. Es versteht sich natürlich von selbst, daß hier nur von üblen Neigungen die Rede ist; denn guten und edlen Neigungen nachzugeben, kann für jeden Freimaurer nur heilsam und ersprießlich sein. — Es gibt ferner Leute, welche ihre Begierden mäßigen, weil etwa die Rücksicht auf ihre leibliche Gesundheit das erheischt, und es gibt Leute, welche ihren Willen unterwerfen, um in den Augen der Menschen als Männer von makellosem Ruf und als untadlige Charaktere zu gelten; ein solcher Mustermann ist vielleicht im Innern höchst dissolut und der Vernunft gänzlich abgewandt. Wer überhaupt in der Welt etwas erreichen, es zu etwas bringen will, der hat alle Ursache, sich zu überwinden, sonst stößt er an und kommt nicht zu seinem Ziel. Den wahren Freimaurer aber leiten nicht solche Beweggründe. Für sein Werk gelten Titel, Würden, ererbte Namen, Reichtum, Glanz und Macht nichts. Das Urteil der Welt ist ihm gleichgültig, nur das allsehende Auge dessen, vor dem unser innerstes Wesen offen daliegt, hat er zu scheuen. Daher ist jenes Überwinden, Mäßigen und Unterwerfen nicht ein Zugeständnis an äußere Verhältnisse, sondern jene Übungen haben allein den Zweck, sein inneres Leben, den göttlichen Geist, der in ihn gelegt ist, zu befreien, zu entwickeln und der Vollendung entgegenzuführen. Nun gibt es aber doch Menschen, die aus reinsten sittlichen Motiven jenen Kampf der Selbstüberwindung kämpfen und trotzdem noch nicht Freimaurer genannt werden können. Denn nur der kann Anspruch auf diesen Namen erheben, welcher den Kampf mit sich selbst kämpft lediglich, um an das Ziel zu gelangen, das die k. Kunst ihm gesteckt hat, der da geleitet wird von dem Lichte des Göttlichen, für dessen Schein ihm sein geistiges Auge geöffnet ist und dessen Erweckung in seinem Inneren er als den eigentlichen Zweck seines Daseins betrachtet. In diesem Lichte lernt er erst die Notwendigkeit der Selbstüberwindung kennen, durch sein Erglühen erhält er dazu die Kraft, und die Liebe zu diesem Lichte verleiht ihm Ausdauer und führt ihn zum Siege und zur Vollendung. So sind also jene Forderungen der ersten Frage nur die Vorbedingungen für die freimaurerische Arbeit. Der Künstler muß, ehe er daran denken kann, etwas zu schaffen, sich erst gewisse Fertigkeiten >4< erworben haben, die ihm das erst ermöglichen. So ist es auch in der k. Kunst. Das Überwinden der Neigungen, die Mäßigung der Begierden, die Unterwerfung des Willens unter die Gesetze der Vernunft, alles dies bildet die Propädeutik der Freimaurerei, und jeder, der sich ihr widmet, muß diesen Forderungen genügen können, ehe er daran denken darf, das Werk der k. Kunst selbst in sich zu beginnen. Jeder Künstler muß innerlich frei sein, wenn er etwas Rechtes schaffen will; so auch der Freimaurer. Das sagt die erste Silbe seines Namens, und das liegt auch in der Antwort auf unsere Frage: ein freier Mann soll er sein, der in seinen Neigungen, Begierden und in seinem Wollen sich selbst überwunden hat. Ein freier Mann! Schon unser Aufnahmegesetz fordert, daß der Suchende ein freier Mann sei, d.h. sein eigener Herr, unabhängig in betreff der Verfügung über die Zeit, welche seine Berufsgeschäfte nicht in Anspruch nehmen, und unabhängig in der Verwendung seines Einkommens. Hier in der Loge ist jedoch noch eine andere Freiheit gemeint. Er muß geistig frei sein. Der Mensch besteht aus dem irdischen, leiblichen, vergänglichen und aus dem geistigen, ewigen Teil. Dieser ist der Herr, jener der Diener. Schlimm ist es, wenn diese beiden ihre Rollen tauschen. Das Geistige in uns verliert dann seine Herrscherrechte und wird geknechtet von dem, was wir mit dem Tiere gemeinsam haben; denn aus dem Leiblichen, Materiellen stammen eben unsere Neigungen und Begierden. Den Kampf zwischen diesen beiden Mächten unseres Wesens muß jeder durchkämpfen. Selbst das reinste und edelste Menschenleben ist nicht frei davon. Neigungen, die uns herabziehen, hat jeder, er muß sie haben, denn das ist menschlich; sie stammen aus unserer irdischen Natur, die wir nun einmal nicht abstreifen können. Aber die Neigungen, wenn sie nicht überwunden werden, potenzieren sich zu Begierden, und wenn diese Macht gewinnen, so unterwerfen sie den Willen und machen ihn den Gesetzen der Vernunft abwendig. Über ein solches Wollen ist der Mensch nicht mehr Herr, es gestaltet sich zur Tat, zum Vergehen, ja zum Verbrechen, wenn auch nicht immer gegen das bürgerliche Strafgesetz, sondern gegen das Sittengesetz, das eine höhere Hand in unser Inneres gelegt hat, und das als Gewissensstimme uns richtet. Wer von uns wäre in diesem Kampfe nicht schon unterlegen? Wer wäre nicht schon verurteilt worden von dem Tribunal in seinem Innern? — Aber wo ein Gericht ist, da kann auch Gnade walten, und wo Befleckung ist, da kann auch Reinigung stattfinden, und wo Fall ist, da muß Erhebung eintreten. Und so fordern wir von demjenigen, den wir zum Freimaurer machen, keineswegs, daß er nie unterlegen sei im inneren Kampfe, wohl aber fordern wir von ihm, daß er sich reinige von Schuld und Befleckung, und daß er sich erhebe vom Fall. Zu diesem inneren Läuterungsprozeß muß er beanlagt sein, sonst können wir ihn nicht brauchen; er muß die Sehnsucht nach dem endlichen Sieg in sich tragen, um sich als ein Befreiter und darum freier Mann über das zu erheben, was ihn niedergeworfen hatte, nur so kann er die Kraft erlangen, seinen Willen, der ihn unmittelbar vor die entscheidende Tat führt, einem höheren Gesetz zu unterwerfen als dem Gesetz des Fleisches und der Sünde — dem Gesetz der Vernunft, das entstammt dem ewigen, göttlichen Licht. Solche Anforderungen stellt der Orden an jeden, der sich ihm nähert. Es wäre mißlich, wenn ein Überwinden der Neigungen, ein Mäßigen der Begierden, ein Unterwerfen des Willens erst in der Loge gelernt werden sollte; denn die Loge ist keine Erziehungs- oder Besserungsanstalt, sondern sie ist die Werkstätte der höchsten Kunst. Nein! Der Suchende muß das Streben nach Geistesfreiheit schon mitbringen, wenn er im Orden gedeihen soll. Er muß in der Selbstüberwindung bereits eine gewisse Fertigkeit haben, ehe er sich an die künstlerische Tätigkeit des Maurerberufes macht. Jene ist die Vorbedingung für diesen, und ohne sie wird er nicht die Arbeiten ausführen können, welche der Orden ihm aufträgt, und auf welche die letzte Frage unseres Lehrlings-Fragebuches hinweist. Dieselbe lautet: „Welches sind die vornehmsten Arbeiten der Freimaurer ?“ „Ihre Handlungen abzumessen und ihre Gedanken und Worte zu richten.“ Wenn nun jene erste Frage uns die Vorbedingungen für unsern Freimaurerberuf aufstellt, so führt uns diese letztere in das eigentliche Wesen unserer Arbeit ein und zeigt uns das wahrhaft Positive unserer Sache. Beide Fragen stehen parallel zueinander; beide enthalten eine Steigerung. Das Neigen steigert sich zum Begehren und dieses zu dem die Tat bedingenden Wollen, und aus dem Gedanken bildet sich das Wort, aber noch mehr als in diesem manifestiert sich das Wesen des Menschen in seinen Handlungen. >6< Vielfach und von mancherlei Art sind die Arbeiten der Freimaurer; aber das Richten und Abmessen von Gedanken, Worten und Handlungen soll seine vornehmste Arbeit bilden, denn das ist es gerade, was bestimmend und gestaltgebend auf alle seine anderen Arbeiten, auf sein ganzes Tun und Lassen einwirken soll. Jenes Überwinden, Mäßigen und Unterwerfen war eine Abwehr desjenigen, was das freimaurerische Werk stören könnte, es war ein negatives Tun, das sich aus dem Verbot des Unerlaubten ergab. In dem Abmessen und Richten aber tritt uns etwas Bejahendes entgegen, das uns hinweist auf das Befolgen höchster Gesetze. Wir werden dadurch in die innerste, geheime Werkstätte der Freimaurerei geführt, in das Heiligtum des menschlichen Geistes. Gedanken und Worte sollen gerichtet werden, und zwar so, daß sie sich abwenden von einem zu Fliehenden und zuwenden einem zu Erstrebenden. Gedanke und Wort aber grenzen unmittelbar aneinander, sie sind beinahe eins. Gedanken sind unausgesprochene Worte, und Worte sind ausgesprochene Gedanken. Man kann daher wohl beides identifizieren, denn Denken ist innerliches Sprechen. Die Gedanken regen sich in uns in der Gestalt der Worte unserer Muttersprache, und beim Kinde entwickelt sich die Denkkraft gleichzeitig mit dem Sprechen. Durch das gedachte Wort wird die Gestaltung unseres inneren Menschen bedingt; darum ist das Wort dasjenige Werkzeug des Freimaurers, welches seine Arbeit am unmittelbarsten und nachhaltigsten anfaßt und fördert, und das Höchste, was uns ein jeder Grad als Quintessenz seines Wissens und Könnens zu bieten hat, ist „das Wort“, in welches er seinen ganzen Inhalt wie in einen Brennpunkt zusammenzufassen sucht. In das Innere eines jeden Menschen hat der Schöpfer sein Wort gelegt, jedem hat er seinen lebendigen Geist eingehaucht, und dieses unnennbare, geheimnisvolle Etwas ist es, was in uns denken und reden soll. Kraft seiner natürlichen Wahlverwandtschaft richtet es sich auf den ewigen Quell, von dem es ausging, und sucht zu ihm zurückzukehren. Es kann von dieser Richtung nur abgedrängt werden durch verkehrte Neigungen, böse Begierden und übles Wollen, welche die Stimme der Wahrheit, die in uns laut werden will, in lose Reden und faules Geschwätz verdrehen. Darum wird jenes Überwinden, Mäßigen und Unterwerfen von uns gefordert, welches das Irdische, Fleischliche, Gemeine in uns bändigt und unterdrückt und uns dadurch frei macht, d.h. das Göttliche, das in uns gebunden ist, seiner Banden entledigt und die Hindernisse hinweg räumt, die seine Richtung verwirren wollen. Ist dies in vollkommener Weise geschehen, so nimmt das Ewige in uns seine Richtung von selbst. Solange das aber nicht der Fall ist, muß dem Worte, das in uns lebt und denkt und redet, die Bewegung und Richtung gegeben werden. Es muß geführt werden aus der Tiefe zur Höhe, aus der Finsternis zum Licht, aus dem Irrtum zur Wahrheit, aus dem Gebundensein zur Freiheit, aus dem Tode zum Leben, aus der Beschränktheit und Endlichkeit zur Unendlichkeit und Ewigkeit. Wer dieses höchste und wichtigste Werk, das Richten des in ihm lebenden Wortes, kräftig und beharrlich angreift, nur der allein kommt maurerisch vorwärts. Und wenn kein Mißlaut die göttliche Sprache, die in ihm redet, entstellt, dann wird es ihm auch leicht werden, das zu leisten, was von ihm, dem in der Welt stehenden Maurer, als letztes Resultat seiner Persönlichkeit gefordert wird, d. i. seine Handlungen abzumessen. Die Handlungen des Menschen sind die Manifestationen des Wortes, wie es gerade in ihm redet. Ja, das gesprochene Wort ist schon eine Handlung, eine Tat, die um so nachhaltiger wirkt, je reiner die Quelle ist, aus der es hervorbrach. Für unsere Handlungen aber, d.h. für Worte und Taten, tragen wir den Maßstab in uns, wenn wir uns des Ewigen in uns und unserer Bestimmung bewußt bleiben, und dieser Maßstab wird uns richtig leiten in allen Verhältnissen des Lebens, mögen sie auch noch so verwickelt sein. Das ist es also, worüber wir stets wachsam sein müssen. Wir haben uns stets Rechenschaft darüber abzulegen, wie weit wir mit dem Überwinden der Neigungen, dem Mäßigen der Begierden und der Unterwerfung des Willens gekommen sind, und wie es mit dem Richten unserer Gedanken und Worte und mit dem Abmessen unserer Handlungen steht. Denn nur so allein können wir das wirklich sein, was wir uns nennen: — Freimaurer. Als Freimaurer aber haben wir eine hohe Mission zu erfüllen, und mehr als durch allerlei humanitäre Bestrebungen kommen wir dem nach gerade durch die Erfüllung jener sittlichen Forderungen an uns selbst. Zunächst soll unser engerer Kreis ein Bild einer vollkommenen Welt im Kleinen darstellen, und von ihm soll sich das Licht auf immer weitere Kreise verbreiten. — Jeder Mensch wird von den Regungen seines Innern, von seinen Neigungen, seinem Begehren und Wollen bewegt, und, ihm unbewußt, gewinnt dadurch sein Charakter, sein ganzes Leben Gestalt und Richtung. Je nach der individuellen Verschiedenheit erfahren >8< diese Regungen die mannigfachsten Schattierungen. Und in der Gesellschaft werden die einzelnen Glieder durch gleiche Neigung, gleiches Begehren und Wollen zusammengeführt, und manches Große ist wohl dadurch im Laufe der Weltgeschichte vollbracht worden, wenn vereinzelte Kräfte sich auf ein gemeinsames Ziel richteten. Ebenso aber ist das Auseinandergehen der Neigungen, des Begehrens und Wollens vielfach eine Quelle von Zwietracht und unheilvollen Kämpfen, ja, es ist die Ursache aller Zerrissenheit, unter welcher die Menschheit gelitten hat und noch leidet. — Wie nun, wenn es gelänge, der Menschheit eine Direktive zu geben, durch welche jene Regungen in jedem einzelnen ihre Richtung erhalten auf ein Einziges, das allen zum Heil gereicht? wenn überall die Gedanken sich hinwendeten zu einer einzigen Norm, von der auch jeder das Maß herleiten könnte für seine Taten? — Gibt es einen solchen Gesichtspunkt ? — Gewiß! Der Orden zeigt ihn uns an jener Stelle unseres größten Lichtes, das vor uns aufgeschlagen auf dem Altar liegt. Das ist eben das Wort, das ist die Wahrheit, das Licht und Leben der Menschen, das von innen heraus gewonnen werden soll. — Was erfahren und lernen die Menschen nicht alles! Durch Erziehung des Hauses, der Schule, des Lebensberufes wird so vieles in ihnen entwickelt. Aber sie verhalten sich passiv dabei. Was sie empfangen, bleibt äußerlich, und darum fallen die Neigungen und das Wollen so verschieden aus, weil jene Entwicklung nicht in reiner Selbsttätigkeit von jenem Punkte ihres Innern ausging, welcher das höchste Kleinod des Menschen ist. Ihm sollte sich alles neigen, alles Begehren und Wollen nur ihn allein erstreben, alle Gedanken und Taten nur ihm gelten. Dann würden Neigungen den Menschen nicht mehr beherrschen, denn sie wären überwunden durch das Licht; dann wären keine Begierden mehr zu mäßigen, denn sie gehorchten dem Wort der Wahrheit; dann wäre der Wille in Gedanke, Wort und Tat gerichtet und gemessen durch das Göttliche. Dann wäre die Menschheit zu vergleichen einem vollkommenen Bauwerk, in welchem überall Ordnung, Zweckmäßigkeit, Ebenmaß und Schönheit herrscht, weil ein Grundgedanke es entstehen ließ und in allen seinen Teilen herrscht. Sie wäre ein Tempelbau des Höchsten, weil sein heiliges Wesen sich überall regt und offenbart. Wahrlich, dann wäre die soziale Frage gelöst, denn Zufriedenheit, Gleichgewicht und Glückseligkeit herrschte überall, die Schwerter würden sich in Pflugscharen verwandeln, und das goldene Zeitalter wäre wieder erschienen. Welch ein Zukunftsbild! — — Aber — so höre ich rufen — das ist Schwärmerei. Was nützt es, unerreichbare Ideale aufzustellen, während du darüber vielleicht das Näherliegende, Praktische versäumst! — Nun, sei es darum! Mag die Vollendung der Menschheit durch das göttliche Licht unerreichbar sein — unfruchtbar ist darum dieses Idealbild doch nicht. Vergebens kann die Arbeit, die wir im Dienste dieses Ideals vollbringen, nicht sein. Wenn wir uns durch Überwinden der Finsternis in uns und Herausarbeiten unseres inneren Lichtes zu gestalten suchen, so haben freilich wir zuerst durch das Erringen unserer sittlichen Freiheit den Gewinn davon. Aber das, was wir für uns erkämpfen, ist darum für die Gesamtheit nicht verloren, denn das Gute, wo immer es sich offenbart, wird seine Frucht bringen zur rechten Zeit. Was kümmert es den treuen Hausvater, ob es ihm beschieden ist, die Früchte von dem Obstbaum zu pflücken, den er pflanzt. Nicht für sich sorgt er, sondern für spätere Geschlechter. Also auch wir bei unserm Bauen; also auch wir, wenn wir durch Überwindung unser selbst unsere kleine Kraft dem Ewigen weihen. Früher oder später wird, was wir arbeiten, Frucht bringen. Der rechte Maurer ist, je ferner das Ideal, desto glühender dafür begeistert, und nicht der Erfolg, sondern das Streben ist es, das ihn adelt und beglückt. (1903.) >10< Die Grade des Ordens. Der in den Akten unserer Großen Landesloge aufgehäufte reichhaltige Schatz von maurerischen Überlieferungen ist in den letzten Jahrzehnten durch eine ganze Reihe forschender Brüder einer genauen Prüfung und Würdigung unterworfen worden. Man hat versucht, von den verschiedensten Seiten her an den Inhalt unserer Akten heranzutreten, das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu sondern und das Verständnis für den Kernpunkt unserer Sache der Brüderschaft zu eröffnen. Namentlich sind die Akten der Johannis- und Andreas-Grade nach allen Richtungen hin durchforscht, und die Ergebnisse dieser Forschungen in einer großen Zahl von Vorträgen und Instruktionen niedergelegt und den suchenden Brüdern zugänglich gemacht worden. Nur ein Abschnitt unseres Lehrlings-Fragebuches ist bei diesem Arbeiten nur wenig berücksichtigt geblieben. Es ist dies der erste Artikel der zweiten Abteilung unseres Lehrlings-Fragebuches, welcher die Überschrift trägt: „Allgemeine Fragen über die Freimaurerei überhaupt.“ Dieser an der Spitze unseres ganzen Fragebuches stehende Teil gibt zunächst in Frage l die Definition eines Freimaurers und eröffnet dann einen Blick über die gesamte innere Organisation des Ordens nach seinen einzelnen Erkenntnisstufen und den Hauptabteilungen, in welche die Grade des Ordens sich gruppieren. Vom höchsten, letzten Grade anfangend, wird bis zum niedrigsten, ersten Grade hinabgegangen, jeder Grad mit seinem Namen genannt und unter Angabe des Grundes die Stelle bezeichnet, wo seine Mitglieder ihren Sitz haben; endlich wird auf die Art der Arbeit und auf die Aufgaben hingewiesen, deren Erfüllung den Brüdern jeder einzelnen Stufe obliegt. Der Grund, weshalb dieser wichtige und höchst interessante Teil unseres Fragebuches von den Instruktoren so wenig berührt worden ist, ist leicht ersichtlich. In jedem einzigen Grade wird unsere Zunge durch das Gelübde der Verschwiegenheit versiegelt, und es wird somit jeder höhere Grad gegen die niederen hermetisch abgeschlossen. Wenn nun dem Instruierenden, der sämtliche Grade besitzt, die Aufgabe gestellt wird, eine Interpretation für den mancher Erklärung bedürftigen, in Rede stehenden Teil des Fragebuchs zu geben, so gerät er in Verlegenheit und kommt mit seinem Gewissen in Konflikt, wenn er im Lehrlingsgrade über die höheren Abteilungen und Stufen, ihren Inhalt und ihre Aufgaben reden soll, was er doch zu verschweigen gelobt hat. Je weiter wir unsere Blicke in die Vergangenheit des Ordens zurückschweifen lassen, desto unverbrüchlicher sehen wir das Gebot der Verschwiegenheit beobachtet. Es hat Zeiten gegeben, in denen es im strengsten Sinne des Buchstabens befolgt wurde, so daß die Brüder niederer Grade kaum von der Existenz höherer Ordensstufen, geschweige denn von ihrem Inhalt und ihrer Wirksamkeit eine Ahnung hatten. Ja, es ist früher den Logenmeistern sogar verboten gewesen, den in Rede stehenden Artikel des Fragebuchs überhaupt zur Kenntnis der Brüder zu bringen. Die Akten waren nur für den Meister da, und jeder, der es sich aus Vorwitz beikommen ließ, dieselben auch nur zu berühren, wurde, wie wir es noch heute in unseren vor 1842 gebräuchlichen Logenbüchern lesen können, mit einer Geldstrafe belegt. Diese strengen Auffassungen haben allmählich einer freieren Anschauung weichen müssen, die uns darauf geführt hat, daß das Gelübde der Verschwiegenheit nicht dem Buchstaben, sondern dem Geiste nach zu erfüllen ist. Man ist zu der Einsicht gelangt, daß die Schranke der Verschwiegenheit zwischen den einzelnen Ordensgraden aufgerichtet worden ist, nicht etwa, weil es gefährlich erscheint, wenn etwas aus einem höheren Grade in einen niederen hindurchsickern möchte, oder gar, um vor den jüngeren Brüdern mit einem Geheimnis sich wichtig zu machen, sondern um den stufenweise, nach logischer Gedankenfolge fortschreitenden Gang unserer Ordenslehre, durch welche wir allmählich aus der niederen Sphäre unbestimmter Ahnung auf die lichtvolle Höhe reinsten geistigen Schauens und Erkennens emporgehoben werden sollen, nicht zu verwirren. So wie der Künstler durch die einzelnen Disziplinen seiner Kunst sich hindurcharbeiten muß, damit ihm das, was er auf einer niederen Stufe gelernt hat, als Grundlage diene für seine Übung >12< auf einer höheren Stufe, so können auch wir Jünger der k. Kunst nur allmählich fortschreiten von den Elementen zum Gipfel der Vollendung. Gleichwohl aber hat der Lehrling ein Recht zu fragen, zu welchem Endzwecke er die langwierigen und mühsamen Vorübungen anzustellen hat; er hat ein Recht dazu, seine Blicke, wenn auch nicht vorwitzig, so doch voll strebender Sehnsucht zu richten auf das letzte Endziel, für welches er sich vorbereiten soll, und auf die Bahn, die er bis dahin zu durchlaufen hat. Die Akten unseres Lehrlingsgrades sind reich an Hinweisen auf das Ziel und die Bahn, die dahin führt; diejenigen aber, die berufen sind, die jüngeren Brüder zu führen und zu belehren, sind verpflichtet, sie auf diese Fingerzeige aufmerksam zu machen. In diesem Sinne allein dürfen die höheren Ordensgrade einen Einfluß auf die niederen Grade erlangen, nicht durch Bevormundung und Beherrschung, sondern dadurch, daß aus ihnen Führer erstehen, welche die Strebenden zu dem Lichte geleiten, das am Schlusse der Wanderung uns aufgehen soll. In diesem Sinne tat unser durchlauchtigster damaliger W. O. + Mstr. Kronprinz Friedrich Wilhelm am Säkularfeste der Großen Landesloge, den 24. Juni 1870, jenen denkwürdigen Ausspruch: „Geben wir die Furcht auf,“ sagte er, „daß wir unrecht handeln, wenn wir aus den Lehren der höheren Grade in die niederen hinüber nehmen, was diese befruchtet. Das wird die beste Anwendung der höheren Grade sein.“ Dieser Mahnung des erlauchten Bruders sind die Forscher im Orden in ausgiebigster Weise gefolgt, und der Erfolg, den ihre Arbeiten so reichlich aufzuweisen haben, wurzelt nicht zum kleinsten Teile in der Anregung dieses fürstlichen Wortes. Es ist jetzt an der Zeit, daß die Schranke in gewisser Weise durchbrochen werde, welche den Orden von der profanen Welt abschließt; denn die profane Welt soll nicht etwa in den Orden eingeweiht werden, sondern sie soll wissen, was der Orden will, und welcher Geist in ihm weht. Ebenso ist es an der Zeit, daß der Lehrling wisse, was die höheren Grade wollen. Denn unsere Väter haben die Abteilung unseres Fragebuches, die uns hier beschäftigt, an die Spitze des Ganzen gestellt, nicht damit der Neuling die darin enthaltenen rätselhaften Ausdrücke anstaune, sondern damit er dadurch zum Nachdenken angeregt und an der Hand erfahrener Brüder durch diese Fragen dahin geführt werde, die Organisation des Ordens, seinen Weg und sein Ziel zu überschauen. Es sei mir der Versuch gestattet, hierzu einen Beitrag zu geben. Wie schon erwähnt, führt uns das Fragebuch das Ordensganze vor, indem es uns nach der Definition des Freimaurers erst die Hauptabteilungen des Ordens skizziert und dann, mit dem höchsten beginnend, uns die einzelnen Ordensgrade mit wenigen Strichen zeichnet. Für die Instruktion erscheint es zweckmäßiger, mit der untersten Stufe beginnend, den umgekehrten Weg zu gehen. Am Eingange in den Orden empfängt uns Johannes der Täufer, der uns, ein mahnender Wegweiser, die Richtung zeigt, die wir einzuschlagen haben. Den Weg vom Dunkel zum Lichte will er uns geleiten, er will uns das Gesetz weisen, das wahre Gesetz des Lebens, nach welchem die Entwicklung unseres Geistes sich vollziehen soll. Er weist uns mit allem Nachdruck darauf hin, daß nicht ein toter Formeldienst, ein Nachbeten von Satzungen uns zum Leben führen kann, sondern daß es gilt, die schlummernden Kräfte unseres Inneren zu befreien und zur Wirksamkeit gelangen zu lassen, daß wir nicht dadurch zum Lichte gelangen, daß wir etwas Fertiges, das uns entgegengebracht wird, annehmen, sondern daß wir, uns, selbst als unvollkommen erkennend, durch unablässige geistige Tätigkeit das Lebensfähige aus unserem Inneren herauszuarbeiten suchen. Das ist der Grundgedanke des ersten Grades, des Lehrlingsgrades, der zugleich gestaltgebend nicht nur für die Johannisloge, sondern für das Ordensganze ist; denn diese innere Arbeit hört, wie wir sehen werden, nie auf; sie reicht bis zur höchsten Spitze und bildet den eigentlichen Lebensnerv des Ordens, sein wahres innerstes Wesen, und die Aufgabe der späteren Stufen ist es allein, das Licht, das uns daraus leuchtet, immer heller erstrahlen zu lassen und diesen eigentlichen Lebensvorgang des Ordens immer intensiver zur Wirksamkeit zu bringen. „Arbeiten, gehorchen und schweigen“ ist die Aufgabe der Johannis-Lehrlinge. Sie sollen schweigen, d. h. sie sollen ihren Hochmut, ihren Egoismus und die Lust ihrer Sinne nicht dreinreden lassen in den Johanneischen Mahnruf, der ihnen als Gewissensstimme unaufhörlich aus ihrem Inneren heraus erschallt. Ihm allein und dem Lebensgesetz, auf das er sie hinweist, haben sie zu folgen, das ist der Meister, der sie an die Arbeit stellt „beim rauhen Steine“ ihres eigenen Selbst, und dem sie schweigend zu gehorchen haben. „Sie haben ihre Stellen im Norden, >14< um der Hitze der Sonne zu entgehen.“ Sie müssen an eben der Stelle sein, an welcher ihr Sinnbild, der rauhe Stein, sich auf der Arbeitstafel befindet. Wir sehen ihn daselbst im Norden unter dem Monde, der seine blassen Strahlen auf seine unvollkommene Gestalt wirft. Wer noch umfangen ist von irdischen Begierden und geknechtet von dem Gesetz des Todes, dessen Auge vermag noch nicht die Strahlen des Lichtes der Wahrheit zu ertragen. Aber ein Abglanz von der großen Sonne fällt in seine Nacht; Heil ihm, wenn dieser schwache Schimmer ihn mit der unauslöschlichen Sehnsucht erfüllt, abzutun das Unlautere und Finstere, um das blöde Auge an den hellen Schein des Lichtes immer mehr und mehr zu gewöhnen. Die unpolierte Kelle, die der Lehrling auf der Brust trägt, das Symbol des göttlichen Wortes der Wahrheit, das in ihm zum Leben erweckt werden soll, ist das Werkzeug, das ihn, wenn es recht gebraucht wird, zwar mühevoll und langsam, aber sicher ans Ziel führen wird, wo er das volle Licht sehen, die göttliche Wahrheit umfassen und ergreifen und das wahre Meisterwort vernehmen wird, von dem das Wort des Lehrlings J.... d. i. G. h. m. e. nur die erste vorbereitende Ahnung ist. Wenn diese Ahnung des Göttlichen erst in uns gefestigt ist, so daß sie als Grundlage für den Bau dienen kann, dann führt uns Johannes weiter, und wir beschreiten die Gesellenstufe seiner Loge. Hier beginnt das erste Fortschreiten im Orden. Was der Lehrlingsgrad gegründet hat, soll der Gesellengrad verbessern und fortführen. Die erste logische Konsequenz des Lehrlingsgedankens ist die, daß wir, die wir uns selbst als Kinder Gottes, als Erstgeborene des Lichtes, wenn auch als unvollkommene, erkannt haben, uns als solche bewähren sollen im Leben und darum vorwärts müssen. Die polierte Kelle ist dem Lehrling nicht unbekannt, er sieht sie auf der Brust der Gesellen; darum kann er mit Recht daraus folgern, daß das Wort des Lebens diesem zu einem helleren Verständnis aufgegangen sein müsse durch seine Arbeit; denn nur durch Arbeit und immer wieder durch Arbeit wird jeder Fortschritt im Orden allein möglich. Und damit stimmt ganz vortrefflich die Beschäftigung, welche unser Fragebuch den Gesellen oder Mitbrüdern zuweist: „sie sollen ihre eigenen und der Lehrlinge Werkzeuge schleifen,“ und zwar, wie die Erklärung unserer Lehrlingstafel hinzusetzt, „am behauenen oder kubischen Stein,“ und diese Werkzeuge sind: „die Vernunft, der Verstand und der Wille“; die Werkzeuge schleifen, heißt aber: „die Vernunft gewöhnen zu verstehen und zu wollen, was gut ist“. Vernehmen, verstehen und wollen, das ist die Wirksamkeit des Wortes, das ist die lebensvolle Entwicklung des Lichtes in uns, die in ihrem dreifachen Fortschreiten dem Dreieck der Kelle entspricht. Das bloße Vernehmen des Wortes genügt nicht, es muß in unserem Inneren wiederklingen, verstanden und begriffen werden, damit es endlich durch die Kraft unseres Willens zur Äußerung gelange und sich in die Tat umsetze. Die Richtung für diesen psychischen Vorgang wird aber gegeben durch das Ideal, versinnbildlicht durch den kubischen Stein, das Gute, Wahre, Schöne und Heilige, dessen Urbild in jedes Menschen Brust lebt und das zu jeder Stunde bestimmend auf die Tätigkeit unseres Geistes einwirken soll. Diese Arbeit aber kann sich nicht bloß vollziehen in der stillen Kammer einsamen Nachdenkens. Sowie nach Zunftgebrauch der Geselle nach vollendeter Lehrzeit auf die Wanderschaft geschickt wird, so muß auch der Freimaurergeselle hinaus ins Leben. Die Erscheinungen der Welt soll er prüfen und sichten, auf daß er erkenne, was echt und unecht sei. Durch dieses Aufnehmen des Guten und Abweisen des Schlechten sammelt er maurerische Erfahrung und lernt aus allen Widersprüchen doch das Ideal der Vollkommenheit, die er an sich zu erringen und einst zu schauen hofft, in seiner Brust frisch zu erhalten. „Daß wir uns in ihr zerstreuen, darum ist die Welt so groß.“ Nur wenn wir ihre Einwirkungen kennen und würdigen lernen, können wir zur Reife gelangen. — Die Gesellen haben nach dem Fragebuch keine bestimmte Stelle, sondern sie sind „überall zerstreut, um die Loge zu verstärken“. Der Begriff „Loge“ ist an dieser Stelle im weitesten Sinne zu fassen. Es ist hier die Weltenloge gemeint, die von dem einheitlichen Gedanken und Willen eines Meisters regiert wird, der das Dunkle erleuchten, das Zerstreute sammeln und seine Kinder zu sich zurückführen will. In seinem Dienste stehen die überall zerstreuten Gesellen, welche nicht nur ihre, sondern auch der Lehrlinge Werkzeuge schleifen. Überall in der Welt, wo das Licht mit der Finsternis kämpft und der maurerische Gedanke nach Gestaltung ringt, sollen sie hilfsbereit eintreten. Überall, wo die Kräfte des Geistes ruhen, verkümmert das wahre Leben, wo aber der Geist sich regt und seinen Urquell, dem er entstammt, zu ergründen und zu ergreifen strebt, da wird die Stärke befreit, die das göttliche Werk vollenden hilft. Hier mitzuhelfen, ist die Mission der Gesellen, darum sind sie überall in der Loge >16< verteilt, um sie zu verstärken. Wenn sie aber auch zerstreut sind, so sind sie doch auch wiederum durch die Gemeinsamkeit der Idee, die alle beseelen soll, fest miteinander verbunden, innig und treu zueinander gesellt, wie ja schon der Name „Geselle“ andeutet. Der Geselle macht auf seiner Stufe zum ersten Male die Erfahrung, daß, je heller das Licht in uns aufleuchtet, desto inniger und unauflöslicher sich das Freundschaftsband festigt, das beim Eintritt in den Bund geknüpft wurde. Das ist ein allgemein gültiges Gesetz, das wir auf jeder Stufe unseres Ordens mit immer steigendem Entzücken bewährt finden. Wer so als Geselle rüstig gearbeitet, das Leben kennen gelernt, Erfahrungen gesammelt und für sein inneres Leben verwertet hat, wer unerschrocken durch Norden und Süden vorgedrungen ist, der gelangt endlich „gegen Osten hin“, wo die Johannis-Meister ihren Sitz haben. Wenn er das Fazit seines Lebens zieht und gegeneinander abwägt alles, was sich im Leben erarbeiten und erringen läßt, so muß er doch endlich zu dem Resultat kommen, daß die Strahlen der Sonne und des Mondes, die ihm hier geleuchtet haben, nicht das rechte Licht sein können, sondern daß es ein ewiges Licht im Osten geben müsse, in welchem alles seine Erfüllung und Vollendung findet, von welchem Sonne und Mond nur die vergänglichen Gleichnisse sein können. In dem Bewußtsein der Unzulänglichkeit des Irdischen und der Ewigkeit des Wortes der Wahrheit, die sich dem sterblichen Auge nur in gebrochenen Strahlen enthüllen kann, wurzelt seine Meisterschaft. Die Kunde davon ist das Licht, das er selbst, dem ewigen Osten zugewandt, empfangen hat und dann, nach Westen zurückwandernd, „unter die Arbeiter verbreiten soll“. Seine Aufgabe ist, „Entwürfe auf dem Reißbrett für die Arbeiter zu machen“. Das Reißbrett ist dem Lehrling wohl bekannt, er sieht es mit dem schrägen Kreuze bezeichnet unter dem flammenden Stern auf der Arbeitstafel stehen, und er weiß, daß es den Plan enthalten muß, nach welchem sich der rohe Stein zum Kubus formen soll. Dieser Plan aber ist, wie ich oben schon angedeutet, das Lebensgesetz, das Gesetz des Geistes, nach welchem unsere innere Entwicklung sich vollziehen, nach welchem sich in unserem der Vergänglichkeit anheimfallenden Leibe ein unsterbliches Leben entwickeln und zur Reife gelangen muß. Diese Andeutung möge hier genügen. So viel aber muß dem Lehrlinge klar sein, daß er, wenn er Muster für seine Arbeit sucht, auf seine Meister zu blicken hat, daß er aus ihrer ganzen Persönlichkeit die Erfüllung jenes Gesetzes oder zum mindesten das redliche Streben, es zu befolgen, erkennen und sich zum Muster nehmen soll. Das möge jeder bedenken, der den Meisterschurz trägt, und sich stets gegenwärtig halten, wie er sein Leben einzurichten hat. Der Lehrling erblickt an der Brust des Johannis-Meisters eine goldene Kelle, ein Zeichen, daß das göttliche Wort der Wahrheit im Herzen des Meisters in unvergänglichem, durch nichts zu trübendem Glanze strahlen und sich überall bewähren soll wie das Gold im Feuer. Der Lehrling erblickt ferner am Meister ein himmelblaues Band, an dem ein eigenartig geformter Schlüssel hängt, sowie einen mit Himmelblau verbrämten Schurz. Die Farbe der Beständigkeit und Treue soll jeden, der sie erblickt, er sei Lehrling, Geselle oder der Meister selbst, daran mahnen, daß es ein unvergängliches Leben gibt, ein unschätzbares Gut, das wir suchen müssen, und das nur zu finden ist bei dem ewigen Meister, dessen Kleid in Gold und Himmelblau wir mit anbetender Ehrfurcht erblicken. Und der Schlüssel, dessen Bart und Handhabe ein gleichseitiges Dreieck bilden, kann er uns wohl etwas anderes erschließen als jene Güter des Lebens, jene Schätze des Geistes, gegen deren Wert aller irdische Besitz in nichts dahinsinkt? Noch nachdrücklicher wirkt die maurerische Gestaltungskraft in dem Dreieck des Schlüssels als in dem der Kelle; denn der Schlüssel ist ein Hebel, der verborgene Riegel sich bewegen macht. So steht der Johannis-Meister an den Grenzen des Lebens vor dem verschlossenen Tore des Jenseits, und somit findet mit diesem Grade die Freimaurerei einen Abschluß. Die Johannisloge legt in erschöpfender Weise das ganze Leben und Streben des Maurers dar; sie stellt in ihren drei Graden, die sie zu einer gesetzmäßigen, verbesserten und vollkommenen machen, den Plan zu einem geistigen Tempelbau dar, wie er vollkommener, schöner und dabei einfacher nicht gedacht werden kann. Der Johannis-Lehrlings-, Gesellen- und Meistergrad „geben dem Orden die Gestalt“, wie es im Fragebuche heißt, und wahrlich, eine Gestalt von vollendeter Abgeschlossenheit und Schönheit. Aber — so müssen wir dabei doch fragen —, besitzt diese Gestaltung unserer Ordensidee nun auch neben ihrer Schönheit die innere Stärke, die ihr Dauer und Festigkeit verleiht, die sie alle Angriffe der Mächte, die das Licht fliehen, siegreich überstehen läßt? Leider müssen wir diese Frage verneinen. Überall da, wo das Streben zur Geltendmachung >18< der höchsten Ideen sich regt, tritt uns auch am grellsten die Schwäche und Unvollkommenheit der menschlichen Natur entgegen, die die Arbeit aus dem Stückwerk nicht herauskommen läßt. So wie bei den großen Dombauten des Mittelalters die aus alten Zeiten herstammenden Teile bereits die traurigen Zeichen der Verwitterung und des Zerfalls zeigen, schon zu einer Zeit, da noch lange nicht der letzte vollendende Schlußstein dem Bau eingefügt ist, so stürzt auch unser geistiger Bau, wenn wir auf der einen Seite so recht voll Mut und Vertrauen uns an die Arbeit halten, auf der anderen Seite unvermutet zusammen, und, ehe wir es nur geahnt, sehen wir das Werk unserer Mühe und unseres Fleißes in Trümmer sinken. Es ist der alte Mißklang zwischen Ideal und Wirklichkeit, das alte Klagelied, das mit melancholischem Tone alles menschliche Streben begleitet. Soll der Maurer, dem diese Erfahrung nicht erspart bleibt, mutlos seine Werkzeuge von sich werfen und die Hände in den Schoß sinken lassen? Nein! Er wird sich fragen, ob es nicht Hilfsmittel gibt, durch die sich das Fehlerhafte verbessern und dem Verfall zuvorkommen läßt. Dies suchend, gelangt er zur zweiten Hauptabteilung unseres Ordens, zur Andreasloge, welche schon in unserem Lehrlings-Fragebuche diese Aufgabe zu erfüllen verspricht; denn es heißt darin: Das Geschäft der Andreasloge ist: „den Bau zu erhalten und das Verfallene wieder aufzurichten“. Und sie arbeitet „da, wo ihre Hilfe nötig ist, und im Verborgenen“. Wie weit konnte denn die Johannisloge gehen? Konnte sie den Tempel aufrichten? Nein! Ihre Aufgabe war es nur, wie es heißt, „Baumaterialien herbeizuschaffen und zuzubereiten“, und sie muß mit dieser nie zu vollendenden Arbeit „im Vorhofe des Tempels“ bleiben. Sie zeigt uns wohl den Plan des Ganzen, aber eben nur ein Ideal, das in der Wirklichkeit sich nicht herstellen läßt, dessen lichte Umrisse nur allzu leicht getrübt werden durch irdische Unvollkommenheit. Die Andreasloge sucht nun überall da, wo die Arbeit der Johannisloge sich unzureichend zeigt, verbessernd einzutreten. Auch sie kann uns, wie es eben in der Natur ihrer Aufgabe liegt, noch nicht in den unvergänglichen Tempel selbst führen. In der Finsternis, „da, wo ihre Hilfe nötig ist, und im Verborgenen“ hat sie genug zu tun, hier hat sie zu helfen und zu heilen, zu stützen und aufzurichten. Sie lehrt uns, daß, wenn wir vorwärts wollen, die ganze Arbeit der Johannisloge von uns in einer noch viel intensiveren Weise wieder aufgenommen werden müsse. Unsere über die Johannisloge hinausgehenden Stufen sollten daher eigentlich nicht „höhere Grade“, sondern „tiefere Grade“ genannt werden. Die Andreasloge geht, wie schon vorhin angedeutet wurde, über den eigentlichen maurerischen Inhalt der drei Grade nicht hinaus, sondern sie sucht ihn nur inniger zu erfassen und ihn nach innen auszugestalten. So läßt sie uns die ganze Johannisloge als einen einzigen großen Lehrlingsgrad erscheinen, auf dem sie sich als verbessernder Gesellengrad aufbaut. Die Johannisloge zeigt uns die Ahnung des Lichtes und der Vollendung; die Andreasloge potenziert diese Ahnung, die noch gar zu leicht von der Macht des Zweifels erschüttert werden kann, zum Glauben. Wenn ich hier im maurerischen Sinne vom Glauben rede, so ist darunter — und es kann das nicht oft genug zu Vermeidung von Mißverständnissen hervorgehoben werden — nicht von einem Fürwahrhalten dogmatischer Satzungen die Rede, sondern von einer in unserm Inneren schlummernden Kraft, die nur durch Prüfungen und innere Kämpfe erweckt und gestählt werden kann, so daß uns endlich durch sie die gewisse Zuversicht einer endlichen Vollendung aufgeht. (Hebr. 11, 1.) In zwei Stufen stellt sich unsere Andreasloge dar, dem Andreas-Lehrlings-Gesellengrad, einem Doppelgrad, welcher unsere vierte, und dem Andreas-Meistergrad, welcher unsere fünfte Ordensstufe ausmacht. Der vierte Grad zeigt uns in seinem ersten Teil, dem Andreas-Lehrlingsgrade, wo die eben angedeutete, verbessernde und aufrichtende Arbeit einzusetzen hat, im zweiten Teil, dem Andreas-Gesellengrade, wie sie sich zu vollziehen hat. Der AndreasMeistergrad aber zeigt uns die Aufrichtung des Verfallenen in ihrer Vollendung. Die Aufgabe der Andreas-Lehrlings-Gesellen ist, wie das Fragebuch sagt: „die Arbeit zu schmücken und zu veredeln“. Dies erklärt sich nach dem eben Gesagten von selbst. Doch haben wir stets daran festzuhalten, daß hier mit dem Schmücken der Arbeit nicht etwas Äußerliches, sondern eine Verinnerlichung und Vertiefung gemeint ist. Nicht so leicht ist einzusehen, wie die Aufgabe der Andreas-Meister zu verstehen sei. Sie haben die Verrichtung „zu zeugen und zu nähren“. Nur allein der, welcher von der Ahnung des Lichtes zur glaubensvollen Zuversicht hindurchgedrungen ist, kann es unternehmen, seine Brüder die ersten Schritte hinanzuführen auf dem steilen Pfad, der zur Wahrheit leitet. Daher wird erst dem Andreas-Meister das >20< Recht erteilt, das Wort und den Hammer in den Johannislogen zu führen. Er erhält somit die Macht, durch Aufnahme freier würdiger Männer dem Orden Söhne zu erzeugen, ihr inneres Leben zu nähren mit den maurerischen Ideen und sie so der Meisterschaft entgegenzuführen. Es kann dies eben nur einem solchen anvertraut werden, „dessen Arbeiten“, wie es im Fragebuch heißt, „erprobt worden sind“, der in den grundlegenden und gestaltgebenden Elementen des Ordens fest und der im Glauben an das Licht unerschütterlich ist. Ein Zeichen, daß er auf diese Höhe gelangt sei, bemerkt am Andreas-Meister schon der JohannisLehrling, ein grünes Band, das an Festtagen getragen wird. Die Farbe der Hoffnung, der glaubensvollen Zuversicht schmückt ihn, und am Bande hängt in gleicher Farbe jenes schräge Kreuz des Reißbrettes, hier mit dem Bilde des gekreuzigten Apostels Andreas, umgeben von einer strahlenden Sonne, das Symbol des Lebensgesetzes, das jetzt dem Geläuterten in hellem Scheine aufgegangen und zu eigen geworden ist, wofür Andreas und unzählige Märtyrer ihr Blut vergossen haben. Und „wo haben die Andreas-Brüder ihre Stellen?“ Die Meister zugleich mit den Brüdern des folgenden Grades, den Stuartsbrüdern, „in der Nähe der Sonne, weil sie“, wie diese, „ihre Strahlen ertragen können“, und die LehrlingeGesellen „im Süden unter der Sonne, weil dieselbe sie nicht blendet“. Dies ist nicht so ohne weiteres zu verstehen, ja, es scheint im Widerspruche zu stehen mit dem Umstande, daß die Andreasloge im Verborgenen arbeitet. Die Sonne aber ist nicht verborgen, sie strahlt vielmehr frei und offen vor aller Welt. Dies führt uns nun darauf, daß wir es hier mit einer Geistessonne zu tun haben, mit der Fülle der Wahrheit selbst, die nicht von denen begriffen werden kann, deren Auge noch von dem Schleier des Irrtums und der Finsternis umhüllt wird, die sich aber denen immer mehr erschließt, die sich ihr durch Läuterung und Veredelung zu nähern suchen. Und wo der Sitz dieser Geistessonne ist, kann dem nachdenkenden Lehrlinge nicht verborgen bleiben. Aus den allgemeinen Freimaurer-Statuten ist ihm bekannt, daß unsere Lehrart als Hauptbedingung für den Eintritt in den Orden das christliche Bekenntnis verlangt, wobei nicht darauf Gewicht gelegt wird, daß der Suchende sich zu dieser oder jener Konfession bekenne, sondern vielmehr nur darauf, daß er die innere Wahrheit — nicht dessen, was die einzelnen Konfessionskirchen über Christus und seine Erscheinung in ihren Bekenntnisschriften lehren —, sondern dessen, was Christus selbst gelehrt hat, in unverbrüchlicher Ehrfurcht anerkenne. Trotzdem findet der Johannis-Lehrling in seinem Grade Christus gar nicht genannt, er findet nichts, was sich direkt auf ihn bezöge, und ebensowenig findet es der Johannis-Geselle und Meister. Johannes der Täufer wies auf Christus hin, weil er die Ahnung hatte, daß die Zeit gekommen sei für den, der die Fülle der Wahrheit verkündigen sollte, aber er fand ihn nicht. Sein Märtyrertod erfolgte nicht für jene große Idee, die erst durch den Erlöser in die Welt kommen sollte, sondern er starb einfach dafür, daß er es gewagt hatte, einem Tyrannen die Wahrheit zu sagen. Anders Andreas. Er war, wie wir Ev. Joh. Kap. 1 lesen, ein Jünger des Johannes, der ihn auf Christus hinwies; er fand den Meister, folgte ihm nach, nahm seine Wahrheit auf und verblutete für sie am schrägen Kreuze. Einen ähnlichen Weg führt der Orden seine Jünger; erst wenn wir mit Johannes Suchende gewesen sind und angehalten haben mit Andreas, dann gelangen wir zu dem höchsten Obermeister aller Logen, der durch die Wahrheit, die aus seinem Munde ging, die höchste Weisheit verkündigte, der das Sittengesetz zur höchsten Schönheit und Vollendung erhob, indem er, alle irdischen Schranken durchbrechend, auf einen allgemeinen Menschheitsbund durch die Liebe in höchster Potenz, ja durch die Liebe zum Feinde, hinwies, und der die höchste Stärke bewies, indem er, trotzdem er Mensch und unter das Gesetz des Fleisches getan war, doch das Gesetz des Geistes in sich vollendete, bis er eins ward mit dem Vater. So vollbrachte er in sich das Werk der k. Kunst in gesetzmäßiger, verbesserter und vollkommenster Weise, und sein Opfertod besiegelte sein Werk. Stellen wir uns nun einen Naturmenschen vor, der gewöhnt ist, nur durch seinen Affekt geleitet, zu handeln —, wird er diese Lehren des Obermeisters verstehen oder danach tun? Wird er nicht die allgemeine Menschenliebe, die Liebe zum Feinde verlachen? Er kann die Strahlen der Wahrheitssonne nicht ertragen. Ja, wir dürfen gar nicht so weit gehen. Wieviel Tausende von Kulturmenschen gibt es denn, deren tauben Ohren die Wahrheit zwar gepredigt ist, denen aber die höchsten Ideen des Obermeisters ein Ärgernis und ein Spott sind; ja, es gibt hochbegabte Schriftsteller und Denker, die das Wort: „Liebet eure Feinde!“ geradezu für Tollheit erklären; — die Sonne blendet sie, sie können ihre Strahlen noch nicht ertragen. >22< Erkennen wir daraus die Weisheit des Ordens, der uns, allmählich vom Niederen zum Höheren und Höchsten führend, seine Wahrheiten nicht als Satzungen überliefern, sondern uns anleiten will, sie in unserem Inneren zu finden, aus uns herauszuarbeiten und als unveräußerliches Eigentum zu erwerben! Nach dem Gesagten habe ich nur noch wenig über die letzte Ordensabteilung, die Stuartsloge oder das Kapitel, hinzuzufügen. Es folgt von selbst, daß durch die Arbeit des Kapitals, wo Johannes, der Evangelist, der Jünger, der an des Meisters Brust ruhte, also seine Lehren am innigsten erfaßt hatte, uns unterweist, die Liebe in herrlichster Vollendung uns aufgehen, der Bau vollendet und vervollkommnet werden soll. Das Kapitel besteht aus vier Graden und einer Ehrenstufe. Der sechste Grad wird der Grad der Stuartsbrüder genannt, eigentlich Stewardsbrüder, d.h. Schaffner, Beamte; denn diejenigen, die zu der Höhe des Lichtes gelangt sind, sollen alle eine bestimmte Wirksamkeit im Orden entwickeln. Sie sollen die Brüder der niederen Grade in ihrem Streben fördern, unterstützen und anfeuern. Ihr eigentliches Geschäft aber ist, wie das Fragebuch sagt: „vorzubereiten“, nämlich sich selbst für das höchste Mysterium der Vereinigung, das ihrer im innersten Heiligtum des Bundes wartet. Dies geschieht vornehmlich dadurch, daß in diesem Grade alles, was der Orden bis dahin geboten hat, rekapituliert und gleichsam wie in einem Brennpunkt zusammengefaßt wird. Der Stuartsbrudergrad erhält dadurch eine ganz besondere Wichtigkeit, obschon er sowie der darauffolgende siebente Grad, der der vertrauten Brüder Salomos, nicht ursprünglich in der Organisation des Ganzen mit einbegriffen gewesen zu sein scheint, sondern vielmehr ein Erzeugnis einer späteren Zeit sein mag. Beide Grade, die, wie es in unserm Fragebuche heißt, „dem Orden Stärke geben“, sind in dem Fragebuch der bis 1842 gebräuchlichen, sog. Eckleffschen Akten gar nicht erwähnt, obschon wir bei Stiftung der Großen Landesloge sämtliche neun Grade aus Schweden erhalten haben. Doch sind sie trotzdem jetzt hochwichtige und unentbehrliche Glieder unseres Ordensganzen geworden, eine Art Noviziat des innersten Bundes: der sechste Grad durch die Zusammenfassung der wissenschaftlichen Lehre und Vorbereitung auf den Schluß, der siebente Grad durch speziellen Hinweis auf die Geschichte des Ordens und durch eine erhöhte Wirksamkeit seiner Mitglieder, welche, wie schon der Lehrling aus unserem Verfassungsgesetze weiß, dadurch einen offiziellen Charakter erhält, daß sie Mitglieder unserer maurerischen Oberbehörde, der ersten Abteilung der Großen Landesloge, sind. Sie sollen „die Arbeiter verteidigen und nachsehen, daß jeder seine Schuldigkeit tue“. „Nahe beim Tempel haben sie ihre Stellen,weil sie in der Nähe des Meisters sein sollen,“ d.h. des Obermeisters, dessen Geist die höchste Abteilung unseres Ordens regiert. Diese öffnet sich erst mit dem achten Grade der Vertrauten Brüder, die, wie es im Fragebuch heißt, „gerecht sind und keine Vorwürfe fürchten“. Wer durch des Obermeisters Geist frei gemacht und erlöst ist, wer mit der frohen Botschaft von der ewigen Liebe im Herzen seinen Weg durchs Leben zurücklegt, dem kann keine feindliche Macht etwas anhaben; er ist gerechtfertigt durch den Glauben an das Licht, das in nicht mehr zu trübendem Glanze ihm aufgegangen ist, er hat Frieden erlangt mit sich und seinem Gott, als dessen Kind er sich fühlt, und in dessen Gnadenhand er sein Leben und Geschick sicher geborgen weiß. So ist er aus dem unbestimmten Ahnen durch Glauben zum Schauen, — durch Schönheit und Stärke zur höchsten Weisheit und Erkenntnis gelangt. Ihm bleibt nur noch der letzte Schritt zu tun zu dem heiligen Mysterium der Vereinigung mit dem Vater, wie es unser neunter Grad, der Grad der Andreas-Vertrauten oder Auserwählten Brüder, verwahrt, ein Heiligtum, so wunderbar und unaussprechlich, daß es nur empfunden, aber nicht ausgesprochen werden kann, denn es erschließt sich nur dem, der mit aufrichtigem Streben und glühendem Verlangen die Grade des Ordens durchschritten und ihren Inhalt in sich hat zur Tat werden lassen, der sein Inneres gereinigt und gestaltet hat durch die Arbeit der k. Kunst. Wer ohne diese innere Reinigung an das Mysterium herantritt, dem ist es eine Torheit, denn er kann es nicht erfassen. Diejenigen nun, von welchen sich annehmen läßt, daß sie auch dieses letzte Geheimnis, das sie auf des Ordens höchster Wissensstufe empfangen haben, im Geiste und in der Wahrheit in sich aufgenommen haben und zum Dienste und zur Regierung des Ordens für tauglich erachtet werden, zeichnet der Orden durch ein auch den Lehrlingen sichtbares äußeres Zeichen aus. Es sind die höchsterleuchteten Architekten und Brüder mit dem roten Kreuze. Sie tragen ein blutrotes Band mit einem blutroten Kreuze, auf dessen mittelstem, weißen, von einem goldenen Kreise umgebenen Felde sich das gestaltgebende Dreieck befindet; >24< dazu ziert sie der weiße Lehrlingsschurz. Die Bedeutung dieser Kleidung bleibe dem Nachdenken der Brüder überlassen. Eins nur möchte ich noch hervorheben. Wenn wir aus dem Fragebuche hören, daß die Architekten ihre Stellen haben, „da, wo der Obermeister es für nötig findet“, die auserwählten Brüder „in der letzten Abteilung über allen Rittern“, die Vertrauten Brüder „nahe bei diesen“ und die vertrauten Brüder Salomos „nahe beim Tempel“; so fragen wir, für wen denn nun das Innere des neuen Tempels selbst sich auftut. — Der neue, ewige und unvergängliche Tempel, den der Obermeister selbst errichtet hat, er ist nicht hier oder da, er ist nicht sichtbar, sondern er ist im Herzen derjenigen aufgerichtet, in die der Geist des Obermeisters, der Geist der Liebe und des Friedens eingezogen ist; denn die letzte Frage unserer Abteilung heißt: „Die Stuartsloge wird gehalten“ — nicht etwa im Tempel, wie man erwarten sollte, — sondern „da, wo der Meister es bestimmt“, d.h. da, wo er eingezogen ist und im Menschenherzen seine Wohnung aufgeschlagen hat, und wo zwei oder drei, die den göttlichen Meister in sich tragen, versammelt sind in seinem Namen. Da ist er aufgerichtet, der geistige Salomonische Tempel, vollendet in strahlender Herrlichkeit und Schöne durch das Werk der k. Kunst, durch drei mal drei! — — — (1880.) Die Pflichten des Lehrlings. Kein gewöhnlicher Verein ist es, in welchen der Suchende durch seine Aufnahme in die Loge eintritt; es ist vielmehr eine Ordensverbindung. Der Unterschied ist bedeutend genug. Vereinsgesetze bilden kein so starkes Band, das wir nicht jederzeit beliebig lösen könnten. Auch aus unserm Orden ist ein Austritt wohl gestattet; nichtsdestoweniger aber bleiben wir durch ein heiliges Gelübde für unser ganzes Leben in unserm Inneren gebunden, und wir sind verpflichtet, unser Leben nach einer bestimmten Regel einzurichten, wie es in jedem Orden der Fall ist. Diese Ordensregel ist enthalten in den Pflichten, welche für jede Stufe genau vorgeschrieben sind. Diese Stufen (über welche der vorstehende Vortrag gehandelt hat) sollen dazu dienen, die Ordensbrüder hinanzuführen zu dem hohen Ziele, an welchem ihnen der Zweck und die Bedeutung des Ordens in vollster Klarheit aufgehen soll. Je höher wir aber auf dieser Stufenleiter emporsteigen, desto intensiver und bedeutungsvoller sollen die Leistungen sich gestalten, die der Orden von uns fordert, und schon dem Neueintretenden wird eine Übersicht darüber gegeben. Es ist nun viel darüber hin- und hergeredet worden, welche von diesen Stufen wohl die wichtigste wäre. Das ist ein durchaus müßiger Streit, denn alle unsere Grade sind von gleicher Bedeutung für das Ganze, das zerstört werden würde, wenn man einen entfernen wollte. Dürfte man aber einem derselben eine besondere Wichtigkeit beimessen, so könnte dies nur der erste Grad sein; denn 1.) enthält er, wie unsere Akten ausdrücklich sagen, das Ordensganze schon vorgebildet in sich; (Wir gehen hier viel weiter als die Große National - Mutterloge zu den drei Weltkugeln, welche amtlich erklärt hat, daß die gesamte Freimaurerei in den drei JohannisGraden enthalten sei.) >26< 2.) 3.) bildet er das felsenfeste Fundament für den Orden und für unsere Arbeit, und drückt er jedem der späteren Grade seine Signatur auf; denn das Wort „Lehrling“ hängt zusammen mit „lernen“. Jeder aber, und hätte er des Ordens höchste Würden erreicht, muß lernen. „Der Schule wähne niemals Dich entlaufen, Sie dauert durch das ganze Leben fort.“ Wehe dem, der bei uns nicht mehr lernen wollte! er würde sich selbst den Boden unter den Füßen wegziehen. Darum, wenn wir uns auch Meister nennen, so geschieht das stets mit dem Vorbehalt, daß wir „noch immer zu lernen übrig haben“. Denn die Kunst ist lang, unsere k. Kunst ist die allerlängste, und das Erdenleben ist kurz. Aber das Leben, für welches die k. Kunst uns erziehen will, ist ewig. So wahr aber jedes Ideal dem innerhalb irdischer Schranken Strebenden unerreichbar ist, so wahr bleibt auch das Lehrlingstum bestehen bis zu unseres Lebens letztem Hauche, und die Lehrlingspflichten bleiben maßgebend für unser ganzes Wirken und Schaffen sowohl im Orden als auch in profanen Kreisen. Welches sind nun die Pflichten des Lehrlings ? — Ich sage ausdrücklich: des Lehrlings, nicht etwa des JohannisLehrlings. Drei kurze inhaltsschwere Worte, die wir nie vergessen dürfen, fassen sie ein. Starr, kalt und streng stehen sie da, wie in Stein gehauen: Arbeiten, Gehorchen, Schweigen. (Frageb. Abt. II, Art. l, Fr. 37.) Diese drei Pflichten bedingen einander. Wie die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks ist jede von ihnen mit den beiden anderen verbunden und verankert. Man kann, wie wir sehen werden, keine wegnehmen, ohne daß die beiden anderen aufgehoben werden. Auch das profane Leben stellt diese drei Pflichten auf, aber ihre Erfüllung ist draußen doch eine andere als auf maurerischem Gebiete, was die folgende Betrachtung zu zeigen versuchen soll. 1. Arbeiten. Arbeit ist eine Pflicht, welche jedem Menschen obliegt. Von jedem wird sie nicht nur verlangt, sondern jeder ist auch dazu gezwungen. Schon das Kind, sobald es zu lernen beginnt, muß arbeiten. Man meint gewöhnlich, ein Kind lebe ohne Sorgen dahin; das ist durchaus falsch. Ein Kind hat oft Sorgen, die verhältnismäßig schwerer sind als die eines Erwachsenen, und diese Sorgen werden immer schwerer, je älter das Kind wird. Im reiferen Alter aber beginnt die Sorge und Arbeit für die Existenz, für Weib und Kind, für das private und öffentliche Leben. Sollte nun diese Arbeit gemeint sein in der ersten Lehrlingspflicht? Gewiß verlangt der Orden, daß jedes seiner Mitglieder treu, fleißig und gewissenhaft in der Erfüllung seiner Berufspflichten sei, und jeder gewissenhafte Mann — und der wahre Maurer erst recht — muß es empfinden, welch ein Segen auf der Arbeit ruht, die, wie das Sprichwort sagt, das Leben süß macht. Aber es ist doch noch ein Arbeiten im höheren Sinne vom Orden gemeint. Wohl gibt es höhere Arbeiten als diejenigen, die das Leben im gewöhnlichen Sinne uns bietet. Es gibt Arbeit im größeren Sinne, Arbeit im Dienste des Wahren und des Schönen. Der Jünger der Wissenschaft in seinem Studierzimmer findet seine Arbeit und zugleich seine Freude im Erforschen der Wahrheit, der Künstler in seinem Atelier wird von Begeisterung erfaßt, wenn er in heißem Mühen danach ringt, auf der toten Leinwand oder in dem spröden Marmor die Schönheit zur Darstellung zu bringen, wie sie als Ideal in seinem Busen ruht. Weit hinweg gescheucht wird von beiden im Augenblick der Schaffensfreude die trübe Sorge, und ihr Berufsleben ist durch den Dienst der Musen unter eine höhere Weihe gestellt. Aber noch höher ist die Weihe, die auf der Arbeit ruht, welche der Orden von uns verlangt, und welche wir in den Werkstätten der k. Kunst erlernen sollen. Der Psalmist singt vom langen Leben: „Wenn es köstlich gewesen, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ Was mag damit wohl für eine Arbeit gemeint sein? Doch nicht etwa die Berufsarbeit! Wohl singt der Dichter von dieser: „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis; Ehrt den König seine Würde, Ehret uns der Hände Fleiß.“ Aber weder diese Arbeit noch die für höhere Zwecke kann dem Leben volles Genüge geben. Wer einzig und allein seinem bürgerlichen Beruf lebt, in ihm, wie man sagt, ganz aufgeht, der lebt nur halb, er lebt nur nach außen. Seine Arbeit macht ihn müde und abgespannt, und früh alternd an Körper und an Geist, sinkt er freudlos in sein Grab. >28< Die Perle hat ihm gefehlt. Sein Leben war wohl Mühe und Arbeit, aber es war nicht köstlich, sondern eitel Hast und Unruhe; er hat sich überarbeitet, um seine Stelle im bürgerlichen Leben auszufüllen. Näher ans Ziel kommt schon der Gelehrte und der Künstler. Unauflöslich mit ihrer Arbeit verbunden ist ein ideales Streben, das emporzuheben vermag über Kleinlichkeiten und Alltäglichkeiten. Aber wie oft sehen wir den scheinbar auf der Höhe des Lebens Stehenden unbefriedigt. Trotz seines glänzenden Wirkungskreises fehlt ihm das, was zum wahren Frieden dient. Es fehlt ihm das, was unser Erdendasein erst zum wahren Leben erhebt, jene Arbeit der Verinnerlichung, zu welcher wohl der Ruf an jeden Menschen ergeht, die aber vornehmlich gepflegt wird und nirgends in einem helleren Lichte strahlt als in den Werkstätten unserer k. Kunst. Die Arbeit der Loge steht unter dem Ordensgesetz, welches die Mitglieder des Bundes dazu anhält. Unsere Versammlungen werden Arbeiten genannt; ihr regelmäßiger Besuch wird uns zur Pflicht gemacht, und das, was uns in ihnen besonders beschäftigt, ist die Erlernung der Anwendung der Mittel und Werkzeuge, welche die k. Kunst uns darreicht. Wenn wir das, was unsere Logenarbeiten uns bieten, in uns aufgenommen und in unserem Kopfe und Herzen bewegt haben, dann sind wir erst in der Lage, das eigentliche Werk zu beginnen: die Arbeit des Menschen an sich selbst oder, wie die Freimaurerei sich ausdrückt, die Arbeit am rohen Stein unseres Selbst, die Arbeit, welche den Zweck hat, den Menschen, der nach Gottes Ebenbilde geschaffen ist, zu einem göttlichen Kunstwerk zu gestalten aus dem Rohmaterial, wie es aus der Werkstatt der Natur hervorgegangen ist. Das ist die Arbeit, die nicht abspannt und ermüdet, sondern erfrischt und erquickt. Sie verjüngt uns wie ein Quell, aus dem wir ewige Jugend trinken, sie mehrt unsere Kraft, anstatt sie abzunutzen und zu verbrauchen. Sie läßt uns die Luft eines höheren Daseins atmen und macht uns dieses Erdenleben erst köstlich im Sinne des Psalmisten; denn nur in ihr und durch sie wachsen unsere Kräfte und führen uns zum Lichte, zur Wahrheit und der Vollendung entgegen. Ist aber nun diese Arbeit am unbehauenen Stein, wie wir sie nennen, nur Eigentum der Freimaurerei? Unter Arbeit am rohen Stein versteht man doch das Abschleifen von Unebenheiten, das Herstellen glatter Flächen, wodurch ein taugliches Baustück hergestellt wird, das sich in den Bau der menschlichen Gesellschaft wohl einfügt. Gewiß ist solche Arbeit auch außerhalb der Loge zu finden. An jeden Menschen tritt die Forderung, ja die Notwendigkeit heran, an sich zu arbeiten und sich abzuschleifen. Aber es gibt viele Menschen, die abgeschliffen erscheinen, fein und glatt von außen; es lebt sich gut mit ihnen, sie sind liebenswürdig, angenehm, verträglich, und was dergleichen gesellige Tugenden mehr sind. Und dennoch kann sich hinter einer solchen glatten Außenseite ein Inneres voll sittlicher Verkommenheit und Fäulnis verbergen, eine Seele ohne Glauben, ohne Hoffen, ohne Liebe. — Solche äußerliche Arbeit kann nicht bestehen vor dem Lichte der k. Kunst. Sie leuchtet tief hinein in unser Inneres; sie wirft ihr Senkblei in die Tiefen unserer Seele und will auf dem nach der Wasserwaage geebneten Grunde ein göttliches Kunstwerk errichten, das durchleuchtet ist von göttlichem Licht. Von innen heraus muß diese Arbeit vor sich gehen. Wird sie recht getan, dann schwinden die rauhen Ecken und Kanten von selbst. Sie ist das große, unergründlich tiefe Geheimnis der Freimaurerei. Unsere Werkstätten zeigen uns den Weg, um in seinen Besitz zu gelangen, legen die Werkzeuge dazu in unsere Hand und geben uns sichere untrügliche Wegemarken, die uns zurechtweisen, wenn wir in Gefahr sind zu irren. Aber auch außerhalb unserer Arbeitsstätten gibt es Menschen, die die Wege der inneren Umwandlung und Erleuchtung gehen; das sind einzelne gottbegnadete Naturen, denen durch ihre geniale Intuition das Geheimnis offenbar geworden ist. — In unseren Kreisen ist der Ausdruck „Freimaurer ohne Schurz“ sehr beliebt. Man pflegt damit einen Mann zu bezeichnen, der freimaurerische Gesinnungen offenbart und nach freimaurerischen Grundsätzen handelt. Man würde aber viel zu weit gehen, wenn man einen jeden solchen mit dem Namen „Freimaurer ohne Schurz“ bezeichnen wollte. Freimaurer ist nur der, welcher nach bestimmten Gesetzen und mit bestimmten Mitteln an der Entwicklung seines inneren Lebens arbeitet, und deren gibt es wenige. Schon in unseren Reihen sind sie nicht allzu dicht gesäet, und in profanen Kreisen sind sie noch seltener anzutreffen. Ein Licht aber gibt es, das aller Welt für diese innere Arbeit leuchtet. Das ist die heilige Schrift auf unserem Altar. Aber nicht jeder versteht sie zu lesen. Das Verständnis für sie muß uns erst geöffnet sein, und das geschieht weniger durch geistreiche Kommentare, als durch Einfalt und Demut, mit welcher wir an sie herantreten. Würden unsere ganzen Überlieferungen verloren gehen, — aus der Bibel könnte man die Wege der k. Kunst wiederherstellen, >30< und würde die Bibel mehr gelesen und im rechten Sinne gelesen, dann würde auch mehr maurerisch gearbeitet werden, und es würde mehr Freimaurer mit und ohne Schurz geben. Wollen wir aber die Bibel, unser größtes Licht, für unsere Arbeit am fruchtbarsten machen, so müssen wir uns weisen lassen durch die Gleichnisse unseres Obermeisters, die fast alle auf die eigentümlichen inneren geistigen Tätigkeiten, auf jenes Kommen des Reiches Gottes, das sich nicht mit äußeren Gebärden vollzieht, hinzeigen. Hier finden wir den Schlüssel für das, was freimaurerische Arbeit heißt und bedeuten will. 2. Gehorchen. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß, ebenso wie Arbeit, so auch Gehorsam nicht bloß von uns Brüdern Freimaurern, sondern von allen Menschen verlangt wird. Gehorsam hält die ganze Welt in ihren Fugen zusammen, und wollten wir den Begriff definieren, so könnten wir sagen: er ist die Erfüllung der Gesetze; Ungehorsam ist Gesetzesbruch. Auf ewigen, unveränderlichen Gesetzen sehen wir den Weltenbau gegründet, und die allweise Macht, die diese Gesetze gab, nennen wir in Ehrfurcht den allmächtigen, dreifach großen Baumeister der Welt. — Wir sehen die Weltkörper gehorsam nach den Gesetzen sich bewegen, welche einst der Forschergeist Keplers gefunden und ausgesprochen hat. Gehorsam einem unhörbaren Ruf strebt das Eisen zum Magnet, und gehorsam richtet sich die Nadel der Bussole nach Norden. Den Gesetzen der Wahlverwandtschaft gehorchen die Stoffe in der Retorte des Chemikers. Wolken und Winde, Regenströme und Wasserwogen gehorchen dem Gesetz; ja selbst der Blitzstrahl, der in scheinbarer Willkür unregelmäßig dahin zuckt, geht doch keinen anderen Weg, als den das Gesetz ihm vorschreibt. Und tief in der Erde Gründen vereinigen sich die Atome und bauen sich auf zu Kristallen nach einem architektonischen Gesetz, das sie in sich tragen, und von dem es keine Abweichung gibt. Überall, wohin wir blicken, dasselbe Walten und Weben in unabänderlicher Gesetzlichkeit und Weisheit. Alle Vorgänge in der Natur, Licht, Wärme, Schall, Elektrizität, äußern sich nach unverbrüchlichen Gesetzen, die der Forscher findet und in der mathematischen Formel ausspricht. Wer will die Äußerungen dieser Naturgesetze zählen und schildern, wie sie sich darstellen in der organischen Welt, im Pflanzen- und im Tierreich. Ja, wenn auch unendlich Vieles in diesen Erscheinungen, im Entstehen, im Entwickeln, im Vergehen für uns rätselhaft und unerklärlich ist: das Eine wissen wir, daß überall, im anorganischen Kristall wie in der organischen pflanzlichen oder tierischen Zelle, dieselben unumstößlichen Gesetze herrschen, gegen welche es einen Ungehorsam nicht geben kann. Dies anerkennend beugt sich unser Geist vor den Werken des ewigen Meisters, die vollkommen sind überall da, wo ein Ungehorsam gegen sein Gesetz ausgeschlossen ist, oder, wie der Dichter sagt: „— wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.“ Ja, der Mensch, das letzte und höchste Glied der Schöpfung, ist es allein, dem es möglich ist, das göttliche Gesetz zu brechen, d.i. ungehorsam zu sein. Das Tier, obschon es Selbstbewußtsein hat, vermag das noch nicht; denn es hat keinen freien Willen und steht unter dem Zwange seiner Triebe. Es kann sich nicht erheben in das Reich des Intellekts und der Sittlichkeit. Nur der mit freiem Willen begabte Mensch vermag das. Er hat die Frucht gekostet vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen; er kann wählen zwischen Recht und Unrecht, und je weniger das Bewußtsein dessen, was recht ist, in ihm entwickelt ist, desto leichter verfällt er der Ungerechtigkeit, desto öfter bricht er das Gesetz und wird ungehorsam. Die Frucht vom Baume des Lebens hat er nicht gekostet; denn jene erschien ihm lachender und lockender; sie gab ihm Freiheit, oder vielmehr Willkür. „Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist;“ also, erzählt die Legende, flüsterte die Schlange dem Menschen ins Ohr. Wohl sprach sie wahr; aber der satanische Verrat, den sie übte, lag darin, daß sie dem Arglosen verschwieg, daß er trotz dieses Wissens den Weg zum Guten nicht finden, sondern durch seine irdische Natur von ihm abgezogen werden würde auf die Wege des Bösen, der Sünde und des Ungehorsams. Das ist der Fluch, der noch heute auf dem menschlichen Geschlecht lastet. Aber wenn auch der Mensch dem Bösen verfiel, so blieb doch auch die Erkenntnis des Guten in ihm rege. Ihr entsprang das bürgerliche Gesetz, durch welches die Menschheit sich selbst zu schützen und zu erhalten sucht. Überall ist dieses Gesetz mehr oder weniger unvollkommen, weil stets die menschliche Unzulänglichkeit ihm anhaftet. Aber der Urquell, aus dem es geflossen, ist doch die göttliche Wahrheit selbst, wenn sie in der Gesetzesformel auch nur getrübt zum Ausdruck gelangt. Unter dieses geschriebene Gesetz muß sich der Mensch beugen wie unter ein Joch. Es lastet auf ihm mehr oder weniger schwer, je nachdem >32< entweder sein noch auf niedriger Stufe stehendes sittliches Gefühl mit den geschriebenen Paragraphen in Konflikt gerät, oder sein verfeinertes Rechtsbewußtsein sich mit den dem Gesetze anhaftenden menschlichen Schwächen nicht auseinanderzusetzen vermag. In jedem Falle aber muß er sich beugen und gehorchen, sonst verfällt er der Strafe und sprengt sich selbst aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus. Es ist nicht anders: sobald der Mensch anfängt zu denken, kommt ihm zum Bewußtsein, daß er seinen Willen in Gehorsam beugen muß. Die Einsicht, warum er gehorchen soll, ist ihm um so unklarer, je tiefer er in seiner intellektuellen Entwicklung steht. Das Kind steht unter dem Willen des Vaters, unter seiner Zuchtrute; der Schüler muß sich der Schulordnung fügen; beide wissen oft nicht warum. Und der Staatsbürger steht unter dem Strafgesetzbuch und übertritt seine Vorschriften oft genug, trotzdem eine bessere Einsicht ihm gegeben ist. Jeder menschliche Verein aber hat seine Gesetze, von deren Erfüllung sein Bestehen und Gedeihen abhängt. Demgemäß muß auch in unserm Orden das Gesetz herrschen, und damit kommen wir nun auf den Gehorsam, der als zweite Lehrlingspflicht vom Freimaurer verlangt wird. „Gehorsam gegen Obrigkeit und Gesetze“, diese Forderung wird dem Aufzunehmenden, sobald er den Tempel betreten hat, zunächst entgegengehalten. Denn wer draußen nicht gehorchen gelernt hat, der wird den maurerischen Gehorsam, den die Loge verlangt, nimmermehr verstehen und erlernen. Der Gehorsam gegen die Ordensgesetze aber wird durch ein feierliches Gelübde versprochen. Diese Ordensgesetze, die wir jedem Neuaufgenommenen bei Überreichung des „Handbuches“ übergeben, sind mannigfacher Art und für unsere Verbindung ebenso notwendig wie für jede andere. Eins aber dürfen wir nie vergessen: Die Bestimmungen, die wir im Handbuch finden, sind nicht des Ordens höchstes Gesetz. Eine Stelle unserer Akten weist uns auf dieses höchste Gesetz hin. In den Erklärungen der Aufnahmegebräuche heißt es: „Daß Sie Ihre Füße in einen rechten Winkel stellen mußten,als Sie zur westlichen Seite der Arbeitstafel geführt wurden, bedeutet, daß Ihr höchster Fleiß dahin gehen soll, Ihre Handlungen nach den Geboten des höchsten Baumeisters und den Gesetzen des Ordens einzurichten.“ (L. B. II. Beil., Seite 37. 38.) Hier finden wir neben die Ordensgesetze das göttliche Gesetz gestellt, wie es das Winkelmaß ausdrückt, das die Brust des Meisters ziert, und das der Suchende diesem gegenüber zu bilden hat. Dieses Gesetz ist höher als die Ordensgesetze, denn diese sind nur zum Dienste des höchsten Gesetzes aufgestellt. Wo stehen sie aber geschrieben, diese höchsten Gesetze? Sind es diejenigen, die Moses in zwei Steintafeln eingrub und seinem Volke verkündigte? O, nein! Nicht ein geschriebenes, von Menschen in Paragraphen gefaßtes Gesetz ist es, was der Maurer als seine höchste Norm anerkennt, sondern ein ungeschriebenes. Gott, unser Schöpfer und Vater, hat es selbst in das Herz des Menschen gelegt; der Obermeister aber hat es uns allen offenbart, als er zu seinen Jüngern sprach: „Ein neu Gebot gebe ich euch, daß Ihr euch untereinander liebet.“ (Joh.. 13, 34.) War denn dieses Gebot neu? Nein! Es steht schon im alten Testament (3. Mos. 19, 18), ja, wir können sagen, es ist so alt wie die Menschheit selbst, denn es war dem ersten Menschen schon ins Herz gepflanzt. Aber die Menschen erkannten diese Quelle alles Heiles nicht, bis der Obermeister kam und sie ihnen zeigte. Ausgesprochen war das Gesetz wohl oft vor ihm, aber noch nicht offenbart; das konnte nur durch ihn geschehen, der eins war mit dem Vater. Darum konnte er allein den Menschen offenbaren, daß Gott die Liebe sei. Die Liebe aber ist des Gesetzes Erfüllung; sie selbst ist das höchste und vornehmste Gebot. Und sie ist auch das höchste Gesetz unseres Ordens, das vom König der Könige selbst in unser Herz gelegt ist, auf daß wir ihm gehorchen. Diese suprema lex soll nicht nur sein der Wille der Könige und der Mächtigen dieser Erde, sondern unser aller Wille. Und wenn wir das Gesetz der Liebe zum Ausdruck bringen in unserm Wollen und Handeln, wenn wir in unseres Herzens tief innerstem Grunde den Zusammenklang spüren mit dem Willen des Ewigen, dann dürfen wir mit Recht singen: „Wir sind die Könige der Welt!“ Ja, Könige sind wir dann, freie Herren über alles, was uns gegeben ist. Das ist ein hohes und erhabenes Ziel, dem wir zuwallen. Wie die Aufseher, die Vertreter der Brüderschaft, dem Meister gegenüberstehen, um ihm zu gehorchen, so sollen in unserem Inneren die Kräfte unseres Geistes, Vernunft und Gewissen, zugewandt sein dem Lichte der Liebe, das aus dem ewigen Osten sonnenhaft auf uns hernieder >34< strahlt, auf daß wir durchleuchtet werden von diesem heiligen Licht. Ein langer Weg ist uns beschieden bis zu dieser Vollendung. Wir nähern uns ihr nur durch strenge Maurerarbeit und demutsvolle, gehorsame Unterwerfung unter das Gesetz. — Können wir das Ziel erreichen? Nein! — Wir können das höchste Gebot halten wie alle anderen Gebote, d.h. wir können unser Leben und Handeln danach einrichten und abmessen; aber wir können es nicht erfüllen, d.h. ihm so gerecht werden, daß auch nicht ein Tüttelchen mehr übrig bleibt, und kein Rest vorhanden ist. Das hat nur Einer erreicht, er, den wir unseren Obermeister nennen. Er war unter das Gesetz getan und ging in Knechtsgestalt einher; er erniedrigte sich selbst und war gehorsam dem höchsten Gesetz bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. — Seinen Fußstapfen folgen wir nach in Demut und Gehorsam auf dem Pfade, der zum Leben führt, auf daß wir das wahre Leben erlangen. 3. Schweigen. Schweigen ist die dritte Pflicht des Lehrlings. So wie von den drei Schlägen, mit welchen der Freimaurer sich klopfend ankündigt, der dritte der härteste ist, so ist auch die dritte Pflicht die wichtigste und schwerste. Wie ist das möglich? Man sollte es kaum glauben. Schweigen erscheint doch so einfach und leicht. Schweigen ist doch weiter nichts als ein Unterlassen des Redens, und man sollte meinen, es sei sehr leicht, etwas zu unterlassen, während es viel schwerer scheint, etwas zu vollbringen. Die Pflicht des Arbeitens fordert das positive Vollbringen gewisser Leistungen; die Pflicht des Gehorchens erheischt dies nur zum Teil, denn die Gesetze, denen wir gehorchen sollen, sind teils Gebote, teils Verbote, so daß also der Gehorsam sowohl im Tun als auch im Unterlassen sich erfüllt. Die Pflicht des Schweigens dagegen scheint nur ein Unterlassen vorzuschreiben. In unserer Freimaurerei aber ist es mit einer solchen, sozusagen negativen Tugend nicht getan. Um dies einzusehen und den tieferen Sinn der dritten Lehrlingspflicht recht zu erfassen, müssen wir zunächst unterscheiden zwischen Verschwiegenheit und Schweigen. Beide Begriffe unterscheiden sich sehr bedeutend voneinander. Ich möchte sagen, die Verschwiegenheit gehört mehr dem profanen Leben an, wie ja auch der Freimaurer hauptsächlich den Profanen gegenüber Verschwiegenheit üben soll. Verschwiegenheit ist eine Tugend, Schweigen dagegen ist eine Kunst, ein wichtiger Zweig und integrierender Teil unserer k. Kunst. Man kann in der Tugend der Verschwiegenheit sehr geübt und doch von der Kunst des Schweigens weit entfernt sein. Wir können uns einen Menschen denken mit verschlossenem Charakter und mit versiegelten Lippen, aus dem nichts herauszubekommen ist, und der dennoch vom Schweigen keine Ahnung hat. Wie ist das zu erklären? Betrachten wir zunächst die Verschwiegenheit, wie sie in der profanen Welt geübt wird. Da hat die Sache ihre eminent praktische Seite, und Nützlichkeitsgründe sind es zumeist, aus denen diese Tugend in Ansehen steht. Da gibt es Amtsgeheimnisse, Geschäftsgeheimnisse, Familiengeheimnisse, die bewahrt werden müssen, um das öffentliche Leben oder private Interessen vor Schaden zu bewahren. Die rechten Lehrmeister der Verschwiegenheit sind die Diplomaten. Talleyrand stellte sogar den Satz auf, die Sprache sei dazu da, um die Gedanken zu verbergen. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, sagt das Sprichwort. Es gibt Geheimnisse einzelner und ganzer Familien, die uns anvertraut werden und durch deren Verrat unabsehbares Unheil gestiftet werden kann. Der Arzt und der Beichtvater sind sogar vor dem Gesetz strafbar, wenn sie solche Geheimnisse ausplaudern. Aber auch jeder einzelne Mensch hat seine Geheimnisse, die er niemandem anvertrauen mag; sie zu hüten, ist freilich nicht schwer. Vielfach sind sie trauriger Art. Anderseits aber treibt es uns, auch das höchste Glück, das wir erfahren haben, tief in unser Herz einzuschließen, und nur dem erprobten Freunde gestatten wir, Blicke in unser Innerstes zu tun. Wir tragen unsere Familienangelegenheiten nicht auf den öffentlichen Markt des Lebens und predigen das, was unser Herz bewegt, nicht von den Dächern. Nur dem allmächtigen Baumeister ist unser Herz geöffnet, und sein allsehendes Auge durchschaut unser Innerstes. Aber wenn wir uns betend zu ihm wenden, so geschieht das am besten in geheimer Stille, denn der Obermeister hat gesagt: „Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließe die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen.“ — Im Herzen des Menschen ist ein Allerheiligstes, ein zartes keusches Geheimnis, zu dem kein profaner Blick dringen darf, und das durch jede Berührung entweiht wird. Hier nun haben wir den Punkt gefunden, wo die Verschwiegenheit des profanen Lebens sich mit der maurerischen Pflicht des Schweigens berührt. >36< Auch auf maurerischem Gebiete tritt uns die Forderung der Verschwiegenheit ganz besonders nachdrücklich entgegen. Diskretion wird zunächst von uns verlangt und durch ein feierliches Gelübde zugesagt. Wir sind eben Brüder und leben in der Loge in einer großen Familie, deren Angelegenheiten wir für uns zu behalten haben, und deren Geheimnisse von uns bewahrt werden müssen. Wir können nicht vorsichtig genug darin sein. Zu diesen Familiengeheimnissen gehört alles, was in der Loge vor sich geht, nicht nur die Angelegenheiten der Brüderschaft, sondern auch Ritus, Symbolik, Erkennungszeichen usw. Nun sind wir aber nicht bloß maurerische Familienglieder, sondern auch Glieder eines Ordens, und auch dieser hat seine Geheimnisse, die wir zu hüten haben. Worin aber bestehen diese ? Gibt es denn im Orden noch andere Geheimnisse als die oben genannten? Viele wollen behaupten, es gebe dergleichen nicht, ja, es gebe überhaupt keine maurerischen Geheimnisse mehr, seitdem Symbole, Riten und Erkennungszeichen längst durch Schrift und Druck veröffentlicht seien. Traurig wäre es, wenn dem also wäre. Dann hätten jene Übelwollenden recht, welche durch Veröffentlichung jener geheimzuhaltenden Dinge den Orden zu zerstören vermeinten. Ja, es gibt ein Ordensgeheimnis, das hoch erhaben ist über jenen unter bloßer Diskretion stehenden Dingen. Das kurze Gelübde, das wir bei der Aufnahme abgelegt haben, weist deutlich darauf hin: „Ja, ich gelobe, von den Geheimnissen der Freimaurerei mit keinem Unberechtigten zu reden oder solche auf irgend eine Weise zu verraten, auch den Ordensgesetzen gehorsam zu sein.“ Mit dem Ausdruck „Geheimnisse der Freimaurerei“ hat hier der Orden beides zusammen bezeichnet, das Geheimzuhaltende und das Geheimnis selbst. Im Nachsatz aber hält er beides genau auseinander und spricht von Geheimnissen, über die wir nicht reden oder sonst durch Schreiben, Drucken, Zeichnen oder Eingraben, wie es im alten Eide heißt, etwas an die Öffentlichkeit bringen dürfen, und von solchen, die wir nicht verraten sollen. Mit letzteren ist das eigentliche Kunstgeheimnis des Ordens gemeint, jenes Geheimnis, das wir innerlich erleben müssen, das nicht aufgeschrieben und uns mitgeteilt werden kann, sondern hinter welches wir nur kommen können durch innere Erfahrungen an uns selbst, wenn wir die Werkzeuge unserer Kunst auf uns anwenden. Das ist das Kunstgeheimnis, das wir nicht mitteilen und ausplaudern können; wohl aber können wir es verraten, nämlich dadurch, daß wir an ihm zu Verrätern werden. Und das werden wir, wenn wir, anstatt die Wege einzuschlagen, die der Orden uns zeigt, die entgegengesetzten Wege gehen, wenn wir uns der Finsternis zuwenden, statt zum Lichte zu streben, wenn wir die Mittel der Erleuchtung, die der Orden uns darbietet, unbenutzt lassen und auf das Fleisch säen statt auf den Geist, wenn wir, anstatt die Liebe in unserm Herzen großzuziehen und uns zu reinigen von allem, was Leib und Seele befleckt, den Haß und die Selbstsucht in uns nähren und unsere Gedanken auf Unreines und Gemeines richten. Wenn wir uns nicht dem Höchsten zuwenden, so üben wir schwarzen Verrat an des Ordens heiligstem Geheimnis und willigen ein, daß die Strafe des Verräters, wie sie der alte Eid nennt, an uns vollzogen werde, d.i. die Vernichtung unseres Selbst. Um dieses heiligste Geheimnis nicht zu verraten, wird mehr von uns gefordert als Verschwiegenheit: Die höchste Lehrlingspflicht heilst Schweigen! Schweigen im höchsten Sinne ist etwas Positives, das dem negativen Verschweigen geradezu entgegengesetzt ist. Schweigen ist eine Fassung unserer Seele, ein Zusammennehmen ihrer Kräfte zur Richtung auf das Ewige; es ist ein Stillesein zu Gott, ein Lauschen auf seine Stimme, die in unserem Inneren laut werden will. Unser Inneres soll zu einem Tempel des Höchsten gestaltet werden. In einem Tempel aber muß es stille sein, damit das Wort der Wahrheit, das darinnen verkündigt wird, vernehmlich sei. Und das göttliche Wort ruht in uns; durch Arbeit und Gehorsam soll es laut werden; wohl dem, dem es in deutlicher Rede die Wege des Lebens weist. Das erste Kindeslallen des göttlichen Wortes vernimmt der Lehrling an der Säule J ...., die er aufrichtet am Eingange seines inneren Tempels, und die da spricht: „G. h. m. e.“ Und deutlich redet das Wort in uns als Stimme des Gewissens. Aber nur der Schweigende vernimmt sie. Das Herz, das unlauteren Trieben nachgeht, und in dem Leidenschaften toben, das Herz, in dem die Selbstsucht in ungesättigtem Anspruch das Ihre fordert, wo Hochmut voll Überhebung seine Stimme erhebt, — das hat nicht schweigen gelernt. Darum, o Lehrling, dessen Zunge mit Salomos Siegel versiegelt ist, — lerne schweigen! Sei still zu Gott; murre nicht gegen ihn und achte auf sein Wort. Sei still in dir; in einem Herzen, wo Geschwätz und Geschrei, Lärm und Toben herrscht, kann die Stimme der Wahrheit nicht zu Wort kommen; sei still in dir, und statt Unruhe und Sorge wird >38< Friede in dein Herz einkehren. Und dann: sei still zu den Menschen; suche nicht das Deine, begehre nicht auf, laß dich nicht erbittern, so wird dir, wenn auch erst spät, das göttliche Wort der Wahrheit auch aus des miterschaffenen Bruders Herzen entgegen schallen. Ich habe oben am Eingange gesagt, daß die drei Lehrlingspflichten, Arbeiten, Gehorchen und Schweigen, sich gegenseitig bedingen und unauflöslich miteinander verbunden sind wie die drei Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks. Dies können wir jetzt erkennen: Wer schweigen kann, der vermag ohne Störung zu arbeiten, weil er die göttliche Stimme im Innern vernimmt und ihr freudig gehorcht; wer gehorcht dem ewigen Gesetz des Geistes, vor dem des Fleisches Gesetz schweigen muß, der darf nicht fürchten, fehlerhafte Arbeit zu liefern; wer unermüdlich ist in der Arbeit, der gehorcht dem Ewigen, und das Wort redet laut dem Schweigenden. (1897.) Was ist die Loge? Die erste Frage, die sich jedem Neueintretenden aufdrängt, ist die: Was ist die Loge ? Was stellt sie dar ? Und daran schließt sich die zweite Frage: Was habe ich in der Loge zu tun ? Welche Aufgabe habe ich in ihr und durch sie zu erfüllen? Was ist die Loge? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht ganz einfach. Halten wir uns zunächst an das, was die sinnliche Erscheinung dem Eintretenden darbietet. Wir treten in einen abgeschlossenen, gegen Eindringlinge von außen wohl bewahrten Raum. In ihm hat eine Versammlung von Männern Platz genommen, welche einem Gesetze zu gehorchen, einem Zwecke sich hinzugeben scheinen. Am östlichen Ende des Raumes ist ein Altar errichtet auf einer Erhöhung von drei Stufen; auf ihm befinden sich drei brennende Lichter, welche ihre Strahlen auf das Buch der Bücher werfen und auf Winkelmaß und Zirkel, die daneben liegen. Am Altare im Osten aber sitzt einer, welcher Meister genannt wird; ihm ist die Kraft des Wortes übertragen; er ist der Verkündiger des Gesetzes, der durch den Schlag seines Hammers zur Tätigkeit ruft; der durch die Austeilung des Lichtes das erleuchten soll, was im Dunkeln lag; der zur Ordnung ruft, was zerstreut und verstört war. Ihm gegenüber im Westen haben die Aufseher ihre Stellen, des Meisters Gehilfen, die, seines Winkes gewärtig, sein Licht verbreiten durch das Dunkel der Loge, die seinen Hammerschlag widerhallen lassen, damit durch Süd und Nord verbreitet werde der Ruf zur maurerischen Tat. Mitten aber zwischen Süd und Nord, Ost und West liegt eine Tafel ausgebreitet, bedeckt mit Zeichen und Bildern, Symbolen dessen, was sich hier vollziehen soll. Wiederum sind es drei Lichter, welche die Tafel beleuchten, aber sie brennen nicht unwandelbar fort >40< wie die Kerzen auf dem Altar, sondern sie werden entzündet bei der Eröffnung und gelöscht beim Schluß der Arbeit. Sobald ihr Schein erlischt, ist auch die Tafel verschwunden, und Dunkel verbreitet sich aufs neue durch den Raum. Was will nun dies alles sagen? — Das tief ernste, feierliche Auftreten dieser Dinge läßt uns ahnen, daß etwas Großes, ja vielleicht das Größte und Höchste sich dahinter verbergen muß, und ein Blick zu der mit Sternen besäten Decke des Zimmers führt uns zu der Annahme, daß die Loge ein Bild der Welt, des Universums vorstellen soll, welches durch eine unteilbare, sich ewig selbst gleiche Kraft gehalten und regiert wird. Diese Kraft ist das Göttliche. Eine Ahnung davon setzen wir bei jedem Menschenkinde voraus. Diese Ahnung soll sich erheben zum Glauben, zur unerschütterlichen Zuversicht in der Annahme der Existenz eines höchsten Wesens oder, wie die Freimaurerei sich ausdrückt, des „dreifach großen Baumeisters der Welt“. Wir nennen ihn, den Unnahbaren, Unerforschlichen dreifach, weil er von uns schwachen, an die Materie gefesselten, in Raum und Zeit sich bewegenden Menschen als Einheit nur geahnt werden kann, und weil er dem denkenden, sich zu ihm erhebenden Geiste sein ewiges Wesen nach drei Richtungen hin offenbart hat. Wir erkennen ihn erstens als Ursprung und Ausgang aller Dinge, als Vater, der die sichtbare Welt so hingestellt hat, wie sie steht, nach dem Plane seiner unergründlichen Weisheit. Wir erkennen ihn zweitens im Geschaffenen, im Sohne, in welchem, durch den Schleier der materiellen Hülle hindurchschimmernd, sich das Wesen der Gottheit manifestiert als Schönheit, am deutlichsten und vollkommensten in der Krone der Schöpfung, im Menschen, der vom Allvater das köstlichste Erbe erhielt: die Fähigkeit, ihn zu empfinden und zu denken, und die Freiheit, sich zu ihm aus dem Staube des Irdischen und Vergänglichen zu erheben. Endlich erkennen wir ihn drittens in dem treibenden und emporhebenden Agens, welches das Geschaffene durch Reinigung vom Vergänglichen und durch Heiligung zum Schöpfer zurückführt, als Band des Geistes, welches Schöpfer und Geschöpf verbindet, oder, wie die Freimaurerei sich ausdrückt, als Stärke. Dieses dreifach sich offenbarende Wesen will nun die Loge versinnbildlichen überall, wo die Dreizahl uns entgegentritt: zunächst in ihren drei ersten Beamten, dem Meister und den beiden Aufsehern. Das Walten und Weben der im All tätigen Kräfte ist der tiefe Sinn der Wechselwirkungen des Meisters mit seinen beiden Aufsehern, wie es sich bei der Eröffnung und beim Schluß der Loge kundgibt. Der Altar aber ist in seiner vollendeten rechtwinkligen Gestalt der Sitz der ewigen Einheit. Das redende Zeugnis des göttlichen Wortes, die Fundamentalurkunde des Menschengeschlechts, liegt aufgeschlagen auf ihm, und seine Lichter werden nicht ausgelöscht, sie brennen ewig fort; aber im Raum der Loge, an der Stätte, wo das Geschaffene im steten Arbeiten, Ringen und Kämpfen sich emporschwingen muß, da wechseln Hell und Dunkel, da regieren Sonne und Mond, da ist es bald Tag und bald Nacht, da flammen die drei großen Kerzen hell auf, und dann verlöschen sie wieder; und die Arbeitstafel, die uns die Gesetze und Werkzeuge jener Arbeit zeigt, erscheint und verschwindet wieder. Der Meister, der im Osten am Altare sitzt, trägt das Winkelmaß auf seiner Brust, das Werkzeug, in welchem Senkrecht und Waagerecht, die überall in allen Lebensäußerungen sich zeigenden Gegensätze, ohne welche kein Leben denkbar ist, zu einem unverbrüchlichen, einigen Gesetz miteinander vereinigt sind. Die Aufseher dagegen, die im Westen, wo das Licht des Tages niedergeht, sitzen, tragen Wasserwaage und Senkblei. In ihnen erscheinen Wagerecht und Senkrecht noch getrennt. Erst durch den Weg von Westen nach Osten, wie ihn der Suchende bei seiner Aufnahme zurücklegt, erst durch das Streben vom Dunkel zum Licht, vom Irdischen zum Göttlichen, werden Wasserwaage und Senkblei vereinigt zum rechten Winkel, erst dadurch wird das veränderliche Schwanken von Ansichten und Meinungen zur ewigen unumstößlichen Wahrheit. Dieses Bild des Alls wird für uns nun zur Werkstätte, in welcher die tiefsten Geheimnisse und Probleme, mit welchen sich der menschliche Geist jemals beschäftigt hat, berührt werden. Welche Aufgabe habe ich nun in dieser Werkstätte zu erfüllen? Wenn ich in die Arbeitsstätte eintrete, in welcher die Kräfte göttlichen Lebens und Strebens frei werden, in welcher das Dunkle erleuchtet, das Verwirrte geordnet werden soll, dann folgt daraus von selbst, daß ich nicht müßig darin stehen bleiben darf als Stein des Anstoßes, sondern daß ich zu dem großen Werke, das sich hier gestalten soll, meine Kraft beitrage, daß ich das Göttliche in mich aufnehme, auf mich wirken lasse und mein ganzes Selbst den Einwirkungen der göttlichen Kräfte in unbedingter Hingabe überlasse. Deshalb sind wir hier mit Schurz und Kelle ausgerüstet, deshalb ist das ritterliche Schwert in unsere Hand gelegt, deshalb haben wir Zeichen, Griff und Wort erhalten und sind eingetreten >42< in die Reinen der durch das festeste Band gemeinsamen Strebens verbundenen Brüder. Wir haben alle dieselbe Aufgabe und dasselbe Ziel: in uns zu finden und zu erkennen das göttliche Erbe, es herauszuarbeiten und hervorzuziehen aus dem Schutt der Alltäglichkeit und uns erleuchten zu lassen durch das maurerische Licht, dessen Fülle der dreifach große Baumeister der Welt in tausend und abertausend Offenbarungen durch seine Welt ergossen hat. Ja, wir streben nach Licht, nicht nach dem Flitterschimmer irdischen Tandes und weltlicher Macht, sondern nach dem Lichte der höchsten Wahrheit, nach der Tiefe der Weisheit und nach der Fülle der Erkenntnis Gottes. Das uns auf Schritt und Tritt geoffenbarte dreifache maurerische Licht suchen wir überall zu finden und zu erkennen; haben wir es aber gefunden, dann suchen wir es in uns zusammenzufassen als große Einheit, als das wahre Wesen der Gottheit selbst. Keine Wissenschaft, keine Philosophie, kein Grübeln und Forschen, keine Hebel und Schrauben können dieses innere Licht uns erringen. Dem reinen Herzen allein, das zur Kundschaft gelangt ist, geht es von selbst auf; ihm leuchten die Offenbarungen des ewigen Wesens überall, und alle Geheimnisse des Seins erschließen sich ihm. Darum erhielten wir den weißen Lehrlingsschurz, das Kleid der Reinheit, das uns beständig mahnt, zu arbeiten an uns selbst und zu wachen über uns selbst. Die Kelle aber zeigt uns in ihrer dreieckigen Gestalt, daß wir jenes dreifache Licht, das in den Tempel unseres Inneren hineingebracht worden ist, als der Meister mit drei Schlägen des Hammers auf den Zirkel, den wir uns selbst, rechtwinklig geöffnet, auf das Herz setzten, uns die Weihe erteilte, — daß wir, sage ich, dieses dreifache Licht zu bewahren und zu schüren haben als ein Vestafeuer unseres innersten Heiligtums. In jedem Menschen ist im Innern ein Raum, der keusch und unentweiht geblieben ist von den Stürmen des Lebens. Diesen Raum gilt es zu finden, zu vergrößern, auszubreiten durch unser ganzes Ich, auf daß unser ganzes Wesen ein Tempel des Höchsten werde, in dem die Kräfte seines heiligen Wesens walten, und in dem auf den drei Pfeilern der Weisheit, Stärke und Schönheit die drei heiligen Leuchten des Lebens in immer hellerem Lichte erstrahlen mögen. Was du aber errungen hast, das halte fest, das verteidige mit ritterlichem Schwerte gegen die Angriffe der Finsternis. Das höchste geistige Streben adelt und verleiht Ritterschaft. Wohlauf denn, ihr Ritter vom Geiste! Es gilt den Kampf mit dem Drachen der Selbstsucht und mit dem Riesen der Trägheit! Laßt sie nicht in eure innere Loge eindringen, die Mächte der Finsternis, sondern wie die Weltenloge wohl befleckt ist, in die nichts hereinbrechen kann, was den Lauf ihrer ewigen Gesetze zu hemmen vermöchte, und so wie an der Pforte unseres Tempels der wachthabende Bruder seine blanke Waffe den fremden Unkundigen entgegenstreckt, so haltet auch ihr euer gutes Schwert bereit, zu treffen das Gemeine und zu verteidigen das Wahre, Gute und Schöne! Unentweiht bleibe unser innerer Tempel, sowie wir den Raum unserer Loge bewahren vor allem, was ihre Arbeit stören und ihre Weihe gefährden könnte. Dann wird der Ordensherr selbst in sein Heiligtum einziehen und Wohnung darin nehmen, und der Glanz seines ewigen Lichts wird uns umleuchten für und für. Es geschehe also! (1879.) Die Gestalt der Loge. Ein hohes und heiliges Gut ist es, was in jeder Loge bewahrt und gepflegt werden soll: das ist die Kunde von dem Lichte, das da scheinet in die Finsternis, und das von denen, die in der Finsternis bleiben, nicht begriffen wird, sondern nur allein von denen geschaut, ergriffen und verteidigt werden kann, die mit allen Kräften ihres Geistes und ihres Gemütes danach ringen, durch unablässige Arbeit die verhüllende Binde fallen zu machen, und sich durch Selbstveredlung dem Urquell der ewigen Wahrheit zu nähern. Eine Loge, welche diese Kunde und dies Streben über anderen Bemühungen vernachlässigt oder ganz aus dem Gesichte verliert, ist keine Loge mehr. Sie würdigt die Idee der Freimaurerei herab und verdient nicht den Namen einer Stätte der k. Kunst. Hoch über jedem Wechsel und über jedem Zeitgeist erhaben ist das, was den eigentlichen Lebensnerv der Freimaurerei ausmacht. Es kann nicht untergehen und verlöschen, denn es ist tief in der menschlichen Natur begründet; aber es kann verdunkelt werden, und den jeweiligen Vertretern der Freimaurerei ganz oder teilweise abhanden kommen. Denn die einzelnen, die durch die Aufnahme in die Logen zur tätigen Teilnahme an dem Werke der Freimaurerei berufen werden, stehen eben mitten im Strome des Zeitgeistes und unterliegen seinen Schwankungen und Strömungen. Nicht allen ist gleich lebendig die Kunde vom Licht, nicht alle sind gleich mächtig beseelt vom Streben zur Wahrheit, ja, manchen fehlt es wohl ganz. Darum bedarf die Loge von Zeit zu Zeit einer Erneuerung. Sie soll sich besinnen auf das, was ihr wahres eigentliches Wesen ausmacht, und sich prüfen, ob der Geist, der in ihr weht, der rechte Geist des Bundes ist. Unsere Akten reden in monumentalen Worten von einem Idealbilde der Loge, das für ihre stete Erneuerung uns nicht nur vorschweben, sondern auch von uns verstanden werden soll. Wir finden dieses Bild in unserem Fragebuche, welches folgendermaßen zu uns redet: Wie ist die Gestalt der Loge? Viereckig und gleichseitig. Was will das sagen? Daß deren Länge gleich ihrer Breite und deren Höhe gleich ihrer Tiefe ist. Was wird darunter verstanden? Daß die königliche Wissenschaft den Weltkreis umfaßt. Welches ist also die Länge der Loge? Von Osten nach Westen. Und ihre Breite? Von Süden nach Norden. Welches ist ihre Höhe? Eine unzählbare Anzahl von Ellen. Und ihre Tiefe ? Von der Oberfläche der Erde bis zu deren Mittelpunkte. Womit ist die Loge bedeckt? Mit einer himmelblauen Decke, bestreut mit goldenen Sternen. Was bezeichnen diese Antworten? Daß unsere Freimaurer-Brüder in der ganzen Welt zerstreut gefunden werden. (Fragb.Abt.II, Art 2, Frage l bis 9) Wir finden hier die Gestalt der Loge gezeichnet als die eines Kubus; denn ihre Länge ist gleich ihrer Breite und ihre Höhe gleich ihrer Tiefe. Der Kubus aber ist der vollendetste Körper, den wir kennen; denn er veranschaulicht uns in einfachster und zugleich vollkommenster Weise die Idee des Raumes nach seinen drei Dimensionen. Darum ist auch im maurerischen Sinne die Anschauung des Kubus übergegangen auf die Vorstellung des Weltalls, des großen Gebäudes, das der allmächtige, dreifach große Baumeister sich gegründet und geschaffen hat, und in dessen mittelstem Raume (Selbstverständlich kann dies nicht im geometrischen Sinne gemeint sein.) er wohnt, um das Ganze von hier aus mit seinem Geiste zu durchdringen. >46< Der Kubus, das Bild der Vollkommenheit, wird uns vor Augen gestellt, nicht im geometrischen, sondern im idealen Sinne. So wie im geometrischen Kubus der rechte Winkel das Bestimmende ist, so herrscht auch in dem großen Bauwerk der Welt das ewige Gesetz des Meisters, das der rechte Winkel versinnbildlicht. Überall finden wir es wieder, in unendlichen Höhen und in unendlichen Tiefen. Und von diesem unendlichen Gebäude soll die Loge ein Abbild sein; „denn,“ sagt das Fragebuch, „die königliche Wissenschaft umfaßt in ihrer Vollkommenheit den Umkreis der Welt“. Derselbe Geist, der vom Mittelpunkte aus das All beherrscht, soll auch die Loge regieren, seine Gesetze, durch die die Welt in ihren Angeln gehalten wird, sollen auch hier zur Geltung kommen, seine Gerechtigkeit soll hier richten, seine Güte und Liebe soll hier gewähren, spenden, vergeben und begnadigen, und seine Heiligkeit soll hier verklären alle Dinge; denn alles, was geschieht, vollzieht sich nach den ewigen Gesetzen, welche ebenso heilig sind wie der, welcher sie gegeben hat. Ja, die königliche Wissenschaft umfaßt in ihrer Vollkommenheit den Umkreis der Welt. Alles, was entsteht, sich entwickelt und herausbildet, nach Gestaltung ringt und wirksam zu werden anfängt, erfährt durch den Geist des Göttlichen seine Prüfung und Würdigung, Anerkennung und Verwerfung. So allumfassend soll auch unsere Loge sein. Dieser kleine enge Raum, der unseren Arbeiten und Versammlungen dient, — er dehnt sich vor unserem Geistesauge aus nach allen drei Richtungen in die Unendlichkeit. Und diese Unendlichkeit soll von uns kleinen, schwachen, endlichen Wesen durchmessen und ausgefüllt werden. Wohl überfällt uns Schwindel und Zagen, wenn wir vor der Unendlichkeit stehen, und doch müssen wir hinein, müssen vorwärts. Wir müssen ausmessen den Raum unserer Loge nach Länge, Breite und Höhe. — „Welches ist die Länge der Loge? — Von Osten nach Westen.“ Erkennen wir hierin den Weg, den wir zurückzulegen haben, von der Dunkelheit, aus der wir zum Leben erwacht sind, von Westen her, dem Lichte im Osten entgegen; von dem Schein und Abglanz zur ewigen Wahrheit selbst. Der Weg ist weit. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und flöge zum äußersten Meere,“ es würde immer und immer wieder eine neue Unendlichkeit vor mir liegen, denn der Weg zum Lichte läßt sich nicht mit irdischem Maße ausmessen und nicht mit irdischen Schwingen zurücklegen. — „Und welches ist die Breite der Loge? — Von Norden nach Süden.“ Das ist das Arbeitsfeld, dessen Länge unser Weg ausmacht, und das auch nun in einer Breite vor uns liegt, die gleich ist jenem unendlichen Wege. Nord und Süd! — Wer will ermessen, was dazwischen liegt? Wer will schlichten den ewigen Streit der Gegensätze zwischen Licht und Finsternis? Wer will versöhnen, was in unlöslichem Widerspruch miteinander im Kampf liegt? Ach, wir selbst werden mitten hineingerissen in diesen Kampf. Unaufhaltsam zieht sein Strudel uns mit fort, und wir geraten ab von dem Wege nach Osten. Gefahr und Not auf beiden Seiten: hier versengt uns des Südens Glut, dort erstarren wir in der Kälte des Nordens. Und doch müssen wir hindurch, doch müssen wir alles, was uns entgegentritt, ermessen und umfassen, doch müssen wir voranschreiten trotz aller Hindernisse, denn wir dürfen nicht zurück. Und was ist es, was uns Kraft verleiht, unsere Bahn zu wallen, was richtet uns auf, wenn wir ermattet niedersinken wollen? Es ist der Blick nach oben, nach jenen Höhen, von denen uns Stärke kommt. Eine unzählbare Anzahl von Ellen beträgt wohl die Höhe unserer Loge, und ihre Tiefe reicht von der Oberfläche der Erde bis zu ihrem Mittelpunkte. Wohl wissen wir, daß unser, in Erdenschranken befangener Geist auch diese Maße nicht nachmessen kann. Aber der Blick hinauf zu dem, der sein Kleid, die Sternendecke von Gold und Azur, über unsere Loge ausgebreitet hat, läßt uns eingedenk bleiben, daß wir seines Geschlechtes sind, Kinder des großen Vaters, der seine Unendlichkeit in unsere Brust gelegt hat. Und wenn das Herz sich weitet in wonnigem Erschauern vor der Nähe des Höchsten, wenn wir die Kraft in uns spüren, die irdischen Schranken zu durchbrechen, dann liegt er vor uns, der ewige Osten, das Ziel unserer Sehnsucht, dann ist die Reise zurückgelegt, dann sind des Lebens Rätsel gelöst, und was unerreichbar schien, ist nahe gerückt. „Der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ (1. Kor. 2, 10.) Auch uns ist er gegeben, wenn wir ihn suchen, nicht in menschlichem Wissen und spitzfindigen Grübeleien, sondern in der Kraft des Ewigen, die in uns schlummert und der Erweckung harrt. Das ist der Idealbau der Loge. Ein solches Werk aber ist — wie leicht einzusehen — nur dann möglich, wenn jeder einzelne ohne Ausnahme für sich seine innere Loge ausbaut nach dem ewigen Bauriß. Uns können nur Männer taugen, die, frei von den Fesseln ihrer irdischen Begierden, erhobenen Hauptes die drei Schritte tun können von Westen durch Süden und Norden nach Osten; uns können nur Männer taugen, die die Mittagssonne nicht blendet, und die das Dunkel der Mitternacht nicht schreckt, die nicht, in lauer Mattherzigkeit an >48< der Oberfläche bleibend, Nebendinge zur Hauptsache machen, sondern denen nichts mehr am Herzen liegt, als nach Osten zu kommen. Uns können nur Männer taugen, die in kindlichem Vertrauen nach oben schauen zu den ewigen Höhen des Lichtes, von denen uns Hilfe kommt, die mit dem Adlerflug des Gedankens sich erheben zur Unendlichkeit der Gottheit, und die den kleinen beschränkten Raum, der ihnen für ihre irdische Arbeit gegeben ist, auszufüllen wissen mit der Idee des Unendlichen. Nur mit solchen Ordensgliedern baut sich die Loge fest und sicher auf, allumfassend, wie der Plan sie darstellt. Sie soll reichen von Westen, nach Osten, d.h. sie soll sein ein Herd des ewigen Lichtes, das aus Osten strahlt und seine Strahlen nach Westen sendet, dorthin, wo Erleuchtung nötig ist, und sie reiche mit ihrer Breite von Norden nach Süden, d.h. sie umfasse das Menschenleben mit seinen Licht- und seinen Schattenseiten, seinen Höhen und seinen Abgründen, mit seinen Freuden und Schmerzen und leite die Strebenden zwischen die Pole unseres Daseins hindurch dorthin, wo kein Wechsel mehr ist. Sie reiche bis zum Mittelpunkte der Erde und leite uns an zum tiefsten Erfassen und Begreifen unseres irdischen Daseins, daß wir es erkennen als Grundlage und Ackerfeld für die Saat eines höheren Lebens, und sie erhebe unsern Geist eine unzählige Anzahl von Ellen zu den Sternengefilden, die uns die Lichter der ewigen Heimat zeigen. Also sei unsere Loge beschaffen und erbaut. So wie droben am Himmelsgewölbe sich Stern an Stern reiht, so sei auch sie ein Lichtpunkt, der sich den zerstreuten Herden würdig anreiht. „Unsere Brüder sind in der ganzen Welt zerstreut,“ daran sollen uns die Antworten auf die oben angeführten Fragen erinnern. Nicht bloß auf der Oberfläche der Erde, sondern in der ganzen Welt! Gewiß; denn überall, wo Gottes Wille sich offenbart, und sein Gesetz herrscht, da strebt auch das Geschaffene zum Schöpfer zurück. Wo aber dieses Streben sich zeigt, da herrscht die große Idee, die sich in unserer Loge zeigt, da waltet der aufbauende, der freimaurerische Geist. — (1886.) Die Bedeutung des Wortes „Loge“ Zum Stiftungsfest 1903. Hundertundeinunddreißig Jahre sind verflossen, seitdem wenige, für die k. Kunst begeisterte Brüder zusammentraten, um in unserer Stadt eine neue Loge neben einer älteren, bereits zu hoher Blüte gelangten, zu errichten. Eine nach menschlichen Begriffen lange Zeit ist es, die über unsere Loge hinweg gerauscht ist, und die wechselnden äußeren Verhältnisse, unter denen sie bestanden hat, haben in ihr verschiedene Zeitperioden geschaffen und ihrer Geschichte ein eigentümliches Gepräge aufgedrückt. Zeiten schwerer äußerer Bedrängnis und heftiger innerer Kämpfe haben abgewechselt mit stillen, friedvollen Tagen, in denen sich die in trüben Zeiten gestählten Kräfte ruhig entfalten konnten zu gedeihlicher Maurerarbeit. So ist unsere Loge erstarkt und gefestigt und hat sich zu einer Bedeutung entwickelt, welche uns mit Vertrauen in die Zukunft blicken läßt. Eins jedoch dürfen wir nicht vergessen: von Zeit zu Zeit nachzusehen, wie es mit der Sicherheit und Festigkeit unseres Baues bestellt ist, ob nicht irgendwo etwas sich gelockert und verschoben hat, und ob alles so in Ordnung ist, daß wir mit Sicherheit in unserer Loge wohnen und arbeiten können. So wie solche Vorsicht an dem alten Hause, welches die Stätte unserer Arbeiten fast von der Stiftung unserer Loge an gewesen ist, geboten erscheint, so wird sie auch bei dem inneren geistigen Bau, dessen lebendige Bausteine die Brüder selbst sein sollen, durchaus notwendig; kein Tag aber ist so geeignet, unsern geistigen Bau auf seine Festigkeit und seinen inneren Wert zu prüfen als das Stiftungsfest; denn an diesem jährlich wiederkehrenden Tage soll die Loge als Ganzes sich jedesmal innerlich erneuern. >50< Wie ist es nun, wenn wir solche Prüfung anstellen ? Sollte da nicht unser Mut und unser Selbstvertrauen in ein bedenkliches Wanken kommen? — Sehen wir doch einmal uns unsere lebendigen Bausteine an. Hat jeder die richtige Form? Ist jeder von der erforderlichen Festigkeit? Steht jeder an seinem rechten Platze? Ist jeder mit seinen benachbarten Steinen so fest verbunden, wie es für die Sicherheit und den Bestand des Baues nötig ist ? — Das sind Fragen, die wir uns heute vorlegen müssen, und der Mut, sie zu bejahen, dürfte uns doch wohl gebrechen. O gewiß, es fehlt unserem Bau an allen Ecken und Enden, denn wir sind Menschen, mit Schwächen und Fehlern behaftet wie die rohen Bruchsteine mit Schroffheiten und Unebenheiten. Aber, wenn wir sagen, wir sind Menschen, so heißt das auch: wir sind vernunftbegabte Wesen, in denen das Göttliche nach Gestaltung ringt, und die berufen sind, durch des Geistes Kraft die Finsternis zu besiegen. Solcher Sieg kann uns aber nicht beschieden sein, wenn wir den Feind nicht ins Auge fassen. Und eben darum haben wir heute unsern Bau zu prüfen. Wie viele Bausteine finden wir nun aber bei solcher Prüfung, die nicht das sind, was sie sein sollen! Ich will nicht davon reden, daß alle des Ruhmes ermangeln, den wir vor dem richtenden Winkelmaß des höchsten Meisters haben sollen; nein! wir dürfen nur einen menschlichen Maßstab anlegen. Ein irdischer Meister, der da prüfen und richten will, muß sich bescheiden und vorlieb nehmen. Er kann nicht den Brüdern ins innerste Herz sehen, aber er kann und muß verlangen, daß bei jedem Mitgliede sich Streben und guter Wille zeige. Sieht er nun so manchen lässig am Bau, sieht er so viele gleichgültig und interesselos sich ganz fernhalten, so darf ihn das nicht entmutigen, vielmehr muß es ihn gerade anfeuern, seinen Mahn- und Weckruf immer und immer wieder erschallen zu lassen und immer wieder zu versuchen, die Säumigen, die abseits liegenden Bausteine heranzuziehen, sie in den Bau einzufügen und mit den anderen Steinen zu verbinden. Wie überall, wo es sich im Menschenleben um die Gegensätze von Ideal und Wirklichkeit handelt, so muß man auch hier die Wirklichkeit in Rechnung ziehen, ohne das Ideal und seine wirksame Kraft aufzugeben; und das ist gerade das Große an unserer k. Kunst, daß sie uns das Ideal stets in seiner ganzen Größe und Hoheit vor Augen führt und uns doch stets dabei lehrt, den realen Boden nicht unter den Füßen zu verlieren. Diejenigen, die da meinen, die Freimaurerei sei nichts als eitel Schwärmerei, haben Unrecht, weil sie die k. Kunst nicht verstehen und nicht die Fingerzeige unserer Akten zu benutzen wissen. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Wir werden überall, auf allen Stufen, hingewiesen auf das Praktische, das Notwendige, das, vom Lichte des Ideals erleuchtet und geheiligt, uns den rechten Weg führen soll, nicht einen Weg der traurigen Mittelmäßigkeit, sondern einen Weg der Mitte, von dem sich alles überschauen läßt, der uns die Wahrheit offenbart, und der uns sicher dem Ziel entgegenführt. Solch eine Stelle unserer Akten, wo es sich um die unmittelbare Zusammenstellung von Ideal und Wirklichkeit handelt, möchte ich heute zur Betrachtung heranziehen, eine Stelle, die gerade von dem handelt, was uns heute beschäftigt, — von der Loge. In unserem ersten Fragebuche (II. Abt., 2. Art., Fr. l bis 9) finden wir eine Beschreibung der Loge, die von der Ausdehnung derselben nach Länge und Breite, Höhe und Tiefe redet. Ein Bild der Unendlichkeit wurde uns dort entrollt; denn alle diese Dimensionen gehen ins Unermeßliche, und gekrönt wurde dieses Bild durch die himmelblaue Decke, bestreut mit goldenen Sternen; das Gewand des ewigen Meisters, der, wie es an einer anderen Stelle heißt (III. Abt., 3. Art., Fr. 14 bis 16), gekleidet ist „in Gold und Himmelblau“, bildet das Gewölbe, unter welchem der Bau der Loge sicher ruht. Im vorhergehenden Vortrage habe ich mich über diese Aktenstelle ausführlicher verbreitet, heute wollen wir die sich daran anschließenden Fragen (10 bis 12) betrachten. Wenn uns jene erwähnten Fragen einen Flug in die Unendlichkeit tun lassen, so werden wir durch die folgenden Fragen zurückgeführt zur menschlichen Beschränktheit, aus dem Reiche der Ideale zur Wirklichkeit. Dort handelt es sich um das Urbild der Loge, die der ewige Meister sich selbst errichtet hat; hier werden wir erinnert an die Loge, wie sie die Menschen sich nach jenem Muster zu erbauen suchen. Die betreffenden Fragen aber lauten folgendermaßen: „Warum wird der Name Loge den Gesellschaften gegeben, welche die Freimaurerbrüder ausmachen? Zum Andenken an die verschiedenen Lager, welche die Israeliten während ihres vierzigjährigen Zuges von Ägypten nach dem gelobten Lande in der Wüste aufschlugen. Warum werden die Versammlungen in der ersten Abteilung des Ordens Johannislogen genannt? >52< Weil der Orden den heiligen Johannes zum Patron angenommen hat. Wann nannten sich die Mitglieder dieser Gesellschaften Freimaurer-Ritter? Sie haben diese Benennung in späterer Zeit, die mir noch nicht bekannt ist, angenommen, obgleich sie vorhin nie so genannt sein wollten.“ Es ist uns wohlbekannt, daß unsere Akten zur symbolischen Darstellung dessen, was sie uns überliefern wollen, die Traditionen des Volkes Israel, des auserwählten Volkes Gottes, vielfach heranziehen. Personen, Örtlichkeiten, Bauwerke, wie der Tempel Salomos, historische Ereignisse u. dgl. müssen diesem Zwecke dienen. So auch hier. Die Zeit des Auszuges aus Ägypten und der vierzigjährigen Wanderung nach Kanaan wird uns ins Gedächtnis zurückgerufen. Wenn nun unsere Logen mit den Lagern verglichen werden, welche die Juden während ihres langen Weges durch die Wüste aufschlugen, so ist wohl der erste Gedanke, der uns dabei aufsteigt, die Erinnerung an das Schriftwort: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr. 13,14.) Eine Wanderung ist dein Leben, o Mensch, einem Zuge durch eine weite Wüste zur fernen Heimat zu vergleichen. Zwar werden die Kinder der Welt das nicht zugeben wollen, denn sie meinen, die Welt, in der wir wandern, sei so übel nicht, und mannigfache Freuden erblühen uns auf unserm Wege. Gewiß; das wollen wir nicht verkennen und dankbar annehmen, was Gottes Güte uns bereitet hat. Auch über der Wüste, durch welche Israel zog, ging die strahlende Sonne auf, und der Mond ergoß nachts sein mildes Licht auf den Weg der Wanderer. In der Pracht des Sternhimmels schimmerten ihnen die Lichter der ewigen Heimat entgegen, und wenn die Sonne mit glühenden Pfeilen die müden Pilger versengt hatte, dann winkten ihnen wohl freundliche Oasen mit ihrem Palmenschatten und ihren erfrischenden Quellen. Aber es war doch immer eine Wüste, durch die sie zogen, es war ein Marsch voll Plagen und Entbehrungen. Und so ziehen auch wir Maurer durch die Welt, suchend die bleibende Stadt, die ewige Heimat, wo Ruhe und Frieden uns verheißen ist. Auch wir kommen aus der Knechtschaft und suchen Freiheit. Wie die Israeliten dem harten Frondienst des Pharao entflohen, so wollen auch wir uns befreien von aller Sklaverei, die unsern Geist in Fesseln schlagen will. Und für diese mühevolle Wanderung in das Land der Freiheit haben wir uns verbunden, um mit vereinten Kräften die Wegesmühen zu überwinden. Der Mensch erbaut sich sein Haus auf Erden, er will ein Heim haben, dessen Frieden ihm schon hienieden den Himmel bereitet, er gründet eine Familie, sammelt Schätze und ein reiches Besitztum: aber — er hat keine bleibende Stätte; seine Lieben kann ihm der Tod entreißen, sein Haus kann des Feuers Wut zerstören, seine Habe kann zerstreut werden, und nichts bleibt dem müden Pilger dann übrig, wenn er nicht seine Hoffnung auf Höheres gesetzt hat. So geht es auch uns mit unserer Loge. Unsere Väter haben sie erbaut, und wir bewohnen sie nach ihnen, aber es ist keine bleibende Stätte. Lagerzelte sind die Logen, in denen die einzelnen Freimaurer-Familien wohnen, aber nichts Festes. Das merken wir, wenn das Licht in unserer Loge sich entzündet und verlischt, wenn sie geöffnet und wieder geschlossen wird. Dann werden die Pflöcke, welche die Zeltseile hielten, ausgezogen, und die Leinwand wird zusammengerollt, wie unsere Arbeitstafel zusammengerollt wird. Wir müssen weiter, wieder hinaus in die Wüste — in die Welt. Wohl uns aber, wenn wir im Innern unserer Arbeitsstätte sowie in unserm Herzen das zu bewahren wissen, was der Loge ihren ewigen Gehalt gibt, und wodurch sie sich immer von neuem aufrichtet: das ist die Sehnsucht nach der Heimat, nach dem Lande des Friedens, wo das Licht nicht mehr wechselt, wo der Friede dessen wohnt, der unsere Hoffnung in dieser Zeit voll Unruhe war. Auch die Kinder Israel zog diese Hoffnung vorwärts. Die Zeit der Knechtschaft war vorüber, und die Zeit der Wanderung und Prüfung begann. Wohl wollte ihnen oft der Mut sinken, wenn der dürre Wüstensand, vom Sturm gepeitscht, sie wie mit glühenden Nadeln stach und der rauhe Fels der Einöde ihren Fuß verwundete; wohl sehnten sie sich manchmal aus Mühen und Beschwerden zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens, wo sie zwar in dumpfer Sklaverei dahinlebten, aber es doch bequem und vollauf hatten. So geht es auch uns, so geht es dem strebenden Maurer, wenn ihm der steile Pfad zur Höhe zu rauh wird; er sehnt sich wohl zurück auf den breiten Weg, den alle Welt dahingeht. Aber wie die Kinder Israel sich aufrafften zu neuer Tatkraft, so auch er. Der Herr selbst stärkte und erquickte sie; er ließ dem darbenden Volke Manna vom Himmel fallen und sandte ihm Wachteln zur Speise, und der Stab ihres Führers schlug an den starren Fels, also daß der erfrischende Quell lebendigen Wassers >54< hervorsprang. Und der Herr selbst ging seinem Volke voran. Es wird erzählt, daß er den Wanderern den Weg zeigte, bei Tage als eine Wolkensäule und bei Nacht als eine Feuersäule. — Also werden auch wir gestärkt und aufgerichtet, wenn wir schwach werden und wanken wollen, durch die Himmelsspeise, die da ist, daß wir den Willen des Vaters tun. Und auch die Wolken- und die Feuersäule geht uns voran; beide sind uns gezeigt auf unserer Arbeitstafel in den im Westen stehenden Säulen; über der zur Rechten erblicken wir das Zeichen des Wassers, die Wasserwaage, und über der zur Linken das Zeichen des Feuers, das Senkblei. In beiden aber versinnbildlicht sich die Kraft des göttlichen Lebens, das uns vorwärts bringt. Mitten in der Wüste aber erhielt Israel das Palladium, das es aus einer flüchtigen Nomadenschar zu einem einheitlichen Volke erheben sollte: das war das Gesetz des Herrn, welches sein gewaltiger Führer Moses ihm von des Sinai Höhen herab brachte, das Gesetz, vor dessen erhabener Größe der Dienst um das goldene Kalb in sein Nichts zurücksinken mußte. Nun hatte die zerstreute Herde ihren rechten Halt und ihren wahren Mittelpunkt gefunden, und wenn nun die Lagerzelte aufgeschlagen wurden, dann scharten sie sich um die Hütte des Stiftes, die das Heiligtum des Volkes, die Bundeslade mit den Gesetzestafeln, barg, und die prangend in der Mitte der Zeltstadt sich erhob, ein Vorbild jenes festen Tempels, den einst Salomo in der neuen Heimat dem lebendigen Gott errichten sollte. Also sind auch unsere Logen gereinigt durch das allen gemeinsame Heiligtum, durch den Glauben an Gott, den allmächtigen Baumeister der Welt, und an sein heiliges Wort der Wahrheit, wie es uns offenbart ist in dem Buche, das auf unseren Altären ruht. Kein Götzendienst darf uns davon abwenden, nichts Fremdartiges darf den reinen Dienst des Lichtes, zu dem wir versammelt sind, durchsetzen und verunreinigen. Das auserwählte Volk hatte seinen Moses zum Führer, der ihm das Gesetz gebracht hatte, und der es richtete und strafte, wenn es von Jehovah abfallen wollte. Auch wir haben uns unsern Führer erwählt: Johannes den Täufer. Er ist der rechte Prediger in der Wüste, durch die er uns dem gelobten Lande entgegenführt, wo der regiert, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Darum werden unsere Logen Johannislogen genannt. Johannes ist der rechte Wegweiser, der uns vorwärts führt. Moses führte die Seinen aus dem Diensthause in Ägypten hinaus, um sie zu einem großen und selbständigen Volke zu machen. Aber das Volk war in der Knechtschaft entartet und so, wie es da war, durchaus ungeeignet, seine große Bestimmung zu erfüllen. Es mußte erst geprüft werden und innere Wandlungen erfahren, ehe der edle Kern, der in ihm ruhte, sich entwickeln konnte. Während der vierzig Jahre der Wüstenwanderung entstand ein ganz neues Geschlecht, das allein so tüchtig war, daß es sich die neuen Wohnsitze erkämpfen und das neue Reich gründen konnte, und nur wenige von denen, die aus Ägypten ausgezogen waren, bekamen das gelobte Land zu schauen. Selbst Moses war nicht unter diesen. So läutert und reinigt uns Johannes von Grund aus durch seinen strengen Mahnruf zur inneren Erneuerung. Und so wie Moses auf das in starre Steintafeln geschriebene Gesetz hinwies, so zeigt uns Johannes das innere Gesetz des Lebens und der Entwicklung, das eben das Gesetz der Umwandlung und Erneuerung ist. Und noch mehr! Wie Moses die Israeliten in blutigen Schlachten anführte gegen die feindlichen Völkerstämme, welche sich dem Zuge des Volkes nach Kanaan entgegenstellten, so drückt auch Johannes uns das ritterliche Schwert in die Hand zum Kampfe gegen die feindlichen Gewalten, welche unser Werk stören und unsern Bau hindern wollen. Freimaurer-Ritter nennen wir uns, nicht allein zur Erinnerung an jenen alten, längst untergegangenen Ritterorden, mit welchem, wie man früher mit Bestimmtheit annahm, die Geschichte unserer Ordensverbindung verknüpft sein sollte, sondern als eine Mahnung, daß wir mit der strengen Pflicht der Arbeit an unserm geistigen Tempelbau auch jene Tugenden verbinden sollen, welche die ritterlichen Ordensverbindungen des Mittelalters auszeichneten: Mut und Unerschrockenheit im Kampfe für die höchsten Güter der Menschheit, wahre Frömmigkeit und Demut vor Gott, unserm höchsten Herrn und Meister, Gehorsam seinem heiligen Willen, Reinheit der Sitten und Barmherzigkeit, die uns sein läßt ein Hort und Beschützer der bedrängten Unschuld. Unsere Loge aber, die heute von neuem sich aufbaut, soll, wenn sie auch nur, wie die Stiftshütte, ein Zelt ist, das aufgeschlagen und wieder abgebrochen wird, dennoch das Urbild des ewigen Baues in sich tragen, das da hergenommen ist von dem unendlichen Bauwerk der Welten; in ihm soll thronen der ewige Meister, wie einst im Allerheiligsten auf der Bundeslade über den Cherubim, und die Mitglieder, die sie in fester Bruderkette bilden, sollen sein Bürger des ewigen Gottesreiches, zwar hier ohne bleibende Stadt, aber voll froher Gewißheit der ewigen Heimat, so wie der Psalmist singt: „Ich bin beides, dein Pilgrim und dein >56< Bürger, wie alle meine Väter“ (Ps. 39, 13), und sie sollen sein nicht nur treue Arbeiter am großen Geisteswerke, sondern auch mutige Kämpfer und Ritter, die bereit sind, sich zu opfern im Kampfe für Licht und Wahrheit. Ein jeder von uns prüfe sich selbst heute am Tage der Rechenschaft, ob er solchen Anforderungen genügt, denn nur dann, wenn jeder an seiner rechten Stelle steht, wenn jeder seine Pflicht tut und jeder mit seinen Brüdern in Eintracht und Liebe fest verbunden ist, kann die Loge das sein, was sie sein soll, und sich aufbauen, Segen verbreitend nach innen und nach außen als „eine Hütte Gottes bei den Menschen“. (1903.) Orden und Ritterschaft. Zum Johannisfest. Das Fest, das wir heute begehen, vereinigt alles, was des Maurers Herz erwärmen und begeistern kann. Mit tausend Stimmen predigt uns die erwachte und bräutlich geschmückte Natur die Allmacht und Allgüte des Schöpfers und erfüllt unsere Herzen mit Dank und Freude. Ein Licht flutet heute auf uns herab, in dessen hellem Scheine wir deutlicher als sonst erkennen, was uns die unergründliche Huld des Vaters gegeben hat. Die Rosen heften wir an unsere Brust als Zeichen unserer Festfreude, aber wir sehen sie auch am Herzen des Bruders, aus dem sie uns gleichsam entgegen blühen. Auch in seiner Brust sind dieselben festlichen Gefühle heute wach geworden; Freude, Begeisterung, Hingebung, Liebe und Treue wohnen in seinem Innern, und die Rosen erzählen uns davon mit ihrem Farbenschmelz und Duft: Das alles ist für dich bereitet, zu deiner Festfreude hergerichtet. Ja, noch schöner als das Prachtgewand der Schöpfung strahlt uns heute das Licht aus den Herzen der Brüder. Zwingt uns der geschmückte Tempel der Natur zur Andacht und läßt uns unsere Kniee beugen vor dem großen Weltenmeister, so zieht uns das, was aus dem Bruderherzen uns entgegenkommt, empor und läßt die gleichgestimmten Saiten in unserm Inneren anklingen. Aber diese Saiten können nur zum Tönen gebracht werden, wenn sie die gleiche Stimmung haben. Nicht mühelos dürfen wir die Gaben hinnehmen, welche das heutige Fest uns spenden will, und nur ein wohl vorbereitetes Herz kann sie würdig empfangen und sich ihrer erfreuen. Darum ist es unsere erste Pflicht am heutigen Feste, uns solcher Vorbereitung zu unterziehen, damit wir wohl geschickt seien, die Feier zu begehen. >58< Das erste Wort, welches heute an die Brüder gerichtet wurde, war der Ruf: „In Ordnung!“ welcher, unterstützt von einem harten Schlage des Hammers, alle Glieder unserer Kette zwang, in das Zeichen zu treten und den rechten Winkel an sich anzulegen. Das geschieht wohl bei jeder Arbeit, die wir eröffnen; aber stärker und eindringlicher als sonst ergeht an uns der Ordnungsruf am heutigen Feste, heute, wo der Grundgedanke und das Wesen unserer Vereinigung in höherem Maße als sonst in uns lebendig werden soll. Das Wort „Ordnung“ mahnt uns daran, daß wir uns in einem Orden befinden und als Glieder eines solchen zu fühlen haben. Wir halten diese Bezeichnung, entgegen anderen freimaurerischen Lehrarten, welche dafür das Wort „Bund“ gebrauchen, aufrecht, und zwar mit gutem Grunde. In unserm Lehrlings-Fragebuche findet sich die Frage: „Wann nannten sich die Mitglieder unserer Gesellschaften Freimaurer-Ritter?“ und die Antwort darauf lautet: „Sie haben diese Bezeichnung in einer späteren Zeit, die mir noch nicht bekannt ist, angenommen, obgleich sie vorhin nie so genannt sein wollten.“ Wenn nun aber auch unsere frühsten Vorfahren die ritterliche Benennung nicht geführt haben, und wenn auch die faktische historische Verbindung mit einem mittelalterlichen Ritterorden durch die Geschichtsforschung, wenn auch nicht widerlegt ist, so doch sehr zweifelhaft erscheint, so hat doch jene Zeit, in der man fest an diesen Zusammenhang glaubte, ihre Signatur an unserer Verbindung zurückgelassen, und schon in pietätvoller Erinnerung an jene Zeit lassen wir die Bezeichnung „Orden“ nicht fallen. Außerdem aber gibt es noch innere Gründe, aus denen wir sie beibehalten. Ein Bund kann gelöst werden; Bündnisse, die zwischen Völkern geschlossen werden, sind nicht beständig, sie können rückgängig gemacht werden, wenn die politische Konstellation sich ändert, ebenso Bündnisse zwischen Gesellschaften und einzelnen Personen. Eine Ordensverbindung dagegen ist unverbrüchlich und für die Ewigkeit geschlossen, und unser Handbuch sagt in seinem ersten Paragraphen, daß wir uns einen Orden nennen, weil unsere Mitglieder durch ein feierliches, für alle Zeit bindendes Gelübde verpflichtet sind, ihr Leben nach einer bestimmten Regel einzurichten. Erhält hierdurch die Bezeichnung „Orden“ einen viel stärkeren moralischen Nachdruck, so erinnert sie uns außerdem durch ihre Abstammung an die Ordnung, zu welcher uns der Hammer ruft; denn das lateinische Wort „ordo“ bedeutet Reihe, Ordnung, und das ist es gerade, was uns die Benennung „Orden“ so wert macht, daß wir sie beibehalten. Wenn ich eine Menge von Gegenständen gleichartiger oder ungleichartiger Natur, planlos durcheinander geworfen, vor mir liegen sehe, so empfange ich damit den Eindruck der Verwirrung, und mit einem gewissen Unbehagen, das ich darüber empfinde, regt sich in mir der in der menschlichen Natur tief begründete Trieb, diese Verwirrung zu beseitigen, Klarheit, Übersichtlichkeit zu schaffen, das Gleichartige von dem Ungleichartigen zu scheiden und zusammenzubringen, jedem Dinge nach seinem Werte und seiner Beschaffenheit die rechte Stelle zu geben, mit einem Worte: Ordnung zu schaffen. Aber dieser Ordnungstrieb ist dem Menschen nicht allein eigen. Sogar in der Tierwelt sehen wir seine Betätigung, und merkwürdigerweise bei niederen Tieren, bei denen wir nur eine geringe Intelligenz voraussetzen können. Wenn wir einen Ameisenhaufen anschauen, so sehen wir einen Staat vor uns, in welchem Ordnung und Gesetz herrschen. Alle scheinen durcheinander zu laufen, und doch weiß jeder, was er zu tun hat, und wo er hin soll. Und die Bienen bauen ihre sechsseitigen Zellen mit einer Regelmäßigkeit und Ordnung, als hätten sie sich dazu des Zirkels und des Lineals bedient. Was aber das Tier ein dunkler Trieb tun heißt, dem es notwendig gehorchen muß, das geschieht beim Menschen aus einer höheren Einsicht heraus, die er durch das Göttergeschenk seiner Vernunft erlangt. Jedes Werk, das von der Intelligenz des Menschen Zeugnis ablegt, hat zur Vorbedingung die Ordnung. Ein Kaufmann kann durch Fleiß und Betriebsamkeit nicht zum Wohlstand gelangen, wenn die Ordnung in seinen Rechnungsbüchern fehlt; der Industrielle kann nichts vor sich bringen, wenn nicht der Organismus seiner Fabrik auf strenger Gesetzmäßigkeit und Ordnung gegründet ist; ein Kriegsheer ist nur dann schlagfertig und unüberwindlich, wenn in allen seinen Teilen, im größten wie im kleinsten, Ordnung und Gesetzmäßigkeit das Ganze zusammenhalten und leiten. Das ganze Staatswesen, seine Regierung, seine Verfassung, seine Einrichtungen beruhen auf Ordnung. Alles muß seinen geregelten Gang gehen, alles muß ineinandergreifen, alles bedingt >60< sich gegenseitig und dient dem Ganzen, das durch das unverbrüchliche Band der Ordnung zusammengehalten wird. Am herrlichsten aber offenbart sich der Ordnungssinn in der Wissenschaft und in der Kunst: Die Wissenschaft baut ihre Systeme nach logischen Gesetzen; durch ihre Einteilungen und Klassifikationen schlingt sich das Band der Ordnung; in der Kunst führt wohl die Phantasie ihr freies Zepter, und der Genius des Künstlers sucht sich seine eigenen unbetretenen Pfade. Aber hinter ihm geht die Ordnung ihren stillen, festen Schritt, und ihrer sanften Fessel fügt er sich gern. Wie ein brausender Strom treffen die Tonwogen der Symphonie unser Ohr, und doch herrscht Ordnung darin; was uns erschütternd und erhebend mit sich fortreißt, beruht in seinem Innern auf den einfachen Gesetzen der Ordnung, auf der Reihe der Tonskala, auf den einfachen Verhältnissen der Schwingungszahlen, die den Wohlklang der Töne eines Akkordes bedingen, auf dem Ebenmaß des Taktes, auf dem Pulsschlag des Rhythmus. Die Schöpfungen der Architektur erfüllen uns mit Bewunderung, ihre Dome erheben uns zur Andacht; aber gerade in ihren Kunstwerken zeigt es sich am augenfälligsten, daß alle Wirkung auf der Ordnung beruht, die alles in ihre strenge Regel gezwungen hat. Wir sprechen von Säulenordnungen, nicht nur insofern, als sich uns Reihen von Säulen zeigen, die in gleichmäßigen Abständen geordnet sind, sondern auch, weil in jeder Säule für sich Verhältnisse der einfachen Zahlen sich zeigen. Doch genug! Dies Wenige mag uns zeigen, welch hohe Macht es ist, die der Dichter preist, wenn er singt: Heil'ge Ordnung, segensreiche Himmelstochter, die das Gleiche Frei und leicht und einig bindet, Die der Städte Bau gegründet, Die herein von den Gefilden Rief den ungesell'gen Wilden, Eintrat in der Menschen Hütten, Sie gewöhnt zu sanften Sitten, Und die heiligste der Bande Wob, den Trieb zum Vaterlande! Und nun unsere k. Kunst! Wie sollte sie sich der Ordnung und Regel entziehen können, sie, die, ich möchte sagen, die Inkarnation aller Ordnung ist! Wenn bei jedem anderen Kunstschaffen die Ordnung im Anfange nicht nötig und entbehrlich erscheint und sich erst später als die notwendige Führerin einstellt, so ist sie in unserer Kunst die unerläßliche Vorbedingung, welche erfüllt sein muß, ehe von einem Anfang überhaupt die Rede sein kann. Daher die erste Forderung bei jeder Arbeit: „In Ordnung!“ die heute an unserem Feste ganz besonders mahnend an unser Inneres ergeht; daher das Stellen in das Zeichen, das Anlegen des rechten Winkels an uns selbst; daher die Bezeichnung unserer Verbindung, in welcher Gesetz und Regel die Vorbedingungen sind, mit dem Namen „Orden“. Zu einem Tempelbau sind wir gerufen. Unser Inneres sollen wir ausgestalten zu einem solchen und dabei das große Ziel im Auge behalten, daß die ganze Menschheit, die noch so vielfach durch die Mächte der Finsternis zerrissen und zerspalten ist, gleichfalls zu einem Tempel sich aufbaue, in dem der Name des Herrn gepredigt werde, und in dem alle anbeten sollen den Einen, der der Vater aller ist. — Wie beginnen wir das ? — Wir müssen uns ordnen, die geistigen Kräfte unseres Inneren konzentrieren und auf den einen Punkt leiten, aus dem heraus allein dem Werke Gedeihen entsprießen kann. Das Leben hat uns eine Unzahl Eindrücke gebracht, und unser Gedächtnis hat in unserm Inneren Tausende von Dingen, Gedanken, Erinnerungen, Lehrsätze, Pläne angehäuft. Hier muß Ordnung geschaffen werden. Hier gilt es zu prüfen, zu sichten, das Wichtige, für unseren Bau Ersprießliche, heranzuziehen, das Unnütze, Hindernde, Schädliche zurückzudrängen, abzuweisen und, wenn möglich, ganz auszustoßen. Und die Regungen, die aus unserm Inneren aufsteigen, dürfen uns nicht aus der Bahn werfen, das Edle und Reine muß genährt, das Üble muß bekämpft und bezwungen werden. Die ewige Norm aber gibt uns dafür der Gedanke, daß wir einen Meister haben, dessen allsehendes Auge unsere Arbeit prüft, vor dem keine Unordnung und Zügellosigkeit bestehen kann, der uns im Tempel seiner Natur die herrlichste Ordnung zeigt, wo jedes seine Stelle ziert und nach ewigen Gesetzen regiert wird. In unserer Brust pocht sein Hammer, der uns mit jedem Pulsschlage zur Ordnung ruft. Und unsere Werkzeuge verkündigen uns seine Gesetze. Was wollen denn alle diese Geräte, Wasserwaage und Senkblei, nach denen wir uns stellen, das Winkelmaß, das wir an uns anlegen, der Zirkel, den wir uns auf das Herz setzen, der Hammer, dem wir gehorchen, die Kelle, die uns das ewige Wort der Wahrheit verkündet — was wollen sie anders als uns ordnen und richten und uns führen von der Finsternis zum Licht! >62< Und selbst das Schwert in unserer Hand, das wir ritterlich als Glieder eines Ordens führen sollen, es will nichts anderes als Ordnung schaffen, freie Bahn für unsere Arbeit; es will nicht töten, es will Leben erwecken. Nur den finsteren Mächten ist unser blanker Stahl geschliffen, und schützend streckt er sich aus über das, was unschuldig, rein und heilig ist. So stehen wir fest zusammen, wohl geordnet und gerichtet als ritterliche Brüderschaft und richten heute, am hohen Feste des Ordens, unsern Blick auf unser höchstes Ziel: ein Hirt und eine Herde! eine Ordnung für alle. Die Unerreichbarkeit dieses Ideals darf uns nicht entmutigen. Suchen wir es zunächst in unserm kleinen Kreise zu verkörpern, und bleiben wir heute fest in dem Gedanken, daß wir nicht für uns allein in Ordnung treten, sondern daß, wenn wir Schulter an Schulter in der Kette stehen, geordnete Reihen bildend durch Süd und Nord, Ost und West, der große Gedanke einer Verbrüderung der Menschheit hier nach Gestaltung ringt. Wenn wir uns also ordnen und richten wollen, dann dürfen wir dessen nicht vergessen, der uns unterweist, wie wir unsere Werkzeuge gehrauchen sollen. Ganz benachbart jener vorhin von mir herangezogenen Frage unseres Fragebuches, die uns von unserer Ritterschaft spricht, steht noch eine andere, die unseres Führers erwähnt, dessen Fest wir heute begehen: „Warum werden die Versammlungen in der ersten Abteilung des Ordens Johannislogen genannt?“ „Weil der Orden den heiligen Johannes zu seinem Patron angenommen hat.“ Wenn er heute unter uns träte und sähe das Fest, das wir ihm zu Ehren veranstalten, was würde er sagen? Würden nicht seine Worte uns ebenso schwer treffen, wie seine Zeitgenossen davon getroffen wurden? — „Ich habe“, würde er sagen, „meinem Volke die Umwandlung von innen heraus gepredigt, die Erweckung eines inneren Lebens durch rechtschaffene Früchte der Buße. Wenn ich also redete zu meinem Volke, so wollte ich nichts anderes, als Ordnung schaffen in ihrem Herzen. Ordnung tat meiner Zeit not, und glaubet nicht, daß sie eurer Zeit nicht not täte, so weit sie auch fortgeschritten sein, und so viel sie auch errungen haben mag im Vergleich mit jenen Tagen. Ihr stellt euch in Ordnung durch euer Zeichen. Wohl, ihr tut recht daran; aber sorget, daß dieses Zeichen mehr sei als eine äußere Gebärde; laßt es euer Inneres auf schließen und eures Herzens Härtigkeit überwinden! Ihr wollt Bauleute sein am ewigen Tempel der Menschheit. Wohl, ihr tut recht daran; aber sorget auch, daß das Werk sich fördere, und bedenket, daß es nicht gefördert werden kann mit Redensarten, sondern nur mit Taten, und bedenket ferner, daß, wenn das Werk gedeihen soll, ihr mit euch selbst den Anfang machen müßt! Ihr nennt euch Ritter. Ein hoher Name! Wenn ihr ihn führen wollt, so führt ihn würdig! Er erhält seinen Wert nicht durch Prunk und Eitelkeit, sondern der rechte Adelsbrief wird errungen durch Demut, Edelsinn, Unerschrockenheit und Hilfsbereitschaft, und bedenket, daß das Wort, das ich einst zu den Kriegsleuten gesprochen habe: »Begnüget euch mit eurem Solde!« auch noch heute für euch gilt: Laßt euch genügen an dem Lohne, den ihr in eurer Brust findet als Preis eurer guten Taten und Gesinnungen! — Ihr feiert mir zu Ehren ein Fest, mir, der ich den Dornenpfad der Wüste ging, wo ein härenes Gewand meine Glieder deckte, und ein Stein meines Hauptes Pfühl war. Ihr setzt euch an die wohlbesetzte Tafel und freuet euch des Weines, da doch wilder Honig und Heuschrecken meine Speise waren, und der spärliche Quell der Einöde meinen Gaumen letzte. Freuet euch immerhin und genießet, was euch der allgütige Vater beschieden! Freuet euch eurer schönen Gedanken und schönen Empfindungen, aber sorget, daß sie zur Wahrheit werden! — Ihr schmücket eure Brust mit Rosen. Mir haben keine geblüht im dürren Wüstensande. Aber schmücket euch immerhin! Bedenket aber wohl, daß dieser Schmuck euch nicht geschenkt ist, sondern, daß ihr ihn verdienen müßt! So verdienet denn die weiße Rose durch Reinheit des Herzens und Lauterkeit der Gesinnungen; traget mit Ehren die hellrote Rose auf einem Herzen, in dem Menschenliebe und Begeisterung für alles Wahre, Gute und Schöne wohnt, und machet euch würdig der Purpurrose durch selbstlose Hingabe und freudigen Opfermut für alles Große und Göttliche! Gesegnet sei euer Fest, wenn ihr es feiert im rechten Sinne, wie es meines Namens und meiner Lehre würdig ist! —“ (1903.) >64< Wo ist die allgemeine oder Johannis - Freimaurerloge gelegen? In dem zweiten Artikel der zweiten Abteilung unseres Fragebuches unterrichtet uns der Orden über die Beschaffenheit der Loge. Er spricht zunächst von ihrer Gestalt und führt uns ein Idealbild vor, das mit allen seinen Dimensionen, Länge, Breite, Höhe, Tiefe, die Unendlichkeit umfaßt. Als Abbild des ewigen Tempels der Natur wird uns die Loge vorgeführt in Frage l bis 9. Die folgenden Fragen stehen dazu in einem gewissen Gegensatz; sie verlassen den allgemeinen Begriff der Loge und gehen ins Spezielle ein, indem sie sprechen von den Logen als Vereinigungen von Brüdern, von Bauleuten, die in ihnen versammelt sind zur Förderung des Werkes, das durch sie zur Ausführung gelangen soll; dann wird noch spezieller auf die die unterste Abteilung des Ordens bildenden Johannislogen und auf ihre Bewohner sowie deren Benennung eingegangen. Nun endlich folgen die Fragen 13 bis 22, welche uns wieder in das ideale Gebiet erheben. Sie behandeln die Lage der allgemeinen oder JohannisFreimaurerloge und führen uns, anstatt uns die Unendlichkeit nach allen Dimensionen zu zeigen, an eine ganz bestimmte Örtlichkeit des bewohnten Erdkreises. Nicht jene leicht beweglichen, veränderlichen Lager, die heute aufgeschlagen und morgen abgebrochen werden wie jene Zeltlager des Volkes Israel bei seinem vierzigjährigen Zuge durch die Wüste, kommen hier in Betracht, mit welchen die vielen Logen, die sich hier und dort erheben, in Frage 10 verglichen wurden, sondern die allgemeine oder Johannis-Freimaurerloge. Es handelt sich also hier um die Idee der Loge, um ihren eigentlichen geistigen Inhalt. Die hierher gehörenden Fragen lauten folgendermaßen: „Wo ist die allgemeine oder Johannis-Freimaurerloge gelegen? Im Tale Josaphat. Wo finden Sie dieses Tal? Im gelobten Lande bei Jerusalem. Wo da? Nahe den beiden Spitzen eines hohen Berges. Wie heißt dieser Berg? Der Berg Sion. Und seine beiden Spitzen? Die eine heißt Sion und die andere Moria. Was war auf dem Berge Sion? Die Stadt Davids oder das königliche Schloß. Was stand auf dem Berge Moria? Der Tempel Salomonis. Hatte dieser Berg nicht mehr als zwei Spitzen? Noch eine dritte, die von den beiden anderen mehr geschieden war. Wie wird dieselbe genannt? Der Berg Acra. Welches Gebäude stand auf dieser dritten Spitze? Dort war später die Residenz der jüdischen Fürsten und Könige nach der Rückkehr aus Babylon.“ In das gelobte Land, nach Jerusalem, der heiligen Stadt, werden wir hier im Geiste von unsern Akten geführt. Jerusalem! Welche Gedankenreihen und Vorstellungen werden in uns durch die bloße Nennung dieses Namens wachgerufen! Eine Weltstadt ersten Ranges wird durch diesen Namen genannt, ja, ich möchte sagen: Jerusalem ist geradezu die Hauptstadt der ganzen Welt. Freilich suchen wir bei ihr alle die Vorzüge vergebens, welche die anderen sog. Weltstädte auszeichnen. Es ist nicht mehr die Residenz eines mächtigen Fürsten; der Thron, der dort einst stand, ist längst zertrümmert und dahin gesunken; es ist nicht der Konzentrationspunkt eines großen einigen Volkes; seine Einwohnerschaft zeigt ein buntscheckiges Gemisch von verschiedenen Völkerstämmen und Nationalitäten. Die Lage der Stadt ist mit der anderer Hauptstädte gar nicht zu vergleichen. Beinahe eine Wüste zu nennen >66< ist das Land, in welchem Jerusalem liegt. Es liegt weder am Meere, noch hat es durch einen Fluß eine Wasserstraße, welche einen regeren Handelsverkehr vermitteln könnte. Stätten der Kunst, Luxus und Wohlleben suchen wir vergebens in ihr. Dennoch bleibt Jerusalem eine Weltstadt ohnegleichen durch die weltbewegenden Ideen, deren Träger und Bewahrer es geworden ist, durch die hell leuchtenden und erwärmenden Offenbarungen, die von ihm aus die ganze Welt durchdrangen, und durch die historische Bestimmung, welche ihm, als der Hauptstadt des auserwählten Gottesvolkes, auch noch jetzt zugeteilt ist. „Stätte des Friedens,“ das ist die Bedeutung des Namens dieser heiligen Stadt. Aber der Genius des Friedens hat selten längere Zeit in ihr geweilt. Erbitterte Kämpfe sind noch vor ihrer Erbauung um die Stätten, auf welchen sie errichtet wurde, ausgefochten worden, erbitterte Kämpfe haben vor und um ihre Mauern getobt, alle Gräuel der Zerstörung und Verwüstung sind über sie ergangen, und die Prophezeiung hat sich an ihr erfüllt, daß kein Stein auf dem andern bleiben werde. Aber dennoch ist die Kunde von dem, was einst Großes und Heiliges in ihr lebte, die Friedensbotschaft, die ihr den Namen verlieh, nicht verschollen und verklungen; sie wirkt hinaus über den ganzen Erdkreis, und alle falschen Propheten, alles wüste Geschrei und alle Verwirrung können die sanfte Gewalt nicht hemmen, mit welcher sie sich die Welt erobert. In die Nähe der heiligen Stadt, in einem tiefen Tale, nahe bei den Spitzen eines hohen Berges verlegt nun unsere Überlieferung den idealen Sitz der allgemeinen Johannisloge. Wann die heilige Stadt gegründet wurde, ist unbekannt. Als das Volk Israel nach seiner vierzigjährigen Wanderschaft das Land der Verheißung in Besitz nahm, da gelang es ihm noch lange nicht, sich des Platzes zu bemächtigen, auf dem später seine Hauptstadt und seine Nationalheiligtümer sich erheben sollten. Jene Stätten waren damals der Sitz des Jebusiterstammes, und erst dem König David gelang es, dieses Volk zu unterwerfen. Er eroberte das feste Bergschloß desselben, Zion oder Sion (In der lateinischen Bibelübersetzung findet sich stets Sion, ebenso in unseren Akten, weshalb wir auch bei dieser Bezeichnung bleiben.) genannt, und baute die Feste zu seiner Königsburg aus. Der Berg, auf welchem dieses Schloß lag, war der schmale südliche Ausläufer eines Gebirgsstockes, welcher von Norden her sich längs den Kidrontales, das auch das Tal Josaphat genannt wird, erstreckte. Hoch und steil erhob sich der Berg über diesem und über dem an der Westseite hinlaufenden Tal, welches später den Namen Tyropöon, d.h. Käsemachertal, erhielt, und das sich mit dem das Südwestende der Stadt umgebenden Tal Hinnom und dem Kidrontal am Südende des Berges vereinigt. Das Tyropöon verschwand in späterer Zeit durch Ausfüllungen vollständig, ebenso die Einsenkung, welche den Berg Sion im Norden von der benachbarten Höhe Moria, oder Morijah, trennte. Dieser Berg Moria war von alters her eine heilige Stätte. Auf ihm soll Abraham den Opferherd errichtet haben, wo er auf Befehl des Herrn seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern bereit war. Der Name Moria bedeutet: Der Herr siehet, d.h. der Herr siehet gnädig darein. Als David schon auf Sion seine Residenz aufgeschlagen hatte, da gehörte der Berg Moria noch dem vom Könige überwundenen Jebusiterhäuptling Arafna, welcher dort seine Tenne hatte, und als der König auf dem Berge einen Opferaltar errichten wollte, um Jehovahs Zorn zu versöhnen, welche das Volk durch die Pest heimgesucht hatte, da wollte der fromme Arafna freiwillig den Platz hergeben. Der König aber kaufte ihm die Stätte ab. Salomo ließ später die Spitze des Berges Moria abtragen und die Einsenkung zwischen diesem und dem Berge Sion durch die Abtragung ausfüllen, die Abhänge aber durch sehr steile, aus ungeheuren Quadersteinen bestehende Strebemauern befestigen. Die sog. Klagemauer, an welcher die Juden noch heute die hingesunkene Herrlichkeit ihres Tempels betrauern, stammt möglicherweise noch aus jener alten Zeit. So entstand eine große Plattform, auf deren, nördlichem Ende, dem eigentlichen Moria, sich der Tempel Salomos erheben sollte, während ihr südlicher Teil von Salomo, der dem Tempel nahe wohnen wollte, für seine aus einer Reihe prächtiger Gebäude bestehende neue Residenz ausersehen wurde. Der Name Moria verschwand nun immer mehr und mehr; das Ganze hieß Zion oder Sion, und endlich wurde auch die ganze Stadt Jerusalem mit diesem Namen, namentlich von den Psalmisten und Propheten, bezeichnet. Nun sprechen unsere Akten noch von einer dritten Spitze des Sion-Berges, von der Spitze Akra, auf welcher, wie das Fragebuch sagt, die Residenz der jüdischen Könige nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft gestanden haben soll. Wo diese Bergspitze gelegen war, >68< läßt sich nicht genau ermitteln. In den biblischen Büchern wird der Name Akra gar nicht erwähnt. Die Nachrichten über sie stammen aus späteren Schriftstellern. Der Name legt die Vermutung nahe, daß die Benennung erst in späterer Zeit aufgekommen ist, als griechische Kultur bei den Juden Eingang gefunden hatte; das griechische Wort akra bedeutet „Spitze“. Wo lag nun aber diese Spitze? — Die mir zugänglichen Pläne des alten Jerusalem (im neuen kommt der Name gar nicht vor) geben darüber verschiedene Auskunft, auch bezeichnen dieselben mit dem Namen Akra nicht eine Erhöhung, sondern einen ganzen Stadtteil, die sog. „Untere Stadt“, welche wir entweder südlich vom Sion-Berge oder auch westlich von demselben, bis in die Nähe von Golgatha sich erstreckend, eingezeichnet finden. In welcher Beziehung steht nun die Johannisloge zu jenen drei Bergspitzen? Unsere Johannisloge liegt nicht auf der Höhe, sondern im tiefen Tal, das von jenen Höhen überragt wird. Sie ist zwar getrennt von ihnen, aber sie steht dennoch mit ihnen in einem geistigen Rapport. Wenn die Maurerschläge in ihr erschallen, wenn unter des Hammers Streichen die rauhen Steine sich zur kubischen Gestalt formen, dann klingen, wie die Akten späterer Grade uns erzählen, diese Schläge wieder von jenen Höhen, und wir vernehmen unten im Tale ein Echo, das von Sion und Moria zu uns hernieder schallt. Das will sagen, daß das Werk, das wir hier unten bereiten, dort oben auf den Höhen, die im Lichte stehen, vernommen, verstanden und gewürdigt wird. Aber es ist kein leerer Schall, der uns von dort her wiederkommt, es ist der Friedensgruß, den uns die heiligen Stätten senden, der mit Mut und Vertrauen unsere Herzen erfüllt, und „wir heben unsere Augen auf zu den Bergen, von welchen uns Hilfe kommt“. Das Werk, das wir im tiefen Tale bereiten, ist nicht für uns allein; es soll dienen den großen Ideen, die sich in jenen Höhen verkörpern, und das Licht, das wir hier unten im Dämmerschein uns erringen, ist nicht unser eigen, sondern es soll sich vereinigen mit dem Licht, das uns von den Spitzen des heiligen Berges hernieder strahlt. Ja, groß, erhaben, menschheitsumfassend ist das, was sich uns in Sion, Moria und Akra verkörpert. Jerusalem ist zu allen Zeiten das Heiligtum der Menschheit gewesen, eine Stätte des Lichtes, von der die Strahlen ausgegangen sind, die die Völker der Erde erleuchtet haben. Langsam aber sicher hat sich das Licht von dort aus verbreitet und hört nicht auf, sich ferner zu verbreiten, denn sein Lauf über den Erdkreis ist noch nicht vollendet. Aller Fortschritt und alle Entwicklung ruht in diesem Licht, und selbst diejenigen, die es schmähen und nicht annehmen wollen, werden langsam, aber unaufhaltsam in seine Bahnen hineingezogen. Jerusalem war der Zentralpunkt des Landes, welches dem auserwählten Volke Gottes als Wohnsitz angewiesen war. Daß Israel, obschon keineswegs weder das größte noch das mächtigste Volk, dennoch die anderen Völker an Bedeutung überragte, ist unzweifelhaft; verkörperte sich doch in ihm zum ersten Male der Glaube an einen einigen Gott und gelangte in ihm zum stärksten Ausdruck, (dies wird in neuerer Zeit bestritten. Die Altertumsforschungen unserer Tage haben, wie Fr. Deutsch in seiner Schrift „Babel und Bibel“ nachweist, ergeben, daß die religiösen Überlieferungen des jüdischen Volkes nicht Original, sondern von Babylon her überkommen seien. Wenn das auch richtig sein mag, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß die lebendige Kraft, die in diesen Überlieferungen liegt, in Babylon nur zu einer geringen Wirksamkeit gelangte, vielmehr latent blieb, während sie in Israel sich entfaltete und endlich eine weltbewegende Bedeutung erlangte. ) ja, dieser Glaube verdichtete sich gleichsam zur Theokratie, d.h. zu einer Staatsverfassung, in welcher Gott selbst der Herrscher und alle Gesetze Ausflüsse seines heiligen Willens waren. Auf dem Throne der Königsburg zu Sion saß also eigentlich Jehovah selbst, und der zum König gesalbte Sterbliche, der jenen Sitz einnahm, stellte die ihm verliehene Macht unter den Befehl des höchsten Gottes. Eine theokratische Verfassung aber, wenn sie sich auch auf die Dauer nicht halten kann und vollends in unseren modernen Zeiten eine absolute Unmöglichkeit ist, schließt dennoch das höchste und herrlichste Ideal in sich, das der Menschengeist überhaupt zu fassen vermag, das ist die Idee des Reiches Gottes. Die Bergspitze Sion verkörpert für uns Freimaurer diese Idee des Gottesreiches, die Hoffnung auf die große Zukunft unseres höchsten Herrn und Meisters, ein Reich, in welchem alle Kräfte einem heiligen Willen dienstbar sind, eine Gemeinschaft der Kinder Gottes, in welcher alle Glieder vereint sein sollen durch das unzerreißliche Band der Liebe, alle vereint im seligen Anschauen des Vaters als seine Kinder, als Brüder und Bürger der ewigen Gottesstadt. Sion ist der Zentralpunkt dieses Gottesreiches von seinen alttestamentlichen Anfängen an bis zu seiner irdischen und himmlischen Vollendung als ein großes Ganzes. >70< Sion ist die Stätte, wo der Herr selbst den Grund zu seinem ewigen Reiche gelegt hat, wie der Prophet spricht: „Siehe, ich lege in Sion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist. Wer glaubet, der fliehet nicht.“ (Jes. 28, 16.) Und auf Sion ist den Vollendeten die Stätte bereitet, wie der Prophet spricht: „Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und gen Sion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein.“ (Jes. 35,10.) Dort hat der Herr seinen König eingesetzt (Psalm 2, 6), und „der Herr wird wohnen zu Sion“, wie es am Schlusse des Propheten Joel heißt. Am herrlichsten zeigt uns das Bild der Vollendung auf Sion der Verfasser der Apokalypse (Offenb. Joh. 21), indem er uns ein Bild der heiligen Stadt zeichnet, wie es sein Seherauge erschaut hat, ganz erfüllt vom Glanz und von der Herrlichkeit Gottes und nicht mehr von dem Licht vergänglicher Gestirne; kein Tempel ist in ihr, sondern Gott selbst ist ihr Tempel. Das irdische Abbild dieses Tempels aber stand auf Moria, der anderen Spitze des Berges Sion. In ihm verkörperte sich zum erstenmal in der Weltgeschichte die Idee des Monotheismus, der Glaube an einen einigen Gott. Diesem war das Heiligtum von Salomo errichtet in verschwenderischer Pracht und doch einfach und schlicht in seiner ganzen Anlage, nicht eine Wohnung des Unsichtbaren und Unbegreiflichen, sondern ein Sinnbild des Universums, des ewigen Tempels, das der ewige Meister sich zu seinem Wohnsitz erschaffen hat. Durch diese Macht der Idee wurde dieser Tempel, obgleich er keineswegs der größte und prächtigste der damaligen Zeit war, nicht nur zum Nationalheiligtum des jüdischen Volkes, sondern der ganzen Welt. Uns Freimaurern aber bleibt er das unverlierbare Urbild und Muster unseres Werkes. Er stand nachbarlich gesellt der hehren Königsburg auf Sion, und wenn diese auf der Stätte des Segens errichtet war, so erhob sich jener Tempel auf Moria, der Stätte des Opfers. Dort war Abraham zum Opfer bereit, dort brachte man Jehovah Brandopfer und Speiseopfer, und einmal im Jahre betrat der Hohepriester verhüllten Hauptes das Allerheiligste, um am Versöhnungsfeste das Sühneopfer für das ganze Volk darzubringen und im Gebet Gnade herab zu flehen auf die Kinder Israel. Nur auf das Opfer folgt der Segen, das lernen auch wir bei unserer Arbeit. Wenn wir uns nicht selbst mit all unseren irdischen Trieben und Begierden hingeben an das Heilige, wenn wir nicht unser Leben verlieren, um es wieder zu erhalten zum ewigen Leben, dann wird der Geistestempel, an dessen Bau wir gestellt sind, sich nicht erheben. Von Moria, dem Berge des Opfers, kommt uns Kraft und Hilfe zur Förderung unseres Werkes. Und was soll uns nun die dritte Spitze, der Berg Akra ? Was bedeutet sie für uns ? — Unsere Akten sagen, daß auf ihr die Residenz der späteren jüdischen Könige und Fürsten nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft gestanden habe. Wir werden dadurch erinnert an die Zeiten des Verfalls und der Zerstörung, die auch jenen Heiligtümern nicht erspart geblieben sind, an jene Zeiten, da Sion verwüstet und der Tempel auf Moria seiner Heiligtümer beraubt und in Trümmer gestürzt war. Das Volk war von Jehovah abgefallen; Könige hatten es regiert, die da taten, was dem Herrn übel gefiel; Baalsdienst und allerlei Abgötterei hatte Eingang gefunden beim Volke und hatte an seinem besten Mark gezehrt. So konnte es denn nicht ausbleiben, daß Jehovahs Strafgericht die Abtrünnigen traf, als der fremde Eroberer sie überwältigte und das ganze Volk von den geheiligten Heimstätten hinweg in die Gefangenschaft führte. Aber auch in der tiefsten Erniedrigung konnte der Glaube an den alten Gott im Volke nicht ganz erlöschen. In dem tiefen Schmerz, als sie „an den Wassern zu Babel saßen und weinten, wenn sie an Sion gedachten“ (Psalm 137, 1), da erwachte mit der Sehnsucht nach dem geschändeten Heiligtum auch der alte Glaube und das Vertrauen zu dem, der da allein Gott ist. „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen!“ (Psalm 137, 5.) Das war das Losungswort, unter dem die endlich von der Knechtschaft Befreiten sich unter Leitung bewährter Führer sammelten, um in die geliebte Heimat zurückzukehren und mit Mut und Kraft, zwar viel bedrängt von Feinden, aber dennoch siegreich, mit dem Schwerte in der einen und mit der Kelle in der anderen Hand, die Stadt und den Tempel wieder aufzubauen. Da war es, als sich auf Akra eine neue Königsburg erhob, ein fester Halt dem neu erstandenen Volke. — Solche Zeiten der Erniedrigung, wie sie im Leben der Völker kommen, bleiben auch dem einzelnen nicht erspart. Jeder strebsame Mensch erlebt Tage, wo sein Gottvertrauen wankt, wo er abfällt und seine Kraft nicht da sucht, wo sie wirklich liegt, sondern, wo er sich auf allerlei irdische Götzen verläßt; Zeiten, in denen er sich überhebt, um desto tiefer zu fallen. Wohl dem, der aus solchen Irrwegen die Rückkehr findet, wohl dem, der, wenn auch seine Ideale zerstört und seine Hoffnungen dahin gesunken sind, sich dennoch in neuer Kraft zu erheben vermag; dem leuchtet >72< die Spitze Akra und gibt ihm das Heil wieder. Akra ist uns das Symbol der Demütigung und Buße, aber auch der Wiederaufrichtung des Verfallenen und der unzerstörbaren Kraft, durch die sich das Göttliche aus Erniedrigung und Zerstörung wieder emporhebt. Wir wissen nicht genau, wo die Spitze Akra gelegen war; vielleicht aber befand sie sich in der Nähe jenes Hügels, auf welchem einst dem „König der Juden“, wie nie ein zweiter dem Volke erstanden war, nicht ein Thron, sondern ein Marterpfahl bereitet war, wo er, dem die größte Macht gegeben war durch die göttliche Liebe, die sich in ihm in höchster Vollendung verkörperte, in tiefster Erniedrigung verblutete und dennoch durch diese Erlösungstat den Tod besiegte und die Finsternis in Fesseln schlug. Auch hier war tiefste Schmach und höchster Triumph miteinander vereinigt. Ob unsere Väter, als sie unsere Akten niederschrieben, durch die Spitze Akra schon dem Lehrling eine verdeckte Hinweisung auf Golgatha haben geben wollen? — Ich weiß es nicht, aber die Möglichkeit ist wohl vorhanden. Nun aber von der Höhe der Berge hinab in das tiefe Tal, wo unsere Johannisloge gelegen ist! — Überall, wo mächtige Bauten sich erheben, sehen wir neben der eigentlichen Baustätte eine Bauhütte errichtet, ein leichtes Gezelt, in welchem die Steine für den Bau bebauen und hergerichtet werden. Solch eine Bauhütte hat der Tempel Salomos sicherlich auch gehabt. Aber auf der Plattform, wo einst die Tenne des Arafna lag, wird schwerlich Raum genug vorhanden gewesen sein, um neben dem mächtigen Bau auch noch die Werkstätte für die Zubereitung der Steine aufzuschlagen. Es ist daher sehr möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, daß die Bauhütte in das tiefe Tal Josaphat verlegt worden ist, über welchem der Tempelberg durch die Anlage der oben erwähnten Strebemauern sich fast senkrecht erhob. Dort unten also wurden die Steine bearbeitet nach Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei, um dann als fertige Baustücke, mit der Steinklammer versehen, an einem Baukran mittels eines Seiles auf die Höhe Moria emporgehoben zu werden und dort ihre Bestimmung zu erreichen. Das Wort Josaphat bedeutet: „Der Herr richtet“ oder auch „das Gericht des Herrn“. Aus diesem Namen ist wohl die Sage herzuleiten, welche im jüdischen Volke noch heute lebt, daß in diesem Tale einst das Weltgericht stattfinden werde. Es ist die Sehnsucht der Juden, dort begraben zu werden, und in der Tat finden sich in den Felswänden des Tales viele Gräber. Auch für uns Freimaurer ist das Wort Josaphat bedeutungsvoll. Die Johannisloge, deren idealer Sitz in das Tal verlegt wird, ist auch für uns eine Stätte des Richtens, zwar nicht in dem Sinne, daß durch solches Richten Schuld oder Unschuld festgestellt, Strafe oder Lohn abgewogen und Lossprechung oder Verurteilung verkündigt wird; hier hat vielmehr das Wort „Richten“ den Sinn von recht machen, gerade machen, aufrecht stellen, wie der Prophet spricht: „Was ungleich ist, soll eben, und was höckrig ist, soll schlicht werden“. (Jes. 40, 4.) Wie unser Fragebuch (II. Abt., 1. Art., Fr. 45) uns sagt, hat die Johannisloge die Aufgabe, „Baumaterialien herbeizuschaffen und zuzubereiten“. Sie beschäftigt sich also, wie die Bauhütte, mit den rauhen Steinen, und diese rauhen Steine sind wir selbst. Hier in unserer Werkstätte unterwerfen wir uns selbst der richtenden Hand des Meisters; sein Senkblei, das er in des zweiten Aufsehers Hand gelegt hat, richtet uns auf, wie ja auch die Lehrlingssäule es ausspricht, deren Name J .. . . eigentlich bedeutet: „Er richtet auf“; seine Wasserwaage, die der erste Aufseher führt, weist uns die rechte Bahn, und alles dies geschieht nach seinem Winkelmaß, nach seinem unabänderlichen Gesetz. Wir richten uns wohl nach diesem Gesetz, wir stellen uns wohl selbst in das rechtwinklige Zeichen, aber doch sind wir es nicht, sondern der Herr ist es, der uns richtet, und dieses Richten ist kein Strafgericht, kein kurzer Akt, vor dem wir zittern, sondern ein langsamer Vorgang allmählicher Entwicklung, dem wir uns mit freudiger Hingebung unterwerfen. Das ist die Arbeit der Johannisloge im Tale Josaphat. Möge sie sich an uns allen vollziehen und zur Wahrheit werden, auf daß wir einst nicht verworfen, sondern als recht bereitete Bausteine emporgehoben werden aus dem dunkeln Tale zur lichten Tempelhöhe auf Sion und auf Moria, welches heißt: „Anschauen Gottes“. Ja, „selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!“ Es geschehe also! (1895. 1904.) >74< Der Altar. Niemand von all den Unkundigen, die draußen an unserem Logenhause vorbeigehen, weiß, was das schlichte Gebäude in sich birgt; es ist ein Haus wie andere mehr. Eine bedeutsame Architektonik wird an ihm nicht bemerkt, kein ragender Turmbau weist gen Himmel wie bei den Kirchen, und doch ist die Loge ein Heiligtum, nicht weniger heilig als jene, zu denen laute Glockenklänge allsonntäglich die frommen Seelen einladen. Ein Heiligtum ist die Loge, in welchem Männer, die die Jahre der überschäumenden Jugend hinter sich haben, versammelt sind, um den höchsten Gott zu suchen, zu finden und ihm zu dienen. Von jedem, der als Suchender den geweihten Raum betritt, hoffen wir, daß er die Loge stets als ein solches Heiligtum betrachte, in welchem das Höchste, das den Menschengeist beschäftigt und das Menschenherz bewegt, fern von dem stürmenden Geräusch der Welt gepflegt wird, als einen Tempel, wo das Unreine und Gemeine gebannt vor der Schwelle liegen bleiben muß, wo Leidenschaften und Begierden nicht hinein dürfen, und wo die Finsternis weichen soll vor den Strahlen des ewigen Lichtes und die Lüge verstummen soll vor dem lebendigen Worte der Wahrheit. Der Weg zu diesem Heiligtum ist nicht leicht zu finden; nicht jedem liegt er offen, und geblendet, auf ungewissen Pfaden nahet sich ihm der fremde Suchende. Aber dem blinden Wanderer, der im rechten Glauben kommt, sendet der Orden seine Hilfe entgegen, einen Führer, der ihn auf den rechten Weg bringt und mit Freundeshand vorwärts leitet. So sucht und findet er die Pforte; es wird für ihn angeklopft und ihm wird aufgetan, er bittet, und es wird ihm gegeben, mehr gegeben, als er bei seinem ersten Eintritt ahnen und begreifen kann. Und dieses Suchen, Anklopfen und Bitten darf auf unserer ganzen Maurerbahn nie aufhören. Aus dem Suchenden muß ein Anhaltender, aus dem Anhaltenden ein Leidender werden; nur dadurch allein kommen wir vorwärts. Nur wer dem Reiche des ewigen Lichtes Gewalt antut, dem öffnet es sich; nur wer zu seinem Gott schreit: „Herr, ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“ (1. Mos. 32, 26), den wird der Allvater an sein Herz ziehen, nur der gelangt im Geiste und in der Wahrheit in das Allerheiligste seines unvergänglichen Tempels. Von diesem Allerheiligsten erhält schon der neuaufgenommene Bruder eine Ahnung; denn der Lehrlingsgrad ist allumfassend; er begreift den ganzen Inhalt des Ordens, alles, was die späteren Grade uns bieten, schon in sich, freilich, ohne es deutlich zu entwickeln. Schon am ersten Tage wird dem Neuaufgenommenen gezeigt, welche Erfüllung im Innersten unseres Tempels seiner wartet. Das Sinnbild dieses innersten Heiligtums, unseres Geistestempels, ist der Altar, den der Suchende nur auf Umwegen nach langem Irren findet, an welchem er niederkniet, das Gelübde ablegt und die Maurerweihe empfängt. Welche Bedeutung hat nun der Altar in unserer Loge? Diese Bedeutung ist eine dreifache: erstens ist er für uns der Sitz und die Wohnstätte der Gottheit selbst; zweitens ist er uns eine Stätte der Anbetung und demutsvollen Verehrung; und drittens ist er die Stätte des Opfers, wo wir dem Höchsten darbringen, woran er Wohlgefallen hat und was ihn versöhnt. Wir sagen, der Altar sei der Sitz und die Wohnstätte des ewigen Gottes selbst. Wie das? Ist Gott nicht unendlich, ewig und allgegenwärtig? Erscheint es nicht vermessen, wenn der Mensch in seiner Beschränktheit und Ohnmacht einen Stein aufrichtet und sagt: Hier soll Jehovah wohnen? — Gewiß ist der Ewige und Allgegenwärtige an keinen Raum und an keine Zeit gebunden, wohl aber der Mensch. Der kurzsichtige, auf das Endliche angelegte Mensch braucht Sinnbilder, um das Unfaßbare sich zu vergegenwärtigen. Der Mensch richtet Tempel und Altäre auf, baut Kirchen und Heiligtümer, nicht, weil Gott das nötig hat, sondern, damit der Name des Höchsten in dem sterblichen Geschlecht lebendig bleibe. — „Wo hat der Meister seinen Sitz?“, so wird bei Eröffnung und Schließung der Loge gefragt, und die Antwort lautet: „Im Osten“. Dort, wo die Gestirne des Tages und der Nacht empor tauchen, um uns das Licht zu spenden, dorthin verlegen wir den Sitz des ewigen Geisteslichtes, das uns erleuchten soll. Deshalb steht >76< auch unser Altar im Osten, und hinter ihm sitzt der schwache Sterbliche, der durch die Wahl seiner Brüder berufen ist, ihnen im Namen des Meisters, der im ewigen Osten seinen Sitz hat, das Licht zu spenden. Ein Sinnbild dieses ewigen Lichtes sind die drei Kerzen, welche den Altar erleuchten; die erste bedeutet, wie es jetzt wohl meistens angenommen wird, Weisheit, die sich offenbart in der heiligen Ordnung, die in allen geschaffenen Dingen herrscht; die zweite Stärke, die Allmacht Gottes, mit der er alles regiert und in fester Hand zusammenhält; die dritte bedeutet Schönheit, mit der Gott alles, was ist und lebt, verklärt, weil er die Liebe ist. (Die Deutung der drei Altarlichter, als Weisheit, Stärke und Schönheit, findet sich zwar nicht in unsern Akten, erscheint aber doch natürlich und sinngemäß, weshalb sie auch in dem später entstandenen Ritual für die Lichteinbringung diese Deutung offiziell erhalten haben. Will man also an dieser Deutung festhalten, so ist sicherlich nichts dagegen zu sagen (vgl. den zweiten Vortrag über die Lichterteilung).) Weisheit, Stärke und Schönheit, diese drei höchsten Eigenschaften Gottes, bilden die Punkte des unauflöslichen Dreiecks, welches uns das Wesen des Göttlichen ausspricht. Wir finden es wieder auf der Vorderfläche des Altars, und in seiner Mitte das allsehende Auge, das Sinnbild der Allwissenheit. Und auf der Platte des Altars liegt das Winkelmaß, das Bild der Gerechtigkeit und Heiligkeit, des unverbrüchlichen, göttlichen Gesetzes, und daneben der Zirkel, das Sinnbild der allumfassenden Gnade und Güte. Als größtes Licht aber ziert unsern Altar die Bibel, die heilige Schrift, welche auf jedem Blatt ihrer heiligen Bücher Zeugnis davon ablegt, wie jene Eigenschaften Gottes im Menschengeschlecht gewirkt haben und noch heute fortwirken. Wir wissen nun, wie uns unser Altar zum Wohnsitz Gottes und darum zu unserem höchsten Heiligtum wird. Aus diesem Ersten folgt das Zweite: die Stätte, die uns den Wohnsitz Gottes bedeutet, muß uns zu einer Stätte der Anbetung und demutsvollen Verehrung werden. Zwar können wir uns, wo wir uns auch befinden mögen, überall dem Ewigen nahen und uns vor ihm im Gebet beugen; denn der Allerhöchste wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhänden gemacht sind, und auch im stillen Kämmerlein, wo ein bedrängtes Herz vor seinem Gott ringt, hält der Allgegenwärtige seinen Einzug. Aber der irdische Mensch braucht eine Stätte der Sammlung, der er sich zuwendet, die er als einen Hort seiner Andacht betrachtet, und wo er sich vereinigt mit seinen miterschaffenen Brüdern, um mit ihnen, verbunden zu einer Gemeinde, vor dem Höchsten zu stehen. Und solche Bedeutung gewinnt unser Maureraltar auch für uns. Er ist der Vereinigungspunkt für uns verbundene Brüder, um welchen wir uns scharen zum Dienst des Höchsten. Aber er ist uns noch mehr als ein bloßer Ort der Erhebung und Anbetung; er ist der Mittelpunkt unserer Arbeitsstätte, von der uns Licht und Kraft kommt für das, was wir hier zu verrichten haben. Mit bloßer Andacht und Versenken in die höchsten Ideen ist es hier nicht getan, sondern wir haben hier zu arbeiten und ein Werk zu fördern, zu dem vom Altare aus der Ruf an uns ergeht. Alles das, was den Altar ausrüstet und ziert, ist nicht nur dem höchsten Gotte geweiht, sondern es gehört auch uns, und wir empfangen es von dort gleichsam aus seinen Händen, um es zu benutzen und für den Bau des Heiligtums, das wir in unserem Herzen aufzurichten haben, fruchtbar zu machen. Die Lichter, die den Altar erleuchten, Weisheit, Stärke, Schönheit, pflanzen wir in unserm Inneren auf als die drei unerschütterlichen Pfeiler, auf welchen unsere Arbeit ruht. So wie beim Beginn der Arbeit von jenen Kerzen das Licht in das Dunkel der Loge hinausgetragen wird, so entzünden sich auch in uns die drei Lichter und verleihen uns Weisheit zum Unternehmen, Stärke zum Ausführen, Schönheit zum Zieren. Des Maurers Weisheit soll in Gott gegründet sein; seine Stärke soll ihm aus der ewigen Kraft fließen, die auch in dem Schwachen mächtig ist, und seine Schönheit soll sein ein Abglanz der göttlichen Liebe. Und vor dem ewigen Vater soll das Herz des Maurers rein sein, damit er darin Wohnung nehme. „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist; verwirf mich nicht vor Deinem Angesicht und nimm Deinen heiligen Geist nicht von mir!“ (Psalm 51, 12 bis 13), das soll unser tägliches Gebet sein. Vor dem allsehenden Auge Gottes soll unser Herz offen liegen und rein sein vor ihm bis in seine verborgensten Falten. Darum tragen wir das Dreieck, das mit dem allsehenden Auge den Altar ziert, im Bilde der Maurerkelle als des Maurers höchsten Schmuck auf unserm Herzen. Auf dem Altar liegt die heilige Schrift, und diese unvergleichliche Urkunde von dem Schaffen und Wirken des Gottesgeistes ist für uns geschrieben, sie gehört uns und hat für unser inneres Leben die tiefste Bedeutung. „Die Bibel regelt unsern Glauben“, so heißt es im altenglischen Ritual, d.h. sie zwängt ihn nicht in Formeln ein, sondern sie erweckt in uns die Vorstellung von dem ewigen Wirken und Wachsen der Wahrheit und des Lichtes im Menschengeschlechte und wandelt so >78< unsern Glauben zur lebendigen Kraft, die uns erhebt über alle Not und Unzulänglichkeit des irdischen Daseins. Winkelmaß und Zirkel, welche neben der Bibel liegen, sind nicht bloß Attribute Gottes, sondern sie gehören uns; das Winkelmaß weist uns hin auf das unverbrüchliche heilige Gesetz Gottes, das wir nicht bloß aus der Ferne anbeten, und dem wir uns stumm zu unterwerfen haben, nein, das Gesetz tragen wir in unser Herz hinein, denn wir wollen nicht Knechte des Gesetzes sein, sondern seine Teilhaber und Hüter, die da „Lust haben an dem Gesetz und reden von dem Gesetz des Herrn Tag und Nacht“. (Psalm l, 2.) Und der Zirkel gehört uns; er ist uns allen gegeben. Wir alle haben ihn selbst auf unser Herz gesetzt, als wir uns der heiligen Maurerpflicht angelobten. Der rechtwinklig geöffnete Zirkel weist uns darauf hin, daß der Mensch durch seine Vernunft und durch sein Empfinden befähigt ist, das göttliche Gesetz nicht nur aufzusuchen und zu verstehen, sondern es auch in sich hineinzutragen und sich von ihm durchdringen zu lassen. Das ist unser Gottesdienst. Unser Gebet am Altare vor dem Ewigen heißt Arbeit. Das Sprichwort sagt: „Bete und arbeite!“ Bei uns freien Maurerbrüdern ist Beten und Arbeiten ein und dasselbe. Und endlich drittens ist uns der Altar eine Stätte des Opfers. Unter Opfer versteht man eine Darbringung von Gaben an die Gottheit, um diese geneigt zu machen, oder sie zu versöhnen, oder ihr zu danken. Die Sitte des Opfers ist uralt. Die heidnischen Völkerstämme opferten ihren Göttern das Beste, was sie hatten, die Erstlinge der Feldfrüchte und die schönsten Stücke ihrer Herden. Speiseopfer, Trankopfer, Brandopfer wurden an den Altären dargebracht, und das Blut der Farren und Böcke rötete die Opfersteine. Selbst in dem monotheistischen Kultus des jüdischen Volkes hat sich die Sitte des Opferns lange Zeit hindurch erhalten. Aber schon im alten Testament erheben sich prophetische Stimmen, die auf das Vergebliche der Opfer hinweisen und diese Sitte zu einem Symbol einer geistigen Darbringung zu erheben suchen. So singt der Psalmist (Psalm 51, 18, 19) : „Du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte Dir's sonst wohl geben, und Brandopfer gefallen Dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstet und zerschlagen Herz wirst Du, Gott, nicht verachten.“ Und durch des Propheten Hosea Mund spricht der Herr: „Ich habe Lust an der Liebe, und nicht am Opfer; und an der Erkenntnis Gottes, und nicht an Brandopfer.“ (Hos. 6, 6.) Und der Schriftgelehrte, der von Jesus überzeugt war, brach, wie der Evangelist Markus erzählt, in die Worte aus: „Meister, Du hast wahrlich recht geredet; denn es ist ein Gott, und ist kein anderer außer ihm, und denselbigen lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüte, von ganzer Seele und von allen Kräften, und lieben seinen Nächsten als sich selbst, das ist mehr, denn Brandopfer und alle Opfer.“ (Mark. 12, 32, 33.) In diesem Sinne wird uns auch unser Altar zu einem Opfersteine, an dem wir darbringen geistliche Opfer, die Gott angenehm sind. Unser eigenes Selbst geben wir hin an Gott, unser eigenes Leben bringen wir dar, im Sinne der Worte des Obermeisters: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.“ (Matth. 16, 25.) Das ist auch unser Opfer, und sein Symbol ist die Bereitwilligkeit des Suchenden, sein Blut mit dem Blute der Brüder zu vermischen. Unseres Fleisches Leben opfern wir dahin und setzen es daran, um ewiges Leben zu gewinnen. Wie das Opfertier verblutete am Altar, so müssen wir uns selbst darbringen dem ewigen Gott. Sterben müssen wir, um zu leben, d.h. um als Gott wohlgefällige Opfer von ihm empfangen zu werden. „Stirb und werde!“, das ist das Losungswort, mit dem der Maurer sich seinem Gotte hingibt. Sterben soll das Unreine und Unheilige in uns, auf daß das Göttliche zum Leben erwache, auf daß das Wort der Wahrheit aus uns erschalle und das Licht des Lebens aus uns leuchte. Die Schwerter, die der Suchende, wenn die Binde fällt, auf sich gerichtet sieht, wollen töten in ihm, was der Finsternis angehört, und befreien, was licht und rein, aber bis dahin gefesselt, in seiner Seele lebt. So dienen wir Maurer an unserm Altar dem höchsten Gotte; so beten wir ihn an, so arbeiten wir und so opfern wir ihm. Gehen wir jetzt hin und tun wir desgleichen. Der Allerhöchste aber geleite uns auf unserer Maurerbahn mit seinem Segen! (1896. 1903.) >80< Winkelmaß und Zirkel auf dem Altar. Wir haben bei unserem vorigen Vortrage den Altar der Loge kennen gelernt als eine der höchsten Gottheit geweihte Stätte, die da ist für den Menschen eine Stätte demutsvoller Verehrung und Anbetung sowie eine Stätte opferfreudiger Hingebung seiner selbst. Wir haben nun noch das zu betrachten, was sich mitten auf der oberen Fläche des Altars befindet. Zwischen dem Meister, der da sein soll ein Sinnbild des ewigen Meisters, und der heiligen Schrift, in welcher sich das Wort des ewigen Meisters dem Menschen offenbart, sehen wir zwei Werkzeuge liegen, ein Winkelmaß und einen Zirkel. Sie bilden nicht, wie es in den anderen Lehrarten wohl überall der Fall ist, ein Quadrat, sondern sie liegen nebeneinander, und zwar so, daß das Winkelmaß dem Meister zur Linken sich befindet und den einen seiner Schenkel nach Süden, den anderen nach Osten ausstreckt, während die beiden Schenkel des rechtwinklig geöffneten Zirkels sich nach Norden und Osten richten. Der Scheitelpunkt des Winkelmaßes und der Kopf des Zirkels liegen dicht nebeneinander, ebenso die beiden nach Osten gerichteten Schenkel der Werkzeuge, so daß das Ganze die Figur des Buchstaben T bildet. Zwei Werkzeuge sind es, schlicht und unscheinbar, wie sie in jeder Werkstätte eines Steinmetzen oder Bauhandwerkers zu finden sind, und dennoch sind sie von tiefster Bedeutung und stehen mit dem, was der Altar versinnbildlichen soll, im innigsten Zusammenhange. Wir Freimaurer benennen die Gottheit mit dem Namen des dreifach großen Baumeisters der Welt. Die Loge hat keinen Raum für eine pantheistische Weltanschauung, die das Geschaffene mit dem Schöpfer identifiziert, oder gar für jenen krassen Materialismus, der den Geist leugnet und die Welt und den Menschen mit ihr als eine Maschine betrachtet. Der Freimaurer blickt zum Ewigen empor als zum Urheber und Schöpfer aller Dinge, als zu seinem liebenden Vater, aus dessen heiligem Wesen auch das Leben entsprungen ist, das die Hülle des Menschenleibes einschließt. Der Freimaurer glaubt an ein persönliches göttliches Wesen, das der Inbegriff alles wahren Seins, der höchsten Vernunft, der unendlichen Liebe ist, ein Wesen, das durch seine nie erschöpfte Kraft in sich selber fortdauernd die Nötigung findet zu einer ununterbrochenen Wirksamkeit und zum Schaffen des Abbildes seiner selbst, wie es sich uns in der Welt darstellt. Das Universum ist nicht nur der Gedanke, sondern auch die Tat Gottes. Auf diese ewige Tätigkeit der Gottheit weist die Bezeichnung „Baumeister“ hin. Der irdische Baumeister entwirft seinen Plan und stellt den Tempel fertig, der ewige Baumeister schafft ohne Unterlaß; Schaffen ist sein Wesen, und sein Werk ist unendlich wie er selbst. Und wir sprechen von einem dreifach großen Baumeister der Welt, weil Gedanke, Wille und Tat, welche bei uns schwachen, irdischen Menschenkindern sich oft genug nicht decken, sondern eins hinter dem andern zurückbleiben, bei dem ewigen, vollkommenen Wesen eins und untrennbar sind. Wir haben daher das uralte Symbol der Gottheit, das gleichseitige Dreieck, angenommen und finden es auf der vorderen, nach Westen gerichteten Fläche des Altars, im Mittelpunkte das allsehende Auge tragend. So wie die drei Seiten eines Dreiecks unveränderlich und unverschieblich miteinander zu drei Winkeln verbunden sind, so ist auch das Wesen der Gottheit sich ewig gleich und in sich eins. Nun wissen wir aus der Geometrie, daß die Summe der Winkel eines jeden Dreiecks gleich zwei rechten Winkeln ist, und diese beiden rechten Winkel finden wir mitten auf dem Altar wieder als Winkelmaß und als rechtwinklig geöffneten Zirkel. Es ist natürlich, daß, wenn wir von einem Baumeister reden, wir auch, unserer menschlichen Vorstellung entsprechend, Werkzeuge annehmen müssen, deren er sich bei Ausführung seines Baues bedient, und das sind eben Winkelmaß und Zirkel. Woraus besteht das Winkelmaß ? Zwei Linien, eine senkrechte und eine wagerechte, in einem Punkte unbeweglich miteinander verbunden, und das Winkelmaß ist fertig. Nichts kann einfacher sein als dieses Werkzeug, und dennoch liegt in ihm das Gesetz, das die Welt in ihren Fugen zusammenhält. Alle Sätze der Geometrie lassen sich auf den rechten Winkel zurückführen. So wird er uns zum Sinnbild des >82< unabänderlichen Gesetzes, das auch im Reiche des Geistes herrscht, des Gesetzes des Göttlichen, Ewigen, der absoluten Wahrheit. Der rechte Winkel ist unendlich und allumfassend, denn wir können seine Schenkel verlängern, so weit wir wollen, er bleibt derselbe und schließt alles ein. und „nähmen wir Flügel der Morgenröte und flögen zum äußersten Meer“, ja bis in die äußersten Fernen des Weltalls — der rechte Winkel hält uns fest und entläßt uns nicht aus seinem Bann. Anders verhält sich das Werkzeug, das neben dem Winkelmaß liegt, der Zirkel. Er ist ein getreues Abbild des Winkelmaßes und besteht, genau wie dieses, aus zwei in einem Punkte vereinigten Schenkeln. Aber seine Schenkel sind nicht fest miteinander verbunden, sondern gegeneinander verschiebbar, so daß der Winkel, den sie bilden, veränderlich ist, wenngleich der auf dem Altar liegende Zirkel rechtwinklig geöffnet ist. Wenn das Winkelmaß uns auf das Unendliche hinweist, so zeigt der Zirkel uns zunächst das Endliche. Er ist das Werkzeug des Abmessens und Konstruierens. Gemessen aber kann nur das Endliche werden, denn das Unendliche ist unermeßlich. Der Zirkel erinnert uns also an das, was innerhalb des Raumes und der Zeit sich darstellt, und das ist die Welt, die wir als das Werk des großen Baumeisters erblicken, als Bild, das uns durch unsere .Sinnesorgane in unserer Erfahrung gegeben ist, und von dem wir schließen auf eine höhere Realität, auf das wahre Sein, das unserer sinnlichen Erkenntnis nicht zugänglich, sondern nur unserer Vernunft spürbar ist. Der Zirkel ist aber auch wiederum das Werkzeug, mittels welches wir einen Kreis ziehen können; der Kreis kann beliebig groß gedacht werden, aber er findet in der Kreislinie stets seine endliche Grenze. Und diese Kreislinie, die wieder in sich zurückkehrt, ist gleichfalls ein Bild der Unendlichkeit, und zwar — möchte ich sagen — der Unendlichkeit, wie sie der Auffassungsfähigkeit der menschlichen Vernunft erscheint. Das Winkelmaß gehört dem Meister; es ist sein unveräußerliches Attribut; darum trägt es auch der Meister als Zeichen seiner Würde auf der Brust. Der Zirkel aber ist, wie es in unseren Akten heißt, „allen Brüdern zu einem Sinnbilde gegeben“, d.h. allen erschaffenen, fühlenden und denkenden Wesen. — Bei der Lehrlingsaufnahme bleibt das Winkelmaß ruhig auf dem Altar liegen; den Zirkel aber ergreift der Meister und reicht ihn dem Aufzunehmenden, rechtwinklig geöffnet, dar, damit er sich die Spitze desselben auf das Herz setze und sein Inneres prüfe, damit er fähig werde zu erkennen und zu lernen, in der eigenen Endlichkeit das Unendliche zu finden und zu verstehen. Noch deutlicher zeigt dies die Arbeitstafel, auf welcher der Lehrling Winkelmaß und Zirkel wiederfindet. Das Winkelmals ruht hier im Osten, der Region des Lichtes und des göttlichen Lebens; es steht zwischen Sonne und Mond, als Zeugnis des Weltgesetzes, von dem das Weltall regiert wird. Der Zirkel aber liegt dem Winkelmaß gegenüber im Westen, wo sich der musivische Fußboden ausbreitet, d.h. wo das Irdische, Erschaffene, Menschliche seinen Sitz hat, das Menschliche, das zum Göttlichen emporstrebt, wie es die beiden Säulen bezeugen, die von dem die Grundfeste des Tempels deckenden Pflaster aufsteigen zur Höhe als Verkörperungen des Gottesgedankens, wie er im Menschen erwacht und lebendig wird. Auch hier ist der Zirkel rechtwinklig geöffnet; er steht dem Winkelmaß gegenüber und erscheint gleichsam wie dessen Spiegelbild. Er richtet seine beiden Spitzen gegen die Kapitale der beiden Säulen und sucht mit dem Winkelmaß das Quadrat der Vollkommenheit zu bilden, aber er erreicht es nicht. So ist es mit der Sehnsucht des Menschen, die das Ewige zu umfassen und sich mit ihm in Einklang zu setzen strebt. Sie erreicht es nicht, aber es gehört doch ihr, und sie umfaßt es mit dem Zirkel der Vernunft, die es ermessen kann. Das ist der Wille des allmächtigen Meisters. Der Zirkel, den er uns dargereicht hat, wird auch in seiner Hand zum Meßwerkzeug. Was wären wir, wenn er uns mit dem Winkelmaß seines strengen Gesetzes richten wollte! Nein, der Zirkel seiner unendlichen Liebe und Gnade ist es, den er — so hoffen wir — an unsere Schwäche anlegt. Unsere Akten sagen: „Auch unsere Arbeiten untersucht und misset ein vollkommener Obermeister mit seinem weit ausgestreckten Zirkel.“ Der Suchende soll daher seine Arbeiten so gestalten, „daß dieser Baumeister, wenn er die Arbeit einst nach seiner Gerechtigkeit prüfen wird, zum wenigsten finden möge, daß es unser Bemühen gewesen ist, unsere Arbeit mit seinem, auf dem Reißbrette gemachten Entwurfe in Übereinstimmung zu bringen.“ So, wie wir den Meister zu ermessen suchen, so wird er uns abmessen, nicht mit dem Winkelmaß der Gerechtigkeit, vor dem wir nicht bestehen können, sondern mit dem Zirkel der Liebe und Gnade, der auch im Kleinsten die Spur der Unendlichkeit findet und nicht will, daß das zum Leben Berufene verloren gehe. >84< So sind wir eingeschlossen in den Kreis, mit dem der Allmächtige seine geschaffenen Wesen in unendlicher Liebe umschließt. Darum ruft uns der Zirkel die ernste Mahnung zu: „Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt!“ (1. Joh. 4, 19). Wenn aber die Liebe zu Gott unser Herz entzündet, dann durchflammt ein heiliges Feuer unser ganzes Wesen, und der Abglanz des Ewigen wird lebendig in uns; dann wird es uns klar, wie durch die Liebe Gottes die Welt in die Erscheinung trat, und wie es die Bestimmung der Welt ist, liebend wieder zu ihm, der sie erschaffen hat, zurückzukehren. Wer kann es fassen, das unergründlich tiefe Geheimnis des Lebens? — Nur der, in dessen Herzen die Liebe lebendig geworden ist. Wer sich selbst als den Mittelpunkt des Kreises hinstellt und alles nur auf sich bezieht, den beherrscht die Selbstsucht; er hat auf sein Fleisch gesäet und hat seinen Lohn dahin. Wer sich aber als Punkt der Peripherie fühlt, der wird hingezogen werden zum Mittelpunkte, dem er in Liebe zustrebte, und von dem er sich abhängig fühlte, und aus diesem Mittelpunkte heraus, aus dem alle Wahrheit, alles Licht und alle Erkenntnis fließt, wird er sich unauflöslich verbunden fühlen mit seinen Miterschaffenen, seinen Brüdern, durch ein heiliges, unzerreißbares Band, das keine Macht der Finsternis aufzulösen vermag, und an dem selbst der Tod seine Macht verloren hat. — (1898. 1904.) Das Hausgerät der Loge. Die Loge ist des Maurers Haus, seine Heimstätte; in ihr soll er sich wohnlich einrichten und gleichsam mit ihr verwachsen sein. Somit hat er eine doppelte Heimat; erstens sein Haus, das er mit seiner Familie bewohnt; da ist er der Hausherr und führt das Regiment; zweitens die Loge, die er mit seinen Brüdern teilt; da ist er Kind des Hauses, da steht er unter dem Gesetz dessen, der die Loge regiert, des ewigen Meisters, und ist Miterbe und Teilnehmer an den unvergänglichen Schätzen des Lichtes und der Wahrheit, die der Allvater seinen Kindern spendet. Sein Heim soll jeder kennen. Darum unterrichtet der Orden uns über die Loge, ihre Beschaffenheit, ihre Lage usw. Aber ein Haus ist nicht bewohnbar, wenn ihm das Hausgerät fehlt. Auch muß das Hausgerät sich an der rechten Stelle befinden; es darf nicht unbeachtet in der Ecke liegen, es muß der rechte Gebrauch davon gemacht werden. Auch über die Geräte der Loge unterrichtet uns der Orden, und wir erhalten darüber in unserem Fragebuche (II. Abt., 2. Art., Fr. 23 bis 25) folgende Auskunft: „Welches sind die notwendigsten Geräte in einer Freimaurerloge?“ „Die heilige Schrift, der Zirkel und der Hammer des wortführenden Meisters.“ „Was haben Sie unter diesen Geräten erblickt?“ „Ein sehr großes Licht, ja das größte aller Lichter“. „Was war das für ein großes Licht ?“ „Die Bibel oder die heilige Schrift.“ >86< Daß diese drei Dinge als die notwendigsten Geräte der Loge bezeichnet werden, ist einleuchtend, wenn wir uns daran erinnern, daß sie bei jeder Aufnahme gebraucht werden, und daß ohne sie niemand zum Freimaurer geweiht werden kann. Auf die Bibel legt der Suchende seine Hand und gelobt sich angesichts dieses heiligen Zeugnisses dem Lichte an, von dessen Ausbreitung im Menschengeschlecht die Bibel Kunde gibt; den Zirkel setzt er sich selbst auf seine Brust, da, wo das Herz schlägt; und mit dem Hammer geschehen die Weiheschläge auf den Kopf des Zirkels, durch welche die auf dem Herzen ruhende Spitze gleichsam hineingetrieben wird, um dort die verborgenen Quellen des Lebens zu öffnen. Und noch einen zweiten Beweis gibt es dafür, daß man diese drei als die notwendigsten Werkzeuge der k. Kunst betrachtet. Sie entsprechen nämlich den drei wichtigsten Merkmalen, an welchen man den Freimaurer erkennt, und welche nicht nur an ihm stets wahrzunehmen, sondern auch ihm selbst in seiner innersten Werkstatt stets gegenwärtig sein sollen: das sind die Erkennungszeichen. Der Hammer entspricht dem Zeichen, welches stets aus einem rechten Winkel besteht; und der Hammer ist nichts anderes als der doppelte rechte Winkel, auf dessen Schlag wir in das Zeichen treten; den Griff finden wir wieder im Zirkel, dem umspannenden und umfassenden Werkzeug; das Wort aber entspricht der heiligen Schrift, die als das in der Menschheit sich offenbarende Wort der Gottheit bei unsern Arbeiten aufgeschlagen ist. Alle drei Werkzeuge liegen auf dem Altar. Zwischen der Bibel und dem Meister liegt der Zirkel neben einem Winkelmaß, mit welchem er, rechtwinklig geöffnet, einen doppelten rechten Winkel, die Form des Hammers, bildet. Dieser selbst liegt noch näher dem Meister und gewinnt gleichsam Leben, sobald die Hand, die zu seiner Führung ausersehen ist, ihn ergreift. Sein Schlag durchhallt den Raum der Loge und findet sein Echo bei den Aufsehern, die dem Meister gegenüber sitzen, und soll wiederklingen in den Herzen der Brüder, welche durch ihn in Ordnung gerufen werden. Das Gesetz des göttlichen Baumeisters ist es, das er verkündigen und unter welches er die Brüder stellen soll. So wie der rechte Winkel das gestalt- und maßgebende Prinzip eines jeden Gebäudes ist, so ist der Hammer des Meisters als der gleichsam lebendig gewordene rechte Winkel die Grundbedingung für unsern geistigen Bau. Er schafft, was im Hause zuerst notwendig ist: Ordnung. Wie der rechte Winkel jedem Gebäude Ebenmaß und Festigkeit gibt, so wird durch des Hammers Schlag eine Ordnung der in der Loge vorhandenen geistigen Kräfte geschaffen. Er erweckt die Brüder und lenkt sie ab von dem, was zerstreut und ihr Erkennen und Wollen hemmt, und sucht sie hinzuweisen auf das, was da sammelt und vereinigt für den hohen Zweck der k. Kunst, was uns dem Irdischen und Gemeinen ab- und dem Ewigen und Göttlichen zuwendet. Schon der Aufzunehmende, dessen Augen noch von einer undurchdringlichen Binde bedeckt sind, vernimmt den Schall des maurerischen Klopfens. Das Zeichen des rechten Winkels kann er noch nicht schauen, aber er vernimmt bereits sein Walten im Schlage des Hammers. Er empfängt und ergreift den rechten Winkel erst nach mühevoller Wanderung in dem rechtwinklig geöffneten Zirkel, den der Meister ihm darreicht, damit er sich die Spitze desselben auf das Herz setze. Darum ist der Zirkel das zweite notwendige Hausgerät. So wie der Hammer allein in die Hände des Meisters und seiner Gehilfen, der Aufseher, gelegt ist, so ist der Zirkel „allen Brüdern gegeben“; das will sagen: Es ist nicht genug, in Ordnung zu treten und in Ordnung stehen zu bleiben, sondern es soll sich innerhalb dieser Ordnung und geleitet von ihr etwas zu regen beginnen. Das Gesetz des göttlichen Baumeisters soll nicht nur von uns erkannt und aufgefaßt werden, sondern es soll in unsern Herzen zur Wahrheit und aus ihnen heraus neu geboren werden. Aus unserm Innern soll es zurückstrahlen als Bruderliebe und als allgemeine Liebe, die des Gesetzes Erfüllung ist. Darum setzen wir uns den rechtwinklig geöffneten Zirkel selbst auf unsere Brust, da, wo das Herz schlägt, und seine Spitze übermittelt uns die Weiheschläge, die uns erst zu Söhnen des Hauses werden lassen. Er ist das wichtige Gerät, das uns vereinigt hält mit unsern Brüdern und durch die Brüder mit dem Vater. Die im gleichen Sinnen und Denken ihr Streben auf das Höchste richten, finden sich und vereinigen sich zum unzertrennlichen Bunde; und wenn sie sich jemals verlieren, so müssen sie sich „wiederfinden zwischen dem Winkelmaß und dem Zirkel“. Was nach dem Buchstaben des Gesetzes ihrer menschlichen Schwäche wegen nicht auszufüllen war, das schlichtet zwischen ihnen die alles duldende, alles versöhnende Liebe. So wird der Zirkel mit seiner alles umspannenden Kraft zum Werkzeug der Vereinigung, das die zerstreuten Glieder zusammenfügt zu einem Ganzen. Und nun das dritte Gerät; es ist ein Licht, das den Raum unseres Hauses mit Himmelsglanz erfüllt, mit einem Glanz, von dem die andern >88< Lichter, welche die Loge erleuchten, ihre Strahlen geborgt haben; und darum heißt es das größte aller Lichter, die Bibel oder die heilige Schrift. Ein solches Licht stellt man nicht unter den Scheffel, sondern man setzt es an einen erhöhten Ort, auf daß es auch die fernste Ecke erhelle und erleuchte alle diejenigen, die im Hause versammelt sind. Darum liegt die heilige Schrift an bevorzugter Stelle auf dem Altar des Ordens als sein größtes Heiligtum; denn aus ihr leuchtet mit dem unvergänglichen Lichte der Vollendung das Wort der göttlichen Wahrheit. Der Aufzunehmende tastet nach diesem höchsten Lichte, das auch seines Fußes Leuchte werden soll. Seine Hand ruht auf der Stelle, die am reinsten und hellsten uns die Strahlen dieses göttlichen Lichtes schauen läßt; und wenn seine Augen auch noch gehalten sind, so soll doch der Glaube an das Licht in seinem Herzen lebendig sein, mag er auch noch schlummernd ihm nicht zum Bewußtsein gekommen sein. Sein Inneres für diese Strahlen zu öffnen und den Glauben an dieses Licht zu wecken, das ist gerade eine hervorragende Aufgabe seiner Maurerarbeit. So gelangt in ihm das Wort göttlicher Wahrheit zum Leben. Diese Aufgabe ist schwierig, aber sie führt zum schönsten Lohne, und daß es notwendig ist, sie im rechten, vom Orden gewollten Sinne zu lösen zu versuchen, kann uns nicht zweifelhaft sein, wenn wir sehen, wie vielfach nicht nur im profanen Leben, sondern auch innerhalb des geweihten Raumes der Loge das Buch der Bücher nicht verstanden wird, weil es von einem falschen Gesichtspunkte aus betrachtet wird. Da gibt es Leute, die da meinen, von den Wundern dieses Lichtes ganz und gar ergriffen zu sein und die in ihm liegende Weisheit vollkommen erschöpft zu haben, und doch kleben sie am Buchstaben und können nicht zum Geiste vordringen, der lebendig macht. Andere lassen sich von ganz anderen Lichtern blenden; sie gehen ihrem Irrwahn nach und wenden sich in törichtem Libertinismus ganz von unserm größten Lichte ab. Die ersteren gleichen dem Schmetterling; er sieht das Licht und wird von ihm angezogen, aber anstatt es vernünftig zu gebrauchen, um bei seinem hellen Scheine die Welt um sich her zu erkennen, fliegt er hinein, versengt sich die Flügel und fällt zu Boden. So machen es die am Buchstaben Haftenden. Sie bedenken nicht, daß ein Licht nicht um seiner selbst willen da ist, sondern daß es dienen soll zum Erleuchten. Und die andern gleichen der Eule. Sie scheuen das Licht, es ist ihnen widerwärtig, weil sie davon geblendet werden. Darum wenden sie sich ganz davon ab und wandeln Pfade, wo es ihnen nicht scheint, sondern wo andere Lichter ihnen leuchten, die sie für die einzig wahren Wegweiser halten. Ja, es wird vielfach verkannt, unser größtes Licht, und zwar nicht bloß außerhalb, sondern auch innerhalb unseres Bundes selbst. In gewissen Kreisen des Maurerbundes hat sich eine, wenn auch nur auf einzelne Logen beschränkte Bewegung bemerkbar gemacht, welche darauf ausgeht, die Bibel vom Altar zu verbannen und ein Buch mit weißen Blättern oder gar die Konstitutionsurkunde an ihre Stelle treten zu lassen; und selbst Großlogen, welche Bibel, Winkelmaß und Zirkel als die „drei Großen Lichter“ und „unveränderlichen Hauptsymbole der Freimaurerei“ hinstellen, lassen das geschehen. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, zu kritisieren, was in anderen Lehrarten Brauch ist, oder gar dagegen eine Polemik zu eröffnen, aber ich kann, obschon ich nicht recht unterrichtet darüber bin, was jene Brüder unter dem weißen Buche sich eigentlich vorstellen, dennoch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß dieser Brauch auf einem Mißverständnis zu beruhen scheint, auf einer irrigen Anschauung darüber, was das Buch der Bücher für die k. Kunst zu bedeuten hat. Die Bibel soll uns nicht eine Urkunde sein, auf deren buchstäblichen Wortlaut wir eingeschworen sind, sondern sie ist eben ein Licht, in welchem wir lernen, daß der Buchstabe tötet, der Geist aber lebendig macht, ein Licht, in dessen hellem Scheine wir zur Erkenntnis gelangen sollen, und vor allem ein Licht, dessen Gebrauch wir erst zu erlernen haben. Das Höchste und Kostbarste gibt sich nicht von selbst, sondern will erworben und errungen sein. So auch hier. Unser größtes Licht erschließt seine ganze Fülle nur dem, der danach trachtet mit allen Kräften. Wer Gottes Gesetz sucht und hat Lust an diesem Gesetz, dem wird sich das Buch auf unserm Altar entschleiern als das Buch der Bücher, ja, als das Buch der Menschheit. Er wird aus ihm den Plan erkennen, nach dem der ewige Meister das Menschengeschlecht erzieht, und wird ferner finden, daß auch die Entwicklung des einzelnen sich nach diesem Plane vollzieht. Wenn das heilige Buch uns aufgeschlagen vom Freimaureraltare her leuchtet, so will es nicht unsern freien Geist in Fesseln schlagen, sondern uns erleuchten und führen; nicht in Widerspruch will es uns setzen mit unserer Vernunft, sondern uns dahin geleiten, wo Glauben und Wissen versöhnt sind. >90< Dahin gelangen aber nur diejenigen, welche in Demut ihr Inneres der Erleuchtung öffnen, welche vor dem Gesetz des göttlichen Lebens in Ordnung treten und durch des Gesetzes Erfüllung sich mit Gott und Menschen vereinigen; oder anders ausgedrückt: Wer sich ins Zeichen stellt, und wer den Griff übt, dem öffnet sich das Verständnis des Wortes. Oder noch anders: Wer dem Hammer folgt, des Zirkels Spitze auf dem Herzen festhält, dem strahlt das größte Licht und führt ihn zum Anschauen der Vollendung. Darum Geräte am Ort! In des Meisters Hand regiere der Hammer; der Zirkel ist den Brüdern gegeben, und das größte Licht strahle vom Altar und erleuchte uns alle! (1895. 1904.) Die Bibel, unser größtes Licht. Wenn mir aufgegeben ist, einen unbekannten Weg zurückzulegen, so muß ich, wenn dieser Weg dunkel ist, mag auch dem Wanderer das Ziel wie ein leuchtender Stern aus der Ferne winken, eine Fackel mit mir nehmen, damit ich meinen Weg sehen kann. Oder wenn ich mir ein Haus baue, eine Werkstätte, in der ich eine mir aufgetragene Arbeit verrichten soll, so muß es drinnen hell sein; ich muß für wohlangebrachte Fenster sorgen, und ich muß, wenn der Tag mir nicht scheint, ein anderes Licht hineinbringen und mitten auf einen erhöhten Ort stellen, auf daß es leuchte bis in die fernste Ecke. Ganz so ist es auch bei uns Freimaurern. Wir führen mit uns das Licht der Vernunft, den göttlichen Funken, den wir als Erbteil vom Vater erhalten haben, das Licht, das uns sicher führt, wenn wir es zu erwecken verstehen. Das aber ist eben unsere Arbeit, die uns in unserem Hause, der Loge, vereinigt. Dieselbe hat auch Fenster; das Fragebuch des Lehrlings erzählt davon und sagt, daß es deren drei gibt, im Osten, Westen und Süden. „Sie waren vormals auf der Lehrlingstafel abgebildet und dienten den Arbeitern, zu leuchten, wenn sie von der Arbeit kamen und zu derselben gingen“; symbolisch aber bedeuten sie: „die Vernunft, den Verstand und den guten Willen des Meisters, wodurch die Brüder aller Grade unterrichtet werden.“ (Fr. B. Abt. III, Art. 3, Fr. 17 bis 20.) Aber diese dreifache Geisteskraft des einen fehlbaren Sterblichen, dem das verantwortungsvolle Amt geworden ist, die Loge zu erleuchten und zu regieren, reicht nicht aus; darum ist für ein anderes Licht gesorgt, das aus dem Mittelpunkte strahlt, dessen Leuchtkraft ungeschwächt fortbesteht und seine Strahlen bis in des Tempels äußerste Vorhöfe sendet: es ist unser vornehmstes Hausgerät, das größte Licht der Maurerei, die Bibel oder die heilige Schrift, welche >92< in jeder Loge auf dem Altar liegt. Erst wenn sie aufgeschlagen ist, und wenn der Meister sein Schwert, das Zeichen seiner ausübenden Gewalt, über sie gelegt hat, dann erst ist es Hochmittag, dann erst ist die rechte Zeit und die rechte Helligkeit vorhanden, unsere Arbeiten zu beginnen. Schon der Neuaufzunehmende wird, noch ehe die Binde von seinen Augen fällt, auf dieses Licht hingewiesen, und er muß sich, indem er die Hand auf dieses Heiligtum unseres Bundes legt, dem Lichte, das aus ihm leuchtet, zum ewigen Eigentum angeloben. „Das Buch, auf welchem jetzt Ihre Hand ruht, und auf welches Sie Ihr Gelübde abzulegen haben, ist die heilige Schrift, aufgeschlagen beim Evangelium St. Johannis. .... Glauben Sie es? —“, so spricht der Meister zu dem Aufzunehmenden, und man könnte die letzte Frage so auffassen, als ob der Meister sich die Überzeugung verschaffen wollte, daß der Suchende das Buch auch wirklich für die Bibel hält, trotzdem er es nicht sieht. Wohl aber kann man diesem „Glauben Sie es?“ eine tiefere Bedeutung unterlegen. Wohl dem, welchem in der Dunkelheit das Licht des Göttlichen, das Evangelium im Glauben an die ewige Wahrheit und Liebe aufgeht! Solch ein Licht soll die Bibel im freimaurerischen Sinne sein. Das Buch auf unserem Altar ist stets, seitdem es eben die Form angenommen hat, in der wir es jetzt besitzen, für das merkwürdigste von allen gehalten und mit ganzem Recht das Buch der Bücher genannt worden. Zu allen Zeiten haben Priester und Weise, Kritiker und Exegeten ihren Scharfsinn daran geübt, und wenn wir die Bücher zusammenbringen könnten, die über dieses Buch allein geschrieben worden sind, so möchten dieselben eine große Bibliothek ausmachen. Wenn nun aber ein Buch mit solchem Interesse von allen Generationen betrachtet wird, so liegt darin schon eine gewisse Berechtigung zu der Annahme, daß es nicht bloß das interessanteste, sondern auch das für die Menschheit wichtigste sein müsse. Um diese Annahme zu prüfen, wird es nötig sein, einen kurzen Blick auf den Inhalt des Buches zu werfen, denn uns ist die Bibel nicht bloß ein Symbol des Gottesglaubens, wie es in anderen Lehrarten der Fall ist, von denen manche das Buch geschlossen auf dem Altar liegen haben, sondern uns kommt es darauf an, was das Buch uns zu sagen hat. Es ist bekannt, daß das Ganze in zwei Hauptteile zerfällt, das sog. Alte und Neue Testament, wofür besser das Wort „Bund“ oder „Vertrag“ zu setzen wäre, da diese Bezeichnung das Wort des Urtextes besser wiedergibt. Jeder dieser Teile besteht wieder aus mehreren kleineren Abteilungen oder Büchern. Der überwiegend größere Teil aller dieser Schriften trägt einen historischen Charakter, der kleinere Teil ist poetisch-didaktischen Inhalts und dient den Geschichtsbüchern gleichsam als Ergänzung und Erläuterung. Der Anfang der biblischen Geschichtserzählung beginnt mit dem Anfang der Dinge überhaupt. Das erste, was uns entgegentritt, ist Gott, der urewige, allmächtige, schaffende Gott, der durch sein Wort das Licht hervorruft und von der Finsternis scheidet, der den Himmel wölbt und die Feste der Erde gründet und mit Pflanzen und Tieren bevölkert. Beschlossen aber wird das Schöpfungswerk mit dem Menschen, dem Ebenbilde Gottes, dem er seinen lebendigen Odem einblies und dadurch die Fähigkeit gab, sich selbst und seinen Schöpfer zu erkennen. Er stellte ihn hin, aufrecht, als den Erstgeborenen seines Lichtes, als sein liebstes Kind, ausgestattet mit allen Gaben. Aber der Mensch wollte seinen eigenen Weg gehen; er unterlag der Verführung und verlor das Paradies. Er zeugte ein sündiges Geschlecht. Bruderblut färbte den Boden, den er im Schweiße seines Angesichts bebauen sollte, und Gewalttat herrschte auf der Erde. Aber der Funke des Lichts verlosch nicht; der schaffende Geist Gottes regte sich im Staubgeborenen auch in seinem tiefen Fall. Wir sehen in Tubalkain die ersten Regungen der bildenden Kunst empor keimen, und die Flöten Jubals ertönen zum Lobe des ewigen Gottes (1. Mos. 4, 21,22). Selbst als die große Wasserflut hernieder kam, welche das sündige Geschlecht ersäufen sollte, da schwebte die Arche über den Fluten, und als die Sonne wieder hervorbrach, stand der Bogen des Friedens in den Wolken als ein Zeichen der Gnade Gottes und des ewigen Bündnisses zwischen ihm und dem Menschengeschlecht. Aber die Gottinnigkeit Noahs vererbte sich nicht auf seine ganze Nachkommenschaft. Abgötterei fand Eingang in den kommenden Generationen, und himmelstürmender Trotz erbaute den Turm zu Babel. Doch in den Kindern Sems, in den Patriarchen Abraham, Isaak und Jacob erhielt sich die alte Kunde und der Glaube an den einigen Gott. Er konnte nicht erstickt werden durch das Joch der Knechtschaft, unter dem die Nachkommen Abrahams in Ägypten seufzten, sondern er ward lebendig und gewaltig in Moses, der die Kinder Israel aus dem Diensthause ihrer Bedrücker hinaus führte, der ihnen von des Sinai Höhen das Gesetz hernieder brachte und sie endlich nach langen Mühsalen, die sie in der Wüste während vierzig Jahren erduldeten, in das Land der >94< Verheißung geleitete, wo sie als ein einiges, großes Volk, geleitet durch eine theokratische Verfassung, d.h. durch die Herrschaft Gottes selbst, erstarken und den Heiden gebieten sollten. Die Kämpfe, die sie unter der Führung der Richter gegen ihre feindseligen Nachbarn auszufechten hatten, befestigten das Volk immer mehr in dem edlen Selbstvertrauen, in dem Bewußtsein seiner göttlichen Mission, und führten es seiner Blütezeit entgegen, welche unter den Königen anbrach, unter David, der neben der Führung der Waffen auch die Harfe des Dichters zu rühren verstand und in seinen unsterblichen Psalmliedern den Ruhm Jehovahs verkündigte, und unter Salomo, dem es endlich vergönnt war, seinem Gotte ein Haus zu bauen in bis dahin noch nicht gesehener Pracht und Herrlichkeit, ein Nationalmonument, das für alle Zeiten ein Symbol bleiben muß für das Lebendigwerden des Glaubens an einen einigen Gott im Menschengeschlecht. Aber diese Blütezeit sollte nicht lange währen. So wie nach der alten Kunde das Weib im Paradiese den Mann zur Sünde verführte, so waren es auch jetzt Weiber, die den altersschwachen König, sonst den Weisesten seiner Zeit, zur Abgötterei verleiteten, welche unter seinen Nachfolgern immer mehr um sich griff und endlich zu Zwiespalt und Teilung des Reiches führte. Vergebens kämpfte der alte Glaube, der in den Propheten immer wieder von neuem sich regte, gegen die Finsternis des Baalsdienstes. Den fremden Eroberern machte der Zerfall die Mühe leicht. Der Assyrerkönig Salmanassar zerstörte das Reich Israel, und nicht lange dauerte es, da fiel auch Juda durch Nebukadnezar. Die Warnungen eines Jesaias und Jeremias hatten den Vernichtungsschlag nicht abwehren können. Der Eroberer führte das Volk, den unglücklichen König Zedekias an der Spitze, in die Gefangenschaft. Die heilige Stadt Jerusalem ward in einen Schutthaufen verwandelt, der kostbare Tempel ging in Flammen unter, und seine Säulen wurden zerschmettert und niedergestürzt, die Heiligtümer aber hinweg geschleppt. Doch selbst in dieser tiefsten Erniedrigung fehlte dem unglücklichen Volke nicht das lebendige Wort seines alten Gottes; es erscholl zu ihm aus dem tröstenden Munde eines Hesekiel, der mit in das Exil gegangen war, und befestigte in ihm die Hoffnung, daß das furchtbare Strafgericht des Herrn doch wieder seiner Gnade weichen müsse. Es erscholl am herzlichsten und hoffnungsreichsten in den tröstenden Worten des Deutero-Jesaias (d. i. Jes. Kap. 40 u. ff.). Und diese Hoffnung wurde erfüllt, als der milde Herrscher Cyrus den Juden die Heimkehr gestattete, als Serubabel sie wieder zurückführte zu den heiligen Stätten, und auch der Tempel unter Esras und Nehemias Leitung sich wieder aus dem Schutt erhob. Aber zu der alten Herrlichkeit konnte sich das Volk nicht mehr aufschwingen. Wir sehen noch ein letztes Aufflackern seiner Größe in dem Heldengeschlecht der Makkabäer, dann aber versinkt es immer mehr und mehr in Abhängigkeit von Rom, dessen Weltherrschaft damals begann. Der lebendige Glaube an Jehovah erstarrt immer mehr und mehr in dem toten Formeldienst des Pharisäertums, oder er verflacht im Skeptizismus der Sadduzäer. Aus dem alten Israel geht das starre, orthodoxe Judentum hervor, wie es sich im detailliert durchgeführten Zeremonialgesetz zeigt. Der alte Brauch der Väter wird durchsetzt mit griechischer Kultur, und das Nationalbewußtsein geht immer mehr verloren, so daß es selbst durch abermaligen Aufbau des wiederum zerstörten Tempels unter Herodes nicht hergestellt werden konnte. Aber das Volk sollte nicht untergehen, ehe es der Welt, der ganzen Menschheit, das gegeben hatte, was es der Welt zu geben bestimmt war. Was die Patriarchen in frommem Sinn geahnt, was die Propheten in Gesichten erschaut und mit Inbrunst ersehnt hatten, was in den späteren Psalmen aus dem Munde der Volksdichter erklingt, das ging, als die Zeit erfüllet war, hervor aus der Krippe zu Bethlehem, als der große, göttliche Held, dem es aufbehalten war, ein neues Reich zu gründen, das da nicht ist von dieser Welt, der einen neuen Tempel erbaute, nicht sichtbar und von Menschenhänden gemacht, aber allumfassend und vollendend das, was bis dahin unvollkommen gewesen war, einen Tempel, in welchem die ganze Menschheit, alle Kinder des einen Vaters, anbeten soll. Er, der Reine, der Fleckenlose, in dem das ewige göttliche Wort im Fleisch erschienen war, gab der gesunkenen Menschheit durch sein Leben und Lehren, durch sein Leiden und seinen Tod den Glauben an sich selbst wieder. Durch die gewaltige Sonne seines Geistes erleuchtete und erfüllte er das Gesetz, das sein Volk schon längst besaß, aber nicht verstand; er zeigte ihm erst das Licht desselben, das es bis dahin in totem Buchstabendienst nicht benutzt hatte, und er eröffnete neue Bahnen, indem er die Schranken der Rassen und Stämme durchbrach und seine Jünger hieß, die frohe Botschaft der Erlösung aller Welt zu predigen. — Von ihm, der den alten Bund, den Gott mit dem Menschengeschlechte geschlossen hatte, damals, als der Geist Gottes im ersten Menschen lebendig wurde, erneute und erfüllte, gibt Kunde das Neue Testament, der zweite Teil >96< unseres Buches. Die Evangelien erzählen von Jesu Wandel auf Erden, die Apostelgeschichte von der ersten Ausbreitung der neuen Lehre; in den Briefen sehen wir die Kämpfer für das neue Licht, in erster Reihe den Feuergeist des Paulus, die Waffen schwingen, und endlich finden wir in der Offenbarung Johannis, mit welcher das Bibelbuch schließt, zwar durchsetzt mit mannigfachen, noch ungeläuterten Vorstellungen der damaligen Zeit, aber dennoch klar ausgesprochen die feste Zuversicht der Ewigkeit des neuen Reiches, die unerschütterliche Gewißheit eines endlichen Sieges des Lichtes, das alles neu macht, das einen neuen Himmel und eine neue Erde gründet und ein neues Jerusalem erbauen wird, wo alle Tränen getrocknet sind und alles Leid vergangen sein wird. Es dürfte vielleicht überflüssig erscheinen, daß ich hier in gedrängter Kürze den ganzen Inhalt der heiligen Schrift vorgeführt habe, der ja bekannt ist. Doch ich habe das in guter Absicht getan; ich habe versucht hervorzuheben, wie das Licht des göttlichen Geistes im Menschengeschlecht durch mannigfache Prüfungen, durch große Umwälzungen und welterschütternde Begebenheiten doch nie ganz hat unterdrückt werden können, sondern wie es durch die wunderbare Kraft, die ihm selbst innewohnt, sich immer wieder aufs neue empor gerungen hat, bis es endlich, unverlöschlich für alle Zeiten, als Sonne der Wahrheit empor geflammt ist. Das ist das Licht, das für uns in der heiligen Schrift leuchtet, und daraufhin allein müssen wir als Freimaurer die Bibel ansehen, um dieses Licht für uns und unsere Arbeit zu verwerten. Die Bibel wird mit Recht das Buch der Bücher genannt. Es steht auf ihren Blättern eine unendliche Fülle der Weisheit, Wahrheit und Kraft, welche hoch erhaben ist über den verschiedenen Meinungen des Zeitgeistes und darum nie veralten kann und eine nie versiegende Quelle bildet für die Verjüngung des Menschengeschlechtes. Aber es ist nicht allein die Weisheitsfülle ihrer Sprüche, welche der Bibel ihren unschätzbaren Wert verleiht. Sie ist nicht bloß eine Sammlung von Lehren und Sentenzen wie der Koran und die Veden, sondern sie ist gleichsam eine Art Universalgeschichte der Menschheit, die uns an dem klassischen Beispiel des jüdischen Volkes zeigt, wie das göttliche Licht im Menschengeschlechte erwacht und, einmal zum Leben gelangt, nicht mehr erlischt. Diesen Standpunkt müssen wir bei unserer freimaurerischen Auffassung der Bibel festhalten. Wie ungemein verschieden ist die Bibel nicht in den verschiedenen Zeiten aufgefaßt worden! „Habent sua fata libelli.“ (Bücher haben ihre Schicksale.) Von keinem Buch gilt dieser Ausspruch mehr, als von dem Bibelbuch. Die Zeiten sind noch nicht allzu fern, in denen die Meinung unerschütterlich feststand, daß die heilige Schrift als unabänderlicher Kanon des Glaubens durch eine übernatürliche, unmittelbare Eingebung des heiligen Geistes, durch direkte Offenbarung Gottes entstanden sei. In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung wurde dieser Standpunkt streng festgehalten trotz einzelner häretischer Sekten. Erst Luther, der im ganzen auch noch auf diesem Boden steht, brach einer freieren Auffassung Bahn und wagte es, sich über einzelne Schriften freimütig in seiner derben Weise zu äußern. So nannte er z.B. den Brief des Jacobus eine „stroherne Epistel“, und von der Apokalypse sagt er: „Mein Geist kann sich in das Buch nicht schicken, und ist mir Ursach genug, daß ich sein nicht hoch achte.“ In der Gegenwart finden wir beide Extreme. Die orthodoxe Kirche hält in starrem Dogmatismus am Buchstaben fest. Sie verabscheut die freie Forschung und zittert noch heute vor dem Licht der Wissenschaft, durch dessen Aufleuchten Tatsachen der heiligen Überlieferung, wie sie in den Büchern des Kanons stehen, in Frage gestellt werden. Die unausbleibliche Folge davon, daß die Kirche nicht mit der Zeit und der fortschreitenden theologischen Wissenschaft mitgeht, ist das Hervortreten des anderen Extrems. Die Gebildeten wenden sich von der Kirche ab; sie perhorreszieren eine Auffassung der Bibel, die den Errungenschaften der modernen Wissenschaft zuwiderläuft, weil sie den Widerspruch nicht zu lösen verstehen. Und wenn sie einmal einen, den sie zu ihresgleichen rechnen, in das Buch der Bücher versenkt antreffen, dann kann derselbe ihres Hohnlächelns gewiß sein; er gilt für sie dann als ein höchst frommer Mann, d.h. als ein Pietist, für den der Geist der Wissenschaft nicht existiert. Dahin ist es gekommen! Würde ich fehlgehen, wenn ich behaupten wollte, daß von denen, die sich zu den Gebildeten zählen, höchstens der zehnte Teil eine Bibel besitzt, und daß von diesem Bruchteil wiederum neun Zehntel das Buch unberührt im Bücherschranke verstauben lassen? Doch ich kann hier eine Richtung der theologischen Wissenschaft nicht unerwähnt lassen, die von größter Bedeutung für die Stellung zur Bibel geworden ist. Die Tübinger Schule hat die literarhistorische Arbeit für das Neue Testament begonnen, und sie und ihre Nachfolger haben die zeitliche Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften und ihre Verfasser festzustellen gesucht. Für das Alte Testament hat >98< die Wellhausensche Schule gleich Bahnbrechendes geleistet, den alten Kanon aufgelöst und in seine zeitlich sehr verschiedenen Bestandteile zerlegt. Diese hochbedeutenden Gelehrten haben zu erforschen versucht, inwieweit die biblischen Erzählungen auf historischer Wahrheit beruhen, und was von ihnen in das Gebiet der Mythe zu verweisen ist usw. Wir sind ihnen für diese Forschungen außerordentlich dankbar. Sie haben mit der Bibel etwa dasselbe gemacht, was unsere modernen Astronomen mit der Sonne; sie richten ihre Teleskope darauf und sagen uns dann ganz genau, was für Flecken sie hat, sie erzählen uns von ihren Protuberanzen und ziehen aus ihnen Schlüsse auf die Natur des Sonnenkörpers, sie wissen durch den Spektralapparat genau, was für Stoffe in der Sonne brennen und wie groß die Hitze dort ist. Aber trotz aller dieser Erkenntnis wird sie uns doch nicht zu einem toten Feuerball, sondern sie bleibt für uns die Königin des Tages, der wir zujauchzen als der Spenderin des Lichtes und Lebens auf Erden, wenn sie sich am Morgen im Osten erhebt, „zu laufen ihre Bahn als wie ein Held“, und der wir feuchten Blickes nachschauen, wenn sie am Abend in Purpurglut niedergeht. Wir sehen nur ihr Licht und benutzen es, nicht ihre Flecken. So müssen wir auch das Licht der Bibel benutzen lernen, dieses Licht, das schon Jahrtausenden geleuchtet hat, das, zwar oft verkannt vom Eigendünkel, verdunkelt von Pfaffentrug und Aberwitz, verdreht von der Afterweisheit der Toren, immer wieder empor leuchtet und den Zeiten das gibt, was ihnen not ist. Wir können es aber nicht anders ergreifen, als wenn wir unser Herz reinigen und in Demut der Erleuchtung öffnen. „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Dies ist auch der Weg der Freimaurerei. Zu dem Erfassen unseres größten Lichtes hilft uns die scharfsinnigste Exegese, die spitzfindigste Hermeneutik, die schlagfertigste Kritik wenig oder gar nichts: „wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen“. In der heiligen Schrift selbst liegen die Schlüssel zu ihrem wahren Licht und rechten Verständnis; sie sagt: Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten (Joh. 4, 24); sie sagt: So wir im Geiste leben, so lasset uns auch im Geiste wandeln (Gal. 5, 25); sie sagt: Prüfet alles, und das Gute behaltet (1. Thess. 5, 21); sie sagt: Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig (2. Kor. 3, 6); und der Obermeister der Menschheit sagt: Suchet in der Schrift, denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darinnen, und sie ist's, die von mir zeuget (Joh. 5, 39). Daran ändert die Entstehungszeit der einzelnen Schriften nichts. Und die Freimaurerei, welche von der Bibel sagt, „sie regle unseren Glauben“ (so vorsichtig und nicht anders darf sich die Freimaurerei ausdrücken, sie leitet eben ihren Jünger an zum Suchen und Finden des Lichtes mit den wunderbar einfachsten Mitteln. Sie verweist ihn auf die drei Schläge, mit welchen sich der Meister ankündigt, und welche die drei Grundursachen bedeuten, die den Verstand erleuchten, befestigen und unterstützen: Natur, Religion und Stärke. — Sie leiten uns bei jeder Arbeit, und wir müssen sie auch der Bibel gegenüber uns gegenwärtig halten. Nur durch ein allseitiges Eindringen in die Natur der Dinge gewinnen wir Grund und Fortgang. Wir haben unsere Sinnesorgane erhalten, damit wir sie gebrauchen, damit wir die Natur erkennen sollen, soweit es uns möglich ist. Die Fackel der Wissenschaft ist uns vom Schöpfer auch als ein Licht verliehen, das wir nicht unter den Scheffel stellen sollen. Und wenn uns in unserem Bibelbuche Dinge begegnen, die der Naturwissenschaft und der Geschichte zuwiderlaufen, Anschauungen, die im Laufe der Zeiten veraltet sind, so haben wir dieselben im Lichte der Errungenschaften unserer Wissenschaft zu berichtigen; denn die Bibel „regelt“ wohl unsern Glauben, aber sie knechtet ihn nicht. Nicht in starrem Dogmatismus haben wir uns an die wörtliche Bedeutung des Buchstabens zu halten, sondern wir haben den lebendigen Geist zwischen den Zeilen zu lesen. Denn die Bibel ist kein Naturgeschichtsbuch, aus dem wir lernen sollen, daß die Welt in sieben Tagen geschaffen ist, sie ist auch kein Fabelbuch, das uns Märchen aufbinden will, sondern sie ist der Kodex des ewigen Geistes, der in der Menschheit gelebt hat und leben wird, solange Menschen auf diesem Erdball atmen. Sie ist das unvergängliche Zeugnis, daß ein Göttliches im Menschen lebt, eine unvertilgbare Spur des Ewigen, der einen Bund gemacht hat mit dem staubgeborenen Geschlecht. — Und wenn unsere Erkenntnis der Natur an ihre Grenze gelangt ist, dann erkennen wir in der Religion, in dem Glauben an das Göttliche um uns und in uns eine höhere Welt. Die sinnliche Welt wird uns eine Stufe auf der Bahn der Erkenntnis, auf der wir uns emporarbeiten zu einer Welt des Geistes. Und das Mittelglied, das uns diesen Schritt ermöglicht, das das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, das Endliche mit dem Unendlichen, das Zeitliche mit dem Ewigen in eins zusammenfaßt: >100< es ist die Stärke; es ist die Inspiration des Geistes, der die Materie mit seinem Feuer durchdringt, es ist die innere Gewißheit, die den Glauben zum Schauen erhebt, es ist die wahrhafte Offenbarung des Göttlichen, das sich unserm inneren Auge erschließt, wenn wir treu und unablässig danach gerungen haben. Das ist auch die Offenbarung, die den Männern ward, welche einst unsere heiligen Bücher der Bibel niedergeschrieben haben. Denn die Bibel ist weiter nichts als eine Sammlung von Büchern, von Menschen verfaßt. Übernatürliche, mystische Visionen und Verzückungen kennen wir nicht, wohl aber die flammende Begeisterung, dieselbe Begeisterung, die Moses die Erscheinung des Herrn im feurigen Busch erschauen ließ, dieselbe Begeisterung und Hingabe, die den Heiland in Gethsemane überkam, als ein Engel ihn stärkte, den Leidenskelch zu trinken. Jedes Blatt der heiligen Schrift gibt Zeugnis von dieser Stärke, die aus dem Staube zum Lichte emporhebt. Darum ist und bleibt die Bibel die wichtigste und älteste Kunsturkunde der Freimaurerei, ihr größtes Licht. Sie vom Altare herunterwerfen, hieße unsere Tempel mit Finsternis erfüllen und unser eigenes Todesurteil sprechen. Der Weg der Freimaurerei ist in ihr vorgezeichnet, es ist der Weg, den die Menschheit gegangen ist, und den jeder einzelne gehen soll. Oder haben wir etwa nicht alle das Paradies unserer goldenen Kinderzeit verloren? Bleibt sie nicht ewig wahr, die alte Mär von dem Apfel und der Schlange? Haben wir nicht alle den Tempel unserer Jugendideale erbaut und ihn durch unsere eigene Schuld und durch die Bosheit und Lüge der Welt in Trümmer stürzen sehen? Haben wir alle nicht Zeiten des Exils durchleben müssen, wo wir keinen Ausweg fanden und vergehen zu müssen glaubten in Schmach und Schmerz? Und hat uns dann nicht endlich doch die messianische Hoffnung getröstet, und tröstet sie uns nicht noch heute, daß es eine Aufrichtung geben müsse aus dem Fall, eine Vollendung des Unvollkommenen, eine Verklärung des Dunkeln zu nie verlöschender Herrlichkeit ? Darum, sage ich nochmals, ist und bleibt die Bibel das größte Licht der Maurerei, der Maurerei, die besteht in der positiven Kenntnis und Anwendung der Mittel, welche seit unvordenklichen Zeiten der Menschheit zur Aufrichtung und zur Reinigung gedient haben, und zwar — das ist wohl zu merken — die ganze Bibel muß es sein! Wir können das Neue Testament nicht hinten herausreißen, wir können die Kunde vom neuen Tempel nicht entbehren; denn das, was auf den Höhen des Sinai gegründet wurde, vollendete sich auf Golgatha, wo das reinste Menschentum verblutete, um die Menschheit zu dem verlorenen Bewußtsein ihrer selbst zu bringen, und wo der höchste Segen mit dem höchsten Opfer allen Geschlechtern und allen Zeiten erkauft ward. Durch diese Erlösungstat ist die Kraft geweckt, durch welche die Nationen das geworden sind, was sie sind, durch welche die ganze Kultur auf neue Bahnen geleitet worden ist, die mit ihrem Lichte auch die fernsten Kreise durchflutet, und von deren Fülle alle Menschen, Christen, Juden, Moslems und Heiden, schon jetzt Gnade um Gnade genommen haben und fort und fort nehmen; denn durch diese Kraft ist erst der Begriff der Humanität geboren, und ein unzerreißliches Band um die ganze Menschheit geschlungen, das sich von Jahrtausend zu Jahrtausend fester schürzen wird, bis endlich ein Geist alle regieren soll und ein Hirte und eine Herde sein wird. Im Hinblick auf dieses Vereinigungsband schließen auch wir unsern Bund enger und fester. Jede Arbeit, die wir hier im Scheine unseres größten Lichtes vollbringen, sei uns eine neue Erweckung, auf daß in uns stets der Gedanke lebendig sei, daß auch wir zu Streitern des Lichts, zu Tätern des Worts und nicht zu Hörern allein ausersehen sind, damit wir nie die Stunde zu scheuen haben, da das Anvertraute von uns zurückgefordert werden wird. Stehen wir fest im Kampfe für das Licht, und halten wir treu zum Wort. Wie auch die Finsternis toben mag: „Das Wort, sie sollen's lassen stahn!“ Dieser Gesang Luthers sei auch unser Schlachtgesang! (1876. 1903.) Die Beamten der Loge. Unsere Loge wird eine gesetzmäßige, verbesserte und vollkommene genannt; sie heißt gesetzmäßig, weil ihre Arbeit auf den ewig gültigen Normen des göttlichen Gesetzes gegründet ist; verbessert heißt sie, weil in ihr das Streben lebendig werden soll, das jenes göttliche Gesetz überall zur Geltung zu bringen sucht; und vollkommen wird sie genannt, weil sie die Vollendung dieses Werkes, wenn auch nicht in der Tat herbeiführt, so doch als leuchtendes Endziel ins Auge faßt und festhält. Wenn nun auch, wie wir in den vorstehenden Vorträgen gesehen haben, der Orden uns das Haus der Loge als eine Heimstätte der k. Kunst aufs genaueste kennen lehrt, so bleibt es doch im Innern tot, solange seine Bewohner fehlen, und vor allem, solange die Kräfte nicht walten, welche die Arbeit, die sich darin vollziehen soll, erst erwecken. Selbst das größte Licht auf unserem Altar bleibt tot, ein Buch mit starren Lettern, solange sich nicht Stimmen erheben, die seine Wahrheit verkündigen, und solange sich nicht Herzen öffnen, um diese Wahrheit aufzunehmen. Diese Kräfte nun werden angedeutet durch die Beamten der Loge, auf welchen ihre Tätigkeit in erster Linie ruht. Sie sind es, die die Loge erst gesetzmäßig, verbessert und vollkommen machen; denn von ihnen geht das eigentliche Leben der Loge aus. Unser Fragebuch spricht sich über dieselben folgendermaßen aus (Abt. II, Art. 2, Fr. 26 bis 31) : „Wieviel Brüder werden erfordert, der Loge die Gestalt zu geben?“ „Drei.“ „Welche sind diese?“ „Der Logenmeister, der Bruder erste und der Bruder zweite Aufseher.“ „Wie viele Brüder verbessern die Loge?“ „Fünf.“ „ Welche sind diese?“ „Die drei erstgenannten nebst dem Sekretär und dem Redner.“ „Wie viele Brüder werden endlich erfordert, eine Loge vollkommen zu machen?“ „Sieben.“ „Nennen Sie mir diese sieben Brüder!“ „Der Logenmeister, der Bruder erste Aufseher, der Bruder zweite Aufseher, der Sekretär, der Redner, der Rent- oder Schatzmeister und der Zeremonienmeister.“ Diese sieben also sind es, welche die Loge vollenden, und die berufen sind, die Brüderschar zu beleben, zu führen und zur Arbeit anzuleiten. Wie geschieht das? Um das zu erkennen, wird es nötig sein, auf die einzelnen Funktionen dieser sieben Beamten näher einzugehen. Der erste der Beamten ist der Logenmeister. Von ihm geht das eigentliche Leben der Loge aus; denn seine Pflicht ist es, zu erleuchten und zu regieren. Er hat seinen Sitz im Osten hinter dem Altar, im Osten, wo die Sonne ihren Tageslauf beginnt; und so wie sie erwärmend und belebend die Erde bestrahlt, so soll auch der Logenmeister sein Licht leuchten lassen in der Brüderschaft und durch sein Wort die Herzen regieren und zu dem hohen Ziele leiten, wo die Wahrheit selbst scheint und regiert. Darum ist er es, der das Licht austeilt durch Entzünden der drei Großen Lichter, welche die Loge erleuchten, darum liegt vor ihm die heilige Schrift, zum Zeichen, daß er der eigentliche Wortführer und Lichtspender ist; denn Licht und Wort sind es, von denen die Schriftstelle, bei der das heilige Buch aufgeschlagen ist, Zeugnis ablegt. Und der Meister ist es, der das Buch der Bücher aufschlägt und so den Brüdern unser größtes Licht enthüllt. In seiner Hand aber ruht der Hammer, das Zeichen der regierenden Gewalt, mit dem er zur Ordnung ruft, und durch dessen Schlag die ideale Welt der Loge gleichsam erst erschaffen wird. Zwischen ihm und der heiligen Schrift liegen das Winkelmaß und der Zirkel zu einem doppelten rechten Winkel vereinigt, die Zeichen der richtenden und abmessenden göttlichen Kräfte, durch die alles ins Werk gesetzt wird. Das Schwert >104< seiner Gerechtigkeit streckt er über das heilige Wort der Bibel aus, zum Zeichen, daß das Wort zur Tat werden soll, und daß es zur Durchführung gelange als Licht, das die Schatten der Finsternis vertreibt. So wird der Meister zum Symbol des großen Weltenmeisters, von welchem ausgeht der Geist der Liebe, der alles zu sich zieht und alles vereinigt. Auf seiner Brust trägt er das Winkelmaß, das sprechende Symbol des Rechts und des Gesetzes, das er zu handhaben berufen ist. Was aber wäre das Wort des Meisters, wenn es ungehört verhallte, und welchen Wert hätte das Licht, das er verbreiten will, wenn es nicht eine Stätte fände, wo es zur Wirksamkeit gelangen könnte. Dem Meister gegenüber im Westen haben die beiden Aufseher ihre Stellen. Sie strahlen das Licht, das vom Meister ausgeht, auf die Brüder zurück. Von Osten her dringt des Hammers Ruf nach Westen, und wie ein Echo schallt er zurück von den beiden Aufsehern. Sie sind die Vermittler zwischen dem Meister und den Brüdern; sie richten des Meisters Befehle an die Brüder aus, rufen sie zur Arbeit, entlassen sie von derselben und erteilen ihnen am Schluß der Arbeit ihren Lohn. Der ewige Meister hat sich selbst die Stätte bereitet, wo sein Licht geschaut und sein Wort vernommen werden kann. Das ist der Geist des Menschen. In ihm ist der ganzen Natur das Organ entstanden, durch welches die Äußerungen des göttlichen Wesens vernommen und aufgefaßt werden. Dunkel und ahnungsvoll erschallt der Widerhall des göttlichen Wortes aus dem Geist des Menschen heraus als Gewissensstimme. Sie ist es, die ihn zur Arbeit ruft und ihm nach getaner Arbeit den Lohn erteilt, die ihn führt und leitet auf dunkeln Wegen. Aber hell leuchtet ihm auch das Licht der Vernunft, es lehrt ihn erkennen und unterscheiden und zeigt ihm eine über dem Irdischen erhabene Welt, das Reich der Ideen. Vernunft und Gewissen des Menschen, das sind die beiden Reflexe des Lichtes und Wortes aus Osten im Westen, das sind die beiden Aufseher, die dem Meister gegenüberstehen, und sie finden wir wieder in den beiden Logenbeamten, die dem Meister am nächsten sind. Ihre Aufgabe ist es, „dem Meister zu gehorchen“; das müssen sie; denn sie sind die unmittelbaren Eingebungen des ewigen Meisters selbst. Sie bilden mit dem Meister ein Dreieck, das gestaltgebende, grundlegende Dreieck der Loge, deren Aufgabe es ja eben ist, die Kundgebungen des Gottesgeistes in die Erscheinung treten zu lassen und zur Anschauung zu bringen. Der erste Aufseher, welcher die Wasserwaage auf seiner Brust trägt, versinnbildlicht die Vernunft, welche aus den Erscheinungen der irdischen Dinge das göttliche Licht und Leben herauszuerkennen vermag. Sie lehrt uns den Baugrund für unser Gebäude gewinnen durch fortschreitende Erfahrung in der Betrachtung der Dinge um uns her, eine ebene Fläche, auf welcher der Bau nicht wanken kann. Daher ist die Wasserwaage das Attribut des ersten Aufsehers. Der zweite Aufseher aber deutet auf das Gewissen, auf die Stimme des Herzens. Wo das Licht der Vernunft versagt, da tritt die Kraft des Glaubens ein und leitet uns auf dunkeln Wegen. Wenn unser Fuß unsicher nach einem festen Standpunkt tastet, dann wirft der Glaube sein Senkblei in die Tiefen des Seins, die der menschlichen Erkenntnis verschlossen sind, und die innere Stimme erweckt in uns die Ahnung des Göttlichen auch da, wo uns das Schauen verwehrt ist. Darum schmückt den zweiten Aufseher das Senkblei. So erkennen wir also, daß der Meister und die beiden Aufseher die drei Angelpunkte sind, auf welchen die ganze Arbeit der Loge ruht. Nun sind aber noch andere Kräfte vorhanden, die in der Loge zur Wirksamkeit gelangen. Wir sehen zu beiden Seiten des Meisters je zwei Beamte sitzen, zur rechten den Sekretär und den Redner, zur linken den Schatzmeister und den Zeremonienmeister. Das sind die vier, die die Loge verbessern und vollkommen machen. Alle vier stehen gleichfalls im Dienste des Meisters; sie sind ihm zur Hilfe beigesellt als seine Boten und Genien, die die Kraft seines Wortes und den Schein seines Lichtes nach verschiedenen Richtungen hin ausbreiten. Die beiden zur Rechten des Meisters sind die Vertreter des Wortes, und zwar der Sekretär des geschriebenen, der Redner des gesprochenen Wortes. Der Meister beauftragt den Redner, zu den Brüdern zu sprechen und sein Licht ihnen zu übermitteln; er ist gleichsam der Mund des Meisters, ja, er muß sogar außerhalb des Logenraumes dem Meister durch das Wort zu dienen bereit sein. Der Meister, der seinen Platz nicht verlassen kann, sendet ihn hinaus zu dem fremden Suchenden in die dunkle Kammer, um ihn vorzubereiten und durch das Wort sein Inneres zu bewegen und empfänglich zu machen für das, was ihm bevorsteht. Weil der Redner der Vertreter des gesprochenen Wortes ist, so trägt er als Beamtenzeichen ein Buch, das mit einem Dreieck bezeichnet ist, welches den bedeutungsvollen Buchstaben G. zeigt. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß das Buch die Bibel vorstellen soll, in deren Schriften das Wort des Höchsten sich in unerschöpflicher >106< Fülle offenbart hat, durch welches Gott „manchmal und auf mancherlei Weise“ geredet hat zu unseren Vätern, und durch welches er bis auf den heutigen Tag zu uns spricht, um uns seine Größe und Herrlichkeit erkennen zu lassen. Wenn so der Redner gleichsam der Mund des Meisters ist, so ist der Sekretär seine rechte Hand; denn er führt die Feder und trägt darum auch als Amtszeichen zwei gekreuzte Federn, die in dem gestaltgebenden Dreieck der Loge liegen, weil sie im Dienste der Loge stehen. Er legt das ganze geistige Leben der Loge fest durch seine Aufzeichnungen, indem er die Worte des Meisters, des Redners und aller Brüder niederschreibt. Durch Abfassung der Niederschriften aber schafft er die Archive der Loge, die von Geschlecht zu Geschlecht Kunde geben von ihrer Wirksamkeit. Er sorgt dafür, daß ein Schatz von Weisheit und Erkenntnis aufgespeichert wird, aus dem noch späte Generationen erkennen sollen, wie die Väter einst gestrebt haben, und wie das ewige Licht der Wahrheit, wenn es auch von verschiedenen Geistern zu verschiedenen Zeiten verschieden aufgefaßt und dargestellt worden ist, dennoch dasselbe bleibt, gestern, heute und in alle Ewigkeit. Und nun endlich die beiden Beamten zur Linken des Meisters, welche die Loge vollkommen machen. Wenn der Redner und der Sekretär dem Geiste dienen, so sind der Schatzmeister und der Zeremonienmeister die Vertreter der äußeren Form. Auch diese ist wichtig und darf nicht vernachlässigt oder ganz hintangesetzt werden. Die Form ist der notwendige Träger des Inhalts; ohne die Form muß der Geist sich verflüchtigen, und nur durch sie kann er in die Erscheinung treten und zur Wirksamkeit gelangen. So wie der Sekretär geistige Schätze im Archiv der Loge ansammelt, so sorgt der Schatzmeister für das materielle Vermögen der Loge. Er tut das aber nicht aus Freude am Mammon, sondern er hat die höheren Zwecke im Auge, welche die Loge durch ihre Mittel zu fördern hat. Für ihn gilt das Wort: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon.“ Ein Fluch ruht auf dem Golde, das sehen wir täglich bewahrheitet. Wir sehen, wie der überwiegend größere Teil der Menschen sich bemüht, Schätze von allen Seiten her zusammenzuraffen in dem tollen Wahn, daß das Gold allein glücklich macht. O höchste Torheit! Ihr eigenes Verderben beschwören sie herauf. Der Fluch, der am Golde haftet, kann sich nur in Segen verwandeln, wenn von den gesammelten Schätzen die rechte Anwendung gemacht wird. Gold ist zu vergleichen dem Dünger, mit welchem der Landmann seinen Acker bestellt. So wie das Gold ist er von hohem Werte, aber nicht an und für sich, sondern nur insofern, als durch ihn die Frucht des Feldes gedeihen soll. So sollen auch die Schätze, die der Schatzmeister ansammelt, allein dem höheren Zwecke dienen, die Aussaat zur Reife zu bringen, welche in der Loge ausgestreut wird. So wie der Mensch nicht leben soll, um zu essen, sondern essen soll, um zu leben, so sucht der Schatzmeister das Vermögen der Loge durch kluge Verwaltung zu vermehren, nicht um des Geldes selbst willen, sondern um diese äußeren Mittel in den Dienst der k. Kunst zu stellen, um ihre Arbeiten so würdig und feierlich als möglich zu gestalten, und vor allem, um Tränen zu trocknen, wohlzutun und Hilfe zu bringen, wo es nötig ist. Er zieht nicht nur die regelmäßigen Geldbeiträge von den Brüdern ein, sondern er sammelt am Schlusse jeder Arbeit für die Armen. Daher kann man wohl den Schatzmeister des Meisters linke Hand nennen, die offene Hand, die vom Herzen kommt, und die da weiß, daß Geben seliger denn Nehmen ist. Als Zeichen seines Amtes trägt er zwei gekreuzte Schlüssel innerhalb des Dreiecks. Es sind die Schlüssel zum Schatz, den er verschließt, um zu bewahren, und den er öffnet, um seinen Segen ausströmen zu lassen. Der Zeremonienmeister endlich wacht über die äußere Form der Logenarbeiten. Die Ordnung innerhalb der Loge aufrecht zu erhalten ist sein vornehmstes Augenmerk. Ehe die Arbeit beginnt, hat er darauf zu sehen, daß alles an Ort und Stelle ist. Er hat die Brüder aufzufordern, die maurerische Bekleidung anzulegen, und ladet sie ein zum Betreten des Heiligtums. Daselbst hat er darauf zu sehen, daß jeder die Stelle einnehme, die ihm gebührt. Er stellt ferner die nötigen Wachen aus, im äußeren Zimmer sowohl wie bei der inneren Tür. Der Wachthabende, der an dieser seinen Platz hat, ist eigentlich nur ein Abgeordneter und Stellvertreter des Zeremonienmeisters; von den beiden Schwertern, die dieser als Amtszeichen trägt, hat er das eine dem Wachthabenden gleichsam geliehen, „um die fremden Unkundigen abzuhalten“. Um diesen Zweck zu erfüllen, muß der Zeremonienmeister auch außerhalb des Tempels seines Amtes walten. Seine Pflicht ruft ihn hinaus, wenn es gilt, einen fremden, den Eintritt begehrenden Bruder zu prüfen, ob er ein Mitglied einer rechtmäßigen und anerkannten Loge sei. Der Zeremonienmeister ist der einzige Beamte, der zu jeder Zeit seinen Platz in der Loge verlassen darf, um überall eingreifen zu können, wo seine ordnende Hand nötig ist. Er >108< vertritt gleichsam des Meisters Füße, da dieser seinen Platz nicht verlassen kann. Er muß überall seine Augen haben, überall zuspringen, um keine Unordnung aufkommen zu lassen. So erscheint unsere Loge durch ihre sieben Beamten als eine gesetzmäßige, verbesserte und vollkommene. Sieben, eine heilige Zahl! Was sie besagen will, darüber an einem anderen Orte ein Weiteres; hier nur soviel, daß diese Zahl nicht durch weitere Einschiebung von Beamten verwischt werden darf. In anderen Lehrarten sehen wir die Zahl der Beamten um ein Beträchtliches vermehrt. Da finden wir Schaffner, Almosenpfleger, Bibliothekare, Archivare, sogar einen Musikdirektor in dem Rat der Beamten aufgeführt und mit besonderen Amtszeichen versehen. Das sollte bei uns nicht sein. Zwar werden solche Beamte wohl notwendig, und zwar je größer die Loge ist, desto dringender, desto mehr ist es erforderlich, Hilfskräfte heranzuziehen für die immer verwickelter werdende Verwaltung. Aber niemals sollen solche Hilfsbeamten eingefügt werden in die organisch abgeschlossene Körperschaft, auf deren Wirken das Leben der Loge ruht. Erinnern wir uns, daß unsere Loge ein Abbild sein soll der von Gott geschaffenen Welt. Die Kräfte, die sich in ihr regen, sollen sich auch in der Loge abbilden. Wie der ewige Meister im Osten sitzt und die Welt erleuchtet und regiert, wie er das Licht seiner Vernunft dem Menschen gegeben und die Stimme des Gewissens ihm ins Herz gelegt hat, damit sein heiliges Wesen dem Sterblichen offenbar werde, das haben wir gesehen. Nun fragen wir aber weiter: Hat der dreifach große Baumeister auch die beiden anderen Beamtenpaare zu seiner Rechten und Linken? Wie sollte er nicht! Finden wir nicht die Urkunden seiner Macht, Herrlichkeit und Größe aufgezeichnet mit unverlöschlicher Schrift im großen Buche der Natur? Wohin auch immer wir unsere Blicke richten, sei es auf Erden, sei es am Himmel, es gibt für uns genug zu lesen, woraus wir das Wirken des Meisters erkennen, und die Geologen und Paläontologen eröffnen uns sogar die Archive des großen Meisters, die uns von längst vergangenen Zeiten und Epochen unseres Erdballs erzählen. Und seine Redner hat sich der Meister zu allen Zeiten erweckt. Dichter und Propheten haben zu uns geredet, getrieben von dem heiligen Geist Gottes, haben seine Taten gepriesen und haben gezeugt von seiner Güte und Barmherzigkeit. Und wenn wir beten: „Gib uns unser täglich Brot!“, dann tritt ungesehen der Rent- und Schatzmeister des großen Vaters droben zu uns und gibt uns zur Genüge aus nie erschöpften Vorratskammern. Jedes erhält seine Speise zur rechten Zeit, und alles, was lebt, wird erfüllt mit Wohlgefallen. Und sein Zeremonienmeister, das ist der Sinn für Ordnung und Gesetz, der unverlöschlich im Menschengeschlecht waltet. Mag auch oft genug Umsturz und Verwirrung der menschlichen Verhältnisse drohen, eine unsichtbare, ordnende Hand waltet immer und führt alles zum geregelten Gange zurück, dieselbe Hand, die die Natur in ihren ewigen Bahnen geordneter Entwicklung hält. Dieses große Bild der idealen Loge vor Augen, mögen wir nie vergessen, auch in unser Inneres zu blicken und zu bedenken, daß auch jeder von uns für sich ein Tempel des Höchsten sein und das Urbild der Loge in sich aufgerichtet haben soll. Vergessen wir nie, daß der ewige Meister selbst sich uns zur Wohnung ausersehen hat, und sorgen wir, daß Vernunft und Gewissen als seine getreuen Aufseher über unserm inneren Heiligtum Wacht halten. Dann wird auch das lautere Wort der Wahrheit in uns lebendig sein und als Redner von unseren Lippen das Lob des Herrn verkündigen, und unser Sekretär wird in die Tafeln unseres Gedächtnisses eintragen alles Gute, was wir seit unserer Kindheit Tagen bis heute von Eltern, Lehrern, Freunden, Brüdern und von Weib und Kind erfahren haben. Dankbarkeit sei die schöne Frucht, die sein verborgenes Wirken zeitigt, Dankbarkeit und freudiges Gedenken des Guten; das Üble aber sei ausgelöscht aus unserer Erinnerung, Zufriedenheit aber und Wohltätigkeit sei unser Schatzmeister und taktvoller Sinn für Ordnung und Recht unser Zeremonienmeister, der die äußere Form durchdringt mit dem Geiste der Liebe, Wenn jeder so seine innere Loge in Ordnung hält, dann wird es auch gut mit unserer äußeren Loge stehen, und freudig werden wir singen können: „Fest steht unser Bau, Der Menschheit zur Wonne, Wenn jeder für ihn Sich rüstet und wacht!“ (1891.) >110< Das Eröffnungs- und Schlußritual der Loge und die freimaurerische Zeitrechnung. Das Alltäglichste, was uns bei jeder Logenarbeit entgegentritt, ist das Eröffnungs- und Schlußritual der Loge. Auf manche wirkt dasselbe durch seine stete Wiederholung ermüdend, und man vernimmt, wohl hier und da den Wunsch, daß solche Formen abwechslungsreicher gestaltet werden möchten. Solches Verlangen aber kann nur da laut werden, wo es an genügendem Verständnis fehlt. Wer den Sinn unseres Rituals auch nur annähernd kennen und würdigen gelernt hat, der wird nie daran denken, es abgeändert oder gar beseitigt zu wünschen, noch weniger wird er sich durch seine Wiederkehr ermüdet fühlen, vielmehr wird er stets aufs neue eine innere Erhebung erfahren, wie sie ihm auch die geistvollste, mit dem schönsten rhetorischen Schmuck ausgestattete Logenrede niemals gewähren kann. Die Loge als Ganzes genommen ist ein Symbol, ebenso wie jedes einzelne Bild und jede Handlung, die sie uns vorführt. Jedes Symbol aber ist mehrdeutig, und es ist für unsere Lehrart charakteristisch, daß sie diese Mehrdeutigkeit unter drei große Gesichtspunkte ordnet, wonach sich für alles eine moralische, eine historische und eine freimaurerisch - wissenschaftliche (mystische) Bedeutung ergibt. Mit diesen drei Bedeutungen ist alles erschöpft. Die Freimaurerei fängt beim Individuum an, beim einzelnen Menschen und seiner Erziehung; sie führt uns weiter zur Gesamtheit der Individuen, zur Menschheit und ihrer geschichtlichen Entwicklung, und sie erweitert endlich unseren Gesichtskreis, indem sie unsern Blick von dem Menschen und seinem kleinen Wohnsitze, der Erde, auf den Makrokosmos, auf das Weltganze richtet. Alle drei Bedeutungen müssen berücksichtigt werden, obgleich in der Johannisloge das moralische, auf den einzelnen Menschen bezügliche Element in den Vordergrund treten muß. Nichts kann einfacher sein als die Einrichtung unserer Lehrlingsloge. Ein Zimmer, an dessen östlichem Ende auf einer Erhöhung von drei Stufen der Altar sich befindet, auf dem Altar drei brennende Lichter, ferner Bibel, Winkelmaß, Zirkel und Hammer, mitten im Zimmer abermals drei Lichter und die zusammengerollte Arbeitstafel, die Sitze der Brüder: das ist alles, das ist der Ort, wo das geheimnisvolle Werk der Freimaurerei sich vollziehen soll. Welche Bedeutung der Raum der Loge für uns hat, davon reden unsere Akten im Fragebuche ausführlich. (Fragebuch II. Abt., 2. Art.) Sie sprechen von ihrer Länge und Breite, von ihrer Höhe und Tiefe, sowie von ihrer Lage und von den Dingen, die zu ihrer Ausrüstung gehören, und von den Kräften, die sie regieren. Sowie aber die Tätigkeit dieser Kräfte beginnt, haben wir es nicht nur mit dem Raum, sondern auch mit der Zeit zu tun. Daher beschäftigt sich unser Ritual, welches gerade den Beginn und den Schluß dieser inneren Logentätigkeit darstellt, vorwiegend mit der Zeit, und ein ganzer Artikel (Ebenda 3. Art.) unseres Fragebuches handelt von der Zeitrechnung des Freimaurers und steht mit dem Ritual im engsten Zusammenhange. Die Eröffnung der Loge stellt uns nun den Akt der Schöpfung dar, sowohl des Menschen, der Welt im kleinen, des Mikrokosmos, der Gründung aller irdischen Verhältnisse, als auch des Weltganzen, des Makrokosmos; der Schluß der Loge dagegen weist hin auf das Ende unseres Lebens, das Ende aller irdischen Tage, das Ende aller erschaffenen Dinge. Zwischen diesen Anfangs- und Endpunkten liegt die Entwicklung des Lebens, die die eigentliche Logenarbeit versinnbildlicht. Sobald die Loge geöffnet werden soll, nimmt der Meister seinen Platz am Altar ein, tut mit dem Hammer einen harten Schlag und ruft die Brüder „in Ordnung“, worauf dieselben ihre Plätze einnehmen und sich in das Logenzeichen stellen. Dieser erste einfache Hammerschlag ist die Marke, mit welcher das eigentliche Leben der Loge beginnt. Des Meisters Wille wird wach und verkündet sich, laut hallend, durch den ganzen Raum. Das Werkzeug der zwingenden Kraft, der Hammer, der doppelte rechte Winkel, das in Tätigkeit tretende göttliche Gesetz ist es, das da ordnet und richtet. Ordnung unser selbst, Richtung unseres Geistes und Herzens auf das Ewige um uns und in uns, das ist es, was uns nötigt, das Zeichen des rechten Winkels an >112< uns anzulegen und uns aufrecht zu stellen vor dem, der uns durch sein Schöpferwort ins Leben gerufen hat. Der Hammer ist das Werkzeug der Erzeugung, durch welches das durch den göttlichen Willen zum Leben Gerufene in die Erscheinung tritt. Mit seinem Schlage dringt der Schöpfungsruf: „es werde“ durch das Chaos. Durch ihn bildet sich die Welt, sich ausdehnend von Osten nach Westen, von Norden nach Süden, empor zur höchsten Höhe, hinab zur tiefsten Tiefe. Mit dem ersten Hammerschlage, der die Brüder auf die Plätze und in das Zeichen ruft, fängt sich erst an die Loge zu bilden, indem die Aufseher dem Meister im Westen gegenübertreten, und die Reihen der Brüder sich hinziehen im Norden und Süden. So wird erst das Viereck der Loge durch lebendige Kräfte hergestellt, durch eine Kette von Wesen, in denen und durch die das Werk der k. Kunst sich verkörpern soll. Es ist wohl darauf zu achten, daß die Aufseher diesen Schlag nicht beantworten, — so steht es ausdrücklich im Ritual; sie werden erst durch ihn an ihre Stellen gerufen, sie treten erst durch ihn ins Leben. Nun beginnen die Wechselreden zwischen dem Meister und den Aufsehern, also zwischen den drei Beamten, denen die Öffnung der Loge obliegt. Drei Brüder werden erfordert, um der Loge die Gestalt zu geben, sagt unser Fragebuch (II. Abt., 2. Art., Fr. 26 u. 27), der Meister und die beiden Aufseher. Die Plätze dieser drei obersten Beamten bilden ein großes Dreieck, welches das ganze Logenquadrat durchzieht. Was haben diese drei Beamten nun zu bedeuten? Die ganze Freimaurerei gründet sich auf die Annahme der Existenz eines göttlichen Wesens; ohne diese Grundlage ist keine Freimaurerei möglich. Wir sind aber weit entfernt davon, unsere Vorstellung von dem Wesen der Gottheit in eine dogmatische Formel zu fassen und solche den sich uns Nahenden aufzudrängen. Die Freimaurerei sucht vielmehr, indem sie die allgemeinsten und allen gemeinsamen Vorstellungen von Gott zusammenfaßt, dem forschenden Geist eine Richtung und Anleitung zu eigenem Finden zu geben. Alle, die Gott suchen, kommen darin überein, daß sein Wesen unendlich und ewig, mithin ein unergründliches Geheimnis für uns sein muß. Wir können Gott nicht schauen, wir können ihn nur ahnen, an ihn glauben und versuchen, anbetend uns ihm zu nähern. Solange mit unserm irdischen Leibe uns die Fessel der Materie anhaftet, solange wir in Raum und Zeit mit unserm Dasein gebannt sind, können wir zu keiner absolut reinen Vorstellung des höchsten Wesens gelangen. Nur aus seinen Werken erkennen wir Gott, aus seinem Schaffen und Schalten, aus seinem Wirken und Weben, aus den Gesetzen, die uns als das ewig Bestehende aus dem Wechsel und der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen entgegentreten. Es gelingt uns aber nur immer von der einen oder anderen Seite her, uns dem Unbegreiflichen zu nähern, und doch lebt wiederum in uns die feste Vorstellung, daß er die große Einheit sein müsse, die alles in sich schließt, in welcher alles lebt und webt und ist. Hier tritt uns nun die Geometrie helfend zur Seite, jene Wissenschaft, in welcher absolute Wahrheit herrscht. Sie zeigt uns in der Zahl, wie die Einheit sich teilt in die Mehrheit, und sie zeigt uns in den Flächenfiguren, wie sich die Mehrheit wieder in die Einheit zusammenfassen läßt. Wenn wir ein gleichseitiges Dreieck, die denkbar einfachste Figur, betrachten, so erhalten wir den ästhetischen Eindruck einer Einheit, und doch sehen wir drei Endpunkte, drei Linien, drei Winkel. Wie das zugeht, ist ein Geheimnis, es ist einmal so, es liegt in unserer Natur. Das Rätsel können wir nicht lösen; aber wir haben ein Symbol erhalten, welches uns darauf führt, die Vielheit wieder als Einheit zu erfassen, und welches uns, deren ganze Natur gleichsam auf das Symbol angelegt erscheint, dahin bringt, das Getrennte zu vereinigen. Das Dreieck ist das einfachste (aber nicht das einzige) Symbol für das Wesen und die Wirksamkeit des göttlichen Geistes. Wir erkennen die Wirksamkeit Gottes in dreifacher Weise: 1. als Schöpfer und Vater aller Wesen, dessen Weisheit der Plan der Schöpfung und das Weltgesetz, wonach sich alles vollzieht, entsprang; wir erkennen ihn 2. im Geschaffenen, im Sohne, in dem sich das Göttliche in irdischer Hülle, im Fleische, offenbart in der Schönheit, die der Abglanz des Schöpfers im Geschaffenen ist; endlich erkennen wir Gott 3. in dem heiligenden Geiste, der das Mittelglied, die Vereinigung zwischen Vater und Sohn, Schöpfer und Geschaffenem, bildet, die Stärke, die die irdische Fessel überwindet und das Geschaffene geläutert und geheiligt zum Urquell zurückführt. So verehren wir den Unerforschlichen als den dreifach großen Baumeister der Welt, wie das Christentum ihn verehrt als den Dreieinigen, als Vater, Sohn und Geist, und so pflanzt die Maurerei die Erkenntnis seiner höchsten Eigenschaften, Weisheit, Schönheit, Stärke, als die unerschütterlichen drei Säulen auf, worauf das ganze Gebäude der k. Kunst, der Tempel des Universums sowohl, als auch der Tempel >114< unserer Arbeitsstätte, als auch der Bau des Heiligtums unseres Herzens ruht. Wir erhalten somit das gestaltgebende Dreieck der Loge, das gebildet wird durch den Meister und die Aufseher. Mehrfach finden wir außerdem dieses grundlegende Dreieck in der Loge wieder: wir sehen es an der vorderen Fläche des Altars, wir sehen es in den drei Punkten des Winkelmaßes, das der Meister auf der Brust trägt, wir finden es in den Endpunkten des doppelten rechten Winkels, der durch Winkelmaß und Zirkel auf dem Altar gebildet wird, wir finden es in den drei Endpunkten des Hammers, in den drei Lichtern auf dem Altar und um die Arbeitstafel, und endlich trägt es jeder von uns auf seinem Herzen als des Maurers höchsten Schmuck, als Kelle, überall darstellend die Vereinigung göttlicher Kräfte. In der Natur, im großen Bauwerk der Welten, fühlen wir das Wesen des Ewigen, des Meisters, der seine Aufseher sich gegenübergestellt hat als Wirkung und Gegenwirkung, als die Offenbarungen und Betätigungen seines Geistes, des Unsichtbaren im Sichtbaren, in die Erscheinung Getretenen; und auch in der Loge unseres Herzens lebt der Meister; denn wir sind nach seinem Bilde geschaffen, die beiden Aufseher aber sind die Stimme des Gewissens, die zuerst mit leisem Mahnen uns die Ahnung des Göttlichen erweckt und uns, wie der zweite Aufseher bei der Aufnahme, die ersten dunkeln Wege leitet, — und die Kraft unserer Vernunft, welche die Ahnung des Lichtes in uns zur glaubensvollen Zuversicht erstarken läßt, die uns dem Meister entgegenführt, wie es der erste Aufseher gemeinsam mit dem zweiten bei unserer Aufnahme tat. — Und auch in der Geschichte der Menschheit spüren wir den Meister und die Aufseher. Der Meister lenkt unsichtbar aus dem ewigen Osten die Geschicke der Völker; nach seinem ewigen Gesetz vollzieht sich die Entwicklung der Menschheit wie des einzelnen. Seine Aufseher aber sind die Geisteshelden, die er sich erweckt, wenn die Verwirrung menschlichen Treibens am größten erscheint. Er stellt sie sich gegenüber im Westen, d.h. er läßt sie in irdischer Gestalt unter den Menschen wandeln und rüstet sie aus mit der Kraft seines Hammers, mit dem Schwerte der Wahrheit seines heiligen Wortes, auf daß sie die Irrenden leiten auf den rechten Weg, der in die Heimat zum Vater führt. Denken wir an jene beiden Erscheinungen, die in einer Zeit der größten Zerfahrenheit auftraten, als die Welt aus den Fugen zu geraten schien, an Johannes den Täufer, der die Ahnung des Göttlichen in den schlafenden Gewissen der Abgefallenen wachrief und das Schwert der Selbsterkenntnis auf die trägen Herzen setzte; und denken wir an den großen Meister, der nach ihm kam, um die Feuertaufe zu spenden, der die Binde fallen machte und den Menschen das volle Licht gab, in dessen strahlendem Scheine sie den Meister und sich selbst als Brüder erkannten. So ergibt sich uns die moralische, freimaurerisch-wissenschaftliche und historische Bedeutung des gestaltgebenden Logendreiecks. Nachdem wir uns darüber klar geworden sind, wird die fernere Deutung unseres Rituals keine besonderen Schwierigkeiten haben. Doch bleibt noch manches Merkwürdige und der Erklärung Bedürftige übrig, vor allem die verschiedenen Fragen nach der Zeit. Wir haben gesehen, wie durch den Hammerschlag des Meisters, der die Brüder an ihre Plätze rief, der Raum der Loge durch die Begrenzung im Osten, Westen, Süden und Norden geschaffen wurde. Die erste Frage des Meisters zur Eröffnung der Loge bezieht sich auf die Zeit. Raum und Zeit sind die beiden großen Schemata, in welche sich alle menschlichen Vorstellungen einfügen, und in denen sie verlaufen; sie sind, wie Kant nachgewiesen hat, die Formen unserer Anschauung. Der ganze menschliche Organismus ist auf Raum und Zeit angelegt, und alles, was wir denken und schaffen, ordnet sich im Nacheinander der Zeit und im Nebeneinander des Baumes. Aber obschon wir beide als eine irdische Schranke unseres Geistes empfinden, geben sie uns dennoch die Unterlage für die Annäherung an die höchsten Begriffe. Beide sind unbegrenzt. Der unbegrenzte Raum führt uns zum Begriff der Unendlichkeit, und die unbegrenzte Zeit zum Begriff der Ewigkeit. Unendlichkeit und Ewigkeit aber sind vereinigt in Gott, im Zentrum des wahren Seins, welches weder an Raum noch an Zeit gebunden ist. Dahin nun will die Freimaurerei uns führen. Sie will uns die ewige Loge von ferne zeigen, in der alle Zeitrechnung aufhört, die nicht geöffnet und nicht geschlossen wird, die keinen Osten und Westen, keinen Süden und Norden mehr hat, sondern nur ein Licht, das nie erlischt, die Gottheit selbst. Den ersten Schritt dazu führt uns nun das Eröffnungsritual, indem es uns sowohl die Raumbezeichnungen durch die Himmelsgegenden zum Symbol für eine höhere Idee werden läßt, als auch dadurch, daß es, uns aus der profanen Zeitrechnung hinausführend, uns die maurerischen Stunden der Arbeit und Ruhe einprägt. >116< „Welche Stunde ist es?“, fragt der Meister. „Es ist die zwölfte Stunde“, antwortet der erste Aufseher, gleichviel, welche Stunde die profane Zeitrechnung zeigt. Das Fragebuch sagt, daß die Glocke zwölf geschlagen hat, bevor die Loge geöffnet wird; d.h. ein neuer Zeitabschnitt, ja, eine neue Zeitrechnung soll jetzt beginnen. Zwölf ist ein Nullpunkt der Zeitrechnung, ein alter Zeitraum ist abgelaufen, ein neuer beginnt, und hier bezeichnet uns die Zwölf die Grenzscheide zwischen profaner und maurerischer Zeit. An erstere erinnert die von dem gewöhnlichen Zifferblatt der Uhr hergenommene Zwölf, an letztere der Umstand, daß diese Zahl genannt wird, gleichviel, welche Stunde die profane Uhr zeigen mag. Die Zeit des Träumens ist abgelaufen, die Zeit des Schaffens, der Entwicklung beginnt; es ist der Grenzpunkt, an dem ein neues Leben erwachen soll, vergleichbar dem Augenblick, da der Geist Gottes sein: „es werde“ sprach; es ist die Scheidung zwischen Licht und Finsternis, Chaos und Ordnung. Draußen tobt das Gewühl der Welt. „Zeit ist Geld“, so hört man draußen rufen; die törichten Menschen schauen ängstlich auf die Uhr und wollen keine Minute versäumen, um irdische Güter, Ehre, Macht und Ansehen zu erringen, und denken nicht daran, das höchste Gut zu erwerben; — hier aber ist Friede, Ordnung und Sammlung, wenn die zwölfte Stunde schlägt. Draußen „stoßen sich hart im Raume die Sachen; wo eines Platz nimmt, muß das andere rücken“; — hier „rührt sich Meister und Geselle in der Freiheit heil'gem Schutz“. Und so ist es auch in der inneren Loge, im Heiligtum des Menschenherzens. Wenn die zwölfte Stunde schlägt, dann erwacht der Mensch vom Pflanzendasein zum geistigen Leben und Streben. Er erschrickt vor den in Unordnung übereinander gehäuften chaotischen Massen, die den Raum seines inneren Tempels ausfüllen; er fühlt den Zeitpunkt gekommen, da es anders werden muß, er fühlt, daß auch in ihm das Abbild des ewigen Meisters wohnt, der seine Aufseher, Vernunft und Gewissen, an ihre Stellen ruft, auf daß es Licht werde. — Und so ist es auch im Leben der Völker. Die zwölfte Stunde hat geschlagen, wenn die Zeit erfüllet ist und der Geist der ewigen Liebe sich seine Boten erweckt, die der verwirrten Welt ein neues Licht anzünden sollen. „Was ist die erste Pflicht eines guten Freimaurers, bevor die Loge geöffnet wird, insbesondere des zweiten Aufsehers ?“, so fragt der Meister den letzteren, und die Antwort lautet: „Nachzusehen, ob die Loge recht und gehörig gedeckt ist.“ Das Wort „decken“ hat einen doppelten Sinn, es bedeutet erstens verbergen, zweitens schützen. Beides findet hier seine Anwendung. Die Loge wird am besten geschützt vor feindlichen Gewalten, die ihre Arbeit stören, dadurch, daß durch Verschwiegenheit und Unzugänglichkeit ihr Wesen und Tun vor der Außenwelt verhüllt wird. Der zweite Aufseher, der mit der Außenwelt in unmittelbarstem Verkehr steht, denn er ist es ja, an den sich alles von außen Kommende, den Eintritt Begehrende zuerst zu wenden hat, erfüllt diese Pflicht, indem er das Schwert zieht und hinausgeht, um zu sehen, ob die Wächter an ihren Stellen sind. Der tiefere Sinn dieser Handlung ergibt sich leicht nach der dreifachen Symbolbedeutung. Die große Weltenloge ist wohlgedeckt, dafür hat der große Baumeister, der sie erstehen ließ, gesorgt. Die Gesetze, nach welchen die Entwicklung des Weltganzen vor sich geht, sind unwandelbar, denn sie sind ein Ausdruck des heiligen Willens des Weltgeistes, in welchen nichts störend eingreifen kann. Aber auf Erden, wo im Menschengeschlecht das Irdische mit dem Geistigen, die Lüge mit der Wahrheit ringt, da gilt es für die, welche sich zusammenscharen, um vereinigt die Heiligtümer der Menschheit gegen die Übermacht der Gewalt, Arglist und Bosheit zu schützen, wachsam zu sein, den Feind abzuhalten. Mag die Finsternis noch so dicht uns umhüllen, mag uns die Verwirrung auch oft unlösbar erscheinen: es lebt doch ein Großes im Menschengeschlecht, das nicht erstickt werden kann, wenn auch das schwache Flämmchen manchmal vom Sturme verlöscht zu werden droht. So wie in jedem einzelnen Menschen das Gute nie ganz untergehen kann, so wirkt auch in der Menschheit der Geist Gottes fort, trotz aller Wirren und Parteiungen. Diejenigen aber, die das Heilige in sich und in der Menschheit erkennend, das Weltgesetz des Obermeisters zu Ehren bringen wollen, bilden zusammen die große, unsichtbare Loge, die da wohlbedeckt bleibt durch die treue Wacht ihrer Aufseher. Wir alle sind zu dieser Logenwacht berufen. Aber wir können nur geschickt werden zu diesem Dienst für das Allgemeine, wenn jeder einzige dafür sorgt, daß der zweite Aufseher seiner inneren Loge, die Stimme des Gewissens, zu jeder Zeit nachsieht, ob das innere Heiligtum wohl gedeckt sei gegen jede unlautere Regung; denn wenn unser Herz nicht rein, unser Geist nicht klar und unser Wille nicht auf das Höchste gerichtet >118< ist, sind wir weder würdig noch geschickt, einzugreifen in die große Arbeit des Ganzen. Nun ist alles vorbereitet, das Leben der Loge kann beginnen. Der erste Schritt dazu ist, daß der Meister die Aufseher zum Altar ruft, um ihnen das Licht zu erteilen, damit sie es in den noch dunkeln Raum der Loge hinaustragen. Warum es drei Lichter sind, die sowohl den Altar als auch die Loge erleuchten, darauf brauchen wir nach dem oben Erläuterten nicht mehr zurückzukommen. Wir müssen uns jedoch darüber verständigen, was die drei Lichter der Loge gegenüber denen des Altars zu bedeuten haben. Die drei Lichter des Altars brennen schon vor Eröffnung der Loge; sie sollten eigentlich unaufhörlich brennen wie das Feuer im Tempel der Vesta und die ewige Lampe in den katholischen Kirchen. Sie sind das Urlicht des Meisters selbst, das nie verlöschen kann, das ewig ist, wie er selbst. Die drei großen Lichter der Loge aber, die vom Meister an dem nordöstlichen Altarlichte angezündet werden, stellen die Offenbarung des göttlichen Lichtes in der sichtbaren Welt dar. In der Welt wechselt hell und dunkel. Im All flammen Sonnen auf und verlöschen wieder. Auf Erden folgt dem Tage die Nacht. Sonne und Mond gehen auf und unter, sowie die Lichter der Loge sich entzünden und am Schluß verlöschen. Auf Erden, im Leben der Völker, wechselt Erhebung und Erniedrigung, Blüte und Verfall, so, wie im Leben des einzelnen Menschen der Aufschwung des Geistes, die mutige Begeisterung für das Große und Edle gefolgt wird von Ernüchterung und Ermattung, da uns das Licht verloschen erscheint, als könnte es sich nie wieder entzünden. Auf Freude folgt Leid, auf Leben Tod. So ist es im Plane des Meisters bestimmt. Der Freimaurer weiß das. Ruhig sieht er dem Wechsel des Irdischen zu. Er freut sich der strahlenden Helle, aber er wird auch nicht durch die Dunkelheit erschreckt; denn es ist ihm wohl bewußt, daß es ein Licht gibt, das keinem Wechsel unterworfen ist, und eine Kraft, die stets bereit ist, das Erloschene wieder neu zu entzünden. Diesen Glauben verliert er nie, auch wenn die Schatten des Todes ihn schon bedecken. Er geht zur Ruhe und weiß, daß der ewige Meister ihn erwecken wird zu neuem Leben. Im Lichte der göttlichen Offenbarung erscheint nun die Arbeitstafel, um beim Schlusse der Loge wieder zu verschwinden. Sie wird von zwei Lehrlingen entrollt, zur Erinnerung an jenen alten Brauch der Bauhütte, nach welchem bei Eröffnung der Loge die Symbole der Kunst durch die Lehrlinge mit Kreide auf den Fußboden gezeichnet und am Schlusse mittels eines Kehrwisches und Wasser wieder ausgelöscht wurden. Von Lehrlingshänden wird die Tafel entrollt, zum Zeichen, daß in jedem Menschen, auch in dem am wenigsten unterrichteten, die Wahrheiten der k. Kunst verborgen liegen, und daß die Symbole, die sie ausdrücken, durch die Organisation des Menschen und der ganzen Natur gegeben worden sind. Die Tafel ist zwar, wie es heißt, „von den Meistern zum Unterrichte mitgeteilt worden“ (II. LB., Beil. S. 42), aber die Lehrlinge enthüllen sie, denn die Geheimnisse des Lebens erschließen sich nur dem reinen Herzen, dem unbefangenen Gemüte, in dem ihre Lösung ruht. Nun ist es hell, und die Urkunde von den göttlichen Gesetzen der Entwicklung alles Lebens ist aufgeschlagen. So wie das Licht der Sonne das Leben der Erde erweckt, so beginnt es jetzt auch in der Loge sich zu regen. Dieses Pulsieren des Lebens stellt sich dar in dem maurerischen Klopfen der drei Schläge, welches vom Meister ausgeht und von den Aufsehern her widerhallt. Was die drei rhythmischen Schläge bedeuten, wird nicht ohne Grund uns bei jeder Aufnahme eingeschärft: sie deuten auf die „drei Grundursachen, welche den Verstand erleuchten und ihn die Einrichtung des Ordens zu ergründen, zu umfassen und zu verteidigen geschickt machen. Diese Grundursachen sind: Natur, Religion und Stärke“, letztere durch den dritten und stärksten Schlag angedeutet. In diesen drei Schlägen liegt das ganze Geheimnis, das ganze Mysterium unserer Kunst, das uns vom Dunkel zum Lichte führt. Durch die Erkenntnis der Natur der Dinge und unserer eigenen Natur gelangen wir zur religiösen Idee, von der irdischen Erscheinung zum wahren Sein und zur Erkenntnis des Göttlichen. Wir können aber auf diesem Wege nur fortschreiten, wenn wir aus uns heraus eine Kraft entwickeln, die uns zum Verbindungsglied wird zwischen Materie und Geist, zwischen Geschöpf und Schöpfer. Dieses geheimnisvolle Agens nennt die Freimaurerei „Stärke“. Die Erkenntnis und das Inswerksetzen dieses Vorganges ist — ich darf es wohl sagen — das Wichtigste des ganzen Ordens. Es zieht sich hindurch vom Anfang bis zum Schluß, und auf dem Siegel unserer höchsten Ordensabteilung finden wir es wieder in den drei Buchstaben: N. R. F., d.h. Natura, Religio, Fortitudo. Niemals dürfen wir, wenn wir weiterkommen wollen, diese Trias aus den >120< Augen verlieren. Darum prägt sie uns der Orden so nachdrücklich durch das maurerische Klopfen ein, das niemals überhört werden, dessen Rhythmus von dem, der ihn einmal gehört hat, nie wieder vergessen werden kann. Ergründen, ergreifen und verteidigen sollen wir jene drei Grundursachen, d.h. wir sollen als Lehrlinge die darin ruhende Wahrheit auffinden; wir sollen als Gesellen sie aus allen Lagen des Lebens, selbst in den verwickeltsten Verhältnissen wiederzufinden wissen; nur dann erst können wir sie umfassen und uns ganz zu eigen machen; und verteidigen sollen wir sie als Meister, d.h. sie bewähren durch unsere Tat, sie ausbreiten dadurch, daß das Geheimnis an uns selbst zur Wahrheit wird, so daß wir für diese Wahrheit allein zu leben und zu sterben wissen. Dreimal durchpulst die Kunde von diesem innersten Geheimnis bei der Eröffnung und beim Schluß in den von den Aufsehern wiederholten Schlägen den Kaum der Loge: 1. wenn es Mittag ist, dann beginnt die Arbeit; sie ist im Lehrlingsstadium; dann gilt es die Ergründung; 2. wenn Hochmittag verkündigt ist; das ist die Höhe der Arbeit, das Gesellenstadium; dann gilt es das Umfassen; und endlich 3. wenn um Hochmitternacht die Loge geschlossen wird, das ist das Meisterstadium; dann soll die Arbeit vollendet und damit die Kraft gewonnen sein, die uns nicht verläßt, wenn auch die Kerzen verlöschen, und die Arbeitstafel unseren Blicken entschwunden ist; dann gilt es, das Heiligtum zu verteidigen und die Wahrheit durch Hingabe unser selbst zu besiegeln. So gelangen wir nun endlich zu den eigentlichen maurerischen Arbeitsstunden, zu den vier Wachen, wie das Fragebuch sie nennt: Mittag, Hochmittag, Mitternacht und Hochmitternacht. Mittag — so heißt es dort — ist es, wenn der Meister im Begriff steht, die Loge zu eröffnen; Hochmittag, wenn die Loge eröffnet ist; Mitternacht, wenn der Meister im Begriffe steht, die Loge zu schließen; Hochmitternacht, wenn die Loge geschlossen ist. Diese vier Zeiten umfassen den Freimaurertag, der um sechs Uhr morgens nach profaner Zeitrechnung beginnt, und zwar so, daß auf jede Wache sechs Stunden kommen. Es muß auffallen, daß in der freimaurerischen Zeitrechnung nur die Bezeichnungen Mittag und Mitternacht vorkommen; von Morgen und Abend ist gar keine Rede. Wie ist das zu erklären? — Unser ganzes Leben ist, ebenso wie sein Abbild, die maurerische Arbeit, eine Wanderschaft. „Wie wandern die Johannis-Lehrlinge ?“, so fragt das Fragebuch; und die Antwort lautet: „Von Westen nach Osten, um das Licht aufzusuchen.“ (Fragebuch III. Abt., 2. Art., Fr. 1.) Westen ist somit unser Ausgangspunkt; Westen, wo die Gestirne niedergehen, ist der Ort, wo das Geschaffene aus dem Zustande des Unbewußten heraus zum Bewußtsein eines höheren Lebens erwacht und sich aufmacht, um zum Lichte zu gelangen. Darum tritt der Neuaufzunehmende durch die westliche Pforte ein und kommt zwischen die Aufseher zu stehen, welche im Westen sein müssen; denn sie sind ja, wie wir gesehen haben, die Kräfte, die sich im Irdischen, Geschaffenen, also im Westen, regen, und an deren Hand wir die Wanderung nach Osten vollenden. Im Osten aber, wo das Licht der Gestirne uns aufgeht, hat der Meister seinen Sitz; nicht der sterbliche ist gemeint, der mit „hochwürdig“ angeredet wird, weil er gewürdigt ist, als Symbol des ewigen Meisters das Abbild der Weltenloge zu erleuchten, sondern der unsichtbare göttliche Meister, der selbst das Licht ist, dessen Kleid wir nur schauen in Gold und Himmelblau, wenn wir das Auge erheben zum Himmelszelt mit seinen goldenen Sternen, bei deren Anblick die Ahnung des Unendlichen uns durchschauert. Zu ihm wollen wir gelangen, er ist das Ziel unserer Wanderung. Er, der die Weltenloge selbst erleuchtet und regiert, hat seinen festen unabänderlichen Sitz, denn er bildet den Mittelpunkt alles Seins und Lebens; die Aufseher aber, die ihm gehorchen, haben nur Stellen, sie stehen vor dem, dem sie gehorchen. Ebenso unabänderlich wie der Sitz des Meisters, ebenso wandelbar, wenn auch immer dem Meister gegenüber im Westen befindlich, sind die Stellen der Aufseher. Sie sind es ja, die die Befehle dessen, dem sie gehorchen sollen, hinaustragen, oft nahe, oft fern vom Meister; sie sind es, die den Suchenden auf seiner Wanderschaft begleiten, um ihn endlich zum Meister hinzuführen. Diese Wanderung aber, die unsern ganzen Freimaurertag erfüllt, können wir nur vollenden, wenn wir den Weg durch Süden und durch Norden zurücklegen, denn diese beiden Regionen erstrecken sich von Westen nach Osten hin. Süden und Norden entsprechen also in der Zeit unserer Wanderung Mittag und Mitternacht. Wir sehen hier, wie der Orden den Raum und die Zeit gleichsam miteinander zu einem Begriff zu verschmelzen trachtet. Auch im profanen Leben wird manchmal Mittag für Süden und Mitternacht für Norden gebraucht. >122< Von der Sonne ist auch unsere maurerische Zeitrechnung hergenommen. Die Sonne ist ein Abglanz des ewigen Lichtes, an welchem ihr Feuer, das auf unserm Erdball das Leben erweckt, entzündet ist. Wenn sie rechts von unserm nach Osten führenden Wege steht, dann ist sie im Süden, sie ist über dem Horizont und gibt uns den Tag. In der Loge strahlt uns diese Tageshelle, sobald die Lichter angezündet sind; dann wird Mittag verkündigt. Hochmittag aber bezeichnet den Kulminationspunkt der Sonne und die Strecke, die sie durchläuft bis zu ihrem Untergange. Hochmittag wird verkündigt, wenn der Meister das größte Licht der Freimaurerei, die Bibel, geöffnet und sein Schwert darüber ausgestreckt hat, und wenn die Brüder durch das dreimalige Lehrlingszeichen dem Meister die Loge haben eröffnen helfen. Ohne die Brüder kann das Werk der Loge nicht ins Leben treten. Meister und Aufseher geben ihnen das Licht, die Brüder aber empfangen und verarbeiten es in sich; darin besteht eben das wahre Leben der Loge. Was die Bibel für die Freimaurerei bedeutet und weshalb sie unser größtes Licht genannt wird, muß in einem besonderen Vortrag erörtert werden; hier genüge es, daran zu erinnern, daß unsere drei Kerzen nur Dämmerschein verbreiten, wenn das Buch der Bücher noch geschlossen ist. Erst wenn es an jener Stelle sich öffnet, wo in einfachen und doch so unergründlich tiefen Worten die Kunde ausgesprochen ist von dem Wort, das im Anfang war, durch das alle Dinge gemacht sind, und das der Menschen Licht und Leben ist, jene Stelle, die da redet von der Fleischwerdung des göttlichen Wortes, das unter uns wohnte voll Gnade und Wahrheit, und von dessen Fülle wir und alle Menschen Gnade um Gnade genommen haben: dann erst ist es Hochmittag, dann kann das Geisteslicht, das die Loge uns anzündet, nicht höher steigen, denn wir haben das Licht, das wir ahnungsvoll in den drei Kerzen schauten, jetzt verbrieft vor uns liegen in jener heiligen Urkunde, welche Zeugnis davon ablegt, wie das Licht in der Menschheit aufgegangen und wirksam geworden ist. Vor dieser strahlenden Offenbarung göttlichen Lebens genügt es nicht, bloß in Ordnung zu stehen: der Meister fordert das volle Lehrlingszeichen, welches er selbst mit allen Brüdern macht, und zwar nach Maßgabe unserer drei Schläge, zweimal vor und einmal nach der Öffnung der Bibel. Das Wort soll Tat werden, seine Kunde soll uns ganz durchglühen, ganz vergeistigen, ganz nach dem Ebenbilde des ewigen Wortes gestalten. Das Schwert des Meisters aber liegt schützend über dem Heiligtum, bereit, zu verteidigen und durchzuführen, was groß und göttlich ist, bereit zur Strafe und zum Kampfe gegen das, was das Licht trüben und herabziehen will. So wird endlich die Loge mit Gebet um Segen und Kraft von oben geöffnet. Aber wenn auch der volle Strom des Lichtes uns umflutet, — wir sind und bleiben staubgeborene Menschen, Untertan dem Wechsel dieser Zeitlichkeit. Es ist unser Schicksal, daß wir nicht vermögen, das heilige Feuer in gleichmäßiger Helle uns zu erhalten. Die Arbeit naht ihrem Ende; die Mitternacht bricht an. Den Süden des Lebens haben wir ausgekostet, wir haben das Licht geschaut und sind ihm entgegengegangen. Wir haben das Leben auf unserer Wanderung kennen gelernt in seinem Glanze und seiner Schönheit: jetzt gilt es, durch Norden zu gehen. Die Sonne, welche uns zur Rechten war, ist jetzt links von unserem Wege, aber sie leuchtet uns nicht mehr, nur Abenddämmerung verbreiten unsere Lichter, und bald steht das Tagesgestirn tief unter dem Horizont, im Norden, unsichtbar für uns. Das ist Mitternacht, die letzte Arbeitsstunde. Zum Ziele können wir nur gelangen, wenn wir, vom Lichte gestärkt, auch durch die Finsternis zu dringen wissen. Nach Osten können wir nur durch Süden und Norden, durch Mittag und Mitternacht, durch Freude und Schmerz, durch Erhebung und Erniedrigung, durch Leben und Tod. So naht die Hochmitternacht heran, die Wache, in welcher der Freimaurer nicht mehr arbeitet, da die Sonne, die uns in die dritte Wache noch ihren dämmernden Scheidegruß schickte, ihrem Kulminationspunkte gegenüber im Norden tief unter dem Horizont steht. Das Heiligtum auf dem Altar schließt sich, die Tafel verschwindet, die Lichter erlöschen, die Stunde ist da, in der der Maurer nicht mehr arbeitet. Wir gehen ein zur Ruhe und entschlafen. Ehe wir aber Abschied nehmen, werden wir von der Arbeit entlassen und erhalten unseren Lohn. Der Meister, der seinen Sitz im Osten ewig behält, hat den Aufsehern, die ihm im Westen gehorchen, befohlen, die Arbeiter zu bezahlen und sie nach Hause zu entlassen. Dieser Lohn ist das Bewußtsein, das uns die Stimme unseres Gewissens und unserer Vernunft, die Aufseher unserer inneren Loge, geben, wenn wir unsere Pflicht getan haben. Durch das dreimalige Lehrlingszeichen, das die Brüder jetzt wiederum beim Hereinbrechen der Hochmitternacht machen, legitimieren sie sich als solche, die nach bestem Willen gestrebt haben, recht und unsträflich zu wandeln und den Geist des Göttlichen in sich einziehen >124< zu lassen. Darum machen sie das Zeichen, wie es ausdrücklich vorgeschrieben ist, beim Schluß der Loge ohne den Meister. Bei der Eröffnung ging es vom Meister aus; er zeigte den Brüdern das heilige Gesetz. In der Mitternachtsstunde aber schweigt diese Offenbarung aus Osten; nur des Meisters Auge wacht und sieht, was sein Zeichen in seinen Kindern gewirkt hat. So gehen wir ein zur Ruhe, wenn unser Auge bricht und unsere Werkzeuge unsern Händen entsinken. Unsere Reise ist noch nicht vollendet, wir sind noch im Norden und vom Osten noch fern, aber wir schlummern ein in der Hoffnung, daß die erbarmende Liebe und Gnade „die noch rückständige Reise“ für uns vollenden, und daß die allmächtige Hand der Erlösung sich uns entgegenstrecken und uns emporheben werde, auf daß wir erwachen am Herzen des Vaters zu neuem, seligen Leben, des Vaters, dessen heiliger Name gepriesen sei vom Osten zum Westen, vom Süden zum Norden, und der allezeit mit seinen Kindern sein wird, die seine ewige Liebe in das Leben rief. „Welche Zeit ist es, wenn die Brüder auseinandergehen ?“, so lautet die letzte Frage, und der zweite Aufseher nennt die gewöhnliche Stunde. Die profane Zeitrechnung ist wieder in ihre Rechte getreten. Eine, vielleicht zwei Stunden sind seit dem ersten Hammerschlage verflossen; aber wo waren wir während der kurzen Zeit! — Den ganzen Sonnenzirkel haben wir durchmessen, den Raum der Unendlichkeit haben wir durchschritten, in Höhen und Tiefen haben wir gewohnt, gelernt und gearbeitet. Die k. Kunst war es, die uns über Raum und Zeit erhob. Jetzt gehen wir auseinander; das Treiben der profanen Welt nimmt uns wieder auf. Aber wenn wir uns auch trennen: als Brüder bleiben wir verbunden; das unverlöschliche, uns ein für allemal erteilte Licht begleitet uns hinaus und bildet das Band, das uns umschlingt und uns immer wieder einer den andern finden läßt. Seine Weisheit gibt uns Frieden da draußen; seine Schönheit lächelt uns an als Freude, auch wenn der Schmerz uns durchzuckt; und seine Stärke schafft die Eintracht unter denen, die, durch dasselbe Band verbunden, das Höchste suchen. Ja, Friede, Freude und Einigkeit begleite uns alle auch dorthin, wo wir uns im ewigen Reiche am Vaterherzen wiederzufinden hoffen! Es geschehe also! (1881.) Die allgemeinen Zeichen des Freimaurerordens. In tiefstes Dunkel sind die Anfänge unseres Ordens gehüllt. Keine Urkunde erzählt uns davon. Je weiter wir in die Vergangenheit forschend zurückschauen, desto spärlicher fließen die geschichtlichen Quellen, ja selbst wenn wir auf die Geschichte des heutigen Logenwesens blicken, so finden wir, daß seine Anfänge kaum 200 Jahre zurückreichen. Das heutige Logenwesen aber ist nicht die Freimaurerei, ist nicht der Orden selbst; es ist nur die jeweilige, der Veränderung unterworfene Erscheinung, in welcher sich der Orden zur Zeit darstellt. Wenn wir aber von dem Orden in seiner Allgemeinheit reden, so ist damit die Idee gemeint, wie sie als das eigentliche belebende Element in der Freimaurerei zutage tritt; es ist der freimaurerische Gedanke, der sich im Laufe der Zeiten in sehr verschiedener Weise offenbart hat, und der sich in der Entwicklung der Menschheit bewährt hat als ein Mittel der Vereinigung derjenigen, die sich seinem Dienste widmeten. Diesen Gesichtspunkt hat Lessing mit wahrhafter Genialität, noch ehe er dem Orden angehörte, festgestellt durch den Ausspruch: „Die Freimaurerei war immer!“, d.h. sie entstand, als der Mensch, aus dem rohen Naturzustande heraustretend und zu sanfteren Sitten gewöhnt, sich seines göttlichen Ursprunges bewußt ward und aus diesem Bewußtsein heraus es unternahm, sein Inneres aufzuerbauen nach Gesetzen, die ihm die Gottheit selbst offenbart hatte. In unseren Akten wird als das eigentliche Geheimnis des Ordens seine Entstehung und Stiftung bezeichnet. Und in der Tat ist es so. Nicht nur der Zeitpunkt, wann das Licht im Herzen des Menschen sich zu regen anfing, und wann die also Erleuchteten und Strebenden sich >126< vereinigten, ist in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt, sondern auch der Vorgang der inneren Lichtwerdung selbst, das Erwachen zu einem neuen Leben, das Wiedergeborenwerden im Geist, ist ein tiefes Geheimnis, das jeder einzige, der sich dem Orden weiht, in seinem Innern erfahren und erleben muß, ein Geheimnis, nur für ihn selbst spürbar und an keinen andern verratbar. Aber auch selbst dem, der am tiefsten davon ergriffen ist, bleibt es noch ein Geheimnis. „Der Wind blaset, wo er will“, sprach der Obermeister zu Nikodemus, „und du hörest sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.“ Wer will sagen, wie es zuging, als er zum Licht erwachte? So wie unsere leibliche Erzeugung und Geburt uns ein Rätsel ist und bleiben wird, so ist es auch mit der geistigen Geburt. Es sei mir gestattet, dies an einer Stelle unserer Akten deutlicher zu zeigen. In der III. Abteilung unseres Fragebuches, im ersten Artikel, findet sich folgende merkwürdige und schwer verständliche Stelle: „Sind Sie ein Freimaurer, mein Bruder?“ „Alle Freimaurer-Brüder und Ritter erkennen mich dafür.“ „Wie soll ich Sie erkennen?“ „Durch die allgemeinen Zeichen des Freimaurerordens, die mir sorgfältig mitgeteilt worden sind.“ „Wieviel sind der allgemeinen Zeichen des Ordens ?“ „Sie sind unzählig.“ „Wie machen Sie dieselben?“ „Durch Darstellung von Winkeln, wassergleichen und senkrechten Linien.“ Zunächst muß hier auffallen, daß von unzähligen Zeichen die Rede ist, und daß mir diese unzähligen Zeichen sorgfältig mitgeteilt sein sollen, was an und für sich zu den unmöglichen Dingen zu gehören scheint. Bei meiner Aufnahme habe ich ein einziges Zeichen erhalten, das Lehrlingszeichen, welches, wie das Fragebuch sagt, aus einem Winkel, einer wagerechten und einer senkrechten Linie bestand, und jeder folgende Grad brachte mir ein neues Zeichen, alle aber bestanden aus denselben Elementen. Das wären also im ganzen neun Zeichen. Ich soll aber unzählige Zeichen durch sorgfältige Mitteilung erhalten haben. Wie geht das zu? Nun, wie werden uns denn die Zeichen mitgeteilt? Der Meister gibt Auftrag, den Unterricht vorzulesen, und die beiden Aufseher unterrichten darin, indem sie den Aufgenommenen praktisch sorgfältig unterweisen und ihn anleiten, das Zeichen selbst zu machen. Wie also? Ist bei meinem Unterrichte denn etwas versäumt worden, da ich statt der unzähligen Zeichen nur eins bzw. neun erhalten habe? Es leuchtet ohne weiteres ein, daß es zu den Unmöglichkeiten gehört, von einem Menschen, einem endlichen Wesen, einen Unterricht über unzählige Dinge zu erhalten. Um Unzähliges mitzuteilen, dazu gehört ein unendliches Wesen, und der den Unterricht empfängt, muß die Fähigkeit haben, sich zu dem Begriff der Unendlichkeit und Ewigkeit zu erheben. Wenn also unser Fragebuch die Wahrheit sagt, so muß die unendliche und ewige Gottheit selbst unser sorgfältiger Lehrmeister gewesen sein, und zwar eben gerade dadurch, daß sie uns die Fähigkeit verlieh, ihr ewiges, heiliges Wesen, wenn nicht voll zu begreifen, so doch wenigstens zu ahnen und im Glauben sich ihm zu nähern. Zwei Kräfte sind es, die als göttliche Geschenke in uns hineingelegt wurden: Vernunft und Gewissen. Das sind die beiden Aufseher, welche über unsern geistigen Tempelbau gesetzt sind, und an welche die beiden Aufseher der Loge uns stets erinnern sollen. Durch Vernunft und Gewissen werden wir unterwiesen in den unzähligen allgemeinen Zeichen des Ordens. Das Lehrlingszeichen sowie die Zeichen der anderen Grade, in denen die Aufseher uns unterweisen, sind die speziellen Zeichen, es sind die Schemata für das große Allgemeine, durch sie wird unser Inneres erst erschlossen, Vernunft und Gewissen erst in die rechte Richtung gebracht und in die rechte Tätigkeit gesetzt, die uns befähigt, vor allen anderen Geschöpfen das Göttliche zu finden, zu erkennen und zu verstehen. Unser Lehrmeister also war der ewige Weltenmeister selbst, der uns mit dem Lichte der Vernunft begabt, das Gewissen uns ins Herz gelegt und uns sorgfältig unterrichtet hat. Dadurch hat er vor allen seinen anderen Geschöpfen uns ausgezeichnet als die Erstgeborenen seines Geschlechtes. Und nicht bloß unterrichtet sind wir von ihm in den allgemeinen Zeichen, sondern wir sind auch von ihm befähigt, sie darzustellen durch die Tat, und zwar, wie das Fragebuch sagt, durch Winkel, wassergleiche und senkrechte Linien. >128< Jedes einzige der Zeichen unserer Ordensgrade besteht aus einem rechten Winkel; verschieden ist nur, wo und wie dieser rechte Winkel von uns beschrieben werden soll. Der rechte Winkel aber ist das Sinnbild der göttlichen Gerechtigkeit und des göttlichen Gesetzes. Er ist das Prinzip alles Bauens. Der rechte Winkel herrscht in jedem Gebäude und bestimmt seine Konstruktion und Festigkeit, er ist der Maßstab für das Ganze, durch den dieses seinen Zusammenhang und sein Gleichgewicht erhält. So wie der rechte Winkel das Grundprinzip der Geometrie ist, deren kompliziertere Figuren und Sätze sich aus ihm herleiten lassen, so ist er auch das Grundgesetz der Baukunst, nicht nur, der Baukunst des Menschen, sondern auch der Kunst, durch welche der allmächtige Baumeister der Welt den großen Tempel des Universums errichtet hat, in welchem das staunende Auge des Menschen, im größten wie im kleinsten, das Walten eines ewig unabänderlichen Gesetzes entdecken kann. Das Winkelmaß ruht in der Hand des ewigen Weltenmeisters, der mit ihm nicht nur alles abgemessen hat, sondern auch alles prüft und richtet. Und darum trägt auch der irdische Meister, der die Loge, wo das göttliche Gesetz zum Verständnis gebracht werden soll, erleuchtet und regiert, ein Winkelmaß auf der Brust. Dem im Osten sitzenden Meister gegenüber aber haben im Westen die Aufseher ihre Stellen. Im Osten steht der Lehrer und Unterweiser, der Spender des Lichtes; ihm gegenüber im Westen stehen die Unterwiesenen und Empfangenden. Im Osten, im Abgrunde des Lichtes, da niemand zukommen kann, ist Gott; im Westen steht der Mensch mit seiner empfänglichen und empfangenden Seele; im Westen stehen die Aufseher, die Kräfte, die Gott selbst im Innern des Menschen erweckt hat, und welche tätig sind, um in dem Vergänglichen, Irdischen, Geschaffenen das Gesetz des Ewigen und Unendlichen zur Darstellung zu bringen: und das sind Vernunft und Gewissen. Der erste Aufseher, die Vernunft, trägt die Wasserwaage, der zweite Aufseher, das Gewissen, trägt das Senkblei. Wasserwaage und Senkblei sind aber weiter nichts als waagerechte und senkrechte Linie, welche, wenn sie sich zusammenfügen, den rechten Winkel bilden müssen. Das Gewissen ist die Kraft, welche unser Inneres erforscht und sein Senkblei tief in uns hineinsenkt, um den Grund zu finden, wo der in uns gelegte göttliche Keim verborgen liegt. Es erweckt die innere Stimme in uns, die uns warnt und leitet, die uns antreibt oder zurückhält. Wie die Schnur des Senkbleis weist uns jene Stimme sowohl in die Höhe als auch in die Tiefe, über dir wohnt die Gottheit, ruft sie uns zu, in unendlichen Fernen; suche sie dort, aber suche sie dort nicht allein: auch in deinem Innern wohnt sie, in der Tiefe deines Herzens. Sei aufgerichtet im Streben nach ihr, du Kind Gottes! — Und die Vernunft ebnet uns mit der Wasserwaage den Boden, auf dem wir stehen und uns bewegen sollen, das ist die Welt, in die wir gesetzt sind mit ihren unzähligen verschiedenen Verhältnissen und Erscheinungen, mit ihren Wirren und Kämpfen, mit ihrem Licht und ihrem Schatten, ihren Freuden und ihren Schmerzen. Die Wasserwaage der Vernunft wird uns sicher durch die oft verschlungenen und dunkeln Pfade geleiten. Das Lot, das in der Mitte ihres Richtscheites hängt — dasselbe, das auch im Senkblei tätig war —, zeigt uns durch sein Abweichen stets genau an, ob der Grund, auf dem wir uns befinden, recht gerichtet ist. Die Wasserwaage, das Werkzeug, in welchem sich senkrecht und wagerecht zum rechten Winkel vereinigen, lehrt uns die schwere Kunst, überall den rechten Winkel zu bilden, überall in allen Lagen des Lebens, sie mögen noch so verwickelt sein, das Gesetz des Göttlichen zu erkennen und es in unserm Handeln zum Ausdruck zu bringen, ihm Geltung zu verschaffen überall da, wo es gehemmt erscheint. Jetzt wissen wir, warum die allgemeinen Zeichen des Freimaurers unzählig sind, und warum sie durch Winkel, wassergleiche und senkrechte Linien gebildet werden. Der Meister selbst, der das Licht der Vernunft in uns entzündet und des Gewissens Stimme in uns gelegt, hat sie uns sorgfältig mitgeteilt, damit wir sie anwenden zu seiner Ehre auf der Wanderung durch dieses Erdenleben. Aber die Zeichen des göttlichen Lichtes und Lebens sind uns nicht nur offenbart und mitgeteilt, sondern uns ist auch in unserm freien Willen die Fähigkeit gegeben, diese Zeichen an uns selbst zur Darstellung zu bringen. Wenn unser inneres Auge, geschärft und geübt durch die Richtung auf das ewig Wahre, aus allen Dingen, auch den verwickeltsten und schwierigsten, die göttlichen Zeichen herauszufinden vermag, dann wird in uns auch jene geheimnisvolle Kraft frei, die uns selbst in das Zeichen zwingt, jene Kraft, die uns richtet, d.h. die nicht nur das Böse in uns verwirft und das Gute anerkennt, sondern die uns zurechtstellt, in das rechte Verhältnis setzt zu allen Dingen, zu unsern Mitmenschen und zu Gott selbst. So kommen wir hinter das Geheimnis der Entstehung und Stiftung des Ordens. Der Orden entsteht in uns, wenn sich das innere Leben in uns zu regen beginnt, das, sich von der Finsternis abwendend, dem >130< Lichte zustrebt, welches ihm in tausend und aber tausend Zeichen erscheint, und gestiftet ist der Orden, wenn alle die Regungen in den Herzen der einzelnen sich zusammenfinden wie die Fasern der Wurzel, die zum Stamme empor führen, er ist gestiftet, wenn die einzelnen Glieder, in denen er lebendig ward, sich vereinigen, um durch ihn zur stärksten und innigsten Freundschaft verbunden, zur Brüderschaft geeinigt, seine hohe Idee zur Darstellung zu bringen dadurch, daß sie, achtend auf die unendlichen Offenbarungen der Zeichen des göttlichen Gesetzes, dieses an sich und in sich selbst betätigen. (1901.) Das freimaurerische Klopfen. Über die eigentümliche Art des freimaurerischen Klopfens sprechen sich unsere Akten in der III. Abteilung des Fragebuches, Artikel l, Frage 5 bis 8, folgendermaßen aus: „Wieviel Schläge klopft ein Freimaurer überhaupt ?“ „Zwei Schläge etwas schnell und einen dritten mit Nachdruck.“ „Was bedeuten die drei Schläge, die ein Freimaurer überhaupt klopft?“ „Die drei Grundursachen, die den Verstand erleuchten, befestigen und unterstützen und selbigen dahin bringen, die Stiftung des Ordens zu ergründen, zu ergreifen und zu verteidigen.“ „Welche sind diese drei Grundursachen?“ „Die Natur, die Religion und die Stärke.“ „Warum klopfen Sie den dritten Schlag härter und etwas später als die zwei vorhergehenden?“ „Um dadurch die dritte Grundursache zu bezeichnen, welche die Stärke ist, und welche man, wenn es erfordert wird, mit Gleichmut und Nachdruck anwenden muß.“ Diese drei Schläge, welche wir so oft bei unsern Arbeiten vernehmen, sind die allgemeinen Freimaurerschläge und werden an anderen >132< Stellen unserer Akten „die drei merkwürdigen Schläge“ genannt. Sie ziehen sich nicht nur durch das ganze Ritual des Lehrlingsgrades hin, sondern durch den ganzen Orden. Alle seine Grade beherrschen sie, sie melden sich immer wieder, und wenn sich auch auf späteren Stufen ihre Zahl vermehrt, so erscheint doch ihr eigenartiger Rhythmus überall wieder. Sie sind das eigentliche belebende Element unserer Arbeiten. Das Herz in unserer Brust klopft ebenfalls in einem bestimmten Rhythmus; wird er beschleunigt, verlangsamt oder verwirrt, so ist Krankheit vorhanden, und früher oder später wird der ganze Organismus gefährdet. So ist es auch im Leben der Loge. Der Dreischlag des Hammers ist ihr Pulsschlag; geht er regelmäßig, dann kann man wohl auf ihre Gesundheit einen Schluß machen. Regelmäßig heißt aber hier nicht bloß etwas Äußerliches. Nicht bloß darauf kommt es an, daß der Meister, die Aufseher und die Brüder die Schläge vorschriftsmäßig zu klopfen verstehen, sondern darauf, daß jeder ihren Sinn kennt und weiß, was er mit ihnen zu wirken hat. Das Werkzeug, mit welchem ein rauher Stein bearbeitet wird, ist ein Hammer, mag er den Stein direkt treffen oder den Kopf eines Meißels, dessen Schneide ihn berührt. Die Schläge des Hammers sind das Fördernde der Arbeit. Daß sie kunstgerecht geschehen, das heißt im rechten Sinne und aus tiefstem Verständnis, darauf kommt alles an. Wie erklärt sich nun der eigentümliche Rhythmus? Ich glaube nicht, daß er von unseren Vätern willkürlich angenommen ist, sondern, daß er sich aus der Sache selbst ergibt. Beobachten wir einmal die Handwerker, welche sich des Hammers bedienen. Ist die Arbeit eine rohe, bei welcher nichts anderes als große Kraft erfordert wird, um etwas zu zersprengen, einzutreiben oder auseinanderzutreiben, so werden kräftige Schläge aus ansehnlicher Höhe in regelmäßigen Intervallen geführt. Anders aber ist es, wenn eine feine Arbeit geleistet werden soll, bei der nicht rohe Kraft, sondern Geschick erfordert wird. Wer z.B. einen Nagel senkrecht in ein Brett hineintreiben oder eine Niete befestigen will, der kann nicht gleich wuchtig drauflos schlagen, sondern er muß erst kleine Schläge, gleichsam tastend, führen, bis der Nagel die rechte Richtung erhalten hat, dann erst können kräftigere Schläge folgen, die den Nagel vollends hineintreiben. — So ist es auch mit unseren Schlägen. Auch unser Maurerhammer schlägt hart auf, wenn es sich darum handelt, die schlafenden Geister zu wecken und in Ordnung zu rufen, oder wenn er dem Suchenden die Tür des Tempels öffnen will. Sobald aber die feine Kunstarbeit beginnt, dann treten die drei rhythmischen Maurerschläge in ihre Rechte. Ebenso muß der Steinmetz, wenn er den rohen Marmorblock aus den Steinbrüchen sprengen will, derb zuschlagen; wenn er aber eine feine Kontur herauszumeißeln hat, dann kommt es darauf an, fein bedächtig und vorsichtig, erst leise, zu klopfen, bis dann ein stärkerer Schlag richtig sitzt und zur Förderung des Werkes beiträgt. Unsere Väter haben nun an die drei Schläge die Bedeutung der drei maurerischen Grundursachen geknüpft, welche das maurerische Werk entstehen lassen, und mit vollem Recht; denn wenn wir diese Grundursachen näher betrachten, so finden wir, daß aus ihnen die drei Pfeiler, auf welchen unsere Arbeit ruht, die Pfeiler der Weisheit, Stärke und Schönheit (vgl. Fragebuch, III. Abt., 3 Art., Fr. 7 bis 9), gleichsam emporwachsen. Dies soll im folgenden zu zeigen versucht werden. Wenn der Mensch zum Bewußtsein seiner selbst kommt, ein Vorgang, wie wir ihn bei jedem heranwachsenden Kinde beobachten können, — so fängt er an, die Dinge um sich her zu betrachten und einer Prüfung zu unterwerfen. Aus den Eindrücken, welche er durch seine Sinnesorgane empfängt, setzt sich ihm ein Weltbild zusammen, dem er nicht gleichgültig gegenüber stehen bleibt, sondern das sein Interesse erregt, und dessen einzelne Erscheinungen er sich zu erklären und zueinander in Beziehung zu setzen sucht. Von den ersten Erscheinungen um ihn her, die ihm entweder Erstaunen und Wohlgefallen oder Schrecken und Furcht erregen, wird er durch seine erwachenden Verstandeskräfte weitergeführt zu einer tieferen Erkenntnis. Er lernt die Erscheinungen der ihn umgebenden Welt — bis zu einer gewissen Grenze — verstehen und in ihren Ursachen begreifen; er lernt die Wechselwirkungen der Dinge aufeinander auffassen und vermag mit der zunehmenden Entwicklung seiner Geisteskräfte immer tiefer und tiefer in den Bau und Zusammenhang des Ganzen einzudringen. Er lernt endlich, indem er sichtend von dem Einzelnen und Besonderen zum Ganzen und Allgemeinen vordringt, in der Erscheinungen Flucht den ruhenden Pol finden und das Gesetzmäßige aus der großen Mannigfaltigkeit herauslesen. So erscheint ihm die Welt als ein großes, wohlgeordnetes Ganzes, in dem jedes einzelne Glied am rechten Orte ist, seinem Zweck entspricht und seine Stelle ziert. Wohl vermag sein Geist nicht bis ans Ende aller Forschung zu dringen; nur zum kleinsten Teile vermag er wegen seiner eng begrenzten Fähigkeiten sich das alles zu erklären, was ihn zur Ergründung >134< anreizt, ja, unendlich viel bleibt seiner Wahrnehmung ganz verborgen, auf der Sternwarte wie am Mikroskopiertisch blickt er in Unendlichkeiten, die er mit seinen Sinnen und ihren Hilfsmitteln nicht zu durchspähen vermag, und selbst bei den scheinbar offenbarsten Dingen ergeben sich eine Menge von Fragen und Rätseln, deren Beantwortung und Lösung er vergebens sucht, und von denen er sich zu einem großen Teil sagen muß, daß er sie nie wird finden können. Aber trotzdem, trotz der großen, nie zu tilgenden Reste, die seiner Forschung bleiben, erscheint ihm dennoch das Weltganze als ein großer, einheitlicher Bau, der, nach einem weisen Plane gefügt, in weisen Maßen aufgeführt und von einem weisen Willen regiert und zusammengehalten wird. Von Licht ist das Ganze durchflutet, und auch dort vermag er das Licht ewiger Gesetzmäßigkeit zu ahnen, wohin sein Blick nicht reicht. Natur war es, aus der ihm das erste Licht, das Licht der Weisheit, aufgegangen ist, gleichsam als aus ihrer Grundursache. Aber gerade das für den Menschen zum größten Teile Unergründliche der Natur, nicht minder als die zwingende Gewalt ihrer Erscheinungen, die mit ihren mächtigen Eindrücken sein Wesen ergreifen, ist es, was seinen Geist auf neue Bahnen führt. Nicht nur das Staunen und die Bewunderung des weisen Weltenplanes ist es, was ihn erfüllt, — von Schauern der Unendlichkeit wird er ergriffen, und ein unnennbares Sehnen zieht in sein Herz. Unwillkürlich beugt sich anbetend sein Knie vor einer höheren Macht, die er sich über dem Weltall schwebend denkt, und, von deren Hauch umwittert, er voll Andacht den Blick nach oben richtet. Mag sein Auge sich zur Sternenpracht erheben, mag sein Blick voll Trunkenheit in dem Goldpurpur des Sonnenaufgangs schwelgen, mag der Kelch einer Blume mit seiner Farbenpracht ihn entzücken, den der Tautropfen wie mit einem schimmernden Demant geschmückt hat, — oder mag das schäumende Meer seine Wogen gegen ihn heran wälzen und der Blitzstrahl aus schwarzer Wolke sein Auge blenden, — alles dies ist für ihn eine Erweckung, um diejenige Macht zu ahnen und verstehen zu lernen, welche die ganze ihn umgebende Natur und ihn selbst in ihrer starken Hand hält. Ewig, unerforschlich, heilig und allmächtig nennt er sie, aber auch allgütig und alliebend erscheint ihm jenes unsichtbare und dennoch sich in so unendlich vielen Offenbarungen zeigende Wesen, vor dem der Erdensohn in den Staub sinkt. „Unser Vater“, so ruft er es an, und er bekennt sich damit als Kind des ewigen Geistes, der ihn und die ganze Natur erschaffen hat. Bei dem Menschen, der nicht nur das Licht der Vernunft empfing, mittels dessen er die Natur erkennt und auffaßt, sondern der auch ein fühlendes Herz, eine leise mahnende Stimme in der Brust trägt, folgt aus dem Anschauen, der Betrachtung der Natur die Religion. Und damit ist das heilige Band geknüpft, das den Schöpfer mit dem Geschöpf verbindet. Der Einblick in die Weisheit des wohlgeordneten Weltenplanes, den uns die Natur gewährt, war allein nicht hinreichend, um das religiöse Empfinden im Menschenherzen zu erschließen, — die Schönheit, die da ist der Reflex des Göttlichen im Irdischen, mußte erst an dieser Quelle des Menschenherzens rühren, um sie zum Fließen zu bringen. Nicht mit dem Verstande allein, nicht mit Wissen und Wissenschaft ergreifen wir das Göttliche, sondern mit dem Herzen, mit der Kraft des Gemüts, die uns das Unerforschliche im Glauben zum Ereignis werden läßt. Und so blüht aus der Religion, aus dem Zuge zum Göttlichen und Ewigen, die zweite Säule unseres Werkes, die Säule der Schönheit, empor, die sich zur Säule der Weisheit so ergänzend und vollendend verhält wie das Weibliche zum Männlichen. Ja, so vollendet sich das wahrhaft Menschliche, wenn die aus der Natur geschöpfte Erkenntnis der Weisheit sich verklärt durch die Schönheit, durch den Himmelsglanz, der sich offenbart als ein Strahl von jenem ewigen Licht, das kein irdisches Auge schauen kann. Wo dieser Abglanz des Göttlichen im Irdischen in Menschenwerken sich findet, wo wir sein Wehen fühlen und vor ihm erschauern, da allein ist wahre Kunst, Kunst, die im innigsten Bunde und in engster Beziehung zur Religion steht, denn sie allein vermag das Göttliche zu ergreifen und uns vor die Seele zu führen, sei es im Wort der Dichtung, in den Tönen der Musik, oder sei es in Formen, Farben und Verhältnissen der bildenden Kunst. Wenn wir nun so aus den Ursachen der Natur und Religion die Säulen der Weisheit und Schönheit emporwachsen sehen, wenn es uns auch auf den ersten Blick so scheinen will, als ob mit diesen beiden das Menschliche vollendet wäre, so steht doch das Höchste und Größte noch aus. Es fehlt noch die dritte Säule, auf der unser drittes Licht steht, durch welches unser Werk erst zu einem rechten Bauwerk der k. Kunst wird; es fehlt uns noch die dritte Grundursache, aus welcher jene Säule emporwächst, jenes Etwas, das wir eben darum, weil es vollendend wirkt, mit dem dritten und stärksten Schlage bezeichnen. Es ist die Stärke, das eigentliche werkstellende, ausführende Element, das die Idee erst zur Tat werden und ins Leben treten läßt. Wenn wir an der Säule der >136< Weisheit erkannt haben, daß wir bis zu einem gewissen Grade mit einem Erkenntnisvermögen ausgerüstet sind, das uns fähig macht, einen Einblick in den Weltenplan zu gewinnen, wenn wir an der Säule der Schönheit das Wesen der Gottheit ahnen und ihren Abglanz in der Natur und im Menschen zu bewundern vermögen, so weisen uns diese beiden Säulen zugleich darauf hin, daß in unser Inneres von jener höheren Hand des Schöpfers eine Kraft gelegt ist, welche zuvörderst als Keim, das ist eben als Grundursache, vorhanden ist, dann aber entwickelt und zur Reife gebracht werden kann. Jene, die Grundursache, ist die Stärke, welche latent, gebunden in den menschlichen Geist gelegt ist, diese, die aus der Ursache herausgewachsene Säule, die das Ganze hält und vollendet, ist die freigewordene, zur Wirksamkeit gebrachte Kraft, die wir mit demselben Namen bezeichnen müssen. In jener kleinen, in uns ruhenden, noch nicht entwickelten Kraft haben wir aber gerade das göttliche Erbteil zu erkennen, das uns erst zu Menschen, d.h. zu Erstgeborenen des göttlichen Lichtes, macht, weil es uns nicht nur befähigt, zu erkennen, was weise, und zu empfinden, was schön und göttlich ist, sondern uns auch jene wunderbare Schwungkraft verleiht, durch die wir allein vermögen, uns vom Erdenstaube zu erheben und durch Reinigung und Veredlung ein ewiges, unvergängliches Leben in uns großzuziehen und uns so zu Bürgern einer über Zeit und Raum erhabenen Geisteswelt zu gestalten. Worin diese Kraft besteht, wie sie wächst und sich entwickelt, wie sie unüberwindliche Macht erhält, um zu verteidigen, was wir ergründet und ergriffen haben, wie sie uns zum schützenden Palladium wird in den härtesten Kämpfen, in denen das Licht in uns mit der Finsternis ringt, wie sie endlich uns zum höchsten Siege, das ist zur ewigen Vereinigung mit dem Vater, verhilft — das alles sind Geheimnisse, so tief und verborgen, daß sie nur von dem erfahren werden können, der es sich eben zur Lebensaufgabe gestellt hat, diese Kraft in sich zu entwickeln und der Vollendung entgegenzuführen. Und das ist eben das eigentliche Werk der k. Kunst, das und nur das allein! Alles andere sind Nebensachen, die aus dieser einen großen Hauptsache sich ganz von selbst ergeben, die aber ohne diese eine Hauptsache tot und wertlos bleiben. Ein Geheimnis ist diese Kraft, und doch offenbar dem, der sie empfindet. So wie die Kräfte der Natur, Licht, Wärme, Elektrizität, Schwerkraft usw., zwar für uns vorhanden und in ihren Wirkungen spürbar sind, jedoch in ihrem eigentlichen innersten Wesen sich unserer Erkenntnis entziehen und wohl stets entziehen werden, so ist es auch mit jener Stärke, die uns empor zieht und vollendet. Wir fühlen den Strom, aber seine Quelle und sein letztes Endziel bleiben im Dunkeln. Genug aber, daß wir von ihm vorwärts getragen werden, und daß wir die Richtung wissen, die er uns führt: nicht abwärts, sondern aufwärts, nicht zur Finsternis, sondern zum Licht. Denn wir sind nicht berufen, in Finsternis zu versinken und dem Tode anheimzufallen, sondern wir sind bestimmt, zum Leben zu gelangen und zu einer Herrlichkeit, wo alle Geheimnisse offenbar und alle Rätsel gelöst werden. Möge es uns allen gelingen, dieses Ziel zu erreichen! — (1899.) >138< Vom Wandern und vom Wetter, vom Alter und vom Lohne. Der zweite Artikel der dritten Abteilung unseres Fragebuches spricht vom Wandern und vom Wetter. Dazwischen wird gefragt nach dem Alter des Lehrlings und nach seiner Bezahlung. Es ist schwer zu verstehen, welchen Zusammenhang die Fragen nach dem Alter und dem Lohne mit den Fragen nach dem Wandern und dem Wetter haben. Wandern und Wetter aber sind eng miteinander verbunden. Unsere Akten sprechen hier vom Wandern und an anderen Orten von Reisen. Bei den verschiedenen Aufnahmen in die Arbeitsgrade muß der Suchende Reisen machen, ehe er an das Ziel gelangt, und diese Reisen nehmen einen breiten Raum in unseren Gebräuchen ein; sie erscheinen als ihr Mittelpunkt und als die eigentlichen Träger der Mysterienfeiern der verschiedenen Grade. Ist nun zwischen Wandern und Reisen ein Unterschied? Das scheint kaum der Fall zu sein, und das um so weniger, als unsere Akten, wenn sie von den Reisen in den verschiedenen Graden reden, sich oft des Ausdrucks „Wanderung“ bedienen. Und dennoch ist beides nicht dasselbe. Reisen ist der engere Begriff, Wandern der weitere. Im freimaurerischen Sinne ist Wandern ein Vorwärtsschreiten nach dem einen großen Ziel, das uns bei jedem Schritt, den wir auf unserer Bahn machen, deutlicher und klarer entgegentreten soll. Unser ganzes Leben ist ein Wandern, eine Bewegung vorwärts; jede Minute, die unserm Erdendasein zugelegt wird, ist ein Schritt, dem Endziel entgegen. Keiner dieser Schritte darf die entgegengesetzte Richtung nehmen, keiner darf ungenützt vorübergehen. Und wie wir wandern sollen, das sagt uns unser Fragebuch: „Wie wandern die Johannis-Lehrlinge?“ „Von Westen nach Osten, um das Licht aufzusuchen.“ Es ist nur eine Richtung, die wir einhalten, ein Ziel, das wir fest im Auge behalten müssen: nach Osten geht unser Weg, und unser Ziel ist das Licht. Dies bleibt unveränderlich, so wahr wir allezeit Lehrlinge bleiben. Wenn auch dem Johannis-Meister gesagt wird, daß er in umgekehrter Richtung zu wandern hat, nämlich von Osten nach Westen, so hat diese Umkehr einen bestimmten Zweck. Indem er aber diesen Zweck erfüllt, tut er dennoch seine Lehrlingsschritte vorwärts dem Lichte entgegen, das ihm gerade dadurch, daß er nach Westen gehend ihm dient, um so heller aufgehen soll. Anders dagegen ist das Reisen. Unsere Reisen in den verschiedenen Graden bewegen sich nach verschiedenen Richtungen hin, sie führen uns durch alle vier Weltgegenden, deren Einflüsse wir gleichsam in uns aufnehmen und auf uns wirken lassen. Wir gehen vorwärts und auch wohl zurück, wir müssen umkehren, weil wir auf unrechte Wege geraten sind, auf denen wir das Ziel verfehlen müßten, und die nur dann zu rechten Wegen für uns werden können, wenn wir sie als unrechte erkennen. Nur so werden uns auch die irrenden Schritte zu Förderungen auf der Bahn, die uns dem Lichte entgegenführt. Darum ist jedes Reisen auch ein Wandern im maurerischen Sinne; denn jeder Schritt der Reisen, ob diese nun durch Norden oder Süden oder zurück nach Westen führen, soll uns in seiner letzten Folge nach Osten, dem Lichte entgegenbringen. Auf den Reisen schweifen unsere Blicke nach allen Richtungen, nach links und rechts, nach vorwärts und rückwärts, nach oben und nach unten; beim Wandern ist es allein der Osten, der uns mit seinem erstrebten Lichte vorschwebt; auf den Reisen werden wir leicht zerstreut durch die Mannigfaltigkeit der Eindrücke, welche auf uns einstürmen; beim Wandern sammeln wir uns und suchen alles das, was wir reisend erlebt und erfahren haben, unter einen Gesichtspunkt zu bringen, den uns das Licht im Osten allein geben soll, auf dieses haben wir alles zu beziehen und an ihm seinen Wert abzumessen. Dein Leben, o Lehrling, sei ein stetes Wandern nach Osten, dem Lichte entgegen! Der ganze große Weg durch den Orden ist ein großes Lehrlingstum, denn wir haben „noch immer zu lernen übrig", und wenn wir auch die höchsten Stufen des Ordens erstiegen hätten. Mensch sein, heißt nicht bloß, wie der Dichter sagt, ein Kämpfer sein, sondern es heißt vor allem ein Lehrling sein. Im Lehrlingstum liegt das edelste Menschentum. Nur derjenige, der sein Erdendasein als Lehrlingstum für ein höheres Leben auffaßt, hat die wahre Menschenwürde. >140< Darum, o Lehrling, laß dir das „Carpe diem“ des Horaz gesagt sein! Nütze den Tag, kaufe deine Zeit aus! Du sollst reisen, du sollst alles sehen, alles hören und erfahren, was das Leben dir bietet; nichts Menschliches sei dir fremd; aber du sollst alles, was dir begegnet, so wenden, daß es dich fördert; denn du sollst nicht bloß reisen, sondern du sollst vor allem wandern, und zwar keinen Sehritt zurück, sondern vorwärts, dem Lichte im Osten entgegen. In der Geometrie gibt es Linien, welche Asymptoten genannt werden. Eine solche Asymptote ist eine Kurve, welche sich nach einem bestimmten, durch eine Formel ausdrückbaren Gesetz auf eine gerade Linie zu bewegt, sich derselben immer mehr und mehr nähert, aber ohne sie jemals zu erreichen. Die Kurve, welche anfangs eine bedeutende Krümmung zeigt, streckt sich immer mehr und mehr, sie scheint die Richtung der geraden Linie anzunehmen, und die Entfernung beider ist sinnlich nicht mehr wahrnehmbar; dennoch aber ist sie mathematisch vorhanden und schwindet nie ganz. Wir mögen beide Linien fortsetzen, so weit wir wollen, niemals fallen sie zusammen und berühren sich nicht. Einer solchen Linie gleicht die Wanderbahn und das Schicksal des Lehrlings. Sein Weg nähert sich dem Lichte mehr und mehr, aber er erreicht es nicht. Er kann ihm so nahe kommen, daß er vollkommen von ihm erleuchtet, ganz mit ihm vereint zu sein scheint; aber es bleibt immer noch ein Rest übrig, der von den Augen der Welt vielleicht nicht wahrgenommen wird, vor dem richtenden Auge des höchsten Meisters aber bestehen bleibt. Darum fragt das Fragebuch weiter: „Wie alt sind Sie als Freimaurerlehrling?“ „Allezeit minderjährig.“ „Warum ?“ „Weil wir noch immer etwas zu lernen übrig haben.“ Unter dem maurerischen Alter haben wir die größere oder geringere Annäherung an das zu erstrebende Licht zu verstehen. Vollbürtig ist derjenige, der das Ziel erreicht hat. Wenn wir nun den Lehrlingsstandpunkt durch alle Grade festhalten, so bleiben wir zwar „allezeit minderjährig, weil wir noch immer etwas zu lernen übrig haben“; wir werden aber trotzdem von einem bestimmten Grade ab „vollbürtig“ genannt, nämlich vom Standpunkte dieses Grades, den wir zwar ganz nie einnehmen können, der uns aber dem wahren Lichte so nahe bringt, daß der Lehrlingsrest darüber vergessen werden kann, weil er durch die Gnade dessen, der uns leitet, getilgt wird. Wir sehen hier, wie die Fragen nach der Wanderung und nach dem Alter sehr wohl zueinander passen; denn die Abschnitte unseres Lebensalters sind Wanderschritte, die wir vorwärts tun, und Wanderstrecken, die wir zurückzulegen haben. Und auch die Frage nach dem Lohne gehört dahin, die sich an die Frage nach dem Alter anschließt. Es heißt an unserer Stelle des Fragebuches: „Wo sind Sie bezahlt worden?“ „Beim linken Pfeiler vor Salomos Tempel.“ Noch deutlicher wird dies durch die Parallelfragen der vierten Abteilung, welche, während die drei ersten Abteilungen allgemeine maurerische Kenntnisse behandeln, die erste von denjenigen Abteilungen ist, welche sich mit den speziellen Kenntnissen des Lehrlings beschäftigen. Es heißt daselbst Frage 24 bis 28: „Wie wandern die Ritter-Lehrlinge?“ „Von Westen nach Osten.“ „Warum ?“ „Das Licht aufzusuchen.“ „Wie alt sind die Ritter - Lehrlinge ?“ „Drei Jahre und darüber, jedoch noch immer minderjährig.“ „Warum antworten Sie also?“ „Weil ich in des Tempels Vorhöfen und in dessen Vorhalle gearbeitet, aber noch immer zu lernen übrig habe.“ „Haben Sie auch Ihren Lohn empfangen?“ „Ich bin zufrieden.“ Es wird hier weiter ausführend zunächst zu der Minderjährigkeit des Lehrlings hinzugefügt, daß er „drei Jahre und darüber“ alt sei. Was die Dreizahl in unserer Symbolik bedeutet, darüber ist schon oft gesprochen worden, so daß ich das hier nur kurz berühren darf. Sie weist uns auf die schaffende Kraft der Gottheit hin, auf das ewige Wort, in welchem Denken, Wollen und Handeln eins ist. Der Lehrling soll dieser Kraft innewerden und soll sie finden und verstehen lernen als die Grundlage für seine Arbeit. Darum heißt es, er sei „drei Jahre und darüber“ alt, wenn auch noch minderjährig. Drei Jahre ist er, weil er in der Erkenntnis >142< des dreifach großen Meisters, des Schöpfers und Vaters, seines Schöpfers und Vaters, den Kernpunkt seines Lehrlingstums findet, und darüber hinaus ist er, weil diese Erkenntnis in ihm das Verlangen entzündet, vollkommen zu werden, gleichwie sein Vater im Himmel. Er steht in den Vorhöfen des Tempels, aber er dringt weiter in die Vorhalle des Tempels hinein, wo jene Säule aufgerichtet steht, an welche er gewiesen ist, um dort seinen Lohn zu empfangen. Dieser Lohn aber ist eben jene Erkenntnis, welche ihm aufgeht als eine Frucht seiner Arbeit und Wanderung. Welchen höheren Lohn kann es für ihn geben als das selige Bewußtsein, daß ein ewiger Vater über ihm waltet, und daß er eingeschlossen ist in seine Liebe. Und damit ist er zufrieden; er weiß, daß der ewige Vater, der ihn erschaffen hat, ihn nicht verloren lassen sein wird; er vertraut, er glaubt, und Himmelsfriede zieht ein in seine Brust, und in diesem Frieden wandert er vorwärts. Da ist nichts titanenhaft Himmelstürmendes, nichts Faustisches, keine Unseligkeit über nicht gestillten Wissensdurst und Forschungsdrang, sondern nur ein ruhiges, stetiges Fortschreiten. Zufrieden ist der Lehrling nie mit sich selbst; denn dann würde er aufhören zu wandern, und in träger Ruhe stille stehen, aber er ist zufrieden mit dem Lohne, den er in seiner Minderjährigkeit erreichen kann. Die Unzufriedenheit mit sich selbst treibt ihn vorwärts, die Zufriedenheit mit seinem Lohne gibt ihm Kraft, sichere Schritte dem Ziel entgegen zu tun. — Wir sehen also, daß auch die Frage nach dem Lohne sich ebenso wie die nach dem Alter sinngemäß an die Frage nach dem Wandern anschließt. Nun aber haben wir noch die bedeutsamen Fragen vom Wetter zu betrachten. Sie lauten folgendermaßen: „Was für Wetter ist es?“ „Es ist schön Wetter.“ „Die Loge ist also wohlbedeckt?“ „Ich habe keinen Unkundigen gesehen.“ „Wenn Sie aber einen solchen sehen, wie sagen Sie dann ?“ „Ich sage: es regnet.“ „Was soll ein Freimaurer tun, wenn außer seiner Loge irgend ein Fremder sich ihm nahet?“ „Ihm mit gutem Beispiele vorangehen und auch den Geringsten nicht verachten.“ Mit dem Wetter ist es ein eigenes Ding. Wenn zwei Bekannte einander begegnen, so geschieht es vielfach, daß sie zuerst vom Wetter zu reden anfangen. Das wird vielfach für trivial und langweilig gehalten und ist doch so selbstverständlich und natürlich, denn das ganze Menschendasein ist in allen seinen Bedingungen so vielfach vom Wetter abhängig. Durch Gunst und Ungunst der Witterung werden unsere Lebenstätigkeiten mehr, als wir glauben, gefördert oder gehemmt. Wenn der Landmami frühmorgens aufsteht, ist sein erster Blick nach dem Himmel. Vom Wetter hängt es ab, was für Verrichtungen er in seiner Wirtschaft vornehmen kann; und alle diejenigen, deren Beruf es mit sich bringt, daß sie sich viel unter freiem Himmel bewegen, können nicht gleichgültig dagegen sein, ob ihr Kleid vom strömenden Regen durchnäßt wird, oder ob heller Sonnenschein ihnen entgegen lacht. Aber auch die anderen, welche wenig oder gar nicht sich der Witterung aussetzen dürfen, werden vom Wetter beeinflußt. Ein nebliger, trüber Tag lastet auf uns wie ein Gewicht; er drückt auf unsere Stimmung und läßt oft keine rechte Lust zur Arbeit aufkommen; wenn dagegen die helle Sonne vom blauen Himmel lacht und milde Lüfte wehen, dann sind wir ganz andere Menschen, und auch die Arbeit am Schreibtisch geht besser vonstatten, wenn das helle Licht durch die klaren Fensterscheiben zu uns herein flutet. Sind wir nun gar körperlich leidend, oder haben wir ein von Natur reizbares Nervensystem, so empfinden wir jede Ungunst der Witterung und namentlich jeden jähen Wechsel derselben doppelt schwer. Und vollends, wenn wir uns auf Reisen begeben, um die Schönheit der Natur zu genießen, dann läßt die Frage nach dem Wetter alles andere in den Hintergrund treten. Förderungen und Hemmungen sind es also, welche das Wetter unserem Leben bereitet; und wenn wir in maurerischer Beziehung vom Wetter reden, so kann das für unser inneres Leben, für unser Wandern und Streben ebenfalls nichts anderes bedeuten als Förderungen und Hemmungen. Am Schluß jeder Tafelloge gedenken wir der Reisenden und wünschen ihnen gutes Wetter. Die Reisenden sind aber nicht bloß jene Brüder, welche gerade zu der Stunde von uns in die Ferne gegangen sind: Reisende sind wir alle. Wir sind alle als Wanderer unterwegs und suchen die ewige Heimat, und wir alle werden auf unserer Wanderung aufgehalten durch die Ungunst der Witterung; denn auch der ideale Himmel, den die k. Kunst über uns wölbt, kann nicht immer heiter sein und wird oft genug durch Wolken getrübt. >144< „Was für Wetter ist es ?“ „Es ist schön Wetter.“ — „Die Loge ist also wohlbedeckt?“ „Ich habe keinen Unkundigen gesehen.“ So heißt es in unserem Fragebuch. — Jawohl, wenn die Loge wohlbedeckt ist, wenn der Wachthabende seinen Posten mit bloßem Schwerte an der Tür eingenommen hat, „um die fremden Unkundigen abzuhalten,“ wenn die Brüder an ihren Stellen sind und sich auf des Hammers Ruf in das Zeichen gestellt haben, wenn alle Geisteskräfte auf das Licht der Wahrheit gerichtet sind, dann kann die Arbeit beginnen, dann dürfen wir nicht fürchten, gestört zu werden, dann liegt der Weg für unsere Wanderung nach Osten frei, eben und sonnenbeglänzt da, und es ist eine Lust vorwärts zu schreiten im Verein mit Gleichgesinnten, dem erhabenen Ziele entgegen. Die Loge ist aber nicht immer wohlbedeckt, wenn sie es auch äußerlich, der Form nach, zu sein scheint. Daß keiner, der nicht die Maurerweihe erhalten hat, unsere Schwelle überschreite, dafür läßt sich leicht sorgen, aber schwer ist es, die Wolken zu verscheuchen, welche oft genug uns das Licht trüben und verdunkeln. Wenn wir aufrichtig sind, dann müssen wir uns sagen, daß selbst in der der Arbeit geweihten Stunde unser Geist nicht immer auf das Höchste gerichtet ist, sondern, menschlicher Schwäche unterliegend, abweicht; wir müssen uns gestehen, daß unser Herz nicht immer so rein ist, wie es sein soll, daß oft genug die bösen Nebel der Selbstsucht und des Hochmutes daraus emporsteigen, um zwischen den Brüdern Scheidewände aufzurichten, wie sie zwischen Genossen der k. Kunst, zwischen den zum Lichte Strebenden, nimmermehr sich erheben dürften. Bilden wir uns doch nicht ein, daß es schönes Wetter, und die Loge wohlbedeckt sei, wenn die Pforte bewacht und kein Nichtmaurer in unseren Reihen sich befindet. Nein, wir sind nie sicher vor den finsteren Dämonen des Argwohns, der Eitelkeit, der Überhebung, der Zwietracht, welche den Furien des Hasses und der Verachtung Einlaß verschaffen. Alle solche bösen Geister personifizieren sich als die „fremden Unkundigen“, die in die Loge eindringen, und wenn das geschehen ist, dann hängt unser maurerischer Himmel voll schwarzer Wolken, die da bersten und, ihre Güsse über uns ausschüttend, keine Maurerarbeit unter uns aufkommen lassen; dann ist die Loge nicht mehr wohlbedeckt; ihr Dach ist schadhaft geworden, und wir dürfen sagen: „es regnet“; ja noch mehr: „es stürmt und hagelt“, wie es wohl in den Katechismen anderer Lehrarten in der Tat gesagt wird. Der Ausdruck „es regnet“ soll von den Werkmaurern herstammen, bei denen es Vorschrift war, einen Eindringling unter die Dachtraufe zu stellen, bis das Wasser ihm aus den Schuhen herauslief. Solche Bestimmungen brauchen wir nicht mehr, denn bei uns handelt es sich nicht um äußere, sondern um innere Feinde. „Fremd und unkundig“ ist alles, was dem rechten Maurergeiste widerspricht; damit muß aufgeräumt werden, und zunächst muß jeder einzelne bei sich selbst nachsehen, wie es bei ihm mit dem Wetter steht, und ob seine innere Loge wohlbedeckt sei. Über die Wolken des Himmels sind wir nicht Herren, aber in unserem Innern können wir uns das Wetter selbst machen. Leidenschaften und Begierden können wir niederkämpfen, und was sonst von außen störend und hemmend an uns herantritt, können wir mit dem Wächterschwerte von dem Heiligtum unseres Innern fernhalten. Wohl gehört dazu eine sehr bedeutende geistige Kraft, aber die Aufgabe ist nicht unlösbar, und es ist des Maurers würdig, daran seine Kraft zu üben und zu erproben. Welch ein Erfolg, wenn trotz aller Durchkreuzungen, die uns treffen, trotz Krankheit, Kummer, Schicksalsschlägen, trotz Anfeindungen, Beleidigungen und Verfolgungen unser Himmel hell bleibt und das Licht, das unserer inneren Arbeit leuchtet, durch nichts verdunkelt wird! Dann erst, wenn Frieden und Gleichgewicht in uns herrscht, und wenn mit dem Frieden die Liebe, von der uns nichts mehr scheiden kann, in unsere Herzen eingezogen, dann können wir uns hinaus wagen, um Regen, Sturm und Schloßen zu ertragen. Nicht bloß innerhalb der Loge ist unser Arbeitsfeld, sondern auch außerhalb, wo wir das anwenden sollen, was wir in unserer Werkstätte gelernt haben; wir dürfen uns nicht in einsiedlerischer Abgeschlossenheit auf unser Innenleben beschränken, sondern wir müssen in die Welt hinaus, um an den Widerständen, die sie uns entgegenstellt, unsere Kräfte zu bewähren. Und dazu gibt der Orden uns eine weise, nicht genug zu beherzigende Vorschrift in der letzten Frage: „Was soll ein Freimaurer tun, wenn außer seiner Loge irgend ein Fremder sich ihm nahet?“ „Ihm mit gutem Beispiele vorangehen und auch den Geringsten nicht verachten.“ Hier handelt es sich um unsere eigene Bewährung in der Welt und unser Verhältnis zu den Menschen. Wenn wir mit gutem Beispiele vorangehen sollen, dann müssen wir imstande sein, ein solches zu geben, und dazu müssen wir erst selbst besser geworden sein. In die maurerischen Mysterien können wir die Profanen nicht einweihen, und unsere >146< Weisheit dürfen wir nicht von den Dächern predigen. Aber durch unsere Persönlichkeit sollen wir in der Welt zu wirken suchen. Dies ist der einzige Weg, auf welchem wir Maurer Zeugnis ablegen sollen von dem Segen der k. Kunst. Wenn das fremde Unkundige, d. i. das Niedrige und Gemeine, an uns draußen herantritt, dann dürfen wir wohl sagen: „es regnet“. Aber: „Regen bringt Segen“, sagt das Sprichwort, und Sturm und Unwetter haben ihr Gutes. Nicht jeder Baum, den der Sturm bis ins innerste Mark erschüttert, wird entwurzelt, vielmehr schlägt er seine Wurzeln um so fester in das Erdreich. Auch uns soll und muß das, was uns Übles draußen begegnet, zum Segen gereichen und uns stärken zum Festhalten an dem Heiligtum in unserem. Innern und zur Überwindung dessen, was uns hemmen will. Der Maurer, der die Liebe, die alles überwindet, in sich trägt, wird auch „den Geringsten nicht verachten“. Unter den Geringen sind aber hier nicht bloß verstanden die Niedrigstehenden, denen wir an Rang, bürgerlicher Stellung, Glücksgütern und Geistesgaben voran stehen, sondern auch die geistig Minderwertigen, die Schlechten und Verworfenen. In allen, selbst in dem tiefgesunkensten Verbrecher, ist der göttliche Funke vorhanden, den der Schöpfer in sein Inneres gelegt hat, und wenn dieses Licht auch bei vielen ganz erloschen zu sein scheint, wir können nicht wissen, ob es nicht doch durch die göttliche Gnade erwachen kann, und ob wir nicht vielleicht selbst zu Werkzeugen ausersehen sind, um es zu wecken. Höchste Menschenliebe, die entsprungen ist der Gottesliebe, soll uns darum auf unserer Wanderung begleiten. Und ob unser Alter gleich minderjährig bleibt und unser Lehrlingstum nie aufhört, wir wissen, wo unser Lohn zu finden ist; und das Licht aus fernem Osten erhellt unsere Bahn. Wir wandern ihm zu. — (1904.) Die Moral des Ordens. Zum Gedächtnis des hundertjährigen Todestages Immanuel Kants. Noch ehe die Binde von den Augen des Suchenden genommen wird, macht der Meister ihn aufmerksam auf die Pflichten und Eigenschaften eines Freimaurers und fordert ihn auf, sich zu prüfen, ob er hinlängliche Stärke des Körpers und der Seele besitze, um die maurerischen Pflichten zu erfüllen und die Eigenschaften eines Jüngers der k. Kunst sich zu erwerben. Es werden ihm eine ganze Reihe von Tugenden genannt, welche von einem Freimaurer unzertrennlich sein müssen: reine Ehrfurcht gegen das höchste Wesen, Gehorsam gegen Obrigkeit und Gesetze, Liebe gegen unsere Nebenmenschen, Treue und Fleiß in unserem Beruf, Mäßigkeit und Wohltätigkeit, Geduld und Standhaftigkeit im Leiden, Demut im Glück. Alle diese schönen und tüchtigen Eigenschaften sind aber durchaus nichts einem Freimaurer Eigentümliches; wir finden sie bei einem jeden rechtschaffenen Menschen und guten Staatsbürger, und wir sind selbst schon vor der Aufnahme in den Orden verpflichtet, ihnen gemäß zu leben, ja, wir hätten sicherlich die Aufnahme in die Loge nicht erreicht, wenn man Grund gehabt hätte, anzunehmen, daß wir eine von jenen guten Eigenschaften an uns vermissen lassen, denn nur Männer von sittlichem Ernst und moralischem Wandel dürfen bei uns den Eintritt erlangen. Damit aber ist die Sache noch lange nicht abgeschlossen. Schon dadurch, daß der Suchende darauf hingewiesen wird, daß er sich jene Eigenschaften, die er doch eigentlich schon mitbringen muß, erst erwerben soll, muß er erkennen, daß der Orden ihm Anregungen für ein höheres sittliches Streben geben will, welches sich über das Durchschnittsmaß der Alltäglichkeit erhebt. Freimaurer zu sein, will „ein Mehreres sagen und in sich fassen“, als nur ein guter Mensch zu sein. Freimaurer sind Kunstjünger; sie bauen und schaffen. Nicht bloß >148< äußerliche Moral und hergebrachte Sitte ist es, die ihnen maßgebend sein soll; ihre Arbeit geht auf den inneren Menschen; das innere Leben ist es, das sie fördern wollen, und ein geistiger Tempelbau ist es, den sie zu errichten haben. Gleichwohl hat es den Anschein, als wenn die Moralvorschriften, welche der Lehrling nach seiner Aufnahme durch unsere Akten erhält, sich mehr auf das Äußerliche, Hergebrachte richten. Es wird ihm gesagt : „Der Lehrling soll sich die Tugenden aneignen, welche der Bund von uns fordert: er soll lernen.“ Und fernerhin wird ihm gesagt, welchen Tugenden er besonders nachzustreben habe. In unserem Lehrlings-Fragebuche heißt es (Abt. III, Art. 3, Fr. l bis 3) : „Was ist die Pflicht eines Freimaurers?“ „Die Laster zu fliehen und der Tugend nachzustreben.“ „Welche Laster muß er vornehmlich fliehen?“ „Hochmut, Geiz, Unmäßigkeit, Verleumdung und Haß.“ „Welcher Tugenden muß er sich befleißigen?“ „Der Verschwiegenheit, Mäßigkeit, Vorsichtigkeit und Barmherzigkeit.“ Wiederum tritt uns hier etwas entgegen, was selbstverständlich zu sein scheint und außerhalb der Loge ebensogut gefunden und geübt werden kann. Aber es ist doch noch etwas anderes. Wenn der Suchende jene guten Eigenschaften, auf welche ihn die Ansprache des Meisters schon vor der Lichterteilung hinwies, in die Loge als Anlage mitbringen soll, so wird er hier auf ganz besondere Wege hingewiesen, auf welchen sich seine sittliche Anlage zu einem höheren Können entfalten soll. Ganz bestimmte Tugenden sind es, denen er nachzustreben, und ganz bestimmte Laster, die er zu fliehen hat. Schon der Umstand, daß die Tugenden in der Vierzahl, die Laster in der Fünfzahl uns entgegentreten, ist beachtenswert. Die Vierzahl ist das Sinnbild der Vollkommenheit, oder vielmehr des zur Vollkommenheit aus einem unvollkommenen Zustande heraus Entwickelten. Das Quadrat, in dem die Vierzahl sich uns geometrisch darstellt, ist die Grundfläche des kubischen Steines, der aus dem rauhen Steine durch kunstgerechte Bearbeitung hervorgegangen ist. Die Fünfzahl dagegen weist uns auf das Unvollkommene, der Entwicklung und Vervollkommnung Bedürftige, hin. Das Quadrat macht, vom ästhetischen Standpunkt betrachtet, einen vollkommenen harmonischen Eindruck, das Fünfeck dagegen wirkt unruhig, wie man zu sagen pflegt, es erinnert uns an den Querschnitt eines Sarges; es ist nicht in allen Richtungen symmetrisch und läßt den betrachtenden Sinn unbefriedigt. Daher wird uns die Fünfzahl zum Symbol des Menschen in seinem Urzustande, wie er aus der Hand des Schöpfers hervorging, unvollkommen und fehlerhaft, wohl aber fähig einer Entwicklung zur Vollkommenheit, deren Keim ihm von seinem Schöpfer in das Innere gelegt ist. Die Entwicklung dieses Keimes, das ist es, worauf es bei dem freimaurerischen Werke ankommt; darum hat der Orden hier vier Tugenden ausgewählt, deren Pflege und Übung dem inneren Wachstum ganz besonders förderlich sind: Verschwiegenheit, Mäßigkeit, Vorsichtigkeit und Barmherzigkeit. Nur nebenbei will ich erwähnen, daß unser Br. Widmann (Zirk. Korr. 18T3, S. 70 ff.) darauf hingewiesen hat, daß die Aufstellung gerade dieser vier Tugenden möglicherweise mit den Gelübden der mönchischen und ritterlichen Orden zusammenhängen könnte, welche unserer modernen Freimaurerei, wenn sie auch vielleicht nicht mit ihr im direkten Zusammenhange stehen, so doch eine gewisse Färbung gegeben haben mögen. Jene mittelalterlichen Orden verlangten die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams, und manche stellten noch das Gelübde des Stillschweigens auf, das bei dem Orden von La Trappe bis zu vollständiger Stummheit ging. In diesen Gelübden will Widmann unsere vier sog. Meistertugenden wiedererkennen, gemildert und angepaßt den weltlichen Kreisen, in denen die Brüder unseres Bundes sich bewegen. So wurde aus der Armut die Barmherzigkeit, d.h. die sich des Besitzes entäußernde Menschenliebe; aus der Keuschheit die Mäßigkeit, aus dem absoluten Gehorsam die Vorsicht, die sich hütet, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten, und endlich aus dem Schweigen die Verschwiegenheit. In den fünf Lastern finden dann die vier Tugenden ihre natürlichen Gegensätze: Der Verschwiegenheit steht die Verleumdung mit ihrer bösen, geschwätzigen Zunge gegenüber, der Mäßigkeit die Unmäßigkeit, der Vorsichtigkeit der Hochmut, der in Vermessenheit sich selbst überschätzt, und der Barmherzigkeit der sich den Regungen der Menschenliebe verschließende Geiz und Haß. Daß nun der Orden die Übung gerade dieser vier Tugenden uns zur Pflicht macht, hängt eben, wie ich schon sagte, mit der Entwicklung >150< unseres göttlichen Keimes zusammen. Wenn wir uns ihrer befleißigen, dann wird unsere Seele in einen Zustand versetzt, in welchem sie die günstigsten Bedingungen für die Entfaltung ihres inneren Lebens findet. Die Verschwiegenheit oder das innere Schweigen, wovon ich in einem früheren Vortrage besonders gehandelt habe, schafft die Ruhe für die innere Arbeit, die Mäßigkeit hält Störungen und Ausschreitungen fern, die Vorsicht lehrt uns, Hindernisse voraussehen und vermeiden, die Barmherzigkeit endlich führt dem Lebenskeim in uns das unentbehrliche Licht und die belebende Wärme zu, ohne welche ein Gedeihen nicht denkbar ist. Nicht sog. Lebensklugheit ist es, welche den Freimaurer zur Tugend antreiben soll. Wohl ist es unzweifelhaft, daß wir unserm Erdenleben durch Tugendübung nützen; wenn wir verschwiegen sind, werden uns manche Verlegenheiten erspart bleiben; Mäßigkeit erhält unsere Gesundheit und erhöht uns in der Achtung unserer Mitmenschen; Vorsichtigkeit hilft uns über manches Hindernis auf unserer Bahn hinweg, und wenn wir Barmherzigkeit und Liebe üben, so erwecken wir Dankbarkeit bei denen, welchen wir wohlgetan haben. Solche Tugendübung aber, die nur auf äußere Vorteile bedacht ist, will der Orden nicht; denn nur auf das innere Leben kommt es ihm an. Es ist wie bei einem jungen Baum. Solange er klein und schmächtig ist, muß der Gärtner die schlanke Gerte hegen und pflegen; er muß die üppig wuchernden Triebe beschneiden, er muß den schwachen Stamm mit weichem Bast an einen kräftigen Stab befestigen, um ihm die rechte Richtung nach oben zu geben, er muß sein Erdreich wässern und düngen und ihn von Raupenfraß und Mehltau freihalten. Wenn aber der Stamm erstarkt ist, dann braucht er die pflegende Hand nicht mehr; in sich gefestigt, bedarf er keines Stabes, denn er kennt seine Richtung und wird sie nicht mehr verfehlen, die abgestorbenen Äste stößt er durch die eigene Lebenskraft ab, und der Himmel mit seinem Sonnenschein und seinem Tau und Regen gibt ihm Gedeihen. Das macht: die geheimnisvolle Kraft seines Innern ist so mächtig geworden, daß nichts von außen mehr an ihn heranzutreten braucht, um ihn seiner Bestimmung, zu blühen und Früchte zu tragen, entgegenzuführen. So ist es auch mit der durch die k. Kunst zu formenden Menschenseele. Sie bedarf der Tugendübung durch äußerlich an sie herantretende Pflichtgebote, der Tugendbegriff zerfällt ihr in einzelne Gesetzesparagraphen, bis sie endlich diesen Begriff als etwas Einheitliches aufzufassen und seinem nach oben weisenden Triebe zu folgen gelernt hat. Der Orden nennt das: die Erhebung durch Tugend zum Licht und erblickt hierin sein tiefstes und herrlichstes Geheimnis. Hier ist nicht mehr von verschiedenen Tugenden die Rede, sondern nur von einer Tugend; und so handelt auch die erste Frage, die uns heute beschäftigt, von der Pflicht, die Laster zu fliehen und der Tugend nachzustreben. Die Laster sind in die Mehrheit zersplittert und können der Tugend, wenn sie ihnen zu einer Einheit gefestigt gegenübertritt, nicht mehr gefährlich werden. Die Tugendübung hört auf, wenn das Gesetz des inneren Lebens in uns lebendig geworden und zur Geltung gekommen ist, jenes Gesetz, das uns so durchdringt und uns so ganz beherrscht, daß wir notwendigerweise tugendhaft empfinden, tugendhaft denken und tugendhaft handeln müssen und darum einzelne Tugenden nicht mehr zu üben brauchen, weil sie sich von selbst verstehen. Hier ist nun der Punkt gefunden, in welchem sich der Geist unserer k. Kunst mit dem Genius eines der größten Denker aller Zeiten auf das innigste berührt. Es hat zu allen Zeiten Weise gegeben, die auch ohne Maurerweihe den innersten Kern unserer Sache durch ihre geniale Intuition erfaßt haben; zu ihnen gehörten Pythagoras, Sokrates, Plato, Amos Comenius, Lessing und endlich der große Philosoph, der heute gleichsam im Bewußtsein nicht nur seines Volkes, sondern der ganzen Welt eine Auferstehung feiert, dessen Name in diesen Tagen, da hundert Jahre verflossen sind, seit er von der Erde schied, in aller Munde lebt, der größte Mann, den unsere Stadt jemals hervorgebracht hat, — Im-manuel Kant. An einem der belebtesten Punkte unserer Stadt, wo der Verkehr des täglichen Lebens auf und ab flutet, wurde vor wenigen Tagen eine eherne Tafel enthüllt, welche allem Volke jene monumentalen Worte in das Bewußtsein zurückrufen soll, die sich am Schlusse seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ aufgezeichnet finden: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ Es kann unmöglich die Aufgabe der Loge sein, sich näher mit der Philosophie Kants zu beschäftigen, nur das Eine soll hier hervorgehoben werden, das sie mit unserer Freimaurerei gemeinsam hat. >152< Während die Philosophen des Altertums und der Neuzeit vor ihm unmittelbar an ihre Aufgabe, die Natur der Dinge zu ergründen, herantraten und sich in Spekulationen darüber ergingen, untersuchte Kant zunächst das menschliche Erkenntnisvermögen und suchte seine Grenzen zu bestimmen. Dies geschah in seiner „Kritik der reinen Vernunft“. Er kam dabei zu dem Ergebnis, daß die reine theoretische menschliche Vernunft über die höchsten Fragen und letzten Dinge keine Auskunft zu geben vermag. Die verschiedenen Beweise für das Dasein Gottes, welche bis dahin für gültig angenommen waren, widerlegte er und stellte sie vom Standpunkte des reinen aprioristischen Denkens als unhaltbar hin. Auch den Begriff der Freiheit könne es für ein solches Denken nicht geben, da alles Geschehen von einem unverbrüchlichen Gesetz der Kausalität, von Ursache und Wirkung abhängig sei. Nun aber wies er darauf hin, daß der Mensch nicht bloß ein denkendes Wesen ist, sondern daß auch in unserer Vernunft der Trieb zu einem sittlichen Wollen und Handeln vorhanden sei. Eine Philosophie, die sich nur auf das Gebiet einer aprioristischen Erkenntnis beschränken würde, ist unvollständig und unmenschlich. Es gibt daher nicht bloß eine theoretische, sondern auch eine praktische Philosophie. Dies begründete er in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“. In diesem Werke zeigte er, daß das sittliche Bewußtsein in uns gleichsam als Gesetzgeber tätig ist. In unserem Gewissen ist das moralische Gesetz begründet, und die Formel, welche uns sagt, nicht welche Handlungen geschehen, sondern wie die Bedingungen des Handelns sein müssen, nennt er den kategorischen Imperativ: „Handele so, daß die Maxime deines Handelns als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Kategorisch ist dieser Imperativ, nicht hypothetisch, weil das Pflichtgebot rein sein muß und durch keine Bedingungen eingeschränkt, durch keine Lebensklugheit diktiert sein darf. Aus diesem moralischen Gesetz leitet er nun seine drei Forderungen (Postulate) der praktischen Vernunft ab, zunächst das Postulat der Freiheit. Indem nach dem Satze: „Du kannst, denn du sollst!“ die Handlungen unseres Sinnenwesens von unserem Vernunftwesen bestimmt werden, wird das Gesetz der Kausalität durchbrochen und Freiheit des Willens für unser sittliches Handeln angenommen. Die zweite Forderung ist die der Unsterblichkeit; sie ist notwendig, weil das Ziel der Vollkommenheit, welches uns das moralische Gesetz vorhält, nur in der Unendlichkeit erreichbar ist. Die dritte Forderung endlich ist das Dasein Gottes, der da ist ein Herrscher im Reiche der Vernunft und Natur, der zwischen sittlicher Würdigkeit und Glückseligkeit die vom moralischen Bewußtsein geforderte Harmonie herstellt, ein höchstes Wesen, von dem alles ausgeht, zu dem alles zurückkehrt, und in dem alles ruht und vollendet ist. Diese Seite der Philosophie, wie sie Kant in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ dargestellt hat, ist von seinen Nachfolgern, z.B. von Hegel und Schopenhauer, vielfach angegriffen worden. Man hat gemeint, die darin entwickelten Ansichten seien keine Philosophie mehr, sondern Glaubenslehren. Nun, sei es darum! Uns kann es nicht kümmern, ob es den Schulregeln gerecht wird. Auf die Seite des Dichters Otto Liebmann aus Jena wollen wir uns schlagen, der in diesen Festtagen den Genius Kants also besungen hat: „Geheimnisvolle Werkstatt der Vernunft! Ein inn'res Weben, Schaffen und Erkennen Erzeugt in ewig neuer Wiederkunft Das große Phänomen, das »Welt« wir nennen; Er hat's erlauscht, hoch über aller Zunft, Wie sich Gedanken einigen und trennen, Und wie das Ich beharren muß und dauern, Um sich ein Universum aufzumauern. Und aus dem Innern stammt das Heil'ge auch, Dem wir uns beugen, das wir tief verehren. Wodurch wird dir Gesetz der Sitte Brauch? Wer kann unbändiges Handeln dir verwehren? Ist's nicht der innern Rätselstimme Hauch, Herz und Gewissen, was dich muß belehren? Du selbst mußt denkend fühlen, prüfend richten, Dir aufzubau'n dein Heiligtum der Pflichten. Unsterblichkeit ? — Was hält dem Wechsel stand ? Nationen stürzen, Throne, Dynastien, Flut folgt der Ebbe, und aus Meer wird Land, Dogmen zergeh'n, Systeme, Theorien; Selbst was ein großer Geist entdeckend fand, Verfällt dem Schulgezänk der Koterien. Doch Gold bleibt Gold, wie's auch sich umgestaltet, Wahrheit bleibt wahr, wenn auch die Form veraltet.“ >154< Ja! Wahrheit bleibt wahr. Auch das, was unser greiser Kant uns gegeben hat, wird wahr bleiben, mag es nun Philosophie oder Glaubenslehre oder Morallehre oder sonst wie genannt werden; Wahrheit kann vergessen werden, aber sie ganz zu vertilgen, ist unmöglich; sie bricht immer wieder siegreich hervor. Wahrheit bewährt sich an sich selbst und trägt Früchte; sie dringt unmerklich in die breiteren Schichten des Volkes — diesem selbst unbewußt — ein und zeitigt große Taten. Es ist oft darauf hingewiesen, daß es der Geist der Pflichtenlehre Kants war, welcher die Schlachten der Befreiungskriege gewinnen half. Wahrheit bleibt bestehen, und die Lehren unseres Kant werden die Welt erleuchten, wenn die Afterphilosophie des Materialismus und des Pessimismus längst abgewirtschaftet hat und die diabolische Herrenmoral mit ihrer „Umwertung der Werte“, welche unserer Jugend jetzt die Köpfe verdreht, zerscheitert sein wird. Ich sagte, daß die Philosophie Kants in unserer Zeit, hundert Jahre nach dem Tode des Denkers, gleichsam ihre Auferstehung feiert, nicht als ob sie bis dahin im Grabe geschlummert hätte, nein! Ihre Wirksamkeit ist wohl zu spüren gewesen, wenn schon sie vor den Strömungen des modernen Denkens vielfach zurücktreten mußte. Aber diese Strömungen fangen an zu ebben, und „zurück zu Kant“ heißt jetzt die Losung. Wir Freimaurer brauchen in diesen Ruf nicht einzustimmen; denn der Geist unseres Ordens fällt zusammen mit der praktischen Philosophie Kants, dem Teile seines Systems, der dem großen Denker besondere Herzenssache war. Wir Freimaurer schauen nach dem bestirnten Himmel über uns und erblicken dort den Meister; zwar nicht ihn selbst, sondern sein Kleid, die himmelblaue Decke, besäet mit den goldenen Gestirnen, das Gewand, hinter welchem er sich vor sterblichen Augen verbirgt. Anfangs sind wir wohl Kinder, die die Unendlichkeit des Weltgebäudes nicht ahnen und den Mond als Spielzeug haben möchten. Wenn wir aber sehen und erkennen gelernt haben, dann taucht unser Geist unter in das grenzenlose All und lernt den Meister finden, der es baute, und der der Vater aller Wesen ist. Und von dem Flug ins Grenzenlose kehren wir zurück und schauen uns selbst an, und siehe da! je mehr wir uns selbst erkennen, desto mehr werden wir inne, daß wir in unserem Innern eine zweite Unendlichkeit tragen, die uns nicht im räumlichen Bilde erscheint, sondern als göttliches Leben, als das moralische Gesetz. „Wenn“, wie Kant sagt, „der Anblick der zahllosen Weltenmenge über mir meine Wichtigkeit als tierisches Geschöpf gleichsam vernichtet, so erhebt dagegen das moralische Gesetz in mir meinen Wert als einer Intelligenz, in welcher es mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart.“ Uns Freimaurern aber erwächst aus diesem Moralbewußtsein der Trieb unseres maurerischen Wachstums, der gute, reine Wille, das heilige Pflichtgebot, dem wir mit um so zwingenderer Notwendigkeit folgen müssen, je klarer wir die Unendlichkeit unseres Innern erkannt haben und je tiefer wir in sie hinab getaucht sind. Jene vier Meistertugenden, zu denen wir am Anfange unserer Maurerbahn verpflichtet wurden, gehen endlich unter in dem großen Zuge, der uns emporhebt und dem Göttlichen entgegenführt; ihr Gebot gibt es für uns nicht mehr, wenn die Quelle, aus welcher alle Tugend fließt, uns erschlossen ist, und wenn wir aus ihr unseren Durst gestillt haben. Durch Tugend, die wir erkannt haben aus der Unendlichkeit des Göttlichen um uns und in uns, durch solche Tugend zum Lichte ! Möge dieser große Zug der Freimaurerei, welcher Lehrart sie auch immer sei, niemals verloren gehen! Es geschehe also! (1904.) >156< Kreide, Kohlen und Feuer. Wie sehr unterscheidet sich doch die Werkstätte der k. Kunst, die Loge, von anderen Werkstätten! An allen solchen Orten, selbst in den Ateliers von Künstlern, pflegt es manchmal unsauber und unordentlich auszusehen. Nicht so bei uns. Ein Abbild dessen, was sie schaffen soll, stellt die Loge dar. Das Idealbild eines Tempels ist es, unter dem sie erscheint; Ordnung und Ebenmaß herrscht in ihr. Aber ganz ohne Unordnung geht es auch hier nicht ab, wenn auch äußerlich nichts davon zu merken ist. Die lebendigen Bausteine des geistigen Tempelbaues sind die Brüder; sie sind noch nicht vollendet und fertig, um in den Bau eingereiht werden zu können, darum kann in ihrem Innern auch noch nicht die Ordnung herrschen, welche für einen Idealbau nötig ist. Sie sind die Baumaterialien, welche erst geformt werden sollen. Wie das geschieht, das ist das eigentliche Kunstgeheimnis der Freimaurerei. Um diesen Zweck nun zu erreichen, haben wir Werkzeuge, mit denen wir die Arbeit angreifen, wir haben Gesetze, durch welche unser Tun und Treiben geregelt ist, und unsere Arbeit ist in eine ganz bestimmte Form gebracht, welche von dem, der sie ausübt, gekannt und geübt sein muß. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet erklärt sich ein großer Teil von dem, was die Loge darbietet, von selbst, manches aber bleibt unverständlich und bedarf der Auslegung. Eine solche dunkle Stelle unserer Lehrlingsakten möchte ich hervorheben und eine Erklärung derselben versuchen. In unserem Fragebuch, III. Abteilung, 3. Artikel, Frage 4 bis 6, heißt es folgendermaßen: „Mit wie vielen Materialien arbeiten die Freimaurer ?“ Mit dreierlei Materialien.“ „Welches sind diese?“ „Kreide, Kohlen und Feuer.“ „Was bedeuten diese Materialien?“ „Aufrichtigkeit, Verschwiegenheit und Eifer.!“ Es ist hier wieder von Materialien der Arbeit die Rede. Wir müssen aber einen Unterschied machen zwischen den Materialien, die wir formen, und denjenigen, vermittels welcher wir jene zu bearbeiten haben. Schon in unserm ersten Fragestück wird gesagt, daß es die Aufgabe der Johannisloge sei: „Baumaterialien herbeizuschaffen und zuzubereiten.“ (Fragebuch, II. Abt., 1. Art., Fr. 45.) Es ist zweifellos, daß hier nur die rauhen Steine, die Individuen, gemeint sein können, welche die Loge bilden und in ihr bearbeitet werden sollen. Anders verhält es sich mit den Materialien, von welchen in der zitierten Stelle des Fragebuches die Rede ist. Freilich erscheint mir hier der Ausdruck „Materialien“ nicht recht zutreffend; Hilfsmittel, Ingredienzien oder Requisite wäre bezeichnender. Die drei sind eben das, was bei unserer Arbeit uns stets zur Hand sein muß; ohne sie stockt der Puls des Lebens der Loge. Kreide, Kohlen und Feuer! Welche eigentümliche Bezeichnung! Wo finden wir die drei in der Loge? Anfangs suchen wir sie wohl vergebens, aber bald finden wir sie, und zwar offen daliegend in der Mitte unseres Tempels. Wir erblicken sie in der Arbeitstafel, welche schwarz wie Kohle ist, und in den weißen Figuren, welche wie mit Kreide darauf gezeichnet sind. Auch wissen wir, daß in den Bauhütten des Mittelalters bei Eröffnung der Arbeit von den Lehrlingen die zur Kunst gehörigen Zeichnungen auf einer mit Kohle geschwärzten Tafel gezeichnet und beim Schluß der Arbeit mittels eines Kehrwisches und Wassers wieder ausgelöscht wurden. Später erst kamen dann die Arbeitstafeln auf, welche man zu Anfang der Loge entrollte und beim Schluß wieder zusammenlegte. — Wo aber finden wir das Feuer? Wir haben es nirgend wo anders als in den drei großen Kerzen zu suchen, welche um die Arbeitstafel brennen. Wie nach der antiken Sage einst Prometheus >158< das Feuer vom Himmel raubte, um es den Menschen zu bringen und sie seiner Segnungen teilhaftig werden zu lassen, so holen unsere Brüder Aufseher das Licht vom Altar, um damit die Loge zu erleuchten und es unter den Brüdern zu verbreiten. Wenn das Feuer der Lichter am Schlusse der Arbeit erlischt, dann verschwindet damit auch die Arbeitstafel, und da ohne die Tafel und ohne ihre Erleuchtung keine Logenarbeit vollbracht werden kann, so ist es ersichtlich, daß Kreide, Kohlen und Feuer die notwendigen Erfordernisse oder, wie unsere Akten sagen, Materialien sind, mittels deren unser Werk ausgeführt wird. Dies ist die historische Erklärung, welche wir von unsern drei Materialien geben können. Nun aber geben unsere Akten noch eine Vergeistigung derselben, indem sie ihnen die Bedeutung von Aufrichtigkeit, Verschwiegenheit und Eifer unterlegen. Das sind drei Eigenschaften oder Tugenden, die uns stets gegenwärtig sein müssen und auf unsere Arbeit einen stetigen Einnuß auszuüben haben. Es ist nun wohl klar, daß die Aufrichtigkeit der weißen Kreide und die Verschwiegenheit der dunklen Kohle entsprechen; Aufrichtigkeit und Verschwiegenheit scheinen einander auszuschließen, so wie Kreide und Kohle durch ihre Farbe die schärfsten Gegensätze bilden; der Eifer aber entspricht dem leuchtenden und wärmenden Feuer. Wie ist das auf unsere Maurerarbeit anzuwenden? Das maurerische Licht, dessen Symbol die Kerzen sind, welche den Altar und die Loge erleuchten, wird uns erteilt, um unseren Sinn hell zu machen und uns zu erleuchten zum rechten Verständnis der Dinge um uns her. In diesem Lichte haben wir zu betrachten die uns umgebende Natur, das Weltgebäude, mit allem, was es umschließt, und unter diesem ist für uns das Nächste das eigene Ich und die mit uns erschaffenen Menschen, unsere Brüder. Das Bild des Weltgebäudes zeigt uns die Loge; die Sternendecke überwölbt, der Meister regiert sie, die Aufseher, die er als seine, in der Welt wirkenden Kräfte sich gegenüber gestellt hat, gehorchen ihm, und die Brüder erfüllen den Raum der Loge, wie die Menschheit durch alle vier Weltgegenden verbreitet ist. Auf dem Fußboden unseres Logentempels liegt die Arbeitstafel mit ihren weißen Figuren auf schwarzem Grunde, erleuchtet von dem dem heiligen Altar entstammenden dreifachen Licht. Aus ihr erkennen wir nicht nur den Plan unserer Arbeit, sondern auch unsere Werkzeuge, mit denen wir diese zu verrichten haben, sind auf ihr zu finden. Wie ist es nun in der Weltenloge? Finden wir auch dort eine Tafel? Finden wir Werkzeuge und alles das, was zur Arbeit nötig ist? — Gewiß! Wer Augen hat zu sehen, der erkennt den großen Bauplan, und wer Ohren hat zu hören, der vernimmt das Wort des ewigen Meisters, das dem Menschen durch seine im Innern wirksamen Aufseher, Vernunft und Gewissen, verkündigt wird. Und was wir zu erkennen haben, und wobei unsere Arbeit einzusetzen hat, das erscheint uns auch hier unter dem Bilde jener drei Materialien. Die Natur, wie wir sie durch unsere Sinne erkennen und durch unsere Vernunft auffassen, ist die Arbeitstafel im großen Maurertempel; ist doch unsere gezeichnete Arbeitstafel auch ein Bild der Welt, wie die vier, auf dem Rahmen bemerkten Himmelsgegenden andeuten. Die Natur liegt vor uns wie ein offenes Buch, das in leuchtenden Zeichen uns die Wunder des Universums zeigt und unserer staunenden Betrachtung übergibt. „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigen seiner Hände Werk.“ (Ps. 19, l u. 2.) Wie die hellen Bilder unserer Arbeitstafel, so geben uns auch die Wunder der Natur die Anregung zum Arbeiten, zum Denken, zum Forschen. Sie gestattet uns in ihrem großen Buche zu blättern. Wir könnten das Aufrichtigkeit nennen; besser aber paßt das Wort „Wahrheit“. Aus der Wahrheit Feuerspiegel strahlt, wie der Dichter sagt, das Lächeln der Freude dem Forscher entgegen. Die Natur ist wahr und offen; sie läßt uns nicht nur ihre Wunder schauen in der herzbewegenden Pracht ihrer Erscheinungen, sondern sie offenbart dem Menschengeist auch ihre Gesetze und gestattet ihm, Blicke in ihre geheime Werkstätte zu tun. Anderseits aber, wenn die Offenbarungen der Natur uns auch entgegen leuchten, wie die weißen Figuren der Tafel, ist sie doch verschwiegen und einem geschlossenen Buche zu vergleichen, dessen Siegel niemand lösen kann. Ihr Schoß ist dunkel wie der schwarze Grund der Tafel. Schweigend und geheimnisvoll ist ihr Walten und Weben; still und verborgen wirken und schaffen ihre Gesetze, und geräuschlos greift das große Räderwerk ineinander. Ein verschleiertes Saisbild ist die Natur dem Forscher, der bald an die Grenzen seiner Erkenntnis gelangt ist. Freilich gibt es Naturforscher, die in unglaublicher Verblendung und Vermessenheit glauben, daß sie die meisten Welträtsel schon gelöst hätten, und daß die Lösung der noch rückständigen Fragen nur eine Frage der Zeit sei. Wie klein erscheinen sie in ihrer Afterweisheit gegen den großen Newton , der da sagte, er komme sich gegenüber der Unergründlichkeit der Natur vor wie ein Kind am Ufer des Weltmeeres, >160< das mit einigen im Sande aufgelesenen bunten Steinen spielt. Nein! „Ins Inn're der Natur Dringt kein erschaffner Geist; Glückselig, wem sie nur Die äußere Schale weist.“ Wenn aber auch die tiefsten Tiefen des Naturerkennens der menschlichen Vernunft verschlossen sind, und wenn wir auch nie die Hoffnung haben können, den dunkeln Urgrund der Dinge sich aufhellen zu sehen, so spüren wir doch den Trieb der Entwicklung vom Unvollkommenen zum Vollkommenen, der wie ein lebendiger Strom der Erfüllung des Weltzwecks entgegen drängt. Das ist das belebende Feuer, der eigentliche Lebensnerv der Schöpfung. Diesen Strom spüren wir, wenn unser sinnliches Erkennen nicht weiter vordringen kann und unsere Vernunft mit ihren Urteilen und Schlüssen ans Ende gelangt ist. Wir wissen wohl, daß, weil wir endliche, irdische Wesen sind, uns der volle Einblick in das ewige Reich des wahren Seins versagt bleiben muß, aber wir ahnen den Zusammenhang des Ganzen, und die Töne, die uns zur Weltenharmonie noch fehlen, hören wir in unserem Herzen erklingen. Der Glaube geht uns auf an die eine große Kraft und Intelligenz, die der Urgrund aller Dinge ist und das Band der Liebe um alles Erschaffene schlingt, — der Glaube an Gott. Das ist Feuer, das uns durchglüht und der kalten Tätigkeit des Verstandes erst Leben und Wärme verleiht; das ist Licht, vor dem auch die dunkelsten Tiefen nicht mehr undurchdringlich erscheinen. Und wenn wir nun von der großen Weltenloge in Selbsterkenntnis den Blick in unser Inneres lenken, so finden wir auch dort ihr Abbild. Der große Meister hat uns die Arbeitstafel in unser Inneres hineingezeichnet; freilich müssen wir sie zu finden wissen und sie zu lesen verstehen. Und dazu sind wieder jene Materialien der Arbeit notwendig. Aufrichtig und wahr gegen sich selbst muß der Maurer sein, dann werden ihm aus seinem dunkeln Innern die hellen Zeichen des Lebens entgegen leuchten. Aus Licht und Finsternis ist die menschliche Natur gemischt. In dem maurerisch Ungeschulten, der noch nicht den Ordnungsruf des Meisters vernommen hat, geht alles chaotisch durcheinander, Licht und Dunkel ist noch nicht voneinander geschieden; da wogt eine graue und trübe Masse, wie wenn Kreide und Kohle durcheinander gemischt wären. Da können die edlen Materialien nicht zur Geltung kommen. Dem maurerisch Geschulten aber geht das Licht auf in der Finsternis. Der Gemeine und niedrig Geartete weiß davon nichts. Er ist weder aufrichtig noch verschwiegen im maurerischen Sinne; denn nicht jedes sich Öffnen ist Aufrichtigkeit, und nicht jedes Schweigen ist Verschwiegenheit. Eifer entwickelt sich in solchen Naturen nur, wo es gilt, der Sinneslust zu fröhnen, die Habsucht zu befriedigen und dem Ehrgeiz die Zügel schießen zu lassen. Anders der geschulte Freimaurer! Er blickt in sein Inneres wie in die Tiefen des Weltalls. Aus seinem Innern erschallt ihm das göttliche Wort und redet zu ihm, und er schaut lichte Zeichen. Und wenn ein Freund und Bruder ihm zur Seite tritt, um in gleichem Streben mit ihm zu gehen, dann erschließen sich in wahrer Aufrichtigkeit die Maurerherzen, dann schaut einer im andern die leuchtenden Figuren im hellen Licht, das feste Fundament mit den Säulen des Aufwärtsstrebens zu Gott, den Stern der Liebe und des Lebens im mittelsten Raume, dessen Licht sie leitet bis zur Grenze, wo Irdisches und Göttliches sich berühren, und das Diesseits mit dem Jenseits durch das goldene Vereinigungsband verknüpft ist, jenes Band, das uns emporhebt und uns Kraft verleiht, im Aufblick zum Ewigen unsere Arbeit im irdischen Lichte von Sonne und Mond zu fördern: den rauhen Stein zum Kubus zu formen nach dem Plan des Reißbretts, gemäß Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei, durch Hammer, Zirkel und Kelle. Dennoch aber muß der Maurer verschwiegen sein, auch gegen den ihm vertrauten Kunstgenossen, so wie gegen sich selbst. So wie sein Inneres zu ihm redet, so schweigt es ihm auch. Er blickt in sich hinab wie in eine unergründliche Tiefe; denn der Mensch ist und bleibt sich selbst das größte Rätsel. Schweigend und mit heiligem Schauer soll er sich darin versenken. So wenig er sich selbst bis auf den Grund seiner Seele schauen kann, so kann er noch viel weniger das Innere seines Bruders ergründen. Mag das Herz des Maurers sich auch noch so rückhaltlos dem Bruder und Freunde erschließen: das Schönste, das er in sich trägt, kann er ihm doch nicht zeigen, das Höchste, das ihn bewegt, ihm doch nicht aussprechen, in die Tiefe seines Innern, wo der Quell der Begeisterung entspringt, kann er niemand blicken lassen. Eins aber vermag er: er kann das Feuer des Eifers schüren, das sein Inneres erglühen und seine Begeisterung für das Licht der Wahrheit zur Flamme emporlodern läßt. Im eigenen Herzen kann er dieses heilige Feuer nähren und auch in dem Innern des Bruders den belebenden >162< Funken entzünden helfen. Ist dieses Feuer auch im Menschenherzen schwankend, und droht es auch manchmal zu erlöschen, so muß es sich doch immer wieder von neuem entzünden, wie die Lichter um unsere Tafel, und es wird uns endlich dorthin geleiten, wo alle Geheimnisse offenbar, alle Fragen beantwortet und alle Widersprüche, wie sie uns in Kreide und Kohle, in Aufrichtigkeit und Verschwiegenheit, in Licht und Finsternis sich zeigen, aufgehoben sind durch das Feuer der ewigen göttlichen Liebe, in deren Schoß wir uns wiederzufinden hoffen, um ohne Schleier und Hülle, ohne vergängliches Gleichnis das volle Licht zu schauen. (1899.) Die drei Pfeiler. „Worauf ruht die Arbeit?“ „Auf drei Pfeilern. „ „Wie heißen diese Pfeiler?“ „Weisheit, Stärke und Schönheit.“ „Was verstehen Sie darunter?“ „Weisheit zum Unternehmen, Stärke zum Ausführen, Schönheit zum Schmücken. (Fragebuch Abt. III, Art. 3, Fr. 7 bis 9.) „Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch!“ So singt der griechische Dichter, (Sophokles, Antigone) und er hat recht. Freilich können wir nicht wissen, ob nicht auf den unendlich vielen Weltenkörpern, die wir in der Sternennacht über unserem Haupte schimmern sehen, noch andere Wesen wohnen, welche bevorzugter sind als wir Erdenbürger. Aber auf unserer Erde lebt nichts, was sich mit dem Menschen vergleichen ließe. Wohl ist sein Leib dem Körper der höheren Tiergattungen sehr ähnlich, ja, in der Beschaffenheit mancher Organe ihm gleich; dennoch aber trennt den Menschen eine ungeheure Kluft selbst von den höchstentwickelten Geschöpfen, die mit ihm unseren Planeten bewohnen. Sein Geist ist es, der ihn so hoch über alle Geschöpfe erhebt, seine gottentsprossene Vernunft, die ihm das Reich der Ideen öffnet, welche der Tierwelt verschlossen bleiben muß. Das große Gebiet der Wissenschaft gehört ihm allein; im Reiche der Kunst ist er allein der unumschränkte Herrscher. Das Höchste aber, was ihm den Stempel edelster, göttlicher Abkunft verleiht, ist die Religion, die nur ihm allein sich erschließt. Der Mensch allein beschränkt sich in seinen >164< Vorstellungen nicht bloß auf sein irdisches Leben, er denkt nicht bloß an das, was ihm nützt oder schadet, was er zu suchen und was er abzuwehren hat; seine geistige Gestaltungskraft erhebt ihn über das Räumliche und Zeitliche hinaus, in das Unendliche und Ewige, zur Gottheit. Sie neigt sich zu ihm herab, und er strebt zu ihr empor. So erscheint der Mensch als das am reichsten begabte Geschöpf, als der Herrscher der Erde nicht nur, sondern auch als Berufener für das ewige Reich des Himmels. Glücklich ist er zu preisen, weil ihm die höchsten Güter beschieden sind. Und dennoch sind gerade die hohen Gaben, die die Gottheit dem Menschen in die Wiege gelegt hat, vielfach für ihn eine Quelle der Unseligkeit. Das Wort, das der griechische Dichter in dem oben angeführten Zitat gebraucht, hat der Übersetzer durch „gewaltig“ wiedergegeben, aber ebenso heißt es „furchtbar“, „schrecklich“, „entsetzlich“. Das sind alles Epitheta, die dem Menschen mit Recht beigelegt werden können. Kein Geschöpf der Erde kann wilder, blutgieriger, rachsüchtiger, hinterlistiger und falscher sein als der Mensch. Die Kämpfe, die in der Tierwelt ausgefochten werden, reichen nicht heran an die Grausamkeit und Furchtbarkeit der Kriege, in denen ganze Nationen einander zerfleischen, an die Martern und Qualen, die der Mensch ersonnen hat, um seinesgleichen zu peinigen und zu töten. Der Mensch erniedrigt sich unter das Tier, nicht nur hierin, sondern noch auf andere Weise. Wenn wir ausschweifende Wollust und Völlerei viehisch nennen, so ist das ein sehr mildes Beiwort, das eigentlich gar nicht zutrifft. Das Vieh kennt keine Leidenschaften, es befriedigt seine Naturtriebe, stillt seinen Hunger und wehrt sich gegen seine Feinde; damit begnügt es sich. Der Mensch allein reizt seine Triebe durch künstliche Mittel, er sinnt darauf, sie in raffinierter Weise zu befriedigen und sinkt dadurch tief unter das Tier hinab, das von solchen Ausschreitungen nichts weiß, und er wird dadurch um so befleckter und schuldbeladener, als er oft genug seine Geistesgaben in den Dienst niederer Lüste stellt. Doch genug davon! Wer könnte ein Ende finden, wenn er alle Nachtseiten der Menschennatur aufdecken wollte? Woher kommt es nun, daß die menschliche Vernunft auf solche Abwege geraten kann ? Das macht, weil der Mensch ein Doppelwesen ist mit zwei Naturen, einer materiellen und einer geistigen, und weil die irdische Natur von vornherein einen viel breiteren Raum in seinem Wesen einnimmt als die geistige, welche anfangs nur als ein kleiner Keim, als Anlage in ihm schlummert und der Erweckung und Entwicklung harrt. Der Kampf, der notwendigerweise zwischen beiden Anlagen entbrennt, bleibt keinem Menschen erspart. In jedem entsteht die Idee des Sittlichen, welche ihren letzten Grund in dem Willen Gottes hat. Aber mit ihr zugleich erhebt auch der eigene freie Wille sein Haupt, und der Mensch wird versucht, seinen Willen dem göttlichen Willen entgegenzusetzen. Der Anreiz zu dieser Versuchung liegt in seiner materiellen Natur, und sie gewinnt den Sieg, weil sie stärker ist als die Vernunft. Das Alte Testament stellt uns das in der Genesis dar unter dem Symbol der Schlange und der beiden Bäume des Paradieses. Die Schlange verführt den Menschen, vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, und flüstert ihm ein, er werde dann sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Das heißt mit anderen Worten: Der Mensch vermißt sich, aus eigenem Erkennen zu entscheiden, was recht und unrecht, und aus eigenem Willen zu tun, was er für das Richtige hält. So will er laufen und fliegen bis zu den Sternen und hat noch nicht gehen gelernt. Anstatt die göttliche Stimme zu fragen, die, leise mahnend, in seinem Innern sich regt, läßt er sie übertönen von anderen Einflüsterungen, die aus dem Willen seines Fleisches stammen. So ißt er vom Baume der Erkenntnis; der Baum des Lebens hätte ihn die rechten Wege gewiesen, seine Frucht hätte das göttliche Leben in ihm zur Reife gebracht und ihn genährt mit Himmelsspeise. Aber er ließ ihn unbeachtet beiseite stehen und kostete von der verbotenen Frucht. Damit war das Paradies verloren; er ward unselig, und der Fluch verfolgte ihn; „er ward“, wie unsere Akten sagen, „sich selbst ein Schrecken und der Erde eine Last“. Der Wahn umnebelt das Licht seiner Vernunft, und mit Recht sagt der Dichter: „— Das Schrecklichste der Schrecken, Das ist der Mensch in seinem Wahn.“ Was uns durch die symbolische Erzählung des alten Bundes gesagt wird, das sagt uns das Neue Testament mit den schlichten Worten: „Ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird.“ (Jak. l, 14.) Das ist das verhängnisvolle Schicksal jedes Menschen. Durch die Erkenntnis, die er auf falschen Wegen sucht, wird er auf die Pfade des >166< Irrtums gedrängt. Selbst jene hohen Güter, Wissenschaft, Kunst, Religion, werden ihm in ihrem Wert in Frage gestellt, weil ihm der rechte Standpunkt fehlt, aus welchem er sie anschauen und würdigen soll. Wissenschaft! Was kann sie ihm sein, dem Wahnbefangenen, der sich unterfängt, sie als die einzige Quelle der Erkenntnis zu betrachten ? — Wehe ihm, wenn er Wissen mit Weisheit verwechselt! Die Einsicht, daß menschliches Wissen nur Stückwerk sein kann, daß wissenschaftliches Streben dem Irrtum unterworfen ist, wird ihn auf die Dauer nicht befriedigen können und sein Herz veröden; denn je weiter die Wissenschaft den Menschen führt, je mehr sie seinen Horizont erweitert, desto mehr sieht er ein, wie wenig wir wissen können. Befriedigung kann darin nur die verknöcherte Seele des Pedanten finden, der „— mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt, Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet,“ oder der aufgeblasene Hochmut, der sich vermißt, durch seines Geistes Kraft die Welträtsel zu ergründen. Kunst! Was kann sie dem Menschen werden, der des göttlichen Lichtes entbehrt? Und der Künstler selber, der nicht das Ideal göttlicher Schönheit in sich trägt, was kann er schaffen? Und selbst eine wahre und echte Kunst kann nicht veredelnd wirken auf Menschen, welche nur auf ihren äußeren Glanz sehen und es nicht verstehen, hinter dem schönen Schein das Göttliche zu finden. Die Geschichte lehrt uns, daß Völker, in denen sich die Künste zu einer außerordentlichen Höhe entwickelt hatten, innerlich verfallen waren und ihrem baldigen Untergange entgegengingen. Und endlich die Religion! Was ist sie für den überwiegend größten Teil der Menschheit? Woran liegt es, daß sie nicht jedem die rechte Stärke gibt und ihm den inneren Halt und Trost gewährt, den sie jedem zu gewähren berufen ist. Das liegt einmal an dem Wahn der Menschen und anderseits an dem Wahn derjenigen, die berufen sind, ihre Heiligtümer zu verwalten. Ich will schweigen davon, wie viele Gräuel unter dem Deckmantel der Religion begangen worden sind; mit Schaudern lesen wir davon in den Büchern der Weltgeschichte. Ich will nur darauf hinweisen, was aus der Religion geworden ist unter den Händen eines herrschsüchtigen Priestertums. Denken wir an die uns zunächst liegende Gestaltung der Religion, an das Christentum. Was hat die Orthodoxie daraus gemacht im Laufe der Jahrhunderte! Das Christentum sollte nach dem Willen seines erhabenen Stifters die Religion der Menschheit sein; aber seine Priester haben eine Religion daraus gemacht, welche nicht einmal alle diejenigen befriedigen kann, die sich zu ihr bekennen möchten; sie haben Dinge in ihre Satzungen hineingebracht, welche dem göttlichen Meister ganz fern gelegen haben. Stiege er wieder zur Erde herab, was würde er dazu sagen! Statt ihren Gläubigen einen festen Stab zur Stütze zu geben, knebeln sie den Geist und binden ihn an einen Pfahl; statt ihn zu befreien, knechten sie ihn mit ihrem Dogmatismus, unterdrücken ihn und hemmen die freie Entfaltung seiner Triebkraft. In unzählige Konfessionen und Sekten sehen wir die Kirchen gespalten; alle bekämpfen sich gegenseitig; jede glaubt, allein das Richtige zu besitzen, und doch hat es keine von allen; sie sind alle dem Irrtum unterworfen. Wie wenige gibt es, die durch ihre Konfession wirklich mit innerem Frieden erfüllt sind, wie wenige, denen die von einem herrschsüchtigen Priestertum diktierte Glaubensformel genügt, und wie viele gibt es, die von Zweifeln erschüttert, von Dogmenzwang abgeschreckt, hinausgepredigt aus den Kirchen von pfäffischem Zelotismus, dem religiösen Leben ganz entfremdet sind und sich deshalb nur dem Irdischen zuwenden! Ja wahrlich! Trotz des Lichtes, das ihr gegeben ist, wandelt die Menschheit in einem Labyrinth, das die Schatten des Irrtums und des Wahns bedecken, und aus dem ein Ausgang unmöglich scheint. Aber mitten in dieser Bedrängnis erscheint dem Menschen als milde Führerin und Trösterin die k. Kunst der Freimaurerei und bietet dem von den Früchten des Erkenntnisbaumes Übersättigten die Früchte des Lebensbaumes, die sie für ihn in dem verlorenen Paradies gepflückt hat, in der goldenen Schale ihrer Symbole dar. Sie tritt ihm zur Seite und spricht zu ihm: „Höre auf, o Mensch, das Licht da zu suchen, wo du es nimmermehr finden wirst! Wohl liegt es in dir, aber nicht in deinem Eigendünkel und in deinem Eigenwillen, sondern in dem göttlichen Keim, der in dich hineingelegt ist, und den du finden und durch eigene freie Tat zur Reife bringen sollst. Du hast ein Licht in deinem Innern erhalten, das dich zur wahren Weisheit führen und in alle Wahrheit leiten kann; du hast den Abglanz des Göttlichen in dir erhalten, lerne ihn verstehen und lieben; du hast eine Kraft in dir, welche verborgen schlummert, klein und unscheinbar; lerne sie befreien und vermehren. Siehe da! Ich helfe dir drei Pfeiler errichten, auf denen dein >168< Werk sicher und ohne Wanken ruhen soll. Sie heißen : Weisheit, Stärke und Schönheit. Sie ruhen wieder auf dem Fundament jener drei Grundursachen, welche du in dir trägst. Sie sollen der Ausdruck des Göttlichen werden, daran man dich erkennen wird als Sohn deines ewigen Vaters. Darum wende dich zu dem göttlichen Licht wie die Blume zur Sonne; dann wird weise sein, was du unternimmst, es wird festen Bestand haben und mit dem Stempel ewiger Schönheit geziert sein. Der Erdensohn wird nicht zur wahren Größe, zur höchsten Menschenwürde dadurch geführt, daß er Wissensschätze aufspeichert und Kunstwerke schafft, er gelangt auch nicht dadurch zum Frieden, daß er Glaubensformeln nachbetet. Nein ! Sein Wissen sei Weisheit, sein Schaffen sei Schönheit, sein Glauben sei Stärke. Die Weisheit liegt in dir: befreie sie ! Die Stärke schlummert in deinem Innern : erwecke sie ! Das Ideal der Schönheit trägst du in deiner Brust : erhebe es und behüte es ! Gott selbst wohnt in dir mit der ganzen Fülle seiner Weisheit, mit der ganzen Stärke seiner Allmacht, mit der ganzen Harmonie seiner Schönheit. Befreie den Gott in dir, der da gefesselt liegt von den Banden der Materie, der Finsternis und des Egoismus ! Erschrick nicht vor der Aufgabe als einer dir zu schweren, und glaube an den Gott in dir ! Wage es, weise, wage es, stark, wage es, schön zu sein, ja, wage es, göttlich zu sein; dann wird der Strom des Lichtes, der dir aus den Tiefen deines Innern entgegen quillt, dir der wahren Tugend Erkenntnis und Ausübung bringen, der Tugend, durch die du zum ewigen Lichte emporgehoben wirst.“ Und der Genius der k. Kunst geleitet den Suchenden zu dem Altar im Heiligtum, von dem die drei Lichter flammen; und wie einst Moses aus dem feurigen Busch die Stimme des Herrn vernahm, so hört der rechte Maurer von der geweihten Stätte die Stimme seines ewigen Meisters : „O Mensch, tritt herzu und fürchte dich nicht ! denn ich bin dein Gott. Ich habe dich geschaffen, ein Bild, das mir gleich sei. Auch du sollst teilhaben an meiner Weisheit, an meiner Stärke, an meiner Schönheit, den Kennzeichen meiner Vollkommenheit. Auf diesen festen Säulen sollst du mir den Tempel erbauen, in dem ich wohnen will. Dein Denken sei mir geweiht, dein Wille sei auf mich gerichtet, dein Tun durch mich verklärt. Du sollst vollkommen sein, wie ich vollkommen bin; und wie ich die Liebe selbst bin, so sollst auch du in der Liebe leben, weben und sein und sie ausbreiten zu meines Reiches Herrlichkeit. Und wie ich ewig bin, so sollst auch du zur Unsterblichkeit berufen sein und Anteil haben an meinem heiligen Wesen.“ Der wahre Maurer aber, der solche Stimme zu vernehmen gelernt hat, sinkt in den Staub vor seinem Gott und betet zu ihm: „Ewiger Vater! Das wahre Wissen ist allein bei Dir. Laß uns das Wenige, was Du uns aus Deiner Fülle enthüllt hast, dankbar empfangen; aber lehre uns die rechte Weisheit, die Dich erkennt und in Demut der Grenzen des menschlichen Wissens eingedenk bleibt! — Ewiger Meister! Der Quell der ewigen Schönheit entströmt allein aus Dir. Was wir Menschen schaffen, kann nur durch den Abglanz Deines heiligen Wesens den Stempel der Schönheit erhalten; darum schmücke und veredle Du meinen Geist, mein Denken und Tun! — Ewiger Gott! Wer darf Dich nennen, und wer bekennen Deinen Namen! Wer vermag die Formel zu finden, die das ganz wiedergibt, was Du bist! Je weiter Du aber uns entrückt bist, uns, die wir in Demut unsere Schwäche erkennen, desto eifriger suchen wir Dich, desto brünstiger entbrennt in uns das Feuer des Glaubens an Dich und Deine ewige Liebe. Gib uns die wahre Stärke, die aus unserem Innern frei wird, aus jener kleinen Kraft, die Du als salomonisches Siegel in uns gelegt hast! — Zu Dir hin hast Du uns geschaffen, o Herr! und unser Herz ist unruhig in uns, bis es ruhet in Dir!“ (In te creavisti nos, Domine, et cor nostrum inquietum est, donec requiescit in te. Augustmus.) Jener anfangs zitierte griechische Dichter preist den Menschen als das Gewaltigste, was lebt, und singt von seinen Kenntnissen und Wundertaten. Nur eins — so sagt er in demselben Chorgesang seiner Tragödie — eins hat er nicht gefunden: ein Mittel gegen den Tod, wenngleich er wohl für schwere Krankheit Heilung weiß. — Und dennoch gibt es ein Mittel gegen den Tod; nicht gegen den Tod, der das Ende unseres Erdenlebens ist, sondern gegen den Tod, der das Verderben und Verkommen des in uns gelegten geistigen Samenkorns bedeutet. Die k. Kunst lehrt uns dies Mittel und gibt es dem, der ihr Licht schaut und ihre Säulen aufzurichten weiß. Unsterbliches Leben ist sein Teil. Darum möchten wir unsern Dichter singen lassen: „Vieles Herrliche lebt, aber nichts ist herrlicher als der Mensch.“ (1904.) Das Kleid des Meisters. „Haben Sie den Meister gesehen?“ „Ja! ich habe ihn gesehen.“ „Wie war er gekleidet?“ „In Gold und Himmelblau.“ „Weshalb ?“ „Unsere hocherleuchteten Brüder wissen es.“ Man könnte meinen, mit der Erklärung dieser Fragen, welche sich in der III. Abteilung, Artikel 3, Frage 14 bis 16, finden, schnell fertig zu sein. Unter dem Meister ist doch jedenfalls der Logenmeister zu verstehen, welcher den Vorsitz führt und mit seinem Hammer die Loge regiert. Dies liegt nahe, weil unmittelbar vor den Fragen nach dem Meister von seinem Werkzeuge, dem Hammer, die Rede ist; Frage 13 lautet: „Wozu dient der Hammer? „Ordnung und Stille unter den Arbeitern zu fördern.“ Unter dem Kleide des Meisters ist doch sicherlich der Teil seiner maurerischen Bekleidung zu verstehen, welcher das Zeichen seiner Würde als Vorsitzender, der die Arbeiten der Loge erleuchtet und regiert, ausmacht; das ist das goldene Winkelmaß am himmelblauen Bande, das er auf der Brust trägt. Hier haben wir also die Farben des Meisterkleides, Gold und Himmelblau. (In alten englischen Katechismen findet sich eine ebenso burleske als geschmacklose Erklärung der Meisterfarben. Es wird daselbst gesagt, der Meister sei gekleidet „in eine gelbe Jacke und blaue Hosen“. Damit ist der Zirkel gemeint, der in der Tat dort das Abzeichen des Meisters ist, während das Winkelmaß dem abgeordneten Meister zukommt. Ist es schon sehr auffallend, daß ein Werkzeug, der Zirkel, mit dem Meister selbst identifiziert wird, so erscheint es geradezu absurd, den Zirkel mit einer menschlichen Figur, den oberen, aus Messing angefertigten Teil mit einer gelben Jacke und die stählernen Spitzen mit blauen Hosen zu vergleichen!) Aber schon der Zusatz, daß die hocherleuchteten Brüder wissen, warum der Meister so gekleidet ist, führt uns darauf, daß dahinter noch ein anderer Sinn verborgen liegen müsse, und es liegt nahe, daß mit dem Meister Gott selbst, der allmächtige, dreifach große Baumeister der Welt, gemeint sei. Wer aber hat den höchsten Meister jemals erschaut? — Der Evangelist Johannes sagt in seinem ersten Briefe (4,12) mit Recht: „Niemand hat Gott jemals gesehen.“ Gewiß verbirgt der Ewige, Unfaßbare und Unendliche sich vor uns, und niemand sieht sein Antlitz. Aber er offenbart sich dem verlangenden Herzen, das sich nach ihm sehnt und ihn mit Inbrunst sucht, in unendlicher Weise. Er will uns nicht verborgen bleiben; da aber sein heiliges Wesen für die Fassungskraft des Sterblichen zu groß ist, zeigt er uns sein Kleid, hinter welchem sich seine wahre Gestalt vor uns verbirgt, und von diesem Kleide reden unsere Akten, wenn sie sagen, daß es in Gold und Himmelblau uns entgegenleuchtet. Unsere Loge ist bedeckt mit einer blauen Decke, bestreut mit goldenen Sternen, eine Nachbildung des Daches, mit welchem die Weltenloge bedeckt ist (vgl. Fragebuch, II. Abt., 2. Art., Fr. 8); das ist für uns ein Bild der uns zunächst liegenden Offenbarung des großen Meisters, die am unmittelbarsten auf uns wirkt. Mehr als alle anderen Wunder der Natur erweckt der Anblick des gestirnten Himmels in uns die Empfindungen der Andacht und die Schauer der Ehrfurcht vor dem höchsten Wesen, und nur der im rohen Materialismus ganz Versunkene kann sich der gewaltigen Wirkung des Anblicks entziehen. Wahrlich, ein Gewand ist es, des höchsten Meisters und Königs würdig, das sich vor uns aufrollt, sein Grund ist die Unendlichkeit, der Abgrund des Weltenraumes; und auf diesem Grunde erscheinen flimmernde Edelsteine eingewirkt, von denen jeder für sich eine ganze Welt ausmacht. Die Goldfarbe, die uns die Sonne und die anderen Gestirne zeigen, und das Blau des Himmels sind also die beiden Hauptfarben, unter denen uns das Gewand des Meisters erscheint. Wenn wir nun die Natur dieser beiden Farben, Gelb und Blau, als die Farben der Johannismaurerei, welche für uns die grundlegende ist, an sich betrachten, so ergeben sich Gesichtspunkte, welche von Interesse sind. Goethe schreibt in seiner Farbenlehre den Farben an sich, „ohne Bezug auf die Beschaffenheit oder Form eines Materials, an dessen Oberfläche wir sie gewahr werden,“ eine — wie er sich ausdrückt — „sinnlich-sittliche Wirkung“ zu, welche immer „eine entschiedene und bedeutende“ ist und „sich unmittelbar an das Sittliche >172< anschließt.“ (Vgl. Goethe, Farbenlehre, 6. Abteilung, § 758 ff.) Von der gelben Farbe sagt nun Goethe: „Es ist die nächste Farbe am Licht. Sie entsteht durch die gelindeste Mäßigung desselben, es sei durch trübe Mittel oder durch schwache Zurückwerfung von weißen Flächen. ... Sie führt in ihrer höchsten Reinheit immer die Natur des Hellen mit sich. . . . Das Gold in seinem ganz ungemischten Zustande gibt uns, besonders wenn Glanz hinzukommt, einen neuen und hohen Begriff von dieser Farbe, so wie ein starkes Gelb, wenn es auf glänzender Seide, z.B. auf Atlas erscheint, eine prächtige und edle Wirkung tut.“ Daß dies richtig ist, lehrt uns ein Blick zum Himmel. Das Licht der Sonne ist eigentlich ein ziemlich rein weißes Licht; das wissen die Luftschiffer, denen die Sonne, je höher sie steigen, desto heller und blendender erscheint. Dem auf der Erde Befindlichen aber erscheint die Sonne im gelben, goldfarbenen Licht, weil sie uns ihre Strahlen durch unsere Atmosphäre zusendet, in welcher das Licht eine gewisse Trübung erfährt. Neigt sich die Sonne zum Horizont, so daß ihre Strahlen schräg durch die Atmosphäre zu uns gelangen und somit dickere Schichten derselben durchlaufen müssen, so wird das Gelb immer gesättigter in dem Maße, je stärker die Trübung ist, und steigert sich bis ins Orangefarbene und Rote, ja manchmal, je nach der Beschaffenheit der Luftschichten, bis zum tiefsten Purpur, wie er bei Sonnenuntergängen unser Auge entzückt. Die psychische Wirkung, welche die gelbe Farbe auf uns hervorbringt, ist die des Prächtigen, Herrschenden, Belebenden und Siegreichen. Eine Landschaft, durch ein gelbes Glas gesehen, nimmt den Charakter des Warmen, Heiteren, Erfreulichen an. Bei der Entstehung der blauen Farbe ist es nach Goethes Anschauung umgekehrt. Während er das Gelb als eine Trübung des rein Weißen auffaßt, erscheint ihm das Blau als eine Aufhellung des Dunkeln. Er sagt: „So wie Gelb immer ein Licht mit sich führt, so kann man sagen, daß Blau immer etwas Dunkles mit sich führe. Diese Farbe macht für das Auge eine sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung. Sie ist als Farbe eine Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes Nichts. Es ist etwas Widersprechendes von Reiz und Ruhe in ihrem Anblick. Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau sehen, so scheint die blaue Fläche vor uns zurückzuweichen. Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht.“ Wieder finden wir am Himmel die Bestätigung der Richtigkeit dieser feinen Bemerkungen Goethes. Die Farbe des Himmels ist eigentlich schwarz, d.h. das Firmament selbst hat gar keine Farbe. Es ist der Abgrund des Weltenraumes, in welchen wir überall da hineinblicken, wo nicht die glänzenden Gestirne unser Auge auf sich lenken. Auch das kann wiederum der Luftschiffer beobachten. Je höher er steigt, desto dunkler erscheint ihm der Himmel; das macht, weil die Atmosphäre in ihren höheren Schichten sich immer mehr und mehr verdünnt. Sie ist es allein, welche dem auf der Erde Wandelnden den Himmel blau erscheinen läßt. Auf dem Monde, welcher keine Atmosphäre hat, würden wir den Himmel auch beim höchsten Stand der Sonne gänzlich schwarz sehen; eine Dämmerung gibt es dort nicht, und dem Sonnenuntergänge folgt unmittelbar die tiefste Nacht, welche nur von dem Licht der Sterne oder von dem Sonnenlicht, das unsere Erde, wenn sie über dem Horizont steht, dem Mondbewohner als Reflex zusendet, erhellt wird. Unser Himmelblau hat seine Ursache in der Atmosphäre der Erde, in welcher die Kondensationsprodukte des Wasserdampfes und andere Beimengungen kleinster Teilchen das Sonnenlicht reflektieren und so zur Erhöhung der Tageshelle beitragen. Das dunkle Schwarz des Himmels wird also durch das von den feinsten Teilchen reflektierte Licht aufgehellt und erscheint blau. Dasselbe zeigt uns ein einfaches Experiment. Wenn wir über eine schwarze Tafel einige Tropfen Milch ausgießen und in einer dünnen Schicht darüber verbreiten, so erscheint durch die farblosen Teilchen der Milch die Tafel in blauer Farbe. Blau entsteht also durch eine Aufhellung der Finsternis und, umgekehrt, Gelb durch eine Trübung des Lichtes. Machen wir nun davon die maurerische Anwendung in der Erklärung der obigen Stelle unseres Fragebuches. — Die k. Kunst trachtet danach, ihre Jünger das Licht schauen zu lassen, das ihnen die Geheimnisse des Unendlichen und Ewigen enthüllt. Sie rüttelt an der dunklen Pforte, welche die Welt des Geistes von der Sinnenwelt trennt. Kann sie nun jemals einem sterblichen Menschen diese Pforte ganz öffnen? — Nein! Das ist unmöglich; denn göttliche Geheimnisse sind dem Erdensohne nicht bestimmt zu erforschen. Seine Sinne geben ihm wohl Bilder, und seine Vernunft lehrt ihn, diese Bilder zusammenzustellen und die Anschauung eines Weltganzen daraus zu gewinnen; sie lehrt ihn ferner, >174< sich über die Sinnenwelt hinaus durch sein Denken in die Regionen eines höheren Seins zu erheben; aber zum Schluß gelangt er nicht. Dem Adlerflug seines Denkens ist eine Grenze gesetzt, wo das Wissen aufhört und das Glauben beginnt, und wo er innewird, daß selbst das, was er mit dem stolzen Namen Wissen bezeichnet, seinen tiefsten Grund nur im Glauben haben kann, und wo es ihm klar wird, wie klein und eng begrenzt der Gesichtskreis ist, den er von seinem Erdenstandpunkt aus überblickt. Wohl dem, dem es gelingt, die Grenzen seiner Menschlichkeit zu erkennen und von seinem Erdendasein nicht mehr zu verlangen, als es ihm gewähren kann. Unselig aber sind diejenigen, die entweder, in dumpfer Sinneslust dahinlebend, ohne Trieb nach einem höheren Geistesleben, dem Tiere gleich, im Staube dahin kriechen, oder die im himmelstürmenden Trotz die Grenzen verkennen, die ihrem Streben gezogen sind. Goethe zeichnet in seinem Faust einen solchen Menschen, der alle Tiefen des Wissens ergründen möchte, der erkennen will, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, der die Geisterwelt, ja die Macht der Hölle anruft, um seinem Wissensdurst Genüge zu tun. So wird er zum „Übermenschen“, aber er wird unselig, er fühlt sich „dem Wurme gleich, der den Staub durchwühlt“. Zu spät erkennt er seine irdischen Schranken, und schon will er verzweifelnd seinem Leben ein Ende machen, — da ertönen die Osterglocken, sie rühren sein Herz mit holder Jugenderinnerung, sie wecken das wahrhaft Menschliche in seinem Busen, und wenn er auch in die bitteren Worte ausbricht: „Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!“, so ist es dennoch diese in ihm ruhende Kraft, die, ihm selbst kaum bewußt, den Giftbecher ihm vom Munde zieht und ihn der Welt wiedergibt. Einen ganz anderen Faust zeichnet uns der Dichter am Anfange des zweiten Teiles der Tragödie. Neu gestärkt, „das Innere gereinigt vom erlebten Graus“, erwacht er am Busen der Natur. Aus Morgendämmerschein sieht er die Welt mit ihren Formen und Farben sich erheben, ein anregendes Bild, „zum höchsten Dasein immerfort zu streben“. Er sieht die Sonne über den Horizont emporsteigen, aber geblendet muß er sich abkehren von dem „Flammenübermaß“. Da erblickt er im Schaum des Wasserfalls den Farbenbogen, „Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend, Umher verbreitend duftig kühle Schauer. Der spiegelt ab das menschliche Bestreben, Ihm sinne nach, und du begreifst genauer: Am farb'gen Abglanz haben wir das Leben.“ Nicht das volle Licht sind wir imstande, mit menschlichem Auge zu schauen, nur seine gebrochenen, in Farben zerlegten Strahlen können wir wahrnehmen, den farbigen Abglanz, den wir sehen, müssen wir für das Leben selbst nehmen. Aber das wahre Leben und Sein verbirgt sich hinter ihm. Das im Glauben festzuhalten und auf ein reineres Schauen zu hoffen, wenn die irdische Hülle einst abgestreift sein wird, ist wahrhaft menschenwürdig, das erfüllt das Herz mit Glück, mit Frieden und mit neuem Mut zum Vorwärtsstreben. In solchem Sinne zeigt uns der Orden das Kleid des Meisters. Den Meister selbst, der das Licht und das Leben ist, können wir nicht sehen, sondern nur sein Kleid; und dennoch wiederum sehen wir den Meister, wie wir eine Gestalt durch den Faltenwurf des Gewandes hindurchschimmernd erkennen. Und wer sehen gelernt hat und seine äußeren und inneren Sinne zu gebrauchen weiß, der kann sagen, daß er ihn sieht; und je höher erleuchtet er vom Geiste der k. Kunst ist, desto reiner und deutlicher tritt ihm das Bild des Meisters entgegen, nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern stückweise; nicht mit Blicken, die in das Innerste dringen, und denen nichts verborgen bleiben kann, erkennt er ihn, sondern im farbigen Abglanz offenbart sich ihm das Leben, in dem schönen, edlen Maße, das seiner Menschlichkeit sich anpaßt. Diesen Farbenschleier läßt uns nun der Orden in seiner symbolischen Lehrweise in Gold und Himmelblau, den beiden Grundfarben unserer Johannismaurerei, erblicken. Licht und Finsternis sind die beiden Pole, um welche sich bei unserer Maurerarbeit alles dreht. Das Licht suchen, erstreben wir, und des errungenen Lichtes freuen wir uns; die Finsternis fliehen wir, und wenn sie uns anfällt, bekämpfen wir sie, wir hassen sie, so wie wir das Licht lieben. Auf unserer Arbeitstafel sind Licht und Finsternis vertreten durch die weißen Figuren und durch den schwarzen Grund der Tafel. Das Dunkel, welches unsere Arbeiten umgibt, wird endlich, wie unsere Akten sagen, wenn die Zeit erfüllet ist, dem Lichte der Wahrheit weichen. Wenn die Zeit erfüllet ist! — Wann ist das ? — Das steht dem Strebenden bevor, wenn die letzte irdische Hülle fällt, wenn unser befreites Geistesauge Gott schauen wird, wie er ist. Was einst im Jenseits eines höheren Lebens zur Tatsache werden soll, das zeigt uns der Orden gezeichnet auf der Lehrlingstafel als Idee. Wenn wir aber von dieser Tafel mit ihrer idealen Welt unsern Blick richten auf die irdische Wirklichkeit, die uns umgibt, dann weist uns der Orden das Kleid des Meisters, das da strahlt in Gold und Himmelblau. Beide Farben vertreten hier das Licht und die Finsternis, >176< die gelbe Farbe des Goldes das Helle, und die blaue Farbe des unendlichen Firmaments das Dunkle. Die blendende Helligkeit des reinen weißen Lichtes kann unser Auge nicht ertragen, es würde geblendet werden, wenn es von diesen Strahlen getroffen würde. Die Finsternis aber in ihrer vollen Tiefe ist uns ebenso unfaßbar; sie erregt uns Grauen und wirkt zerstörend, vernichtend auf uns ein, wie uns der Blick in die unermeßliche, schwarze Leere des Weltenraumes mit Schauern erfüllt, wenn wir unser Auge zum nächtlichen Himmel erheben. Beides, Licht und Finsternis, sind Geheimnisse, die für uns in ihren tiefsten Tiefen unfaßbar sind. Aber im Kleide des Meisters werden sie uns menschlich näher gebracht. „Am farb'gen Abglanz haben wir das Leben.“ Die ewige Liebe, die sich in das Kleid des Meisters gehüllt hat, sorgte dafür, daß ihre Geheimnisse dem Menschen, soweit er sie ertragen kann, offenbar würden, wenn auch eine vollkommene Enthüllung für ihn nicht möglich ist. Nun wird es deutlich, was jene „sinnlich-sittliche Wirkung“, welche Goethe den Farben Gelb und Blau zuerkennt, für unsere Symbolik bedeutet. Das Gelb, die Goldfarbe, ist eine Mäßigung des rein weißen Lichtes, wie oben gezeigt worden ist. So erscheinen uns die göttlichen Offenbarungen in einem Lichte, das unserer irdischen Natur angepaßt ist; und wie die gelbe Farbe uns den Eindruck des Prächtigen, Herrschenden, Belebenden und Herzerfreuenden macht, so wirken auch die Manifestationen des Göttlichen auf uns, wo und wie sie auch uns entgegentreten mögen. Das nächstliegende Feld, wo uns die Fülle göttlichen Lichtes am überwältigendsten entgegentritt, bleibt immer das Himmelsgewölbe mit Sonne, Mond und Sternen, die mit ihrem Goldglanze zeugen von der Allmacht und Größe des höchsten Meisters. Aber auch alle anderen Offenbarungen des ewigen Lichts, alles, was unser Herz mit Erhebung und Entzücken erfüllt, was unseren Mut anfeuert, unsere Bewunderung und Begeisterung erregt, alles erscheint uns in belebendem Lichte wie goldene Sterne auf dem dunklen Hintergrunde des Erdendaseins. Und dieser dunkle Hintergrund, dessen tiefste Tiefen uns mit Grauen erfüllen würden, er wird durch dasselbe heilige Licht aufgehellt und verklärt, wie das Licht der Sonne das dunkle Gewölbe des Firmaments in das sanfte Himmelblau verwandelt. So wie der Blick nach oben hinan zieht zu den wunderbaren Geheimnissen, die unsichtbar für unser Auge und unergründlich für unseren Geist in den Abgründen des Weltenraumes sich verbergen, und wie wir trotzdem darauf im Glauben hingeführt werden, daß auch in den unnahbarsten Fernen der alliebende Vater mit seinen heiligen Gesetzen waltet, so werden wir auch, wenn wir auf die Nachtseiten des irdischen Daseins blicken, beruhigt durch das Licht, das in die Finsternis scheint, und das die Finsternis begreift, wenn es auch von ihr nicht begriffen wird. Die Offenbarungen des Lichtes im Irdischen helfen uns über alle Unzulänglichkeiten hinweg und lösen wie das Blau des Himmels alle Widersprüche in sanften Frieden auf. Wer das zu schauen vermag, der sieht den Meister, gekleidet in Gold und Himmelblau, der erblickt sein wunderbares Gewand und ahnt hinter ihm seine wahre Gestalt und sein wahres Wesen. Aber nur derjenige kann das, der sein Auge hell gemacht hat durch treue, unablässige Maurerarbeit; denn nur das reine Herz kann den Meister schauen und in diesem Schauen Frieden und Seligkeit erlangen. Darum sagt unser Fragebuch: „Unsere hocherleuchteten Brüder wissen es, warum der Meister in Gold und Himmelblau gekleidet ist.“ Die Höhe der Erleuchtung wird aber nicht nach der Zahl der erhaltenen Grade abgemessen, sondern nach der durch Übung in unserer Kunst erlangten Fähigkeit der geistigen Erkenntnis und des darauf gegründeten sittlichen Wollens und Könnens. Wer das erlangt hat, der mag hinschauen, wohin er will, sei es in das unendliche Reich der Natur oder in die Heiligtümer der Kunst, in die verwickelten Verhältnisse des sozialen Lebens, in das Herz des Bruders oder in die unergründlichen Geheimnisse des eigenen Herzens: überall wird er den Meister schauen. Ja, ihr, die ihr in unablässiger Maurerarbeit gestrebt und eure Herzen gereinigt habt von irdischen Schlacken, ihr werdet zur Erkenntnis des Höchsten gelangen; für euch gelten die Worte, die von Engelstimmen dem Faust ertönen, als er am Ostermorgen sich selbst wiederfand: Euch „Tätig ihn preisenden, Liebe beweisenden, Euch ist der Meister nah', Euch ist er da!“ (1904.) >178< Die Fragen an die besuchenden Brüder. Ansprache zum Johannisfest. Das allgemeine Bundesfest, das wir heute begehen, richtet unseren Blick weit über die engen Grenzen unserer Werkstätte und unserer Brüderschaft hinaus auf das große Ganze unserer Verbindung. Nicht nur wir unter uns wünschen uns ein frohes und gesegnetes Fest — nein, allen wahren und echten Maurern auf dem Erdenrunde gilt unser Festgruß. Flügel wünschen wir uns, daß wir überall da, wo die heiligen Lichter flammen, als Besuchende eintreten könnten, und schneller als der Funke im elektrischen Draht wandern unsere Gedanken zu den entferntesten Stätten der Erde, um in Liebe und Treue die versammelten Brüder zu grüßen und zu beglückwünschen. Freilich müssen wir uns sagen, daß nicht überall die wünschenswerte Übereinstimmung herrscht in der Auffassung unserer Sache, daß es Länder gibt, wo die Freimaurerei entartet und durch fremdartige Beimischungen in ihrer Reinheit getrübt zu sein scheint. Ja selbst in unserem deutschen Vaterlande ist nicht alles, wie es sein soll. Verschiedene Auffassungen stehen einander entgegen, gefährden den Frieden und scheinen ein gemeinsames Wirken nicht recht aufkommen zu lassen. Wenn wir aber der Sache auf den Grund gehen, so finden wir in allen anerkannten Logen der Welt, ja selbst in solchen, denen eine allgemeine Anerkennung noch fehlt, einen Kern, aus welchem das gesunde Leben echter Freimaurerei sich jederzeit entwickeln kann. Dieses innersten Kerns uns voll bewußt zu werden, das ist eine rechte und würdige Aufgabe der Johannis-Festarbeit. Und unsere Akten kommen uns dabei zu Hilfe. Sie enthalten im Lehrlingsfragebuch einen kleinen Abschnitt (Abt. III, Art. 5), der nur vier Fragen aufweist, welche an die „besuchenden Brüder“, also an diejenigen, die von anderen Logen zu uns gekommen sind, gerichtet werden sollen, und die alles darbieten, was die verschiedenen Werkstätten der k. Kunst Gemeinsames haben. Diese vier Fragen lauten folgendermaßen: „Woher kommen Sie, mein Bruder?“ „Von der Loge des heiligen Johannes.“ „Was für Neues bringen Sie uns?“ „Freundlichen Gruß an alle Brüder dieser Loge.“ „Bringen Sie uns sonst nichts?“ „Der Meister läßt Sie grüßen durch drei mal drei.“ „Was suchen Sie hier auszurichten?“ „Meine Begierden zu überwinden, meinen Willen zu unterwerfen und neue Fortschritte in der Freimaurerwissenschaft zu machen.“ An die besuchenden Brüder sind diese Fragen gerichtet. Nun, auch wir haben heute besuchende Brüder in unserer Mitte, die zur Festfeier bei uns eingekehrt sind, zunächst die verehrten Abgesandten, welche uns die Festgrüße unserer geliebten Nachbarlogen übermitteln, dann aber auch andere liebe Brüder, zum Teil aus weiter Ferne. An sie richten wir diese Fragen, und wir betrachten sie heute als die Vertreter der Logen der ganzen Welt. Von ihnen hoffen wir, die Fragen auch so beantwortet zu sehen, wie es nach der Vorschrift unserer Akten geschehen soll; denn es ist nichts darin enthalten, wozu nicht ein jeder Maurer, was für eines Systems er auch immer sei, seine Zustimmung geben könnte. Ja, wir selbst alle, wir Brüder unserer Loge, sind heute Besuchende, wenn wir im Geiste einkehren in alle Logen der Welt, um Rede zu stehen auf jene Fragen und die schlichten Antworten zu geben, die trotz ihrer Einfachheit dennoch so bedeutungsvoll und inhaltsschwer sind. „Woher kommen Sie, mein Bruder?“, so lautet die erste Frage. Antwort: „Aus der Loge des heiligen Johannes.“ Gleich diese erste Antwort weist uns hin auf das gemeinsame Band, welches alle Logen >180< der Welt umschlingt und vereinigt. Johannes der Täufer, dessen Namen der heutige Tag trägt, er ist es, den wir in allen Logen der Welt wiederfinden, mögen sie einem System angehören, welchem sie wollen, und mögen sie sich auch noch so sehr durch die Auffassung der Freimaurerei und durch die Art ihrer Darstellung und Behandlung unterscheiden. Alle Logen der Welt sind Johannislogen. Andere Logen höherer Grade sind nicht denkbar, es sei denn, daß sie sich stützen und aufbauen auf der Loge des heiligen Johannes wie auf ihrem felsenfesten Fundament, ohne welches sie nicht existieren können. Johannes der Täufer ist der Schutzpatron aller Freimaurer, nicht etwa darum, weil die alten Bauhütten des Mittelalters, von denen ja viele die alleinige Abstammung der heutigen Logen herleiten wollen, ihn als ihren Schutzheiligen verehrten, sondern weil das Wesen und die Lehre dieses bedeutungsvollen Mannes auf das allerengste mit dem Wesen der k. Kunst verknüpft ist. Johannes der Täufer ist es, der das gemeinsame Band um alle Logen der Erde schlingt, und sein Geist ist es, der jede Maurerarbeit, welcher Form sie sich auch bedienen mag, durchdringen und beleben soll. Dieser Geist aber weist uns hin auf die innere Umwandlung, auf jene Erneuerung und Wiedergeburt, ohne welche das Reich Gottes weder in uns gegründet noch auf Erden hergestellt werden kann. Durch ihn allein wird eine Loge zu dem, was sie sein soll: eben zu einer Loge des heiligen Johannes. Fehlt dieser Geist, dann kann die Loge wohl eine gute und nützliche Vereinigung darstellen, sie kann edle Geselligkeit pflegen, sie kann allerlei gute Werke ausführen und allerlei humanitäre Stiftungen ins Leben rufen, aber von der rechten Freimaurerei wird sie sich mehr und mehr entfernen, wenn sie jenen Geist des Johannes nicht festzuhalten und wirksam zu machen versteht. In diesem Geist liegt unsere Einheit und in nichts anderem. Du, mein Bruder, der du bei uns als Besuchender eingetreten bist, du kommst von der Loge des heiligen Johannes. Auch wir kommen von da und reichen dir die Bruderhand, um dich einzuführen in unser Heiligtum, wo der johanneische Geist weht, jener Geist, der durch sein Walten uns erst zeigt, woher wir wirklich gekommen sind, der uns an die Säule zur Linken führt, wo uns erst die Wahrheit wie ein neues Licht aufgeht, daß Gott uns erschaffen hat, daß wir von ihm stammen, daß er unser Vater ist und wir seine Kinder. Nur dem kann diese Wahrheit als ein lebendiger Besitz, als ein Licht, das seine Wege erleuchtet, zuteil werden, der durch Johannes zur inneren Umwandlung und zum Abtun aller irdischen Schlacken geführt ist. Ja, wir kommen von der Loge des heiligen Johannes und kehren dort ein, um daselbst zu bleiben und zu lernen, wo unsere wahre Heimat ist, von der wir gekommen sind. Haben wir sie erkannt, dann ist auch das feste Band der Einigung um uns geschlungen, das nichts zerreißen kann. Und nun zur zweiten Frage: „Was für Neues bringen Sie uns?“ „Freundlichen Gruß an alle Brüder dieser Loge.“ Mit einer Freundschaftsbezeugung tritt unser besuchender Bruder bei uns ein. Ein Gruß der Liebe und Freundschaft von den Seinen, die ja auch die Unseren sind, denn sie sind unsere Brüder, gleichen Stammes und durch gleiche Arbeit und gleiches Streben mit uns innig verbunden. Und wir erwidern den Gruß von Herzen, im Geiste als Besuchende eintretend in alle mit uns innig verbundenen Werkstätten. — Was für Neues bringen Sie uns? Ist es denn etwas Neues, was da zu uns kommt und was wir wieder zurückgeben? — O nein! Alt ist es, uralt, so alt wie die Menschheit. Solange Menschen anbetend zum Allvater aufgeschaut haben, solange haben sie sich auch als Brüder erkannt und geliebt. Und dennoch ist es etwas Neues, was durch den brüderlichen Freundschaftsgruß in die Loge hineinkommt, oder vielmehr etwas, das bei jedem Male, da es uns geboten wird, sich erneuern soll. Freundschaft und Liebe sind Himmelsboten, die auf die arme dunkle Erde herabsteigen, um sie zu erquicken und zu beleben. Aber so wie der Tag dem Dunkel der Nacht weichen muß, so werden auch jene guten Genien oft genug verscheucht von dieser Welt, die nun einmal dem Wechsel von Licht und Finsternis unterworfen ist. Wer kann sie alle nennen, die bösen Geister, die zwischen Menschenherzen aufsteigen, um sie zu trennen: Zwietracht, Mißtrauen, Argwohn, Haß, Rachsucht! Aber getrost! Die Nacht muß dem Tage weichen, und wie die Sonne die Nebel auflöst und die dunklen Wolken verscheucht, so bricht auch das Licht der Liebe immer wieder siegreich hervor, und als etwas Neues freudig begrüßt, fällt der Gruß der Freundschaft wie erquickender Morgentau in die Herzen, die sich wiederfinden. Und wo können sich die getrennten Herzen der Menschen leichter finden als auf dem Gebiete der k. Kunst, die getreu dem Johanneischen Mahnruf die trennenden Schranken wegzuräumen und dem Lichte Eingang zu verschaffen >182< trachtet! Auf diesem Felde finden wir uns und grüßen uns als Bruder mit dem Gruß der Freundschaft, mit dem Gruß, der, weit entfernt, eine leere Formel zu sein, unsere Herzen gegenseitig aufschließt, mit dem Gruß, der so alt ist wie die Welt, der sich aber alle Tage erneuert zwischen denjenigen, die das Licht suchen. Haben wir das erkannt, dann ist auch das feste Band der Einigung um uns geschlungen, das nichts zerreißen kann. Aber noch ein Höheres, Köstlicheres ist es, was der besuchende Bruder uns mitbringt. Die folgende Frage weist darauf hin. „Bringen Sie uns sonst nichts?“ „Der Meister läßt Sie grüßen durch drei mal drei.“ Zu dem Freundschaftsgruß des Bruders kommt noch ein anderer Gruß. Er geht aus vom Altar, von Osten, wo der Meister seinen Sitz hat, und er kleidet sich in die uns heilige Zahl und berührt so das innerste Geheimnis der k. Kunst. Was ist das nun für ein Meister, der uns grüßen läßt? Ist es der hochwürdige Logenmeister oder, wie es in anderen Lehrarten heißt, der sehr ehrwürdige Meister vom Stuhl, der durch die Wahl der Brüder im Osten seinen Sitz hat, um die Loge zu erleuchten und zu regieren? — Davon steht in unseren Akten nichts; es heißt nur: „Der Meister läßt Sie grüßen.“ Das muß uns darauf hinweisen, daß hier wohl noch ein anderer Meister gemeint sein kann, ja, gemeint sein muß als der irdische Meister, der die irdische Loge zu leiten berufen ist. — Ja, noch ein anderer Meister hat seinen Sitz im ewigen Osten, im unzugänglichen Heiligtum der Weltenloge, er erleuchtet und regiert sie nach ewigen Gesetzen, und er hat uns seinen Gruß gesendet durch drei mal drei, d.h. er hat uns die Offenbarung seines heiligen Wesens in das Herz gelegt und uns sein ewiges Wort, durch welches die Welt gemacht ist, und in dem das Leben und das Licht der Menschen ist, erkennen gelehrt in seinen höchsten Eigenschaften, Weisheit, Stärke, Schönheit, er hat uns die Wirksamkeit dieser seiner Kraft in uns selbst gezeigt in Gedanke, Wille und Tat, die bei ihm eins sind, und uns die Werkzeuge zum Unternehmen,(Roher Stein, Reißbrett, Kubus. ) Richten (Winkelmaß, Wasserwaage, Senkblei.) und Ausführen (Hammer, Zirkel, Kelle.) gegeben, wonach wir, seinem Plane gemäß, nach seinem Gesetz und durch sein Wort in freier Arbeit unser Selbst zu einem Tempel gestalten sollen, in welchem er selbst seine Wohnung aufschlagen will. Das ist die heilige Zahl, die drei mal drei, durch die der Meister uns grüßt durch den Mund eines jeden Bruders, der gleich uns zu demselben heiligen und großen Werke berufen ist. Heil uns, wenn dieser Gruß nicht ungehört an uns vorübergeht, Heil uns, wenn er in unsere Seele fällt als ein erweckender Lichtstrahl, der mit ernster Mahnung auf das hinweist, was die Loge wirken will, und was wir in ihr wirken sollen. Tausendfach empfangen und entsenden wir den Meistergruß in der uns heiligen Zahl, durch drei mal drei, in jedem Briefe, den wir von einem Bruder erhalten oder an einen Bruder schreiben, bei jedem Becher, den wir beim Freudenmahle nach Maurerweise leeren. Aber wann denken wir daran, was er bedeutet und uns sein soll? Haben wir ihn aber und seine Bedeutung recht erkannt, dann ist auch das feste Band der Einigkeit um uns geschlungen, das nichts zerreißen kann. Und nun die letzte Frage: „Was suchen Sie hier auszurichten?“ „Meine Begierden zu überwinden, meinen Willen zu unterwerfen und neue Fortschritte in der Freimaurerwissenschaft zu machen.“ Hier wird offen ausgesprochen, was in der Loge zu geschehen hat, wenn sie gedeihen soll. Was der besuchende Bruder bei uns ausrichten will, das ist auch unser Vornehmen, bei dem er uns helfen will; und was wir ausrichten wollen, wenn wir in eine andere Loge eingehen wollen, das finden wir auch dort als den Gegenstand rechter Maurerarbeit wieder. Wie erinnert uns die Antwort auf die letzte Frage an die allererste unseres Fragebuches: „Was ist ein Freimaurer?“ „Ein freier Mann, der seine Neigungen zu überwinden, seine Begierden zu mäßigen und seinen Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen weiß.“ Ohne Mäßigung dessen, was sich in uns gegen das Licht auflehnt, und ohne Unterwerfung unter das ewige ungeschriebene göttliche Gesetz ist ein Fortschritt in der k. Kunst nicht möglich. Wir wollen aber diesen Fortschritt; der besuchende Bruder will ihn und wir auch, ob wir in unsere Loge als heimatliche Glieder oder in eine andere als Besuchende >184< eingehen. Und nur diesen Fortschritt wollen wir. Was die Welt unter Fortschritt versteht, und was auch eine gewisse Richtung in der Maurerei sich darunter denkt, Beschäftigung mit allerlei modernen Ideen, Einrichtung von allerlei neuen Organisationen, die der Sache durchaus nützen sollen, aber ihr niemals nützen können, Abschaffung von Dingen, die dem Unverstand nicht mehr zeitgemäß erscheinen, weil er sie eben nicht versteht und nicht zu würdigen weiß, — alles das ist kein wahrer Fortschritt in der k. Kunst. Den wahren Fortschritt muß jeder, der zu uns kommt, für sich selbst machen und an sich selbst erleben; dann erst, wenn jeder für sich fortgeschritten ist, kann er als einzelnes Glied dem Fortschritt des Ganzen dienen und letzeres kann nur dadurch gedeihen, daß jedes einzelne Glied für sich seine Schuldigkeit tut. Und diese Schuldigkeit besteht wiederum in der Überwindung der Neigungen und in der Unterwerfung des Willens unter ein höheres Gesetz. Das ist eine Wahrheit, die wohl in allen Logen anerkannt, aber nicht von allen Bundesgliedern zur Richtschnur genommen wird. Wir sind in die Loge eingetreten, um andere Menschen zu werden, um uns von Grund aus umzugestalten, darum heißt sie die Loge des heiligen Johannes, der die innere Umwandlung predigte. Wer das nicht will, der hat in der Loge nichts zu suchen und hätte besser getan, draußen zu bleiben, denn er kann nur das Werk stören, das uns hier beschäftigt, und wird nie selbsttätig in die Arbeit der Loge eingreifen. Und so wollen wir denn heute am Feste in der Loge des heiligen Johannes, durch Liebe und Freundschaft uns nicht nur grüßend, sondern auch fest und treu durch sie verbunden, und unter dem Segens-gruß des Meisters von oben, von neuem diese Arbeit als unsere heilige Norm uns vor Augen stellen und geloben, mit unverbrüchlicher Hingabe an ihre Ausführung zu gehen. Haben wir so ihre Bedeutung recht erkannt, dann wird sie auch zum festen Bande der Einigkeit, das uns umschlingt und das niemand zerreißen kann. Gewiß! Es ist nicht anders! Was unserem Bunde in allen auf der Erde zerstreuten Logen Einigkeit gibt, das ist in sie hineingelegt als ihr unveräußerliches Eigentum. Wenn die Brüder über den Erdkreis auch zerstreut sind, und wenn auch die einzelnen Logen und Logenverbände durch Auffassungen, Formen und Organisationen scheinbar getrennt sind: — durch die königliche Kunst sind sie alle wieder vereinigt, und nur einzig und allein durch sie. Wer das nicht sieht oder nicht sehen will, wer in Nebendingen den Kitt der Eintracht erblickt, der ist kein Meister der k. Kunst, der hat sie in ihren Tiefen nicht erfaßt. In allen maurerischen Zeitschriften hört man jetzt in Prosa und in Versen den Ruf: „Seid einig! einig! einig!“ Jawohl! Wer wollte in den Ruf nicht einstimmen? Aber möchten doch alle, die ihn ertönen lassen, sich bewußt werden, daß diese Einigkeit sich nicht durch äußere Mittel herbeiführen läßt, sondern nur durch Hingabe aller an die große Idee, die uns zusammenhält! Diese Hingabe aber ist es, die wir Brüder unserer Loge mit den geliebten Besuchenden, die heute in unseren Toren sind, aufs Neue betätigen. Dazu wolle der allm. dreif. gr. B. d. W. seinen Segen verleihen! Es geschehe also! (1900.) >186< Das Geheimnis der Freimaurerei. Erster Vortrag. Das Geheimnis der Freimaurerei! — Welch ein viel besprochenes, viel umstrittenes, viel verkanntes und viel verlästertes Ding ist das! Welchen Anstoß hat gerade dieser innerste, zarteste Kern unserer Sache schon erregt. Jene draußen stehenden Profanen, die sich, wie es ja im Leben so oft vorkommt, ein Urteil anmaßen über ein Ding, das sie gar nicht kennen, vermögen es nicht zu begreifen, daß unsere so sehr fortgeschrittene und aufgeklärte Zeit noch geheime Gesellschaften dulden soll. Wenn diese etwas Gutes in ihrem Schoße bergen, so meinen sie, dann müßte es offen verkündigt werden; Geheimbünde seien nicht mehr zeitgemäß und erschienen leicht in zweifelhaftem Lichte. Andere sagen: „Ihr habt ja gar kein Geheimnis; das, was ihr dafür ausgeben wollt, ist es nicht, denn in unzähligen Büchern steht es gedruckt zu lesen. Darum auf mit euren Pforten und macht endlich der mittelalterlichen Mummerei ein Ende!“ Wenn die Profanen so sprechen, so ist das schon befremdlich und zeigt von wenig Nachdenken. Wenn aber Brüder, Geweihte des Bundes, sich derartig äußern, so ist das ein höchst beklagenswertes Zeichen von Unwissenheit. Schon der Nichtmaurer müßte sich bei einigem Nachdenken sagen, daß das Geheimnis überall seine Berechtigung hat. Jeder Mensch hat seine Geheimnisse. Es gibt interne Angelegenheiten der Familie, Herzenssachen, Pläne und Entwürfe, die wir anderen nicht mitteilen können. Im höchsten Glück und im tiefsten Schmerz suchen wir die Einsamkeit oder lassen nur wenige Auserwählte teilnehmen an dem, was unser Innerstes bewegt. Auch die Wahrheit darf nicht immer von den Dächern gepredigt werden, und eine weise Regel ist: „Sprich nie die Unwahrheit, aber nicht immer die Wahrheit !“, und unser Br. Goethe sagt: „Die wenigen, die was davon erkannt, Die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten, Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.“ Wenn nun solche Einsicht schon dem profanen Sinn nicht fernliegen kann, um wieviel mehr müßten wir Maurerbrüder von der Existenz und der Notwendigkeit unseres Geheimnisses überzeugt sein! Die Freimaurerei ist das Herz der Menschheit, oder sie sollte es sein; ihre geheimsten Regungen sollen in ihr Gestalt gewinnen, ihr innerstes Sehnen und Hoffen soll sich in den Werken unserer Kunst offenbaren. Wenn dem so ist, dann hat jeder Neuaufgenommene, da er in den engen Familienkreis der Loge eingetreten ist, das Recht, nach dem Geheimnis des Ordens zu fragen und seine Meister darum anzugehen, ihm das zu enthüllen, was den profanen Blicken hier verborgen gehalten wird. Denn bald wird es ihm klar, daß die Sinnbilder, die er in der Loge erblickt, die symbolischen Handlungen, die sich vor seinen Augen vollziehen, Zeichen, Griff und Wort, kurz, alles das, was wir vor den Profanen verbergen, nicht das eigentliche Geheimnis des Ordens ausmachen können. — Nun, welches ist es denn?, so fragt der angehende Lehrling, und die Antwort, die ihm darauf wird, kann fürs erste ihm nur wenig Befriedigung gewähren. Es muß ihm eröffnet werden, daß das Verborgene, nach dem er fragt, sich nicht ohne weiteres mitteilen läßt; es läßt sich nicht aufschreiben, so daß man es schwarz auf weiß getrost nach Hause tragen könnte. Das Geheimnis selbst ist nicht mitteilbar, wohl aber der Weg, der zu seinem Besitz führt; das Geheimnis ist überall; wir sind von ihm rings umgeben; es liegt gleichsam auf der Straße; aber unsere Augen sind gehalten, unser Gefühl ist zu stumpf und unsere Ohren sind zu dick, um es vernehmen zu können. Darum, o Lehrling, öffne deine Augen durch das Zeichen, verfeinere dein Gefühl durch den Griff und öffne dein Ohr für das Wort, dann wirst du innewerden dessen, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und auch in keines Menschen Herz gekommen ist. Darum auf! Bereite dich! Nicht allein in der Welt ist es zu finden — dein eigenes Innere ist der tiefe Schacht, in den du steigen mußt, um es zu gewinnen. „Such' es nicht draußen, Da sucht es der Tor; Es ist in dir, Du bringst es hervor.“ >188< Solche Erwägungen, auf die uns unser Nachdenken führt, werden uns auch das Verständnis eröffnen über die Andeutungen, welche unsere Akten über das Wesen des maurerischen Geheimnisses enthalten. Eine Stelle unseres Lehrlings-Fragebuches (Abt. IV, Fr. 4 bis 6) redet deutlich davon; sie sei hier angeführt und einer näheren Betrachtung unterworfen. Es heißt daselbst: „Womit beschäftigt sich die Johannisloge?“ „Sie sucht der Tugend Tempel zu errichten, das Laster zu bekämpfen und die Maurerwissenschaft zu verbreiten.“ „Was wird unter Maurer Wissenschaft verstanden ? „Die Lehre von der Erhebung des Menschen durch Tugend zum Licht und die Kenntnis von dem Verborgenen oder dem Geheimnis des Ordens.“ „Welches ist das Verborgene oder das Geheimnis des Ordens?“ „Seine Entstehung und Stiftung.“ Ebenso klar und leicht verständlich, wie die erste Frage ist, ebenso dunkel und rätselhaft sind die beiden anderen. Die erste Frage führt uns drei Zweige der maurerischen Wirksamkeit vor, von welchen zwei der Loge nicht eigentümlich allein zugehören, nicht ihre spezifische Wirksamkeit ausmachen, d.i. die Errichtung von Tempeln der Tugend und die Bekämpfung des Lasters. Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese beiden Aufgaben, welche man in den Begriff des sittlichen Strebens zusammenfassen kann, sowohl von einzelnen als auch von Vereinen außerhalb der Loge zu lösen versucht werden. Überall, wo wir einen guten Menschen sehen, der an sich arbeitet im sittlichen Streben, können wir wohl von einem Tempel der Tugend, zu dem er sich auszugestalten sucht, und von einem Kampf gegen das Laster, dessen Angriffen jeder ausgesetzt ist, reden; und welche große Zahl von Vereinigungen gibt es, die das, was jedem einzelnen für sich zu tun Pflicht ist, im großen und in weiteren Kreisen mit größerem oder geringerem Erfolge unternehmen. Darum aber sind jene sittlich Strebenden noch keine Freimaurer, und jene Vereine, welche sittliche Ideen zu pflegen suchen, sind darum noch keine Logen. Es fehlt eben noch ein Drittes, welches als ein besonderes freimaurerisches Merkmal hinzukommen muß: die Freimaurerwissenschaft und — wie ich hinzusetzen möchte — -kunst, welche denjenigen, der sie zu erlernen und zu üben strebt, erst zum Freimaurer, und die Vereinigung, in welcher sie gelehrt und verkörpert werden, erst zur Loge machen. Sittliches Streben ist also für sich allein nicht das für die k. Kunst Charakteristische, sondern nur die notwendige Vorbedingung, unter welcher sich die zarte Blüte des inneren, wahren Maurertums allein zu entfalten vermag. Was man nun unter Freimaurerwissenschaft und -kunst, mit einem Worte unter Freimaurerei versteht, das sagt uns unsere zweite Frage: „Sie ist die Lehre von der Erhebung des Menschen durch Tugend zum Licht und die Kenntnis von dem Verborgenen oder dem Geheimnis des Ordens.“ Diese Definition ist wiederum eine doppelte; sie zerfällt in einen praktischen und in einen theoretischen Teil. Die Erhebung des Menschen zum Licht ist der praktische Weg, der uns gezeigt und in den Vordergrund gestellt wird. Was ist das Licht, zu welchem der Mensch sich auf freimaurerischem Wege erheben soll? — Es ist die höhere Region geistigen Anschauens und Begreifens, die klare Sphäre eines reinen Seins und Lebens, das in unserem Herzen pulsiert. In uns wacht eine Stimme, die uns unaufhörlich zuruft, daß wir noch nicht das sind, was wir sein sollen, daß wir noch in Finsternis wandeln, daß unsere Augen von einer Binde umhüllt sind, und daß wir abzutun haben, was uns am Schauen der Wahrheit hindert. Der Mensch ist ebenso ein Sohn des Staubes wie ein Kind Gottes. Aus Staub gewoben ist sein irdischer Leib, welcher mit gebrechlicher Hülle den gottentsprossenen Teil, seinen unsterblichen Geist, einhüllt. Dieser unsterbliche Teil in uns fühlt seinen unvollkommenen, unfreien Zustand, er ringt danach, sich dem zu entreißen und sich frei zu entfalten; er will dem Geiste geben, was des Geistes ist, er will empor aus der Hülle des Staubes zu seinem ewigen Urquell, mit dem er vereinigt zu werden trachtet; denn das Licht ist ihm gegeben, ein Strahl davon ist in seinen Kerker gefallen und hat ihn mit heißer Sehnsucht erfüllt, den vollen Glanz zu schauen. Aber die Materie fesselt ihn; sie möchte dem Staube geben, was des Staubes ist; Neigungen, Begierden, Leidenschaften entstehen und suchen seinen auf das Ewige gerichteten Trieb abzulenken auf das Niedrige und Gemeine. Die Erhebung aber kann nur vor sich >190< gehen durch Überwindung der Neigungen, Mäßigung der Begierden und Unterwerfung des Willens unter die Gesetze der Vernunft. Das ist das große praktische Werk der Freimaurerei, das sich stufenweise, wie die Ordensgrade es uns zeigen, an uns entwickeln und vollenden soll. Durch Tugend soll diese Erhebung vor sich gehen. Gewiß! Denn ein Mensch, der nicht das Sittengesetz anerkennt und sich nicht gewöhnt, danach zu handeln, hat nicht die Vorbedingungen erfüllt, unter welchen eine solche Erhebung zum Lichte überhaupt möglich ist. Wenn nun also der Orden davon redet, daß die Erhebung zum Lichte durch Tugend geschieht, so sagt er damit noch keineswegs, daß tugendhafte Gesinnungen und tugendhafter Wandel allein das freimaurerische Werk am Menschen vollenden. Dies wird noch deutlicher durch eine andere Stelle unseres Fragebuches, wo von den Werkzeugen des Freimaurers, der Vernunft, dem Verstande und dem Willen, die Rede ist, und wo gesagt wird: unter Schleifen dieser Werkzeuge werde verstanden: die Vernunft zu gewöhnen, zu verstehen und zu wollen, was gut ist. Wenn, ein Künstler seine Werkzeuge erst schleift, so ist er noch lange nicht daran, damit zu arbeiten und ein Kunstwerk zu schaffen. Also auch hier. Durch tugendhafte Gesinnungen und sittliches Handeln allein werden wir noch nicht zu Freimaurern. Nun, wodurch denn sonst? — Darüber gibt uns der Orden Aufschluß durch den zweiten theoretischen Teil seiner Antwort auf unsere zweite Frage; und diese Antwort lautet: „Durch Kenntnis von dem Verborgenen oder dem Geheimnis des Ordens.“ Hier liegt der eigentliche Lebensnerv des freimaurerischen Werkes. Die Theorie, die der Orden uns hier bietet, ist nicht grau und unfruchtbar, denn sie steht, wie wir sehen werden, mit der Praxis im richtigen Zusammenhange und Verhältnis; und so wie — um bei dem soeben gebrauchten Bilde zu bleiben — ein Muskel, wenn er durch den in ihn hineintretenden Nervenstamm mit dem Zentralorgan, dem Gehirn, in normaler Verbindung ist, von diesem aus in die richtige, ihm angemessene Tätigkeit als Werkzeug eines höheren Willens gesetzt wird, aber gelähmt bleibt, wenn der Nerv durchschnitten wird, und nur durch von außen auf ihn angebrachte Heize zu vorübergehenden Zusammenziehungen gebracht werden kann, so bildet auch hier die Erkenntnis von dem Verborgenen oder dem Geheimnis des Ordens die eigentliche Kraft, von welcher der stets frisch und neu einwirkende Impuls von innen heraus für alles wahrhaft freimaurerische Gestalten ausgeht. Und was ist nun endlich das Verborgene oder das Geheimnis des Ordens? — „Seine Entstehung und Stiftung“, lautet die Antwort, die auch hier wieder eine doppelte ist. Dunkel ist der Rede Sinn, und doch enthalten diese Worte den vollen Inhalt des maurerischen Geheimnisses. Man hat früher gemeint, daß der Sinn dieser Worte auf das historische Faktum der Entstehung unseres Ordens ziele, und hat lange Zeit keine andere Erklärung dafür gelten lassen. Ganz unrecht hatte man damit nicht; denn auch der geschichtliche Ursprung unseres Ordens ist in undurchdringliches Dunkel gehüllt, das die Forschung wohl niemals ganz aufhellen wird, obwohl unsere Väter der Meinung waren, daß sie an der Hand unserer Überlieferungen untrügliche Auskunft darüber geben könnten. Jetzt aber ist man dahinter gekommen, einen noch tieferen Sinn hinter den beiden Worten „Entstehung und Stiftung“ zu suchen. Richten wir unseren Blick auf irgend eine Erscheinung der organischen Natur, eine Pflanze, einen Baum, ein lebendes Geschöpf, Tier oder Mensch, und fragen wir nach seiner Entstehung. In das undurchdringlichste Dunkel des Geheimnisses ist die Zeugung der organischen Wesen gehüllt. Wir kennen zwar die Vorgänge und Bedingungen, unter welchen das Samenkorn, das Ei befruchtet wird und zur Entwicklung gelangt, — wer aber sagt uns, was das ist, das diesen unscheinbaren Keim antreibt, sich nach ganz bestimmten Gesetzen zu entfalten und in seiner Entwicklung eine ganz bestimmte Gestalt anzunehmen. Wir stehen vor dem tiefsten Geheimnis, dessen Decke noch kein Forscher aufgehoben hat. „Ignoramus et ignorabimus!“ Wir wissen es nicht und werden es auch nicht wissen. Nur das Eine wissen wir, daß in der winzigen Zelle des Eis oder Samenkorns eine mächtige Kraft wohnt, die, wenn auch in uns unbegreiflicher Weise, so doch an ihren Wirkungen für uns wahrnehmbar, das neue Wesen schafft und zur Reife bringt. Denn nicht bloß bei der Zeugung ist jene Kraft tätig, sondern auch fernerhin bei der Entwicklung bis zum letzten Augenblicke, da das Individuum als solches aufhört und wieder in die Atome zerfällt, aus denen es sich aufbaute. — Ebenso ist es mit der Zeugung auf geistigem Gebiete. In jeden Menschen ist ein Keim gelegt, aus welchem sich durch den Prozeß der Wiedergeburt ein neues, göttliches, ewiges Leben entfalten kann. Wie er zum Leben und zur >192< Entwicklung gelangt, — wir wissen es nicht; welcher Art die Kraft ist, die in uns webt und schafft, — wir wissen es nicht. Wir stehen vor dem tiefsten Geheimnis, das auch das Geheimnis des Ordens ist; denn die Kraft, die in unserem Orden waltet und ihm Leben, Stärke und Schönheit gibt, das ist dieselbe Kraft, die in der Natur und im Menschenherzen frei wird, und durch die das Erschaffene emporgehoben wird aus dem Dunkel zum Licht, dieselbe Kraft, die der Lehrling kennen lernt an der Säule zur Linken und an ihrem Wort J...., G. h. m. e. Ja, es ist ein Geheimnis! Wir selbst, in denen es sich vollzieht, wissen wohl, daß es vorhanden ist, aber was es ist, können wir nicht sagen. „Der Wind blaset, wohin er will; du hörest sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt.“ Wir wissen es nicht. Aber das wissen wir, daß eine höhere Macht, ein allgütiger, heiliger Wille, daß die ewige Liebe selbst diese Kraft in uns gelegt hat, und daß wir in freier Erkenntnis dieses inneren Lebens die Aufgabe finden, mit unserm ganzen Sinnen, Denken und Wollen der Entfaltung dieses Lebens entgegenzukommen und es zu fördern. Und die Entwicklung dieses göttlichen Keimes soll vor sich gehen nach eben den Regeln und auf den Wegen, die der Orden uns vorschreibt. Wer diesen Keim in sich gefunden, seine Lebensregung in sich gespürt und die Aufgabe, an seiner Entfaltung zu arbeiten, sich zum dauernden Bewußtsein gebracht hat, in dem ist der Orden entstanden, und er hat Kenntnis von dem Geheimnis dieser Entstehung, er umfaßt es und hat zugleich die Quelle erkannt, aus der alle Tugend, alles Wohltun und alle Liebe fließt, den Quell der Kraft, der ihn zum Lichte erhebt. Nun aber heißt es in der Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis des Ordens: „Seine Entstehung und Stiftung“. Was ist für ein Unterschied zwischen beiden? — Das Wort „Entstehung“ erinnert uns an den ersten Ursprung; das Wort „Stiftung“ dagegen weist uns hin auf das, was aus diesem Keim geboren wird, auf die Gestaltgewinnung des Lebens. Ebenso wie die Entstehung, so ist auch die Stiftung ein Geheimnis. Wir wissen nicht, wie die unzähligen Wesen, die aus dem unerschöpflichen Mutterschoße der Natur hervorgehen, entstehen, aber wir wissen auch nicht, wie sie sich gestalten und wodurch sie sich gerade so gestalten, wie wir sie vor uns sehen. Die Stiftung ihres Lebens und Gedeihens ruht in einer höheren Hand, die uns nicht in ihre verborgene Werkstatt blicken läßt. — Und wenn wir auf die Geschichte der Menschheit blicken und fragen nach der Macht, die da vorwärts treibt, die das Geschlecht immer vollkommener und besser werden läßt, die da zu Gericht sitzt über das Wahre und Falsche, das Echte und das Unechte, dann erkennen wir Gottes Finger, der unsichtbar und geheimnisvoll die Geschicke der Völker lenkt. Die Menschen glauben zu stiften; sie geben Gesetze und Verordnungen, gründen Vereinigungen aller Art, Könige und Fürsten glauben, mit mächtiger Hand zu regieren, und doch schwebt die unsichtbare Macht geheimnisvoll über ihnen, und sie sind nur Werkzeuge in ihrer Hand. Gott in der Geschichte ! auch darin erkennen wir das große Geheimnis der Stiftung des Ordens; denn überall, wo im Leben der Menschheit das Große und Edle sich gestaltet, da hat unser Orden seinen Anteil daran, da freut er sich des Errungenen und fördert es, denn sein Weg fällt zusammen mit jedem anderen Wege, der nach oben, zum Lichte und zu Gott führt, und er arbeitet daran, in jedem einzelnen das zu stiften, was sein — des Ordens — innerstes Wesen ausmacht. So soll der Orden in jedem einzelnen seiner Glieder zuerst für sich allein gestiftet werden. Jeder für sich muß erst die ganze Macht des wunderbaren Geheimnisses in sich empfinden; dann erst kann der Orden als solcher sich bilden; er wird gestiftet, wenn diejenigen, die das Geheimnis in sich erfahren haben, sich finden und zusammentreten zu einem unauflöslichen Bunde. Dann erscheint die Loge in ihrem herrlichsten Glanze. — Auch das ist ein Geheimnis. Aufnehmen in die Loge kann sich mancher lassen, aber mitreden von dem Geheimnis der Stiftung des Ordens kann nur der, welcher die Seligkeit der Vereinigung gekostet hat, die gegründet ist auf die gleiche Erkenntnis des göttlichen Lebens im Innern und auf das gleiche Streben, dieses innere Leben zur Reife zu bringen und dadurch beizutragen zur Vollendung des Tempelbaues des Höchsten. Wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da ist der Ordensherr mitten unter ihnen und gibt sein Ja und Amen zur Stiftung des Ordens, der zu seiner Ehre errichtet wird. Und die Stiftenden bilden die feste Kette der Geweihten, welche unauflöslich über diese Zeitlichkeit hinausreicht und mit ihrem starken Bande uns hinauf zieht in die Sphäre des reinsten Lichtes, wo es kein Geheimnis mehr gibt, sondern wo alles klar und offenbar wird, was hier in dunkle Worte und Zeichen verhüllt war, wo wir nichts mehr fragen, sondern von Angesicht zu Angesicht schauen werden. (1890. 1903.) >194< Das Geheimnis der Freimaurerei. Zweiter Vortrag. Die Frage nach dem Geheimnis der Freimaurerei wird von unseren Akten dahin beantwortet, daß dasselbe in des Ordens Entstehung und Stiftung liege. Was diese nicht ganz leicht zu verstehenden Worte bedeuten, habe ich in dem ersten Vortrage zu erläutern versucht. Wir können uns der Lösung dieser Frage aber noch von einer anderen Seite nähern, nämlich wenn wir uns daran erinnern, daß die Freimaurerei nicht bloß die königliche Kunst genannt wird, sondern daß sie auch in der Tat eine Kunst ist. Jede Kunst, wir mögen nehmen, welche wir wollen, hat ein Geheimnis, muß ein solches haben. Wenn wir an die Staffelei eines Malers treten und ihm zusehen, wie er auf der Palette die Farben mischt und auf die Leinwand überträgt, so erscheint uns das so einfach und natürlich, daß wir versucht sein könnten nachzumachen, was er offen und zwanglos vor unseren Augen vollbringt. Bald aber merkt der Stümper, daß ein Etwas von innen heraus die Hand regieren muß, um ein Kunstwerk herzustellen. Die durch lange und mühevolle Übung erworbene Sicherheit des Könnens muß sich in dienstbarer Ergebenheit der im Innern wirkenden Macht der Idee des Schönen unterstellen. In dem Zusammenwirken des inneren, nach Gestaltung ringenden Dranges und der durch Arbeit und Übung erlangten Fertigkeit liegt das Geheimnis einer jeden Kunst, ein Geheimnis, das nicht ohne weiteres überliefert werden kann, sondern erst durch jahrelanges Studium erworben werden muß. Man kann keine Kunst aus Büchern lernen, sondern nur dadurch, daß man sich ihren praktischen Übungen unterzieht. Genau so ist es nun auch mit der k. Kunst der Freimaurerei. Das höchste Kunstwerk ist ihr Ziel und Zweck; Stoff und Vorwurf sind ihr derselbe, so wie Kunstwerk und Künstler ihr identisch sind. Den Menschen will sie formen und bereiten, den zum Ebenbilde Gottes Geschaffenen will sie dieser hohen Bestimmung entgegen führen; groß, rein und frei will sie ihn hinstellen und ihn erheben aus dem Erdenstaube zu göttergleicher Weisheit, Stärke und Schönheit. Alles, was die Loge uns bietet, das Mysterium unseres Ritus, die Symbolik, die Einrichtung unseres Tempels, die Maurertracht, in die wir uns kleiden, Zeichen, Griff und Wort, sind nur die Mittel, die wir anzuwenden lernen sollen, um in uns das geistige Licht anzuzünden, zu dem wir berufen sind. In diesen Mitteln aber liegt nicht das Kunstgeheimnis, sondern in ihrer Anwendung auf unser Inneres. Das ist das zarte, keusche, unnennbare Geheimnis unserer inneren Geisteswerkstätte, das nicht ausgeschwatzt werden kann, das sich scheu zurückzieht von dem Markt der Öffentlichkeit, von dem wirren und wüsten Treiben, wo jeder nur das Seine sucht im Wettlauf des Egoismus. Der Finsternis, die das Licht nicht begriffen hat, bleibt die Kunde davon verborgen und verschlossen. Wo aber das Herz in Sehnsucht sich dem Lichte und der Wahrheit öffnet, da zieht der Genius der k. Kunst ein und führt den Strebenden den Weg zum innersten Heiligtum; ihm geht das wahre Geheimnis der Kunst auf, das unaussprechlich ist wie das Wesen der Liebe selbst. Es kann nicht ausgesprochen werden, was das Kind zur Mutter, den Freund zum Freunde, den Mann zum Weibe hinzieht. Dichter aller Zeiten haben versucht zu singen und zu sagen von dem Geheimnis der Liebe, aber selbst die mächtigsten Akkorde ihrer Leier können nur ahnen lassen, was tief im Herzen, das von Liebe durchglüht ist, lebt und webt; nicht Menschen- und nicht Engelszungen reichen hin, es auszusprechen. Ebenso ist es mit dem Geheimnis unserer Kunst. Wenn ich sagte, daß nur dem nach dem Lichte Strebenden das Geheimnis der k. Kunst aufgeht, so ist das nicht so gemeint, als ob dies ein einmaliger Vorgang wäre, ein Ereignis, das eintritt und damit abgetan ist. Nein! Die ganze Laufbahn des Maurers ist vielmehr ein stetes Entschleiern des Verborgenen. Eine Hülle des Lichtes nach der andern, die ihm das Geheimnis verbargen, muß niedersinken vor seinem forschenden Eifer und seinem Fleiß. Er schreitet fort, er lernt und gewinnt immer reichere und bedeutendere Fähigkeiten seiner Kunst, und gerade durch dieses maurerische Wachstum dringt er immer tiefer in das Geheimnis. >196< „Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren: Was sie willenlos ist, sei du es wollend — das ist's !“ Mit diesem Wort hat Schiller in treffendster Weise, obgleich er unserm Orden nicht angehörte, das bezeichnet, was das Wesen der k. Kunst ausmacht. Auf die Pflanze weist uns der Dichter. Was tut sie? — Sie wächst. Der Keim regt sich in der kleinen verschwiegenen Hülle des Samenkorns, das im Mutterschoß der dunklen Erde gebettet ist; endlich durchbricht er die Keimhüllen und dringt nach oben. Und so wie er die lastenden Erdschollen nach und nach verläßt, so gehen von ihm die Wurzelfasern nach unten in die Tiefe. Die Pflanze ist fertig; sie wächst, sie strebt dem Lichte entgegen. Ein schlanker Schaft schießt empor; aus ihm entfalten sich Zweige und Blätter, und endlich entwickelt sich, die Knospenhüllen sprengend, die Blüte, die Krone des Pflanzenlebens, strahlend in Farbenschmelz, lieblichen Duft spendend und ihren zarten Kelch der Sonne zuwendend, deren Abbild er zu sein scheint. Und wenn die Schönheit der Blüte verblichen und dahingewelkt, dann entwickelt sich die Frucht mit ihrem labenden Saft und ihren Samenkörnern, deren jedes den Keim einer neuen Pflanze birgt. Alle diese Erscheinungen des Pflanzenlebens werden hervorgerufen von jener wunderbaren Macht, die sich als Wachstum offenbart. Was ist das für eine Kraft? Wir wissen es nicht und werden es nie ergründen. Sie ist ein Geheimnis, aber sie ist vorhanden und manifestiert sich täglich vor unseren bewundernden Blicken. Es ist dieselbe Kraft, die auch in den höher organisierten Wesen und im Menschen tätig ist. Auch der Mensch hat mit der Pflanze das Wachstum gemeinsam. Im dunklen Mutterschoße beginnt es im winzigen Keime. Und so wie die Pflanze aus der Erde an das Licht tritt, so wird auch der Mensch zum Lichte geboren, und dann folgt sein Wachsen und seine Entwicklung bis zum Blühen und Fruchttragen, lauter Vorgänge, die sich von den Lebensäußerungen der Pflanze kaum unterscheiden; auch sind diese Vorgänge nicht seinem Willen unterworfen, sondern vollziehen sich wie bei der Pflanze ohne sein Zutun. Nun gibt es aber für den Menschen noch ein anderes Wachstum, ein Wachstum, worüber er Herr ist, eine Entwicklung, die er durch sein Wollen und Streben fördern kann. Das ist es, worauf der Dichter hinweist; es ist das innere geistige Wachstum, das uns nach oben zum göttlichen Lichte treibt. Wie viele Menschen gibt es nun, die sich dieses geistigen Wachstums voll bewußt sind und es durch die Kraft ihres Willens zu fördern suchen? Ihre Zahl ist verhältnismäßig klein. Freilich wird man mir das bestreiten wollen. Man wird mir einwenden, daß in unserer fortgeschrittenen Zeit soviel durch Schulen und Unterrichtsanstalten aller Art geschieht, um geistiges Wachstum zu fördern. Gewiß! Aber es fragt sich nur, ob das das rechte Wachstum ist. Wohl bietet das Erdendasein dem Menschengeist einen sehr mannigfaltigen Nahrungsstoff für seine Entwicklung. Mit den Kräften seines Verstandes zieht der Mensch alles, was ihm irgend erreichbar ist, heran, um es für seine Bildung zu verwerten. Er beobachtet, rubriziert und klassifiziert, er baut Systeme des Wissens auf und häuft einen ungeheuren Schatz von Kenntnissen an, er macht Erfindungen, schafft Kunstwerke, ersinnt Staatsverfassungen und schreibt Gesetze; er kommt sich groß vor in seinem Wissen und Können und ist doch, wenn ihm das Eine, das not ist, fehlt, weit entfernt vom wahren Wachstum seines inneren Lebens. Sein Streben bleibt tot, so edel und nützlich es auch sein mag, wenn sich ihm sein Wissen nicht in Weisheit und sein Können nicht in Kunst verwandelt. Sein Wachstum kann wohl üppig ins Kraut schießen, aber den erhabenen Trieb, der aus dem innersten Kern zum Lichte emporstrebt, wird man nicht gewahr werden. Und wie unendlich viele gibt es, die auch des gewöhnlichen geistigen Wachstums, dessen, was man für gewöhnlich Bildung im höheren Sinne nennt, entbehren. Die meisten Menschen werden geboren und erzogen, indem sie allerlei lernen und sich allerlei Fertigkeiten aneignen, die sie für einen Lebensberuf geschickt machen. Sie werden tüchtige Leute, wie man sagt, ehrenhafte Männer und gute Bürger, nehmen ein Weib und zeugen Söhne und Töchter, sind geachtet von ihren Mitbürgern, weil sie sich nie etwas haben zuschulden kommen lassen, was gegen die Staatsgesetze verstößt oder ihren guten Ruf hätte beflecken können. So glauben sie wunder was geworden zu sein und sind doch oft des wahren inneren Lebens und Wachstums bar. Ihr Leben ist kaum etwas anderes als das Leben der Pflanze. Der Wille und der Fleiß, den sie auf ihre Entwicklung verwendet haben, war halb und halb unwillkürlich. Sie wurden auf die Bahn eines bestimmten Lebensberufes gedrängt, weil sie doch etwas werden, eine bürgerliche >198< Stellung erringen, es zu etwas bringen mußten. Wo blieb dabei das innere Wachstum? — Es verkrüppelte und verdorrte. Das Samenkorn war, wie es in dem Gleichnis unseres Obermeisters heißt, auf den Fels, auf den Weg oder unter die Dornen gefallen; das Kunstgeheimnis des Lebens ist ihnen verschlossen geblieben. Vor solch einem öden und trotz aller glänzenden äußerlichen Erfolge unfruchtbaren Leben will uns die k. Kunst der Freimaurerei bewahren; sie will, gerade im Gegensatz zu jener pessimistischen Weltanschauung, welche die Verneinung des Willens zum Leben als das Höchste hinstellt, diesen Willen in uns erwecken, stärken und zur höchsten Macht entwickeln. Was die Pflanze willenlos ist, — sei du es wollend, — das ist's! Es ist jene Entwicklung zum inneren Leben, jene Wiedergeburt, auf welche der Obermeister den Schriftgelehrten Nikodemus als auf das Eine, was not tut, hinwies. Unser Erdenleib ist die Scholle, in welche der mit einer verborgenen göttlichen Kraft ausgerüstete Keim gebettet liegt, aus dem das wahre Leben sprießen soll. Die Pflanze, willenlos wie sie ist, kann zu ihrem Wachstum nichts dazu- und nichts davontun; sie kann nichts dafür, wenn sie in ein dürres Erdreich versetzt wird; sie kann den Mehltau und den Raupenfraß, der an ihrem Leben zehrt, nicht abwehren; sie kann es nicht hindern, daß Sturm und Schlossen sie ihrer Blätter und Blüten berauben. Der Mensch aber kann sein Köstlichstes, sein inneres Leben, vor Schaden bewahren, denn er hat den Willen zu einem Leben im Licht, und mit ihm hat er die Macht, das Geheimnis der Lebenskunst zu enthüllen und sich seiner zu bemächtigen. Er kann sich aus einem Erdreich, aus dem er keine Nahrung zu ziehen vermag, in ein anderes versetzen, wo er sie findet; er kann die Gesellschaft ekelhafter Schmarotzer, die sein inneres Leben schädigen, fliehen und die Gesellschaft derer suchen, die gleich ihm zum Lichte wollen; er kann den Stürmen der Leidenschaften und dem Hagelschlag der Anfechtung widerstehen, denn er hat den Willen, der ihn adelt, der seine göttliche Abkunft kundtut und sein inneres Schaffen in das ideale Gebiet der Kunst erhebt, die dem Strebenden ihre Geheimnisse mit jedem Schritte mehr entschleiert. — Das ist's! Aber nicht nur in solchem negativen Abweisen des Schädlichen besteht das Wesen des maurerischen Kunstgeheimnisses; nein, es ist positiv, ja das Positivste von allem. Die Freimaurerei ist geistiges Wachstum, nichts anderes; und geistiges Wachstum ist ein inneres sich Auferbauen. So wie in der wachsenden Pflanze sich Zelle an Zelle reiht, um Stengel, Blätter und Blüten zu bilden, so fügt die Freimaurerei Stein an Stein zu dem geistigen Tempel, den sie in unserem Innern errichten will. Alles, was die Loge uns bietet, weist uns hin auf dieses positive Ergreifen des Geheimnisses der wahren Lebenskunst. Die Gebräuche unserer Aufnahme, die Sinnbilder der Tafel, die Erkennungszeichen, was können sie dem Unkundigen anderes sein als leere Spielereien, von denen er sich, wenn er eine Weile sich an ihnen ergötzt hat, voll Überdruß abwendet. Dem Strebenden aber werden sie Mittel, in das Verborgene zu dringen, sie werden ihm mächtige Erweckungen, die ihn fördern auf der Bahn zum Licht; in ihnen erkennt er Plan, Weg und Werkzeug einer Kunst, die über alle Künste hinausgeht, und das ist eben die erhabene, göttliche Baukunst, die wir pflegen. Und wenn wir diesen Weg beschreiten, dann tritt uns ein Geheimnis über das andere entgegen. Wer bauen will, muß einen sicheren Grund gelegt haben, er muß nach einem weise entworfenen Plane verfahren, und er muß die Baustücke wohl bereiten und aneinander fügen. Also auch hier. Den Grund für unseren Bau zu legen brauchen wir nicht; diese Arbeit hat uns eine höhere Hand abgenommen. Einen felsenfesten Grundstein finden wir vor, den der ewige Meister selbst gelegt hat, überall in der Natur, wo Leben sich entwickelt, und vor allem im Menschenherzen. Aber diesen Grundstein umwallen die Schleier des Geheimnisses, und die Schwierigkeit besteht für uns darin, wie wir diesen Grund finden, erkennen und freilegen. Aber ganz offenbar kann uns dieser Grundstein nie werden, und glücklich ist der schon zu preisen, der überall in frommem Ahnen die gründende Hand des höchsten Meisters spürt, und der vor allem das Bewußtsein in sich erweckt hat, daß er selbst in Gott gegründet ist. Und nun der Plan, nach dem wir bauen sollen! — Um einen Plan zu entwerfen, dazu gehört Weisheit. Wo aber sollen wir arme Erdenkinder in unserer Einfalt die Weisheit hernehmen, um den Entwurf für unser Werk zu schaffen? Wo blieben wir mit unserer Kurzsichtigkeit, wenn nicht auch hier der ewige Meister uns helfend zur Seite stünde! Er, der da gegründet hat, hat uns auch den Plan vorgezeichnet; an uns aber ist es, diesen Plan zu finden, zu erkennen und zu verstehen. Können wir nun aber auch seinen großen Bauplan durchschauen und erfassen? >200< In seiner unendlichen, allumfassenden Größe nicht; dazu sind wir zu klein in unserer Endlichkeit. Ein Schleier des Geheimnisses liegt für uns Sterbliche über dem, was Gottes Allweisheit hingestellt hat, ausgebreitet. Aber es ist dem Menschen vergönnt, Blicke zu tun in den Haushalt des ewigen Erhalters und Regierers. Das vor uns aufgeschlagene Buch der Natur zeigt uns das große Bauwerk der Welten; wir ahnen wohl die Weisheit, die es schuf und erhält, aber ergründen können wir sie nicht. Und wenn wir in unser Inneres blicken, so schauen wir in eine gleiche Unendlichkeit, wie sie der gestirnte Himmel uns zeigt. Der Mensch ist sich selbst das größte Rätsel, das undurchdringlichste Geheimnis. Unser eigenes Erkennen führt uns nicht weit; mit dem Lichte, das der Naturforscher und der Philosoph uns bietet, kommen wir nicht aus, und wir würden nie ans Ziel gelangen können, wenn nicht der Schein eines besonderen Lichtes uns erleuchten möchte. Wenn unser Verstand erlahmt im Erforschen des Zusammenhanges der Dinge, wenn unsere Sinne nicht weiter zu dringen vermögen, wenn die Vernunft, zu schwach, den Urgrund aller Dinge zu ergründen, an ihrer Grenze angelangt ist und mit dem Zweifel ringt, dann beginnt für den wahrhaft Strebenden das hohe Wunder: ein besonderes Licht erleuchtet ihn; es ist das Licht des Glaubens, jenes geheimnisvolle Licht, das die Freimaurerei uns versinnbildlicht durch das Bild des flammenden Sterns. Es kommt über uns mit Himmelsgewalt, aber wir wissen nicht wie; es ist ein Geheimnis. Bei seinem Scheine erkennen wir nicht mit irdischen Sinnesorganen, nicht mit trügerischem Menschenwitz, nicht mit Schlüssen der Vernunft, daß das, was wir nur stückweise schauen, dennoch ein großes Ganzes ist, durchweht von dem Hauche göttlicher Liebe, zusammengehalten durch das Band der göttlichen Allmacht; aber wie diese Erkenntnis über uns kam, das bleibt Geheimnis, wovon keine Menschenzunge erzählt. Und wenn uns der Flammenstern also geleuchtet hat, wenn sein Licht uns den Bauplan gewiesen, dann fangen wir an zu bauen, und auch dabei leuchtet uns das Licht des flammenden Sterns, jenes Licht, das von denen, die in der Finsternis wandeln, nicht begriffen wird. Uns aber, die wir es verstanden haben und zu benutzen wissen, erhebt es in das ideale Reich der Kunst, der königlichen Kunst, deren Geheimnis es uns erschließt. Wir fangen an, unseren Baustein zu formen, und dieser Baustein sind wir selbst. Fest auf sicheren Grund gestellt, umflutet von den Strahlen göttlichen Lichtes, erkennen wir mit tiefer Scham den rauhen Stein unserer Unvollkommenheit, und damit zugleich erwacht der Trieb, ihn kubisch zur Vollendung zu gestalten. Freudig greifen wir zu unseren Werkzeugen. Das Senkblei des Gewissens, die Wasserwaage der Vernunft, das Winkelmaß des göttlichen Gesetzes, alles das greift ineinander und frommt uns bei unserer Arbeit. Die Kraft des Hammers treibt uns an; des Zirkels Schlag lehrt uns umfassen, was dem unerleuchteten Sinn nicht faßbar ist, und die Kelle wirkt in unserem Innern das Unaussprechliche. So bauen und schaffen wir als beglückte Inhaber des Kunstgeheimnisses. Unser Baustein formt sich zum Tempel im kleinen; und indem wir ihn mit den anderen Steinen zusammenfügen, arbeiten wir am Aufbau der Menschheit. Und die zum Bruderbunde, d.i. zum Reiche Gottes gestaltete Menschheit ist wiederum weiter nichts als ein einzelner Baustein im unermeßlichen Bauwerk des großen Weltenmeisters. — Das ist geistige Baukunst, Maurerei; und warum wir diese Kunst Freimaurerei nennen, das ist leicht zu finden: — weil die Loge, die Werkstätte der Freimaurerei, gegründet ist in Gott, weil das göttliche Gesetz in ihr herrscht, weil göttlicher Geist in ihr weht und ihr Kunstgeheimnis ausmacht; — wo aber der Geist des Herrn weht, da ist Freiheit, da fallen die Sklavenfesseln ab, und der Künstler, der in solcher Werkstätte schafft, wird emporgehoben zum ewigen Licht. Heil dem, der in diesem Lichte wandelt, dem es sein höchstes Gut, sein Ein und Alles ist. — Wie wenig aber wird dieser hohe Künstlerberuf des Freimaurers innerlich erfaßt; wie fern sind die Logen von dem Ideal, solche Werkstätten der Kunst zu sein! „Ach, daß dem Menschen nichts Vollkomm'nes wird, Erkenn' ich nun! —“ so möchten wir mit Faust ausrufen. Nirgend empfinden wir menschliche Schwachheit und Unvollkommenheit tiefer und schmerzlicher als in der Loge. Unser großer Br. Goethe spricht in Wilhelm Meisters Lehrbrief eine große Wahrheit aus, die gerade unser Freimaurerwerk berührt und seine Schwächen rücksichtslos aufdeckt, wenn er sagt: „Die Höhe reizt uns, nicht die Stufen; den Gipfel im Auge, wandeln wir gern in der Ebene.“ Darin liegt ein schwerer Vorwurf, der das Menschengeschlecht und namentlich eine große Zahl von Freimaurern trifft. Er sagt uns >202< mit anderen Worten: „Ihr wißt nicht, was k. Kunst ist, und seid noch fern von ihrem Geheimnis.“ — Wer wendete sein Auge nicht gern dem Lichte zu, wer wäre nicht begeistert von seinen Strahlen! Wer es nicht wäre, verdiente wohl kaum den Namen Mensch; er gliche dem Tiere, das nur seinen dumpfen Sinnentrieben nachlebt. Aber leider lieben wir es mehr, uns in dem Scheine des Lichtes zu sonnen, als auf schwierigen Pfaden zu ihm hinzustreben. Man wandelt in der Ebene; man fließt über von schönen Reden über das Licht, ohne den ernstlichen Anlauf zur Höhe zu nehmen, und man vergißt, daß derjenige, der nicht sein ganzes Leben durch solches Hinaufstreben erfüllt, niemals hinter das wahre Kunstgeheimnis kommen kann. Wie viele gibt es, die den Freimaurernamen tragen, ohne in den Logen etwas anderes zu suchen als Gemütlichkeit und Wohlbehagen; andere wieder möchten allerlei Bestrebungen in die Loge hineinbringen, die nicht hinein gehören. Das sind diejenigen, die in der Ebene wandeln, die von den Stufen nicht gereizt werden. Das ist Dilettanten-, aber nicht Künstlerart. — Den wahren Maurer aber reizen die Stufen ebenso wie das Licht selbst; denn er macht an sich selbst die wunderbare Erfahrung, daß, je schwieriger das Emporklimmen, je härter die Kämpfe, die sich im eigenen Innern abspielen, desto reicher der Lohn, desto glänzender der Sieg ist, den er im Scheine des errungenen Lichtes feiert. Jene, die in der Ebene wandeln, haben zwar nie die Schwierigkeiten, aber auch nie die Seligkeiten gekostet, die der empfindet, welcher überwunden hat. Jenen gehört das Licht nicht, in dessen Glanze sie sich zwar sonnen, dessen wahre Wirkung sie aber nicht kennen, weil ihnen das wahre Kunstgeheimnis verschlossen bleibt; diese aber sind das auserwählte Geschlecht, das Volk des Eigentums, welches teil hat am göttlichen Leben, als die Bewahrer des Geheimnisses der k. Kunst, das sie in freudigem Schaffen verwalten. Ihnen gehört es allein. Und weiter sagt Goethe in Wilhelm Meisters Lehrbrief: „Nur ein Teil der Kunst kann gelehrt werden; der Künstler braucht sie ganz.“ Wie wunderbar trifft das zu auf unsere k. Kunst! Was können den angehenden Freimaurer seine Meister lehren? Es ist nicht sehr viel. Sie können ihn mit dem Wesen der Sache vertraut machen, sie können ihm die Werkzeuge weisen und ihre Anwendung erklären; sie können ihm Anleitung zur Arbeit geben und seinen Eifer anfeuern; sie können vor allem durch ihr Beispiel auf ihn wirken: aber arbeiten, die Werkzeuge anwenden, die Wege zum Ziel beschreiten, das muß der Lehrling selbst tun, dazu kann ihm kein Meister helfen. Nur wer so vorwärts kommt, kennt die Kunst ganz. Nicht etwa, als ob er schon an das Ziel der Vollendung gelangt wäre, — nein; aber er weiß den Weg und kann ruhig und sicher vorwärts schreiten. Darum fährt Br. Goethe fort: „Wer die Kunst halb kennt, ist immer irre und redet viel; wer sie ganz besitzt, mag nur tun und redet selten oder spät. Jene haben keine Geheimnisse und keine Kraft; ihre Lehre ist wie gebackenes Brot, schmackhaft und sättigend für einen Tag; aber Mehl kann man nicht säen, und Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden.“ Wie wahr ist das, wenn wir es auf die k. Kunst anwenden! Jene, die die Kunst halb kennen und darum in der Ebene wandeln, können auch keine Geheimnisse haben, und da ihnen das wahre Wesen unserer Kunst verborgen ist, können sie nicht einmal wissen, daß es solche Kunstgeheimnisse gibt; denn die Geheimnisse bestehen nicht in Worten, die nacherzählt und aufgeschrieben werden können, sondern in den inneren Erfahrungen eines geistigen Wachsens und Zunehmens. Ist die Lehre der Halbwisser aber nicht wie Brot, das am anderen Tage altbacken und schal ist? Sie haben die keimfähigen Körner zu Mehl zerrieben und einen Phrasenteig daraus geknetet, der weder auf die Dauer uns befriedigen, noch uns die rechte Geistesnahrung gewähren kann. Mögen daher diejenigen, die zum Lehramt in den Logen berufen sind, darauf achten, daß sie den Lernenden stets etwas bieten, was keimfähig ist. Es wird so oft darüber geklagt, daß in den Logen die Phrase herrsche und unsere Arbeiten mit dem Fluche der Unfruchtbarkeit belaste. Gewiß ist diese Klage vielfach berechtigt. Alles, was den Brüdern in der Loge von Reden und Unterrichtsvorträgen geboten wird, ist und bleibt Phrase, wenn es der Unterrichtende nicht in seinem Innern verarbeitet hat und es gleichsam künstlerisch neuschaffend aus seinem Herzen herausströmen läßt. Ist dies der Fall, dann kann er seiner Wirkung gewiß sein. Aber entlehnte Gedanken, abgelesene Reden anderer können nie wirken. Sie verpuffen wie Feuerwerk, das nicht zünden kann. Lebendige Saatkörner sollen in der Loge geboten werden; wenn wir sie in unser Inneres aufnehmen, dann entwickelt sich >204< in uns neues Leben; das Geheimnis der Kunst geht uns auf, und wir kommen vorwärts. Aber auch das Saatkorn muß absterben, wenn es Frucht bringen soll, und unser Obermeister sagt: „Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibet es allein; wo es aber abstirbt, so bringet es viele Früchte .“ (Joh. 12,24.) Auch hier findet diese Wahrheit ihre Anwendung, und es ist derselbe Gedanke, wenn Goethe im Lehrbrief fortfährt: „Die Worte sind gut, aber sie sind nicht das Beste.“ So wie das Weizenkorn erstirbt, so verhallt auch das gesprochene Menschenwort, das wir als geistiges Werkzeug nicht entbehren können. Gut aber war es nur dann, wenn es ein Widerhall war des ewigen Wortes der Wahrheit; dann wird das Wort zur Tat. Gut ist es nur dann, wenn es jenem keimfähigen Saatkorn gleicht und dadurch geeignet wird, jenes wahre Geheimnis der k. Kunst in unserem Innern auszulösen und zur Wirkung zu bringen. An solchen Früchten wird man die wahren Jünger der k. Kunst erkennen. Diese inneren Errungenschaften der Kunst sind das Beste, das über den guten Worten steht. Gute Worte und gute Taten haben ihren Wert nicht in sich selbst allein, sondern in dem Tüchtigen und Unvergänglichen, das durch sie hervorgebracht ist. Darum heißt es im Lehrbrief weiter: „Das Beste wird nicht deutlich durch Worte. Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste.“ Damit ist ausgedrückt, daß der Geist des Göttlichen sich dem Worte versagt; er ist unaussprechlich. Der Künstler, der durch diesen Geist getrieben schafft, ringt mit der Unzulänglichkeit der Mittel, die ihm zu Gebote stehen. Also ist es auch bei uns. Wir müssen uns genügen lassen, wenn dieser Geist des Höchsten in unserem Kunstwerk nur geahnt wird, und nur in seltenen Augenblicken der Weihe und Begeisterung redet dieser Geist von einem Bruderherzen zum andern. Um diesen Geist haben wir den ewigen Meister zu bitten, und wir haben dafür zu sorgen, daß er nicht gedämpft werde. (1. Thess. 5,19.) (1899. 1904.) Zeichen, Griff und Wort. Die vierte Abteilung unseres Fragebuches, mit welcher die besonderen Fragen für den Johannis-Lehrling beginnen, während die vorhergehenden Abteilungen allgemein maurerische Kenntnisse behandeln, beginnt folgendermaßen: „Sind Sie ein freier und angenommener Johannis-Lehrling ?“ „Meine Brüder Meister und Gesellen erkennen mich dafür.“ „Wie soll ich Sie erkennen?“ „An meinem Zeichen, meinem Handgriffe, meinem Worte und den Umständen meiner Aufnahme zum Lehrling.“ Es folgen nun unmittelbar darauf die Fragen, die von dem eigentlichen Werk der Loge handeln, von der Errichtung der Tempel für die Tugend, von der Bekämpfung der Laster und von der Maurerwissenschaft, der Erhebung des Menschen durch Tugend zum Lichte und dem Geheimnis des Ordens. Über alles dies ist in früheren Vorträgen bereits gesprochen worden. Gleich darauf geht nun das Fragebuch wieder auf die Erkennungsart des Lehrlings ein. Es wird nach dem Zeichen gefragt und die Art, wie der Griff und das Wort zu geben ist, auseinandergesetzt. Ob es wohl ein Zufall sein mag, daß hier die internsten Dinge der k. Kunst mit solchen äußerlichen Dingen, wie die Erkennungszeichen es zu sein scheinen, unmittelbar zusammengestellt worden sind? — Ich glaube nicht. Vielleicht soll gerade diese Nebeneinanderstellung darauf >206< hinweisen, daß Äußerliches und Innerliches in unserem Orden mehr Beziehungen zueinander haben, als es unter anderen Verhältnissen der Fall zu sein pflegt. Und so ist es in der Tat, wenigstens bei uns. In unserer Lehrart werden die Erkennungszeichen in einer Weise gewürdigt, wie es in anderen Systemen kaum der Fall sein dürfte. Die Erkennungszeichen sind etwas für alle anerkannten Logen Gemeinsames; sie sind ein Band, welches alle Brüder auf dem Erdenrunde vereinigt, und man findet nur ganz geringfügige Abweichungen in der Art, wie sie gemacht werden. (Die wichtigste Abweichung ist die, daß in manchen Lehrarten unser Lehrlingswort als Gesellenwort und unser Gesellenwort als Lehrlingswort angenommen worden ist.) Und dennoch, wie verschieden ist ihre Auffassung und der Wert, der ihnen beigemessen wird! Wie viele Logen gibt es, die diese Dinge mit der größten Geringschätzung behandeln, wie viele Brüder gibt es (leider auch bei uns!), die sich nicht einmal die Mühe geben, die Erkennungszeichen ihrem Gedächtnis einzuprägen, da sie doch, wie sie meinen, durch indiskrete Veröffentlichung ihren ursprünglichen Wert längst verloren hätten. Sie halten dies alles, was der Orden uns so sorgfältig mitteilt, für Nebensachen und Formalien und gefallen sich darin, solche nichtige Dinge geflissentlich zu vernachlässigen. Gewiß, es wäre schlimm, wenn wir an der Form festkleben und in ihr erstarren wollten. Aber ebenso schlimm ist es, wenn wir die Form vernachlässigen möchten; Verflachung und Verflüchtigung wäre die notwendige Folge davon. Unser Bemühen muß stets sein, die Form zu betrachten als Träger des Geistes, als kostbares Gefäß, welches den noch kostbareren Inhalt bewahrt. Dies gilt von unserer ganzen Symbolik, von allen Sinnbildern und von allen Gebräuchen, aus denen sich unsere Riten zusammensetzen, und in erster Reihe gilt es von unseren Erkennungszeichen, ja, ich stehe nicht an, zu behaupten, daß Zeichen, Griff und Wort das Wichtigste und Bedeutungsvollste sind, was der Orden uns darzubieten hat. Woher kommt das ? — Weil, wie wir sehen werden, in diesen dreien die Mittel und Methoden, die wir auf uns anzuwenden haben, und die Wege, die wir gehen sollen, verborgen liegen, und weil durch sie am lebendigsten und unmittelbarsten das Werk der k. Kunst in uns in Angriff genommen wird. Sie sind also Werkzeuge, und zwar die wichtigsten von allen. Darum wird auch jeder Neuaufgenommene unmittelbar, nachdem die Weihe und Einkleidung vollendet ist, zu allererst in der Erkennungsart genau unterrichtet. Die Erkennungszeichen werden ihm eingeprägt, sie haften an ihm. Schurz und Kelle legt er ab, aber jene Merkmale nimmt er mit nach Hause; er trägt sie mit sich herum, und sie sollen ihm stets zur Hand sein, nicht bloß als Mittel zur Legitimation, wenn er eine andere Loge besuchen oder sich jemandem als Bruder vorstellen will, sondern als die allgemeinen charakteristischen Merkmale, die ihn als Freimaurer ausweisen. Es wird gefragt: „Sind Sie ein freier und angenommener Johannis-Lehrling ?“, und die Antwort lautet: „Meine Brüder Meister und Gesellen erkennen mich dafür.“ Und weiter: „Woran soll ich Sie erkennen?“ — „An meinem Zeichen, meinem Handgriffe, meinem Worte und den Umständen meiner Aufnahme zum Lehrling.“ Das soll nicht bloß heißen: Ich verstehe das Zeichen zu machen, den Griff zu geben, ich weiß das Wort und erinnere mich, wie es bei meiner Aufnahme zugegangen ist; sondern das bedeutet: Ich hin bestrebt, durch mein ganzes Wesen das Zeichen zu verwirklichen, und wer mit mir in Berührung kommt, soll empfinden, daß ich Maurer bin, zumal der Bruder, der es selbst ist, denn das Licht, das vom Worte ausgeht, durchleuchtet mich und lehrt mich, das, was der Orden mir bietet, nicht bloß in meinem Gedächtnis festzuhalten, sondern als unschätzbares Mittel zu gebrauchen, um das Licht in meinem Innern zu vermehren. Die Symbolstürmer freilich werden kommen und sagen: Du hast Unrecht! Diese Zeichen sind und bleiben doch nichts als äußerliche Dinge, kaum gut genug, sich beim Besuch einer Loge zu legitimieren. Das, was du da sagst, soll doch weiter nichts heißen als: der wahre Maurer wird allein aus seinen Gesinnungen und Taten erkannt. — Ganz gewiß, kann ich darauf erwidern; aber ihr habt dennoch nicht recht. Treue und aufrichtige Gesinnungen und edle Taten werden auch außerhalb der Loge vielfach an Leuten wahrgenommen und von ihnen vollbracht, die von der Freimaurerei keine Ahnung haben, und in deren Innern es trotz des schönen Scheines dunkel und ungeordnet genug aussehen kann. Denn die Freimaurerei besteht nicht bloß in guten Gesinnungen und Taten, die sich bei dieser oder jener Gelegenheit bemerklich machen, sondern sie ist eine Kunst, durch welche der ganze Mensch harmonisch nach allen Richtungen ausgestaltet und nach göttlichem Urbild zu einem vollendeten Kunstwerk gebildet werden soll. Denken wir uns einen solchen zum freimaurerischen Ideal geformten >208< Menschen, so wird man sicherlich an ihm jene guten Gesinnungen und Taten wahrnehmen. Das Schönste aber, seine innere Ausgestaltung nach göttlichem Ebenmaß, kann die Welt nicht sehen; nur der Bruder und Freund, der gleich ihm vom Dunkel zum Lichte vorgedrungen ist, kann in sein Inneres schauen und erkennt ihn als Freimaurer an seinen Erkennungszeichen. Tausende gibt es, die Freimaurer heißen, ohne es zu sein; Tausende gibt es, die die Erkennungszeichen genau auswendig wissen, denen sie aber nichts anderes geworden sind als eitle Gebärde und leerer Schall, weil sie niemals auch nur den Versuch gemacht haben, diese Dinge auf ihr Inneres anzuwenden. Der wahre Freimaurer aber, der sich unablässig bemüht hat, sein Inneres zu einem göttlichen Kunstwerk zu formen, zeigt die Erkennungszeichen nicht bloß als äußere Gebärden und Worte, sondern als lebendige Offenbarungen seines inneren Menschen, die nur seine Kunstgenossen an ihm wahrnehmen, weil sie allein ihn verstehen können. Wie dies geschieht, werden wir nunmehr zu untersuchen haben. Die freimaurerische Erkennungsart besteht im Klopfen, im Zeichen, im Griff, im Wort und in der Losung. Unsere Akten sagen, daß der Freimaurer sich durch das Klopfen ankündigt, daß er sich durch das Zeichen als Maurer bezeichnet, durch den Griff dies bekräftigt, durch das Wort seine Kenntnisse besiegelt und daß er durch die Losung den Eintritt in die Loge erlangt. (Vgl. II. Logenbuch, Beilagen, Buchstabe |.) Über das Klopfen und die Losung soll besonders gehandelt werden; uns interessieren zunächst Zeichen, Griff und Wort, welche zusammen betrachtet werden müssen, weil sie ein untrennbares Ganzes bilden und die wichtigsten von allen Erkennungszeichen sind. Deshalb wird beim Unterricht dem Lehrling eingeprägt, daß das Zeichen den Griff und der Griff das Wort fordert. Alle drei stehen in der innigsten Verbindung; eins folgt nicht nur auf das andere, sondern aus dem andern, weil sie sich auseinander entwickeln. Schon die Ausdrücke „bezeichnen“, „bekräftigen“ und „besiegeln“ zeigen eine Steigerung und weisen darauf hin, daß Zeichen, Griff und Wort eine Reihe bilden, und zwar eine psychologische Reihe im Fortschreiten der Erkenntnis. Um dies einzusehen, brauchen wir uns nicht auf das freimaurerische Gebiet zu beschränken, vielmehr finden wir, daß unsere Erkennungsart ein Schema für jede Erkenntnis darstellt. Der Mensch hat fünf Sinne, drei höhere, Gesichtssinn, Tastsinn und Gehörsinn, und zwei niedere, Geruch und Geschmack. Das Erkennen wird hauptsächlich durch die ersten drei vermittelt; sie erregen auf eine uns unbegreifliche Weise die Zentralorgane des Nervensystems und führen dadurch Vorstellungen und Bilder unserer Seele zu, und diese setzt urteilend und schließend aus jenen Vorstellungen sich ein Gesamtbild der Welt zusammen. Auch eine höhere, über die sinnliche Erfahrung hinausgehende Erkenntnis abstrakter Begriffe ist unmöglich, wenn nicht jene sinnlichen Erfahrungen vorausgegangen sind. Denken wir uns einen Menschen, der blind, taub und gefühllos geboren wäre; er könnte vielleicht durch künstliche Ernährung eine Weile am Leben erhalten werden und ein Pflanzendasein führen. Von jeder geistigen Erkenntnis wäre er aber absolut ausgeschlossen, da seiner Seele nicht der Stoff zugeführt werden kann, dessen sie sich, um zu einem höheren Leben zu gelangen, bemächtigen muß, und ohne welchen die vorhandenen geistigen Anlagen unzweifelhaft verkümmern würden. Gesicht, Gefühl und Gehör sind also die notwendigen Vermittler jeder Erkenntnis, nicht bloß der sinnlichen, empirischen, sondern auch der höheren, übersinnlichen. Auf sie weisen Zeichen, Griff und Wort hin; denn das Zeichen erkennen wir durch das Gesicht, den Griff durch das Gefühl, das Wort durch das Gehör. Es ist interessant, zu beobachten, wie diese drei bei dem einfachsten und primitivsten, so wie bei dem höheren wissenschaftlichen Erkennen eine Rolle spielen. Beobachten wir zunächst ein Kind, das anfängt, sich zu entwickeln, und seine Sinnesorgane gebrauchen lernt. Durch den Gesichtssinn wird zunächst seine Aufmerksamkeit auf die Dinge gelenkt, welche es umgeben und sein Interesse erregen. Mit Staunen nimmt es die Dinge wahr, es sieht ihre äußeren Zeichen, und zugleich erwacht der unbezwingliche Trieb, die Dinge näher kennen zu lernen und mit sich selbst in Verbindung zu bringen. Das Kind greift nach dem lockenden Gegenstand, es betastet ihn, ja, es führt ihn unwillkürlich zum Munde, weil in den Lippen und in der Zungenspitze sich die feinsten Tastorgane befinden. So vervollständigt es die Eindrücke, die der Gesichtssinn ihm gegeben hat, durch das Gefühl. Das Zeichen forderte den Griff. Und endlich entringt sich dem Kindermund >210< ein lallender Laut, ein Versuch, dem Dinge einen Namen zu geben, der erste Ansatz zum Wort, durch den sich das Göttergeschenk der Sprache kundgibt, das der Mensch mit der Vernunft empfing. Was das Zeichen gründete, was der Griff verbesserte, das vollendete das Wort, welches der ersten Erkenntnis einen gewissen vollendenden Abschluß gibt. Das Kind auf dem Arme der Wärterin sieht die Gestalt der Mutter nahen; sogleich streckt es seine Ärmchen aus, um die Teure zu umfassen, und in kindischem Jauchzen entringen sich seinem Munde jene ersten Naturlaute, mit denen in allen Sprachen das Kind die Mutter benennt. Das sind die Uranfänge von Zeichen, Griff und Wort. Nehmen wir nun als Gegenbild einen Menschen von größter Reife und höchstentwickelter Intelligenz, etwa einen Naturforscher, und untersuchen wir, wie sich sein Erkennen vollzieht, so werden wir auch hier das Schema von Zeichen, Griff und Wort wiederfinden. Ein Forscher findet ein neues Wesen, ein Tier oder eine Pflanze, die die Wissenschaft bis dahin noch nicht gekannt hat. Zunächst fällt ihm das neue Wesen durch seine äußere Erscheinung ins Auge, er sieht seine äußeren Merkmale und Zeichen. Dabei aber bleibt er nicht stehen. Er bemächtigt sich seiner, er ergreift es und trägt es davon, um seine Natur genau zu untersuchen, ja, er zerlegt es, um sein Inneres zu erforschen. Wenn er so mit Fleiß und Eifer alles angewendet hat, um das neue Wesen ganz zu erkennen, dann gibt er ihm einen Namen, er erfindet ein Wort, das ein Ausdruck für das Wesen selbst sein soll. Einen Namen geben kann nur der Mensch, der, weil er mit Vernunft begabt ist, Anteil hat am göttlichen Wort. Darum heißt es 1. Mos. 2, 19 u. 20: „Als Gott der Herr gemacht hatte von der Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, da brachte er sie zu dem Menschen, daß er sehe, wie er sie nennete; denn wie der Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen. Und der Mensch gab einem jeglichen Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen.“ Noch ein Beispiel. Die wunderbarste Verbindung auf Erden ist die von Mann und Weib. Zu ihrer Schließung gibt den ersten Anreiz die äußere Gestalt. Aus diesem Reiz entspringt die Sehnsucht zur Vereinigung. Aber diese Vereinigung entbehrt der Vollendung, wenn sie sich nicht vollzieht im Wort und durch das Wort, d.h. durch die Geisteskraft, durch welche die getrennten Geschlechter zu einem, zu dem wahren Menschen vereinigt werden. Eine Ehe, die nicht durch diese Stadien gegangen ist, ist keine in höherem Sinne gesetzmäßige, verbesserte und vollkommene. Nach dem Gesagten ist es leicht zu erkennen, welche tiefgreifende Bedeutung Zeichen, Griff und Wort für die k. Kunst haben. Diese Bedeutung gibt sich uns nach zwei Richtungen hin kund: Zeichen, Griff und Wort sind uns 1.) 2.) Mittel zur freimaurerischen Erkenntnis des Lichtes und der Wahrheit; sie sind uns Mittel zur Erweckung unseres inneren Lebens durch Übung. Zunächst also: Wie gelangt der Freimaurer zum Licht und zur Wahrheit? — Wenn der Orden uns in seiner Kunst unterweist, so stellt er dieselbe stets als ein Bauen dar. Der Name „Freimaurerei“ weist allein schon darauf hin, und zahlreiche, der Bauhütte entnommene Sinnbilder bestätigen das. Ein geistiges Bauen ist es, das wir in der Loge lernen sollen, und es ist unzweifelhaft, daß die Architektur uns auch für ein geistiges Bauen die Wege weist. Verweilen wir also zunächst einen Augenblick bei ihr. — Jeder Lehrer einer Kunst macht es dem Schüler zur Pflicht, die Meisterwerke derselben kennen zu lernen und zu studieren. Setzen wir uns nun an die Stelle eines solchen Kunstjüngers. Sein Meister schickt ihn an einen Ort, wo ein herrliches Bauwerk aufgerichtet steht, ein vollendetes Meisterwerk der Architektur, sei es ein Tempel, eine Kirche, ein Palast, ein Schloß, oder was sonst immer. Der erste Eindruck, den der Schüler erhält, ist ein äußerlicher, durch den Gesichtssinn gewonnener. Er sieht das Gebäude auf wagerechtem Grunde aufgerichtet, zum Himmel anstrebend. Überall, wo er hinsieht, bemerkt er den rechten Winkel. Er schwelgt in der Harmonie der Linien und Verhältnisse, die die Fassade ihm darbietet, aber überall spürt er das Gesetz, das den Meister trotz aller Freiheit des Schaffens gebunden hielt. Der rechte Winkel ist es, der alles beherrscht, und auf den sich alle Schönheit und alles Ebenmaß, selbst da, wo sich Bogen und geschwungene Linien zeigen, zurückführen läßt. — Aber bei diesen äußeren Zeichen der Schönheit bleibt der Schüler nicht stehen. Sie haben sein Interesse erregt, tiefer einzudringen und den Spuren des Meisters weiter nachzugehen. So geht er hinein in das Innere, und Staunen ergreift ihn über den wohlgefügten Zusammenhang des Ganzen. Er bewundert die Konstruktion, das festgelegte Fundament, die wohlgefügten Verbände der >212< Mauern, den leicht und doch sicher gefügten Dachstuhl. Alles greift ineinander; überall findet er Festigkeit, Sicherheit, Dauerhaftigkeit, mit einem Wort: er findet Stärke, und diese Erkenntnis steigert in ihm die Ehrfurcht vor dem Meister, der das Werk schuf. — Was aber wäre alle Schönheit und alle Festigkeit des Baues wert, wenn das Werk nicht dem Zwecke voll entsprechen möchte, dem es dienen soll. All seine Vorzüge wären dann hinfällig und eitel Täuschung und Lüge. Der erfindende Künstler mußte die Idee, der sein Kunstwerk dienen sollte, in vollkommener Wahrheit erfassen; sie mußte in ihm lebendig werden als Wort, als Sinn, der sich als Kraft bewähren und als Tat in die Erscheinung treten mußte, und aus diesem Wort heraus mußte er schaffen, in Stärke und Schönheit. Der Kunstjünger aber, der in wonnigem Erschauern die Weisheit des Erfinders erkennt, taucht hinab in den Geist des Meisters und seinen Spuren folgend wird er eins mit ihm. Die Wahrheit, die den Schöpfer durchdrang, wird auch ihm offenbar, und das Licht, das den Meister erleuchtete, strahlt auch in seinem Inneren. So wird der Lehrling — auch der der profanen Architektur — inne, daß Weisheit, Stärke und Schönheit die unerschütterlichen Grundpfeiler jedes vollkommenen Baues sind: Weisheit zum Unternehmen, Stärke zum Ausführen, Schönheit zum Schmücken (Fragebuch III. Abt., 3. Art., Frage 7 bis 9); und in diesen drei Kennzeichen der Vollkommenheit finden wir Freimaurer auch unsere drei Erkennungsmerkmale — in umgekehrter Reihenfolge — wieder: Zeichen, Griff und Wort. Auch die Freimaurerei als geistige Baukunst führt ihren Lehrling vor ein Meisterwerk, das er studieren soll; das ist die Natur, das ewige Bauwerk der Welten, das der große Meister aufgerichtet hat, der die Quelle von aller Weisheit, aller Stärke und aller Schönheit ist. Die königliche Kunst öffnet ihrem Lehrling zunächst die Augen für das göttliche Gesetz, das im Weltenbau überall waltet, im größten wie im kleinsten. Sie zeigt ihm den rechten Winkel und lehrt ihn die „unzähligen Zeichen“ erkennen, welche, wie unser Fragebuch sagt, gemacht werden „durch Darstellung von Winkeln, wassergleichen und senkrechten Linien. Sie übt des Lehrlings Blick, das Walten dieses Gesetzes zu erkennen und zu verstehen. Und dieses Verständnis des Gesetzes führt den Lehrling weiter. Das Zeichen fordert den Griff. Griff bedeutet nichts anderes als „Vereinigung“, „Zusammenhang“. Es ist eine notwendige Folge des Waltens des Weltgesetzes, daß die einzelnen Teile der Schöpfung nicht getrennt für sich bestehen können, sondern sich vereinigen müssen zum Ganzen. Nur, wo ein solches Gesetz nicht waltet, würde Trennung, Widerspruch und Kampf stattfinden. Wenn dies trotzdem der Fall ist, so weiß doch der, welcher das Gesetz gefunden hat, daß aller Widerstreit in der Natur nur scheinbar und darum vorübergehend ist, und daß jede Trennung endlich zur Vereinigung führt, daß jeder Kampf mit dem Siege der Wahrheit enden muß, und daß jeder Widerspruch sich endlich auflöst in der ewigen Weltenharmonie. — Der Griff endlich fordert das Wort. Zwar bleibt dem Staubgeborenen die letzte Lösung des Welträtsels verschlossen; den Sinn und das Endziel der Schöpfung wird er nie ganz ergründen. Aber die Ahnung von dem Wort, das im Anfang war, das bei Gott, und das selbst mit Gott eins war, und durch das alle Dinge gemacht sind, geht ihm auf. Er empfindet, daß im ewigen Worte das Leben und das Licht der Menschen ist. (Joh. l, l bis 4.) In diesem Lichte lernt er sich erst als Mensch fühlen, als das auserwählte Wesen der Schöpfung, das durch seine Vernunft Anteil hat an dem Wort, und so wie der Schüler des irdischen Baumeisters sich in den Geist seines Vorbildes versenkt, so taucht der Maurer unter in den Geist des großen Architekten der Welt als Teilhaber und Miterbe seines Lichtes und seiner Wahrheit, deren Verständnis ihm aufgeht durch Zeichen, Griff und Wort. — — — Wenn der Maurer nun zu solcher Erkenntnis gelangt ist, dann beginnt für ihn erst der schwierigste Teil seiner Aufgabe: die Anwendung von Zeichen, Griff und Wort auf sich selbst zur Erweckung seines inneren Lebens durch Übung. Dem Lehrling wird der rechte Winkel gewiesen als das göttliche, überall waltende Gesetz. Er mußte, als noch die Binde sein Auge umhüllte, seine Füße in einen rechten Winkel stellen, er mußte rechtwinklige Schritte tun, sein Knie ruhte auf dem rechten Winkel, als er sich dem Orden angelobte, den rechtwinklig geöffneten Zirkel setzte er sich selbst auf das Herz, und mit dem Hammer, dem doppelten rechten Winkel, erhielt er die Weiheschläge. Und endlich erhielt er Unterricht, wie man das Zeichen macht und wie man sich in das Zeichen stellt. Alles >214< dieses — und das letztere zumeist — soll ihn darauf hinweisen, daß es fortan seine Maurerpflicht ist, das Gesetz des göttlichen Lebens an sich und in sich zu erwecken und zum Ausdruck zu bringen. Die Unendlichkeit liegt vor ihm ausgebreitet, wo er in unzähligen Zeichen die Wirksamkeit des Gesetzes wahrnehmen kann. Ebenso unendlich aber wie die Tiefen des Weltalls ist die Tiefe seines Inneren, die er in freier Tätigkeit des Geistes, ein Schöpfer seiner eigensten Welt, mit den Manifestationen des Zeichens zu erfüllen hat. Das Lehrlingszeichen wird gemacht, indem man die rechtwinklig geöffnete Hand an den Hals legt (Winkelmaß), dann die Hand wagerecht gegen die rechte Schulter zieht (Wasserwaage) und sie alsdann senkrecht gegen die rechte Hüfte niederfallen läßt (Senkblei). Das Zeichen bedeutet, wie das Fragebuch (IV, 8) mit Beziehung auf den alten Eid sagt, „daß man sich eher den Hals durchhauen lassen wolle, als das geringste von den Geheimnissen des Ordens zu offenbaren“. Das Zeichen trennt gleichsam mit einem scharfen Schnitt das Haupt vom Körper, den Sitz des Geistes von unserm irdischen Teil, wo Leidenschaften und Begierden ihren Sitz haben. Es ist wie eine Scheidung des Lichts von der Finsternis, das erste Tagewerk der Neuschöpfung, die der angehende Maurer in seinem Inneren aufzurichten beginnt. Sein Leben setzt der Lehrling ein für die Bewahrung seines hohen Freimaurerberufs, und die erste Erfüllung dieses Berufes ist eben die Betätigung des Zeichens, des rechten Winkels, an sich selbst. Der Logenbrauch schreibt vor, daß niemand sich dem Meister nahen soll, ohne die Hand rechtwinklig an den Hals zu legen. Was wäre diese Vorschrift wert, wenn wir sie nicht auf unser ganzes Leben anwenden wollten! Jeder Schritt, den wir auf unserer Lebensbahn vorwärts tun, soll uns dem Meister näher bringen, und wenn wir dem ewigen Meister nahen und zu ihm kommen wollen, müssen wir „in Ordnung“ sein. Der Logenmeister ruft uns durch den Schlag seines Hammers in Ordnung, und wir stellen uns in das Logenzeichen. Der Hammerschlag des ewigen Meisters, der uns in Ordnung zwingt, soll uns in jedem Pulsschlag unseres Herzens erschallen; denn des Ordens strenges Gebot erheischt, „daß wir die uns aufgegebene Arbeit fortsetzen ohne sie zu schließen“, und daß wir sie erst dann schließen, „wenn es dem gefällt, der die Arbeit regiert“ (Fragebuch IV, 22, 23). Und ferner heißt es (Fragebuch II, 3., Frage 19 und 20): „Der Freimaurertag reicht von dem Anfange des Jahres bis zu des Jahres letztem Tage; dadurch geben wir zu erkennen, daß die Freimaurer Tag für Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat und von einem Jahre bis zu dem andern arbeiten“. Arbeiten aber heißt zunächst: im Zeichen stehen und das Zeichen machen. Wenn wir uns ins Zeichen stellen, so erscheinen wir in Ordnung vor dem ewigen Meister; das will sagen: unsere Geisteskräfte sind auf sein heiliges Wesen gerichtet, und alles, was den Dienst, zu dem wir vor seinem allsehenden Auge berufen sind, stören könnte, ist weit von uns entfernt. Wenn wir aber das Lehrlingszeichen durch Beschreibung eines großen rechten Winkels machen, wie der Logenmeister bei der Arbeit und der ewige Meister in jeder Minute unseres Daseins es fordert, so heißt das: wir schneiden uns rechtwinklig zu und formen uns durch Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei zum Kubus, aus dem Rohmaterial des Bruchsteins zu einem vollkommenen Baustück, das würdig sein soll, in den großen Tempelbau eingefügt zu werden. Nicht mit äußerer Gebärde tun wir das, sondern durch die äußere Gebärde, die wir entweder wirklich machen oder im Geiste an uns vollziehen, soll ein Vorgang in unserem Inneren ausgelöst werden, der alle unsere geistigen Kräfte nach einer Richtung hin zwingt und auf das eine große Ziel hinleitet. Wie unendlich schwer es ist, in dieser Weise das Zeichen zu üben, das wird jeder erfahren, der mit ganzem Ernst an diese Arbeit geht. Es erscheint dem Anfänger fast eine Unmöglichkeit, das Zeichen immer festzuhalten. Wie vieles durchkreuzt uns und will uns niederwerfen, wenn wir aufrecht bleiben und uns rechtwinklig stellen wollen! Wie viele Störungen treten von außen an uns heran, erregend, verwirrend und von unserer Maurerarbeit, die doch keine Unterbrechung erleiden darf, uns ablenkend! Und wie viele Hemmnisse steigen erst aus unserm Inneren herauf, Leidenschaften, Begierden, unreine Gedanken aller Art, die dem Lichte den Eingang verwehren und Finsternis in uns heraufbeschwören! Wie viele andere Dinge nehmen uns in Anspruch, wieviel haben wir zu tun mit Berufsgeschäften und anderen profanen Sachen! Wie viele Sorgen drücken uns und wie viele sog. Lebensgenüsse zerstreuen uns! Und doch muß das alles überwunden werden. Der Kaufmann bei seinen Rechnungsbüchern, der Beamte in seinem Bureau, der Arzt am Krankenbett, der Offizier im Kugelregen darf das >216< Zeichen nicht verlieren; im tiefsten Leid, ebenso wie in überschäumender Freude muß uns unsere Maurerpflicht und unsere Aufgabe gegenwärtig bleiben. Wem das unausführbar scheint, der möge nicht von sich behaupten, daß er die k. Kunst treibe. Jede Kunst erfordert Übung, unausgesetzte, energische, gewissenhafte Übung. Wer sich der Übung nicht unterziehen will, für den wird die Kunst eine eitle Spielerei, und er hätte besser getan, sich gar nicht damit abzugeben. Jede Kunst ist schwer, und die k. Kunst ist die allerschwerste, und der Weg zum Leben ist steil und dornig. Aber der Orden verlangt von uns nichts Unmögliches. Darum sage niemand: das ist unausführbar, was du verlangst! — Versuche es nur, geliebter Br. Lehrling, und du wirst dich überzeugen, daß dir, vorausgesetzt, daß du fleißig bist, das Zeichen immer leichter wird. Einem Musiker, der auf seinem Instrumente übt, erscheint oft eine Passage unausführbar; mit Eifer und Mühe aber bekommt er sie endlich doch heraus. So ist es auch hier. Darum Mut und Ausdauer, lieber Lehrling; du wirst zu deiner Freude erfahren, daß, je mehr du gelernt hast, Schwierigkeiten zu überwinden, dir das, was noch vor dir liegt, um so leichter werden wird. Nun aber weiter! Das Zeichen fordert den Griff. Daß der Griff Vereinigung, Zusammenfügung bedeutet, haben wir schon gesehen. Der Griff des Lehrlings aber zeigt uns die erste Berührung zweier Brüder, die sich vereinigen zum gemeinsamen maurerischen Werke. Der Lehrlingsgriff ist, wie das Zeichen, das Einfachste von der Welt; er macht sich gleichsam von selbst; denn wenn zwei Brüder sich die rechte Hand reichen, so fallen die Daumen, ohne lange zu suchen, auf die Knöchel der Zeigefinger. Und doch erfordert auch der Lehrlingsgriff lange und schwierige Übung. Das Zeichen kann ich allein machen, da bin ich ganz auf mich selbst gestellt. Zum Griff aber gehören zwei, ein Ergreifender und ein Ergriffener, und nur dann kann der Griff die rechte Wirksamkeit haben, wenn jeder von beiden zugleich ein Ergreifender und ein Ergriffener ist. Die Hände, die sich gegeneinander ausstrecken, um sich im Griff zu vereinigen, müssen erst gelernt haben, das rechte Zeichen zu machen, wenn der Griff gelingen soll. Warum nun berühren wir im Lehrlingsgriff den Zeigefinger des Bruders? — Wenn wir jemand auf etwas hinweisen, etwa ihm einen Weg weisen wollen, so gebrauchen wir dazu den Zeigefinger der rechten Hand. Am Eingange unseres Ordens finden wir einen solchen Wegweiser, der uns nicht nur die Bahn zeigt, die wir zurückzulegen haben, sondern auch auf das fernste Ziel hindeutet, das uns am Ende dieser Bahn entgegenleuchtet: Johannes den Täufer. Unsere Johannislogen sind ja nach ihm benannt, nicht in althergebrachter Weise, sondern weil der Geist und die Lehre des Täufers mit unserer Ordenslehre und namentlich mit der Lehre der drei ersten Grade in innigster Beziehung stehen. Fast immer, wenn wir Johannes durch die bildende Kunst dargestellt sehen, finden wir ihn mit erhobenem Zeigefinger entweder gen Himmel oder auf Christus oder auf ein Kreuz hindeutend. (z.B. Raffaels Madonna di Foligno im Vatikan, desselben Meisters jugendlicher Johannes in den Uffizien zu Florenz, die Johannisstatue Thorwaldsens in der Frauenkirche zu Kopenhagen und viele andere.) Sein erhobener Finger will uns sagen, daß seine Lehre nicht in Worten und Formeln besteht, sondern in dem selbständigen Beschreiten eines bestimmten Weges, des Weges der inneren Umwandlung und geistigen Erneuerung. Wenn ich nun die Hand meines Bruders ergreife und ihm den Zeigefinger drücke, so heißt das: wir beide haben die gemeinsame Aufgabe, den Weg zu gehen, den Johannes uns gewiesen hat. In der Lösung dieser Aufgabe und durch sie „vereinigen wir uns“, wie der Orden vom Lehrlingsgriff sagt, „zur stärksten und innigsten Freundschaft, welche ewig, mithin von Glied zu Glied, dauern soll“(II. L. B., Beil. 8.54). Wir sind vereinigt durch ein Band, das selbst der Tod nicht auflösen soll; denn unser Ziel liegt in einem höheren Sein. Wir sind Brüder, Kinder desselben ewigen Vaters, als welche wir uns erkennen; wir sind Ergreifende und Ergriffene; ich ziehe dich hinan, wenn du wanken willst, und du ziehst mich, wenn mir die Kraft versagt; so sind wir nicht bloß vereinigt, sondern wir werden endlich eins durch den Griff. Wenn wir den Griff so auffassen, kann es da noch zweifelhaft sein, daß seine Bildung und Anwendung ebenso schwierig ist als das Zeichen? Zwei Menschen, die sich im Griff vereinigen, sollen eins werden, zwei Seelen sollen ineinander verschmelzen wie zwei Wassertropfen, die sich berühren. Wie viele Hindernisse aber stehen zwischen beiden! Naturanlagen, Erziehung, Ausbildung, das Leben in der Welt prägen verschiedene Persönlichkeiten, schroff sich gegenüberstehende Charaktere, die einander so unähnlich sind wie die rauhen Bruchsteine auf dem Bauplatz. Alle diese Verschiedenheiten aber müssen überwunden werden durch unablässige Maurerarbeit, sonst können sich die Steine nicht fest >218< zusammenfügen, und wo es nicht gelingt, vollkommen glatte Flächen herzustellen, da muß, wo sich auf der einen Seite eine schroffe Hervorragung zeigt, auf der andern Seite eine Einsenkung sein, welche jene in sich aufnimmt, wo Härte ist, muß Sanftmut ihr gegenüberstehen, wo Schroffheit waltet, muß Liebe, die Allüberwinderin, sie auszugleichen suchen. Alles das ist ungemein schwer; es erfordert eine große Kraft, Hingebung und Ausdauer. Diese Arbeit aber, die Übung des Griffs, ist schwer, aber unerläßlich für den, der zur Vollendung gelangen will, und diese Vollendung liegt — im Wort. Im Wort spricht sich das Göttliche, das Ewige aus, und in dem Wort, das der Orden uns mitteilt, haben wir den Anteil zu erkennen, den der staubgeborene Mensch an dem göttlichen Wesen besitzt, jenen Funken des Lichtes, den ihm der Schöpfer als sein Heiligstes und Köstlichstes in das Erdenleben mitgegeben hat. Die Entwicklung dieses Kleinods zur Vollendung, bis das göttliche Licht uns ganz durchdringt und wir in ihm mit unserm göttlichen Ursprunge wieder vereinigt sind, ist das höchste Ziel unserer k. Kunst. Aber dieses Ziel liegt in weiter Ferne, und der Weg dahin ist lang und schwer. Das Kleinod des Wortes liegt anfangs in uns verschlossen wie in einem Schrein, zu dem wir erst den Schlüssel suchen müssen, und diesen Schlüssel finden wir im Zeichen und im Griff; denn so wie das Zeichen den Griff forderte, so fordert der Griff das Wort. Durch diese beiden wird unser Inneres vor uns selbst aufgeschlossen, aber nicht etwa so, daß wir gleich die Vollendung zu umfassen vermögen, vielmehr zeigen sich uns zunächst nur die ersten Strahlen dieses Lichtes, wie sie das Lehrlingswort uns darbeut. Auch das Wort muß geübt werden wie das Zeichen und der Griff; Salomos Siegel hat uns zwar die Zunge gelöst, aber wir müssen erst sprechen lernen. Wir wissen wohl, wie das Wort heißt, aber wir besitzen es noch nicht. Wir müssen es ergründen, ergreifen und endlich verteidigen, d.h. ganz mit ihm eins werden, so daß wir nur mit unserm Leben es aufgeben können. Dies lernen wir in der Art und Weise, wie wir im Verein mit dem Bruder, mit welchem wir im Griff vereinigt stehen, das Wort zu geben haben. In dieser Art erkennen wir Zeichen und Griff wieder, die uns endlich zum Wort führen. Wie bekannt, müssen die beiden, die sich durch das Zeichen erkannt und durch den Griff miteinander verbunden haben, das Wort buchstabenweise zusammensetzen, indem sie sich die einzelnen Zeichen abwechselnd nennen, dann erst kommt die Zusammenfügung (Griff) durch Aussprechen der Silben, dann endlich sind sie erst zum vollen Wort gelangt und sprechen es beide zusammen aus. Was ist das anderes, wenn der Apostel Paulus sagt: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ (1. Kor. 13, 12.) Zum Worte gelangt sein, heißt: das Göttliche um sich und in sich selbst begriffen haben. Zu der vollen Vollendung des Wortes war nur Einer gelangt, der da selbst das im Fleische erschienene Wort genannt werden durfte, das große Wort der Wahrheit und des Lebens, in dem das Licht der Menschen ist, und von dem das Lehrlingswort das erste Lallen des Kindes gleichsam darstellt. Und dieses Lehrlingswort, was bedeutet es? — Das hebräische Zeitwort, von welchem es herkommt, bedeutet „aufrichten“, und das Wort selbst bedeutet, „er hat aufgerichtet“. Wer das ist, kann nicht zweifelhaft sein; aufrichten heißt soviel wie hinstellen, in die Erscheinung treten lassen, schaffen, und zu schaffen vermag nur Einer — Gott. Das Lehrlingswort, wenn ich es außer mir suche, zeigt mir also den Schöpfer aller Dinge, und wenn ich es in mir selbst finde, zeigt es mir meinen Schöpfer, der mich aufgerichtet, mich aufrecht hingestellt hat, das Haupt erhoben zu seinen Sternen; es zeigt mir den ewigen Vater, meinen Vater, dessen Kind ich bin, von dessen ewigem und heiligem Wesen ein Funke in mein Inneres gelegt ist, durch den ich vor allen übrigen Geschöpfen den Vorzug erlangt habe, den ewigen Vater zu ahnen und mich anbetend ihm zu nahen. Das ist das Merkmal meiner göttlichen Abkunft, meine Legitimation und mein Freibrief, durch den ich mich ausweise als Mensch, als letztes Glied der Schöpfung, als Herrn der Erde. Und wenn zwei Maurer miteinander buchstabenweise das Wort suchen, silbenweise zusammensetzen und endlich es ganz aussprechen, so bedeutet das, daß einer im anderen die göttliche Abkunft gefunden und mithin erkannt habe, daß sie Kinder eines Vaters, also Brüder sind. Die Kirche lehrt uns dieselbe Wahrheit, wenn sie im ersten Glaubensartikel sagt: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erde“; aber es ist doch ein anderes, wenn der Orden uns an die lange und schwierige Arbeit der Übung unserer Kunst stellt, die durch die Erkenntnis des Wortes gekrönt wird. Dem Bekenner des Katechismus kann jene Formel sein Leben lang eine tote Satzung bleiben; dem Freimaurer, der die Wege >220< der k. Kunst wandelt, muß sie zur lebendigen Wahrheit werden, die ihn ganz durchdringt und mit heiligem Licht durchflutet, eine Wahrheit, die sein unverlierbarer Besitz geworden ist, den keine Macht der Welt ihm zu rauben vermag. Goethe spricht dasselbe aus, wenn er sagt: „Ich glaube einen Gott! Das ist ein schönes, löbliches Wort; aber Gott anerkennen, wo und wie er sich offenbare, das ist eigentlich die Seligkeit auf Erden.“ Das ist die Lehre von Zeichen, Griff und Wort, eine Lehre, die so einfach und schlicht ist, wie nur etwas sein kann, und die doch so groß, so gewaltig, so allumfassend ist, eine Lehre, die so wenig erkannt und noch viel weniger geübt wird. Trotzdem hält die ganze Maurerwelt instinktiv an ihren Erkennungszeichen fest, obschon so unendlich viele Brüder, ja ganze maurerische Verbände keine Ahnung davon haben, welchen Schatz sie in diesen unscheinbaren Dingen besitzen. Die Erkennungszeichen bilden noch heute das Element, das allen maurerischen Verbänden gemeinsam ist. Wäre es möglich, ihre richtige Würdigung und Anwendung auf den inneren Menschen durch alle jene Kreise zu verbreiten, so könnten sie zum festesten Band der Eintracht werden, vor welchem alle Streitigkeiten, die sich nur um Nebensachen und nichtige Dinge drehen, dahinschwinden möchten. Nicht in schönen Reden von Bruderliebe und Menschheitsbund, nicht in Wohltätigkeitsanstalten und Aufbringung von Mitteln für solche liegt das Heil der Zukunft unseres Bundes, sondern einzig und allein in der rechten Maurerarbeit. Jenes alles können die Profanen auch, aber unsere Maurerarbeit, d.h. die Anwendung der Mittel und Werkzeuge unserer Kunst, haben wir für uns allein. Darum halte fest, was du hast, o Lehrling, daß niemand dir deine Krone raube! Du ahnst noch nicht, was dir weiter bevorsteht; denn von allen den Graden, die du noch zu beschreiten hast, hat jeder ein anderes Zeichen, einen anderen Griff und ein anderes Wort. Die Zeichen werden, je weiter wir steigen, immer deutlicher und eindrucksvoller, sie erstrecken sich über unser ganzes Wesen; die Griffe werden immer inniger, fester und unverbrüchlicher, sie verbinden uns mit unseren Brüdern und miterschaffenen Wesen zur untrennbaren Vereinigung, und das Wort wird immer lauter, deutlicher, eindringlicher, das Licht, das uns daraus durchleuchtet, immer heller und mächtiger, und so wie die Zeichen und Griffe aufsteigende Reihen bilden, so bilden die Worte aller Grade einen Spruch, der in seiner Einfalt und Schlichtheit alle Weisheit der Welt in sich schließt. Darum, o Lehrling, auf zur Arbeit! Die Mühe ist groß, aber der Lohn ist wunderbar und herrlich; denn „was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört und auch in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben“. (1. Kor. 2, 9.) Darum arbeite unverdrossen und sei treu! Möge an dir und mir das Wort zur Wahrheit werden: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ (Offenb. 2, 10.) (1904.) >222< Die Losung des Lehrlings. Die königliche Kunst der Freimaurerei ist Erziehung des Menschen im eminentesten Sinne des Wortes. Allen erziehenden Faktoren, die auf uns eingewirkt haben, der Erziehung des Elternhauses, der Schule, den religiösen Gemeinschaften, den sozialen Verbänden, in welchen wir uns bewegen, den Wissenschaften und Künsten, denen wir zur Ausbildung unseres Geistes obliegen, sucht sie das Siegel der Vollendung aufzudrücken und alle Einzelbestrebungen unter große allgemeine Gesichtspunkte einheitlich zusammenzufassen. Die höchste Höhe des Menschentums ist ihr Ziel; die Vereinigung des Endlichen mit dem Ewigen, des Menschlichen mit dem Göttlichen ihr letzter und höchster Zweck. Groß und bedeutungsvoll ist der Apparat, den die Freimaurerei gebraucht, um ihr Werk an uns zu vollenden, und eigentümlich und nur ihr allein angehörig ist die Methode, welche sie anwendet. Diese Methode ist die des Mysteriums, d.h. sie sucht uns auf einen verborgenen Weg hinzudrängen, den jeder sich selbst aus eigenen Kräften suchen, ja sich erst durch eigene Arbeit selbst schaffen muß, einen Weg, der jedem anderen ein Geheimnis bleibt, es sei denn, er entschlösse sich, ihn gleichfalls aufzusuchen und zu wandeln. Was der Meister dem Lehrling geben kann, das sind nur, neben dem unablässig wiederholten Vorwärtsruf, die Mittel, wie sie von Geschlecht zu Geschlecht uns als förderlich überliefert worden sind. Die Anwendung derselben ist dem Fleiße jedes einzelnen anheimgegeben. Wenn nun Maurerarbeit gedeihen soll, so wird es vor allem notwendig sein, diese eigentümlichen Mittel ihrer Natur und ihrem Wert nach kennen zu lernen. In den Gebräuchen der Aufnahme, in den Symbolen und vor allem in Zeichen, Griff und Wort sind, wie ich im vorhergegangenen Vortrage nachzuweisen versucht habe, jene Mittel und Wege verborgen. Zu den Erkennungszeichen wird nun dem angehenden Maurer endlich eine Losung mitgeteilt, welche dienen soll, „den Eintritt in die Loge zu erlangen“. Alles dies sind Dinge, welche sich dem eifrig Suchenden als Träger der tiefsten freimaurerischen Geheimnisse und als Wegweiser auf den verborgenen Wegen, die er zu wandeln hat, darstellen. Jene Gebräuche und Bilder stellen die Wege und den Inhalt der Freimaurerei in der umfassendsten und detailliertesten Form dar, und zwar, wie aus der Natur der Sache hervorgeht, von zwei verschiedenen Seiten. Doch dunkel und rätselhaft liegen diese Hieroglyphen noch vor des Neulings Blicken. Er steht ihnen noch passiv gegenüber, und selbst mit der Kelle, die auf seinem Herzen ruht, weiß er noch nichts Rechtes anzufangen, obwohl er über ihren Gebrauch unterrichtet worden ist. Erst durch den Unterricht im Klopfen, in Zeichen, Griff und Wort und in der Losung gelangt er zu der ersten aktiven Tätigkeit in der Loge. Die selbständige Anwendung dieser Dinge ist das erste, was von ihm als Handlung gefordert wird, wenn die Bbr. Aufseher ihn zum Meister schicken, daß er sich ihm zu erkennen gebe. Die umfassende Darstellung des freimaurerischen Weges durch Handlungen und Bilder wird nun in den Erkennungszeichen in eine äußerst knappe, präzise Form gebracht. Der psychologische Weg, der uns vom Zeichen zum Griff, vom Griff zum Wort führt, faßt das Wesen unserer Sache von einer ganz neuen Seite, und wir erhalten in diesen drei unscheinbaren Dingen die Mittel, in jedem Augenblick das Geheimnis der Freimaurerei an uns und in uns lebendig und wirksam zu machen; ja, es gibt noch eins, das mit der Blitzesschnelligkeit des Gedankens uns das ganze vor die Seele führt, das ist das Klopfen. (Vgl. den betreffenden Vortrag.) Wieder eine andere eigentümliche Seite des freimaurerischen Werkes liegt in der Losung oder vielmehr in den Losungen, denn jeder unserer Grade hat eine besondere Losung. Es geschieht häufig, daß Wort und Losung miteinander verwechselt werden. Davor ist zu warnen. Die Worte unserer Grade stehen mit den Losungen, wenigstens in den sog. Arbeitsgraden, in keinem unmittelbaren Zusammenhang; nur auf den beiden höchsten Wissensstufen des Ordens sind Wort und Losung auf das engste verbunden; sie erscheinen untrennbar >224< als Frage und Antwort, als Vordersatz und Nachsatz. Auf den übrigen Ordensstufen bedeutet das Wort überall den vollen Inhalt des betreffenden Grades, gleichsam seine Quintessenz, zu welcher wir durch die Arbeit mit Zeichen und Griff hingeführt werden. Die Losungen dagegen, welche mehrfach etwas Persönliches bezeichnen, zielen auf das Individuum, das die Berechtigung erhalten hat, an der Arbeit des betreffenden Grades teilzunehmen, sie drücken einen Standpunkt aus, auf welchen der in dem betreffenden Grade Arbeitende erhoben ist oder sich zu erheben hat. Darum heißt die Losung auch das „Paßwort“; sie ist von dem den Eintritt Begehrenden an den Wachthabenden bei der inneren Tür abzugeben und dient somit als Legitimation, um den Eintritt zu erlangen. Dieser Charakter der Losung als persönliches Merkmal tritt in anderen Lehrarten noch schärfer hervor. In der Großen National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln wird geradezu gefragt: Wie heißen Sie als Lehrling, als Geselle usw.?, und die Antworten auf diese Fragen sind dann die Losungen der betreffenden Grade. Der Meinung unseres Brs. Widmann, daß die Losungen etwas mehr Äußerliches seien und nur einen historischen Zusammenhang haben, kann ich nicht beitreten. Ich möchte vielmehr behaupten, daß die Losungen ihrer geistigen Bedeutung nach untereinander verknüpft sind, und daß sich an jeder der innerste Kern eines jeden Grades, sein Wert für den Suchenden entwickeln läßt. Dies werde ich nun an der Losung des Lehrlingsgrades nachzuweisen haben. Die Losung des Lehrlings ist T ........ Unsere Akten sagen darüber, daß die Lehrlinge diese Losung erhalten haben „zum Gedächtnis des T....... ., welcher der erste Künstler in allen Eisen arbeiten war und der Erste, welcher Werkzeuge zubereitete, Steine damit zu behauen und zu Gebäuden brauchbar zu machen.“ (L. B. II, Beilagen, Seite 55). In ähnlicher Weise spricht sich das Fragebuch (Abt. IV., Fr. 18) über T ........ aus. Es nennt ihn „den ersten Arbeiter in Eisen, der uns durch seine Wissenschaft Muster zu den Werkzeugen verschafft hat, welche nötig waren, die Steine zum Bau des Tempels zuzurichten“. *) Vgl. Zirkelkorr. 1872, S. 248. Die Quelle dieser Nachrichten unserer Akten ist die Bibel. Im 1. Buche Mosis, Kap. 4, 22, geschieht des T. Erwähnung als eines Sohnes des Lamech und der Zilla, „des Meisters in allerlei Erz und Eisenwerk“. Soweit gehen die Überlieferungen, die uns von unserer Lehrlingslosung zu Gebote stehen. Es ist schon öfters darauf hingewiesen worden, daß alle unsere freimaurerischen Dinge für uns eine dreifache Bedeutung haben: eine moralische, historische und mystische oder freimaurerisch wissenschaftliche. Die moralische Bedeutung geht auf die Entwicklung und Ausbildung des einzelnen Menschen, die historische auf die Entwicklung der Menschheit, die freimaurerisch-wissenschaftliche Bedeutung endlich zielt auf das innerste Wesen unserer Kunst, auf die tiefste freimaurerische Erkenntnis. Die Johannisloge und speziell der Lehrlingsgrad, in welchem es gilt, das Individuum für den Dienst des Ganzen zu formen, beschäftigt sich zumeist mit dem moralischen Element. Doch werden wir auch schon hier durch Andeutungen unserer Akten selbst oft genug auf das Historische und freimaurerisch Wissenschaftliche hingedrängt. Namentlich bei Untersuchung der Losungen ist es zuvörderst die historische Bedeutung, die uns aus ihnen selbst entgegenkommt, denn sämtliche Losungen der Arbeitsgrade sind entweder historische Personennamen, oder sie erinnern an geschichtliche Begebenheiten. Hierbei ist nun wohl zu merken, daß wir uns vor einer zu engen Fassung des Begriffs des Historischen zu hüten haben. Unter Geschichte dürfen wir nicht allein die nackten Tatsachen der wirklichen Geschehnisse verstehen, wie sie uns (durch Urkunden, denen Glaubwürdigkeit unumstößlich feststeht, überliefert sind: es gehört vielmehr in ihr Bereich auch noch das große Gebiet der Sagen und Mythen, wie sie sich in mündlichen oder schriftlichen Traditionen der Völker finden. Sagen und Mythen berichten uns allerdings keine pragmatischen, durch Brief und Siegel verbürgten Tatsachen, aber sie sind überall Träger von Wahrheiten, deren Vorhandensein nicht wegzuleugnen ist, und von Ideen, deren ewige Dauer in ihrem Werte verbürgt liegt. Der Übergang vom Sagenhaften zum historisch Verbürgten ist stets ein unmerklicher. So wie das menschliche Auge zu schwach ist, selbst mit den schärfsten Fernrohren bewaffnet, den unendlichen Raum zu erforschen, sondern zuletzt statt der Weltkörper nur noch Nebel >226< wahrnehmen kann, so vermag auch das Auge des Geschichtsforschers selbst die kurze Spanne der Zeit, welche die Dauer des Menschengeschlechts einnimmt, nur zum kleinsten Teil zu überblicken. Es ist ein unumstößliches Gesetz, daß alle Fakta, je weiter sie in die Vergangenheit rücken, desto undeutlicher im Gedächtnis der Menschen werden. Auch das, was sich heute vor unsern Augen begibt, wird einst, und wenn wir uns noch so sehr bemühen, es auf unzerstörbare Tafeln einzutragen, für die Nachwelt vom Schleier der Sage umhüllt sein. Somit sind wir zu dem Schluß berechtigt, daß gerade die Tatsachen, so wichtig auch ihre genaue Feststellung ist, dennoch in der Geschichtsforschung einen untergeordneten Wert haben, sondern daß gerade jene großen weltbewegenden Ideen, die zur Entwicklung geführt haben und führen werden, die wichtigsten Objekte für die historische Erkenntnis bilden mußten, denn sie sind die unsterbliche Seele der Menschheit und wirken hinaus in Äonen mit unversiegbarer Kraft. Das hervorragendste Beispiel, wie die Mythe zum Träger ewiger Ideen werden muß, geben die ersten Kapitel der Genesis, welche die mosaische Schöpfungssage enthalten. Nur der Buchstabenglaube der starren Orthodoxie kann behaupten, daß es sich hier um verbürgte Tatsachen und historische Personen handle, aber auch nur der vollständige Nihilismus kann das dort Erzählte für Ammenmärchen halten und leugnen wollen, daß hier Wahrheiten verborgen liegen, die jeder Mensch in seiner eigenen Entwicklung wiederfinden muß, Wahrheiten, die für alle Zeiten ein Licht bilden werden für alles menschliche Schaffen und Streben. Die ersten Seiten der Bibel enthalten in großen Zügen die Urgeschichte des Menschengeschlechts; auf ihnen finden wir auch die Losung unseres Lehrlingsgrades T ........ wieder. Nachdem erzählt worden ist von dem ersten Menschenpaar, von seinem Leben im Stande der Unschuld, von seinem Fall und von dem ersten Brudermord, erfahren wir von der Ausbreitung des Menschengeschlechts, und unter den Nachkommen Kains im fünften Gliede geschieht des T ........ Erwähnung mit dem bedeutungsvollen Zusatz, daß er war ein Meister in allerlei Erz und Eisenwerk. Aus dem Namen selbst geht diese Meisterschaft hervor; denn nach Gesenius ist derselbe aus persischen und arabischen Wortstämmen abzuleiten; Tupal soll Erz-und Steinschlacken, Kajim aber Schmied bedeuten. (Vgl. Zirkelkorr. 1876, Seite 171.) Schon hieraus ist mit Deutlichkeit zu ersehen, daß die Gestalt des T........ keine historische Person, sondern nur die mythische Hülle ist für ein wichtiges Moment in der Geschichte der Entwicklung des Menschengeschlechts; es liegt hierin ein Hinweis auf den ersten Keim der menschlichen Kunsttätigkeit und Kulturentwicklung. Diese Ansicht wird dadurch unterstützt, daß neben T ........ seines Bruders Jubal Erwähnung geschieht, „von dem“, wie es heißt, „sind hergekommen die Geiger und Pfeifer“. (Gen. 4, 21.) Jener stellt also den Ausgangspunkt der bildenden, dieser der redenden Künste dar. Wir sehen also in der mythischen Gestalt des T ......... wie der Mensch den Rohstoffen der Natur gegenübersteht und sie durch seine Erfindungsgabe zu formen und sich dienstbar zu machen weiß. Wir sehen ihn im Kampfe um das Dasein durch äußere Bedürfnisse zuerst genötigt, seinen Kunsttrieb zu entfalten, und wir sehen ihn als Sieger hervorgehen durch die schneidige Waffe seines Geistes. Unsere Akten erweitern den biblischen Bericht und stellen T........ hin als Erfinder des Werkzeuges; sie weisen damit auf eine Gabe hin, die einzig und allein von allen bekannten Wesen dem Menschen eigen ist. Auch im Tierreich finden wir Kunstfertigkeiten; der Nesterbau der Vögel, die Bauten der Ameisen, die Zellen der Bienen erregen unsere Bewunderung, aber die Werke der Tiere sind nur Produkte eines unbewußten Naturtriebes, der jedem einzelnen Individuum gleichmäßig zukommt, so daß jedes dasselbe hervorzubringen gezwungen wird. Dem Menschen allein gehört die Gabe der Erfindung, und die erste ursprüngliche Erfindung war ein Werkzeug, Formung eines Stoffes, um mit Hilfe desselben wieder anderen Stoffen eine feinere, erhöhte Form zu geben: „Im Fleiß kann dich die Biene meistern, In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein, Dein Wissen teilest du mit vorgezognen Geistern: Die Kunst, o Mensch, hast du allein.“ Ich brauche nicht auszuführen, wie aus dem kleinen Keim sich die herrlichsten Blüten und Früchte der Kultur entfalteten. Es war ein weiter Weg von dem ersten rohen Meißel bis zu den feinen komplizierten Maschinen der Neuzeit, von der einfachen Hütte des Nomaden bis zum prunkvollen Tempelbau. So stehst du da, o Mensch, „Herr der Natur, die deine Fesseln liebet, Die deine Kraft in tausend Kämpfen übet, Und prangend unter dir aus der Verwildrung stieg.“ >228< Unaufhaltsam weiter geht der Mensch die Bahnen seiner Entwicklung. Bis in die fernsten Zeiten, solange das Geschlecht auf Erden wandelt, wird sich der Trieb der Gestaltung in ihm regen als Teilerscheinung des göttlichen Geistes, welcher als ewiges Erbteil dem Menschen verliehen ward. Neben anderen mannigfachen Offenbarungen und Erweckungen des Gottesgedankens wird der Mensch durch das Anschauen seiner selbst, seiner eigenen Größe und Hoheit zum Begriff des Göttlichen geführt. Fern von jeder dünkelhaften Überhebung erkennt er, daß er das, was er leistet, nicht aus eigener Kraft hervorbringt, sondern daß ein Höheres in ihm lebendig geworden ist. Befähigt, als das bevorzugteste Wesen, Werke der Schöpfung durch die Kunst nachzubilden, ja, selbst Werke zu schaffen, deren Ideale in seinem eigenen Inneren leben, erkennt er, daß er Teil haben muß an jenem unendlichen Schöpfergeiste, der das Universum in die Erscheinung treten ließ, und der auch den Menschen aus Staub geformt und mit seinem göttlichen Hauche beseelt hat. Hier sind wir nun bei dem Zusammenhange des heiligen Wortes des Lehrlingsgrades mit der Lehrlingslosung angelangt. In dem heiligen Wort J.... liegt die Idee der Schöpfung. „Er hat aufgerichtet“, so lautet seine Übersetzung. Er hat erschaffen Himmel, Erde, alle Kreatur und mich selbst, dem er die Fähigkeit verlieh, das Unbegreifliche seines ewigen Wirkens zu ahnen und sich ihm anbetend zu nahen, erfüllt von der Sehnsucht, vereinigt zu werden mit ihm, dessen Vaterschoß ich entsprossen bin. Das ist der Grundgedanke, das ist das Geheimnis des Lehrlingsgrades. T........ aber heißt derjenige, welcher in seinem Inneren den Gedanken des Schöpfers wiedergefunden hat und bereit ist, ihn in sich zu beleben und zu gestalten, der sich erhebt aus dem Staube des Irdischen zu freiem edlen Schaffen, so wie jener T ........ sich aus dem in Sünde und Blutschuld versunkenen Geschlecht erhob zur Meisterschaft in der Beherrschung der Metalle. Hiermit nun, indem wir unsern Blick von der Entwicklung des Menschengeschlechts auf unsere eigene individuelle Entwicklung richten, kommen wir von der historischen zur moralischen Bedeutung der Lehrlingslosung. T ........ hat uns, wie das Fragebuch sagt, durch seine Wissenschaft Muster zu den Werkzeugen verschafft, welche nötig waren, die Steine zum Bau des Tempels zuzurichten. Hier haben wir den Hinweis auf unsere erste Lehrlingsarbeit: „Der rauhe Stein ist das Hauptaugenmerk der Johannis-Lehrlinge; ihnen liegt ob, den selben zu bebauen und zu einem vollkommenen Baugeräte zu gestalten“, so sagen unsere Akten. Dieses Hauptgeschäft des Lehrlings gründet sich auf die Erkenntnis der Säule J.... Nur derjenige, in dessen Inneren die Erkenntnis eines göttlichen Ursprungs aufgeleuchtet ist, lernt bei diesem Lichte sich selbst erkennen, und indem er gewahr wird, wieviel ihm noch fehlt, um dem göttlichen Urbilde, nach dem er geschaffen, nur einigermaßen zu gleichen, findet er sich wieder als rauhen Stein, der da, weit entfernt von dem kubischen Ideal der Vollkommenheit, seine Unzulänglichkeit und Unbrauchbarkeit für den großen Tempelbau erkennt. Je heller das Licht des Göttlichen in uns entzündet ist, desto schwärzer erscheint uns die Finsternis, die uns umgibt, desto drückender die Macht der Materie, die den Geist in uns knechten und dämpfen will, desto schmerzvoller zerreißt uns das Gefühl der eigenen Schwäche und Unvollkommenheit, und desto glühender erwacht die Sehnsucht, abzutun, was finster ist. So erwacht aus dem Drange des Herzens nach ewigem Leben und Licht die Arbeit am rauhen Stein. Als wir als Suchende diese Arbeitsstätte betraten, hatten wir alle Metalle abgelegt, sobald wir aber, aus der Passivität heraustretend, als mit dem Namen T ........ Bezeichnete, nunmehr aktiv an die Arbeit gehen sollten, da mußten wir die Metalle wieder aufnehmen, aber nur, um sie zu bezwingen und sie beherrschend zu Werkzeugen zu formen. Wir erhielten die Kelle in die eine Hand, in die andere das Schwert. Die Metalle bedeuten für uns die Materie im eminentesten Sinne des Wortes; sie repräsentieren die eigentliche Schwerkraft derselben, das, was herabzieht und den Flug hemmen will. Wir stehen ihnen gegenüber als einer Macht, die sich nicht abweisen läßt, sondern gegen die wir uns im Kampfe zu stellen haben, damit wir sie uns unterwerfen und für höhere Zwecke dienstbar machen. „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“, sagt der Obermeister. Bezwungen werden die Metalle nur durch Feuer und Hammerschläge, das hat unser Ahn T ........ uns gelehrt. Durch das Feuer der Liebe schmelzen wir, was an uns von außen widerspenstig und spröde herantritt, und auch in unserm Inneren bezwingen wir das Starre und Rauhe, wenn auf dem Altar unseres Tempels die Flamme des Ewigen lodert, und wenn wir gehorchen dem Hammer des göttlichen Meisters, der laut und vernehmlich mit jedem Pulsschlage unseres Lebens an unser Herz klopft und mit jedem Hauche unseres Atems unser inneres Feuer schürt. So arbeitet T ........ in uns fort >230< und schafft uns Werkzeug. Durch ihn wird der Mordstahl in unserer Hand zum Schwert des Lichtes, der schnöde Mammon des Goldes und Silbers zu des Maurers höchstem Schmuck, zur Kelle auf unserer Brust. Mit jenem, das nicht zum Anfall und nicht zur Rache gezückt ist, werfen wir nieder, was trübe und unheilig, mit dieser richten wir auf, was rein und ewig ist. So werden Steine geformt zum Bau des Tempels. Ausharrend in dieser strengen Arbeit, warten wir des Tages der Vollendung, da unser Kubus durch die Gnade der ewigen Liebe, die unserm liebenden Verlangen entgegenkam, vollendet ist und wir unsere Schwerter vor dem Thron des göttlichen Geistes niederlegen können. Im Hinblicke auf diese endliche Vollendung unseres Werkes öffnet sich uns endlich eine Aussicht auf die innerste freimaurerisch-wissenschaftliche Bedeutung der Lehrlingslosung. Das Wort T ........ hat noch eine andere Bedeutung; es läßt sich auch, wie einer unserer Forscher gezeigt hat, aus dem Hebräischen ableiten; danach soll Tubal bedeuten: das Hervorgebrachte, das Geschaffene, Kain aber der Besitzende, Beherrschende. T ........ heilst also: der Herr der Schöpfung, der Beherrscher der Erde. — Es hat eine Zeit gegeben, in welcher man durch allerhand mystische und magische Operationen zu einer besonderen Kraft gelangen wollte, wodurch der Mensch sich zum Herrn über die ihn umgebende Natur machen kann. Es war dieselbe Zeit, in welcher der Stein der Weisen und das Lebenselixier gesucht wurden, und in welcher die Alchimisten sich mit Bereitung der Tinktur zur Veredlung der Metalle abgaben. Auch die Freimaurerei ist von diesen Bestrebungen nicht unberührt geblieben. Was daran sinnlos und abergläubisch war, hat sie längst abgetan. Was aber an dieser Idee wahr ist, lebt in ihr fort und wird nur mit dem Menschen untergehen. Der Mensch ist der Herrscher der Erde; durch göttlichen Ratschluß ist er dazu geschaffen und bestimmt. Durch die Kraft seines Geistes, durch die Erfindungen seines Verstandes, durch die Werkzeuge, die er sich schuf mit kunstgeübter Hand, hat er sich die Kräfte der Natur untertan gemacht. Aber es gibt eine Grenze, über die er sich nicht erheben kann. Wie pygmäenhaft klein nehmen sich selbst seine großartigsten Werke den Schöpfungen der Natur gegenüber aus, und was will seine Kraft ausrichten gegenüber dem Toben der Elemente, die im Nu zerschellen, was er mit Mühe fertiggestellt hat. Eine andere Herrschaft ist hier gemeint als diejenige, die sich der Mensch durch seine Erfindungsgabe erringt. Überall durch die ganze Schöpfung ist der Geist des Göttlichen ergossen. Aber am herrlichsten und größten hat er sich offenbart im letzten Gliede der Geschaffenen, im Menschen, der allein fähig ist, das in ihm ruhende Göttliche zu finden und in eigener freier Tätigkeit zur Geltung zu bringen. Diese Tätigkeit ist die Arbeit, das Geheimnis der Freimaurerei; wer sie nicht übt, für den existiert die k. Kunst nicht. Der Geist ist Herrscher über die Materie; je weiter die Maurerarbeit gediehen, desto mehr werden wir davon überzeugt aus eigener innerer Erfahrung. Wer die Macht des ewigen Geistes in sich geschaut hat, der ist nicht nur Herr über sich selbst, sondern auch über das Feindliche, das von außen auf ihn eindringt. Auch wenn er mitten im Ozean, ein Spielball der Wogen, mit dem Tode ringt, als ein König wird er untergehen, denn er hat den Tod überwunden und Ewiges, Unsterbliches in sich geschaffen. Wer waren die Herrscher? Jene blutdürstigen Imperatoren, denen der Weltkreis mit allen seinen Schätzen zu Füßen lag, oder die Opfer, die vor den Augen jener unter den Zähnen der Bestien verbluteten? Welche Krone glänzte heller? Die auf dem Haupte jener Sklaven ihrer eigenen Lüste oder die Märtyrerkrone, welche diesen im ewigen Reiche aufbehalten ist? „Wer überwindet, der wird alles ererben“, ruft der Obermeister (Luk. 16, 9), und: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen“ (Matth. 5, 5). Ja, es gibt noch eine höhere Herrschaft als die Macht dieser Welt; wir erringen sie uns durch die Arbeit der Freimaurerei, und T ........ ist unsere Losung! — (1881.) >232< Die Lehrlingsaufnahme Aus dem Dunkel zum Licht. Wie verschiedenartig sind doch die Beweggründe, welche die Suchenden antreiben, Einlaß begehrend an die Pforten der Loge zu klopfen! Wer längere Zeit das Amt des einführenden Bruders verwaltet hat, wird das bestätigen müssen. Zwar sind die Antworten, die man in der dunklen Kammer von den zu Prüfenden erhält, ziemlich übereinstimmend; gewöhnlich heißt es: „Ich wünsche in einen Orden einzutreten, von welchem ich überzeugt bin, daß er edle Zwecke verfolgt;“ oder: „Ich wünsche in eine Gesellschaft von Männern aufgenommen zu werden, in der edle Sitte, Wohltätigkeit und alle Tugenden eines guten Staatsbürgers gepflegt werden usw.“ Trotzdem wird es dem tiefer blickenden Menschenkenner nicht entgehen, daß sich hinter solchen Antworten, welche als korrekte anerkannt werden müssen, oft genug noch andere Beweggründe verbergen, und die späteren Erfahrungen, die wir mit denen machen, die wir zur Aufnahme vorbereitet haben, werden das oft genug bestätigen. Wie oft tritt uns bei diesen Unterredungen in den Antworten des Suchenden eine gewisse Oberflächlichkeit entgegen! Das merken wir manchmal an seinem ganzen Wesen, wenn er seine Worte auch noch so gut zu setzen weiß. Wie oft ist Neugier der Beweggrund, „kindische Vorstellung von seltsamen Dingen“, vor welchen der Meister in seiner ersten Anrede den Suchenden warnt; wie vielfach bildet den Hauptanziehungspunkt für die Eintretenden die gute Gesellschaft, die sie in der Loge zu finden >236< hoffen, mit ihren Annehmlichkeiten, ihren bequemen Einrichtungen und ihren Zerstreuungen; und oft genug — leider muß es gesagt werden — liegen dem Aufnahmegesuche eigennützige Absichten zugrunde. Da hat man gehört, daß die Brüder Freimaurer sich gegenseitig helfen und unterstützen; es gibt sogar Blätter, in welchen die Logenbrüder ihre Waren, ihre Gasthöfe und dergl. inserieren und den Angehörigen des Bundes ermäßigte Preise in Aussicht stellen. Warum sollte man solche Vorteile nicht wahrnehmen? Ist noch sonst etwas Schönes, Erhabenes bei der Sache, nun, um so besser. Es ist ja leicht erklärlich, wenn ein Kaufmann eine Vermehrung seiner Kunden, ein Arzt eine Vergrößerung seiner Praxis, ein Rechtsanwalt eine Zunahme seiner Klienten von seinem Eintritt erhofft; das ist durchaus menschlich und kommt oft genug vor trotz der Frage, welche der Suchende bei der Vollziehung des Reverses zu beantworten hat: „Hoffen Sie durch die Aufnahme äußere Vorteile zu gewinnen?“ Diese Frage wird zwar regelmäßig verneint, aber vielfach ist diese Verneinung nicht recht aufrichtig. Besser wäre es vielleicht, wenn dem Suchenden im Revers sogleich eröffnet würde, daß er niemals auf eine Erlangung äußerer Vorteile durch den Orden hoffen dürfe, und daß ein Streben danach sich mit dem rechten Freimaurertum nicht vereinigen läßt. Wohl nur in den allerseltensten Fällen wird ein Suchender mit solchen Erwartungen an die k. Kunst herantreten, die den Wünschen des Ordens voll und ganz entsprechen; denn die ganze Erhabenheit und Größe der Sache kann von dem angehenden Maurer kaum geahnt werden; bleibt sie doch leider vielen trotz alles Unterrichts ein für immer verschlossenes Geheimnis. Darum erfüllt der Orden gegen jeden Neuaufgenommenen die Pflicht, ihn mit dem allein richtigen Beweggrund bekannt zu machen, welcher ihn bei seinem Aufnahmegesuch hätte leiten müssen, und den er von dem Augenblicke seiner Aufnahme an zu dem seinigen zu machen verpflichtet ist. Die erste Frage der fünften Abteilung unseres Lehrlings-Fragebuches, welche von den Aufnahmegebräuchen handelt, lautet folgendermaßen: „Warum haben Sie die Aufnahme in den Orden gesucht ?“ „Ich war im Dunkeln und wünschte, das Licht zu sehen.“ In diesen einfachen, schlichten Worten ist alles gesagt. Die Sehnsucht nach dem Licht allein ist es, welche für jeden Suchenden der Beweggrund zur Aufnahme gewesen sein sollte, und war dies nicht von Anfang an der Fall, so muß diese Sehnsucht nach erfolgter Aufnahme erweckt werden; denn des Ordens einziger Zweck ist es, seine Jünger zum Lichte zu führen, und zwar ist es ein ganz besonderes Licht, das in der Freimaurerei leuchtet, ein Licht, das zwar auch außerhalb der Loge vorhanden ist, aber ohne sie und ohne die ihr eigentümlichen Mittel und Wege nicht so leicht gefunden werden kann. Daß dies so ist, und daß der Orden sein Licht so verstanden wissen will, geht aus dem Aufnahmeritual zweifellos hervor. Der Meister fragt vor der Lichterteilung die Brüder, ob sie genehmigen, daß der Aufzunehmende das Licht sehe, welches er von der Stunde seiner Geburt an zu benutzen gehindert war; und der erste Aufseher legt für den Suchenden das Zeugnis ab, daß er des Lichtes für würdig erkannt werde, weil er mit Fleiß und Mühe (bei Überwindung der Prüfungen) danach gestrebt habe. Von der Stunde seiner Geburt an haben ihm manche Lichter geschienen, helle und trübe, wahre und falsche, echte und unechte, aber nicht das maurerische Licht, nicht der eigentümliche Schein, der uns leuchtet, und bei dem wir die Arbeiten der k. Kunst vollbringen. Daher muß der Meister bei seiner Frage nicht auf das Wort „Licht“ den Ton legen, sondern auf den Artikel „das“; denn dasjenige Licht ist gemeint, das allein in der Loge zu finden ist, und das die Herzen der rechten Maurer, die es zu benutzen und zu vermehren verstanden haben, erleuchtet. Ich weiß wohl, daß diese Ansicht nicht von allen geteilt wird; man hat mir darauf entgegnet, daß es nur ein Licht der Wahrheit geben kann, wie es nur einen Gott gibt. Dieser Einwand muß anerkannt werden. Aber das eine, ewige Licht bricht sich für das blöde Auge des Sterblichen in verschiedener Weise; durch die mannigfachsten Medien erblickt er es in wechselnden Erscheinungen. Und solch eine Erscheinungsform des Lichtes stellt sich auch in den Dingen dar, die der Orden uns bietet. Das ewig unveränderliche Licht wird uns hier in einem so eigenartigen Glanze, in einer so wunderbaren, Herz und Sinn ergreifenden Weise gezeigt, daß wir wohl mit Recht von einem besondern maurerischen Lichte reden können, das der Suchende von der Stunde seiner Geburt bis zu seiner Aufnahme zu benutzen gehindert war. Über das Wesen dieses besonderen Lichtes sich klar zu >238< werden, das ist eine der vornehmsten Aufgaben des angehenden Freimaurers. Jeder tiefer angelegte Mensch, dem es Ernst ist um die Erkenntnis der höchsten Dinge, wird sich sagen, daß es noch ein höheres, reineres Licht geben muß als das, welches wir draußen in der Welt finden, und worauf die große Menge einen besonderen Wert legt. Jeder, der nur etwas nachdenkt, wird sich darüber klar werden, daß die Strahlen, welche die Welt erleuchten, zwar aus derselben reinen und heiligen Quelle des ewigen Lichtes stammen, daß sie aber uns vielfach getrübt und verunreinigt erscheinen. Überall im Leben, wo wir das Streben zum Höchsten sich regen sehen, in der Wissenschaft, in der Kunst, auf religiösem, auf politischem Gebiet, können wir diese Lebensäußerungen zurückführen auf die Wirkungen des Lichtes der Wahrheit; aber, wie das Buch der Bücher auf unserem Altar an der Stelle, an welcher es aufgeschlagen ist, sagt, „das Licht scheinet in die Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen“. Das Gold liegt gleichsam auf der Straße, aber die törichte Menge läßt es liegen, denn sie erkennt es nicht, weil es mit Staub und Schmutz bedeckt ist. Auf dem Markt des Lebens bieten sie die Wahrheit feil; jeder hat seine besondere Wahrheit, jeder behauptet, die seinige sei die allein richtige, alles andere sei Lüge, und der Pöbel greift nach dem, was ihm in die Augen fällt, was ein Ansehen hat, nach eitlem Glanz und Schimmer. Das Echte, das oft genug unter unscheinbarer Gestalt erscheint, verschmäht er. So entsteht Kampf und Streit an allen Enden. Die sogenannte Aufklärung ringt mit der Orthodoxie, die Wissenschaft mit dem Glauben an eine übernatürliche Offenbarung; im öffentlichen Leben befehden sich die politischen Parteien mit unversöhnlichem Haß. Jede, ohne Ausnahme, hält sich für unfehlbar, und vor lauter Sorge um das allgemeine Wohl droht dem Ganzen Zersetzung und Auflösung. Die Strömungen, die sich im geistigen Leben der menschlichen Gesellschaft zeigen, sollten sich alle vereinigen im gleichmäßigen Zuge nach oben, aber sie richten sich gegeneinander und geraten in einen Wirbel, indem sie sich gegenseitig aufzuheben trachten. Was ist nun die Folge davon? — Der große Haufe, der nicht selbst denkt, läßt sich für die eine oder die andere Idee fanatisieren und sich ohne eigenen Willen für den Parteikampf gebrauchen, oder er fällt dem Indifferentismus anheim und läßt sich nur da aus seiner Lethargie aufrütteln, wo materielle Güter für ihn in Frage kommen. So war es zu allen Zeiten, die Bücher der Weltgeschichte erzählen davon; es ist eben der Lauf der Welt, die in den Banden der Finsternis liegt. Aber anderseits hat es zu allen Zeiten Geister gegeben, die sich solchem wirren Treiben zu entreißen strebten und an dem Gedanken festhielten, daß es trotz alledem ein einiges, wahres Licht geben müsse, eine reine Quelle, wo der Born der Wahrheit rein und unverfälscht quillt, eine Höhe des Lebens, die erhaben über allem Parteitreiben uns das Ganze zeigt als Einheit, durchweht vom Hauche des ewigen Gottesgeistes, gehalten vom starken Vereinigungsbande des inneren Gleichgewichts und durchflutet von der Schönheit ewiger Harmonie. Mit diesem Glauben an das ewige Licht ist die Freimaurerei geboren, die k. Kunst, welche so alt ist wie die Menschheit selbst. Mag sich im Laufe der Zeiten die Sache auch in die verschiedensten Hüllen gekleidet und die mannigfachsten Organisationen angenommen haben: immer war die Idee lebendig, abgeschlossen von dem wirren Treiben der Welt und unbefleckt von der Finsternis das zu suchen, was die Gegensätze versöhnt und die Rätsel des Lebens auflöst. „Glaubet an das Licht, dieweil ihr es habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid!“ (Joh. 12,36.) Dieses Wort der Schrift ist ein Leitstern für diejenigen, die sich auf den Weg machen, den die k. Kunst den strebenden Geistern vorgezeichnet hat. Aus dem Glauben an das Licht aber entspringt die Sehnsucht nach ihm und der kühne Mut, der alles daran setzt, um es zu ergründen, zu ergreifen und zu verteidigen. Wer diesen Glauben hat, in dem wird das Geheimnis der k. Kunst lebendig, die Entstehung und Stiftung des Ordens vollzieht sich in ihm in ihren ersten Anfängen, und seine innere Loge ist bereit zur Eröffnung. Heil dem, der in diesem Sinne von sich sagen kann: „Ich war im Dunkeln und wünschte, das Licht zu sehen.“ Das Licht, nach dem sein Herz sich sehnte, das er liebte und von dem er nicht lassen wollte, wird ihn reichlich belohnen. Es läßt ihn nicht mehr und bleibt sein treuer Begleiter auf der Lebensbahn. Sein erster Schein, der ihm bei der Lehrlingsaufnahme aufgeht, lehrt ihn, Gott, die Quelle alles Lebens und aller Wahrheit, suchen und finden. Und das Licht führt ihn weiter und zeigt ihm das Wirken und Walten des ewigen Gottes in der Natur sowohl wie im eigenen Innern, und es lehrt den Irrenden und Fehlenden, der seinen Gott verliert, ihn kämpfend mit der Finsternis wiedergewinnen; es enthüllt ihm die Macht der ewigen Liebe, die ihn erlöst von den Stricken der Finsternis und des Todes; es rüstet ihn aus mit >240< den Waffen der Liebe und weiht ihn zum Streiter für das Gottesreich und führt ihn endlich, fest vereinigt mit seinen, gleich ihm strebenden treu verbundenen Brüdern, zum vollen Schauen im Geiste und zur Vereinigung mit dem Urquell alles Lebens. Du heiliges, unvergängliches Licht, senke dich herab in das Herz eines jeden, der an unsere Pforte klopft; entzünde in den Herzen der Suchenden die Sehnsucht nach dir und führe sie alle, wenn auch durch Wechsel und Wandel, durch Prüfungen und Heimsuchungen an das Herz des Allvaters zum Frieden und zur Herrlichkeit! (1881. 1904.) Die dunkle Kammer und die Lichtprobe. Wie höchst eigentümlich, wie wenig den gehegten Erwartungen entsprechend ist der erste Empfang, welcher einem fremden Suchenden bei seiner Ankunft im Logenhause bereitet wird! Nach den Vorstellungen, die er über die Loge nach dem, was er davon durch Hörensagen wußte, hegen konnte, durfte er hoffen, sogleich in eine Gesellschaft eingeführt zu werden, die ihn mit offenen Armen aufzunehmen bereit ist. Freundliches, liebevolles Entgegenkommen, herzliches Begrüßen, brüderliches und inniges Umfangen durfte er mit Recht zu finden erwarten. Nichts von alledem! Ein frostiger Willkommen ist es, den er erfährt. Kaum hat sein Fuß das Logenhaus betreten, so umhüllt eine Binde seine Augen; er wird geführt, er weiß nicht wohin, und wenn endlich die Binde gelöst wird, befindet er sich in einem dunklen Raume, der alles Lichtes beraubt ist. Einsam sitzt er da. (Die Vorschrift unserer Akten, daß der erste Pate dem Suchenden in der dunklen Kammer Gesellschaft leisten soll, halte ich für durchaus unberechtigt und dem Sinn dieses Gebrauches ganz widersprechend. Was soll der Pate da? Soll er den Suchenden beobachten? Das kommt erst später. Fürs erste fehlt es dazu an Licht, welches erst später hereingebracht wird. Soll der Pate stumm dasitzen? Wenn er das tut, so wird jedenfalls der Suchende mit ihm zu reden anfangen und ihn vor allem fragen, was dieser merkwürdige Empfang zu bedeuten habe. Soll er nun schweigen oder antworten Tut er das erstere, so wird das auf den Suchenden höchst peinlich und befremdlich wirken; antwortet er ihm, so greift er dem einführenden Bruder und dem späteren Unterricht vor. Auch ist es nicht immer sicher, ob der Pate in der Lage sein wird, die rechte Antwort zu geben. Möglicherweise fangen die beiden an, sich über ganz gleichgültige Dinge zu unterhalten, was erst recht verkehrt wäre. Daher scheint mir das einzig Richtige zu sein, daß der Suchende in vollkommenster Einsamkeit seinem Nachdenken überlassen bleibt, und der Pate die dunkle Kammer verläßt, sobald der Suchende darin Platz genommen hat, und sie nicht eher wieder betritt, als bis die Lichtprobe beginnt.) Sein Auge erblickt nichts. Totenstille rings umher. >242< Was geht nun in jenen Minuten der Dunkelheit durch des Suchenden Herz und Sinn? Welche Gedanken erwachen in ihm, und welche Empfindungen bewegen ihn? Das wird sehr verschieden sein, je nach seinem Naturell und seiner Beanlagung. Bei manchem wird es vielleicht nur eine eigentümliche Spannung sein, eine Erwartung besonderer Dinge, die aufsteigende Frage, was nun kommen, und wie sich das entwickeln werde. Wie viele finden wohl kaum die richtige Fährte in der Beantwortung der Frage: „Warum hat man mich in dieses Dunkel gebracht ?“ — Wir können es nicht wissen, was in dem Suchenden vorgeht, und wir haben auch nicht danach zu fragen; auch der „in der k. Kunst erfahrene Mann“, der zu dem Suchenden als Abgesandter der Loge in die dunkle Kammer tritt, um ihn mit „Ernst, Ruhe und Wahrheit“ (vgl. Fragebuch, Abt. V, Fr. 4 bis 6) auf seine Aufnahme vorzubereiten, läßt diesen Punkt ganz unberührt. Er hat ganz andere Dinge zu fragen. Er hat den Suchenden zu prüfen und „sich seiner Gesinnungen zu versichern und sich zu überzeugen, daß er alle Eigenschaften besitzt, welche zur Teilnahme an der Gemeinschaft des Ordens erforderlich sind“ (Fr. 6). Er fragt ihn nach seinem Namen und seinen sonstigen Verhältnissen, ob er ein freier Mann und Herr seiner Entschließungen sei, ob es sein freier Wille sei, zum Freimaurer aufgenommen zu werden, ob er sich den Prüfungen unterwerfen wolle, die der Orden für nötig erachtet, um seine Standhaftigkeit zu erproben, er erforscht die Anschauungen, die der Suchende vom Orden hat, und sucht dieselben nötigenfalls zu berichtigen; aber er sagt ihm kein Wort darüber, weshalb man ihn in ein dunkles Gemach geführt habe, sondern überläßt es ihm, sich darüber seine eigenen Gedanken zu machen. Wenn ein Mensch in einen dunklen Raum versetzt wird, so erwacht mit Notwendigkeit in ihm die Sehnsucht nach dem Lichte. Das Dunkel wirkt bedrückend und beängstigend bis zum Unerträglichen. So wie die Pflanze für das Licht geschaffen ist und ohne dasselbe nicht gedeihen kann, so auch der Mensch. Die Pflanze, obschon sie kein Bewußtsein hat, kehrt ihren Kelch dem Lichte zu; und der Mensch ist im Besitz eines Organs, das er mit Recht für das kostbarste erachten darf, das ihm der Schöpfer mitgegeben hat auf seinen Lebensweg; es ist das Auge, dieses wunderbar konstruierte optische Instrument, das dem Lichte den Zutritt in sein Inneres möglich macht, das ihm die mannigfachsten Eindrücke der Dinge, welche um ihn her ausgebreitet sind, übermittelt, das ihm in wunderbaren Bildern die Welt entrollt bis zu den fernsten Fernen des gestirnten Himmels. Und dieser vornehmste Sinn, durch welchen der Mensch auf Schritt und Tritt die mannigfaltigsten Anregungen erhält, wird dem Suchenden verschlossen, und nicht dieser allein, sondern auch — soweit dies möglich ist — das Ohr; denn ihn umgibt Grabesstille, das Wort der menschlichen Rede, dieses „geflügelte Werkzeug“ des Geistes, dringt nicht zu ihm in seine Einsamkeit. — Aber nein, ganz ist er des Wortes nicht beraubt; er kann mit sich selbst reden, sei es im lauten Selbstgespräch, sei es in der inneren Sprache der Gedanken. Und das letztere ist es gerade, was der Orden haben will. Wenn das dunkle Gefängnis sich nicht öffnet, wenn alle die Reize, die der Suchende sonst durch die Organe des Gesichts und des Gehörs empfängt, ihm abgeschnitten sind, dann muß sein Geist von selbst darauf kommen, die ihm notwendige Anregung, die er sonst von der Außenwelt erhält, bei sich selbst zu suchen; er muß in diesem Zustande darauf kommen, in sein eigenes Innere zu schauen und die Stimme zu hören, die aus ihm selbst spricht. Er wird anfangen, in dem Buche seiner Erinnerungen zu blättern; er wird vielleicht sich selbst daran erinnern, wie oft er gefehlt, wie manchen Irrweg er gegangen ist, aber er wird auch an das denken, was er Gutes und Tüchtiges vollbracht hat. Sein Gewissen wird erwachen und ihn entweder anklagen oder verteidigen. Ob wohl alle unsere Suchenden solche Gedanken in der dunklen Kammer haben? — Ein reicher Geist, der gewöhnt ist, sich mit den großen Fragen zu beschäftigen, wird sich in dieser Lage anders verhalten als ein oberflächlicher Charakter, dessen Sache ein tieferes Nachdenken nicht ist. Ernst wird gewiß jeder gestimmt werden, und nur ganz flache Naturen werden in diesem Beginn der Aufnahme ein Possenspiel zu erblicken meinen. In anderen Lehrarten geschieht mancherlei, um den Suchenden von vornherein ernst zu stimmen und ihm den Ernst seiner Lage deutlich zu machen. In vielen Logen anderer Lehrarten findet der Aufzunehmende auf dem Tische, an welchem er in der dunklen Kammer Platz zu nehmen genötigt wird, ein Licht, einen Totenkopf, eine aufgeschlagene Bibel; darüber verbreitet eine von der Decke herabhängende Lampe ihr spärliches Licht, bei dem er in manchen Logen im Hintergrunde einen Sarg oder ein Totengerippe erblickt. Auch wird in den meisten anderen Systemen der >244< Suchende genötigt, einige ihm vorgelegte ernste Fragen schriftlich zu beantworten. Nichts von alledem findet bei uns statt. Die Gedanken des Suchenden sollen durch nichts auf eine bestimmte Richtung gelenkt werden; aus seinem Innern sollen sie aufsteigen und nichts von außen her angeregt werden. Das aber, was das Innere des Suchenden eigentlich bewegen sollte, gibt uns der Orden kund in den erklärenden Akten des Lehrlingsgrades (I. Logenbuch, Beil., S. 30), wo wir folgende Worte finden: „Bei Ihrer Ankunft wurden Sie in die dunkle Kammer oder das Bereitungszimmer geführt, welches alles Lichtes beraubt ist, damit Sie inne würden, daß der Mensch bei seiner Geburt die Beschaffenheit seines Daseins nicht kennt und weder weiß, woher er kommt, noch warum er in die Reihe der Dinge gekommen ist, noch wohin er kommen wird. Nicht eher, als bis sein Verstand sich ausbildet und wirksam zu werden anfängt, begreift er, was er ist, und lernt durch Kenntnis seines Innern ergründen, was er sein und endlich werden soll.“ In diesen Worten liegt der ganze Inhalt der Freimaurerei verborgen, und der Weg vom Dunkel zum Lichte wird dem Suchenden hier schon angedeutet. Woher? Wozu? Wohin? — Das sind die drei großen Fragen, über welche die Menschheit nachgedacht hat, solange sie existiert. Wer vermag sie zu lösen? Jahrtausende haben daran gearbeitet, sie zu beantworten, und man hofft noch immer, eine richtige, allgemein gültige Antwort zu finden. Die Philosophen aller Zeiten haben sich mit diesen Fragen beschäftigt und sie in der verschiedensten Weise zu lösen gesucht. Sie tasten im Ungewissen umher, trotz der Schärfe ihrer Logik und der Schlagfertigkeit ihrer Dialektik. Wenn sie auch noch so sicher zu urteilen und zu schließen vermeinen, in letzter Instanz sind sie doch abhängig von ihrem Naturell und Temperament. Wie könnte es sich sonst erklären, daß das große Heer der Weltweisen in die verschiedenartigsten, sich widersprechenden Lager zerfällt. Die Welt malte sich anders im Kopfe des Demokrit als in dem des Heraklit, anders in Kant und anders in Schopenhauer. Pessimismus und Optimismus, Materialismus und Spiritualismus beantworten jene Grundfragen des Menschendaseins sehr verschieden. Jede dieser Richtungen will ihren Weg als einen streng wissenschaftlichen respektiert wissen; und dennoch, wie verschieden sind ihre Resultate, wie gegensätzlich und einander aufhebend! Nein, die Wissenschaft allein für sich kann uns eine befriedigende Antwort auf diese Fragen nicht geben, ebensowenig wie die Priesterweisheit; auch sie kann an und für sich nicht frommen, wenn nicht Herz und Sinn ihr geöffnet sind. Darauf allein kommt es an. Wenn uns auch von Kanzeln und Kathedern herab noch so viel Weisheit gepredigt wird, — sie bleibt tot, wenn es nicht in unserem Innern zu leben anfängt. Jene großen Fragen muß jeder einzelne für sich lösen durch Erweckung des inneren Lebens und durch die dadurch gewonnene innere Erfahrung. Der Orden drückt das aus, indem er sagt: „Nicht eher, als bis sein Verstand sich ausbildet und wirksam zu werden anfängt, begreift er (der Suchende), was er ist, und lernt durch Kenntnis seines Innern ergründen, was er sein und endlich werden soll.“ Mit dem Worte „Verstand“ ist hier wie auch sonst wohl nicht die einseitige Seelentätigkeit gemeint, die auch in gewissem Maße dem Tier gegeben ist, die uns befähigt, zu urteilen und zu schließen, sondern es ist die gesamte Kraft des menschlichen Geistes gemeint, die uns über das Tier erhebt. Die Ausbildung und das Wirksamwerden, das ist eben das Freiwerden dieser Kraft, welche in uns gebunden schlummert und deren Erweckung die k. Kunst in uns bewirken will. Ist diese Erweckung erfolgt, dann lösen sich die Fragen nach dem Woher, Wozu und Wohin von selbst. Der Orden führt uns Wege, auf welchen sie uns in Wahrhaftigkeit und Treue beantwortet werden, und in den Antworten werden uns Schätze überliefert, die wir nie wieder verlieren können, wenn wir sie durch eigenes Suchen gefunden haben. Das ist es, warum uns der Orden bei unserem ersten Eintritt in das Dunkel führt, uns nur auf uns selbst stellt und uns nötigt, in unser Inneres zu schauen. Diese Art der Selbsterkenntnis hat nicht bloß den Zweck, uns unserer Fehler und Schwächen bewußt werden, sondern uns unserer hohen göttlichen Natur innewerden zu lassen. Man sagt mit Recht, daß der Mensch sich selbst das größte Rätsel ist. Das Geheimnis des Ichs ist unergründlich. Wie ist es möglich, daß in unserem, aus Erdenstaub geformten Leibe ein Etwas ist, das nicht nur zu sehen, zu hören und zu fühlen vermag, sondern auch durch die aufgenommenen Sinneseindrücke sich das Bild einer Welt bilden kann, welches da, wo die Sinne nicht ausreichen, ergänzt und vervollständigt wird durch die >246< Tätigkeit der Vernunft und die Schlüsse des Verstandes? Wie ist es möglich, diesem Weltbilde sich selbst gleichsam als eine zweite Welt im kleinen gegenüberzustellen, das Weltganze in sich einzuschließen und es wieder wie aus einem Spiegel aus sich zurückstrahlen zu lassen! Der Mensch, wenn er sein eigenes Ich betrachtet, ahnt noch mehr als aus der Betrachtung der Natur die höhere Macht, die nicht nur schaffend und erhaltend über ihm schwebt, sondern auch in ihm waltet. Wenn er auch ihr tiefstes Wesen nie begreifen wird, so ahnt er doch ihr Dasein und erhebt sich anbetend zu ihr. Der Geist, der ihn belebt, macht ihm das möglich, und dieser Geist kann nirgends anders herstammen als von jener höheren Macht selbst. Das ist das unbegreifliche Etwas, das sich in uns entwickelt und wirksam zu werden anfängt, um uns in alle Wahrheit zu leiten und uns auf die Fragen unseres Daseins und unserer Bestimmung die rechten Antworten zu geben. Die k. Kunst aber ist die mächtige Treiberin, die uns vorwärts bringt auf dem Wege solcher Entwicklung. Die erste Frage nach dem Woher, nach der Schöpfung und Menschwerdung beantwortet sie schon dem Lehrling, indem sie ihn lehrt, den Grund des göttlichen Lebens in sich selbst zu finden und zu verstehen. Und auch auf die Fragen Wozu? und Wohin? bleibt der Orden die Antwort uns nicht schuldig, wenn wir nur recht zu fragen und zu suchen verstehen, und auch dazu fehlt es an Unterweisungen nicht. Der Weg eines höheren Lebens im Lichte der göttlichen Macht, die uns in das Leben rief, wird uns vorgezeichnet, und für den, der die Mühe nicht scheut, diesen steilen Weg zu wandeln, löst sich die letzte Frage nach dem Wohin? von selbst. Das ist es, was uns der Orden durch die dunkle Kammer sagen will. Sie ist zu vergleichen der dunklen Erdscholle, in welche das keimfähige Samenkorn versenkt wird. Diesem aber ist der Suchende vergleichbar, der bei seiner Lehrlingsaufnahme, das Dunkel durchbrechend, dem Lichte zustrebt; und so wie die junge, heranwachsende Pflanze Sonnenschein, Tau und Regen, aber auch Stürme und Gewitter über sich ergehen lassen muß, so sind auch dem Suchenden bei seinem Wege durch den Orden mannigfache Prüfungen beschieden, in denen er sein unentwegtes Streben nach Licht und Wahrheit zu bewähren hat, bis er endlich die volle, reife Ähre dem großen Meister darbringen kann. Diese Prüfungen beginnen schon in der dunklen Kammer mit einem, unserer Lehrart allein angehörenden, bedeutungsvollen Gebrauch, mit der sog. Lichtprobe. Dieselbe besteht darin, daß der einführende Bruder, welcher sich nunmehr in Begleitung des ersten Paten in die dunkle Kammer zum Suchenden begibt, neben diesen, nachdem ihm die Augen verbunden sind, ein brennendes Licht auf einem schwarzen Leuchter stellt und dann den Suchenden folgendermaßen anredet: „Mein Herr! Man läßt Ihnen das Licht, und Sie bleiben allein. Ich rate Ihnen, wohl auf die Binde zu achten, welche Sie vor Ihren Augen haben, dann werden Sie weder vorwitzig noch neugierig sein. Die Freundschaft verpflichtet mich, Ihnen diesen Rat zu erteilen, und ich erwarte, daß Sie ihn befolgen.“ Alsdann verläßt er die dunkle Kammer. Der Pate bleibt aber zurück und beobachtet, ohne seine Anwesenheit durch irgend ein Geräusch zu verraten, den Suchenden. Wenn dieser keinen Versuch macht, sich der Binde zu entledigen, so entfernt sich der Pate leise und berichtet in der Loge, daß „der Suchende keine Neugierde gezeigt“ und somit die Probe bestanden habe. Ist er dagegen so unvorsichtig, die Binde zu lösen, so gibt der Pate seine Anwesenheit zu erkennen, verbindet ihm die Augen aufs neue, sagt ihm, daß er sein Vertrauen verscherzt habe, und berichtet in der Loge über den Vorfall. Erst nach strengen Ermahnungen seitens des einführenden Bruders, und nachdem der Suchende versichert hat, daß er keine Neugierde mehr zeigen wolle, wird er an die Pforte der Loge geführt. Was hat nun dieser Gebrauch zu bedeuten? Sollte er weiter nichts bezwecken, als den Suchenden auf seine Neugierde zu prüfen? — Ich glaube, daß noch ein tieferer Sinn dahinter verborgen ist. Worauf sollte sich wohl die Neugier, die der Kandidat möglicherweise an den Tag legen könnte, beziehen; es ist doch in der dunklen Kammer nichts vorhanden, was ihn zum Abnehmen der Binde reizen könnte. Das Einzige wäre das Licht, das neben ihn gestellt ist. Aber auch dieses hatte er schon gesehen, ehe die Binde ihm umgelegt wurde. Es kann also nur die Begierde sein, den Gebrauch seiner Augen wiederzuerhalten, die schon so lange Zeit in dem finsteren Gemach des Lichtes haben entbehren müssen. Es liegt also die Versuchung nahe, die Binde zu lösen, um wenigstens bei dem schwachen Scheine des neben ihm stehenden Lichtes um sich schauen zu können. Und wenn er nun die Binde löst, so schaut er eben nichts als jenes Licht, das ihm die Finsternis womöglich noch >248< schwärzer erscheinen läßt, als sie ist. Und was ist nun jenes Licht, das neben ihm brennt? Wo stammt es her? Ist es etwa an den Lichtern der Loge entzündet? Stammt es aus dem Quell desjenigen Lichtes, das der Suchende zu erstreben hat, und nach welchem die Sehnsucht in ihm durch die Vorbereitung erweckt wird? — Keineswegs. Es ist ein ganz profanes Licht, draußen an irgend einer, wer weiß welcher Flamme entzündet. Es stellt das Licht dar, wie es in der Welt zu finden ist, und die Welt gibt uns manchen Schimmer, der blendet und verführt, der aber, vom maurerischen Standpunkt betrachtet, ein Irrlicht ist. Darum steht es auf einem schwarzen Leuchter. Von diesem Lichte soll der Suchende sich abwenden und nach ihm fürderhin kein Begehr mehr haben, sondern allein das Licht suchen, bei welchem kein Wechsel ist, das nicht der Macht der Finsternis unterliegt, sondern ihre Schatten siegreich zu zerstreuen vermag. In unseren erklärenden Akten (Logenbuch I, Beil., S. 33) heißt es: „Des vorbereitenden Bruders Mahnung, nicht durch Abnehmen der Binde Neugier und Vorwitz zu verraten, des Paten Bleiben und die Belassung des Lichtes sind Umstände, welche dazu dienen, zu prüfen, ob der Suchende die Standhaftigkeit besitzt, welche von einem freien Maurer gefordert wird.“ Hier ist es deutlich ausgesprochen, daß der Suchende nicht bloß auf seine Neugier und seinen Vorwitz, sondern auf seine Standhaftigkeit geprüft werden soll, und das will mehr sagen. Standhaftigkeit gehört dazu, die steile Maurerbahn unentwegt zu wandeln und unbeirrt durch die Lockungen der Welt und durch den unechten Glanz, mit dem sie ihn blenden will, fortzuschreiten, das große Ziel, wo das wahre Licht uns winkt, fest im Auge behaltend. Das Licht der dunklen Kammer steht auf einem schwarzen Leuchter; es gehört der Finsternis an und ist nicht echt. Das Licht der Loge aber soll des Suchenden Verlangen sein — auf goldenen Leuchtern, die das Unvergängliche bezeichnen, stehen daher auch die Lichter in unserer Loge; wohl ihm, wenn er diesen Schein sein ganzes Leben lang im Auge behält, ihn in sieh aufnimmt und durch treue Maurerarbeit zu vermehren weiß! (1900.) Das Ablegen der Metalle. Die erste Forderung, welche im Namen des Ordens an den Suchenden, während er noch in der dunklen Kammer verweilt, gerichtet wird, ist die Ablegung der Metalle. Alles, was er von Besitztümern, Geld und Kostbarkeiten, bei sich trägt, muß er hergeben, so daß er bettelarm erscheint. Was sagen nun unsere Akten über diesen eigentümlichen Gebrauch ? — In den Erklärungen der Aufnahmegebräuche (II. Logenbuch, Beil. S. 31) finden wir darüber folgendes: „Wir forderten von Ihnen die Ablegung aller Metalle, um Sie an den Zustand der Unschuld zu erinnern, in dem der Mensch ihrer nicht bedurfte. Zugleich haben wir Sie damit warnen wollen, Ihre Hoffnungen und Ihr Vertrauen nie auf einen so vergänglichen, dem Zufall unterworfenen Schatz zu setzen“. Und im Fragebuche (Abt. V, Fr. 8 bis 10) heißt es: „Was bedeutet das Ablegen der Metalle?“ „Das erste glückliche Alter der Welt oder die goldene Zeit, in welcher weder Gold noch Silber noch andere Metalle das menschliche Herz verleiten konnten.“ „Warum wurden Ihnen alle Metalle abgenommen? „Weil der Tempel Salomos von ganz fertigen Steinen, so wie sie herzugebracht waren, aufgebaut wurde, so daß man weder einen Hammer noch eine Axt noch irgend ein anderes Eiseninstrument hörte.“ „Wie war das möglich?“ >250< „Hiram, der König von Tyrus, hatte sowohl kostbare und zugehauene Steine als auch vollkommen zubereitete Zedernbäume vom Libanon zum Bau hinzufahren lassen.“ Der Gebrauch des Ablegens der Metalle erscheint uns in den Erklärungen unserer Akten unter drei Gesichtspunkten. Wir werden zurückgeführt in die fernste Vergangenheit, in die Urzeiten der Menschheit, aber auch in die Gegenwart, in unser eigenes Leben mit seinen verschiedenen Verhältnissen und nicht minder in die fernste Zukunft. In der Mythologie der Griechen finden wir die Sage vom goldenen Zeitalter, in welchem die Menschen in Unschuld und Unbefangenheit, in vollkommenem Glück, in Frieden und gegenseitiger Liebe nebeneinander wandelten, da noch keine Begierden nach Besitz erwacht waren, da die Selbstsucht schwieg, weil jeder sein volles Genügen hatte, da die Natur in verschwenderischer Fülle allen das gab, was ihnen zum Leben und zur Freude genügte. Der Waffen bedurfte man nicht, weil Friede herrschte, und Geld und Gut kannte man nicht, weil jeder vollauf hatte, was er brauchte. — Dasselbe Bild einer glückseligen Zeit findet sich auch in der semitischen Mythologie. Die Bibel erzählt davon am Anfange des ersten Buches Mosis. Wir lesen dort vom Paradies, von dem Garten Eden, in den der Herr das erste Menschenpaar hinein setzte, damit sie daselbst dauerndes Glück und ungestörten Frieden genießen sollten. Selbst bedeutenderen Geistern der neueren Zeit ist der Gedanke, der in jenen Sagen liegt, nicht fremd gewesen. Ich erinnere an die „Nova Atlantis“ Baco von Verulams und an Rousseau, der in seinem „Emile“ die Idee aussprach, daß der Mensch, wenn er Glück und Frieden erlangen wolle, zur Natur, also in seinen Urzustand, zurückkehren müsse. Wenn nun aber auch jene Zustände, wie sie die Genesis und die Dichter des Altertums ausmalen, nicht geschichtlichen Tatsachen entsprechen, so verlieren diese idealen Bilder doch nicht ihre Bedeutung für uns. — Wir alle haben ein goldenes Zeitalter erlebt, die Kindheit, als wir froh und selig, unbeschwert von Sorgen und Mühen, unbelastet von Schuld und Fehlern mit unschuldigen Kinderaugen die Welt ansahen, wo wir, am Herzen der liebenden Mutter ruhend, unverstandene Gebete stammelten. Was fragten wir da nach den Metallen, nach Gold und Silber, nach Reichtum und Besitz! Wir kannten sie gar nicht und strebten darum auch nicht danach. Erst als wir unser Kindheitsparadies verloren hatten, als wir, selbst von Schuld und Sünde befleckt, nicht mehr Vertrauen zu den anderen hatten und darum nicht mehr arglos durch das Leben zu gehen vermochten, als wir die Begriffe Mein und Dein unterscheiden lernten, und der Kampf um das Dasein für uns begann, als wir die Erfahrung machten, daß Reichtum und Schätze nicht zu verachtende Waffen in diesem Kampfe seien, da lernten wir die Bedeutung der Metalle kennen. Wir lernten einsehen, daß Reichtum eine Macht sei, und wir erblickten um uns eine Welt, die sich vor dieser Macht beugt, eine Welt, die sich im Reigentanz um das goldene Kalb dreht und nur zu geneigt ist, den Mammon als das einzig Erstrebenswerte, alles andere aber als Chimäre hinzustellen. Man pflegt wohl Geld und Gut in frivoler Weise den nervus rerum zu nennen. Das Bild ist übel gewählt und kann nur solchen anstehen, die, durch irdische Schätze verblendet, die ewigen nicht zu sehen vermögen, jene geistigen Güter, die nicht vom Rost verzehrt werden, und denen die Diebe nicht nachgraben, um sie zu stehlen. Der wahre Nerv der Dinge liegt ganz wo anders; er liegt in dem Streben des Menschen nach oben, nach Licht und Wahrheit, nach dem Göttlichen und Ewigen. Irdische Schätze, wenn sie richtig angewendet werden, können wohl dazu dienen, das Leben in diesem Nerven zu fördern und zu stärken, niemals aber sind sie der Nerv selbst, sie sind einzig und allein Mittel zum Zweck, oder, um ein anderes Bild zu gebrauchen: sie sind der Dünger, der dem Acker seine Fruchtbarkeit verleiht. Jeder Landmann schätzt gewiß den Wert des Düngers, den er auf seinen Acker fährt, außerordentlich hoch; aber arbeitet er um des Düngers willen oder der goldenen Ähren halber, die durch ihn hervorgerufen werden? Doch wahrlich der letzteren wegen. Der Habsüchtige, der nur immer auf Erwerben und Zusammenscharren sinnt, ist vergleichbar einem Mann, der im Dünger wühlt und an ihm seine Lust hat. Wehe dem, der die Schätze der Erde liebt um ihrer selbst willen oder um der sinnlichen Genüsse, die er sich mit ihnen bereitet! Er wird verzehrt von dem tödlichen „Gift der Seelen“, wie Shakespeare das Gold nennt. Habsucht, Wollust und Übermaß vernichten den lebendigen Keim des Göttlichen, der in ihn gelegt worden ist. Darum fordern wir den Suchenden auf, ehe er unser Heiligtum betritt, alle Metalle abzulegen. Wir wünschen, daß er mit reiner Kinderseele zu der geweihten Stätte treten möchte, an welcher er für sein >252< ganzes Leben dem Dienste des Ewigen sich hingeben soll. „Wahrlich, ich sage euch: wer das Reich Gottes nicht empfängt als ein Kind, der wird nicht hineinkommen!“, so sprach einst unser Obermeister (Mark. 10,15), Und ferner sprach er: „Wie schwerlich werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! (Mark. 10,23) und an einer anderen Stelle braucht er das Gleichnis, daß ein Kamel eher durch ein Nadelöhr gehen möchte, als ein Reicher durch die enge Pforte, die zum Leben führt. Sicherlich aber hat er nur diejenigen unter den Reichen gemeint, die ihr Herz allein an ihren irdischen Besitz hängen, denen der Flug der Seele gehemmt ist durch die goldene Last, die sie nicht aufsteigen läßt zum Lichte, sondern hinab zieht in den Staub und in die Finsternis, nicht aber die Reichen, die da besitzen, als besäßen sie nichts, die über dem Irdischen das Ewige nicht vergessen, und die, eingedenk der Worte des Obermeisters: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“ (Luk. 16,9), es verstehen, die Schätze dieser Erde anzuwenden zur Erringung ewiger, idealer Güter. Diesen Gedanken von dem Nutzen und von der rechten Anwendung der Metalle finden wir noch einmal wieder am Schluß unserer Lehrlingsaufnahme. Unter anderen maurerischen Erkennungszeichen erhält der neuaufgenommene Lehrling als letztes die Losung T ........ . Gerade dem angehenden Jünger der k. Kunst, dem zuerst die Metalle abgenommen wurden, wird am Schlusse der Name dessen beigelegt, der, wie unsere Akten sagen, der erste Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk war, und der aus den Metallen die ersten Werkzeuge formte, „um damit Steine zu bebauen und zu Gebäuden brauchbar zu machen“. Das war die erste rechte Anwendung der Metalle. Von allen Körpern sind die Metalle die schwersten; sie bilden das eigentliche Wesen, der materiellen Dinge, ihre wahre Substanz, die durch das zu Boden Herabziehende den schroffsten Gegensatz zum emporhebenden Geiste bildet. Wer die der Schwerkraft unterliegenden Elemente zu bezwingen und in den Dienst des Geistes zu stellen weiß, der ist Sieger über das Irdische. Als solch ein Sieger steht die mythische Gestalt des T ........ vor uns. In ihm erscheint uns der Mensch in seinem Urzustande den Rohstoffen der Natur gegenüber, die er durch seine Geistesgaben zu bezwingen und zu gestalten weiß. Die Metalle zu gestalten aber ist nur möglich durch des Feuers Kraft und durch des Hammers Streiche. Ohne ihre Gestaltung wäre die menschliche Kultur, wie sie bis heute im Laufe der Zeiten herangereift ist, undenkbar; und heute mehr denn je ist die lodernde Feueresse, wo sich das Eisen unter des Hammers Gewalt erweichen und in der Glut schmelzen und eine Gestalt annehmen muß, wie der Mensch es will, das eigentliche Wahrzeichen unserer Zeit. Und diese gewaltigen Kräfte gebraucht der Mensch zu höheren Zwecken. Er gewinnt das Werkzeug, dessen scharfer Schneide selbst das spröde Material des Granits und des Marmors nicht widerstehen kann, und unter dessen scharfen Schlägen es sich formt zum kubischen Baustein des Tempels und zur Statue des Götterbildes. Und das einfache Werkzeug verfeinert sich zur Maschine, die den höchsten Leistungen der Industrie dienstbar ist, die dem Menschen manche grobe Arbeit, sie in feinerer und exakterer Weise ausführend, abnimmt und ihm dadurch Raum schafft zu einer ausgedehnten Tätigkeit des Geistes. Ja selbst die furchtbaren Werkzeuge, die aus der Esse des T ........ hervorgehen, Schwert und Speer, Geschütz und Geschoß, die blutlechzenden Waffen des Krieges, sie sind geweiht und dienen den höchsten Zwecken, wenn sie die höchsten Güter verteidigen und sich in den Dienst des Vaterlandes stellen, um es zu bewahren vor Knechtschaft und Barbarei. — Wenn aber der Suchende das maurerische Licht erhalten hat und in unsern ehrwürdigen Orden aufgenommen worden ist, dann erhält er seine Metalle zurück, die ihm abgenommen waren. Sie können ihm nicht mehr schaden — so hoffen wir! —, denn er hat dadurch, daß er sich ihrer entäußerte, gezeigt, daß er gesonnen ist, reinen Herzens die Wege des Lichtes zu wandeln, des Lichtes, dessen ersten Schein er geschaut hat, und das ihn in alle Wahrheit leiten soll. Getrost mag er seinen irdischen Besitz wieder an sich nehmen, er hat für ihn seine hernieder ziehende, befleckende Kraft verloren; geweiht gleichsam erhält er ihn zurück und kennt seine rechte Anwendung. Über dieser Anwendung, durch die er für sich und seine Mitmenschen das Edelste und Schönste zu erlangen und zu schaffen bemüht sein soll, möge er aber auch nicht vergessen, sich die rechten Werkzeuge für die Arbeiten der k. Kunst, denen er von nun an obzuliegen hat, zu schaffen. Auch hier soll ihm T ........ zum Sinnbild dienen. Zwar aus Metall werden sie nicht geformt, aber sie werden hervorgeholt aus dem Schacht unseres Geistes, und sie sollen geschmiedet werden im Feuer der Begeisterung und des Eifers: unsere Werkzeuge, Verstand, Wille und Gedächtnis. Fest wie gehärteter Stahl sollen sie werden und >254< schneidig geschliffen; dazu helfen dem Lehrling die Gesellen, deren Aufgabe es ist, ihre und der Lehrlinge Werkzeuge zu schleifen. Auf diese Werkzeuge weist uns auch der Orden hin durch das, was er dem Geweihten überreichen läßt. Es ist wunderbar. Unsere Metalle wurden uns zurückgegeben, und dazu erhielten wir noch andere hinzu, eine Kelle von Silber und ein Schwert mit blitzender Stahlklinge. Was draußen dem Mammon dient, Silber und Gold, wird hier zum Symbol des Reinsten und Edelsten, das Silber mit seinem weißen Schimmer wird zum Sinnbild der Reinheit und Einfalt, das Gold, das der Lehrling in der Kelle der Meister erblickt, ist mit seinem strahlenden Glanze das Sinnbild des Tüchtigen, Unwandelbaren, das sich im Feuer bewährt und von keinem Rost angegriffen wird. Diese goldenen und silbernen Werkzeuge schaffen in unserm Inneren; das Schwert aber wendet sich nach außen; es will nicht verletzen, sondern nur verteidigen. Solche Werkzeuge zur Hand gehen wir umgürtet mit dem Schurz der Arbeit ans Werk. Wenn aber der große Meister um Hochmitternacht zur Feierstunde ruft, und wir uns zur Ruhe betten, dann legen wir wiederum die Metalle ab. Unsere irdischen Besitztümer lassen wir hier, und auch die Werkzeuge, die hienieden unserm Schaffen gedient, lassen wir zurück und treten wieder als Kinder vor das prüfende und richtende Auge des Vaters, dessen Liebe und Gnade wir uns anvertrauen. Möge es uns dann gelingen, das uns von ihm Anvertraute in reiner Währung darzubringen, geprägt mit dem Stempel, der da nachweist, daß wir das Höchste gewollt haben. Auf diese große Zukunft weisen uns die Worte unserer Akten, die uns erzählen, daß der Tempel Salomos aus fertigen Steinen und Balken errichtet wurde, ohne daß man den Schall eines Hammers oder einer Axt dabei vernahm. Frei und leicht fügten sich die Baustücke, die dem Salomo von seinem, königlichen Freunde zugesandt waren, aneinander; alles paßte und stimmte, und der Tempel baute sich gleichsam von selbst. — Ob wohl einmal nach Äonen eine Zeit kommen wird, wo die lebendigen Bausteine sich so aneinanderschließen werden ? Ob einst wirklich die Menschheit zu einem Tempel des Höchsten ausgebaut sein wird, zu einem vollendeten Gottesreiche, wo Liebe und Friede herrscht? — Wir wissen es nicht. Vervollkommnungsfähig ist das Menschengeschlecht wohl, die kurze Spanne seiner Geschichte, die wir übersehen, beweist es. Wir können aber nicht wissen, ob nicht vielleicht einmal ein Höhepunkt erreicht wird, von dem ab eine Entartung eintritt, und wir können nicht wissen — vorausgesetzt, daß die Entwicklung der Menschheit zur Vollendung stetig bis zum höchsten Gipfel fortschreitet — ob unser Erdball, der ja auch seine Entwicklung hat und vergänglich ist wie alles Geschaffene, so lange vorhalten wird, bis das Gottesreich auf Erden vollendet ist. Aber unsere Hoffnung und unser Glaube sagt uns, daß die Vollendung und Vereinigung der Geister im ewigen Reiche des Lichtes jenseits dieser irdischen Schranken von der ewigen Liebe beschlossen ist, dort, wo alle Zeitrechnung aufhört. Dort wird sich der ewige Tempel errichten, der keines irdischen Werkzeuges bedarf, um fertig zu werden, und der himmlische Salomo, der der wahre Meister des Tempels ist, wird die Seinen, die ihn gesucht haben, als die lebendigen Bausteine vereinigen zu einem Leben im Licht und in der Liebe an seinem Vaterherzen. — (1900.) >256< Die Entkleidung. Eine Überraschung nach der andern wird dem Aufzunehmenden bei seinem Eintritt in das Logenhaus bereitet. Zuerst werden ihm die Augen verbunden, dann wird er in ein ganz dunkles Zimmer eingeschlossen, dann fordert man ihm seine Barschaft und seine Pretiosen ab und endlich verlangt man gar von ihm, daß er sich entkleiden soll. In diesem Zustande, in welchem sonst jeder sich scheuen würde, vor Menschen sich sehen zu lassen, soll er in die Gesellschaft der Brüder treten. Wen sollte das nicht befremden? Aber was soll der Suchende machen? Er hat vorher dem einführenden Bruder das Versprechen gegeben, sich unbedingt den altehrwürdigen Gebräuchen der Aufnahme zu unterwerfen, und er fühlt sich dadurch gebunden, so seltsam ihm auch das alles erscheinen mag. Die Entkleidung, welcher der Suchende sich zu unterwerfen hat, ist aus naheliegenden Gründen keine vollständige. Im Altertum freilich soll bei der Einweihung in die Mysterien eine Ablegung aller Gewänder verlangt worden sein. Bei unsern modernen, maurerischen Mysterienfeiern begnügen wir uns damit, daß der Suchende Rock, Weste und Halsbinde ablegt, die linke Schulter und Brust sowie das rechte Knie entblößt und, nachdem er den linken Schuh oder Stiefel ausgezogen, mit dem linken Fuß in einen niedergetretenen Schuh tritt. Von der Entblößung der linken Schulter und Brust wird jetzt meistens abgesehen, weil sie zu umständlich ist; doch müssen wir daran festhalten, daß sie eigentlich nötig ist. Die Entblößung des rechten Knies aber wird angedeutet durch die Umlegung eines weißen Tuches, da bei unserer jetzigen Kleidung dieser Gebrauch fast zur Unmöglichkeit wird, während er in früheren Zeiten, als man Kniehosen und Strümpfe trug, keine Schwierigkeiten machte. Was sagen nun unsere Akten über diese eigentümlichen Gebräuche? — Zunächst heißt es im Lehrlingsfragebuch (Abt. V., Fr. 7) : „Wie ist ein Suchender, der zu seiner Aufnahme geführt wird, gekleidet?“ „Weder bekleidet noch unbekleidet, aber doch anständig und ehrbar.“ Ich glaube, in dieser Antwort den Sinn zu finden, daß wir bei der Entkleidung pars pro toto zu nehmen haben. Eigentlich sollte der Suchende nackt das Heiligtum der Loge betreten, wie sich aus dem Folgenden deutlicher ergeben wird. Gleichwohl erscheint mir auch die teilweise Entkleidung ihre wohlberechtigte Bedeutung zu haben. Der Suchende ist „weder bekleidet noch unbekleidet“; es macht den Eindruck, als wenn er mit dem Ankleiden nicht fertig geworden wäre; sein Anblick ist der des Nichtvollendeten, Unfertigen, ebenso wie der rauhe Stein nicht fertig ist, welcher später ihm zum Sinnbild werden, ja, mit dem er sich selbst identifizieren soll. Sein Gang ist dadurch, daß er am linken Fuß den niedergetretenen Schuh trägt, hinkend und unsicher geworden, und diese Unsicherheit des Schreitens wird noch vermehrt durch die Binde, welche ihn des Gesichtssinns beraubt. Das alles sind Hindeutungen auf den Zustand der Hilflosigkeit, in dem der Suchende gegenüber der neuen Welt, in welche er treten soll, sich befindet. Darum heißt es auch in den Erklärungen der Aufnahme (L. B. II. Beil., S. 33) : „Das Wegtragen der Kleider des Suchenden erinnert an den Zustand der Hilflosigkeit, in dem wir auf die Welt kommen.“ Unsere Akten sprechen sich noch an mehreren Stellen über die Entkleidung aus. Das Wichtigste darüber enthält folgende Stelle (L. B. II. Beil., S. 31) : „Die Entkleidung zeigt an, daß wir ein leeres Herz in einem geschmückten Körper ebenso gering achten, als wir eine edle Denkungsart bei dem hochschätzen, welcher mit keinem erborgten Prunke bekleidet ist. Die Freimaurer haben aber auch diese Sitte angenommen zur Erinnerung an den ersten Maurerbruder, der so entkleidet seine Arbeit begann.“ >258< Nur der Mensch, wie er aus Gottes Hand hervorgegangen ist, gilt etwas in der Werkstätte der k. Kunst. Auf seinen Geist, auf seine Anlagen und Fähigkeiten kommt es an, nicht auf das, was irdische Verhältnisse ihm äußerlich angeheftet haben. Wie das Kind sich nackt dem Mutterschoße entwindet, so soll auch der Suchende in das neue Leben treten, das mit seiner Aufnahme beginnt; denn eine neue Geburt ist es, die er erfährt, wenn ihm das maurerische Licht erteilt wird, wenn er zu einem Lichte geboren wird, das über dem Lichte steht, das ihm bisher geschienen hat. Wie wenig Wert der Orden auf Äußerlichkeiten legt, die das Menschenleben mit sich bringt, davon zeugt auch folgende Parallelstelle unserer Akten (Beil. S. 35) : „Hirtenstab und Bauernkittel haben bei uns gleichen Wert mit Königsschmuck und Purpurmantel. In unserer Loge setzen wir alle Titel, Würden und ererbte Namen bei Seite und vertauschen sie mit dem lieblichen Namen „Bruder“, einem Namen, den der allmächtige Baumeister allen Menschen zuerkannte, weil sie alle gegenseitiger Liebe, Stärkung und Vertrauens bedürfen.“ Und über der Pforte einer Loge Ostpreußens lesen wir folgende Inschrift: „Laßt Ahnenglanz und Ehrenstellen Und jedes schimmervolle Glück, Bevor ihr diese heil'gen Schwellen Betretet, vor der Tür zurück, Und hoffet andern Vorzug nicht, Als den die Tugend euch verspricht.“ Es ist also die Meinung des Ordens, daß das, was menschliche Verhältnisse uns gegeben haben, eher ein Hindernis als eine Förderung für die Fortschritte in der k. Kunst sein kann. Darum legen wir das alles vor der Türe der Loge ab wie ein Gewand; der innere Wert ist es allein, worauf es ankommt. Ein Sprichwort sagt: „Kleider machen Leute.“ Wir verwerfen es und machen dafür ein anderes zu dem unsrigen: „Das Kleid macht nicht den Mann.“ Und doch hat das erste Wort gewissermaßen recht. Diejenigen, die auf Äußerlichkeiten Wert legen, das sind „Leute“; wir können sie nicht brauchen. Männer brauchen wir, und darum sagen wir: „Das Kleid macht nicht den Mann". Wir brauchen Männer, deren Wert allein abgemessen wird nach der edlen Denkungsart, die sie in ihrem Inneren tragen, wir brauchen freie Männer, welche Vorurteile und böse Neigungen zu überwinden wissen, Männer, die trotz des Selbstbewußtseins, das ihnen ihre Manneskraft verleiht, in geistlicher Armut sich nackt und bloß fühlen vor dem ewigen Gott und sich in Demut ihm ergeben. Was auch immer der Mensch im Laufe seiner Entwicklung durch die Jahrtausende geleistet haben mag auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Künste, der Technik, der Staatskunst und wo sonst auch immer: stets steht er vor dem, dessen Hand ihn formte, so nackt und arm da, wie er vom Mutterleibe kam. Auf die Demut vor Gott weist auch ferner der Gebrauch, das rechte Knie des Suchenden zu entblößen. Unsere Akten sagen darüber folgendes (Beil. S. 32): „Die Entblößung des rechten Knies, auf welches der Suchende fällt, wenn er sein Gelübde ablegt, deutet auf die unverbrüchliche Ehrfurcht, welche ein freier und angenommener Freimaurerbruder stets gegen den allerhöchsten Baumeister der Welt hegen soll.“ Im Gelübde, das wir an geweihter Stätte ablegen, erfolgt die freie und rückhaltlose Hingabe an das Werk der k. Kunst, welche nichts anderes will als die Gotteskindschaft, zu der der Mensch berufen ist, in ihm zum höchsten Bewußtsein entwickeln und ihn als vollendetes Ebenbild Gottes hinstellen. Nur wer sein Knie vor dem Höchsten zu beugen versteht, nur wer die Bedeutung des Winkelmaßes, auf dem das gebeugte Knie, selbst rechtwinklig gebogen, ruht, recht zu erfassen vermocht hat als das heilige, unabänderliche, göttliche Gesetz, nur wer „in Demut sein Inneres der Erleuchtung öffnet“, in den kehrt der Geist der Wahrheit ein. Nur der Mensch, der sich vor Gott demutsvoll in den Staub beugt, von dem er genommen ist, wird aufgerichtet werden, und die Verheißung des Lehrlingswortes J..... welches eigentlich heißt: „Er richtet auf“, wird sich an ihm erfüllen; denn wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöhet werden. >260< Noch ein drittes Moment finden wir bei der Entkleidung, welches auf die Demut hindeutet, das ist der niedergetretene Schuh am linken Fuß. Unsere Akten sagen darüber (Beil. S. 32) folgendes: „Der niedergetretene Schuh am linken Fuß soll bezeugen, daß wir, gekleidet oder ungekleidet, stets zum Dienste unserer Brüder bereit sind, und daß wir dem Dienst der Unglücklichen gern die Stunden opfern, die wir zur notwendigen Erholung und zur nächtlichen Ruhe bedürfen.“ Demutsvolle Selbstverleugnung ist es zunächst, woran uns der Gebrauch erinnern soll, und zwar zuvörderst gegenüber unsern Nebenmenschen, die wir als Brüder lieben sollen. Der niedergetretene Schuh führt uns zu Gemüt, daß wir in unserer Lebensstellung auf Erden nicht zum Herrschen, sondern zum Dienen berufen sind. In der Nacht aus dem Schlafe geweckt, nimmt der Hilfsbereite sich nicht die Zeit, den Schuh anzuziehen; er tritt ihn nieder und eilt dorthin, wo Hilfe nötig ist. Aber nicht nur Demut und Hilfsbereitschaft den Menschen gegenüber soll der niedergetretene Schuh uns lehren, sondern auch Demut vor Gott. — Von alters her ist das Einhergehen in Stiefeln, die ein festes und sicheres Auftreten gestatten, ein Sinnbild des Stolzes und des Selbstbewußtseins. Im Mittelalter trug nur der freigeborene Ritter Stiefel, an denen der klirrende Sporn schon von weitem den Herrn ankündigte; die Knechte und Hörigen trugen Schuhe. Bei den Völkern des Morgenlandes gilt schon der beschuhte Fuß als Zeichen des Stolzes, das Ablegen der Schuhe als Betätigung der Demut. Der Mohammedaner legt vor dem Betreten der Moschee die Schuhe ganz ab und betritt mit nackten Füßen das Heiligtum. Auch bei den Juden herrschte dieselbe Anschauung; denn im zweiten Buche Mosis (Kap. 3, Vers 5) wird erzählt, daß, als der Herr Moses im feurigen Busch erschien, eine Stimme ihm zurief: „Zeuch deine Schuhe von den Füßen, denn der Ort, da du stehest, ist heiliges Land.“ So sollte der angehende Maurer eigentlich auch mit nackten Füßen die heilige Stätte unseres Tempels betreten, die Stätte, die geweiht ist zur Werkstatt der k. Kunst, wo er dem Höchsten dienen soll durch Heiligung und Reinigung seines Herzens, durch Entfachung seines inneren Lebens, die ihn seinem Gott zuführen soll. Einen weiteren Gebrauch bei der Entkleidung haben wir noch zu betrachten, nämlich die Entblößung der linken Schulter und Brust. Die Akten sagen darüber (Beil. S. 32) ; „Die Entblößung der linken Schulter und Brust geschieht, damit man von dem Geschlechte des Suchenden versichert sei; denn wenngleich wir das schöne Geschlecht hochschätzen, so gestatten wir doch demselben den Eintritt bei uns nicht, damit seine Gegenwart unsere Brüder an der Beachtung der Ordnung und an der Arbeit nicht hindere.“ Diese Probe auf das Geschlecht des Suchenden kann wohl kaum so gemeint sein, wie es der Wortlaut der Erklärung ergibt. Der Suchende wird doch von dem ersten Paten, der ihn genau kennen muß, zur Loge geleitet und von ihm eingeführt; weshalb sollte da noch eine Prüfung seines Geschlechtes stattfinden? Es wäre gut, wenn diese Erklärung aus unsern Akten beseitigt und eine andere dafür an die Stelle gesetzt würde, welche eine würdigere Auslegung dieses Gebrauches bringt. Wir haben es hier mit einem Überbleibsel vergangener Zeiten zu tun, das in unsere Zeit nicht hineinpaßt. In einem späteren Grade heißt es, daß die Brust entblößt wird, um anzudeuten, „daß das Herz des Suchenden der Bruderliebe und Freundschaft geöffnet sein soll“. Das trifft schon besser zu. Außerdem aber ist zu beachten, daß diejenigen Stellen des Körpers, welche bei der Aufnahme mit maurerischen Werkzeugen in Berührung kommen, nämlich das rechte Knie, welches auf dem das Winkelmaß tragenden Kissen ruht, die linke Schulter, auf welche der zweite Aufseher nach jeder der drei Reisen mit seinem Hammer die drei Freimaurerschläge tut, und die Herzgegend, auf welche der Suchende bei Ablegung des Gelübdes und bei der Weihe die Spitze des rechtwinklig geöffneten Zirkels setzt, entblößt sein sollen. Darin liegt ein Hinweis, daß der Orden auf diese Akte ein ganz besonderes Gewicht legt, und daß dasjenige, was das Winkelmaß, der Hammer und der Zirkel ausdrücken, freien, durch nichts gehinderten Eingang in das Innere des Suchenden finden soll. Gleichwohl ist die Beziehung der obigen Erklärung auf das weibliche Geschlecht wohl zu beachten; sie ist außer den Erklärungen bei der Überreichung der Frauenhandschuhe die einzige Stelle unserer Johannisakten, wo vom andern Geschlecht die Rede ist. Dort wäre der Ort, wo sich unsere Erklärungen über das Verhältnis der Frau zur Loge und zur Freimaurerei etwas mehr verbreiten könnten, und namentlich über die >262< Gründe, weshalb wir die Frauen zu unsern Arbeiten nicht zulassen dürfen. Das Wichtigste, was unsere Akten neben den moralischen Bedeutungen in der Erklärung der Entkleidung geben, ist ein Gesichtspunkt, der sowohl ihre historische als auch ihre freimaurerisch-wissenschaftliche Bedeutung berührt. Ich meine die oben schon angeführten Worte: „Die Freimaurer haben diese Sitte angenommen zur Erinnerung an den ersten Maurerbruder, der so entkleidet seine Arbeit begann.“ In die fernsten Zeiten der Geschichte der Menschheit führen uns diese Worte zurück. Der erste Maurerbruder! Wer war das? Erzählen uns unsere Urkunden und Überlieferungen von ihm? Nein! In tiefes Dunkel sind die Anfänge unserer Kunst gehüllt. „Vergraben ist in ewiger Nacht Der Erfinder großer Name zu oft!“ — Der Name dessen, in dessen Seele der maurerische Gedanke wach wurde, wird uns von unsern Geschichtsbüchern nicht genannt, und dennoch weist uns der Orden auf ihn hin durch — die Entkleidung. Wir nennen unsern Orden einen uralten und ehrwürdigen; aber noch niemand hat über seine Entstehung uns sichere historische Daten anführen können. Was ehrwürdig ist, kann nicht von gestern oder heute sein, sondern es muß hinaufreichen in eine ferne Vergangenheit. Eine Sache aber, die uralt ist, wird für die Geschichtsschreibung schwierig, und zwar um so schwieriger, je weiter ihre Anfänge zurückliegen. Der Blick des Historikers, wenn er einzig und allein auf dokumentarisch verbürgte Tatsachen gerichtet ist, ist kurzsichtig und reicht nur eine geringe Strecke in die Vergangenheit zurück. So ist es auch in der Freimaurerei. Unsere eigentliche Ordensgeschichte umfaßt kaum zwei Jahrhunderte. Wohl haben wir Überlieferungen, die uns viel weiter in die Vergangenheit zurückführen, aber diese Traditionen sind unsicher, und ihr historischer Wert ist zweifelhaft. Ein anderes ist es, wenn wir die Geschichte der freimaurerischen Idee ins Auge fassen. Die Idee, welche unserm Orden Leben und Stärke gibt, ist immer vorhanden gewesen. Eine Geschichte des Logenlebens kann der freimaurerische Historiker wohl schreiben, viel mehr aber nicht. Die Geschichte der maurerischen Idee aber enthüllt sich uns, wenn wir mit maurerisch erleuchtetem Sinn die Weltgeschichte betrachten. Zwischen ihren Zeilen kann sie allein gelesen werden, und der erschlossene Sinn wird das Wort Lessings: „Die Freimaurerei war immer!“ bewahrheitet finden. Ihre Idee liegt in der menschlichen Natur begründet, darum ist sie so alt als das Menschengeschlecht, und erst mit diesem wird sie untergehen. Der erste Mensch, der seinen Blick aufwärts richtete zum Licht, der, ein vollkommenes göttliches Wesen ahnend, seine eigene Unvollkommenheit erkannte und die Sehnsucht nach Frieden und Vollendung in sich wach werden fühlte, war der erste Freimaurer. Unter dem Bilde des hilflos entblößten, unsicher schreitenden und strauchelnden, des Lichtes beraubten und nach dem Lichte sich sehnenden Suchenden weist uns der Orden das Abbild „des ersten Maurerbruders, der seine Arbeit also begann“. Was auch immer im Laufe der Jahrhunderte vom Menschengeschlecht geleistet sein mag auf allen Gebieten des Wissens und Könnens: der Mensch, wenn er vor seinen Schöpfer tritt, aus dessen Hand er hervorging, bleibt immer derselbe; nackt, arm, hilfsbedürftig, blind steht er vor dem ewigen Meister und Vater da. Was kann ihm die ganze Kultur geben, um ihn zu erheben und dem Lichte zuzuführen ?! Auf sich selbst ist er gestellt und auf den göttlichen Keim, der in seinem Inneren lebt. Jeder, auch der moderne, sich groß dünkende Mensch muß von vorn anfangen. Das ist dasselbe, was Goethe anerkannt hat, wenn er sagt: „Die Menschheit schreitet immer fort, und der Mensch bleibt immer derselbe.“ Mensch, erkenne, wie wenig du hast und bist; erkenne aber auch, was dein Schöpfer in dich hineingelegt hat; erkenne dein göttliches Erbe, das deinem Leben allein seinen Wert verleiht! — Das ruft der Orden uns jedesmal zu, wenn ein fremder Suchender entkleidet und hilflos die Schwelle unseres Tempels überschreitet. In dieser Erkenntnis wurzelt die Idee der k. Kunst. Von dem nackten und blinden Wanderer ist abgefallen das Menschliche; das Göttliche aber, der logos, das Wort, das in ihn gelegt ward, das Kleinod, das von Anbeginn der Zeiten das Leben und das Licht der Menschen war, der Keim, aus dem sich durch die k. Kunst der wahre Mensch erst entwickeln soll, kann >264< niemand von ihm nehmen. Unsere Akten reden von ihm, und außer ihnen das Johannisevangelium in den monumentalen Worten seines Prologs. Faust sucht es zu übersetzen durch Wort, Sinn, Kraft, Tat; immer ist es dasselbe, das Wort, in dem Gedanke, Wille und Tat eins ist, in dem das Licht ruht, das von dem, der sich mit dem weltlichen Tand der Finsternis behängt hat, nicht begriffen wird, wohl aber von dem, der ihn abgelegt hat. In ihm fängt das Wort an zu sprechen und zu schaffen, in ihm baut es Werke, die nicht untergehen. Alle diejenigen aber, in denen das Wort lebendig geworden ist, vom ersten Maurerbruder an bis heute, bilden den Orden, und die Geschichte der Wirksamkeit des göttlichen Wortes ist die Geschichte des Ordens im weitesten Sinne. Wir sehen seit Urzeiten die Wirkungen des logos, anfangs in den undeutlichsten Spuren im Götzen- und Fetischdienst, dann geläutert in dem reinen Gottesbewußtsein der Patriarchen. Wir sehen die Weisen des Altertums und die Propheten des alten Bundes, alles Zeugen der im Menschen tätigen Gotteskraft, wir sehen den Wüstenprediger Johannes, der die Erscheinung der im Fleische erschienenen Vollendung des göttlichen Wortes vorausverkündigte, wir sehen ihn selbst, die Lebenssonne der Wahrheit, Jesus von Nazareth, ihn, der allein der wahre Obermeister ist, wir sehen die Wirksamkeit all der unzähligen Geschlechter, Völker und Zungen, die die Wahrheit gesucht und gefunden haben und bereit waren, ihr Bekenntnis mit ihrem Blute zu besiegeln. Sie alle bilden den wahren, großen Orden, die unsichtbare Loge, die da zusammenführen möchte in ihren ewigen Tempel alles, was Mensch heißt, zum Dienste des ewigen Gottes im Geiste und in der Wahrheit. Möchten auch alle unsere Suchenden, welche unbekleidet unserem Altar nahen, ihres hohen Maurerberufs innewerden, auf daß sie nicht bloß zu den Berufenen, sondern zu den Auserwählten gehören! — (1891. 1904.) Die Binde vor den Augen des Suchenden. Der Suchende, der mit offenem Sinn und gespannter Aufmerksamkeit dem Gange seiner Aufnahme folgt, wird, noch ehe das erläuternde Wort an ihn gerichtet wird, erkennen, was die Freimaurerei ist und was sie will: Die Freimaurerei ist ein Weg vom Dunkel zum Licht, vom Irrtum zur Wahrheit, vom Schein zum Sein. Sie will uns aber nicht nur den Weg zeigen, sie will uns auch eine Führerin auf diesem Wege sein; sie bemächtigt sich unser ganz und gar, sie regt uns an, stellt uns Aufgaben und gibt uns die Mittel zu ihrer Lösung. Überall auf unserm Lebenswege will sie uns nahe sein, um uns stets in der Richtung zu erhalten auf das Eine, das not ist. Den ganzen Menschen nimmt sie in Anspruch in all seinem Denken, Empfinden und Handeln. Sie möchte gern etwas anderes aus ihm machen, als er bisher gewesen ist, und sie bedient sich dazu der mannigfachsten Mittel. Aber alle diese Anregungen, Mittel und Werkzeuge sind vergeblich und bleiben tot, wenn nicht der angehende Freimaurer sie ergreift und sie auf sich in voller Hingebung wirken läßt, ja noch mehr: es darf bei einer bloßen Einwirkung, bei welcher der Suchende sich passiv verhält, nicht bleiben, er muß lernen, sie in freier Tätigkeit zu gebrauchen und arbeitend auf sich selbst anzuwenden. Das Interesse, das alle diese Dinge, Zeichen, Worte und Symbole und symbolische Handlungen uns erwecken, darf kein flüchtiges sein, vielmehr muß ihre Wirkung eine so nachhaltige werden, daß wir in ihnen die Normen für unser inneres Leben und für unsere innere Gestaltung erkennen und aktiv zu gebrauchen wissen. Ist dies der Fall, dann lernen wir zuletzt einsehen, daß alle diese Dinge, wie mannigfach gestaltet sie auch sind, >266< und wie verschiedenartig sie uns auch anmuten mögen, dennoch einem Zwecke dienen, nämlich, uns aus der Finsternis dem Lichte entgegenzuführen. Schon der Umstand, daß der Suchende in eine dunkle Kammer geführt wird und von dieser aus einen langen und mühevollen Weg bis zum lichten Raum der Loge zurücklegen muß, deutet dem Neuling an, wohin die Freimaurerei mit ihm hinauswill. Noch deutlicher aber tut dies die Binde, welche sich um seine Augen legte, als er das Logenhaus betrat, und die auch später bei dem Wege von der dunklen Kammer bis zur Loge und in derselben ihn an dem Gebrauch des Augenlichtes hinderte. Unsere Akten sagen über sie folgendes: „Die Binde vor den Augen des Suchenden ist ein Sinnbild des geistigen Dunkels, worin der Mensch, geblendet durch Begierde und Sinnlichkeit, nur zu leicht versinkt. Es erinnert dies aber auch daran, daß wir Licht und Vollkommenheit mit dem Verlangen suchen sollen, mit dem der Suchende den Gehrauch seiner Augen wieder zu erhalten wünscht.“ (L. B. II., Beil., S. 33.) Und im Fragebuche heißt es (Abt. V, Frage 16 und 17) : „Was haben Sie gesehen, als Sie in die Loge traten?“ „Nichts! Denn meine Augen waren mit einer undurchdringlichen Binde bedeckt.“ „Warum waren Sie des Gebrauches Ihrer Augen beraubt ?“ „Um mir anzudeuten, daß der Maurer durch Dunkelheit zum Lichte und zur Wahrheit dringen muß, wenn er der wahren Glückseligkeit teilhaftig werden will.“ Das, was hier in unseren Akten gesagt ist, sind Deutungen rein moralischer Art. Aber unsere Sinnbilder — es muß immer wieder darauf hingewiesen werden — werden noch nach zwei anderen Richtungen ausgelegt, nämlich im historischen und im freimaurerisch-wissenschaftlichen Sinne. Während die moralische Bedeutung sich auf den Menschen als Individuum bezieht, richtet die historische Bedeutung unsern Blick auf die menschliche Gesellschaft, auf die Menschheit, die wissenschaftliche Bedeutung aber auf die ganze Schöpfung, auf das Universum. Obschon diese letzte Bedeutung die tiefste und darum am weitesten abliegende ist, möchte ich doch mit ihr beginnen. Das, was wir von dem Weltganzen kennen, ist nur ein verschwindend kleiner Teil des unendlichen Kosmos. Von unserer Erde, die wir bewohnen, kennen wir nur deren Oberfläche und auch diese nicht einmal vollständig. In ihr Inneres ist noch niemand eingedrungen. Von den anderen Weltkörpern wissen wir nicht viel mehr, als daß sie vorhanden sind. Wenn auch die Astronomen den Lauf der Planeten und Kometen zu berechnen wissen, wenn sich auch durch die Spektralanalyse eine Art Chemie des gestirnten Himmels herausgebildet hat, die uns lehrt, welche chemischen Elemente auf den entferntesten Weltkörpern vorhanden sind, so sind das zwar staunenswerte Resultate, aber sie zeigen uns nur um so deutlicher, wieviel unserem Wissen verborgen ist und wohl für immer verborgen bleiben wird. Eins aber erkennen wir schon aus dem, was unsere Erde der Forschung darbietet, nämlich, daß die ganze Schöpfung eine große Stufenleiter darstellt, die vom Unvollkommenen zum Vollkommenen hinführt. Unsere Erde zeigt uns drei Naturreiche, das Mineralreich, das Pflanzenreich und das Tierreich. Das Mineralreich ist zwar die Basis, auf welcher sich die beiden anderen Reiche entwickelt haben; es war zuerst vorhanden und bildete den Erdball, lange bevor sich das organische Leben auf ihm entwickelte, und es hat für das Pflanzen- und Tierreich die Stoffe hergegeben. Aber es ist ohne das, was wir Leben im höheren Sinne nennen, es zeigt uns nur Massen, die den physikalischen Gesetzen gehorchen. Auf diesem Boden hat sich nun in uns unbegreiflicher Weise die organische Welt entwickelt, zunächst das Pflanzenreich. In ihm erscheinen die Urstoffe in den mannigfachsten Zusammensetzungen und in der wunderbarsten, verschiedenartigsten Weise geformt. Wenn auch dort im Mineralreiche die Form im Kristall schon vorhanden war, so zeigt sie sich hier im Pflanzenreich erst in der Gestalt, der Trägerin des organischen Lebens mit ihren mannigfachen vitalen Äußerungen, wenn auch noch unbewußt und willenlos. Fest am Boden, dem sie entsprossen ist, haftet die Pflanze, ohne die Fähigkeit, sich fortzubewegen. Erst >268< im Tierreich tritt Bewußtsein und Wille auf, zwar auf den untersten Stufen noch kaum merkbar, kaum sich unterscheidend vom Pflanzenleben, aber immer mehr sich entfaltend, immer ausgeprägter und freier, bis es endlich im Menschen seinen Abschluß findet, in dem vernunftbegabten Wesen, das fähig ist, sich mit freiem Geiste in das Reich der Idee zu erheben, und das imstande ist, den Schöpfer und Urheber aller Dinge zu ahnen und betend zu ihm aufzuschauen. Aber die Wissenschaft zeigt uns nicht nur, daß das organische Leben, fußend auf der unorganischen Natur, welche einer weiteren Fortbildung nicht fähig zu sein scheint, sich vom Unvollkommenen zu immer höheren Stufen entwickelt hat, sondern sie lehrt uns auch, daß diese Entwicklung keineswegs beendet ist, sondern daß sie fortschreitet. Wir sehen also auch hier, daß das ganze Leben auf der Erde sich auf dem Wege vom Dunkel zum Licht befindet, und daß dieser Weg noch keineswegs abgeschlossen, sein Ziel noch nicht erreicht ist. Das Eine aber erkennen wir klar: Als der ewige Vater den Menschen entstehen ließ — es ist gleichgültig, ob durch einen plötzlichen Schöpfungsakt oder als letztes Glied einer langen Reihe von Wesen, wie es die moderne Wissenschaft lehrt, da hat er seiner Schöpfung die Binde abgenommen, die auf den niederen Stufen den Sinn des Erkennens noch umgab. Im Menschen entstand das Organ, durch welches die Natur zu sehen vermag, und durch welches sie allein die Fähigkeit erlangt, mit ihrem Schöpfer in eine bewußte Wechselwirkung zu treten. Aber das Lüften dieser Binde geschieht nicht plötzlich, wie hier bei unserer Aufnahme geschieht; das zeigt uns ein Blick auf die Menschheit und ihre Geschichte. Welch ein weiter Weg ist es von dem rohen Bewohner der Pfahlbauten bis zum höchst entwickelten Kulturmenschen, welch ein weiter Weg von der Anbetung eines roh geschnitzten Götzenbildes bis zu dem reinen Dienst des einigen, unsichtbaren Gottes im Geiste und in der Wahrheit! Die Weltgeschichte ist mit Blut geschrieben; sie zeigt uns eine ununterbrochene Reihe von Kriegen und Kämpfen, deren Ende trotz aller Friedensapostel noch nicht abzusehen ist, und ein Kurzsichtiger könnte wohl versucht sein, daran zu zweifeln, ob das Licht, das dem Menschen gegeben ist, eine Himmelsfackel sei, oder ob es nicht vielmehr ein Feuerbrand ist, der Städte und Länder einäschert. Der Weise aber sieht weiter. Wenn er auch sich sagen muß, daß der Fortschritt des Menschengeschlechts nicht kontinuierlich in aufsteigender Linie vor sich geht, sondern Schwankungen unterworfen ist, so kann ihm doch nicht verborgen bleiben, daß es trotzdem hinaufgeht. Die Binde fällt eben langsam der Menschheit von den Augen, und bis zum vollen Lichte ist es noch weit. Auch der Neuaufgenommene ist vom vollen Lichte noch weit entfernt, dessen erster Schimmer ihm beim Fallen der Binde erst vergönnt ist. Eine lange Reihe von Stufen, deren einige ihn sogar rückwärts zu führen scheinen, hat er noch zu durchlaufen, bis der leuchtende Strahlenglanz des vollen Lichtes ihm aufgeht. Damit sind wir nun endlich bei dem angelangt, was die Binde für den einzelnen Menschen, insonderheit für den Suchenden, bedeutet, der bei uns Einlaß begehrt. — Der Suchende steht vor uns als ein Mensch, der den ersten Schritt vorwärts auf der Bahn des freien Maurers tun will. Die Binde vor seinen Augen soll ihm sagen, daß es des Menschen vornehmste und größte Aufgabe ist, vom Dunkel zum Lichte hindurchzudringen, zum Lichte, das wir schauen mit des Geistes Auge. Er bilde sich nicht ein, daß er dieses Licht als Erbteil mühelos erhalten hat. Nur die Fähigkeit ist ihm gegeben, sich für ein Schauen desselben durch Reinigung und Veredlung zu bereiten. Nicht die Kenntnisse, die er erlangt hat, nicht die Bildung, die er erworben, nicht die Fertigkeiten, die er sein eigen nennt, nicht Ehren und Würden, die man ihm übertragen hat, sind das Licht. Was hülfe es ihm, wenn er die ganze Welt gewänne: dem wahren Lichte käme er dadurch nicht einen Schritt näher. Das soll der Suchende schon bei seiner Lehrlingsaufnahme klar erkennen; er soll erkennen, daß nur in der Entwicklung des inneren Lebens das Heil liegt, und daß alles andere wie nichts zu achten ist gegenüber diesem Einen, Höchsten. Der Leib, der mit irdischer Hülle uns umgibt, aus dem Sinnlichkeit und Begierden stammen und unser wahres Leben unterdrücken, ist eine Binde, die abgetan werden muß. Die mannigfachen Verhältnisse unserer Lebensstellung, die unseren Sinn gar zu leicht auf andere Bahnen locken und uns vom rechten Wege zum Lichte ablenken, sind eine Binde, die fallen muß. Der Hochmut, der Wissensdünkel, die Selbstsucht und alle üblen Regungen in ihrem Gefolge sind Hemmnisse für das Licht, die beseitigt werden müssen wie die Binde, wenn der Suchende das Licht schauen soll. „Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen“, sagt der Obermeister der Menschheit. Er mußte es am besten wissen, er, der das reinste Licht geschaut hatte. Darum muß der Suchende sein Herz reinigen, auf daß er der höchsten Glückseligkeit >270< des Lichtes teilhaftig werde. Aber nicht für sich selbst allein soll er dieses höchste Ziel zu erreichen suchen. Der rechte Maurer kennt Glückseligkeit allein, wenn er sie mit seinen Brüdern, mit den gleich ihm für das Licht erschaffenen und bestimmten Menschen, teilen kann. Nur dann, wenn er sieht, daß das von ihm selbst errungene Licht auch außer ihm wirksam wird in seiner befreienden, bindenabtuenden, erlösenden Kraft, nur dann kehrt die volle Befriedigung vollbrachter Maurerarbeit in sein Herz ein. So wird er tätig im Dienste der Menschheit und gestaltet sich zu einem, wenn auch kleinen, so doch immerhin wirksamen Triebrad ihres Fortschreitens, ja, er arbeitet mit an dem großen Weltenbau und trägt fest im Glauben, stark im Lieben und getreu im Hoffen sein Scherflein bei zur Vollendung des Ganzen; und dem allsehenden Auge des ewigen Meisters wird auch das Kleine nicht entgehen, ihm, vor dem nichts klein und nichts groß ist. (1900.) Die drei harten Schläge. Es ist ein unumstößliches biologisches Gesetz, daß die Organe unseres Körpers, wenn sie in ihren Funktionen geübt werden, sich kräftigen und zu immer höherer Leistungsfähigkeit gesteigert werden können, daß sie dagegen, wenn sie außer Tätigkeit gesetzt werden, an Kraft immer mehr abnehmen und schließlich ganz der Degeneration verfallen. Das weiß jeder Turner; er übt seine Muskeln, um sie endlich fähig zu machen für die Ausführung der schwierigsten Übungen. Dasselbe Gesetz gilt auch auf geistigem Gebiet. So kann beispielsweise das Gedächtnis durch Übung zu einer staunenswerten Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Ein Schauspieler, der täglich sein Gedächtnis zu üben Gelegenheit hat, lernt eine große Rolle von vielen Bogen, wenn es nötig ist, in einem Tage, eine Leistung, die einem anderen Menschen eine Unmöglichkeit wäre. Auf diesem Gesetz beruht die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten des Menschen. Ebenso wie es eine Gymnastik des Körpers gibt, so gibt es auch eine Gymnastik des Geistes. Das weiß der Pädagoge ebenso wie der Jünger der Wissenschaft und der Künstler. Die Seele des Kindes kann nur entwickelt werden durch Übung ihrer Kräfte. Wir haben in der Schule mancherlei gelernt, nicht damit wir es zeitlebens im Gedächtnis behalten, sondern damit wir die Kraft unseres Geistes daran entwickeln sollten (ich erinnere z.B. an die Mathematik). Darum ist es töricht, wenn viele darüber klagen, daß ihre Kinder in der Schule mit Dingen gequält werden, die sie für das praktische Leben gar nicht gebrauchen und später, je unlustiger sie sich damit beschäftigt haben, desto eher vergessen. Der Gelehrte schärft die Findigkeit seines Geistes durch stets erneutes Suchen und Forschen, und der Künstler muß sich den unausgesetzten Übungen seiner Kunst >272< unterziehen, wenn er Tüchtiges leisten soll, ja, er darf die Übungen niemals unterbrechen, wenn, er nicht befürchten soll, Rückschritte in seiner Kunst zu machen. Bei all diesem Streben, das eine geistige Entwicklung zum Zweck hat, sind Widerstände zu überwinden. Das lernende Kind kämpft mit seiner Trägheit und mit der Versuchung, durch die es von der Schulbank zum Spielplatz hingezogen wird; der Denker ringt mit der ungenügenden Schärfe seines Geistes, so wie der Künstler mit der Sprödigkeit des zu formenden Stoffes und der noch nicht genug entwickelten Fertigkeit seiner Hand. Treffend hat Schiller das ausgedrückt, wenn er sagt: „Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet, Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born; Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet Sich des Marmors sprödes Korn.“ Kommen wir nun auf unsere k. Kunst zurück, so finden wir, daß auch in ihr sich jenes Gesetz überall bewahrheitet. Auch hier gilt es, vorhandene Kräfte voll zu entwickeln, um das Bedeutendste und Schwerste zu vollbringen; auch hier sind Widerstände vorhanden, die nur durch höchste Kraftentfaltung überwunden werden können. In allem, was der Orden uns darbietet, weist er auf diese Widerstände hin und führt es seinen Jüngern zu Gemüt, daß die Aufgaben, die er ihnen stellt, nicht leicht zu lösen sind. Das Verständnis für unsere Sache kann nur gewonnen werden, wenn wir uns stets gegenwärtig halten, daß das Wesen der Freimaurerei nicht in einem mühelosen Empfangen, sondern in einem angestrengten Erarbeiten und Erringen besteht. Alles, was der Aufzunehmende bis zu seiner Ankunft an der Tür der Loge erfährt, deutete schon darauf hin; die dunkle Kammer, in welche er geführt wurde, sollte ihn nicht bloß anleiten, den durch nichts abgelenkten Blick in sein Inneres zur strengen Selbstprüfung zu richten, sondern sie war auch ein Hindernis, das Licht der Loge zu schauen, dem er zustreben sollte. Die Entkleidung und der niedergetretene Schuh waren Hindernisse, die ihn hinwiesen auf die eigene Unvollkommenheit, die überwunden werden sollte durch Streben zum Vollkommenen; die Binde vor seinen Augen war ein Hindernis, den rechten Weg allein zu finden; durch Vertrauen und Ergebung mußte er es zu überwinden suchen, damit endlich die Binde fallen und das wahre Licht ihm scheinen konnte. Endlich nun steht er vor der Pforte der Loge, der er auf vielfachen Umwegen sich näherte, aber sie ist verschlossen; wieder ein neues Hindernis, das sich ihm darbietet. Doch der Geist des Ordens kommt ihm entgegen und hilft ihm überwinden. Drei harte Schlage hört der Suchende fallen; der erste ertönt aus dem innersten Heiligtum heraus, der Hammer des Meisters war es, der ihn führte. Der zweite geschah durch den Wachthabenden gegen die Tür von innen, und endlich tat der einführende Bruder den dritten und letzten Schlag von außen im Namen des Suchenden, den er an der Hand führt. Dieser hört die Schläge wohl, er fährt durch ihre Wucht zusammen und wird erschüttert, aber er weiß noch nicht, was sie bedeuten; nur das ahnt er wohl, daß sie ihn angehen und für ihn getan werden. Viel später erst erfährt er, was sie sagen wollen. Im Lehrlingsfragebuch (Abt. V, Fr. 14 und 15) heißt es: „Durch welche Mittel haben Sie den Eintritt erlangt ?“ „Durch drei harte Schlage.“ „Was bedeuten diese Schläge?“ „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch auf getan.“ Die wohlbekannten Worte des höchsten Obermeisters (Matth. 7,7) sind es, die hier den drei Schlägen als Bedeutung untergelegt werden. In der Bergpredigt verkündigte er sie seinem Volke und der ganzen Welt. Sie enthalten drei Forderungen: Suchen, Anklopfen und Bitten. In ihnen wird der angehende Jünger der k. Kunst angeregt, vorwärts zu schreiten in freier Selbsttätigkeit. Sie müssen von ihm erfüllt werden, wenn er etwas erreichen will; denn ohne sie gibt es kein Fortschreiten auf dem Gebiete der Kunst und des Geisteslebens. So ist es in jeder Kunst. Wer sich einer Kunst weihen will, muß, begeistert von dem Drange, ihr Licht und ihre Wahrheit zu erlangen, — suchen die Werkstätte des Meisters, in der die Kunst gelehrt wird; er muß anklopfen an die verschlossene Tür, damit der Meister ihm öffne; und wenn dieser ihn fragt: was führt dich her? was willst du?, dann muß er bittend ihn angehen, damit er ihn unterweise und an die Arbeit stelle. Alles das ist auch erforderlich in unserer Sache; das wird jeder einsehen lernen, dem die Bezeichnung „königliche Kunst“ nicht bloß eine Phrase und eine Spielerei ist. >274< Im Suchen, Anklopfen und Bitten haben sich somit die Kräfte zu bewähren, welche die Widerstände, die sich zwischen uns und unser Ziel stellen, schwinden machen. An jene drei Forderungen werden vom Obermeister drei Verheißungen geknüpft: auf das Suchen folgt das Finden, auf das Anklopfen das Auftun, auf das Bitten das Empfangen; denn, so spricht der Obermeister weiter: „Wer da bittet, der empfanget, und wer da suchet, der findet, und wer da anklopfet, dem wird aufgetan.“ Aber diese Verheißungen erfüllen sich uns nur, wenn wir mit Daransetzung aller unserer Kräfte jenen Forderungen gerecht werden. Die Schrift sagt, daß diejenigen, die dem Himmelreich Gewalt antun, es an sich reißen. (Matth. 11, 12.) So ist es auch hier. Niemand dringt in das Heiligtum unserer Kunst als durch die Gewalt des Suchens, Anklopfens und Bittens, und die Härte der Schläge vergegenwärtigt uns eben die Gewalt, mit der wir uns in Festigkeit und Beharrlichkeit das Reich des Geistes zu öffnen haben, das die Loge uns mit ihren Schleiern verhüllt. Sie tut das nicht, um uns zu reizen und unsere Neugier auf die Folter zu spannen, sondern es liegt das in der Natur der Sache der Freimaurerei, welche ein Geheimnis enthält, das sich nur dem gewaltsam Eindringenden erschließt. Dieses gewaltsame Eindringen aber darf nicht roh und ungeschlacht sein, sondern es muß sich der Regel fügen und zur Kunst werden; in langsamer, aber sicherer Steigerung muß es sich in der Seele des Arbeitenden entwickeln, um ihn endlich an das Ziel zu führen; und das geschieht eben im Suchen, Anklopfen und Bitten. Mit Recht hat Br. Widmann (Zirkelkorr. 1872, S. 252) darauf hingewiesen, daß die drei Forderungen des Obermeisters unsern Erkennungszeichen entsprechen. Die Mittel, sagt er, durch welche sich der Mensch seinem göttlichen Ursprung nähert und zu einem Baustein des unsichtbaren Tempels wird, nennt Christus Suchen, Anklopfen und Bitten; die Freimaurerei nennt sie Zeichen, Griff und Wort; denn was können wir anderes suchen als die Zeichen einer Sache, womit klopfen als durch den Griff, womit bitten als mit dem Wort? Was die Erkennungszeichen in ihrer tiefsten Bedeutung für uns sind und wie sie uns zur tiefsten Erkenntnis, zur Wahrheit und zum Licht führen können, das habe ich in dem betreffenden Vortrag (siehe oben S. 205 ff.) darzustellen gesucht und verweise hier darauf. Der Obermeister hat durch diese seine Worte allen, die da Ohren haben, zu hören, den Weg gewiesen, der zur Vollendung führt; die Freimaurerei aber zeigt uns durch Zeichen, Griff und Wort, wie wir recht zu suchen, recht zu klopfen und recht zu bitten haben, sie faßt alle diese Tätigkeiten in die Regeln der Kunst ein und lehrt uns ihre Ausübung. Sie lehrt uns recht suchen und die unvergänglichen Zeichen des Göttlichen finden, wie sie sich überall für den zeigen, der sein Auge für sie zu öffnen weiß; sie lehrt uns das göttliche Recht, das nur zu oft durch trübe Menschensatzung verhüllt ist, erkennen und anwenden. Und ferner lehrt sie uns, recht anklopfen; sie führt uns vor die richtige Tür und läßt uns die eitlen Prunkpforten, hinter denen Hohlheit und Nichtigkeit wohnt, vermeiden, um nur da den Eingang zu begehren, wo Licht und Wahrheit uns entgegenkommen, und wo der Meister zu finden ist. Endlich aber vollendet sie ihr Werk an uns, indem sie uns recht bitten lehrt. Was erbitten sich die Menschen nicht alles von der Gottheit! Wieviel törichte Wünsche werden laut! Irdische Schätze und Dinge, die dem heutigen oder morgenden Tage dienen sollen, ja auch oft genug Frevelhaftes, was vor der göttlichen Gerechtigkeit nicht bestehen kann, sucht der eitle Erdensohn für sich zu erflehen. Nicht so der Maurer, der das Wort kennt. Das Wort, das in ihm lebendig geworden, ist ein Widerhall des ewigen Wortes, das im Anfang war, und durch welches alle Dinge gemacht sind. Es ist das innere Licht seines Lebens, das er gesucht und für das er angeklopft hat. In reinster Erkenntnis lehrt es ihn, das Wahre vom Falschen unterscheiden, und darum kann er durch das Wort, das in ihm lebt, nur bitten um die rechten geistigen Güter, um das reine Herz und um den neuen gewissen Geist; er kann nur bitten um die endliche Vereinigung mit dem Meister selbst, mit ihm, in dessen Schoße allein Friede und Freude ist. Wir haben aber die drei harten Schläge und, was sie bedeuten, noch von einer anderen Seite zu betrachten. Wenn wir uns daran erinnern, daß der Meister vom Altar aus den ersten Schlag tut, und daß die beiden anderen von seinen Boten, dem wachthabenden und einführenden Bruder, gegeben werden, so müssen wir darauf kommen, daß auch wohl der Meister es sein könnte, der bei dem der Logenpforte sich Nahenden sucht, anklopft und bittet. Und warum sollte es nicht so sein? Uns umschwebt überall der Geist der ewigen Liebe, die uns in das Dasein rief, und die uns die Pfade leiten möchte, welche uns zu ihr hinführen, auf daß wir nicht verloren seien. Denn dazu sind wir geschaffen, daß wir Gott suchen, finden und erkennen und so mit ihm eins werden. So wie wir beim Meister suchen, anklopfen und bitten sollen, so sucht, >276< klopft und bittet der ewige Meister bei uns. Er sucht den Menschen, sein Geschöpf, auf tausend Wegen und auf tausend Arten, durch allerlei Fügungen und Erweckungen. Aber der Mensch macht es seinem Gott oft genug zu schwer; er will sich nicht finden lassen. Und was ist härter als ein Herz, das sich von seinem Gott abwendet und sich vor ihm verschließt! Aber der Meister läßt nicht nach und klopft an. Es steht geschrieben: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird, und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir.“ (Offenb. 3,20.) Darum tue ihm auf, o Mensch! Der Meister will zu dir hinein und will dir geben Speise des Geistes, die da sättigt, und Wasser des Lebens, danach niemand mehr dürstet. Darum verhärte dein Ohr nicht und öffne ihm; lausche auf ihn, der dich bittet, mit tausend Stimmen, bald leise und kaum hörbar, bald laut und eindringlich. Es ist das ewige Wort selbst, das Wort, das im Anfang war, ist es, das dich bittet: „Sei mein, wie ich dein sein will.“ — Das Wort ist ja schon in dich hineingelegt; es schlummert nur. Laß es erwachen zum Leben, daß es laut verkündige das Lob des Ewigen, daß es eins werde mit ihm im reinsten Zusammenklang. Erfülle, was die unendliche Liebe von dir begehrt: sie will dich, dich selbst, und zwar ganz, auf daß sie in dir und du in ihr seist! Dann ist das Abendmahl gehalten, der Geist des Ewigen hat dich durchdrungen, und dein Tempel ist vollendet. (1904.) Die an den Suchenden gerichteten Fragen. Die Gebräuche unserer Lehrlingsaufnahme, denen der Suchende unterworfen wird, müssen diesem sehr eigentümlich erscheinen, und selbst dasjenige, was selbstverständlich ist, erhält in ihr ein eigenartiges Gepräge. Selbstverständlich ist es, daß eine Gesellschaft, welche ein neues Glied in ihren Verband aufnehmen will, sich nach den näheren Lebensumständen ihres zukünftigen Mitgliedes erkundigt. Sie muß seinen Namen, sein Alter, seine Religion, seinen Stand und Beruf wissen; sie muß wissen, aus welcher Familie er stammt, und welche Beweggründe es waren, die ihn vermochten, sich zur Aufnahme zu melden. Je ernster die Zwecke der Gesellschaft sind, und je fester das Band ist, durch welches sie ihre Mitglieder miteinander verknüpfen will, desto mehr muß ihr daran gelegen sein, genau über die äußeren und inneren Lebensumstände des Neulings unterrichtet zu sein. Also ist es auch bei uns. In dem Reverse, der dem Suchenden bei seiner Anmeldung vorgelegt wird, muß er alle diese Fragen schriftlich beantworten. Um so auffallender muß es ihm erscheinen, daß alle diese Fragen bei der Aufnahme mündlich wiederholentlich an ihn gerichtet werden. Die drei Personen, welche die drei harten Schläge für ihn tun, legen sie ihm vor, der einführende Bruder in der dunklen Kammer, der wachthabende Bruder vor der Pforte, und endlich der Logenmeister in Gegenwart sämtlicher Brüder. (Es ist nicht richtig, daß, wie es hier und da geschieht, die Tür der Loge offen bleiht, während der wachthabende Bruder die Fragen an den Suchenden tut, vielmehr muß der erstere die Tür hinter sich schließen, so daß die in der Loge befindlichen Brüder die Antworten nicht hören. Sie vernehmen erst die Antworten des Suchenden, wenn der Meister ihm die Fragen vorlegt; dann erst legt der Suchende vor der ganzen Loge Zeugnis von seinem Wesen ab.) Der Suchende mag >278< daraus erkennen, wie wichtig es dem Orden ist, ihn genau zu kennen und sein Inneres zu erforschen, da auf allen Stationen, die er zu durchlaufen hat, in der dunklen Kammer, vor der Logentür und in der Loge, als Suchender, als Anhaltender und als Leidender, er einer Prüfung unterworfen wird, die zu erkennen trachtet, wes Geistes Kind er ist. Einen uns Unbekannten können wir nicht zu uns hereinführen, und neben dem Zeugnis, welches ehrenwerte Männer ihm gegeben haben, müssen seine eigenen Worte für ihn zeugen. Einen noch bedeutenderen Sinn aber legen unsere Akten diesen Fragen unter, indem sie folgende Erklärung darüber geben. (II. L. B., Beil. S. 34 u. 35) : „Die verschiedenen Fragen wegen Ihres Tauf-, Vater- und Geschlechtsnamen, Ihres Geburtsorts usw. wurden an Sie gerichtet, damit Sie, obschon wir Ihre Person vorher kannten, doch öffentlich diese Umständebestätigen und zugleich einsehen lernen, daß Herkunft und Glücksumstände allein nie Beweggründe sind, das Bürgerrecht bei uns zu gewinnen. Wir bauen nicht auf so schwache Säulen. Ein aufrichtiger Trieb, bei uns aufgenommen zu werden, und eine edle Seele sind allein die Vorzüge, die wir schätzen. Hirtenstab und Bauernkittel haben in diesem Betracht bei uns gleichen Wert mit Königsschmuck und Purpurmantel. In unserer Loge setzen wir alle Titel, Würden und ererbte Namen beiseite und vertauschen sie mit dem lieblichen Namen Bruder, einen Namen, den der weiseste Baumeister allen Menschen zuerkannte, weil sie alle gegenseitiger Hilfe, Stärkung, Liebe und Vertrauens bedürfen. Gleichheit schürzet unser starkes und unzertrennliches Freundschaftsband und hilft uns, den Hochmut meiden, der die Mauern niederreißt, welche zärtliche Freundschaft erbaut hat.“ Jedes Mitglied der Loge wird vom Orden mit einem Steine verglichen, der für einen Tempelbau bearbeitet und in ihn hineingefügt werden soll. Die Steine, die zu uns hereinkommen, haben noch nicht die rechte Form, es sind rauhe Steine, die soeben aus dem Steinbruch herbeigebracht worden sind. Demgemäß zeigt uns unsere Arbeitstafel im Norden das Bild des unbehauenen Bruchsteins und ihm gegenüber im Süden das des behauenen Steines, der in kubischer Form für den Bau bereitet ist. Der Steinbruch nun, der uns das Baumaterial liefert, das ist die profane Welt, die bürgerliche Gesellschaft. Wie mannigfach und verschieden sind die Individuen, die uns in dieser unendlichen Fülle unseres Baumaterials entgegentreten! ebenso wie die Steine, welche die Natur in ihren verschiedenen Gebirgsarten dem Baumeister darbietet. Der erfahrene Meister aber erkennt wohl, wenn er diese Fülle übersieht, daß nicht alle Steine für den Bau geeignet sind. Da gibt es Steine, welche zu hart, zu schwer zu bearbeiten sind; dann wieder solche, die zu weich sind. Andere wieder zeigen Sprünge und Risse, die sie allmählich ganz zu zerspalten drohen, so daß sie auseinanderfallen; da gibt es ferner solche, die schon durch allerlei äußere und innere Einflüsse eine bestimmte, feste Form angenommen haben, welche sich schwer oder gar nicht mehr andern läßt, usw. Darum ist es für uns von bedeutendster Wichtigkeit, unser Baumaterial den rechten Steinbrüchen zu entnehmen, wo wir Steine zu finden hoffen dürfen, welche mit allen unserem Bau dienlichen Eigenschaften ausgestattet sind. Bei dieser Prüfung können wir nicht sorgfältig genug verfahren. Die Brüder, welche als Bürgen es unternehmen, einen Suchenden vorzuschlagen, tragen die größte Verantwortlichkeit und haben die vornehmste Pflicht, ihn zu prüfen, ob er sich für unseren Bau eignet. Diese Pflicht ruht aber nicht auf ihnen allein, sondern auf allen Mitgliedern der Loge. Darum wird der Name des Suchenden den Brüdern bekannt gemacht nicht nur durch Verkündigung in geöffneter Loge, sondern auch durch Anheftung an die schwarze Tafel, damit jeder wisse, wer zur Aufnahme vorgeschlagen ist. Wer da sagt, er habe von dem Vorschlage eines Suchenden nichts gewußt, der klagt sich selbst einer Pflichtverletzung gegen den Orden an; denn jedem Bruder liegt ob, sich über die eingegangenen Vorschläge zu unterrichten. Konnte er bei der betreffenden Arbeit nicht anwesend sein, so war doch die schwarze Tafel dazu da, um ihn mit den Namen der Suchenden bekannt zu machen. (Die schwarze Tafel sollte darum nicht im Tempel hängen, welcher ein oder zweimal im Monat den Brüdern offen steht, sondern in den Gesellschaftsräumen an einer Stelle, wo sie allen möglichst in die Augen fällt.) Wie sorgfältig wir nun bei der Prüfung des Suchenden zu verfahren haben, daran sollen die wiederholentlich an den Suchenden gerichteten Fragen uns erinnern. Die Paten haben den neuen Baustein bis vor unsere Pforte gebracht; ihnen haben wir vertraut und ihn so weit kommen lassen. Aber damit hört die Prüfung nicht auf; die Loge kann sich darin gar nicht genug tun. Der einführende Bruder tut die Fragen an den Suchenden, der sich noch in der dunklen Kammer befindet, der Wachthabende, der mit dem bloßen Schwert vor die Pforte tritt, „um die fremden Unkundigen abzuhalten“ (Frgb., III. Abt., 3, Art., Fr. 12), wiederholt sie „mit ernster Stimme“, wie das Ritual ausdrücklich vorschreibt, und endlich, wenn die Pforte durchschritten ist, dann fragt ihn zum dritten Mal der Meister, der berufen ist, den neuen Stein in den Bau einzufügen. Gleichwohl beziehen sich alle die Fragen, welche dem Suchenden vorgelegt werden, mehr oder weniger auf äußerliche Dinge und Verhältnisse. Wo bist du her? Aus welcher Familie? Was treibst du draußen? Zu welcher Religion bekennst du dich? — Das sind alles Fragen, die uns wohl über die äußeren Lebensumstände des Suchenden Auskunft geben können, und ob er aus Kreisen kommt, deren Mitglieder überhaupt befähigt sind, die k. Kunst zu treiben; in sein Inneres aber können sie uns keinen Einblick verschaffen. Den Suchenden selbst aber sollen sie, wie die Erklärung sagt, daran erinnern, „daß Herkunft und Glücksumstände allein nie Beweggründe sind, das Bürgerrecht bei uns zu gewinnen“. Und wenn er dem edelsten Geschlecht entstammte, und wenn er Fürsten und Könige als seine Ahnen uns genannt hätte, so könnte sich doch die Tür der Loge vor ihm verschließen, wenn er in den nachfolgenden Prüfungen nicht besteht. „Wir bauen nicht auf so schwache Säulen“; denn „Hirtenstab und Bauernkittel haben in diesem Betracht bei uns gleichen Wert mit Königsschmuck und Purpurmantel“. Ja, es müßte noch hinzugesetzt werden: ebensowenig, wie Herkunft und Glücksumstände maßgebend sind, um das Bürgerrecht bei uns zu gewinnen,so wenig sind es Kenntnisse, Gelehrsamkeit, sog. Bildung, Ehre und Ansehen, kurz alles das, worauf die Welt Gewicht legt. Ansehen vor der Welt! was ist das? — Der Mann von gutem Ruf, den seine Mitbürger hochachten und verehren, — ist er unter allen Umständen für uns geeignet? Die Erfahrung hat gelehrt, daß dem nicht immer so ist, und anderseits wieder, daß Leute, deren Würdigkeit zweifelhaft erschien, sich trotzdem zu tüchtigen Maurern heranbildeten. Wie oft ist selbst ein untadelhafter Wandel und ein tugendhaftes Wesen weiter nichts als äußerer Schein! Es gibt Mustermenschen, denen man nicht das Geringste vorwerfen kann, und die dennoch innerlich hohl und sittlich verkommen sind, deren Tugend weiter nichts ist als ein Bewahren des äußeren Scheins. Alles das ist wertlos vor dem Richterstuhle des Ordens. Worauf wir allein Wert legen, das sagt uns unsere Erklärung: „es ist ein aufrichtiger Trieb, bei uns aufgenommen zu werden, und eine edle Seele.“ Darum fügt der Meister, wenn an ihn die Reihe kommt, zu fragen, noch hinzu: „Treibt Sie bloße eitle Neugierde hierher oder ein wahrer Eifer und Verlangen nach dem Orden?“ Neugierde ist kindisch, verächtlich und des Maurers unwürdig; der wahre Eifer nach dem Orden aber kann nur in einer edlen Seele wohnen. Denn eine edle Seele freut sich der Wahrheit; eine edle Seele strebt zum Licht; eine edle Seele trägt den Quell der höchsten Tugend in sich, jener Tugend, die nicht bloß ein äußerliches Befolgen von Tugendregeln, sondern ein Handeln von innen heraus nach ewigen, göttlichen Gesetzen ist. — Die edle Seele, das ist das feine Korn des Marmors, die innerliche, gleichmäßige, ebenso kernige und feste als auch wohl formbare Struktur des angehenden Bausteins, die ihn auserwählt und köstlich macht für den Tempel, dem er dienen und in welchem er seine Stelle zieren soll. Was sind alle Titel, Würden und ererbte Namen, was sind Königsschmuck und Purpurmantel gegen den hohen Adelsbrief, den eine edle Seele dem Menschen selbst ausfertigt! Darum steht auch über allen Titeln und Würden uns als der höchste Ehrentitel der Brudername, und freudig erkennt der Maurer, der durch die k. Kunst geformt und frei geworden ist von den Banden der Finsternis, in jedem Menschen seinen Bruder, seinen Stamm- und Blutsverwandten, der gleich ihm aus der Hand des ewigen Vaters und Schöpfers hervorgegangen ist. Das ist das Band der Gleichheit, das, wenn es recht geknüpft und festgehalten wird, uns in fester Freundschaft verbindet und die losen Steine zur Mauer zusammenfügt, die nicht wanken und fallen kann. Zwar haben wir auch hier in der Loge eine vollkommene Gleichheit der Glieder ebensowenig wie draußen im profanen Leben. Auch hier sind die Geistesgaben verschieden ausgeteilt, und wir finden Mannigfaltigkeit >282< der Charaktere, ja, wir haben auch maurerische Unterschiede und Stufen, wir haben Lehrlinge, Gesellen und Meister, niedere und höhere Ordensgrade und Beamte mit niederen und höheren Funktionen. Aber alles dies ist nicht selbst Zweck, sondern soll nur dazu dienen, das zu erkennen und herauszuarbeiten, worin wir alle gleich sind vor dem allsehenden Auge des ewigen Vaters, das Eine, das als unverlöschliches salomonisches Siegel uns allen von seiner Schöpferhand aufgeprägt worden ist. Wer das erkannt hat, der ist auf dem rechten Wege, der hat das Licht, in dessen Himmelsglanz ihm alles Irdische, alle Unterschiede des Standes und Berufes, und was das Erdenleben sonst für Schranken ziehen mag, dahinschwindet. Wenn man ihm, dem Ziele der Vollendung Nahen, jene Fragen, die an den Suchenden gerichtet werden, aufs neue tun würde, — wie möchte er sie beantworten? Wie ist dein Name? — Mensch werde ich genannt, ein Wesen, aus Staub geformt, aber dennoch bestimmt, sich zum Lichte zu erheben und ewiges Leben zu erlangen. Wie ist der Name deines Vaters? — Es ist der Ewige, Allmächtige und Allgütige, dessen Namen kein irdischer Laut nennt, und dessen heiliges Wesen ich voll erkennen werde, wenn die letzte irdische Hülle gefallen ist. Wie alt bist du? — Ich bin so alt wie mein Vater. Unbewußt ruhte ich in ihm, ehe er mich in diese Welt hineinrief, und zu ihm kehre ich wieder zurück, um Teil zu haben an seinem ewigen Wesen und an seiner Herrlichkeit. An welchem Tage bist du geboren? — An dem Tage, an welchem ich das erste Licht schaute, in dem ich den höchsten Meister als meinen Vater erkannte. Was für eine Religion bekennst du? — Das unzerreißliche Vereinigungsband, das den Schöpfer mit dem Geschöpf, das Kind mit dem Vater verbindet, hält auch mich umschlungen. Zu dieser einen und einzigen Religion bekenne ich mich. Was hast du für ein Amt oder Geschäft ? — Ich treibe die königliche Kunst, den höchsten menschlichen Beruf, die Kunst, mich vom vergänglichen Erdenstaube zum ewigen Lichte zu erheben durch Reinigung und Veredlung meines Wesens. Wie heißt dein,Geburtsort? — Der kleine Stern, auf welchem ich zum Lichte erwachte, wird die Erde genannt. Von ihr sind die Stoffe genommen, die meinen Leib bilden, auf ihr ist mein Wirkungskreis in der irdischen Zeitrechnung, und ihr gebe ich einst, wenn für mich die Zeitrechnung aufhört, zurück, was sterblich an mir ist. Bist du Mitglied einer öffentlichen oder geheimen Ordensverbindung? — Der öffentliche, jetzt aller Welt bekannte Orden, zu dem ich gehöre, ist der Freimaurerorden. Ihm habe ich mich angelobt und gehöre ihm an mit all meinen Kräften im Leben und Sterben. — Aber es gibt noch einen geheimen Orden, den niemand sieht, den nur der findet, der zu ihm gerufen ist. Nicht jeder, der den Freimaurernamen trägt, gehört zu ihm. Das ist der geheimnisvolle Orden, der mit unsichtbarem Bande alle strebenden Geister umschlingt, die zum höchsten Ziele wollen. Das ist der Orden, durch den alles Große und Herrliche vollbracht ist, was das Menschengeschlecht auf dieser armen Erde erleuchtet. Zu ihm strebe ich; mich für ihn würdig zu machen, ist mein heißes Bemühen. O, daß ich doch zu ihm gezählt werden könnte! (1901.) >284< Das Schicksal, das sich der Maurer selbst bereitet. Sobald der Suchende die Schwelle der Loge überschritten hat, führt er den Namen eines Anhaltenden; denn er hat sich durch mannigfache Prüfungen und Mühen nicht abschrecken lassen, den Weg zu verfolgen, der zum Ziele führt. Noch freilich kann er umkehren. Noch hat er durch das dreifache Ja seinen Vorsatz, auszuharren bis ans Ende, nicht bekräftigt; der Rückweg steht ihm noch frei, und die Pforte, die sich eben hinter ihm geschlossen hat, kann sich aufs neue öffnen, um ihn für immer zu entlassen. Der einführende Bruder aber geleitet ihn vorwärts bis zu den Brüdern Aufsehern, und indem er ihn verläßt, spricht er zu ihm die bedeutungsvollen Worte: „Mein Herr ! Bis hierher habe ich Sie geführt. Jetzt überlasse ich Sie dem Schicksal, das Sie sich selbst bereitet haben.“ Einen Augenblick steht er dann ganz allein und verlassen. Tiefe Nacht umgibt ihn, und das Wort Schicksal hallt drohend und unheimlich in seinem Innern nach, bis endlich die Aufseher von rechts und links seine Hände fassen und er merkt, daß liebevolle Sorgfalt ihn umgibt und ihn zu führen bereit ist. Einem Schicksal geht er entgegen, einem Schicksal, das er sich selbst bereitet hat. — Das Erste, was ihm dabei durch den Sinn gehen wird, sind wohl die ihm bevorstehenden Prüfungen, denen zu unterwerfen er sich bereit gezeigt hat. Wie er sie besteht, ob er würdig oder unwürdig aus ihnen hervorgeht, das ist sein Schicksal; und sich selbst hat er es bereitet, denn es war ja sein freier Wille, den Eintritt in die Loge zu erlangen, und er hat eingewilligt, sich allen Proben der Standhaftigkeit zu unterwerfen. Es steht wohl fest, daß in früheren Zeiten die Prüfungen bei der Aufnahme viel härtere und schwerer zu bestehende gewesen sind als jetzt. Aus den Initiationen in die Mysterien der antiken Welt, in welchen Prüfungen zu bestehen waren, welche in der Tat Gefahren für Leib und Leben mit sich brachten, ist wohl mancherlei in die modernen maurerischen Mysterien herübergenommen worden. So finden wir noch heute in der Lehrart der Großloge Royal York Andeutungen der Elementarproben, d.h. Reinigungen durch die Elemente, Luft, Erde, Feuer und Wasser, und auch in unsern Akten (d.h. in den bis 1842 gebräuchlichen sog. Eckleff sehen Akten.) spielte in früheren Zeiten ein glühendes Eisen, durch welches der Aufzunehmende geschreckt wurde, sowie aufzuckende Flammen eine Rolle. Demgemäß lauteten auch die Worte des einführenden Bruders früher noch viel strenger und drohender, nämlich: „Ich überlasse Sie den unglücklichen Schicksalen, welche Sie so oft verdient haben.“ Diese Worte schlagen noch kräftiger an das Gewissen des Suchenden, sie rütteln sein Schuldbewußtsein auf und mahnen ihn an alles das, was er auf seinem bisherigen Lebenswege verfehlt und versäumt hat. Wir würden aber fehlgehen, wenn wir annehmen wollten, daß die Einweisung auf die dem Suchenden bevorstehenden symbolischen Prüfungen das Einzige wäre, was jene Worte bezwecken. Schon der Suchende selbst muß, wenn er nur etwas tiefer nachdenkt, darauf verfallen, daß hier das Schicksal gemeint sein könnte, das dem Menschen in seinem Erdenwallen und darüber hinaus in einer anderen Welt beschieden ist. Das Leben führt uns unzähligen Ereignissen entgegen, welche bestimmend, manchmal fördernd und glückbringend, manchmal verstörend und unheilvoll, ja wohl auch zerstörend und zertrümmernd auf uns einwirken. Das nennt der Mensch sein Schicksal. Er spricht von wunderbaren Schickungen und Fügungen, die ihn beglückt, gestärkt und aufgerichtet haben, aber auch von Schicksalsschlägen, die ihn schwer trafen und nahe an den Rand des Abgrunds und der Verzweiflung brachten. Das Schicksal ist ihm eine dunkle, verborgene Macht, mit welcher ihm zu kämpfen bestimmt ist. Aber er fühlt, daß ihm diese Macht überlegen ist. Wohl sucht er sich sein Schicksal zu bereiten. Er sucht in die Zukunft zu schauen und späht nach kommenden Ereignissen. Mit Vorsicht und Klugheit trifft er allerlei Maßregeln, die ihn schützen sollen vor unvorhergesehenen Unglücksfällen, er spart und sammelt Mittel an, um Vorrat zu haben in Zeiten der Not, er versichert seine Habe gegen allerlei Gefahren und versichert sein Leben, damit die Seinen nach seinem Tode nicht darben. Er lernt viel und eignet sich allerlei Fertigkeiten und Künste an, die ihm auf >286< seinem Lebenswege nützen und Not und Mangel von ihm fernhalten sollen. Aber was nützt das alles. Er muß sich in sein Schicksal ergeben. Er sieht die aufgehobene Hand des Schicksals nicht, sondern er fühlt sie erst, wenn der Schlag gefallen ist, der ihn zu Boden streckte. Der törichte Mensch! Er nennt das Schicksal blind und meint, daß der Zufall es regiere, gegen den keine Vorsicht aufkommen könne; aber er bedenkt nicht, daß es gar keinen Zufall geben kann, sondern daß jedes Ereignis das Ergebnis einer langen Reihe von Ursachen und Wirkungen ist. Ja, selbst unsere Entschließungen, die die Ergebnisse unseres freien Willens zu sein scheinen, sind davon nicht ausgenommen. Und er bedenkt ferner nicht, daß als letzter Grund und Ursache alles Geschehens eine Macht waltet, die die Haare auf unserem Haupte gezählt hat, und die selbst den am härtesten Geprüften, wenn er ihr vertraut, zum herrlichsten Ende hinaus führt. Diese Macht anerkennen und ihr vertrauen im Glauben, in Geduld und Hoffnung, das ist die rechte Ergebenheit, die das Schicksal in die Hand des allliebenden Vaters legt. — Die profane Welt kennt zwei Sprichwörter, die sich darauf beziehen, daß der Mensch sein Schicksal sich selbst bereiten soll; sie heißen: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und „Wie man sich bettet, so schläft man.“ Das sind tüchtige Worte, die in jedem Menschen das Bewußtsein der Pflicht wachrufen sollen, die er gegen sich selbst hat. Aber dem profanen Sinn, dem nicht der Sinn für den höchsten Wert des Lebens aufgegangen ist, müssen sie in ihrer vollen Tiefe unverständlich bleiben. Und hätte er sich mit allem Heroismus, mit allem Gleichmut der Stoiker ausgerüstet, und hätte er als Devise jenen Spruch des Horaz auf seinen Schild geschrieben: „Si fractus illabatur orbis, Impavidum ferient ruinae,“ („Mag auch der Erdenkreis krachend wanken, Treffen die Trümmer den Unerschrockenen.“) (Horat. Carm. III, 3.) er müßte doch zusammenbrechen unter des Schicksals Schlägen, wenn er nicht die wahre Stärke kennen möchte, die da aufrichtet und unüberwindlich macht. Diese Kraft lernt der freie Maurer kennen, und durch sie ist er imstande, sich sein Schicksal selbst zu bereiten. Wohl können wir auch Stärke finden bei Nichtgeweihten, wohl ist Ergebenheit in Gottes heiligen Willen auch außerhalb unserer geschlossenen Kreise anzutreffen. Aber nirgend sonst finden wir eine Schule, wo diese Stärke so wunderbar geweckt und so planvoll geübt und vermehrt wird wie in unserm Orden. Wenn der Anhaltende zwischen den Brüdern Aufsehern angelangt ist und vom einführenden Bruder jene mahnenden Worte hört vom selbstbereiteten Schicksal, dann muß er innewerden — wenn er es nicht schon früher geworden sein sollte —, daß er mit dem Eintritt in den Orden an einem Wendepunkt seines Lebens angelangt ist. Wäre das nicht der Fall, dann hätte er besser getan, die Schwelle der Loge nie zu überschreiten. Wenn nicht jeder Sinn in ihm verschlossen ist, so muß er empfinden, daß mit dem Schritt, den er zu tun im Begriff steht, ein neues Leben ihm beginnen soll. Schicksalsentscheidend ist das dreifache Ja, mit dem er seinen Entschluß bekräftigt; schicksalsentscheidend ist der erste Strahl des maurerischen Lichtes, der in seine Seele fällt. Er ist im Begriff, in die Werkstätte zu treten, wo er selbst zu einem höheren Leben bereitet werden soll durch Erweckung des Lichtes, das in ihm schlummert. Vor der rechten Schmiede ist er angelangt, wo er lernen kann, seines Glückes Schmied und Herr seines Schicksals zu werden, und wo er erfahren kann, wie wir uns das Lager für den ewigen Ruhetag bereiten können. Das alles geschieht durch die Hingabe des ganzen inneren Menschen an die k. Kunst. Das ist das Schicksal, das wir uns selbst bereiten können; darum sollte der einführende Bruder eigentlich sagen: „Ich überlasse Sie dem Schicksal, das Sie sich selbst bereiten mögen.“ Jawohl, wir bereiten es uns, indem wir selbst bereitet und geformt werden durch unsere Kunst. Das ist es, was wir erfahren auf unserm Wege durch den Orden; er führt uns bald steil, bald sanft; seine Wege sind tief verborgen und dennoch stets erkennbar dem eifrig Suchenden; bald sind sie dornig, wenn wir uns vergebens mühen, bald mit Rosen bestreut, wenn der Erfolg unsere Mühen lohnt und unsern Mut erhebt und uns begeistert zum weiteren Schaffen und Schmieden, zum Formen und Schleifen. Rastlos und unermüdet vollzieht sich in uns die große, wunderbare Arbeit, welche die eigentliche Aufgabe unseres Erdenlebens ist, das Licht in uns zu erwecken und zu vermehren. Wie der Stern auf dunklem Grunde uns vom Mittelpunkte unserer Tafel strahlt, so geht auch das Licht uns auf; nicht nur in unserm Inneren, sondern auch außer uns finden wir es wieder, und wir verstehen sein Wirken und sein Walten, je mehr uns seine Quelle, die ewige Gottheit selbst, zum Bewußtsein kommt. „In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne.“ >288< Je heller das Licht in uns aufleuchtet, desto stärker, desto freier werden wir, und diese Geistesfreiheit, die wir uns erringen, gibt uns Macht und läßt uns zu Herren werden über unser Schicksal. Der Sklave, der sich früher in dumpfer Resignation dem blinden Fatum beugte, ist nicht mehr; groß und frei durch den Geist der göttlichen Liebe ist ein Herr erstanden, der sein Schicksal in fester Hand hält, das er sich selbst bereitet hat. Nichts kann ihm etwas anhaben, kein Schicksalsschlag, der ihn von außen trifft, kann den innerlich Gefestigten niederbeugen. ihn „Wer will ihn scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst, oder Verfolgung oder Hunger, oder Blöße, oder Fährlichkeit oder Schwert ? Er ist gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur mag scheiden von der Liebe Gottes.“ (Röm. 8, 35 ff.) Diese Freiheit und Herrschaft über das Schicksal gehört zu den höchsten Errungenschaften der k. Kunst. Man wende mir nicht ein, daß das idealistische Schwärmerei sei, und daß hier Unmögliches verlangt werde. Das herrlichste Beispiel dieser Herrschaft über das Schicksal durch die Kraft und Freiheit des Geistes steht uns in unserm Obermeister vor Augen. In seiner tiefsten Erniedrigung am Kreuz auf Golgatha war und blieb er der Herr und König des Lebens, der Sieger über den Tod. Und selbst der eine Augenblick, als er im höchsten Leiden seiner Menschlichkeit zu unterliegen schien und sich von Gott verlassen glaubte, konnte seinen Triumph nicht verdunkeln; er fand den Vater wieder, und ihm seinen Geist befehlend, vollendete er sein großes Werk. Sein Beispiel leuchtet fort durch die Jahrtausende und ist auch uns gegeben, nicht damit wir, bewundernd von ferne stehend, darin etwas Übermenschliches anstaunen, sondern damit wir ihm nachfolgen, von ihm die Bereitung unseres Schicksals erlernen, um fähig zu werden, die uns auferlegten kleinen Prüfungen zu bestehen, wie er die größte und schwerste bestanden hat. Wenn wir so die Seinen werden, dann wird es auch von uns heißen: „Der Gerechten Seelen“, d.h. der durch die Werkzeuge der k. Kunst Bereiteten, „sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an.“ (Weish. Sal. 3,1.) (1892.) Das dreifache Ja des Anhaltenden. Die k. Kunst der Freimaurerei liebt es, durch möglichst einfache Dinge die tiefsinnigsten Lehren, die sie uns übermitteln will, und die hohen Ideen, mit denen sie sich beschäftigt, auszudrücken. Wir mögen in ihrer Symbolik und in ihren Riten hinblicken, wo wir wollen, immer wird uns der Charakter der Einfachheit entgegentreten, und immer werden wir finden, daß die Bedeutungen, welche diesen Dingen untergelegt werden, sich in ungezwungener Weise aus der Sache selbst ergeben, wenngleich sich nicht leugnen läßt, daß der ganze freimaurerische Apparat, in seinem Zusammenhange betrachtet, ein immerhin kompliziertes Ganzes darstellt, dessen Auffassung dem Anfänger nicht gerade leicht erscheint. Eins der einfachsten Dinge vernimmt der Suchende, sobald er den Raum der Loge betreten hat, während noch die Binde seine Augen umhüllt. Nachdem er als ein Anhaltender durch den einführenden Bruder zwischen die Aufseher geleitet worden ist, hört er das eigentümliche maurerische Klopfen, welches, vom Meister am Altar im Osten ausgehend, im Westen bei den Aufsehern gleichsam seinen Widerhall findet. Jedesmal sind es drei Schläge, und zwar zwei leisere, schnell aufeinanderfolgende, und dann nach einer Pause ein dritter stärkerer Schlag. Diese dreimal drei Schläge wiederholen sich fortwährend, sie bilden gleichsam den lebendigen Pulsschlag der Loge, sie ertönen als Ankündigung aller wichtigen Akte der Aufnahme und grenzen so die verschiedenen Abschnitte derselben ab. Wenn dann endlich die Aufnahme beendigt ist und der neue Bruder das maurerische Kleid und Werkzeug empfangen hat, dann wird er selbst in dem Klopfen der drei merkwürdigen Schläge unterwiesen, um sich damit als Maurer ankündigen zu können, und man eröffnet ihm dabei, daß diese drei >290< Schläge die drei Grundursachen bedeuten, auf welchen die k. Kunst wie auf ihrer Grundfeste ruht, und diese Grundursachen sind: Natur, Religion und Stärke. Das tiefste Geheimnis des Ordens ist hier ausgesprochen, freilich, in dunklen Worten, deren volle Bedeutung dem Strebenden vielleicht erst nach Jahren aufgeht. Auf diese drei Worte will ich hier nicht näher eingehen, sondern möchte nur darauf hinweisen, daß lange vorher, ehe der Neuaufgenommene unterwiesen wurde, die drei merkwürdigen Schläge zu klopfen, von ihm selbst, ohne daß er es wußte, eine Kundgebung gekommen war, welche ganz und gar mit jenen Schlägen zusammenfällt. Von dem Augenblicke an, da er die Schwelle des Tempels überschritten hat, bis zu den Prüfungen, welche die eigentliche Aufnahme darstellen, wird der Aufzunehmende ein Anhaltender genannt, d.h. ein solcher, der als Suchender endlich den Eingang zum Heiligtum gefunden hat, und der nun mit Beharrlichkeit dem Vorsatze treu bleiben will, weiter vorzudringen, um endlich das Geheimnis der k. Kunst zu ergründen und zu ergreifen. „Wachthabender Bruder, lassen Sie den einführenden Bruder mit dem Anhaltenden eintreten!“, so ergeht das Geheiß vom Altare aus, und nachdem der Anhaltende zwischen den Aufsehern seine Stelle eingenommen hat, richtet der Meister drei Ansprachen an ihn und fordert ihn am Schluß von allen dreien auf, seinen Vorsatz, sich dem Orden zu weihen, durch ein wohlüberlegtes Ja zu bekräftigen. Zweimal spricht der Anhaltende dieses Ja mit seiner gewöhnlichen Stimme aus, das dritte und letzte Einwilligungswort aber wird er aufgefordert, laut und fest zu geben. Indem er das tut, geschieht also von seiner Seite genau dasselbe, was sich in jenen drei Schlägen rhythmisch und klanglich vollzieht. Was ist es nun, was der Anhaltende mit seinem dreifachen Ja bekräftigt? In der ersten Anrede weist der Meister ihn auf das Vertrauen hin, das der Orden zu ihm hat, und fordert von ihm, daß er ein gleiches Vertrauen zum Orden haben solle. Denn der Orden hat ihn nicht gesucht, sondern er den Orden. Sein ehrlicher Name und guter Ruf, das Zeugnis ehrenwerter Männer war es, was uns vermocht hat, ihn bei uns einzulassen, und das ist trotz jener ehrenwerten Zeugnisse immerhin ein Beweis von großem Vertrauen. Denn leider haben wir oft genug die trübe Erfahrung machen müssen, daß wir uns in unserm Vertrauen getäuscht gesehen haben. Wir wollen die Schar unserer Mitarbeiter nicht mit vielen, sondern nur durch würdige und tüchtige Glieder vermehren, die dem Orden und seiner heiligen Sache wahrhaft zu nützen geeignet sind. Wie oft aber wird diese Erwartung getäuscht! Wie verhältnismäßig gering ist die Zahl derjenigen Brüder, die wirklich tiefer von dem Genius unserer Kunst berührt werden, wieviel Indifferente müssen wir in unsern Reihen sehen, die an der äußeren Schale haften, ohne auch nur das Verlangen zu haben, in das Innere zu dringen, wenn es nicht gar noch Schlimmeres war, das wir an ihnen erleben mußten. Trotz solcher Mißerfolge knüpfen wir an jede Aufnahme die Hoffnung, daß wir einen Bruder gewonnen haben, der als Anhaltender bis an das Ende beharren und getreu bis in den Tod im Orden feststehen will. Aber nur Vertrauen um Vertrauen! Für das unsrige fordern wir das seinige. Auf das Wort eines ehrlichen Mannes fragt ihn der Meister, ob er sich ganz und gar unserer Führung anvertrauen wolle, um nach den Gesetzen, welchen wir gehorchen, zum Freimaurer aufgenommen zu werden, d.h. nicht bloß äußerlich der Schar der Brüder durch einige Zeremonien einverleibt zu werden, sondern auch als Freimaurer zu leben, fortzuschreiten und sich zu entwickeln; denn das ist doch der tiefere Sinn, den uns die Aufnahme zeigt, die ja doch weiter nichts bedeuten will als ein Fortschreiten, eine Entwicklung vom Dunkel zum Licht. Diese Gesetze sind dem Neuling vollkommen unbekannt, und ein Beweis seines großen Vertrauens zu uns ist es, wenn er sich zu diesen Gesetzen verpflichtet, noch ehe er sie kennen gelernt hat. Wie sorgfältig wir über dieses Vertrauen wachen, geht daraus hervor, daß wir noch im letzten Augenblicke dem Anhaltenden die Freiheit lassen, zurückzutreten, und daß wir sein erstes Ja fordern mit der Bitte, seinen Entschluß wohl zu überlegen. Hat der Anhaltende aber sein Ja ausgesprochen, so soll es ein unverletzliches Siegel seines Vertrauens sein, und wenn er zu dem Vertrauen zum Orden noch das Vertrauen zu sich selbst hinzufügt, zu der Kraft, die in seinem Inneren ruht, und das Vertrauen zu dem ewigen Gott, von dem alle gute und vollkommene Gabe kommt, dann wird das Werk gelingen. — Die zweite Anrede ist bestimmt, den Anhaltenden auf die Tugenden und Pflichten eines Freimaurers hinzuweisen. Reine Ehrfurcht gegen das höchste Wesen, Gottesfurcht und Gottesglaube ist das feste Fundament >292< jeder Freimaurerei. Gehorsam gegen Obrigkeit und Gesetze ziert den Freimaurer, der seine höchste Ehre darin setzt, zu den besten Staatsbürgern zu gehören. Und alle andern Tugenden reihen sich an: Menschenliebe, Treue und Fleiß im Beruf, Mäßigkeit und Wohltätigkeit, Geduld und Standhaftigkeit im Leiden, Demut im Glück. Das alles nun, so kann man einwenden, sind doch nicht Dinge, die etwa nur der Freimaurerei eigentümlich sind; denn an jeden tüchtigen gesitteten Menschen werden dieselben Anforderungen gestellt. Das ist wohl richtig; aber wenn der Freimaurer von Tugenden spricht, so tut er das doch in einem noch etwas anderen Sinne als die profane Welt. Gleich der folgende Satz der Ansprache führt darauf hin. Es heißt daselbst: Von einem Freimaurer wird Stärke gefordert, um Mühen und Beschwerden zu ertragen, auf Ruhe und Vergnügen zu verzichten und selbst dem Tode mutvoll entgegenzugehen, wenn es gilt, das Gute zu wollen und zu erreichen. In dem einen Wort „Stärke“ liegt der entscheidende Punkt, auf den alles ankommt. Nicht jeder, er mag sonst noch so tugendhaft gesonnen sein, kann sich dieser Starke rühmen; wohl aber liegt sie in jedem, verborgen und harrt des Freiwerdens. Das ist es vor allem, worauf der angehende Maurer hingewiesen werden muß. Und wenn er aufgefordert wird, sich zu prüfen, ob er hinlängliche Stärke des Körpers und der Seele habe, um jene Pflichten zu erfüllen und jene Eigenschaften sich zu erwerben, so ist hier eben von jener noch in ihm schlummernden Kraft die Rede, von deren Gefühl und Vorhandensein sein zweites Ja Zeugnis ablegen soll. Dieses zweite Ja aber soll sein ein unverletzliches Siegel des durch nichts zu erschütternden Vorsatzes des Anhaltenden, diese Kraft seines Inneren nicht ruhen zu lassen, sondern zu entwickeln. Und nun das dritte und letzte Einwilligungswort oder Ja, das von dem Anhaltenden verlangt wird, ohne daß weitere Ermahnungen und Vorhaltungen daran geknüpft werden. Der Meister macht ihn nur darauf aufmerksam, daß Gesetz und Amtspflicht ihn (den Meister) verbänden, es von ihm zu fordern. Laut und fest muß der Anhaltende dieses Ja aussprechen, so wie der letzte der drei Freimaurerschläge laut und kräftig getan werden muß, welcher, wie es im Unterricht in den Erkennungszeichen heißt, die Stärke bezeichnet, welche mit Gleichmut und Nachdruck angewendet werden muß. Hier haben wir es also nicht mehr mit der ruhenden und gebundenen, sondern mit der in Aktion getretenen, frei gewordenen Stärke zu tun, und das ist es gerade, worauf in der k. Kunst alles hinausläuft. Wer das göttliche Licht in seinem Inneren entbunden und die göttliche Stärke in sich frei gemacht hat, der ist erlöst von der Knechtschaft des Gesetzes, der ist frei durch den Geist der Liebe. Tugendregeln und Pflichtgebote gibt es für ihn nicht mehr; denn in ihm lebt das, was des Gesetzes Erfüllung ist: die Liebe, die höchste Kraft, die reinste und vollste Betätigung des göttlichen Geistes im Menschen. Und so wie es des angehenden Maurers Pflicht wird, dies anzustreben, so ist es auch des Meisters Aufgabe, ihn dazu anzuregen und darauf hinzuführen; das ist es, wozu ihn Gesetze und Amtspflicht verbinden. Dieses Höchste in uns zu entwickeln, und diese Kraft in uns frei zu machen, das ist die letzte, schwerste und schönste Aufgabe der k. Kunst. Einzig und allein zu diesem Zwecke führt sie uns ihre verschlungenen Pfade, reicht uns ihre Werkzeuge und leitet uns an zu der einen Arbeit, die not ist, und gegen welche alles übrige an Bedeutung verliert. Der Anhaltende aber, der das bedeutungsvolle dritte und letzte Ja mit lauter und fester Stimme gibt, besiegelt damit seinen freien und männlichen Entschluß, das in ihm ruhende göttliche Licht und Leben zu entwickeln nach den Regeln der Kunst, die sein Meister ihm weisen wird, und endlich jene Stärke zu finden, die alles überwindet und uns am Ende in der Vereinigung mit dem Göttlichen selbst des Maurers höchsten Lohn finden läßt. Der Orden aber nimmt das letzte Ja des Anhaltenden als das heilige Siegel seines höchsten Entschlusses an. Möge jeder, der es abgibt, gedenken der großen Zukunft, die uns bevorsteht, wenn wir treu gearbeitet haben. So laut und fest wie sein Ja, so rein und unerschöpflich sei sein Vorsatz, ein Anhaltender im höchsten Sinne zu sein und zu bleiben. — (1901.) >294< Vorsicht, kaltes Blut und Sammeln der Gedanken. Sobald der Anhaltende zwischen die Aufseher geführt ist, verläßt ihn sein Führer und gibt ihn damit den grundlegenden, werkstellenden Kräften der Loge anheim, welche nunmehr bei der eigentlichen Aufnahme auf ihn einzuwirken beginnen. Diese Kräfte sind dargestellt in dem Meister und den beiden Aufsehern. Der Anhaltende steht in der Mitte der Grundlinie eines Dreiecks, das sich durch die ganze Loge erstreckt, und das durch die Plätze jener drei hammerführenden Beamten gebildet wird, welche der Loge „die Gestalt geben“. Dies Dreieck hat für die Loge dieselbe Bedeutung, wie die Kelle, welche jeder auf der Brust trägt, für jeden einzelnen hat. So wie durch die Kelle, d.h. durch die Kraft des göttlichen Wortes, der einzelne zum Ideal der Vollkommenheit hingeführt werden soll, so stellt auch das Dreieck der drei obersten Beamten diejenige wirksame Kraft dar, durch welche der freimaurerische Gedanke innerhalb einer geschlossenen Brüderschaft zum Ausdruck gelangen, durch welche das Licht in das Dunkel getragen und die Loge zum Abbilde des Weltalls gestaltet werden soll. Die ganze eigentliche Aufnahme aber besteht, wie wir später sehen werden, in der Einwirkung jener dreifachen Kraft, welche im Suchenden bei der Stiftung seiner inneren Loge tätig sein soll. Nachdem der Anhaltende sein dreifaches Ja ausgesprochen hat, richtet der Meister noch eine ernste Mahnung an ihn, welche sich unmittelbar an das dritte und stärkste Ja anschließt, indem er ihn folgendermaßen anredet: „Mein Herr, es soll geschehen. Wissen Sie, daß Mut und Standhaftigkeit, Vorsicht und kaltes Blut Gefahren abwenden, daß aber, wer sich fürchtet, bloß sinnlichen Eindrücken nachgibt und seine Gedanken nicht gesammelt hat, zu beklagen ist und leicht ein Opfer werden kann.“ Diese Worte müssen den Anhaltenden begreiflicherweise in eine noch größere Spannung versetzen, als es schon durch den Aufenthalt in der dunkeln Kammer und durch das, was bisher geschah, der Fall war. Etwas Drohendes, schwer zu Überwindendes wird ihm angekündigt; zusammenraffen soll er all seine Kraft, um die Hindernisse zu besiegen und die Schwierigkeiten zu überwinden, welche ihn von dem zu erreichenden Ziele trennen. Später, wenn sich die Aufnahme glatt und ohne Schwierigkeit vollzogen hat, wenn er nach beendigten Reisen zum Altar geführt und nach abgelegtem Gelübde das Licht erhalten hat, und endlich sogar die Forderung, daß er sein Blut mit dem Blute der Brüder vermische, nicht wirklich vollzogen, sondern seine Bereitwilligkeit dazu als genügend angenommen wurde, da mag wohl etwas wie Enttäuschung über ihn kommen. Dennoch werden wir, wenn wir der Sache auf den Grund gehen, finden, daß keine Ursache für eine Enttäuschung vorliegt. Jene Worte haben ihre wohlerwogene Berechtigung, wenn wir bedenken, daß der ganze Gang der Aufnahme in seiner symbolischen Form eine Darstellung des Menschenlebens ist als eines Weges, der uns zu Licht und Wahrheit führen soll, eines Weges, der das Göttliche, das im Menschen schlummert, zu entwickeln und zu vollenden den Zweck hat. Das aber ist das höchste Ziel, das der Menschengeist sich stecken kann. Je höher aber das Ziel, desto schwieriger der dahin führende Weg, desto hartnäckiger die Widerstände, die sich uns entgegenstellen, desto bedeutender die Gefahren, denen wir uns aussetzen. Selbst ein gewöhnliches, ohne besondere Schicksale verlaufendes Menschenleben, das sich so hohe Ziele nicht gesetzt hat und sich nur in der Alltäglichkeit bewegt, ist nicht frei von Mühen und Gefahren, und jeder Mensch ohne Ausnahme muß, um durch das Leben zu kommen, Vorsicht anwenden und kaltes Blut haben; er muß seine Gedanken beisammenhalten, um nichts zu versäumen und ohne Furcht dem begegnen zu können, was seinen Weg durchkreuzt und ihn von der rechten Richtung abbringen will. So wie der Bergsteiger festen Mut und Ausdauer haben muß, so wie er nicht sinnlichen Eindrücken nachgeben und in die furchtbaren Abgründe hinab blicken darf, die sich neben seinem Pfade öffnen, wenn >296< er nicht von Schwindel erfaßt werden will, so wie er mit Vorsicht und kaltem Blut die Stelle sich suchen muß, wo sein Puls sicher haften kann, wenn er nicht des jähen Sturzes Opfer werden will, so muß jeder Mensch unter Mühen und Beschwerden seinen Weg sich suchen, „vom Steine hier, vom Sturze da“ die Räder seines Wagens fernhaltend. Ein Heer von Krankheiten und Unglücksfällen lauert auf ihn in jedem Augenblick, das Erdenleben mit seinen verwickelten Verhältnissen stellt ihm tausend Netze, in welche er mit und ohne Schuld verstrickt werden kann, wenn nicht Vorsicht ihn leitet, und trotz aller Vorsicht kann er doch ein Opfer werden. Schicksal nennt das die Welt; ein blindes Fatum, so meint man, waltet unentrinnbar über der Menschen Tun und Treiben, und was kann man anderes dabei machen, als mit Lebensklugheit allen Wechselfällen begegnen und das Unvermeidliche mit Ruhe und Geduld ertragen. Nun ist aber der Orden weit davon entfernt, dem Anhaltenden in jenem Worte eine banale Lebensregel geben zu wollen, die jeder sich selbst sagen kann; vielmehr müssen wir sie in innigste Beziehung setzen zu dem, was seiner im Orden und auf seinem freimaurerischen Wege wartet. Er soll diesen Weg und die Gefahren, welche ihm auf demselben drohen, ins Auge fassen, um ihnen mit Vorsicht und kaltem Blut zu begegnen. Dabei ist zuvörderst das eine zu bedenken, daß der Maurer, wenn er richtig seine Bahn vor sich wandelt, ein Schicksal, d.h. ein blindes Fatum, nicht kennt, sondern daß er, wie schon der einführende Bruder sagt, sein Schicksal sich selbst bereitet. Er bereitet es sich aber dadurch, daß er in voller Klarheit mit der ganzen Kraft seines Wollens und Könnens sich dem ewigen Lichte zuwendet, es in sich und außer sich zu finden trachtet und sich erleuchten läßt von der göttlichen Wahrheit, die ihm im Scheine jenes Lichtes als das Höchste, Wertvollste und allein Erstrebenswerte aufgegangen ist. Wer also fortschreitet, dessen Schicksal ist besiegelt; ihn kann das nicht mehr anrühren, was die andern draußen, die das Licht nicht gesehen haben, niederwirft. Das, was die profane Welt Schicksal nennt, was kann es ihm anhaben, ihm, der da weiß, daß über ihm eine höhere Macht waltet, nicht die Macht des blinden Zufalls, sondern die Macht der ewigen Liebe, in die er einbeschlossen ist. Die Gefahren aber, die er abzuwenden hat durch Vorsicht und kaltes Blut, bestehen in etwas ganz anderem. Der Weg, der zum maurerischen Ziele führt, ist der schmale Weg des Lebens; er ist rauh und steil, Abgründe gähnen ihm zur Seite, die die Finsternis dem Wanderer öffnet; Sirenenstimmen schallen verlockend aus ihnen empor und möchten den mühsam Strebenden in die Tiefe ziehen. Trugbilder gaukeln darüber hin und wollen ihn verführen, seinen Fuß von dem dornigen Pfade hinweg zu lenken zu sanften Wiesenteppichen, die aber unter sich den faulen Sumpf verbergen, in welchen der Unvorsichtige nur zu leicht versinkt. Darum gilt es Vorsicht und kaltes Blut. Vorsicht ist eine der vornehmsten Meistertugenden. Blicke vorwärts! ruft sie uns zu, nicht hinter dich oder zur Seite, sondern behalte dein Ziel im Auge! Und wenn du dem Lichte, das dir von ferne leuchtet, unverrückt folgst, dann wird dein Herz erglühen von warmer Begeisterung für das Ideal, aber abgekühlt werden für alles, was der Finsternis angehört und darum dem unerleuchteten Sinne so begehrenswert erscheint. Von der Hitze niederer Leidenschaften soll dein Blut unberührt bleiben, da mußt du kühl bleiben bis ans Herz hinan. Wenn aber dein Herz allein für die Wahrheit zu erglühen gelernt hat, dann gelangst du allein zu dem kalten Blute, das neben der Vorsicht notwendig ist, um die Gefahren der Finsternis abzuwenden. Und ferner warnt der Orden in jenen Worten des Rituals, sich zu fürchten, sinnlichen Eindrücken nachzugeben, und vor dem Nichtgesammeltsein der Gedanken. Unsere deutsche Heldensage zeigt uns Siegfried, den herrlichsten Helden der Welt, der das Fürchten nicht kennt und darum unüberwindlich ist. Auch der rechte Maurer soll etwas von jener Lichtgestalt haben und mit dem unüberwindlichen Schwerte, der Waffe des Lichts, den Lindwurm bestehen, den der Pfuhl der Finsternis ihm in den Weg stellt. Unter Fürchten ist hier allein zu verstehen das feige Erbeben vor der Gefahr, die die Finsternis uns bringt. Wer da glaubt an das Licht und seine siegende Kraft, der wird solche Furcht nicht kennen und keinem Kleinmut zum Opfer fallen. — Eine andere Furcht aber soll stets in uns sein. Wir Maurer können unserm großen Staatsmann das Wort nachgebrauchen: „Wir Maurer fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt!“ „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang“, steht in unserm Heiligtum dort über der Pforte der Meisterloge angeschrieben, und wer es liest, der achte darauf. Reine Ehrfurcht gegen das höchste Wesen, die sich auflöst in die Liebe zu ihm und in Hingebung an ihn — sie ist es, die jene knechtische Furcht in uns nicht aufkommen läßt. — >298< Nun gibt es noch zwei Punkte, auf welche die Worte des Rituals uns aufmerksam machen, und welche meiner Meinung nach gerade für des Maurers innerstes Leben von ganz außerordentlicher Wichtigkeit sind. Es heißt: „Wer bloß sinnlichen Eindrücken nachgibt und seine Gedanken nicht gesammelt hat, ist zu beklagen und kann leicht ein Opfer werden.“ Beides gehört genau zusammen; denn wer nur den Eindrücken seiner Sinne nachgibt, d.h. wer sie allein für das Maßgebende hält, kann nicht zur inneren Sammlung kommen, und umgekehrt: wer nicht danach trachtet, sich zu sammeln, der wird sich gar zu leicht durch die äußeren Eindrücke zerstreuen lassen und so ein Opfer des Irrtums und des Wahnes werden. Der angehende Freimaurer erhält hier die eindringliche Mahnung, nicht an der Oberfläche haften zu bleiben, sondern sich zu vertiefen. Die Philosophie lehrt — und zwar stimmen darin die Philosophen aller Zeiten ziemlich überein —, daß die Eindrücke, die wir durch unsere Sinnesorgane von der Außenwelt empfangen, nicht das wahre Wesen der Dinge sein können, sondern daß das eigentlich Seiende sich hinter diesem Schein verbirgt. Dies läßt sich sehr wohl auf unsere Freimaurerei anwenden. Der Orden zeigt sich schon dem Neueintretenden, und auf noch weiteren Stufen nicht minder, in einer symbolischen Hülle, die wir mit unsern Sinnen als seine äußerliche Gestalt wahrnehmen. Wir sehen die Bilder von Werkzeugen und anderen Dingen auf der Arbeitstafel vor uns ausgebreitet, auch auf dem Altar sehen wir dergleichen, und wir selbst tragen solche Symbole als maurerische Bekleidung an uns und wurden bei unserer Aufnahme und bei den Weihegebräuchen der verschiedenen Grade einer ganzen Reihe von symbolischen Gebräuchen und Formen unterworfen. Der würde zu beklagen sein, der diese Dinge für die Sache selbst halten wollte; er würde der Oberflächlichkeit zum Opfer fallen. Der ganze symbolische Apparat ist weiter nichts als ein Mittel, welches dazu führen soll, das Wesen der k. Kunst verstehen und diese selbst üben zu lernen. Das ist aber nicht leicht und erfordert volle Hingebung an die Sache; es kann nur erreicht werden durch Sammlung der Gedanken und durch jene Konzentration unseres Sinnes auf einen Punkt, ohne welche ein freimaurerisches Arbeiten schlechterdings nicht möglich ist. In unserm Lehrlingsfragebuch lautet die letzte Frage: „Welches sind die vornehmsten Arbeiten der Freimaurer ?“ „Ihre Handlungen abzumessen und ihre Gedanken und Worte zu richten.“ Ich halte diese wenig beachtete und lange nicht genug gewürdigte Frage für eine der wichtigsten unseres ganzen Fragebuches und komme daher immer wieder auf sie zurück; denn sie weist auf das hin, was das notwendigste ist, auf die Richtung der Gedanken auf einen Punkt, nämlich auf das Licht der göttlichen Wahrheit, das da scheint in die Finsternis, aber von der Finsternis nicht begriffen wird, von uns aber begriffen werden soll; sie weist uns auf die innere Sammlung hin, die uns erst geschickt macht, das Licht zu empfangen, um es dann in Worten und Taten wieder auszustrahlen. Wenn jemand im profanen Leben durch Leid und Kummer schwer heimgesucht ist, so hört man oft, wie ein Freund, der da vorgibt, es mit dem Betrübten gut zu meinen, diesem den Rat gibt: „Du mußt dich zerstreuen!“ — Wie gedankenlos und frivol ist doch solcher Rat! Als ob durch Zerstreuung mittels allerlei Tand — das wird ja doch gewöhnlich unter Zerstreuung verstanden — ein blutendes Herz geheilt werden könnte! — Wäre es nicht besser, dem Leidenden zu raten: „Du mußt dich sammeln! Nimm dich zusammen!“ Das müßte der Freund ihm zurufen. Sammle dich! Richte deine Gedanken auf das Ewige, auf das, von dem allein Heil kommen kann, auf die Kraft, die allein die zerschlagenen Herzen aufzurichten vermag! Von ganzem Herzen wünsche ich, daß niemand von uns es nötig hätte, die k. Kunst als Heilmittel seiner verwundeten Seele in Anspruch zu nehmen; aber das wünsche ich, daß das Glück, das uns im Leben beschieden worden ist, gekrönt werde durch das Werk der k. Kunst. Ich wünsche, daß es uns allen gelänge, unser ganzes Denken, Empfinden und Handeln unter die Weihe unserer Kunst zu stellen; denn nur der ist ein wahrer Freimaurer, der es versteht, überall im Leben, wo und in welcher Lage er sich auch befinden mag, sich von dem Genius der k. Kunst leiten zu lassen. Das kann aber nur geschehen, wenn unsere Gedanken gesammelt sind und ohne Abirren auf das eine hohe Ziel gerichtet bleiben. — (1901.) >300< Die Lehrlingsreisen. Nachdem der Anhaltende vom Meister die letzte Warnung erhalten hat, wird er ein Leidender, und nachdem die Brüder ihre Einwilligung zu seiner Aufnahme gegeben haben, ruft der Meister: „So soll seine Aufnahme beginnen zur Belohnung seines festen Entschlusses, der Proben der Standhaftigkeit und des großen Verlangens, welches unser Leidender bisher an den Tag gelegt und bewiesen hat.“ Damit wird ihm der Weg zum Lichte eröffnet; aber noch lange währt es, bis er seine Strahlen zu schauen bekommt. Gleichwohl soll er schon den mühevollen Weg dahin als eine Belohnung seines großen Verlangens und seiner Beharrlichkeit und Standhaftigkeit erkennen. Wohl dem, der es vermag! Er besitzt den rechten Adel der Gesinnung. Er trachtet nicht nach der mühelosen Erwerbung des höchsten Gutes, sondern findet in dem harten Ringen und Streben nach demselben die sichere Gewähr, daß er es sich dadurch zum bleibenden Besitz erringt. Denn nur das, was wir mit Mühe und Schweiß erarbeitet haben, besitzen wir wirklich. Auf den also Denkenden paßt das erhabene Wort Lessings: „Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz. — Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner linken den einzigen immer regen Trieb zur Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für Dich allein! —“ Freilich hat Lessing hier nur die Wahrheit gemeint, die durch menschliche Wissenschaft in dieser Zeitlichkeit erstrebt wird. Der Jünger der k. Kunst aber geht noch andere Wege; er hofft, den Vater endlich am Schlusse seiner Maurerbahn zu finden und aus seiner geöffneten Rechten die volle Wahrheit zu empfangen ohne Schleier und Hülle, als ein inneres Licht, das ihm im Glauben mit voller Gewißheit aufgegangen ist als Lohn seines unablässigen Mühens und Strebens. — „Bruder zweiter Aufseher, lassen Sie diesen Leidenden als Maurer reisen!“, so ergeht nun das Geheiß des Meisters. Die Reisen bilden im Lehrlingsgrade sowohl als auch in anderen Graden den eigentlichen Mittelpunkt unserer Gebräuche; wir können sie mit Recht als das Wesentlichste, als die eigentliche Aufnahme selbst betrachten. Das, was den Reisen vorangeht, war Vorbereitung, was ihnen folgt, ist der Abschluß der Aufnahme. Die Reisen stellen gleichsam den langsamen Werde- und Entwicklungsgang dar, auf welchem der profane Suchende zum Maurer, zu einem Geweihten der k. Kunst, heranreift. Unsere Akten sagen über die Reisen folgendes: „Die Reisen, welche Sie unter Beistand eines Führers zu drei verschiedenen Malen machen mußten, sollen Ihnen andeuten, daß der Weg zur Tugend mannigfaltigen Schwierigkeiten unterworfen ist, zu deren glücklichen Überwindung die Vorsicht uns einen unsichtbaren, aber sicheren Führer in unserem eigenen inneren Richter gegeben hat. Vollenden Sie diese Wanderung mit Standhaftigkeit, und weichen Sie nie von dem ruhmvollen Wege ab, der zum Ziele führt. — Die Spitze des Degens wurde gegen Ihre Brust gesetzt, um Sie zu erinnern, daß Sie einen ehrenvollen Tod höher schätzen sollen, als ein lasterhaftes Leben.“ (L. B. II, Beil., S. 37.) >302< Im Fragebuche aber heilßt es (Abt. V, Fr. 22) : „Warum ließ man Sie auf verschiedene Art als Maurer wandern?“ „Um mir zu erkennen zu geben, daß man nicht durch den ersten Schritt sich der Wahrheit und dem Lichte nähern kann.“ Kein passenderes Bild konnte unser Orden für den inneren Werdeprozeß wählen als das Bild einer Reise. Die Freimaurerei ist ein Weg, der Weg des Menschen von der Finsternis zum Licht. Wenn wir eintreten in einen Maurertempel, so ruft uns der Genius der k. Kunst aus allen Zeichen und Sinnbildern, aus allem, was wir in der Loge sehen und erfahren, ein „Vorwärts“ zu. Du bist in Finsternis, mache dich auf, werde Licht! Mache dich auf, d.h. begib dich auf die Reise, um zu suchen; bleibe nicht stehen auf einer Stelle, verdumpfe und versumpfe nicht in Trägheit und behaglicher Ruhe wie ein Pilz, der auf demselben faulen Boden, aus dem er erwachsen ist, sich groß mästet, um an derselben Stelle wieder zu vergehen, ohne ein Spur zurückzulassen. Nein! Mache dich auf! Du mußt vorwärts! Begib dich auf die Reise! — Wenn wir eine Reise tun, so kann dieselbe einen doppelten Zweck haben. Einmal ist die Reise ein Weg, den ich zurücklege, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dieses ist dann die Hauptsache, der Weg Nebensache. Wenn ich in einer anderen Stadt ein bestimmtes Geschäft habe oder einen Freund besuchen will, so kümmert mich der Weg gar nicht; ich wähle den kürzesten Weg, suche ihn so schnell als möglich zu vollenden, wähle den schnellsten Eisenbahnzug, um nur so bald als möglich an Ort und Stelle zu sein. Zweitens aber kann die Reise selbst Zweck sein. Ich mache einen Spaziergang oft nur, um mich in frischer Luft zu ergehen, nicht aber in der Absicht, an einen bestimmten Punkt hin zu gelangen. Eine Erholungsreise unternehme ich, um mich überall, wo ich hinkomme, an den Schönheiten der Natur zu erlaben und mich durch Genuß an Werken der Kunst erheben zu lassen. Der wissenschaftliche Forscher, den seine Reise in unbekannte Gegenden der Erde hinführt, muß auf Schritt und Tritt sein Auge offen halten, um alles in sich aufzunehmen, was sich seiner Beobachtung darbietet. Der Entdeckungsreisende weiß oft gar nicht, ob seine Wege ihn an irgend ein bestimmtes Ziel führen werden, er sucht erst nach einem solchen. Die maurerischen Reisen vereinigen beides in sich. Sie erstreben zunächst ein großes Ziel; sie beginnen im Westen und suchen, den Osten zu erreichen; sie fangen an in der Finsternis und wollen uns das Licht erreichen lassen. Licht und Wahrheit, diese beiden großen Worte, welche die höchsten Güter der Menschheit bedeuten, sind das Ziel der maurerischen Wanderung. — Aber die maurerischen Reisen tragen auch ihren Zweck in sich selbst, und zwar insofern, als sie bei jedem Schritte, den wir vorwärts tun, unsere Kräfte üben und stählen, um uns zur Erreichung des Zieles immer geschickter zu machen. Das Unterwegs darf nicht vergebens sein, wenn der Maurer reist, auch dann nicht, wenn seine Schritte ihn in eine Richtung führen, die dem Endziel abgewendet liegt; kein Schritt darf ohne Frucht sein. Das Unterwegs gerade muß den Mut des Wanderers erstarken lassen und seine Sehnsucht nach dem Endziel anfeuern. Unzählige Einwirkungen soll er unterwegs erfahren, er soll sie in sich aufnehmen, prüfen und sichten, er soll sie abweisen, wenn sie ihn hindern und ablenken, und er soll sie festhalten und erproben, wenn sie ihm nützen und förderlich sein können. Alles das kann und soll der Maurer auf seinen Reisen finden. Betrachten wir nun die Reisen selbst. Wenn jemand sich auf die Reise begibt, so pflegt er sich mit allen möglichen nötigen und unnötigen Dingen auszurüsten, damit er möglichst bequem, mühelos und ohne Gefahr seinen Weg vollenden könne. Wie ist nun der angehende Maurer auf seiner Lehrlingsreise ausgerüstet? Scheinbar sehr unvollkommen und mangelhaft; ja, der Zustand, in den er versetzt wurde, hatte ihn sogar der notwendigsten Reisebedürfnisse beraubt. Das erste Erfordernis für die Reise ist eine feste, schützende Kleidung; man hatte ihn aber zum Teil seiner Kleidung beraubt; halb entblößt mußte er seine Wanderung antreten. Tüchtiges Schuhzeug ist es vor allem, wofür der Wanderer sorgen muß; statt dessen muß er an den linken Fuß einen niedergetretenen Schuh anziehen, so daß sein Gang dadurch etwas Unbeholfenes erhält; wahrlich eine üble Vorbereitung für eine Reise! Und seine Augen sind mit einer undurchdringlichen Binde bedeckt. Das Augenlicht, mittels dessen man sich den Weg suchen muß und die Dinge um sich her erkennen soll, ist ihm geraubt. Seine Barschaft, die irdischen Besitztümer, auf die er Wert legte, sind ihm abgenommen; arm, nackt und bloß muß er sich auf die Wanderschaft begeben, und die kalte Spitze eines Schwertes fühlt er auf seinem Herzen und muß fürchten, bei jedem Straucheln und bei jedem Fehltritt von ihr durchbohrt zu werden. Das ist die Ausrüstung für unsere erste Maurerreise! — >304< Was dies alles sagen will, ist leicht zu finden. Der mühselige Zustand des maurerischen Reisenden ist ein Abbild des zum Licht und zur Wahrheit strebenden Menschen. Wenn diese höchsten Güter errungen werden sollen, dann nützen uns nichts die Schätze dieser Welt, nichts die Bequemlichkeiten, mit denen der Wollüstling sein Leben ausstattet, nichts die Ehren und Würden, die von Menschen uns übertragen werden können. Licht und Wahrheit sind nicht für Gold feil, sondern nur für Schweiß; Licht und Wahrheit erschließen sich nur dem einfältigen, demutsvollen Sinn. Mühsam und dornenvoll ist der Weg, der zu ihnen führt, und nur der Entsagende und sich selbst Verleugnende kann ihn zurücklegen. Wie viele, die dieses leuchtende Ziel suchen, tappen geblendet im Dunkeln; sie straucheln, gleiten aus, und Gefahren umgeben sie auf Schritt und Tritt. Darum ach! wie viele stehen ab vom Suchen, sie kehren um und lassen es sich wohl sein im Behagen der Sinnenlust, wie die Welt sie ihnen bietet. Aber nicht so der Suchende, der sein Leben der k. Kunst weihen will. Auch er wandert im Dunkeln, aber die Hoffnung, zum Ziele zu gelangen, verläßt ihn nicht; auch er strauchelt und fällt vielleicht, aber er richtet sich auf in neuer Kraft, auch er muß umkehren, aber nur, um mit verdoppeltem Verlangen den rechten Weg zu finden. Und so ganz verlassen sein läßt der Orden den armen Wandersmann nicht. Wenn er nicht weiß, wie er blind und hilflos den mühevollen Weg zurücklegen soll, dann streckt sich ihm eine warme Hand entgegen, die mit innigem Druck die seinige faßt und ihn vorwärts zieht. Ohne daß der Aufzunehmende es weiß, wird er schon auf seiner ersten Maurerreise durch Zeichen, Griff und Wort geleitet, die ihm später, wenn er zum Licht und zum maurerischen Bewußtsein erwacht ist, als Führer dienen sollen. Der zweite Aufseher, der ihn leitet, setzt ihm die Spitze des Schwertes auf das Herz. In dem Kreuz des Schwertes aber liegt der rechte Winkel, das Zeichen, dem er zu folgen hat jetzt und künftig; mit dem Griff wird seine rechte Hand von dem Führer gefaßt, und das Wort, desselben erhebt ihn, ermutigt ihn und tröstet ihn. Der zweite Aufseher ist in seiner Instruktion (L. B. I, Beil., S. 19 ff.) angewiesen, in den Ansprachen während der drei Reisen den Suchenden anzuleiten, die tiefsten Blicke in sein Inneres zu tun, sein vergangenes Leben zu prüfen, sein gegenwärtiges Leben der Maurerpflicht zu weihen und an die selige Zukunft zu denken, welche den getreuen Bruder erwartet, der seine Werkzeuge nach dem Bauriß gebraucht hat. Die Stimme des Führers schlägt zwar ernst und mahnend, aber auch mild und tröstend an sein Ohr. Das ist die rechte Wegkost, die ihn stärken soll auf der beschwerlichen Wanderung; denn — wie geschrieben steht — „der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht“. (Matth. 4, 4.) Das heißt: Das Wort des Lebens und der Wahrheit ist die rechte Speise, die unserm inneren Menschen frommt. Uns allen hat die göttliche Liebe eine solche Stimme in das Herz gelegt, die als Aufseher Wache hält über unser inneres Leben; das ist die Stimme des Gewissens. Wohl dem, der sie vernimmt; wohl dem, der von ihr die Himmelsspeise empfängt, die allein zu sättigen vermag! Die Schwertspitze, die auf dem Herzen des Wanderers ruht, ist die Waffe unseres Gewissens. Wir fühlen ihren Stich, wenn wir ausgleiten und straucheln; aber sie will uns nicht töten, sondern nur warnen. Töten will sie in uns das, was der Finsternis angehört, um das, was des Lichtes in uns ist, zum Leben zu erwecken. So wandert der Suchende durch die Loge, d.i. durch die Welt; denn die Loge ist ein Abbild der Welt, sie hat Nord und Süd, Ost und West. Von Westen geht er aus und sucht nach Osten zu gelangen, zum Sitz des ewigen Lichtes. Nicht ohne Irren ist sein Weg, denn „es irrt der Mensch, solange er strebt“. Von Westen nach Osten strebend, muß er hindurch durch Nord und Süd, durch Wintereis und Sonnenbrand, durch Nacht und Tag, durch Schmerz und durch Freude, durchliefen und über Höhen; er muß hindurch durch das große Arbeitsfeld, das ihm im Leben gegeben ist, um alles in sich aufzunehmen, was es ihm bietet. In unbewußter Dunkelheit, wie das Kind aus dein Mutterleibe, tritt er die Reise an. Sie führt ihn zuerst durch das Dunkel des Nordens. Dann muß er umkehren, denn er war, wie der Meister sagt, noch weit vom rechten Wege entfernt; er muß auf der zweiten Reise durch Süden, hinaus in die Welt auf die Höhen des Lebens, um das Gute zu behalten und das Schlechte von sich zu weisen. Aber auch die Wanderung durch das Leben führt ihn noch nicht zum Ziele, doch ist, wenn er richtig gewandert ist, Hoffnung vorhanden, daß er auf den rechten Weg gelangen könne, wie der Meister sagt. Nochmals muß er umkehren, und abermals führt ihn sein Weg durch Norden, er muß scheinbar zurück in die Finsternis. Vom Leben wendet er sich ab auf der dritten Reise und geht — dem Tode entgegen. Ja, es ist die Todesreise, die ihn endlich ans Ziel bringt. Durch sie wird endlich das Ziel erreicht und der Lohn erlangt; denn nur durch den Tod geht es zum >306< Leben. Willst du das Leben erringen, so mußt du den Tod nicht scheuen; gib dem Tode, was des Todes ist, so wirst du leben! „Stirb und werde!“ Laß fahren das Irdische, Flüchtige und erwirb das Ewige! Das sagt dem Wanderer die dritte und letzte Lehrlingsreise. Und so ist endlich der Suchende auf dem rechten Wege; die gerade Bahn öffnet sich ihm nach Osten. Wer immer auch reisen mag, und welchen Zweck seine Reise auch haben mag: stets nennt der Wanderer das Ziel seiner höchsten Sehnsucht mit einem Wort, das wie Harfenlaut in unserem Herzen widerhallt : Heimat! — Wenn nach langer Irrfahrt die Heimat uns umfängt mit ihrem trauten Frieden und ihrer süßen Kühe, wenn die lieben Augen der Unsrigen uns leuchten und ihre Hände uns halten, dann wird es Licht in uns. Alles Trübe und Finstere entweicht; vergessen sind des Weges Mühen, vergessen die Steine, an denen sich unser Fuß wund stieß, vergessen die Stürme, die uns umtobten. — Solche Seligkeit gewährt uns schon die irdische Heimat; aber es gibt noch eine andere: die Heimat droben, das große Vaterhaus, mit den vielen Wohnungen, das wir ahnen, wenn wir die Sterne über uns funkeln sehen, die uns grüßen wie die Lichter aus der Heimat. Sie sucht der Maurer; sie ist seiner Sehnsucht höchstes Ziel. Und der ewige Vater droben will seine Kinder zu sich emporziehen und an sein Herz nehmen. Das ist es, was die müden Kniee aufrichtet und die lässigen Hände stärkt: der Glaube an die ewige Heimat, die uns bereitet ist im Reiche des Lichtes. So wandert der Maurer. Sein Weg ist das wahre, würdige Leben; sein Führer, Versöhner und Erlöser ist die Liebe, und sein Ziel ist jetzt und immerdar das Licht und die Wahrheit, die wir in vollem Glanze zu schauen hoffen in der ewigen Heimat. (1901.) Suchen, Anhalten und Leiden. Suchen, Anhalten und Leiden, das sind die drei großen Stationen, in welche unsere Lehrlingsaufnahme zerfällt. Der Aufzunehmende heißt von dem ersten Schritt in das Logenhaus, ja eigentlich schon seit seiner Anmeldung und der Anheftung seines Namens an die schwarze Tafel bis zu dem Zeitpunkt, da er Erlaubnis zum Eintritt in die Loge erhält, ein Suchender, von da an bis zum Beginn der Reisen ein Anhaltender, und von da ab bis zur Erteilung der Weihe durch die drei Hammerschläge ein Leidender. Diese Bezeichnungen sind nicht willkürlich; sie haben sich aus dem innersten Mysterium, aus dem eigentlichen Kern unseres Bundes, ergeben und sind unveränderlich, weil sie über jedem Zeitgeist stehen. Solange es auf Erden Menschen gibt, die menschlich fühlen, denken und streben, werden sie ihre Bedeutung behalten und die Stationen bezeichnen auf der Bahn, auf welcher die erschaffenen Geister zum Lichte emporsteigen. Beachtenswert erscheint es nun, daß in jeder der drei oben bezeichneten Abteilungen des Aufnahmerituals sich die einzelnen symbolischen Handlungen wiederum in Unterabteilungen nach jenen drei Gesichtspunkten gruppieren lassen. Demnach zerfiele die Station des Suchens in drei Teile: a) Suchen, als Anfang des Ganzen, der Weg zum Logenhause und in die dunkle Kammer. b) Anhalten: Prüfung des Suchenden durch den einführenden Bruder und Lichtprobe. c) Leiden: Entkleidung, Ablegen der Metalle und der beschwerliche Weg auf Umwegen bis zur Logentür. >308< Ebenso teilt sich die Station des Anhaltens ein: a) Suchen: Eintritt in die Loge und Weg bis zu den Aufsehern. b) Anhalten: Prüfung durch den Meister und Bekräftigung des gefaßten Entschlusses durch das dreifache Ja. c) Leiden: Die Reisen mit der Schwertspitze auf der Brust. (Die Reisen gehören eigentlich dem Ritual nach in die Station des Leidens, da der Meister den Aufzunehmenden, nachdem er sein drittes Ja geantwortet hat, einen Leidenden nennt. Dem Sinne nach aber möchte ich sie zu der Station des Anhaltens rechnen aus Gründen, auf welche ich hier nicht näher eingehen kann. (Vgl. Zirkelcorrespondenz 1878, S. 249. Anm.) Übrigens sind in den Reisen selbst alle drei Stationen enthalten, da der Aufzunehmende bei der ersten Reise ein Suchender, bei der zweiten ein Anhaltender, bei der dritten ein Leidender genannt wird.) Endlich zerfällt die Station des Leidens in a) Suchen: Der Weg über die Tafel durch die drei merkwürdigen Schritte zum Altar. b) Anhalten: Gelübde und Versiegelung durch Salomos Siegel. c) Leiden als Höhepunkt: Lichterteilung und Blutmischung. Anfangen, Fortsetzen und Beenden, das ist das große Schema, unter welchem alles, was geschieht, alles, was wir selbst unternehmen und ausführen, uns erscheint, ja, unser Dasein selbst wird durch diese Linien eingefaßt, wir nennen es Geburt, Leben und Tod. Ebenso ist auch unser maurerisches Werk, wie alles, was in Raum und Zeit verläuft, in dieses Schema eingeschlossen. Aber die trocknen Linien des Schemas erwarmen hier zum farbigen, lebensvollen Bilde, wenn wir es mit den drei Worten bezeichnen, in denen sich unsere maurerische Arbeit erfüllen soll: Suchen, Anhalten, Leiden. Alles, was des Maurers Geist und Herz bewegt, fassen diese drei Worte in sich. Ich möchte sagen: überall, wohin wir im Orden blicken, finden wir sie wieder. Daß sie bei der Lehrlingsaufnahme eine große Rolle spielen, muß jedem Neuaufzunehmenden auffallen. Aber davon ahnt er noch nichts, daß seine Aufnahme eigentlich schon den ganzen Weg durch den Orden widerspiegelt, freilich nur für den erkennbar, der diesen Weg kennt und selbst gegangen ist. Demgemäß ist in den drei Abteilungen unseres Ordens, in der Johannisloge, in der Andreasloge und im Kapitel, ebenso auch in den drei allgemeinen Graden, Lehrling, Geselle und Meister, nach welchen sich alle drei Abteilungen einteilen, unsere Trias stets wiederzufinden. Suchen, Anhalten und Leiden zeigen sich in den drei großen Schritten, welche der Suchende über die Arbeitstafel nach Osten tun muß, sie zeigen sich in den Symbolen der Arbeitstafel selbst; sie sind zu spüren in den drei harten Schlägen, durch welche der Suchende an der Pforte angemeldet wird, ebenso in der Bedeutung der drei Freimaurerschläge, welche der Lehrling klopfen lernt, und welche ihn an die drei Grundursachen der k. Kunst, Natur, Religion und Stärke, erinnern sollen. „Es ist ein Suchender, welcher auf dem angefangenen Freimaurerwege Licht und Wahrheit sucht.“ So meldet der zweite Aufseher auf die Frage des Meisters, wer da sei, den Aufzunehmenden nach der ersten Reise an. Viel ist schon in diesen schlichten Worten enthalten. Zunächst wird dem künftigen Bruder dadurch seine Stellung und sein Verhältnis zum Orden bestimmt. Er soll ein Suchender sein. Der Anfang des Werkes, das er hier zu vollbringen hat, ist Suchen. Ein hohes Gut soll er finden, das noch nicht in seinem Besitz ist, von dem er viel, ja alles zu erwarten hat. Er erhält ferner eine wichtige Andeutung, welche das Wesen der Freimaurerei selbst betrifft. Er soll daraus erkennen, daß unsere Sache nicht etwas Fertiges ist, das er mühelos erwerben und bloß hinzunehmen braucht, wenn es ihm angeboten wird, sondern daß sie ein Weg ist, der von ihm selbst beschritten werden muß, und der Mühen genug ihm bereiten wird, wie ich das bei der Betrachtung der Reisen weiter ausgeführt habe. Endlich werden ihm die hohen Güter, um welche es sich handelt, angedeutet: Licht und Wahrheit. — Was ist Licht, und was ist Wahrheit? Vielleicht ist beides, wenn wir es im höchsten Sinne nehmen, identisch. — Bei näherer Betrachtung finden wir aber, daß das doch nicht ganz der Fall ist. Wer etwas suchen will, muß Licht haben; im Finstern kann er nichts finden. Der Mensch aber will finden; ein inneres, unnennbares Sehnen treibt ihn dazu, darum strebt er nach dem Licht, um die Wahrheit finden und erkennen zu können. Unsere Freimaurerei will uns, vorausgesetzt, daß wir es suchen, das Licht geben, in dem wir das wahre Wesen der Dinge erkennen sollen. Dem Arbeitenden nimmt sie eine Hülle nach der andern ab, und je mehr die Finsternis schwindet, die uns umgibt und in uns selbst herrschte, desto reiner und voller erkennen wir die Wahrheit, bis endlich die letzte Hülle fällt, und wir erkennen, gleichwie wir erkannt worden sind. — Was ist Wahrheit? Wer diese Pilatusfrage tut, der ist von der Welt, die noch in Finsternis ist und das Licht nicht begriffen >310< hat. Wer auch nur einen Schimmer von Wahrheit geschaut hat, der fragt nicht mehr, was sie sei; der streitet und disputiert auch nicht mehr darüber, denn er weiß sehr wohl, daß jene, die in der Natur mit ihrer Vernunft und ihren fünf Sinnen die Wahrheit zu ergründen meinen, ihn nicht verstehen können. Wahrheit ist nicht Wissen und Kenntnisse, so schätzenswert diese auch sein mögen; Wahrheit ist der tiefinnerste Zusammenklang des Irdischen mit dem Ewigen, des Menschlichen mit dem Göttlichen. Nur ein reines Herz findet Licht, erkennt in ihm die Wahrheit und gelangt durch sie zur Freiheit. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh. 8,32.) „Es ist ein Anhaltender, welcher fortfährt, den Weg zum Lichte aufzusuchen.“ Zögernd nur teilt die Gottheit die Gaben ihrer Erkenntnis aus. Obwohl die Verheißung an ihn ergangen war: „Suchet, so werdet ihr finden“, so findet dennoch der Suchende nicht gleich. Durch ein sorgloses Suchen läßt sich der hohe Preis nicht erringen, und durch ein bequemes Wandern gelangen wir nicht zum leuchtenden Ende unseres Weges, das von steiler Höhe herab uns entgegen winkt. Dieses lässige Suchen und bequeme Wandern ist so recht die Sache der Kinder der Welt. Die Sehnsucht nach dem Schauen der Wahrheit ist auch ihnen eingepflanzt; denn in jedem Menschenherzen lebt der göttliche Funke. Sie suchen wohl, aber sie finden nicht den Weg, und wenn sie nicht gleich finden, so erlahmen sie, ja, sie fangen an zu zweifeln, ob ein Weg zur Wahrheit überhaupt vorhanden ist, und bezweifeln schließlich diese selbst. „Was hilft es“, — so hört man sie fragen — „wenn wir Hirngespinsten nachjagen? Laßt uns den realen Boden nicht unter den Füßen verlieren!“ So bleiben sie fein ruhig auf der breiten Straße, auf der die Finsternis liegt, und die in ihre Abgründe hinab führt. Was sie allein mit allen Kräften erstreben, das sind die irdischen Genüsse, Geld und Gut, Ehre und Ansehen vor der Welt. Darunter aber fängt das innere Leben an zu leiden. Sie kranken in ihrem innersten, edelsten Mark. Religiosität und Sittlichkeit schwinden mehr und mehr. Wie sollen Gedanken an ein höchstes Wesen und an das Verhältnis, in dem wir zu ihm stehen, noch Platz finden in einer Seele, deren ganzes Trachten nur auf Äußerlichkeiten, auf Genuß, auf eitlen Glanz und Schimmer gerichtet ist? Wie soll wahre Sittlichkeit gedeihen, wenn das innere Licht, aus welchem sie stammt, nur spärliche oder gar keine Nahrung findet. Die Sittlichkeit der Kinder der Welt ist Konvenienz und Opportunitätspolitik; ihr Moralkodex wird modifiziert durch äußere Verhältnisse, und ihre Religiosität ist im besten Falle weiter nichts als ein äußeres Bekennen von Formeln und ein Mitmachen, kirchlicher Zeremonien ohne tiefere innere Beteiligung. Daher stammt jene innere Hohlheit und Haltlosigkeit, welche früher oder später zur Unseligkeit und Verzweiflung führt, daher die unheimliche Vermehrung der Geisteskrankheiten und der Selbstmorde. Ein schleichendes Gift scheint an der Volksseele zu zehren und ihre Kraft zu untergraben. Unser Orden kämpft gegen diese Übel, indem er seine Jünger lehrt, in ihrem eigenen Innern den Punkt zu finden, von dem allein alles Heil kommen kann. Den Suchenden, der geirrt hat, läßt er einen Anhaltenden werden. Er läßt ihn nicht versinken in träger Ruhe und Sorglosigkeit, er läßt nicht zu, daß er sich zerstreue und seine Kraft zersplittere, sondern er regt ihn an zum weiteren Suchen; er läßt ihn umkehren und schickt ihn auf eine neue Reise, damit er sehe, ob es ihm möglich sei, auf den rechten Weg zu gelangen. So darf der zweite Aufseher nach der zweiten Reise den Wanderer als Anhaltenden anmelden. Der Suchende geht den Weg der Natur, des natürlichen Erkennens; er muß ihn gehen, weil er der zunächstliegende ist, der sich ihm von selbst darbietet. Wohl ihm, wenn er zeitig genug einsieht, daß dieser Weg allein nicht zum Ziele führt, sondern nur die Unterlage gibt für ein höheres Streben, und wohl ihm, wenn er den Mut findet, die Lockungen des breiten Weges abzuweisen und sich dem Streben nach dem Höchsten mit ganzer Kraft zu weihen. Wenn er so die Kräfte seines Erkennens und seines Willens zusammenrafft, dann wird er inne, daß das Licht, das er nicht fand, weil es sich ihm zu versagen schien, dennoch vorhanden und auch zugänglich sein muß für den, der mit Eifer danach trachtet. Eine neue Kraft wird in ihm befreit: die Kraft des Glaubens, nicht eines Glaubens, der geknechtet wird vom toten Buchstaben der Satzung, sondern der belebend, stärkend und erleuchtend wie ein Quell lebendigen Wassers mit Urgewalt seinem Innern entströmt. Das Licht, das dem Suchenden, in der Sinnenwelt Wandelnden wie ein ahnungsvoller Traum erschien, das fängt an ihm aufzugehen, weil er daran glaubt. Wie ein leuchtender Stern strahlt es ihm aus dunkler Nacht und wird ihm zum Wegweiser. In ihm geht ihm das Wesen der Gottheit auf, nicht etwa, als ob er sie schon erkennen und umfassen könnte, nein, aus weiter Ferne glaubt er sie zu sehen, >312< wenn die Strahlen des Lichtes, das von ihr stammt — stammen muß —, aus einer reineren, höheren Welt zu ihm herüber grüßen. Das Band, das Schöpfer und Geschöpf verbindet, ist geknüpft und die erste Annäherung des Kindes an den Vater gegeben. Der Anhaltende allein, der vergebens gesucht hat und anhaltend fortfahren will zu suchen, lernt einsehen, was Religion und Religiosität ist. Religiosität ist ein Geheimnis; nur dem Strebenden erschließt es sich; nur der Anhaltende spürt in den Offenbarungen um ihn her und in seinem tiefsten Innern das Wehen des göttlichen Geistes. Er allein findet das Licht, das ihn in alle Wahrheit leiten kann. Aber noch ist er nicht am Ziele. Zwischen dem Erschauen des Lichtes aus der Ferne und dem vollen Erfassen und Durchdrungensein vom Lichte ist ein großer Unterschied. Das höchste Licht kann nur erreicht werden, wenn die irdische Fessel, die uns am vollen Schauen hindert, von uns abfällt. Wenn unser Leib, von dem wir so abhängig sind, der uns so oft hernieder zieht und so vielfach den freien Schwung unseres Geistes hemmt, im Tode dahin gesunken ist, dann dürfen wir, vorausgesetzt, daß unser Geist die rechte Nahrung erhalten hat, hoffen, daß er zum vollen Schauen des Lichtes und der Wahrheit gelangen müsse. Aber nicht bloß am Ende unserer Erdenfahrt dürfen wir das zu erreichen hoffen, sondern auch schon hienieden, wenn wir den Tod erfahren. Das ist es, was der Orden Leiden nennt, darum trägt die letzte Station der Aufnahme diesen Namen. Wohl leidet schon der Suchende, wenn er nicht findet, und noch mehr der Anhaltende, wenn er nicht erlangt, und darum zählt auch wohl der Orden die Reisen zur Leidensstation. Aber das höchste Leiden erfährt er auf der letzten, der Todesreise. Heil ihm, wenn er es durch Vermehrung seines inneren Lichtes recht zu tragen weiß; dann kann der zweite Aufseher den Aufzunehmenden, wenn er die dritte und letzte Reise vollendet hat, ankündigen mit den Worten: „Es ist ein würdig Leidender, welcher den Weg zur Wahrheit und zum Lichte aufgesucht hat und fortfahren will, darauf zu wandeln.“ Leiden! — Welchem Erdenmenschen bleibt es erspart! Auch dem Glücklichsten nicht. Wieviel Kreuz und Elend gibt es, wieviel Schmerzen körperlicher und seelischer Art, wieviel Jammer und Betrübnis, wieviel Kummer, Sorge und Herzeleid! „Warum sind der Tränen unterm Mond so viel!“ — Aber wie werden die Leiden von den Menschen getragen? — Hier sehen wir dumpfe Resignation, dort Verbitterung und Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Anklagen des Schicksals, Irrewerden an der göttlichen Liebe, Kleinmut und Verzagtheit. Der Mensch beneidet in trüben Tagen die Glücklichen, und in Zeiten der Freude läßt ihn die Furcht nicht schlafen, daß ein Unheil ihn treffen könnte. So sind die törichten Menschen, die ohne Erleuchtung im Finstern umhertappen. Sie mögen sich noch so sehr waffnen mit stoischem Gleichmut und Heroismus, sie brechen doch zusammen, wenn es zu hart kommt, und wenn sie das Eine nicht haben, das überwinden hilft. Das ist die Stärke, die uns erwächst aus unserem göttlichen Erbe selbst, und die darum selbst göttlich ist. Welcher Mund spricht ihr Geheimnis aus! Nur der weiß davon, der ihr Regen in seinem Innern gefühlt hat. Und der Freimaurer, der den rechten Weg endlich gefunden hat und fortfahren will, auf ihm zu wandern trotz aller Hemmnisse und Gefahren, erlangt diese Stärke. Mit jedem Schritt, den er, den furchtlosen Blick fest auf das Licht gerichtet, vorwärts tut, wird sein Auge heller, sein Mut stärker, sein Vertrauen großer. Leiden bleiben ihm nicht erspart, wie jedem anderen, ja, er muß Leiden erfahren, wie sie die in der Finsternis Wandelnden nicht kennen; denn die Finsternis, mit der er gebrochen hat, verlacht und verspottet ihn, sie verachtet und verfolgt ihn, sie wütet gegen ihn und möchte ihn ans Kreuz schlagen, sie sucht die Wahrheit, die er beim Scheine des Lichtes gefunden hat, in Lüge zu verdrehen. Aber alle diese Geschosse prallen ab an dem Lichtschilde, der ihn deckt. Auch dieses Leid kennt er, wie alle andern Schmerzen, und weiß es zu würdigen. Nicht ihn beherrscht das Leiden und beugt ihn danieder, sondern er ist der Herr, und wenn er es auch nicht abweisen kann, so steht er doch über ihm. Nur so allein wird er ein würdig Leidender. Er wandelt noch auf Erden und trägt mit seinen Mitmenschen alle Unvollkommenheiten des irdischen Daseins, aber er überwindet die Welt. Er wurde auf die letzte, die Todesreise, geschickt, darum hat er, durch Norden gehend, den Tod erfahren und ist dem Irdischen abgestorben, um das Ewige zu gewinnen. Die irdischen Güter und Freuden weiß er nach ihrem rechten Wert abzuschätzen; nicht sie beherrschen ihn, sondern er sie; und die irdischen Leiden werden ihm zu Hebeln und Vermehrern seiner Stärke, mit der er sie zu überwinden weiß. So kann ihn nichts mehr aufhalten. Geöffnet ist ihm der gerade Weg nach Osten zum Heiligtum. (1904.) >314< Der Weg zum Altar und der Zirkel auf dem Herzen. Die ganze Lehrlingsaufnahme ist einem Drama vergleichbar, dessen Held der Aufzunehmende ist. Freilich spielt dieser Held eine ziemlich passive Rolle; er muß alles über sich ergehen lassen und verhält sich leidend; nur in dem letzten Teil der Aufnahme, in welchem er ein Leidender genannt wird, fängt er gerade an, aus diesem passiven Zustand herauszutreten und beginnt sich aktiv zu beteiligen. Es werden Handlungen von ihm verlangt, die er ausführt, und die, so unscheinbar sie auch aussehen mögen, dennoch von tiefster Bedeutung für ihn sind. Er muß seine Füße in einen rechten Winkel setzen; er muß drei rechtwinklige Schritte über die Lehrlingstafel tun; er muß mit dem rechten Knie auf dem Kissen vor dem Altar, auf welchem ein Winkelmaß befestigt ist, niederknien; er muß seine rechte Hand auf die Bibel und das Schwert des Meisters legen, und endlich erhält er in seine linke Hand einen rechtwinklig geöffneten Zirkel, dessen eine Spitze er sich auf das Herz zu setzen hat. Bei allen diesen Akten spielt der rechte Winkel eine bedeutungsvolle Rolle, und der Suchende wird in dem letzten Akte seiner Aufnahme bereits mit diesem wichtigsten freimaurerischen Werkzeug in Berührung gebracht. In unserer ganzen freimaurerischen Symbolik ist nichts so bedeutungsvoll wie der rechte Winkel. Das Wesen der Freimaurerei ist ein geistiges Bauen. Wie in der profanen Baukunst alles vom rechten Winkel abhängt, wie ihre ganze Statik auf ihm beruht, da jedes Bauwerk schief ausfällt und zusammenstürzen muß, wenn das Winkelmaß nicht bei ihm in Anwendung gebracht wird, so ist es auch in unserer geistigen Baukunst. So wie fast jedes unserer Sinnbilder sich aus dem rechten Winkel ableiten läßt, so geschieht auch jedes freimaurerische Handeln und Fortschreiten nach dem rechten Winkel. In der profanen Baukunst ist er das unveränderliche, unumstößliche Gesetz, das Grundprinzip alles Bauens und alles Zusammenhanges; in der k. Kunst bedeutet er das ewige Gesetz der Gottheit, das unwandelbar waltet in allem Geschehen und Vergehen, das alles umfaßt und leitet, das nichts verloren sein läßt, allem und jedem seine Stelle im großen Weltenbau anweist und das Zerstreute zur großen Einheit der göttlichen Liebe wieder versammelt und einfügt. Ein solches Gesetz herrscht nicht nur in der Natur, sondern auch in der idealen Welt des Geistes. Der Mensch aber soll in seinem Suchen und Streben sich fühlen lernen als Bürger dieser idealen Welt, und die Arbeit, dieses göttliche Gesetz in sich zu finden, zur bewußten Tätigkeit zu entwickeln und sein Inneres danach zu gestalten, das ist die k. Kunst. Und die Stätte der k. Kunst ist die Loge. Wie der ewige Weltenmeister das Gesetz handhabt im Weltenall, das seine Allmacht hervorgehen ließ, so ist der Meister der Loge berufen, das Gesetz in seiner Werkstätte zur Geltung zu bringen und die Brüder in Gerechtigkeit anzuleiten, die Wege dieses Gesetzes zu wandeln. Darum trägt er das Winkelmaß, das starre, unabänderliche Symbol des Gesetzes, auf seiner Brust. Die erste Handlung, die nun von dem Suchenden verlangt wird, ist das Setzen der Füße in einen rechten Winkel am westlichen Rande der Arbeitstafel und demnächst die rechtwinkligen Schritte über die Tafel selbst. Der Weg nach Osten ist ihm geöffnet. Wer unter Führung seiner Gewissensstimme (zweiter Aufseher) durch Norden und Süden gereist ist und auf dieser dreifachen Reise gesucht, angehalten und gelitten hat, den kann nichts mehr aufhalten auf dem Wege zum Heiligtum. Neben der Stimme seines Gewissens erhält er jetzt auf seinem geraden Wege noch einen zweiten Führer zur rechten Seite, die Stimme der Vernunft, versinnbildlicht durch den ersten Aufseher, der sich als die zweite Kraft des gestaltgebenden Logendreiecks (d.h. der Meister und die beiden Aufseher; siehe oben Seite 294) zu ihm gesellt und seine Einwirkung auf ihn beginnt. Dem auf dem rechten Wege Befindlichen darf die Stimme der Vernunft nicht länger schweigen. Sie muß ihm den ersten Schein der Offenbarung eines göttlichen Gesetzes geben, darum mußte auch der erste Aufseher es sein, der den Aufzunehmenden anweist, die Füße in einen rechten Winkel zu stellen, obschon unser Ritual das nicht ausdrücklich vorschreibt. In unseren Akten heißt es (L. B. II, Beil. Seite 37): >316< „Daß Ihre Füße in den rechten Winkel gestellt wurden, als Sie zur westlichen Seite der Arbeitstafel geführt wurden, soll Sie erinnern, daß Ihr höchster Fleiß dahin gehen soll, Ihre Handlungen nach den Geboten des höchsten Baumeisters und den Gesetzen des Ordens einzurichten und Ordnung, Einigkeit zu bewahren und Aufrichtigkeit zu üben.“ Das stimmt mit dem Gesagten überein. Wo der rechte Winkel herrscht, kann Unordnung nicht aufkommen, wo die Steine nach ihm zugehauen sind, müssen sie sich in Einigkeit fest aneinanderfügen; Wahrheit und Recht ist da, wo er gebietet. Die drei großen Schritte, welche der Suchende jetzt über die Tafel zu tun hat, werden in unseren Lehrlingsakten noch nicht erklärt. Es heißt dort, daß sie wohl eine bestimmte Bedeutung haben, welche indes erst in der Folge erklärt werden kann. Was diese Schritte zu sagen haben, soll also dem Lehrling ein Geheimnis bleiben. Erst der JohannisGeselle erhält eine Andeutung darüber, und der Johannis-Meistergrad bringt die vollständige Darlegung ihrer tiefsten Bedeutung. Wenn dieselbe aber auch vom Orden dem Lehrling noch vorenthalten wird, so ist es diesem doch nicht verwehrt, darüber nachzudenken. Anhaltspunkte ergeben sich dafür genug. Zunächst wird er sich sagen müssen, daß die drei Schritte den eigentlichen Weg zum Altar, also von Westen nach Osten, darstellen, und daß die sonstigen Schritte, welche etwa bis zum Westrand der Tafel und von dieser bis zum Altar getan werden müssen, nebensächlich sind. Wenn dieser Weg ihm nun auch frei und ohne Hindernis offen liegt, so geschehen die Schritte doch nicht in gerader Richtung, sondern im Zickzack. Er geht von Westen aus, wo seine rechtwinklig gesetzten Füße stehen, und tut den ersten Schritt mit dem rechten Fuß schräg rechts nach Süden, indem er den anderen Fuß wie auch bei den folgenden Schritten im rechten Winkel nachzieht; der zweite Schritt, mit dem linken Fuß getan, führt ihn links hinüber mitten durch die Tafel nach Norden, und endlich schreitet er wieder mit dem rechten Fuße schräg vorwärts nach Osten. Es ist dabei beachtenswert, daß der erste Aufseher es ist, der ihn den ersten und dritten Schritt tun läßt, während der zweite Aufseher ihm beim zweiten behilflich ist. Beachtenswert ist es ferner, daß der zweite Schritt mit dem Fuße geschieht, an welchem der Suchende den niedergetretenen Schuh trägt. Warum ferner, so wird sich der nachdenkende Lehrling fragen, warum habe ich die Arbeitstafel betreten müssen, warum ging ich von Westen aus, und warum waren Süden, Norden und Osten die Endziele meiner Schritte? — Alle diese Fragen werden wir bei unseren Erläuterungen des Meistergrades uns wieder vorzulegen und zu beantworten haben. Das Eine aber haben wir hier schon zu erkennen und festzuhalten: Wenn der Suchende seine Füße rechtwinklig stellt und rechtwinklig schreitet, so will er damit sagen: Ich erkenne ein ewiges, göttliches Gesetz an, und wenn meine Augen auch noch gehalten sind, und ich es noch nicht ganz erkennen kann, so will ich ihm doch forschend und strebend nachgehen und meinen Wandel danach einzurichten suchen. Für den blinden Wanderer ist es nicht leicht, dieser Aufgabe gerecht zu werden; und wenn sich auch die Aufseher die größte Mühe geben, den Schreitenden zu unterweisen, so fallen die Schritte vielfach unregelmäßig und wankend aus und halten die rechte Richtung nicht genau ein, verfehlen das Ziel, geraten dem Zaghaften zu klein, dem Selbstbewußten zu groß, und vielfach nicht so rechtwinklig, wie sie sein sollten, wie wir das, wenn wir aufmerksam beobachten, bei unseren Aufnahmen wahrnehmen können. Ja, der Weg ist schwer für den Blinden, den die Fessel der Materie noch bindet, der das schwankende Herz mit seinen ungestümen Leidenschaften und Begierden, mit seinem himmelhoch Jauchzen und zum Tode Betrübtsein in der unruhigen Brust trägt. In diesem Gefühl seiner Schwäche und Hilfsbedürftigkeit sinkt der blinde Suchende aufs Knie und beugt sich in Demut vor der unsichtbaren Macht, die über ihm waltet. — Ich erkenne meine Schwäche! — so ruft es in ihm —, hilf mir, Meister! Dein Gesetz und Wort sei meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Dein Wort, das in der Menschheit offenbart ist als ihr Licht, will ich erfassen trotz meiner Blindheit. Dem Schwerte deiner Gerechtigkeit unterwerfe ich mich; es richte mich, aber es vernichte mich nicht. Hilf, Herr!! >318< Der Meister aber ist nicht fern mit seiner Hilfe. Wenn der Leidende am Altare kniet, dann ruht sein Knie schon, ohne daß er es weiß, auf dem rechten Winkel. Wer sich erniedrigt, der wird erhöhet werden; wer da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, der soll satt werden; das Gesetz, das er sucht, verläßt ihn nicht und wird eine Stütze seiner demutsvollen Schwäche. Sein Glaube an das Licht gereicht ihm zur Rechtfertigung. Das will wohl das unter dem Knie des Leidenden befindliche Winkelmaß sagen. Schützende Genien umgeben jetzt den Leidenden. Wenn er am Altar kniet, bildet er den Mittelpunkt des gestaltgebenden Dreiecks der Loge, an dessen Grundlinie er bisher nur herangetreten war. Jetzt ist er zum Meister gebracht, und die drei gestaltgebenden Kräfte wirken auf ihn ein: der Meister steht vor ihm, die Aufseher aber nicht mehr neben ihm, sondern hinter ihm, und sobald er kniet, erheben sie ihre Schwerter und kreuzen sie in Form eines schrägen, sog. Andreaskreuzes hinter ihm. Unsere Akten erklären diesen Gebrauch nicht. Was bedeuten nun diese gekreuzten Schwerter? Treffen sie einander zum Kampf? Sind sie gezückt zum Schutze des heiligen Werkes, das sich am Altare vollzieht? — Vielleicht trifft beides zu. Überall, wo wir im Orden gekreuzten Schwertern begegnen, sind sie uns ein Zeichen des Kampfes für das Göttliche und Große, ohne welchen kein Sieg errungen und kein Lohn gewährt wird. Der Leidende, der vor dem Altare kniet, ahnt noch nicht, wie schwer dieser Kampf ist, er sieht die erhobenen Schwerter noch nicht; aber es kommt die Zeit, da er die furchtbare Macht des zu überwindenden Feindes ins Auge fassen muß und die Schwerter sich vor seiner Brust und vor seinen sehenden Augen kreuzen werden. — Aber die Schwerter sind auch zu seinem Schutze erhoben. Die beiden Aufseher sind es ja, die ihre Waffen im Kreuze vereinen; das will sagen: die Ahnung des Lichtes, die den Suchenden auf Irrwegen sicheren Fußes geführt hat, ist jetzt durchdrungen von dem Glauben an das Licht. Ahnen und Glauben aber vereinigen sich winkelrecht, und wie ein schützendes Gitter verhindern sie, daß der nach Osten Gebrachte zurücksinke aus der Stätte des Lichtes zur Stätte der Finsternis, von dannen er hergekommen ist. So richtet sich das Kreuz, das Zeichen des Leidens, aber auch des Sieges, hinter ihm auf, ihn schützend und stärkend mit unsichtbarer Macht. Während so die Aufseher schützend hinter ihm stehen, unterliegt jetzt der Leidende ganz der Einwirkung des Meisters. Unser Fragebuch äußert sich über das, was jetzt geschieht, folgendermaßen (Abt. V, Fr. 24 bis 27) : „Was hat der Logenmeister von Ihnen verlangt, als Sie zum Altar kamen?“ „Meine rechte Hand, die ich ihm auch zum Zeichen meiner Aufrichtigkeit gegeben habe.“ „Was hat er mit derselben getan?“ „Er hat mir geboten, sie auf die heilige Schrift zu legen, welche beim Evangelium Johannis aufgeschlagen war, und über welcher der Degen des Logenmeisters lag.“ „Was hat er Ihnen ferner in die linke Hand gegeben ?“ „Er hat mir in die linke Hand den im (rechten) Winkel geöffneten Zirkel gegeben und mir befohlen, die eine Spitze desselben auf meine linke Brust zu setzen.“ „Weswegen setzte man den Zirkel auf Ihre Brust? „Um mich zu erinnern, daß das Herz eines Freimaurers stets rechtschaffen und für die Tugend nicht verschlossen sein soll.“ In den Erklärungen der Aufnahmegebräuche aber finden wir folgendes (L. B. II, Beil. Seite 38): „Durch das Niederknien und das Auflegen der Hand auf die Bibel bezeugen Sie Ihre Ehrfurcht gegen den höchsten Baumeister, als den allgegenwärtigen Zeugen und Hörer Ihres Freimaurer-Gelübdes. — Die Hand, auf das Schwert gelegt, gibt die Ergebenheit gegen unseres Ordens Richterstuhl zu erkennen, dessen Gesetzen Sie sich unterwerfen. — Daß die Bibel beim Evangelium Johannis geöffnet ist, ist eine Hinweisung auf Johannes den Täufer, den unsere Väter als Patron des Ordens und der drei ersten Freimaurergrade angenommen haben.“ Weshalb die Bibel unser größtes Licht genannt wird, das habe ich in einem Vortrag über dieselbe zu zeigen versucht. Auch die Bedeutung >320< Johannis des Täufers für die Freimaurerei habe ich zu zeigen unternommen. Ich brauche deshalb hier nicht darauf zurückzukommen. Nur das eine will ich hier noch bemerken, daß das erste Kapitel des Johannisevangeliums, auf welches der Aufzunehmende sein Gelübde ablegt, nicht nur zur Erinnerung an Johannes den Täufer, von welchem vom sechsten Verse ab die Rede ist, aufgeschlagen ist, sondern weil es redet von dem Licht der Welt, welches als Wort der Wahrheit im Fleische erschienen ist, und auf welches der Täufer als auf das vollendende Endziel alles menschlichen Strebens hingewiesen hat. Es wird so vielfach behauptet, daß Johannes der Täufer die allgemeine Verbrüderung der Menschheit gepredigt hat, welche die Freimaurerei anstrebt und darum ihn als ihren besonderen Helden feiert. Das ist ihm aber nie eingefallen. Bis zu dieser hohen Idee hat der Täufer sich niemals erhoben. Das war jenem Größeren vorbehalten, auf den er hinwies. Der Täufer predigte die innere Umwandlung der Geister, dasselbe, was auch die k. Kunst will, und bahnte dadurch den Weg in die Herzen der Menschen für den Größeren, der nach ihm kommen sollte. Dieser erst, Jesus von Nazareth, war es, der da verkündigte, daß einer unser Meister sei und wir alle Brüder, der seine Jünger in alle Welt hinaus sandte, um das Gottesreich zu verkündigen, in dem vereinigt alles anbeten sollte, was Mensch heißt. Von ihm geht die Idee des Menschheitsbundes aus, an dem die Freimaurerei schaffen will, nicht indem sie ihn in der Loge darstellt, sondern indem sie durch die Arbeit der Loge ihn zu verwirklichen und zu vollenden sucht. Im innigsten Zusammenhange mit Johannes dem Täufer und seiner Bedeutung für den angehenden Freimaurer steht nun das Setzen der Spitze des rechtwinklig geöffneten Zirkels auf das Herz. Der Meister sagt dem Leidenden dabei, daß dies geschehe, „um dadurch anzuzeigen, daß in Ihrem Innern alles wohl erwogen und ermessen sei, was Sie jetzt äußerlich tun, und Ihr Herz vollen Anteil habe an dem, was Ihr Mund geloben soll.“ Und die Erklärungen setzen hinzu (Beil. S. 39) : „Das Setzen des Zirkels auf die Brust erinnert Sie, daß in Ihrer Brust nie ein Herz schlagen soll, welches die Verbindungen zu brechen imstande wäre, die Ihr Mund angelobt hat.“ Was ist der Zirkel? Er ist das einfachste geometrische Instrument, dessen sich der Mensch seit uralten Zeiten bedient hat, um zu messen und Maße zu übertragen, um Kreise zu schlagen und allerlei Konstruktionen auszuführen. Wenn die Schenkel des Winkelmaßes unbeweglich miteinander verbunden sind, so sind die des Zirkels um einen gemeinsamen Punkt beweglich und verstellbar. Wir sind also imstande, mit den Schenkeln des Zirkels jeden beliebigen Winkel zu bilden. Wo sich aber auch der Zirkel in unserer Symbolik finden mag, immer erscheint er im rechten Winkel geöffnet und dem Winkelmaß gegenübergestellt. So auch auf unserer Tafel. Das Winkelmaß erscheint daselbst im Osten als Sinnbild des göttlichen Gesetzes, der Zirkel liegt ihm gegenüber im Westen, als Widerschein des göttlichen Gesetzes im Irdischen. Das Winkelmaß streckt von Osten seine Arme herab nach Westen zu der der Erleuchtung bedürftigen Welt; der Zirkel richtet seine Spitzen nach Osten zum Sitz des Lichtes. Das Winkelmaß gehört dem Meister, Wasserwaage und Senkblei, die den Winkel durch waagerecht und senkrecht bilden, den beiden Aufsehern; „der Zirkel aber ist allen Brüdern gegeben“, wie unsere Akten sagen. Er ist das Sinnbild der zum ewigen Lichte emporstrebenden Menschheit. Vernunft und Gewissen, das gottentsprossene Licht des Geistes und die mahnende Stimme des Herzens, sind die Aufseher der Menschheit. Wasserwaage und Senkblei, nach denen die Spitzen des Zirkels gerichtet sind, die Komponenten des rechten Winkels, sind ihre Werkzeuge. Sie lehren den Menschen jederzeit, wenn er auf ihre Stimme achten will, wie er seinen Zirkel rechtwinklig stellen soll. Darum setzt sich der Leidende den rechtwinklig geöffneten Zirkel selbst auf das Herz. In dem schwankenden, törichten, leicht bewegten Herzen soll der rechte Winkel seine Herrschaft beginnen. So wie der Wandel des. Leidenden auf dem Wege zum Altar rechtwinklig war, so soll es auch sein ganzes inneres Leben werden, auf daß in ihm der Meister gebiete und das rechtwinklige Schreiten ihm, ohne Anleitung zu bedürfen, zur innersten Natur werde. Ist das erreicht, dann wird er nicht nur die Verbindungen mit dem Orden nie zu brechen vermögen, sondern sein Herz wird auch stets für die Tugend, die ihn zum höchsten Lichte erhobt, geöffnet und „rechtschaffen“ sein. Rechtschaffen ist ein Wort, das unsere Akten oft brauchen; sie sprechen von einem rechtschaffenen Bruder (bei Überreichung der Kelle), vom rechtschaffenen Wandel usw. Uns bedeutet dieses Wort noch mehr, als man gewöhnlich >322< darunter versteht, d.h. ehrlich und treu. Freimaurerische Rechtschaffenheit ist die Fähigkeit, das Rechte zu erkennen und zu lieben und das Rechte zu schaffen; das kann der Maurer aber nur, wenn er von dem göttlichen Gesetz recht erleuchtet ist und die Spitze des rechtwinklig geöffneten Zirkels stets auf seinem Herzen fühlt. Wer reichte nun aber dem Leidenden den Zirkel dar? — Wer anders als der Meister! Er ergriff den neben dem Winkelmaß auf dem Altar liegenden Zirkel und gab ihn dem Knieenden in die Hand. So ist auch dem ewigen Meister neben dem Winkelmaß der Gerechtigkeit der Zirkel der Gnade und Liebe bereit. Unsere Akten sagen, daß der höchste Meister „unsere Arbeiten untersucht und misset mit seinem weit ausgestreckten Zirkel ...... Darum soll dieser Baumeister, wenn er die Arbeit dereinst nach seiner Gerechtigkeit prüfen wird, zum wenigsten finden, daß unser Bemühen nur seine Ehre zum Zweck gehabt habe, und daß es unser Bemühen gewesen ist, unsere Arbeit mit seinem, auf dem Reißbrette gemachten Entwurfe in Übereinstimmung zu bringen.“ (Beil. Seite 48.) Wer wollte bestehen vor ihm, wenn er unsere Taten mit dem starren Winkelmaß seiner richtenden Gerechtigkeit abmessen wollte! Nein, der Zirkel der Gnade ruht in seiner Hand, der zwischen seine Spitzen auch die kleinsten Werte zu fassen vermag. Darum, o Mensch, wenn du hoffst, mit diesem Werkzeug gemessen zu werden, so richte auch deine Mitmenschen nicht, damit du nicht gerichtet werdest. „Der Zirkel ist allen Brüdern zu einem Sinnbilde gegeben“, und auch dir ist er in die Hand gelegt. Setze ihn auf dein Herz und lerne ihn gebrauchen gegen deine Menschenbrüder. Dann wird Strenge, Haß, Vergeltung und Rache in dir keinen Platz finden; Liebe und Versöhnung werden in dein Herz einziehen und es schmücken mit der höchsten Maurertugend. (1897.) Eid und Gelübde. Auf das feierlichste vorbereitet und von dem Br. Redner noch in einer besonderen Ansprache auf die Wichtigkeit des bevorstehenden Aktes aufmerksam gemacht, gelangt nun endlich der Leidende dazu, das Gelübde abzulegen, welches ihn mit dem Orden auf ewig unauflöslich verbinden soll. Von allem, was die Aufnahme darbietet, mutet uns nichts so eigentümlich an als der alte Freimaurereid. Er macht auf den, der ihn zum ersten Male hört, einen geradezu mittelalterlichen Eindruck; er erscheint als etwas ganz Unzeitgemäßes, das beseitigt werden müßte. Eine ganze Reihe von Fragen drängen sich dabei auf. Zunächst, wenn unsere Sache etwas Gutes und Ersprießliches ist, warum halten wir sie geheim? Warum fordern wir eine so strenge Verpflichtung, darüber verschwiegen zu sein? Warum wird der Bruch dieser Verpflichtung mit so gräßlichen Strafen bedroht, die wir doch in Wirklichkeit zu vollstrecken keine Macht haben und, selbst wenn wir diese hätten, nie vollstrecken würden? Warum ferner müssen wir geloben, etwas zu verschweigen und weder durch Zeichnen, Schreiben, Drucken, Eingraben zu veröffentlichen, was schon längst geschrieben und gedruckt und schon längst kein Geheimnis mehr ist, weil jeder es sich aus dem ersten besten Buchladen für wenige Groschen kaufen kann? Endlich hören wir so oft, daß das wahre Geheimnis der Freimaurerei sich ohne weiteres überhaupt gar nicht mitteilen lasse; sollte darum das Gelübde der Verschwiegenheit nicht ganz überflüssig sein? — Beginnen wir zunächst bei der letzten Frage und erwägen wir die Bedeutung des freimaurerischen Geheimnisses. Wenn unsere Sache >324< eine Kunst ist, und zwar die königliche Kunst, die sich vorgesetzt hat, den edelsten Stoff, die Menschenseele, zu formen und zu einem göttlichen Kunstwerk zu gestalten, so muß diese Kunst wie jede andere auch ihr Geheimnis haben, ein den Laien Verborgenes, das nicht ohne weiteres mitgeteilt, sondern nur durch langwierige Übung und Fleiß erworben werden kann. Nicht die Mittel, durch welche ein Kunstwerk hergestellt wird, bilden das Kunstgeheimnis, noch weniger das Kunstwerk selbst, denn dieses soll aller Welt leuchten, sondern das innere Schaffen des Künstlers, seine Begeisterung, seine Fähigkeit und Fertigkeit. Und wenn ein Jünger zum Künstler kommt, so kann der Meister nicht zu ihm sagen: „Hier hast du mein Geheimnis schwarz auf weiß“, sondern er kann nur ihn zur Übung anleiten und ihn allmählich in die Geheimnisse seiner Kunst einweihen. Genau so ist es auch mit der k. Kunst der Freimaurerei. Unser Kunstwerk soll offenbar werden; durch Werke und Handlungen sollen wir überall zeigen, was unser Maurerfleiß in uns gewirkt hat, aber das eigentliche Geheimnis soll verschwiegen, bleiben, das innerste Heiligtum unseres Herzens soll wohl gedeckt sein, wie der Raum der Loge, in dem wir uns zur Arbeit versammeln, unzugänglich für Profane und durch das bloße Schwert des Wachthabenden geschützt ist. Und darum ist unser Gelübde, das wir abzulegen haben, weniger ein Gelübde der Verschwiegenheit als vielmehr des Schweigens, wie wir sogleich sehen werden. Gleichwohl aber ist die Forderung des Verschweigens, der Diskretion über das, was in der Loge geschieht, und über alles, was ihr Wesen ausmacht, eine wohlberechtigte. Wollten wir mit dem, was uns hier beschäftigt, auf den öffentlichen Markt gehen, so würde die profane Menge uns nicht verstehen und, nur das Äußerliche schauend, uns verlachen und verspotten. Was wir treiben, ist so zart und so heilig, daß wir es nicht ängstlich genug vor Entweihung hüten können. Wir haben daher guten Grund, das Versprechen der Verschwiegenheit zu verlangen und dasselbe trotz der vielfach begangenen Indiskretionen aufrecht zu erhalten. Das Gelübde, das jeder Freimaurer bei der Aufnahme abzulegen hat, ist darum gleichsam eine Schutzmauer zur Sicherung seiner inneren Arbeit. So wie unsere Arbeitstafel, die in symbolischen Zeichen das Ganze der k. Kunst enthält, von einem geschlossenen Rahmen umgeben ist, so wie der geschlossene Raum der Loge durch undurchdringliche Mauern von der Außenwelt geschieden ist, so schützt das, was wir gelobt haben, unser innerstes Heiligtum überall, wohin wir auch gehen, vor Entweihung, und über die dadurch gezogene Schranke darf nichts herein und nichts hinaus, was das Werk der k. Kunst stören oder schädigen könnte. Der Wortlaut des Gelübdes, das wir an Stelle des früher üblichen, fürchterlich klingenden Eides ablegen, ist dafür der vollkommenste Ausdruck in seiner Schlichtheit und Kürze: „Ja, ich gelobe, von den Geheimnissen der Freimaurerei mit keinem Unberechtigten zu reden oder solche auf irgend eine Weise zu verraten, auch den Ordensgesetzen gehorsam zu sein.“ In dieser Formel wird genau unterschieden zwischen einem indiskreten Ausplaudern freimaurerischer Dinge und einem Verrat der Geheimnisse oder, besser gesagt, an den Geheimnissen der Freimaurerei. „Mit keinem Unberechtigten zu reden“, das ist das Verbot der Geschwätzigkeit; „dieselben“ — nämlich die Geheimnisse — „auf irgend eine Weise zu verraten“, ist das Verbot des Verrats. Der Schwätzer handelt aus Unvorsichtigkeit, Leichtsinn oder Eigendünkel, vielleicht weil er der Meinung ist, etwas, das man gedruckt lesen könne, brauche nicht geheim gehalten zu werden. Der Schwätzer übertritt das geschriebene Gesetz; anders aber der Verräter; er verletzt das ungeschriebene göttliche Gesetz, das er in seinem Inneren tragen soll. Geschwätzigkeit ist ein Fehler, der strafbar ist, wenn auch nicht so entsetzliche Strafen dabei verwirkt werden, wie sie der alte Eid androht; Verrat dagegen ist ein Verbrechen. Der Verräter am Heiligtum des Ordens frevelt gegen das Licht, das er suchen soll; der Verrat ist schwarz wie die Finsternis selbst, die das Licht flieht, und deren Werke dem Verrat dienen, weil sie im unversöhnlichen Kampfe die Werke des Lichtes zu zerstören suchen. Der Verrat am Heiligtum des Ordens ist das schwerste Verbrechen, das gegen ihn begangen werden kann, und darum will auch der alte Eid, daß er durch die schwersten Strafen geahndet werde. In dieser Hinsicht hat jene alte Eidesformel, welche in vielen maurerischen Lehrarten ganz beseitigt ist und auch bei uns nicht mehr nachgesprochen wird, einen tiefen Sinn. Der Eid unterscheidet zwischen den „Geheimnissen des Freimaurer-Ordens“ und, „was ihre Kunst betrifft“. Jene, die Geheimnisse, sind der innerste Kern der Sache, dieses, „was ihre Kunst betrifft“, die äußere Hülle. Letztere läßt sich ausplaudern, dem >326< Orden zum Schaden und Nachteil; jene, die Geheimnisse, lassen sich nicht ausplaudern, wohl aber können sie verraten werden. Im alten Eide heißt es: „Im Falle ich mein Versprechen im geringsten brechen sollte, so willige ich ein, daß mir mein Haupt abgeschlagen, mein Herz ausgerissen, meine Zunge und Eingeweide ausgewunden und alles in den Abgrund des Meeres geworfen, mein Körper verbrannt und seine Asche in die Luft zerstreut werde, so daß kein Andenken von mir unter den Menschen und Freimaurern gefunden werde.“ Derjenige verrät die wahren Geheimnisse der Freimaurerei, der sie mißbraucht, der sie negiert, dem die Finsternis besser gefällt als das Licht. Wer so handelt, der wütet gegen sich selbst, der verrät und vernichtet sein besseres Sein; er willigt darein, daß jene grausigen Strafen an ihm vollzogen werden. In dem Kopfe, welcher abgeschlagen, in dem Herzen, das ausgerissen, den Eingeweiden, welche ausgewunden werden sollen, finden wir das ganze Wesen des Menschen symbolisiert in seinem geistigen, seelischen und leiblichen Element. Auf weiteren Ordensstufen finden wir die Bestätigung davon. Der Verräter vernichtet seine eigene Existenz durch den Bruch seines Gelübdes. Die Freimaurerei will unsere Vernunft befreien und für die Erkenntnis des Göttlichen hell machen, sie will die Empfindungen unseres Herzens veredeln und verfeinern, und sie will auch unsern Leib heiligen und läutern, auf daß er ein Tempel des Höchsten sei. Der Verräter will von alledem das Gegenteil, und daher willigt er darein, daß jene Strafen an ihm vollzogen werden. Die Strafe aber, die ihn von unserer Seite trifft, ist die Ausstoßung aus dem Orden; sie hat für uns denselben Erfolg, als wenn er in den Abgrund des Meeres versenkt oder verbrannt und seine Asche in die Luft zerstreut wäre; denn kein Andenken bleibt von ihm unter uns Freimaurerbrüdern übrig. Wir sehen also, daß unser uralter Eid doch nicht so ganz jedes Sinnes, auch für unsere heutige Zeit, entbehrt, und daß wir guten Grund haben, ihn beizubehalten, wenn wir ihn auch nicht in Wirklichkeit leisten. Eide werden überhaupt heutzutage in keinem Grade mehr geleistet; an ihre Stelle sind Gelübde, feierliche Versprechungen, getreten, die dem Maurer ebenso heilig gelten sollen wie geschworene Eide. Schon das einfache Wort, das er seinem Bruder gibt, gilt dem Maurer an Eides Statt, um wieviel mehr nicht ein feierliches Versprechen, das er, die Hand auf das heilige Wort der Wahrheit gelegt, dem Orden und — sich selbst in ernster Weihestunde leistet. Nachdem ich nun zu erklären versucht habe, warum wir ein solches Gelübde sogleich beim Eintritt in den Orden fordern müssen, erkennen wir auch, welche hohe Bedeutung darin für unser ganzes zukünftiges Leben liegt. Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß das Gelübde eine Schutzwehr für das innerste Heiligtum unseres Herzens sein soll. Aber es soll noch mehr sein: es soll uns stets an das feste unzerreißliche Band erinnern, das uns mit dem Orden, dem wir uns ganz zu eigen gegeben haben, verbindet; es soll uns mahnen an die unverbrüchliche Treue, die wir dem Orden schuldig sind. In den beiden kurzen Sätzen des Gelübdes liegt der Hinweis auf die heiligen Pflichten, die wir übernommen haben und in unverbrüchlicher Treue durch unser ganzes Leben erfüllen sollen. Die Pflichten des Lehrlings aber sind, wie unser Fragebuch sagt, arbeiten, gehorchen und schweigen; und dieser Lehrlingspflichten sind wir keineswegs enthoben, wenn wir zu weiteren Graden fortschreiten. Sie dauern durch das ganze Leben fort, weil wir, auch wenn wir das höchste Alter erreichen, doch noch immer zu lernen übrig haben und darum stets Lehrlinge bleiben. — Arbeiten, gehorchen, schweigen! — Hart und streng klingen diese Pflichten und führen uns doch zum Höchsten und Herrlichsten hin. Zwei von ihnen durch die unser Wille und unsere Zunge gebunden werden, sind im Gelübde unmittelbar enthalten: Gehorsam und Schweigen. Hier wird aber nicht von Verschwiegenheit, sondern von Schweigen gesprochen, und das mit vollem Recht. Unser Inneres soll durch das Werk der k. Kunst zu einem Tempel des Höchsten gestaltet werden. Im Heiligtum aber muß heilige Stille herrschen. Wenn profane Reden und faules Geschwätz in uns laut werden, dann flieht der Geist der Gottheit aus unserm inneren Tempel, den er sich zum Wohnsitz ausersehen hat. Wenn aber Schweigen herrscht, dann zieht er ein. Darum: sei stille dem Herrn und warte auf ihn. Hüte deine Zunge und schweige, denn nur so wirst du die Stimme der Gottheit vernehmen. Sei stille und laß den andern, Höheren, in dir >328< reden. Sein Wort soll in dir lebendig werden, bis du es selbst sprechen kannst. Der Lehrling erhält den ersten maurerischen Sprachunterricht, wenn er sein Wort aussprechen lernt. — Und auch die zweite Pflicht ist im Gelübde enthalten: Gehorchen. Die Ordensgesetze, denen zu gehorchen wir geloben müssen, sind nicht um ihrer selbst willen da, sondern sie sind eine Schule der Übung unseres Willens zum Gehorsam gegen das ungeschriebene göttliche Gesetz, das wir eben dadurch, daß es stille in uns ist, vernehmen und verstehen lernen sollen. Alles, was die Ordensgesetze von uns verlangen, kommt in letzter Absicht darauf hinaus, jene suprema lex, das höchste Gesetz, den Willen Gottes, zu erfüllen. Ist aber unser Wille mit dem Willen Gottes eins, dann ist, weil Gott die Liebe ist, auch in uns die Liebe vollendet. Dann brauchen wir jene geschriebenen Paragraphen nicht mehr, denn wir tragen die Erfüllung des Gesetzes in uns, durch sie allein werden wir bewegt und werden bei all unserm Denken, Wollen und Handeln durch ihr heiliges Licht erleuchtet. Nun ist es aber nicht leicht, jene heilige Stille in uns zu schaffen und dauernd zu erhalten, damit wir das göttliche Wort vernehmen, und noch schwerer ist es, den Hochmut unseres Eigenwillens dem höheren Willen in uns zu unterwerfen. Alles dies ist Gegenstand unserer maurerischen Arbeit; das ist die dritte Lehrlingspflicht: arbeiten! Wir sehen, daß diese Pflicht, wenn im Gelübde auch nicht direkt ausgesprochen, dennoch in ihm enthalten ist; denn ohne innere Arbeit können wir unsern Willen nicht zum Gehorsam zwingen, und ohne Arbeit können wir nicht die lockenden Sirenenstimmen zum Schweigen bringen, die die Stille in unserm Heiligtum stören. Die freimaurerische Arbeit aber muß von uns mit aller Energie angefaßt werden; sie darf, wie das uns in unserm Fragebuch ausdrücklich eingeschärft wird, keine Unterbrechung erleiden; wird sie unterbrochen, so kommen wir zurück, und das, was wir mit Mühe aufgerichtet haben, stürzt wieder ein. Kein profanes Werk darf diese Arbeit stören; sie muß stets über dem stehen, was wir draußen in der Welt treiben, um es mit einer höheren Weihe zu erfüllen. An diese Arbeit möge der angehende Maurer beständig durch die Umstände erinnert werden, unter denen er sein Gelübde abgelegt hat. Er hat in Demut sein Knie gebeugt, nicht vor Menschen, sondern vor Gott, und sein Knie ruhte auf dem rechten Winkel, dem Zeichen des unabänderlichen, göttlichen Gesetzes, das fortan seines Fußes Leuchte sein soll, sowie er auch schon mit rechtwinkligen Schritten unsere Arbeitstafel überschritten hat. Auf sein Herz setzte er sich selbst die Spitze eines Zirkels, des ersten maurerischen Werkzeuges, das ihm in die Hand gegeben wurde. Und seine Hand ruhte auf der heiligen Urkunde, die da redet von dem Wort, in dem das Leben und das Licht der Menschen war, ist und bleiben wird, und das auch in ihm reden soll. Über das Buch der Bücher war ein Schwert gelegt, das seine Hand berührte, zum Zeichen, daß die Wahrheit und das Licht, das der Freimaurer sucht, um das er anhält, und für das er zu leiden bereit ist, nicht bloß ergründet und ergriffen, sondern auch verteidigt werden muß gegen die Anfälle der Finsternis. Endlich aber, als er das Gelübde abgelegt hatte, da berührte der irdische Meister sein Haupt mit den Worten: „Der Herr helfe dem Leidenden!“ So möge auch der ewige Meister ihn segnen und stärken! Möge seine Hand auf ihm ruhen und seine Kraft in ihm mächtig sein, wenn des Leidenden Kniee wanken und sein Wille erlahmen will. — (1902.) >330< Salomos Siegel. Cicero richtet in seiner Schrift „über die Gesetze“ folgende Worte an seinen Freund Atticus: (De legibus II, 14, 36:) „Dein Athen hat zwar viel Vortreffliches, Göttliches, der Menschheit Nützliches hervorgebracht; allein nichts Besseres als die Mysterien; durch diese sind wir vom rohen unmenschlichen Leben zur Menschlichkeit gelenkt und gesänftigt worden. Die sogenannte Einweihung haben wir wirklich als Anfang zum Leben erkannt, und wir haben darin nicht allein eine Richtschnur erhalten, daß wir mit Freudigkeit leben, sondern auch, daß wir mit einer besseren Hoffnung sterben können.“ Sollten nun solch segensvolle Einrichtungen, wie sie sich damals in den geheimnisvollen Versammlungen der Geweihten zu Eleusis und Samothrake bargen, verschwunden und für die Menschheit verloren gegangen sein ? — Keineswegs. Wenn auch mit dem Zusammenbruch der antiken Welt der geheime Kultus der Demeter und des Dionysos zerfiel, so lebte doch der Trieb der Menschennatur, der sich in jenen Mysterienfeiern offenbarte, weiter fort und betätigte sich im ferneren Laufe der Zeiten, und zwar in reinerer und geläuterter Weise, Schritt haltend mit den geläuterten Anschauungen späterer Zeiten über göttliche und menschliche Dinge. Auch unsere moderne Welt hat ihre Mysterien, die sich in unserer Freimaurerei darstellen. Was Cicero damals an den alten Mysterien pries, das will auch die Loge den suchenden und strebenden Menschen geben; und sogar noch mehr: nicht bloß Freudigkeit im Leben und bessere Hoffnung im Sterben, sondern die rechte Erkenntnis von dem Wert und der Bedeutung des Lebens und die sichere Hoffnung und Zuversicht, daß der Tod nur die Pforte zu einem reineren und höheren Sein bildet, für welches uns zu bereiten wir als die höchste Aufgabe unseres Erdendaseins erkennen müssen. „Aber“, könnte man mir erwidern, „genau dasselbe will die Kirche gleichfalls. Wozu bedarf es da noch eurer Mysterien?“ — Den ersten Satz muß ich zugeben, jedoch kann ich die Überflüssigkeit dessen, was die Loge darbietet, nicht einräumen. Die Kirche sowohl wie die Loge will den Menschen zur höchsten Vollendung und zur Vereinigung mit unserm ewigen Vater führen. Ihren Inhalt haben beide gemeinsam, aber verschieden sind die Wege, die sie uns führen. Trotzdem aber fehlt es auch nicht an gemeinsamen Berührungspunkten dieser Wege. Die Kirche führt uns den Weg des Dogmas. Den jugendlichen, noch ganz unreifen Menschen, den Konfirmanden, führt sie in ihr großes Gebäude von Satzungen ein und heißt ihn, sich daselbst wohnlich einrichten, und sie hilft ihm auch dabei, vorausgesetzt, daß er in ferneren Lebensjahren ihr treu bleibt; sie sucht durch Schriftauslegung und Predigt die tote Satzung in lebensvolle Wahrheit umzusetzen. Denn Glaube ist nicht bloß das Fürwahrhalten von Satzungen, sondern eine lebendige Kraft, die in unserm Inneren schlummert und der Erweckung harrt, und gerade an der Befreiung dieser Kraft muß der Kirche alles gelegen sein. Aber ihre Mittel reichen nicht aus, sie versagen an Unzähligen, nicht bloß an solchen, die sich ganz von ihr abwenden, sondern auch an solchen, die gewohnheitsmäßig den Gottesdienst besuchen, ohne davon tiefer berührt zu werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß die überwiegend größere Zahl der geistlich Armen und derer, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, nicht unter denen zu suchen ist, die da andächtig auf den Kirchenbänken sitzen, sondern gerade unter denen, die den Weg in die Kirche nicht mehr finden. Hier nun, wo die Kirche nichts mehr vermag, tritt ergänzend und helfend die Loge für sie ein, sie, die so oft von der Kirche verkannt und verfolgt wird, und doch von ihr als ihre treueste Bundesgenossin anerkannt werden sollte. Die Loge führt denjenigen, der suchend und strebend zu ihr kommt, den Weg des Mysteriums, und alles, was wir in der Loge finden, jedes Bild, das sie uns vor Augen stellt, jede Handlung, die sie >332< vor uns vollzieht oder an uns selbst vornimmt, dient diesem Zweck allein. Was ist nun aber das Mysterium? Es wird überall da lebendig, wo durch äußerliche, sinnlich wahrnehmbare Zeichen und Vorgänge innerliche geistige Tätigkeiten in uns ausgelöst werden, „nicht als Traum und Schatten“, wie unser Br. Goethe sagt, „sondern als lebendig augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen“. Das, was in demjenigen vorgeht, der sich offenen Sinnes und empfänglichen Herzens dem Mysterium hingibt, ist ein Geheimnis, welches an andere ohne weiteres mitzuteilen schlechterdings unmöglich ist; es läßt sich wohl darüber reden, aber nicht durch Reden auf andere übertragen. Auch die Kirche hat Mysterien, das sind die Sakramente. Auch hier haben wir äußere Zeichen, die uns innere geistige Vorgänge übermitteln sollen, das Wasser bei der Taufe, Brot und Wein beim Abendmahl. Aber diese Mysterien erscheinen durch den dogmatischen Apparat vielfach gehemmt und in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt. Die Taufe kommt übrigens hier kaum in Betracht, da sie an dem noch nicht zum Bewußtsein erwachten Kinde vollzogen wird, und nur die Taufpaten das, was sie ausdrücken will, innerlich erleben können. Und woher kommt es, daß so viele Christen sich von der Abendmahlsfeier, die doch so sehr geeignet ist, den eigentlichen Mittelpunkt unseres Kultus zu bilden, fernhalten? Das kommt doch wohl daher, daß sich außerordentlich viele durch den ganzen dogmatischen Apparat, der sich an das Abendmahl knüpft, beengt und in ihrem Gewissen beängstigt fühlen, wenn sie sich sagen müssen, daß sie der Kirche auf ihren dogmatischen Pfaden nicht in allen Stücken folgen können. Dennoch aber kann die Kirche das Dogma nicht entbehren; gerade darin liegt auch wiederum ihre Stärke. Sie muß ihren Gliedern etwas Festes, Bestimmtes geben, denn sie ist für alle da, sie umfaßt Hoch und Niedrig, Jung und Alt, Mann und Weib, den hoch Gebildeten und den einfach schlichten Menschen, dessen Sache ein tieferes Nachdenken nicht sein kann. Nicht so die Loge. Sie ist nur für wenige da, sie ist für die Suchenden, die Strebenden und Ringenden, welche nach einem Ausweg aus den Labyrinthen des Zweifels sich sehnen, wenn sich auch, genau so wie in der kirchlichen Gemeinschaft genug Indifferente und Oberflächliche finden, die von dem Genius unserer Kunst unberührt geblieben sind. Die Suchenden aber auf den Weg des Mysteriums zu führen, in ihnen jene geistigen Bewegungen zu erwecken, welche den Glauben läutern, die Liebe vermehren und die Hoffnung stärken, das ist ihre Aufgabe und ihr Ziel. Wenn die Kirche das Hauptgewicht auf das Dogma legen muß, so betont die Loge jene geistigen Tätigkeiten, die durch ihre Mittel in uns ausgelöst werden. Wenn die Kirche ihre Glieder in das fertige Gebäude ihrer Satzungen hineinführt, so lehrt uns die Loge die geistige Baukunst, durch welche dieses Gebäude erst durch unsere eigene Wirksamkeit errichtet werden soll. Das ist der große Unterschied. Aber so wie die Kirche nicht ganz ohne Mysterien ist, so kann auch die Freimaurerei nicht ganz ohne Dogma sein, wenn sie es auch ganz anders handhabt als die Kirche. Wie die Geometrie ihre fundamentalen Grundsätze als sog. Axiome, als denknotwendige Wahrheiten, die eines Beweises nicht bedürfen, aufstellt, so stützt sich auch die Freimaurerei auf das Dogma von der Existenz Gottes. Der Gottesglaube ist ihre notwendige Voraussetzung; eine atheistische Freimaurerei ist ein Ding der Unmöglichkeit. Auf dem Fundament des Gottesglaubens allein kann ihr Gebäude sicher ruhen; dieses zu errichten, ist die Aufgabe der k. Kunst. Die Freimaurerei ist also weniger ein Wissen als vielmehr ein Können, und die Loge ist die Werkstätte, wo diese Kunst gelehrt und geübt wird. Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, möchte ich an einem Beispiel zeigen, welche Wege die Freimaurerei einschlägt, um ihre Wahrheiten in uns aufgehen zu lassen, und welch unscheinbarer Mittel sie sich bedient, um uns Großes und Herrliches zu eigen zu machen. Wenn der Leidende im Osten am Altare sein Gelübde auf die heilige Schrift abgelegt hat, das ihn mit dem Orden für immer verbinden soll, wird er rücklings an die Pforten des Tempels zwischen die Aufseher geführt, und nun erhält der zweite Aufseher den Befehl, Salomos Siegel, das Siegel der Verschwiegenheit, auf des Leidenden Zunge zu drücken. Wenn wir dies betrachten, so entsteht für uns wieder eine ganze Reihe von Fragen: Warum wurde ich rücklings von Osten nach Westen zurückgeführt ? Was bedeutet die Versiegelung ? Zunächst, was hat Salomo damit zu tun? Was ist sein Siegel, und wie sieht es aus? Und warum wurde es auf meine Zunge gedrückt? — Der ganze lange Weg, den der Suchende zurücklegt von der dunklen Kammer auf Umwegen zur Pforte des Tempels, dann, als diese Pforte sich ihm erschlossen hatte, nach manchem Irren und Umkehren, zuletzt mittels! dreier Schritte über die am Boden liegende Tafel bis zum Altar, war ein Weg aus der Nacht des Unbewußten zum Licht, aus dem Gebundensein >334< zur Freiheit. Schon glaubte er sich am Ziele, das göttliche Wort der Wahrheit lag vor ihm aufgeschlagen, er ergriff es gleichsam mit seiner Hand, er gelobte sich ihm an und dachte gewiß, daß nun die Binde von seinen Augen fallen müßte. Aber nein! Der Weg zum Leben war vergebens gewesen; er mußte noch den Todesweg gehen. Vom Sitz des Lichtes und Lebens wurde er rücklings zurückgerissen, nach Westen zurückgeschleppt, von wo er ausgegangen war. Aber immer blieb sein Auge, wenn auch von der Binde bedeckt, dem Sitz des Lichtes zugewandt. Das will sagen: Wer da leben will, muß abtun, was das Leben hemmt, er muß absterben für das Irdische, wenn er von neuem zum Leben geboren werden soll. „Stirb und werde!“, das ist hier die Losung. Nur wer, das Irdische von sich werfend, dem Ewigen zugewandt bleibt, wird siegen und zum Lichte gelangen, nur wer als Leidender sich bewährt, wird die Krone des Lebens empfangen. Das war der Standpunkt, den der Leidende einnahm, als das Geheiß der Versiegelung erging. Und mit dieser Versiegelung beginnt das eigentliche Werk der Freimaurerei an dem Suchenden. Salomos Siegel! Wer ist uns Salomo ? Was bedeutet er uns ? Nicht an den Herrscher in Israel, der trotz der Weisheit, die ihm nachgerühmt wird, mit menschlichen Fehlern und Schwächen genug behaftet war, haben wir zu denken, sondern an den königlichen Bauherrn, der jenen herrlichen Tempel errichtete, der als erster in der Welt dem unsichtbaren einigen Gott geweiht war; jenen Tempel, der ein Sinnbild des Weltalls sein sollte, das der Unsichtbare, Ewige sich selbst errichtet hat, um in seinem Allerheiligsten zu wohnen; jenen Tempel, der nicht wegen seiner Größe und Pracht, sondern wegen der Hoheit der Idee, welche er verkörperte, das unveränderliche Hauptsymbol der Freimaurerei ist und bleiben muß. Zu einem solchen Tempel, in dem alles Ebenmaß und Schönheit, alles von Weisheit eingegeben, alles von Stärke getragen ist, wo alles dem Licht und Leben, dem ewigen Gott dient, soll auch das Innere des Freimaurers ausgestaltet werden, und zwar durch ihn selbst, durch sein Suchen und Finden, durch sein Arbeiten und Schaffen. Und darum wird Salomos Siegel uns aufgedrückt. Wenn ich etwas mit meinem Siegel versehe, so bedeutet das mein Eigentumsrecht; wenn ich mein Siegel unter eine Urkunde drücke, so will das sagen, daß ich einstehe für die Wahrhaftigkeit dessen, was ich verlautbart habe, oder für die Unverbrüchlichkeit des Vertrages, der von mir abgeschlossen ist. So hat auch der himmlische Salomo, der große Bauherr, in dessen Dienst wir als Arbeiter getreten sind, uns sein Siegel aufgedrückt, um zu bezeugen, daß wir die Seinen sind, und daß der Bund, den er mit uns geschlossen hat, ewig dauern soll. Wie sieht nun aber das Siegel aus ? Ich habe es wohl auf meiner Zunge gefühlt, aber ich habe es weder gesehen noch betastet, denn meine Augen waren gehalten, und in meine Hände hat man es nicht gelegt; es entschwand mir mit dem Augenblicke, in dem es mich berührte. — Nun, der neue Bruder darf es nicht weit suchen; es ist das Einfachste, was es geben kann, und er trägt es bei sich, es ruht auf seinem Herzen. Es ist die Kelle, mit welcher seine Zunge berührt wurde. Wie kommt nun dieses ganz alltägliche Maurerwerkzeug zu der hohen Würde, als Salomos Siegel zu gelten? Bei der Überreichung der Kelle sagt der Meister, sie diene dazu, die Spalten und Risse des Herzens gegen die Anfälle des Lasters zu vermauern und zu verkitten. Mit dieser negativen Arbeit aber, die das Feindliche abhält, das in unser Inneres dringen will, wird die Bedeutung der Kelle nicht erschöpft; sie hat auch eine positive Arbeit in uns zu verrichten, und das ist die Hauptsache. Wenn wir die Kelle ansehen, so finden wir, daß sie aus einem gleichseitigen Dreieck besteht, an welches ein zweimal gebogener Stiel als Handhabe geheftet ist. Das Dreieck ist von alters her ein Sinnbild für das göttliche Wesen. Wir finden es als solches vielfach in den Kirchen an Altären und Kanzeln dargestellt, oft mit dem allsehenden Auge, wie es auch hier bei uns an der Vorderfläche des Altars zu sehen ist, oder mit dem Tetragrammaton, dem in hebräischen Buchstaben geschriebenen Namen Jehovah. Das Dreieck, dessen drei Endpunkte unverschieblich und unauflöslich miteinander verbunden sind, bedeutet das heilige Wesen des Ewigen, seine Einheit von Gedanke, Wille und Tat, seine schöpferische Kraft, welche da ist sein Wort, in welchem Denken, Wollen und Handeln eins ist. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. — Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht; und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ So lautet die Stelle der Schrift, auf welche der Leidende das Gelübde ablegt. Die Kelle ist also das Symbol des göttlichen Wortes als schöpferischer Kraft. Das wird noch deutlicher durch den am Dreieck befestigten Stiel, welcher nichts anderes ist als der erste hebräische Buchstabe des Wortes Jehovah. Das ist das Siegel des himmlischen Salomo, das uns aufgedrückt ist, ja noch mehr, das uns übergeben ist als Werkzeug für unsern inneren Tempelbau, >336< das uns mit einer Handhabe dargereicht wird, damit es zur Wirksamkeit gelange, das auf unserm Herzen befestigt wird, damit sich dort seine Kraft bewähre, wo das Licht mit der Finsternis in uns ringt. Dies alles erklärt uns auch, weshalb die Kelle als Siegel Salomos gerade auf unsere Zunge gedrückt wird. Die Zunge ist der Sitz des menschlichen Wortes; sie wird versiegelt mit dem Symbol des göttlichen Wortes, und zwar in doppelter Weise, erstens negativ zur Verschwiegenheit; das göttliche Wort, das unsere Zunge berührt, bannt das faule Geschwätz, das wohl sonst über unsere Lippen ging, weit von uns. Nicht nur Verschwiegenheit über das, was uns anvertraut ist und nicht entheiligt werden darf, wird hier gefordert, sondern auch Schweigen, damit in heiliger Stille das in unser Inneres dringe, was noch kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist. Das sind „carmina non prius audita“, ähnlich wie sie der römische Dichter meinte, als er seinen Mitbürgern das berühmte „favete linguis“ zurief. — Dann aber erhält unsere Zunge auch durch das salomonische Siegel eine Weihe nach der positiven Seite hin; die Kraft des Wortes soll sie dadurch empfangen. Das ist die Zeugung eines neuen geistigen Lebens, das im Augenblicke der Versiegelung beginnen soll. Das Wort ist die Form des Gedankens, wir können nie anders denken als in Worten und durch Worte. Durch das göttliche Wort aber, wenn es in uns sich zu regen und zu sprechen beginnt, wird das wahre Leben, das unsterblich ist, in uns entzündet, wie es denn in unserer Schriftstelle heißt: „In ihm (d.h. im Worte) war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Und der Obermeister der Menschheit sprach, als er den Versucher von sich wies: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.“ Das ist die Kraft, die nicht dem Irdischen, Leiblichen, sondern dem Ewigen, Unvergänglichen in uns zur Entwicklung dient. Sie ist es, welche die göttliche Anlage, die bei unserer Geburt in uns gelegt ward, zum Leben erweckt und zur Entfaltung führt; sie ist es, die den unvergänglichen Tempelbau, zu dem wir unser Inneres ausgestalten sollen, in uns aufrichtet. Und wenn wir in vollkommener Freiheit und klarer Erkenntnis dieses unvergleichlichen Wertes uns des göttlichen Wortes und seiner Kraft bewußt werden, dann sind wir selbst nicht mehr Arbeiter, sondern königliche Bauherren, die über den Bau unseres Inneren wachen und ihn leiten, dann ist die höchste Menschenwürde uns zu eigen gegeben, dann sind wir wahrhafte Jünger der Kunst, welche mit Recht die königliche genannt wird. Schon in der ersten Stunde seines Lehrlingstums soll der junge Maurer der Wirkung des göttlichen Wortes innewerden. Als erste Errungenschaft des salomonischen Siegels wird ihm ein Wort gegeben, das heilige Erkennungswort des Lehrlings, welches J.... ist. Es bedeutet : Er hat aufgerichtet, also: Er hat mich erschaffen. An der Säule zur Linken, die den Namen J.... führt, soll ich Gott als meinen Schöpfer und Vater, mich als sein Kind erkennen. Das ist Lehrlingsarbeit, und sie ist nicht leicht. Auch die Kirche lehrt uns das. Sie spricht uns vor: Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, der auch mich geschaffen hat. Anders aber verfährt die Freimaurerei. Sie drückt uns Salomos Siegel auf und gibt uns als seine erste Wirkung das Wort J.... und leitet uns an, es erst zu buchstabieren, dann silbenweise und endlich ganz auszusprechen. Sie will, daß wir diese große Wahrheit, die das Fundament ihres Baues ist, uns durch selbständiges Arbeiten und Ringen zu eigen machen, sie zeigt uns, wie wir so große Dinge erst stückweise erkennen und dann erst von Angesicht zu Angesicht, bis wir es einst erkennen werden, gleichwie wir erkannt worden sind. (1902.) >338< Die Lichterteilung. Erster Vortrag. (Gehalten bei einer gemeinsamen Instruktionsloge der drei Johannislogen zu Königsberg i. Pr.) An einer für die Freimaurerei so ernsten und schweren Zeit, wie die gegenwärtige es ist, in einer Zeit, in welcher zur Freude unserer Feinde Zwiespalt und Streit die Reihen der deutschen Brüder voneinander zu trennen scheint, begrüße ich einen Tag wie den heutigen mit doppelter Freude und Genugtuung. Es ist ein Festtag, den wir heute feiern. Wir sind heute vereinigt zu gemeinsamer Arbeit; die Brüderschaften der drei hiesigen Werkstätten sind zusammengetreten, um Zeugnis abzulegen von der Einheit unseres Bundes, von dem Geist der Liebe und des Friedens, der unsere Reihen durchweht, und von dem ewigen Licht, das von uns allen gesucht wird, und das, wenn wir auch in verschiedener Weise danach streben, dennoch immerdar ein einiges und unteilbares bleiben muß. Dieses Licht sei auch heute unser Führer; es leite uns in alle Wahrheit und erhelle unsern Pfad; es schlinge das Band der Eintracht nicht nur um uns, die wir hier zu seinem Dienste versammelt sind, sondern es leuchte auch mit seinen segensvollen Strahlen überall da hinein, wo Hilfe nötig ist, überall dahin, wo Brüder, die berufen sind, gemeinsam seine Wege zu wandeln, sich nicht verstehen und auseinandergehen, statt sich zu vereinigen. Nur in ihm ist das Heil zu finden, nur in ihm ist Trost und Hoffnung, nur in ihm ist Heilung und Wiedervereinigung. Es wird ein würdiger Gegenstand für unsere Instruktion sein, dieses Licht, das zugleich unser Wegweiser und unser Ziel ist, näher zu betrachten. Wenn das Wort „Licht“ im Munde des Maurers nicht zur Phrase werden soll, so muß er sich vor allem darüber klar sein, was er darunter zu verstehen hat, und wie er dieses höchsten Gutes teilhaftig werden kann. Darüber nun, was wir unter Licht in maurerischem Sinne zu verstehen haben, gibt uns die Stelle der heiligen Schrift, auf welche wir bei der Ablegung unseres Gelübdes die Hand gelegt haben, das erste Kapitel des Johannisevangeliums, einen deutlichen Fingerzeig. Es wird daselbst gesprochen von dem göttlichen Wort, das am Anfang war, das mit der Gottheit selbst identifiziert wird, und durch welches alle Dinge gemacht sind. „In ihm“, so fährt der Text fort, „in ihm“ — dem göttlichen Worte — „war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Die Gottheit wird in unserer Schriftstelle zunächst als etwas Ruhendes, in sich Abgeschlossenes betrachtet. Dann erst wird der Beginn einer Tätigkeit, einer Kraftäußerung angenommen. „Alle Dinge“, so heißt es, „sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Zu alledem aber, was gemacht ist, gehört vor allem der Mensch, die Krone der Schöpfung, ihr letztes Glied. Die ganze Schöpfung ist durchdrungen vom Hauch des Göttlichen, der überall Leben bringt und Entwicklung fördert. Im Menschen aber zeigt sich das göttliche Leben in höchster Potenz, und zwar so, daß es in ihm sich selbst wiedererkennt. Die Gottheit war allein mit sich. Das wollte sie nicht. Da entstand durch ihr Wort, d.h. durch ihre Lebensäußerung, durch ihren Willen und ihre Kraft, die Welt, und aus ihr erwuchs aus der langen Kette der Geschöpfe als höchste Blüte der Mensch, begabt mit göttlicher Vernunft, mit Freiheit des Willens und Fähigkeit, zu erkennen und sich vom Irdischen zum Ewigen zu erheben. Das ist das wahre Leben, das dem Menschen vor allen anderen Geschöpfen verliehen ist, das Leben im höheren göttlichen Sinne, von dem das Leben der anderen Geschöpfe nur ein Symbol ist, und das, wie unsere Schriftstelle sagt, das Licht der Menschen ist. Das Göttliche selbst ist dieses Licht, das wir nur mit dem Auge unseres Geistes schauen können, und alle anderen Lichter, die unser irdisches Auge erblickt, das Licht der Sonne und des Mondes, das Licht des Feuers, das wir uns entzünden, sind nur vergängliche Gleichnisse von dem einen ewigen Lichte, durch welches Gott selbst sich uns offenbaren will. In der ganzen Schöpfung geht alles den langsamen Weg der Entwicklung. Schon die mosaische Schöpfungslegende erzählt uns >340< nicht etwa, daß Gott durch einen einzigen, plötzlichen Schöpfungsakt die Welt hat entstehen lassen, was er kraft seiner Allmacht sehr wohl hätte tun können, sondern daß er dazu sechs Tagewerke brauchte. Wir finden hier also eine Andeutung, daß auch in jenen Urzeiten, als das erste Kapitel der Genesis niedergeschrieben wurde, die Vorstellung einer allmählichen Entwicklung des Weltganzen schon die herrschende war. Ebenso allmählich geht auch die Entwicklung des Lichtes im Menschen vor sich. So wie das Kind, wenn es zur Welt geboren, ist, das Tageslicht nicht ohne Schaden zu schauen vermag, das durch dunkle Vorhänge von dem Bettchen des Säuglings ferngehalten werben muß, so enthüllen sich auch die Offenbarungen des göttlichen Lichtes dem danach strebenden Menschen nicht auf einmal, sondern stufenweise. Das zeigt uns die kulturgeschichtliche Entwicklung der Menschheit. Auf allen Gebieten der Kultur, sei es im politischen oder religiösen Leben, oder sei es in der Wissenschaft und Kunst, im Handel und im Gewerbefleiß oder sonst wo immer, regt sich göttliches Licht und Leben und trachtet nach Gestaltung und Durchbruch. Scheinbar rückläufige Bewegungen können die Entwicklung zwar für einige Zeit aufhalten, aber nicht hemmen. Alles dient dem einen großen Zweck, der Vollendung des Menschlichen durch das Göttliche, der Ausbreitung der Wahrheit und des Rechtes und dem immer helleren Aufleuchten des Lichtes. Unsere Freimaurerei ist die Darstellung dieser Entwicklung des Lichtes, des göttlichen Lebens und Seins im Menschen. Was sie Licht nennt, fällt zusammen mit dem, was das Johannisevangelium als solches bezeichnet. Dieses Licht ist an sich einig und unteilbar, aber die Art und Weise, wie es sich in der Welt offenbart, ist eine sehr verschiedene. Man spricht von einem Licht der Vernunft, von einem Licht der Aufklärung, der Wissenschaft, der Kunst usw., und so kann man auch von einem Licht der Freimaurerei reden. In unserem Aufnahmeritual wird der Aufzunehmende „ein Suchender“ genannt, „der auf dem angefangenen Freimaurerwege Licht und Wahrheit sucht“; er hat das Licht schon früher gesucht, er muß es gesucht haben, und es wäre schlimm für ihn und für uns, wenn dem nicht so wäre; aber er hat das noch nicht auf dem freimaurerischen Wege getan, welcher jetzt erst beginnt. Und vor dem Fallen der Binde fragt der Meister die Brüder, ob sie genehmigen, daß der Suchende das Licht schaue, dessen Schein er von der Stunde seiner Geburt an bis zu diesem Augenblicke zu benutzen gehindert war. Nach meiner Ansicht muß hier, wenn der Meister diese Worte spricht, der Ton auf „das“ ruhen, also dasjenige Licht. Es ist mir darin widersprochen worden; man hat gemeint, es müsse einfach gesagt werden: „das Licht“, denn es gebe nur ein Licht. Letzteres ist richtig; aber dieses eine Licht stellt sich in dem Lichte, das die Freimaurerei erteilt, in ganz besonderer, ihr eigentümlicher Weise dar, eben in der Weise, welche der Suchende seit seiner Geburt zu benutzen gehindert war, und darum muß ich bei meiner Meinung beharren. So wie das physikalische Licht immer in den Wellenbewegungen des Lichtäthers besteht, aber dennoch sehr verschieden ist, je nachdem es uns von einer Kerze, einer Gasflamme oder einer elektrischen Lampe leuchtet, so ist auch das geistige Licht, das wir durch die Loge erhalten, ein durchaus eigentümliches, und wir können und müssen darum von einem spezifisch freimaurerischen Lichte reden. Betrachten wir nun die Lehrlingsaufnahme, gleichviel welcher Lehrart, so finden wir, daß es sich bei dem ganzen Vorgange um das Streben nach diesem Lichte und um die Erteilung desselben handelt. In allen Systemen der Welt wird der Suchende zuerst durch den Aufenthalt in der dunklen Kammer und dann durch das Umhüllen der Augen mit einer Binde in einen Zustand versetzt, der in ihm die Sehnsucht erweckt, das Licht zu schauen, ein Sinnbild für die Sehnsucht des Menschen, der, sich seiner Unvollkommenheit bewußt, im Gefühle seiner geistigen und geistlichen Armut das Licht des göttlichen Geistes zu schauen verlangt. Mannigfache Prüfungen muß der Suchende durchleben, bis endlich die Binde fällt und er das Licht der Loge zu schauen bekommt, welches ihm jenes göttliche Licht, d.h. nur den ersten Schimmer desselben, versinnbildlichen soll. Diese Lichterteilung durch das Abnehmen der Binde ist der eigentliche Höhepunkt der ganzen Aufnahme, bei welchem ich heute verweilen möchte. Es sei mir gestattet, in kurzem die verschiedenen Arten, wie in den drei alt-preußischen Großlogen die Lichterteilung vor sich geht, zu betrachten und miteinander zu vergleichen. Am eindrucksvollsten ist der Moment der Lichterteilung jedenfalls in der Gr. Nationalmutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ ausgestattet. Der Akt zerfällt in zwei Teile, die Erteilung des schwachen und des starken Lichtes. Nachdem der Suchende am Altar sein Gelübde abgelegt >342< und die Weihe zum Freimaurer durch die drei Schläge mit dem Hammer auf den Zirkel erhalten hat, wird er nach Westen zurückgeführt. Alsdann werden die Lichter um den Teppich verhüllt, die anderen Lichter werden gleichfalls verdeckt oder ausgelöscht, und die Loge wird nur erleuchtet durch eine matte Weingeist-Flamme, welche zwischen dem Altar und dem Teppich brennt. Auf das Geheiß des Meisters: „Geben Sie ihm das schwache Licht!“ wird die Binde abgenommen, die Brüder erheben die rechte Hand und deuten damit nach oben, der Meister aber richtet das auf dem Altar liegende Schwert auf den neuen Bruder, worauf alle rufen: „Gott straft den Frevel.“ Alsdann spricht der Meister: „Mein Bruder, Sie sehen hier den Bund in einer ernst warnenden Gestalt. Möge dieses Bild Ihnen immer und überall lebhaft vor Augen sein, damit Sie jeder Versuchung, Ihrem Gelübde untreu zu werden, kräftig widerstehen. Der Frevler am Heiligen wird der Strafe seines inneren Richters nicht entgehen, wenn es ihm auch gelingt, den äußeren zu täuschen.“ Nach einem Hammerschlage wird die Binde wieder umgelegt, und alle Brüder treten in das Zeichen, worauf der Meister fortfährt: „Allein, mein Bruder, wir hegen zu Ihnen ein besseres Vertrauen und beten zu Gott, daß er Sie dessen würdig erhalte, mit dem alten Gebet der Freimaurer.“ Nachdem nun jenes alte, schon in den frühesten englischen Ritualen enthaltene Gebet gesprochen ist, das in seiner einfachen, schlichten Würde und Innigkeit jedes Herz bewegen muß, werden alle Lichter der Loge wieder angezündet bzw. wieder enthüllt, die Brüder fassen mit der rechten Hand die linke des Nachbarn, ebenso die Aufseher die Hände des Neuaufgenommenen, worauf der Meister den letzteren fragt: „Mein Bruder, verlangen Sie jetzt das Licht?“ Nach Bejahung dieser Frage ruft der Meister: „So geben Sie ihm das starke Licht!“ Die Binde fällt, und vor dem Altar zuckt eine helle Flamme auf, welche in demselben Augenblick verschwindet; alle Brüder rufen: „Sie transit gloria mundi !“, worauf der Meister spricht: „Mein Bruder, die Flamme, die Sie eben gesehen haben, und die im Augenblick ihres Entstehens wieder verschwand, soll Ihnen zu erkennen geben, daß alle Hoheit und Herrlichkeit dieser Erde vergeht wie sie. Das Licht der Wahrheit aber leuchtet ewiglich, und in diesem Lichte sind wir innig verbunden durch brüderliche Liebe.“ Es ist nicht zu leugnen, daß bei dem ganzen Akt, wie er sich in den Logen der drei Weltkugeln vollzieht, eine große Fülle von Gedanken und Ideen zusammengedrängt ist, welche zwar überwältigend wirken müssen, aber von dem Neuling in ihrer Tiefe kaum erfaßt werden können. Der Gegensatz der Finsternis und des Lichtes wird durch die beiden Akte scharf hervorgehoben. Bei dem Ungewissen Scheine einer matten Flamme sieht der Suchende die dunklen Gestalten der Brüder. Sie müssen ihm als Kämpfer erscheinen, welche die Finsternis zu überwinden haben; ihre ausgestreckten Hände deuten zum Himmel, von wo ihnen Hilfe und Kraft kommen soll. In des Meisters Hand blitzt ein Schwert, das sich warnend gegen ihn richtet, und das ihn ebenso wie die Worte des Meisters und der Ruf der Brüder ernst daran mahnt, nicht durch Bruch seines Gelübdes der Finsternis zu verfallen, und ihm die Strafe des inneren Richters androht. Der zweite Akt aber zeigt den Sieg des Lichtes über die Finsternis. Der trügerische Glanz und Schimmer, alle Nichtigkeit und Eitelkeit der Welt muß dahin sinken und vergehen in dem Kreise der Lichtgeweihten, welche eine feste Phalanx durch die Bruderkette bilden, in welche sich der neue Bruder nun eingereiht findet, um selbst sich dem Kampfe für das Licht anzuschließen und an seinem Siege teilzunehmen. Sehr viel einfacher und schlichter geschieht die Lichterteilung in den Logen der Großloge „Royal York zur Freundschaft“. Nach erfolgter Aufnahme durch die drei Weiheschläge auf den Zirkel wird der neue Bruder an die Pforte des Tempels zurückgeführt, worauf die Brüder die Kette bilden, in welche der neue Bruder, zwischen den Aufsehern stehend, eingefügt wird, worauf der Meister fragt: „Mein Bruder, was verlangen Sie jetzt noch? Was ist Ihnen in Ihrem gegenwärtigen Zustande das Wünschenswerteste ?“ Die Antwort lautet: „das Licht“, oder „der Gebrauch meiner Augen“. Hierauf fährt der Meister fort: „Immer gehe Ihr eifriges Bestreben dahin, Licht zu erlangen. Was das Licht für die Augen ist, das ist die Wahrheit für den Geist des Menschen. Unwissenheit und Vorurteil hingegen verhalten sich zur Wahrheit wie Finsternis und Dunkel zum hellen Tage! — Geben Sie dem treuen, nach Wahrheit suchenden Maurer das Licht!“ Der Meister tut drei gleich starke Schläge, nach dem dritten fällt die Binde, worauf der Meister spricht: „Brüderliche Vereinigung und Handreichung, aufrichtige Teilnahme und tätigen Beistand, das ist es, geliebter Bruder, was Sie vom Bunde und von uns erwarten können, und was wir Ihnen im Lichte der Vernunft und der Weisheit zu leisten stets bereit sein werden, solange in Ihrem und unserem Herzen Wahrheit, >344< Weisheit und Biedersinn wohnen.“ — Es folgen jetzt erst die drei Lehrlingsschritte über den Teppich, worauf der Meister dem neuen Bruder die auf dem Altar liegenden drei großen Lichter der Maurerei zeigt: die Bibel, welche unseren Glauben, das Winkelmaß, welches unsere Handlungen, und den Zirkel, welcher unser Verhältnis zu unseren Brüdern und Mitmenschen regelt. Ferner zeigt er ihm die drei um den Teppich brennenden Lichter, welche die kleinen Lichter genannt werden und dazu dienen, den Tag, die Nacht und die Loge zu erleuchten. Ich muß hier noch die Bemerkung einschalten, daß der Gesang des letzten Verses des Liedes „In diesen heil'gen Hallen“, welcher sogleich beim Fallen der Binde einsetzt, nicht im Ritual vorgeschrieben, sondern ein besonderer Gebrauch unserer geliebten Schwesterloge „Immanuel“ und wohl auch anderer zur Royal-York-Lehrart gehörigen Logen ist. Wir sehen also hier, daß die Lichterteilung durch einmaliges Abnehmen der Binde geschieht. Es fehlt der Hinweis auf die Finsternis und den Kampf gegen dieselbe, es fehlt der drohende Ernst der Warnung vor dem Frevel am Licht, es fehlt die Erinnerung an die Vergänglichkeit der Herrlichkeit der Welt. Jedoch kann man alle diese fehlenden Momente wohl wiederfinden in dem, was vorhergegangen ist, namentlich in den Reisen, jedoch sind jene Winke nicht in den Akt der Lichterteilung hineingezogen. Gemeinsam mit dem Ritual der drei Weltkugeln ist hier die Kette der Brüder, welche der neue Bruder erblickt und in der er sich selbst wiederfindet. Daran knüpft sich aber etwas, was bei den drei Weltkugeln fehlt: die Verheißung der brüderlichen Vereinigung und Handreichung des Schutzes und tätigen Beistandes, den der neue Bruder zu erwarten hat, solange er sich dessen würdig zeigen wird. Die Bruderkette, im Verein mit dieser Verheißung, soll wohl hinweisen auf die solidarische Vereinigung aller derer, welche im Lichte wandeln, auf den Bund der Menschheit, welche durch das Streben nach Licht und Wahrheit zu einer Einheit werden soll, also auf das Reich Gottes auf Erden. Eins noch scheint mir von besonderer Wichtigkeit, das sind die drei starken, gleich langen Schläge, welche der Meister vor dem Abnehmen der Binde tut. Diese Schläge finden sich sowohl in dem Ritual der drei Weltkugeln als auch in dem unsrigen, aber an anderer Stelle; sie geschehen nämlich hier wie dort, wenn der Suchende vor der Tür der Loge angekommen ist. Ob diese drei Schläge in den beiden befreundeten Lehrarten eine besondere Deutung erfahren, weiß ich nicht; bei uns ist dies der Fall, und ich stehe nicht an, diese, bei uns übliche Deutung hier heranzuziehen. In unserem Fragebuch heißt es: sie bedeuten die drei Verheißungen der Schrift: „Suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan; bittet, so wird euch gegeben.“ Es ist hier das ausgesprochen, ohne welches keine maurerische Arbeit und kein Lohn denkbar ist: die eigene freie Tätigkeit des strebenden Geistes. Wie geht nun bei uns in der Großen Landesloge die Lichterteilung vor sich? Ehe ich darauf eingehe, muß ich noch eine Bemerkung vorausschicken. In den beiden anderen Lehrarten wird das Licht erst erteilt, nachdem die Aufnahme zum Maurer durch die drei Weiheschläge auf den Zirkel vollendet ist. Bei uns ist das anders. Das Gelübde, das den Suchenden auf ewig bindet, wird vorher abgelegt, aber die eigentliche Weihe, die ihm den Brudernamen verleiht, erfolgt erst nach der Lichterteilung. Wir begrüßen also denjenigen erst als Bruder, der das Licht in seinem ersten Aufleuchten bereits geschaut und die letzte Probe bestanden hat, welche in der Bereitwilligkeit besteht, sein Blut mit dem Blute der Brüder zu vermischen. Unsere Lichterteilung geschieht folgendermaßen. Nachdem der Meister, wie schon vorhin erwähnt, die Brüder gefragt hat, ob sie „genehmigen, daß der Leidende das Licht sehe, dessen Schein er von der Stunde seiner Geburt an bis zu diesem Augenblicke zu benutzen gehindert war“, erklärt der erste Aufseher, als der Vertreter der Brüderschaft dem Meister gegenüber, den Leidenden des Lichtes für würdig, nach dem er mit Fleiß und Mühe getrachtet hat. Nun ergeht an die Aufseher das Geheiß des Meisters, den Leidenden das Licht sehen zu lassen, und dieser erblickt, nachdem die Binde gefallen, alle Brüder mit gezogenen Degen, deren Spitzen auf ihn gerichtet sind; der Meister aber spricht: „Mein Herr, alle diese Degen, welche Sie jetzt auf sich gerichtet sehen, deuten Ihnen an, daß wir und alle auf der Oberfläche der Erde zerstreuten Brüder von nun an bereit sind, Sie zu schützen und zu verteidigen, solange Sie sich bemühen werden, die Tugenden und Pflichten der Freimaurer-Ritter zu üben. Die Spitzen dieser Degen deuten Ihnen aber auch die Strafe an, welche Ihr Gewissen an Ihnen Vollziehen wird, wenn Sie >346< diese Pflichten jemals brechen sollten. Wir hoffen indes, daß Ihr Gewissen nie Gelegenheit haben werde, solche Strafe an Ihnen zu vollziehen, und in dieser Hoffnung senken wir unsere Degen zum Fußboden des Tempels.“ Es muß zugegeben werden, daß unsere Art der Lichterteilung etwas Kaltes, Abweisendes, ja beinahe Herbes und Schroffes hat. Der Suchende erblickt keine Kette der Brüder, die von Osten nach Westen reichend ihn selbst in sich aufgenommen hat, wie in den beiden anderen Lehrarten; es hat den Anschein, als ob er in diesem höchsten Momente der Aufnahme noch als ein profaner Eindringling behandelt wird. Und er gehört ja auch dem Orden noch nicht an; noch hat er die Weihe nicht empfangen, und doch erhält er das Licht und zwar durch die Brüder Aufseher, nicht wie in den anderen Lehrarten durch den Zeremonienmeister oder irgend einen anderen. Die beiden Aufseher, mit der Wasserwaage und dem Senkblei geschmückt, sind es, die ihm die Binde lösen, die Aufseher sind aber bei uns Personifikationen der Vernunft und des Gewissens. Diese beiden Kräfte des Geistes und des Herzens stehen im Menschen dem Meister gegenüber, dem ewigen Meister, der unnahbar im Osten sitzt, um seiner Stimme zu lauschen, seine Offenbarungen zu schauen und seine Befehle zu vollziehen. Die Vernunft stellt den Menschen an die Arbeit, d.h. sie treibt ihn an, Wahrheit zu suchen, dem Göttlichen, von dem sie selbst ein Abglanz ist, nachzugehen und es in sich auszugestalten; das Gewissen richtet uns, verurteilt oder spricht uns frei und erteilt uns den Lohn, je nachdem wir gearbeitet haben. Vernunft und Gewissen sind es also, die uns das Licht erteilen; das Gewissen spornt uns an und treibt uns vorwärts, die Vernunft aber zeigt uns die Offenbarungen des göttlichen Lichtes, enthüllt sie uns, wo sie verborgen sind, und nimmt so die Binde, mit der unsere Augen gehalten sind, von uns. Dasjenige nun, was bei uns dem Suchenden bei der Lichterteilung am auffälligsten ist, sind die auf ihn gerichteten Schwerter. In der Großloge „Zu den drei Weltkugeln“ erblickt er nur das Schwert des Meisters, (Vor noch nicht langer Zeit führten auch dort alle Brüder bei der Aufnahme Degen, welche sie auf den Suchenden richteten.) ein Sinnbild der strafenden Gerechtigkeit, das ihn bedroht; in „Royal-York“ kommt das Schwert, trotzdem es auf dem Altar liegt, gar nicht zur Wahrnehmung; bei uns dagegen, die wir an dem ritterlichen Charakter unserer Verbindung festhalten, ist das Schwert in der Hand eines jeden Bruders. Das Schwert in unseren Händen ist eine Waffe des Lichtes; das Licht, das wir als Maurer empfangen haben, soll von uns ausgehen wie die blitzende Klinge aus unserer Hand; mit ihr lernen wir kämpfen, ohne Haß und Rachedurst, für die große gemeinsame Sache des göttlichen Lichtes und der Wahrheit. Wenn wir aber die Schwertspitzen gegen einen Suchenden richten, so wollen wir töten in ihm, was finster und unheilig ist, aber auch zugleich in ihm erwecken, was dem Lichte und dem Leben angehört. In dem Umstand aber, daß nicht nur der Meister allein sein Schwert auf ihn richtet, sondern alle Brüder, erkennen wir einen Hinweis darauf, daß es die Pflicht eines jeden Bruders ist, nicht nur mit dem Aufzunehmenden, sondern mit allen in eine solche Wechselwirkung geistigen Verkehrs zu treten, in welcher das der Finsternis Angehörende niedergeworfen, das dem Lichte Verwandte aber befreit und aufgerichtet wird. Heil jedem Bruder, der es vermag, die Lichtstrahlen, die ihm aus seinen Brüdern entgegenkommen, zu sammeln und in einen leuchtenden Stern zusammenzufassen! So wird das innige, geistige Band zum Ausdruck gebracht, das jeden Bruder mit allen anderen verbinden soll, und das dann bei uns viel später in der Kette seine Erfüllung findet. Mit dem noch nicht durch die drei Schläge Aufgenommenen können wir auch noch nicht in die Kette treten, vollends nicht, wenn wir die Hand am Schwert haben; wir können es erst, wenn die Schwertspitzen sich gesenkt haben und Friede nach Kampf und Prüfung eingekehrt ist. So wird auch erklärt die Deutung, welche unser Fragebuch den auf den Suchenden gerichteten Schwertern gibt; es heißt dort, sie bedeuten Einigkeit und Gerechtigkeit (Erb., Abt. V, Fr. 36); und an einer anderen Stelle heißt es: „Weshalb bedienen sich die Brüder der Degen in der Loge?“ „Zur Erinnerung an den Wiederaufbau der Mauern Jerusalems.“ (Frgb., Abt. III, Art. 3, Fr. 11.) Es wird erzählt, daß die Israeliten, als sie, heimgekehrt aus dem babylonischen Exil, sich daran machten, ihre zerstörten Heiligtümer wiederherzustellen, mit der Kelle in der einen und mit dem Schwerte in der anderen Hand an die Arbeit gingen, da sie gezwungen waren, den vielfachen Feinden, welche sie an ihrem Werke hindern wollten, >348< mit der Waffe zu begegnen. So baut auch der Maurer an seinem Heiligtum, so baut er in Gemeinschaft mit seinen Brüdern und hat sein Schwert gezückt gegen alles, was nicht nur von außen in den heiligen Kreis als störendes Element eindringen will, sondern auch gegen das, was sich im Innern regt, um mit Finsternis und Zwietracht den Bau zu hemmen. Und so können wir alles das, was bei den anderen Lehrarten bei der Lichterteilung zum Ausdruck kommt, den Gegensatz zwischen Finsternis und Licht, den Kampf, den beide miteinander kämpfen, Warnung, Verheißung, Vereinigung in brüderlicher Liebe und gegenseitiger Hilfe für eine große Idee, aus unseren auf den Aufzunehmenden, gerichteten Schwertern heraus erkennen. Nun sollte ich aber erst zur eigentlichen Hauptsache kommen, nämlich zu der Erklärung der Lichtsymbole, die der Suchende beim Abnehmen der Binde entweder sogleich erschaut, oder die ihm später beim Unterricht gewiesen werden. Da sich das aber nicht mit zwei Worten abmachen läßt, zumal dies eins der schwierigsten und vielumstrittensten Gebiete unserer Symbolik ist, so verschiebe ich die Besprechung dieser Dinge auf eine unserer demnächstigen Lehrlingsarbeiten, indem ich mich für heute mit der Betrachtung der Handlungen bei der Lichterteilung begnüge. Ich würde hocherfreut sein, wenn es mir gelungen wäre, einen kleinen Beitrag zu der Erkenntnis zu liefern, daß unsere Lehrarten — nicht nur unsere, sondern alle — derselben Quelle, demselben großen maurerischen Gedanken entsprungen sind und demselben einigen und unveränderlichen göttlichen Lichte dienen wollen. Von Herzen wünsche ich aber, daß diese Erkenntnis in allen Gliedern wachsen möge, auf daß durch sie Friede, Eintracht und brüderliche Liebe verbreitet werde. (1901.) Die Lichterteilung. Zweiter Vortrag. Der Suchende schaut, wenn die Binde fällt, das Bild der Weltenloge, ja, er befindet sich mitten darin. Aber die Loge würde ihm dunkel bleiben, wenn sie nicht durch Lichter erhellt wäre. Das sind die drei Lichter, welche auf dem Altar brennen, und die drei großen Kerzen, welche in derselben Anordnung wie die Altarlichter die Arbeitstafel in der Mitte der Loge umgeben. Alle anderen Beleuchtungsvorrichtungen haben für uns keine Bedeutung; sie dienen nur zur Aushilfe, weil durch die Altarlichter und durch die Teppichlichter der Raum der Loge nur ungenügend erhellt sein würde. In den meisten maurerischen Systemen werden diese drei Lichter, sowohl die auf dem Altar als auch die um die Arbeitstafel stehenden, mit jenen drei Pfeilern zusammengebracht, auf denen unsere Arbeit ruht, und als Weisheit, Stärke und Schönheit gedeutet. Man findet sogar vielfach die Altarleuchter sowohl wie die großen Kandelaber in der Mitte der Loge als drei Säulen dargestellt, und zwar in den drei vornehmsten Ordnungen der griechischen Baukunst, der dorischen, ionischen und korinthischen, welche eben Weisheit, Stärke und Schönheit versinnbildlichen sollen. Wenn es nun auch einleuchten mag, daß die dorische Säule in ihrer untersetzten, gedrungenen Schlichtheit als Bild der Stärke, und die korinthische Säule in ihrem schlanken Ebenmaß mit ihrem reich entwickelten und verzierten Kapital als Bild der Schönheit gelten kann, so bleibt für die Weisheit die ionische Säule übrig, jedoch ist es schlechterdings nicht einzusehen, wie gerade diese Säule zu der Bedeutung der Weisheit kommen soll. Es ist dies Heranziehen der drei Säulenordnungen ebenso mißlich wie das Bestehen auf einer gewissen Reihenfolge unserer maurerischen Trias. Ich sollte meinen, es ist ziemlich gleichgültig, ob ich sage: „Weisheit, Stärke, Schönheit“, — oder: „Weisheit, Schönheit, Stärke“, — oder: „Stärke, >350< Weisheit, Schönheit“. Die drei Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks bedingen einander, und jeder grenzt mit den beiden anderen. So ist es auch hier. Eine kann ohne die beiden anderen nicht sein und wird durch sie bedingt; Weisheit hat stets Stärke und Schönheit in sich, sonst wäre sie kraftlos und wertlos; Stärke ohne Weisheit wird zur blinden Gewalt und ohne Schönheit zur Hoheit; Schönheit aber ohne Weisheit bleibt oberflächlich und gehaltlos, ohne Stärke schwächlich und hinfällig. Diese Abschweifung war notwendig, weil nicht nur in anderen Lehrarten beim Aufpflanzen der Kerzen durch die Sprüche des Meisters und der Aufseher: „Weisheit leite unseren Bau! Stärke führe ihn aus! Schönheit ziere ihn!“ die drei Lichter mit den drei, die Arbeit stützenden Pfeilern zusammengeworfen werden, sondern weil das auch bei uns in gewissem Sinne geschieht, nämlich bei der Lichteinbringung in eine neu zu errichtende Loge und bei der Erneuerung des Lichtes am Johannisfest. In beiden Akten werden im Vorzimmer die drei Altarkerzen an einer Lampe entzündet und durch die unzweideutigen Worte des Rituals ausdrücklich mit „Licht der Weisheit“, „Licht der Stärke“ und „Licht der Schönheit“ bezeichnet; ebenso bei dem erstmaligen Anzünden der Teppichlichter in einer neu einzuweihenden Loge. Diese Rituale zur Lichteinbringung haben aber mit unseren alten uns überlieferten Akten nichts zu tun. Sie sind erst später verfaßt worden und meines Wissens seit etwa 50 Jahren im Gebrauch. Unsere alten Überlieferungen kennen diese Bedeutung der drei Lichter gar nicht, und die neueren Akten, nach denen wir heute arbeiten, ebensowenig. Das aber muß für uns maßgebend sein, was sie uns über die Bedeutung der drei Lichter lehren, nicht das, was eine spätere Zeit und was andere Lehrarten hineingebracht haben, obschon man auch die Identifizierung der drei Lichter mit den drei Säulen wohl gelten lassen kann. Sie hat im Laufe der Jahrzehnte gleichsam das Bürgerrecht bei uns gewonnen. Ehe ich auf die Bedeutung der drei Lichter eingehe, möchte ich noch folgendes bemerken. Die englischen Rituale und mit ihnen die der humanitären Logen kennen drei große und drei kleine Lichter. Die drei großen Lichter sind: Bibel, Winkelmaß und Zirkel. Sie gelten dort als die drei vornehmsten unveränderlichen Hauptsymbole der Freimaurerei. „Die Bibel“, heißt es, „regelt unseren Glauben, das Winkelmaß unsere Handlungen und der Zirkel unser Verhältnis zu unseren Nebenmenschen.“ Die drei kleinen Lichter — und das sind eben die in der Loge brennenden drei Kerzen — bedeuten die Sonne, den Mond und den Meister der Loge; „denn“ — so lautet die Erklärung — „wie die Sonne den Tag, und der Mond die Nacht regiert, so regiert auch der Meister seine Loge, oder sollte es wenigstens.“ In unserer Lehrart finden wir Bibel, Winkelmaß und Zirkel, welche überall vereinigt auf dem Altar liegen. Sie sind unsere Hausgeräte und Werkzeuge, und unter ihnen findet sich allerdings ein großes Licht, „ja, das größte von allen Lichtern“, wie es heißt; das ist die Bibel oder die heilige Schrift. Dieses allergrößte Licht aber schaut der Suchende bei seiner ersten Lichterteilung noch nicht; es geht ihm erst auf, wenn er anfängt, mit maurerisch erleuchtetem Sinn in der Schrift zu suchen. Das erste, was er schaut, wenn auch noch unverstanden, sind die drei Lichter der Loge; und zwar werden sie nicht wie in den anderen Logen, kleine, sondern große Lichter genannt. Kleine Lichter kennt unsere Lehrart nicht. Diese drei großen Lichter erblicken wir sowohl auf dem Altar als auch inmitten der Loge um die Tafel gestellt. Diese werden an jenen angezündet und müssen daher dasselbe bedeuten. Daß die Altarlichter unverändert brennen und nur am Johannisfest erneuert werden, daß ferner die Teppichlichter bei Eröffnung jeder Loge neu entzündet werden und am Schluß verlöschen, hat seinen guten Grund, wie wir sogleich sehen werden. Zu bemerken ist noch, daß unsere ältesten, sog. Eckleffschen Akten die drei Teppichlichter gar nicht zu kennen scheinen; wenigstens wird in unserem ältesten Eröffnungs- und Schlußritual eine Anzündung von Kerzen gar nicht erwähnt, so daß es den Anschein hat, als wenn dieser Gebrauch erst durch die Nettelbladtsche Aktenredaktion eingeführt worden ist, welche, wie wir annehmen müssen, auf alten Überlieferungen beruht. Was bedeuten nun die drei großen Lichter, und was sagen unsere Akten darüber? Unser Fragebuch spricht sich darüber folgendermaßen aus: „Was sahen Sie, als Sie Ihr Gesicht wiedererhielten ?“ „Drei große Lichter und alle Brüder mit gezogenen Degen.“ „Was bedeuten die drei großen Lichter?“ „Die Sonne, den Mond und den Meister.“ „Woher haben sie die Bedeutung?“ „Weil, so wie die Sonne den Tag regiert und >352< der Mond die Nacht erleuchtet, so regiert und erleuchtet der Meister die Loge durch seinen weisen Rat und sein eigenes Vorbild.“ (Frgb., Abt. V, Fr. 33 bis 35.) Man hat gemeint, diese Stelle sei dunkel und schwer verständlich. Ich will das gern zugeben. Damit aber kann ich mich nicht einverstanden erklären, daß, wie einige wollen, darum diese Deutung der Lichter beseitigt und Weisheit, Stärke und Schönheit an ihre Stelle gesetzt werden. Zunächst ist zu bemerken, daß wir ganz fehlgehen würden, wenn wir jedes einzelne Licht für sich mit jenen Bedeutungen in Verbindung bringen wollten. Welche von den drei Kerzen sollte dann wohl die Sonne, welche den Mond und welche den Meister bedeuten? Das Licht, das von ihnen ausstrahlt und die Loge erleuchtet, dieser helle Schein ist es, der uns Sonne, Mond und Meister bedeutet. Wie das zusammenhängt, wird uns am besten klar werden, wenn wir uns erinnern, daß die Loge ein Bild der Welt vorstellen soll, der Welt, wie sie dem Menschen, dem die Binde des Vorurteils, des Wahns und des Irrtums von den Augen genommen ist, dem Menschen, der durch Reinigung und Veredlung zum Lichte und zur Wahrheit zu gelangen sucht, erscheint. Dem profanen, unerleuchteten, durch Begierden und Leidenschaften, durch Hochmut und Überhebung verdunkelten Sinne erscheint die Welt als seelenlose Maschine, als ein Kampfplatz wilder Triebe, als ein Schauplatz, wo der blinde Zufall waltet. Dem maurerisch Erleuchteten stellt sie sich dar als ein herrlich geordnetes Ganzes, durchflutet von göttlichem Lichte. In diesem Lichte erblickt der Suchende, wenn die Binde fällt, die Weltenloge. Er steht im Westen, wo er gleichsam zum maurerischen Lichte geboren ward, und läßt seine Blicke hinüber schweifen nach Osten. Osten, der Sitz des Lichtes, von wo die leuchtenden Gestirne heraufkommen, ist das Ziel seiner Sehnsucht. Dazwischen liegt rechts Süden und links Norden. Zwischen ihm und dem ewigen Lichte liegt Süd und Nord des Lebens. Das sind die Gegensätze des Menschendaseins, die sich polar gegenüberstehen, die ausgeglichen, verstanden sein wollen. Dazu dienen die Gleichnisse der Sonne und des Mondes, die der Lehrling später auf seiner Arbeitstafel wiederfindet, die Sonne im Süden, den Mond im Norden. Sie schuf des allmächtigen Meisters Hand als die beiden Leuchten des Tages und der Nacht. Die Sonne zeigt uns des Lebens Glanz und Fülle. Ihre erwärmenden und belebenden Strahlen rufen unzählige Keime zum Leben und zur Entwicklung. In verschwenderischer Fülle breitet sich aus über die Erde, was in ihrem Lichte gereift ist. Da ist überall ein frohes Treiben, ein sich Entfalten und Vorwärtsstreben. Das ist des Lebens Süden mit seiner Pracht und Herrlichkeit. Aber das Leben hat auch seine Nordseite, wo Finsternis und Kälte herrscht, wo der Fülle und Pracht das Unzulängliche, Dürftige, dem üppig sich entwickelnden Leben eine Hemmung dieser Entfaltung, wo der Freude, der Begeisterung, dem Mut und der Kraft der Schmerz, die Verzagtheit, die Sorge und Schwäche gegenübersteht. Das ist des Lebens Norden, seine Nachtseite. Aber so wie in die lange Polarnacht das milde Licht des Mondes fällt, der gerade dann, wenn die Sonne den arktischen Regionen ihren Schein versagt, am höchsten am Himmelsbogen heraufsteigt, so ist auch die Nordseite des Menschenlebens nicht ohne Licht. Das Licht der helfenden Liebe, des Erbarmens, des Trostes und der Verzeihung fällt wie milder Mondesschimmer hinein auch in die tiefsten Tiefen des Elends und der Verzweiflung. Ja, der große Meister schuf die Leuchten des Tages und der Nacht. Aber er hat sie uns an den Himmel gesetzt, nicht bloß darum, damit wir ihren Lauf berechnen und ihre Beschaffenheit ergründen, sondern auch als Gleichnisse, aus denen heraus wir seine Liebesfülle erkennen sollen, die in Höhen und Tiefen, in Süd und Nord lebendig und wirksam ist, und hinter denen wir ihn selbst finden sollen, ihn, der zwar den Staubgeborenen unnahbar, aber dennoch spürbar und erkennbar ist denen, die ihn suchen. Ja, es sind seine Gleichnisse, Sonne und Mond, denn es heißt ausdrücklich: „So wie die Sonne den Tag regiert und der Mond die Nacht erleuchtet, so regiert und erleuchtet der Meister die Loge...“ Daß hier nicht der Sterbliche gemeint ist, den die Wahl der Brüder an die Spitze der Loge gestellt hat, leuchtet ein, sonst hätten unsere Akten gesagt Meister der Loge oder Meistermaurer, wie es in den englischen Ritualen, oder Meister vom Stuhl, wie es in anderen Systemen heißt. Hier bei uns wird gesagt: der Meister, und das ist allemal der ewige Meister, der im Osten seinen Sitz hat und die Weltenloge erleuchtet und regiert, derselbe Meister, auf den uns schon das Eröffnungs- und Schlußritual der Loge hinweist. Diese Auffassung, daß unser Ritual hier den ewigen Meister meint, ist in neuester Zeit bestritten worden. Aber ich kann dem geliebten Bruder nicht Recht >354< geben, wenn er behauptet, daß die Verlegung des Sitzes, des ewigen Meisters in den Osten sich nicht mit der Allgegenwart Gottes verträgt, und daß hier nur der sterbliche Logenmeister gemeint sein kann. Osten ist hier keine Himmelsgegend im irdischen Sinne, sondern etwas Transzendentales, etwas, das über irdische Begriffe, über Raum und Zeit hinausgeht. Es ist eben der ewige Osten gemeint, der nicht räumlich ermessen werden kann, und ebenso haben demgegenüber die Aufseher, d.h. Vernunft und Gewissen, im Westen ihre Stellen, gleichviel, in welcher Himmelsgegend sie sich auf Erden befinden. Sie befinden sich immerdar im Westen, d.h. im Irdischen, von wo aus alles Streben zum Ewigen ausgehen muß. Der Logenmeister hat seinen Sitz im Osten der irdischen Loge; der ewige Meister hat seinen Sitz im ewigen Osten, in einem Lichte, da niemand zukommen kann. Der irdische Logenmeister regiert und erleuchtet seine Loge, „oder sollte es wenigstens“, wie die englischen Rituale hinzusetzen; der ewige Meister erleuchtet und regiert die Weltenloge, den großen Tempel des Universums, den er sich selbst in Weisheit, Stärke und Schönheit zur Wohnung errichtet hat. Er selbst ist das Licht für die strebenden und ringenden Geister, die sich zu ihm wenden. Wenn er auch seines vollen Lichtes Fülle ihnen nicht weist, so läßt er sie doch sein Licht ahnen und erfüllt sie mit Glauben an dasselbe. Er lehrt zunächst durch Gleichnisse; Sonne und Mond haben uns das gezeigt; dann aber sollen die, die sich gereinigt und veredelt haben, sein Licht schauen ohne Schleier und Hülle; sie sollen den Meister erkennen von Angesicht zu Angesicht, wie da verheißen ist: „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Und so lernen wir Freimaurer im Glanze der drei Lichter den Meister schauen, der sich uns hinter den Gleichnissen der Sonne und des Mondes verbirgt. Aber — könnte man meinen — sollte nicht doch in der angezogenen Stelle unseres Fragebuches der irdische Logenmeister gemeint sein?, heißt es ja doch, „er erleuchtet und regiert die Loge durch seinen weisen Rat und sein eigenes Vorbild.“ Nun wohl! Diese Auffassung mag niemandem verwehrt sein; mag auch jeder Meister, dem die Leitung einer Loge anvertraut ist, darin seinen hohen Beruf und seine große Verantwortlichkeit erkennen, die ihn immer wieder daran mahnt, sein Leben tadellos zu führen. Aber jene Worte müssen sich ebenso gut auf die ewige Loge und den ewigen Meister beziehen; denn regiert er nicht die Welt durch die Allweisheit seiner Gesetze? Hat je ein frommes, ihm ergebenes Herz sich vergebens an ihn gewendet, wenn es seinen Rat brauchte ? Gewiß nicht! Er vermag denen die Wege zu weisen, die da wollen den Willen des Vaters tun. — Und sein Vorbild? — Freilich, niemand hat Gott selbst jemals gesehen; aber hat er uns nicht das Vorbild gesandt, dessen Fußstapfen wir nachfolgen sollen? Hat er nicht einen sterblichen Menschen mit der ganzen Fülle seiner unendlichen Liebe ausgerüstet, so daß seine Kraft und sein Licht durch Äonen wirksam ist und bleiben muß, Erlösung und Heil bringend überall da, wo sein Bild in die Herzen der Menschen Eingang findet? Ja, das ist sein Vorbild, das ist der Meister, der die Loge erleuchtet und regiert, auf den Johannes der Täufer hinwies, und der auch unser Licht und Leben ist. — — — Das ist die Bedeutung des Scheines der drei Lichter, von welchen wir die Loge erhellt sehen. Die Worte Sonne, Mond und Meister erinnern uns an das Licht, das unsern Lebenspfad von nun an erleuchten soll, und so werden wir imstande sein, die großen Gedanken, die sich an unsere drei Lichter knüpfen, mit einem Schlage uns ins Gedächtnis zurückzurufen. — Beim Schluß der Loge erlöschen die drei großen, um die Arbeitstafel brennenden Kerzen. Das soll uns daran erinnern, daß in der Welt, wo das Licht noch mit der Finsternis ringt, seine Erkenntnis wandelbar ist, daß es ebenso oft zu erlöschen droht, wie es hell aufflammt. (In Schweden werden, um diesen Gedanken hervorzuheben, die Flammen der drei Teppichlichter durch eine Vorrichtung zum hellen Aufleuchten gebracht, wobei (wie in den 3 Wk.) die Brüder rufen: „Sie transit gloria mundi!“ Dieser Gebrauch ist in unsere Akten nicht übergegangen und gehört dem System der strikten Observanz an. Er scheint mir in jener Zeit übernommen zu sein, als in Schweden der Versuch gemacht wurde, unsere Akten mit denen der strikten Observanz zusammenzuarbeiten. Ihn bei uns anzunehmen, erscheint mir überflüssig, da durch das Entzünden bei Öffnung und Verlöschen der Kerzen beim Schluß der Loge das, was zum Ausdruck kommen soll, genügend hervorgehoben wird. ) Aber hier auf dem Altare werden wir, wenn wir zur Arbeit eintreten, die drei Kerzen stets brennend finden, denn die göttliche Wahrheit kann nicht aus der Welt verschwinden. Es gibt einen Herd des Lichtes, ein Heiligtum der Menschheit, von wo immer wieder von neuem die Erleuchtung kommen muß. Das sagen uns die stetig brennenden Altarlichter. Und wenn einmal im Jahre, am Johannisfest, diese Altarlichter von neuem entzündet werden, so will das sagen, daß auch die Loge eine menschliche Institution ist, die der Erneuerung bedarf. (1901.) >356< Blutmischung und Weihe. Nicht bloß für diese Zeitlichkeit ist das Bündnis geschlossen, welches der Aufzunehmende mit uns und dem ganzen Orden eingeht —, es soll dieses Erdenleben überdauern und bestehen bleiben, wenn die irdische Hülle abgefallen ist und das reinere Licht, nach dem wir hier im dunklen Erdentale streben, uns umgibt. Die Freimaurerei ist die Kunst, die Geister zu befreien, die irdischen Fesseln abzustreifen und die Binde zu lösen, mit welcher unsere Augen bei unserm Erdenwandel gehalten sind. Alles Leid, das in der Welt ist, aller Hader und Streit, aller Haß und Verfolgung kommt daher, daß der Menschen Augen gehindert sind, das wahre Licht zu sehen, das ihren Weg erleuchten soll; die Geister können nicht zueinander, Schranken sind zwischen ihnen, bergehoch. Sie können einander nicht verstehen; sie leben nebeneinander hin, reiben sich und stoßen sich aneinander und sind doch berufen, vereinigt zu sein auf dem Wege zum Ewigen. In jedes Menschen Herz lebt etwas Reines, Heiliges, Göttliches; aber es ist nicht frei, es ist gebunden durch das Irdische; Leidenschaften und Begierden halten es nieder; Irrlichter lenken es ab vom rechten Wege. Die Freimaurerei aber sucht, die Schranken niederzureißen, sie will die Geister befreien und vereinigen auf dem gemeinsamen Wege nach oben zur ewigen Gottheit, von der sie stammen. Wie dies geschieht, davon gibt uns schon die Lehrlingsaufnahme ein Bild. Wenn wir uns die aufeinanderfolgenden Akte derselben vergegenwärtigen, dann erkennen wir, wie alles diesem einen Zwecke dient. Nachdem ich in einer ganzen Reihe von Vorträgen diese Aufnahmegebräuche zu erläutern versucht habe, möchte ich heute damit den Schluß machen und auf den letzten Akt der Aufnahme, die Blutmischung und die Weihe, etwas näher eingehen. Beides muß zusammen betrachtet werden, denn die Blutmischung geschieht gewissermaßen erst durch die drei weihenden Hammerschläge auf den Zirkel, den der Suchende sich selbst auf das Herz setzt. Nachdem der Suchende den mühevollen, prüfungsreichen Weg von der dunklen Kammer bis zum Altar vollendet hat, wird er durch ein feierlich abgelegtes Gelübde mit dem Orden für Zeit und Ewigkeit verbunden. Danach hat der Orden ihn als sein Eigentum in Anspruch genommen und ihn mit seinem Siegel versehen. Salomos Siegel, wie wir es nennen, wurde auf seine Zunge gedrückt. Nachdem dies geschehen, konnte ihm das Licht erteilt werden, ein Sinnbild des ewigen Lichtes, das wir suchen. Aber trotzdem war er noch nicht aufgenommen und konnte auch noch nicht mit dem Brudernamen angeredet werden. Dies wurde abhängig gemacht von seinem freien und männlichen Entschluß, sein Blut mit dem Blute der Brüder zu vermischen. So wie der Orden sein Siegel auf den Leidenden gedrückt hatte, so mußte dieser nun auch das seinige unter den Vertrag drücken, der im Heiligtum geschlossen wurde, und das ist eben der Entschluß, sein Blut mit dem Blute der Brüder zu vermischen. Unsere erklärenden Akten fassen diesen Akt ausdrücklich als eine Besiegelung auf, indem sie sagen: es geschehe dies, „um von der Standhaftigkeit des Suchenden versichert zu werden, und die Bereitwilligkeit, seine eingegangene Verpflichtung und unauflösliche Vereinigung mit den Brüdern sowie die unverbrüchliche Pflicht zum Beistande der Brüder, zur Verteidigung der Wahrheit, zur Aufrechterhaltung des Ordens Blut und Leben nicht zu schonen, zu besiegeln.“ (L. B. II, Beil., S. 40.) Und in unserm Lehrlingsfragebuch heißt es: „Was begegnete Ihnen, nachdem Sie den Gebrauch Ihrer Augen wiedererhalten hatten?“ „Man führte mich abermals zum Altar, um mein Versprechen mit meinem Blute zu besiegeln.“ (Fragebuch Abt. V, Fr. 37.) Die Zeremonie der Blutmischung reicht hinauf bis in die fernsten Zeiten des Altertums. Wir finden sie bei asiatischen Völkerstämmen ebenso wie bei unsern germanischen Vorfahren. Sie galt entweder als >358< Bekräftigung der Heiligkeit eines Eides, indem man sagte, daß das Blut, das jetzt in Tropfen geflossen sei, in Strömen verspritzt werden sollte, wenn ein Meineid geschworen sei, oder sie galt als ein Zeichen der innigsten Freundschaft und Seelengemeinschaft. Man ließ das Blut entweder in die Erde unter ein Stück ausgehobenen Rasens oder in die gemeinsamen Fußspuren rinnen, auch fing man es in einem Trinkgefäß auf, mischte es mit Wein oder Met, um es dann gegenseitig zu genießen. Indem so einer des andern Blut in sich aufnahm, sollte dadurch ausgedrückt werden, daß zwischen den Trinkenden das Band der Blutsverwandtschaft geknüpft sei, das durch Not und Tod nicht zerrissen werden sollte. So ist denn dieser alte Gebrauch in seiner tiefen Bedeutsamkeit auch in unsern Orden gekommen, und drei Ideen sind es, welche dadurch zum Ausdruck gelangen. — Der Orden braucht 1. keine Knechte und Sklaven, sondern freie Männer, die mit wohlüberlegtem Willen sich ihm weihen; der Orden braucht 2. Kämpfer, denen die hohen Güter, nach denen er streben lehrt, alles sind, und die in voller Hingabe bis zum Opfer ihrer selbst sich ihm zu eigen geben, und endlich 3. braucht der Orden Glieder, die nicht in losem Zusammenhang ihm angehören, sondern unauflöslich und untrennbar bis in den Tod mit ihm verbunden sind. Die Einwilligung, sein Blut mit dem Blute der Brüder zu vermischen, mußte der eigene freie und männliche Entschluß des Leidenden sein. Er war zwar als Suchender und dann als Anhaltender bezeichnet worden, aber obwohl beide Worte eine Tätigkeit bezeichnen, konnte er nicht viel mehr tun, als das, was an ihn herantrat, mit verlangendem Herzen aufnehmen; denn seine Augen waren durch die Binde gehalten, und ein unbekannter Führer mußte seine zagenden Schritte lenken. Endlich aber hatte er das Licht nicht nur wiedererhalten, sondern ein neues Licht war ihm aufgegangen, als die Binde fiel, und in dem Scheine dieses neuen Lichtes sollte er nun selbständig und in Freiheit handeln. Und die erste Handlung im maurerischen Lichte war, daß er die Zirkelspitze sich selbst auf das Herz setzte und sein Blut hinzugeben sich bereit zeigte. Wenn auf des Meisters Geheiß ihm des Ordens Siegel dort im Westen aufgedrückt ward, so verhielt er sich dabei vollkommen passiv und wußte nicht, was das zu bedeuten hatte; nun aber, da er in vollkommener Freiheit des Willens sein eigenes blutiges Siegel unter den Vertrag setzen sollte, den der Orden mit ihm geschlossen hatte, da war er aktiv geworden und vollbrachte im Bilde mit freiem Willen die höchste und herrlichste Maurertat. Und doch war er auch wiederum leidend. Als Leidender war er auf der letzten Station der Aufnahme bezeichnet worden und hatte Prüfungen zu bestehen gehabt. Die letzte und schwerste Prüfung aber stand noch aus; das war das Opfer seiner selbst, seine selbstverleugnende Hingabe an die Idee des Ordens, was durch die Blutmischung bezeichnet wurde. Wir preisen laut die kühne Tat des braven Mannes, der, um das Leben eines Mitmenschen zu retten, nicht zurückschreckt vor Feuerflammen und Wasserwogen und mutig sein Leben daransetzt; wir flechten Lorbeerkränze dem Krieger, der auf der Wahlstatt sein Blut mit dem seiner Kameraden vermischt hat für die Freiheit und Ehre des Vaterlandes. Aber es gibt noch ein höheres Opfer: der allein bringt es, der sein ganzes Leben lang bereit ist, die Wahrheit und die Freiheit höher zu achten als sein eigenes Selbst. Jene Taten bei Gefahren und auf Schlachtfeldern werden oft in einer Art von Rausch vollbracht. Wenn's im Sturmschritt vorwärts geht, denkt der einzelne kaum an die Gefahr, der Mut der Kameraden an seiner Seite reißt ihn mit fort. Aber ein anderes ist es, in jedem Augenblicke mit kaltem Blute in freiem männlichen Entschluß der Hingebung im Dienste des Ordens zu stehen, des Ordens, d.h. der Vereinigung, die die höchsten Güter der Menschheit zu bewahren, zu schützen und zu mehren bestrebt ist. Wie viele Widerstände gibt es da zu überwinden, wie viele Kämpfe zu bestehen, wie viele Wunden werden da empfangen, wie viele Schmerzen sind da zu ertragen. Noch mehr Schwerter, als dem Leidenden entgegen starren, wenn die Binde fällt, sind auf den treuen Kämpfer für Wahrheit und Freiheit gezückt, aber nicht Lichtwaffen wie jene, sondern Waffen der Finsternis, die schärfer verwunden als stählerne Klingen. Heil dem, der in solchem Kampfe ausharrt, Heil dem, der in seiner Liebestat sein Selbst hingibt an die große heilige Sache des Ordens! An ihm erfüllt sich das Wort des Obermeisters: „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren, und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ (Joh. 12, 25.) Den Lohn, den ihm die Welt, die ihn verkannte und verlästerte, vorenthalten hat, empfängt er schon hier durch den Frieden seines Herzens, das sich bewußt ist, das Rechte gewollt zu haben, und er wird ihn einst dort in höchster Vollendung empfangen im Reiche der ewigen Liebe, in deren Dienst er gekämpft und gelitten. — Bei der Aufnahme in den Orden >360< wird das Blut des Leidenden in Wirklichkeit nicht verlangt. Sein freier und männlicher Entschluß, es herzugeben, gilt uns für die Tat selbst. Möge er aber stets dieses Augenblickes eingedenk sein und nie vergessen, daß jeder Tag seines Lebens ihn bereit finden soll zu opferfreudigen Taten. Und nun das Letzte und Herrlichste, das uns die Blutmischung ausspricht: die Idee der Vereinigung. Auf der Tafel, welche vor uns am Boden liegt, finden wir ein Symbol, welches Vereinigung bedeutet, es ist das oben im Osten sichtbare, mit Franzen gezierte und in Knoten geschlungene Seil, das sog. Vereinigungsband. Für heute nur soviel, daß es den Zusammenhang bedeutet, der zwischen allen Dingen besteht, das Band, welches der große Meister um alle Glieder seiner Schöpfung geschlungen hat. Der vernunftbegabte Mensch erkennt dieses Band nicht nur, sondern er weiß es auch selbst zu schlingen, indem er sich mit seinen Menschenbrüdern in Liebe und Freundschaft verbindet. Diese Aufgabe wird aber im höchsten Sinne erst gelöst durch den Akt der Blutmischung. Die Schale, welche dem Leidenden vorgehalten wurde, in die sein Blut fließen sollte, heißt darum auch die Vereinigungsschale. Wer in opferfreudigem Mute bereit ist, sein Blut hinzugeben und sein Selbst daranzusetzen für die ewige Idee, der vereinigt sich durch das festeste innerste Band mit allen denen, die vor ihm und mit ihm für die Wahrheit geblutet und gelitten haben; er wird ihr Blutsverwandter, ihr Bruder. Darum konnte der Leidende auch nicht eher zum Bruder aufgenommen werden, als bis er seine Bereitwilligkeit gezeigt hatte, sein Blut herzugeben. Mögen wir daraus erkennen, daß zwar viele den Brudernamen tragen, daß aber nur die in Wahrheit Brüder sind, welche sich dem Orden ganz hingeben. Bei allen denjenigen, welche wir als Mitglieder des Ordens empfangen und begrüßen, sollen wir das voraussetzen. Wenn wir aber auch die Erfahrung machen sollten, daß zwischen manchen Gliedern dieses innerste Band noch nicht so fest geknüpft ist, wie es sein sollte, so dürfen wir darum nicht nachlassen, müssen vielmehr um so eifriger bemüht sein, unsere eigene Hingabe zu betätigen. Denn davon hängt nicht nur das Heil und Gedeihen der Loge, sondern auch des Ordens ab, für welches wir, seitdem wir seine Mitglieder sind, einen Teil der Verantwortung tragen. Und noch mehr. Die Liebe und Hingebung, die wir unsern Brüdern zu erweisen haben, soll für uns eine Schule sein, in der wir lernen, sollen, allen Menschen das Schönste zu geben, was wir in unserer Brust tragen. In den Adern aller Menschen fließt dasselbe Blut. Mag die Annahme eines einzigen Stammvaters des Menschengeschlechts wissenschaftlich erwiesen sein oder nicht, das Eine sagt uns doch die biblische Erzählung, daß alle Menschen Brüder sind, wenn nicht Kinder eines irdischen, so doch eines himmlischen Vaters, der alle erschaffen hat, der allen sein geistiges Erbe eingepflanzt hat, und der alle wieder zurückziehen will an sein Vaterherz. Das hat uns der große Meister gelehrt, der auf Golgatha sein Blut hingab für die Brüder, für die Erlösung des Menschengeschlechtes, indem er sprach: „Einer ist unser Meister, und ihr alle seid Brüder“. So tritt uns also in der Blutmischung die erhabene Idee eines großen allgemeinen Menschheitsbundes entgegen, in welchem ein Hirt und eine Herde sein soll, ein Ideal, wie es dem Orden als höchstes Ziel vorschwebt. Durch die freie Einwilligung, uns sein Herzblut zu geben, besteht der Leidende die letzte Prüfung; das letzte Hindernis der Aufnahme ist hinweg geräumt; die Weihe kann erfolgen. Und sie erfolgt in eigenartiger, bedeutungsvoller Weise. Am Altare hatte der Leidende sein Knie gebeugt, nicht vor Menschen, sondern vor dem ewigen Meister selbst, dem Inbegriff des Lichtes, der Liebe und der Vollkommenheit. Sein Knie ruhte auf dem Winkelmaß, dem Symbol seines ewigen Gesetzes, auf das Herz aber setzte er sich die Spitze des rechtwinklig nach jenem Gesetz geöffneten Zirkels, des Symbols der umfassenden unendlichen Liebe. Und der Hammer, das Zeichen der regierenden Gewalt, traf mit den drei Schlägen, durch die die Weihe vollendet wurde, den Zirkel und drückte seine Spitze ihm gleichsam in das Herz. Diese Spitze sollte durch die Kraft des göttlichen Willens die Quellen seines Herzens öffnen und sein Blut hinströmen lassen in die Vereinigungsschale, welche ihm vorgehalten wurde. Was das bedeutet, wissen wir nun. Möchten die drei Schläge nie einen harten Fels, sondern stets eine Lebensader treffen, aus welcher der Quell der Liebe, erweckt durch ihr Sinnbild, in vollem Schwall hervor strömt, Gott zur Ehre und uns allen zur Freude und Erquickung! Mit den drei Schlägen des Hammers aber wird der Grundstein gelegt zu dem neuen Bau, und wie der irdische Meister anklopft, so auch der Ewige und begehrt Einlaß und Wohnung zu nehmen im Herzen seines Kindes. — In unserm Fragebuch steht: „Der Meister nahm mich aus Liebe auf durch die drei Schläge mit dem Hammer auf den Zirkel.“ >362< Also nicht, weil es seine Pflicht war, weil ich es zu fordern hatte, sondern aus Liebe. Der irdische Meister, der die Loge leitet, ist, wie wir wissen, ein Sinnbild des ewigen Meisters, der die große Weltenloge regiert, und die Aufnahme, die hier vollzogen wird, ist ein Sinnbild der Aufnahme in sein ewiges Reich. Wie sollten wir vor ihm bestehen, wenn er nur seine Gerechtigkeit walten ließe? Nein, durch seine Liebe und Gnade finden wir bei ihm Aufnahme, wenn wir bereit waren, unser Blut hinzugeben. Nicht das, was wir aus eigener Kraft geschaffen — wie fehlerhaft ist es, obgleich wir oft so stolz darauf sind —, nicht das gereicht uns zur Rechtfertigung, sondern die Liebe allein, die als Herzblut in heißem Wollen und Streben unserm Inneren entströmt. Und wenn der große Meister nicht vergebens an unser Herz klopft, sondern wenn wir ihm öffnen in hingebender Liebe, dann kommt uns seine Gnade erbarmend entgegen, und wir sind aufgenommen in sein Reich, eingegangen zum Sieg und zur Herrlichkeit. Daß wir dies Ziel erreichen, dazu hilf Du uns allen, ewiger Meister! Amen. (1902.) Die Eintragung in das Jahrbuch des Ordens. Sobald der Meister durch die drei Hammerschläge die Aufnahme des Leidenden vollzogen hat, läßt er den neuen Bruder an die Pforte des Tempels durch die Aufseher zurückführen und beauftragt dann den Bruder Sekretär, zu verlesen, „was er in das Jahrbuch des Ordens über diese Aufnahme niedergeschrieben hat.“ Der Sekretär verliest dann eine Art Protokoll über die vollzogene Aufnahme nach einem bestimmten, in den Akten enthaltenen Schema, worin unter nochmaliger Anführung aller Personalien des neuen Bruders gesagt wird, daß dieser, nachdem allen ordensgesetzlichen Forderungen entsprochen worden, in die Loge eingeführt und — wie dann der Meister ihn hinzufügen heißt — als Freimaurer-Ritter-Lehrling und -Bruder aufgenommen ist. Unsere erklärenden Akten sagen darüber folgendes: „Sie sind in des Ordens Jahrbuch eingezeichnet, auf daß weder wir noch unsere Nachkommen in der Brüderschaft die zärtliche Freundschaft vergessen mögen, die wir Ihnen schuldig sind.“ (L. B. II, Beil., S. 41.) Diese Eintragung wurde in früheren Zeiten von den Logensekretären wirklich genau nach dem (wenn auch nur beispielsweise) vorgeschriebenen Schema gemacht, wie es die alten Protokollbücher unserer Loge zeigen. Jetzt geschieht das längst nicht mehr; es genügt heutzutage, wenn im Protokoll der Arbeit verzeichnet steht, daß der fremde Suchende N. N. in die Loge eingeführt und dem Ritual gemäß zum Freimaurer aufgenommen sei. Trotzdem wird der Bruder Sekretär >364< auch heute noch aufgefordert, aus dem „Jahrbuch des Ordens“ etwas vorzulesen, was er tatsächlich gar nicht niedergeschrieben hat; er liest vielmehr das Schema des Rituals ab, wobei er die Namen des Suchenden und die andern Data hinein fügt. Das sollte nicht sein. Diese Vorlesung ist eine feierliche Beurkundung darüber, daß die Aufnahme wirklich vollzogen ist, und kann nicht verlesen werden, wenn sie nicht auch wörtlich zu Papier gebracht ist. Über jede erfolgte Aufnahme existieren zwei Urkunden, die eine befindet sich in dem Protokoll der betreffenden Arbeit, die andere in der Logenmatrikel, welche der Bruder Sekretär gleichfalls zu führen verpflichtet ist. Nun heißt es aber, er soll vorlesen, was er in das Jahrbuch des Ordens niedergeschrieben hat. Ein Jahrbuch des Ordens existiert aber gar nicht, am wenigsten ist es im Besitz einer einzelnen Johannisloge. Wie soll denn der Sekretär darin Eintragungen machen? Was versteht man unter einem Jahrbuch? — Unter einem Jahrbuch (annales) verstehen wir Aufzeichnungen geschichtlicher Begebenheiten in chronologischer Folge, wie sie sich in einem Staate oder einer Stadt oder Verein u. dergl. vollzogen haben. Nun ist aber weder unser Protokollbuch noch unsere Matrikel ein wirkliches Jahrbuch; dazu fehlt es beiden an Vollständigkeit; denn ersteres enthält nur die Ereignisse der Logenarbeiten, letztere nur die Namen und Personalien der Mitglieder. Wollte man nun auch eines von beiden als Jahrbuch gelten lassen, so wäre das immer nur ein Jahrbuch der Loge, aber niemals ein Jahrbuch des Ordens, welches, wie gesagt, gar nicht existiert. Eine eigenartige Auffassung von diesem Jahrbuch hat nun unser Br. Gartz. Er meint, es müsse dieser Begriff, da ein Jahrbuch nicht vorhanden ist, und auch die Logenmatrikel nicht dafür gelten kann, symbolisch aufgefaßt werden. „Wie jeder Bauherr“, SO sagt er, „ein Buch über seine Arbeiter führt oder führen läßt, in welches die Leistungen jedes einzelnen und der Lohn, den er dafür verdient hat, eingetragen werden, so führt auch nach unserer Symbolsprache unser Bauherr, Gott, über die Arbeiter an seinem Tempelbau ein solches Buch, in welches die Leistungen und der Lohn eines jeden verzeichnet werden. Dies Buch nennen wir das Jahrbuch des Ordens. In dieses Buch ist nunmehr unser Name eingetragen. Sorgen wir dafür, daß unser Lohnkonto ein möglichst hohes sei, hüten wir uns aber davor, daß unsere Namen wieder gelöscht werden.“ — Diese Auffassung hat jedenfalls etwas sehr Tiefsinniges; sie erinnert etwas an einen Vers der alten Sequenz „Dies irae“ des Thomas von Caelano, welche in das Requiem der katholischen Kirche übergegangen ist: Liber scriptus proferetur, In quo totum continetur, Unde mundus judicetur.“ (Ein geschriebnes Buch erscheinet, Darin alles ist enthalten, Was die Welt einst sühnen soll.) (Vgl. Offenb. 20, 12.) Gleichwohl kann ich mich derselben nicht anschließen. Das Buch — um bei dem Bilde zu bleiben —, welches der große Weltenmeister führt, enthält die Namen aller Menschen, nicht bloß die der Ordensmitglieder, und daher kann es nicht als das Jahrbuch des Ordens aufgefaßt werden, in welches nur diejenigen eingetragen werden, welche Aufnahme in unsern Orden gefunden haben. Kann ferner die Einzeichnung in das große Buch des Weltenmeisters durch den Logensekretär besorgt werden?! Enthält jenes trockene Schema, das nach jeder Aufnahme durch ihn verlesen wird, auch nur eine Spur von dem, was sich auf Arbeit und Lohn bezieht? — Nein! Das Verzeichnis von unserm Soll und Haben trägt der Ewige selbst in die Tafeln seiner Allwissenheit ein; der Logensekretär wäre dafür ein wenig glücklich gewähltes Sinnbild. Auch stimmt das, was unsere Akten sagen, damit nicht überein. Es heißt darin, daß wir und unsere Nachkommen im Orden dabei der Freundschaft gedenken sollen, welche wir dem neuaufgenommenen Bruder schuldig sind. Ich muß daher bei meiner nüchternen Auffassung bleiben, nach welcher hier mit dem Jahrbuch des Ordens nur entweder das Protokollbuch oder die Logenmatrikel gemeint sein kann, und zwar möchte ich mich für die letztere entscheiden. Die Matrikel enthält die feierliche Beurkundung sämtlicher auf- und angenommenen Brüder. Sie ist gewissermaßen ein Kleinod der Loge und soll an jedem Stiftungsfeste zu jedes Bruders Einsicht ausgelegt werden, damit jeder beim Durchblättern sich der abwesenden und auch der in den ewigen Osten eingegangenen Brüder erinnere und „der zärtlichen Freundschaft“ gedenke, >366< deren geheiligtes Band selbst der Tod nicht zerreißen soll. Übrigens bin ich der Meinung, daß die Vorlesung durch den Sekretär ohne Schaden wegbleiben könnte. Wozu sollen die Personalien des Neuaufgenommenen, die den Brüdern schon durch den Vorschlag und durch die Beantwortung der an. den Anhaltenden gerichteten Fragen sattsam bekannt gemacht sind, wozu soll das, was vor ihren Augen geschehen ist, ihnen als nunmehr vollzogen noch einmal vorgelesen werden ? Ebenso überflüssig ist die entsprechende Vorlesung im zweiten und dritten Grade. Daselbst ist übrigens statt des Jahrbuchs ausdrücklich das Protokollbuch genannt, aus welchem der Sekretär vorzulesen hat. Es würde meines Erachtens genügen, wenn, statt der trockenen Vorlesung des Bekannten, der Logenmeister dem Sekretär den Auftrag zur Eintragung mit etwa folgenden Worten geben möchte: „Bruder Sekretär, verzeichnen Sie die Aufnahme des neuen Bruders in unsere Loge, auf daß weder wir noch unsere Nachkommen in der Brüderschaft die innige Freundschaft und brüderliche Liebe vergessen mögen, welche wir ihm schuldig sind.“ Das Wichtigste an dem ganzen Akte ist das, was der Meister den Bruder Sekretär zu seiner Niederschrift hinzusetzen heißt, nämlich, daß er „zum Freimaurer-Ritter-Lehrling und Bruder“ aufgenommen sei. Aber auch dies ist nur eine Wiederholung dessen, was der Meister bei dem letzten der drei Weiheschläge gesagt hat, nämlich: „ich nehme Sie auf zum Freimaurer-Ritter-Lehrling und Mitglied dieses ehrwürdigen Ordens“, d.i. zum Bruder. Der Charakter indelebilis, der dem Neuaufgenommenen hiermit aufgeprägt wird, ist also ein vierfacher, nämlich: der Freimaurerberuf, die Ritterschaft, das Lehrlingstum und der Brudername. Von diesen vier Bezeichnungen sind aber nicht alle von gleicher Wichtigkeit, wenigstens nicht in dem Moment, da die Aufnahme vollendet ist. Nach meinem Dafürhalten steht das Lehrlingstum obenan und erhält bei der Weihe den stärksten Nachdruck. — Es ist manchmal gesagt worden, daß man in unsern Akten mitunter durch ein Komma lernen könne. Hier ist eine solche Stelle, die das bezeugt. Bei den Worten nämlich, die der Meister zum letzten Hammerschlage der Weihe spricht, steht zwischen dem Wort „Freimaurer“ und dem Wort „Ritter“ ein Verbindungszeichen und nach dem Wort „Ritter“ ein Komma; bei dem Auftrage des Meisters an den Sekretär steht dagegen anstatt dieses Kommas gleichfalls ein Verbindungszeichen, welches also das Wort „Ritter“ mit dem Wort „Lehrling“ verbindet, so daß das Ganze lautet: Freimaurer-Ritter-Lehrling. Dies ist meines Erachtens das Richtige. Das Lehrlingstum, zu welchem der Suchende eingeweiht ist, wird dadurch in den Vordergrund gerückt, und der Freimaurerberuf und die Ritterschaft sind nur die näheren Bestimmungen dessen, worauf er als Lehrling seinen Fleiß zu verwenden hat. Es kann von dem Aufzunehmenden nicht verlangt werden, daß er von dem Augenblick der Aufnahme an ein Freimaurer wirklich sei; nur der Name eines solchen ist ihm beigelegt und damit zugleich die Anwartschaft, es zu werden. Freimaurer ist derjenige, der die geistige Baukunst versteht, welche in der Loge gelehrt wird, und der sich durch dieses innere geistige Bauen zur wahren Freiheit hindurch gerungen hat. Der Neuling fängt erst an, diese hohe Kunst zu erlernen. Darum heißt die Antwort auf die Frage: „Sind Sie ein Freimaurer?" nicht etwa: „Ja, ich bin es“, sondern: „Alle Freimaurer-Brüder und -Ritter erkennen mich dafür.“ (Fragebuch Abt. III, Art. l, Frage 1.) Das wahre Freimaurertum ist ein hohes Ideal; wer könnte sich rühmen, es erreicht zu haben? Der Freimaurername ist der herrlichste Ehrentitel; wer könnte von sich sagen, daß er ihn würdig führe? — Wenn meine Brüder mich trotz meiner Unwürdigkeit dafür erkennen, so geschieht das, weil ich äußerlich die Zeichen des Freimaurerberufes trage, und weil sie, meiner Arbeit das Beste zuzutrauen, so liebevoll sind. Ins Herz können sie mir aber nicht sehen. Darum muß meine bescheidene Antwort lauten: „Sie erkennen mich dafür.“ Wenn ich aber nach dem Lehrlingstum gefragt werde, dann könnte ich ruhig antworten : „Ja, ich bin es“, obgleich der Orden auch hier dieselbe Antwort vorschreibt. (Vgl. Fragebuch Abt. IV, Fr. 1.) Daß ich ein Lehrling bin, weiß ich und muß von der Gewißheit dessen durchdrungen sein. >368< Ob ich ein arbeitsamer oder ein träger Lehrling bin, das ist eine andere Frage. Aber zum Lehrling bin ich durch die Aufnahme und durch jene Weiheschläge gemacht, und bin und bleibe es vom ersten Augenblicke an; das kann keinem Zweifel unterliegen. Ein ebenso hohes Ideal ist die Ritterschaft. Ich habe in einem früheren Vortrage auseinanderzusetzen versucht, weshalb wir daran festhalten, unsere Verbindung einen Orden zu nennen, und will hier nicht darauf zurückkommen. Nur derjenige, der eifrig sich der freimaurerischen Arbeit unterzogen hat, erlangt zugleich mit der inneren Freiheit auch den Geistesadel, welcher ihn befähigt, der Ritterwürde vorzustehen, wie sie in unserm Orden nach seiner Regel angestrebt wird. Diese Ritterwürde ist dem Neuaufgenommenen ebensowenig durch die Aufnahme verliehen wie die Freimaurerwürde, obgleich die drei Weiheschläge auf den auf das Herz gesetzten Zirkel „die drei gewöhnlichen Freimaurer-Ritterschläge“ genannt werden. Erst sehr viel später werden ihm diese wirklich und in anderer Weise erteilt, wenn seine Brüder ihn für würdig der Ritterschaft befunden haben. Fürs erste ist er zum Novizen, zum Knappen, d.h. zu einem Lehrlingstum, eingeweiht, das ihm die Anwartschaft verleiht, dereinst die Ritterwürde wirklich zu erlangen. Aber selbst wenn er diese hohe Würde erreicht hat, die ihm von seinen Brüdern erteilt worden ist, wird er doch stets, wenn ein rechtes Maurerherz in ihm schlägt, voll Demut an seine Brust schlagen und sich fragen müssen, ob er so hohe Ehre wirklich verdient hat, und sein Gewissen wird ihm sagen, daß, so wie er stets ein Freimaurer-Lehrling bleibt, so auch seine Ritter-Lehrlingsschaft nie aufhört. Eins aber ist es, was ihn in diesem schweren Arbeiten und Kämpfen erhebt und stärkt: das ist der Brudername, den er mit seiner ersten Weihe erhalten hat, und dessen er vom ersten Augenblicke seines Maurerlebens von Herzen froh werden darf. Bruderaugen leuchten dem Neugeweihten entgegen, Bruderhände schließen ihn in ihre Kette, Bruderherzen schlagen an dem seinigen; wie sollte er da nicht alle seine Kraft freudig daransetzen, um selbst ein Bruder zu sein. Die Brüderlichkeit, die ihm entgegenkommt, befreit in seinem Herzen die Liebe, die große heiligende und erlösende Macht, die ihn nicht nur seine Ordensgenossen, sondern alles, was Mensch heißt, erkennen läßt als die Kinder des ewigen Vaters, der auch ihn erschuf, und der alle mit ihm Erschaffenen zurückführen will an sein großes Vaterherz. — — — Wenn die Aufnahme zum Freimaurer-Ritter-Lehrling und Bruder vollzogen ist, dann wendet das neue Mitglied des Ordens ein Blatt in dem Jahrbuch seines Lebens um; eine neue unbeschriebene Seite erscheint. Auf ihr und auf allen folgenden soll er selbst mit leuchtenden Schriftzeichen Gedanken, Gesinnungen und Taten einzeichnen, welche Zeugnis ablegen von Maurerfleiß, ritterlichem Edelmut und Tapferkeit, von Lehrlingseifer und von der alles verklärenden Liebe, welche als schönste Frucht unseres Werkes von Herz zu Herzen das goldene Vereinigungsband schlingt. Das möge jeder, der die Maurerweihe erhält, wohl beherzigen! — (1904.) >370< Der Lehrlingsschurz. Das Erste, was wir von einem Suchenden, der das Logenhaus betreten hat, verlangen, ist, daß er seine Kleidung ablegt und sich der Metalle und Kostbarkeiten entäußert. Am Schlusse der Aufnahme aber wird er mit einer neuen Kleidung und Ausrüstung versehen. „Ziehe aus den alten Menschen“, das ist die erste Forderung, die der Orden unter dem Sinnbilde der Entkleidung an ihn stellt. Tue ab alles, was die Welt mit ihren Künsten des Scheins und des äußeren Glanzes dir aufgebürdet hat. Wirf von dir alles, was unecht und unrein ist; denn vor dem Altar der k. Kunst, vor welchen der angehende Lehrling hintritt, um ihre Weihe zu empfangen, gilt nur, was wahr, was ursprünglich ist, gilt nur der reine Mensch, wie er aus der Hand des Schöpfers hervorging. Reinigen und heiligen soll die Stunde der Weihe den Neuling und ihn darauf hinführen, was ihm zu bedenken zuvörderst not ist: Du bist Mensch! erkenne deutlich, was das heißt! Du bist ein Wesen, angetan mit einem staubgeborenen, vergänglichen, dem Tode verfallenen Leibe; in dieser gebrechlichen Hülle aber lebt des Geistes Licht, jener Strahl ewigen, göttlichen Lebens, das der Schöpfer dir mitgab als ewiges Erbe. Dies zu erkennen, ist die erste Bedingung, unter welcher die k. Kunst den neuen Lehrling an die Arbeit stellt. Aber sie läßt ihn dabei nicht stehen, sie weist ihn mit allem Nachdruck auf die aus dieser Erkenntnis entspringende Aufgabe. Der Geist, der an sich frei und rein ist, findet in dem Erdenleibe nicht allein seine Wohnung und Hülle, sondern auch seine Fessel, die ihn knechtet, seine Bürde, die ihn herabzieht und verunreinigt, ja, ihn ganz zu unterjochen und zu töten sucht. Das Ringen des Göttlichen mit dem Irdischen, das ist der Inhalt jedes Menschenlebens; des Maurers Aufgabe aber ist es, das Irdische niederzuhalten, das Göttliche zu erhöhen und so dem Ewigen in uns zu seinem Rechte zu verhelfen. Das heißt Mensch sein im wahrsten und höchsten Sinne des Wortes, das heißt Maurer sein. Um den Neuaufgenommenen an diese große Aufgabe, die ihn von dieser Stunde an unausgesetzt beschäftigen soll, beständig zu erinnern, hat er für das Kleid des äußeren Scheines, das er in der dunklen Kammer ablegen mußte, wenngleich er es später aus naheliegenden äußeren Gründen wieder anlegte, ein neues Kleid erhalten hier am Altar der k. Kunst. Es ist der Schurz, das eigentliche Wahrzeichen der Arbeit. Der Handwerksmann, der sich zur Arbeit rüstet, legt sein Gewand ab, das ihn beengt und bei seiner Tätigkeit hindert, und umgürtet sich mit dem Schurz. Er ist sein Ehrenkleid und sein Stolz; mit ihm versehen, fühlt er sich froh und freudig bereit zum Rüsten und Schaffen. Und wenn die Feierstunde schlägt, legt er den Schurz ab, um der Ruhe zu genießen. Aber wenn er auch sein bestes Festgewand anlegt, er weiß doch, daß ihm nichts so wohl ansteht als sein Schurz, das Kleid seiner Arbeit, die des Bürgers Zierde ist, die seine Würde ausmacht und sein Leben ausfüllt. So soll auch unserm Lehrling das Kleid des freien Maurers heilig und teuer sein und höher von ihm geachtet werden als der höchste Ehrenschmuck, den weltliche Macht zu verleihen vermag. Er soll durch den Schurz zuvörderst erkennen, daß er hier zu einer Arbeit berufen worden ist, welche von dieser Stunde an den Inhalt seines Lebens bilden soll. Nichts darf diese Arbeit jemals aus seinem Bewußtsein verdrängen; mit ihr soll er stehen und fallen. Dem rechten Arbeiter ist seine Arbeit nicht eine Last, sondern eine Lust, und die Schaffensfreudigkeit steigt um so höher, je größer die Schwierigkeiten sind, die unser Mut und unsere Ausdauer zu überwinden haben. Die Arbeit, die wir im Schurz des freien Maurers zu vollbringen haben, ist die edelste und herrlichste, aber auch die schwierigste und mühevollste. Sie zu unternehmen, erheischt den höchsten Mut, sie durchzuführen, die unermüdlichste Ausdauer. Unendlich hoch erhaben steht sie über der Arbeit des Handwerkers, welche nur ein Gleichnis bildet, in das sich unsere edelste Arbeit gekleidet hat. Der Werkmaurer, mag er auch Freude am Gelingen haben, arbeitet, um zu leben, der Freimaurer lebt, um zu arbeiten, wenn auch seine Arbeit das Leben zum Zweck hat, aber ein Leben im höheren Sinne; der Werkmaurer sehnt den Feierabend herbei, der Freimaurer kennt keinen Feierabend, ihm ist keine Ruhe vergönnt, und nur der ewige Feierabend soll sie ihm bringen. In der Arbeit selbst liegt seine Ruhe und seine Feier; sie ist seine Lebensluft, sein alles. Den Werkmaurer ermüdet seine Arbeit, den Freimaurer erfrischt >372< sie und stählt seine Kräfte, statt sie zu erschöpfen. Der Werkmaurer arbeitet um Lohn und fordert ihn mit Trotz, wenn er ihm nicht hoch genug erscheint. Der Freimaurer denkt gar nicht an den Lohn, sondern nur an die Arbeit, weil er in ihr selbst seinen reichsten Lohn findet. Er steht im Solde des höchsten Bauherrn, auf dessen Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit er sich verlassen kann. Auf ihn vertrauend, schafft er ruhig fort, bis der Obermeister die große Feierstunde schlagen läßt, den Schurz dem treuen Arbeiter abnimmt und ihn zur sanften Ruhe bettet. Wenn nun die Arbeit des Freimaurers sich so hoch über die Arbeit des Werkmaurers erhebt, so muß auch unser Schurz noch eine höhere Bedeutung haben als die eines gewöhnlichen Arbeitskleides. Und dem ist wirklich so. Der Schurz ist das Urkleid des Menschen. Der Wilde verfertigt sich den Schurz, um seine Blöße zu bedecken und seinen Leib zu schützen; Tierfelle müssen ihm dazu dienen. Und die biblische Legende erzählt von den ersten Menschen, daß sie, als sie in Ungehorsam von Jehovah abgefallen waren, sich Schürzen anfertigten. (1. Mos. 3, 7.) Und als sie aus dem Paradiese vertrieben waren, da machte der Herr ihnen Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. (1. Mos. 3, 21.) Diese sinnbildliche Erzählung deutet uns an, daß der Mensch, ein lichtgeborenes, geistiges Wesen, mit einer materiellen Hülle umkleidet ist, die das Licht seines Geistes trübt und verbirgt. Im Schweiße seines Angesichts soll er arbeiten, um das Göttliche in sich zur Reife zu bringen, auf daß er das Irdische überwinde. Der Erdenleib also, mit dem wir angetan sind, das ist unser Arbeitskleid, „die vergängliche Schürze des Fleisches“, wie unsere Akten an einer Stelle sagen, in die wir uns nicht einhüllen sollen, um in trägem Schlafe uns in Wollüsten zu ergötzen, sondern in welcher wir rastlos tätig sein sollen, um des Menschen höchsten Beruf zu erfüllen, auf daß dereinst, wenn diese Hülle uns entrissen wird, ein lebensfähiges Geisteswesen daraus hervorgehe. Mit unserm Lehrlingsschurze bedecken wir nun den Teil unseres Leibes, in welchem die Organe des vegetativen Lebens, des Stoffwechsels, liegen, welche denjenigen Vorgängen dienen, die wir mit der Pflanze gemeinsam haben. Wir haben es hier mit der niedrigsten Sphäre unseres Wesens zu tun, die wohl an und für sich nicht unrein ist, sondern nur insofern auf unsern Geist verunreinigend wirken kann, als derselbe von hier aus zu Begierden und Lüsten angeregt wird, die ihn herabziehen und an seiner Entwicklung hindern. Der Geist muß herrschen über den Leib, nicht umgekehrt. Die Finsternis unseres irdischen Teils darf das ewige Licht in uns nicht trüben, vielmehr soll das Licht unseres Geistes mit seinem Glanze ihn durchdringen, ihn reinigen und heiligen. Darum ist unser Schurz weiß; er wird uns zum Kleid des Lichtes, und das Fragebuch sagt (Abt. V, Fr. 41) : „Was bedeutet die Schürze?“ „Des Ordens Reinheit und Unschuld.“ Das ist die tiefere Bedeutung des Schurzes. Rein und unbefleckt soll er erhalten werden als höchstes Kleinod unserer maurerischen Ehre. Mit was für Zeichen der Orden, wenn wir seine weiteren Stufen ersteigen, uns auch immer den Schurz schmücken mag: das reine Weiß darf nimmer ihm entschwinden, sowie unser maurerisches Streben in seiner Reinheit nie wanken darf, bis er uns dereinst vielleicht wieder in der ungetrübten Farbe des Lichtes erglänzt, wenn wir zum Schlusse unserer Grade gelangt sind. Heilige Pflichten also sind es, von denen der Schurz zu uns redet, heilige Pflichten, die wir gegen uns selbst und gegen den Orden übernommen haben. Aber er weist uns auch auf die Pflichten hin, welche die Brüderschaft gegen jeden, den sie in ihre Reihen aufnimmt, übernimmt. Bei Überreichung des Kleides wird gesagt, „daß die weiße Farbe und die Dauerhaftigkeit des Stoffes für den Lehrling eine besondere Bedeutung hätten. Jene sollte ihn an die Reinheit und die aufrichtigen Gesinnungen unserer Brüderschaft, diese ihn an die Beständigkeit und Treue derselben erinnern.“ Das ist es also, was er von der Gemeinschaft der Brüder, in welche er getreten ist, erwarten kann und zu erwarten berechtigt ist. Aber gleich darauf wird ihm gesagt, daß auch er sich dieser Eigenschaften befleißigen müsse. Nur wer sich aus allen Kräften bemüht, ein Bruder zu sein, der findet Brüder. Daher bringe der Lehrling uns ein reines aufrichtiges Herz entgegen und sei dem Orden und den Brüdern mit unerschütterlicher Treue ergeben, dann wird das Ende gut sein und seine Maurerarbeit vom schönsten Erfolge gekrönt werden. (1902.) >374< Die Kelle des Lehrlings. Wenn den neuaufgenommenen Lehrling der Schurz, mit dem er umgürtet ist, an die nie zu unterbrechende Arbeit des Maurers erinnert, so wird ihm dadurch die Frage nahegelegt, auf welche Weise und mit welchen Werkzeugen diese Arbeit auszuführen sei. Hierauf gibt Antwort der andere Gegenstand der maurerischen Ausrüstung, welche der Lehrling erhält: das ist die Kelle. Dieses kleine, unscheinbare Ding, das uns nach der Aufnahme aufs Herz gelegt wird, ist das vornehmste, recht eigentliche Universalwerkzeug der k. Kunst. Darum wird sie auch „des Maurers höchster Schmuck“ genannt (L. B. II, Seite 57). Wir finden in andern maurerischen Lehrarten die Brüder geschmückt mit Abzeichen, welche meistens den Namen der Loge, der sie angehören, versinnbildlichen, und zwar oft in sehr schöner und sinnreicher Weise. Aber kein Schmuck läßt sich an Tiefe seiner Bedeutung vergleichen mit unserer schlichten Maurerkelle. Was ist nun die Kelle und wie gebrauchen wir sie? Die Kelle dient dem Werkmaurer, den Mörtel zwischen die Bausteine zu bringen, die er zu verlegen hat. Mit ihrer Hilfe verklebt und verstreicht er die Fugen und Spalten zwischen den Steinen und stellt so ein festes, gleichmäßiges Mauerwerk her. Hiervon leitet auch die Freimaurerei eine Bedeutung der Kelle ab. Bei ihrer Überreichung wird zu dem Neuaufgenommenen gesagt: „ Bildlich können Sie mit Hilfe dieses Werkzeugs eine sehr nötige und nützliche Arbeit vollbringen, wenn Sie sich bemühen, das menschliche Herz gegen die Anfälle des Lasters zu vermauern und zu verkitten.“ (L. B. II, Seite 58.) Und an einer anderen Stelle unserer Akten heilst es: „Die Maurerkelle erinnert alle Brüder, sorgfältig die Spalten und Risse des Herzens zu vermauern und zu bessern und die Öffnungen zu verschließen, welche Hochmut, Zorn, Haß , Neid und Schwachheiten verursacht haben, des Nächsten und der Brüder Fehler zu vermauern und das Herz so gut, so tugendhaft und so rein zu machen, daß kein Bruder sich zu fürchten braucht, dem andern sein ganzes Herz aufzuschließen.“ (L.B. II, Beil., Seite 46.) Rein moralische Forderungen sind es, welche hier an die Bedeutung der Kelle geknüpft werden. Das Menschenherz wird verglichen mit einem unvollkommenen, rissigen Gebäude, und dem Maurer wird die Aufgabe gestellt, es auszubessern, und zwar richtet sich diese Aufgabe nicht bloß auf das eigene Herz, sondern auch auf die Herzen unserer Nebenmenschen. Mit Recht dürfen wir wohl in dieser Forderung, die ja jeder sittliche Mensch sich selbst stellen muß, nichts spezifisch Freimaurerisches erblicken und könnten fragen, wozu da noch das Bild der Kelle nötig wäre. Allerdings ist auch durch diese rein moralische Auslegung die Bedeutung der Kelle keineswegs erschöpft, dieselbe hat vielmehr eine noch viel tiefere Bedeutung, welche schon in den Worten angedeutet ist, die bei der Überreichung gesprochen werden. Diese Worte lauten: „Diese Kelle hat ihren Wert durch ihre Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit, deshalb haben wir sie an diesem ledernen Riemen befestigt, um desto sicherer zur Vollführung der wichtigen und höchst notwendigen Arbeiten, die man Ihnen hier übertragen möchte, aufbewahrt werden zu können.“ (L.B. II, Seite 57 f.) Hieran schließt sich dann jene bildliche Ausdeutung. Ferner werden wir darauf, daß die Kelle eine noch tiefere Bedeutung haben müsse, auch dadurch geführt, daß der Vergleich des fehlerhaften Menschenherzens mit einer der Ausbesserung durch Kelle und Mörtel bedürftigen Mauer nicht weiter durchgeführt wird. Ein anderes Bild wird vielmehr für unser unvollkommenes Ich herbeigezogen, nämlich >376< das des rauhen, unbehauenen Steines, den uns die Arbeitstafel auf ihrer Nordseite zeigt. Unsere Lehrlingsakten aber sprechen sich über denselben folgendermaßen aus: „Der rauhe Stein ist der Gegenstand der sorgfältigen Arbeit der Johannis-Lehrlinge. Ihnen liegt ob, denselben zu behauen, zu ebnen und zu einem vollkommenen Baugerät zu bereiten. Er erinnert uns, unsere üblen Neigungen abzulegen und uns immer vollkommener zu gestalten, eine Arbeit, die schwer, aber unerläßlich für den ist, der sich der Wahrheit zu nähern wünscht.“ (L. B. II, Beil., Seite 47.) Womit bearbeitet man nun einen rauhen Stein, um ihm die rechte Gestalt zu geben ? Doch nicht mit einer Maurerkelle! Das wäre ein sehr ungeeignetes Werkzeug dazu. Da nützt kein Mörtelwerfen und Verstreichen, da nützt nur ein Meißel und ein Spitzhammer. Und dennoch sehen wir auf unserer Tafel dicht neben dem rauhen Stein wiederum die Kelle. Sie muß also doch zu ihm in einer bestimmten Beziehung stehen, und das führt uns eben auf ihre tiefste Bedeutung. Betrachten wir die Kelle ihrer Gestalt nach. Aus einem gleichseitigen Dreieck und einem daran gehefteten rechten Winkel setzt sich ihr Bild zusammen. Beide sind uralte und in ihrer einfachen Form unveränderliche Symbole für den Geist des Göttlichen und für das Gesetz, in welchem sich dieser Geist offenbart. Der Mensch kann das Wesen der Gottheit nicht umfassen, denn sie ist unendlich, und er ist in die Zeitlichkeit und in den begrenzten Raum gebannt. Aber er vermag es, sie zu ahnen und sich ihr anbetend zu nähern. Er fühlt das Wesen des göttlichen Geistes, und in den Gebilden, die ihm in den Wundern der Schöpfung entgegentreten, erblickt er seine Zeichen, und deutlicher denn sonst irgendwo vernimmt er sein Walten im eigenen Inneren. Das Walten der Gottheit ist absolut und unmittelbar, sie durchdringt alles und nichts vermag sie zu hemmen. Des Menschen Tun verläuft im Raum und in der Zeit; wenn er etwas schaffen will, muß er erst den Gedanken fassen und diesem den Willen und endlich die Tat folgen lassen; bei der Gottheit ist Gedanke, Wille und Tat eins; ihr Denken ist Wollen, ihr Wollen ist Handeln. Unsere heilige Urkunde faßt an der Stelle, auf welche wir, dem Orden uns angelobend, unsere Hand legten, im ersten Verse des Johannis-Evangeliums, dieses ewige Walten des göttlichen Geistes zusammen in den Ausdruck „Wort“ (logos), indem sie sagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. — Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Im Worte liegt die Einheit von Denken, Wollen und Handeln. So stehet geschrieben: „Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Das sprechendste Sinnbild für diese Einheit der göttlichen Kräfte ist nun das gleichseitige Dreieck der Kelle. Wenn wir es betrachten, tritt uns die Dreizahl in seinen drei Ecken und seinen drei Seiten entgegen, und doch erblicken wir ein Ganzes, die einfachste, in sich abgeschlossene Flächenfigur. So haben wir also in ihm das sich uns von selbst darbietende Symbol des göttlichen Wortes, der ewigen Schaffenskraft, welche nie ruht, stets tätig und wirksam ist, denn ihr Wesen besteht ja gerade im ewigen Schaffen und sich Offenbaren. Und was diese Kraft schafft, das ist fest gegründet, wenn es auch im Strome des Werdens und der Umformung seine Gestalt wechselt. Was die Kraft Gottes schafft, ist eingefügt in den großen Plan seines Weltenbaus, sein Denken ist Weisheit, sein Wollen ist Stärke, seine Tat ist Schönheit. Den Stempel der Vollkommenheit weist seine Schöpfung auf: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Ja, vollkommen ist alles und trägt trotz des Stromes der Verwandlung, in dem es steht, die Gewährleistung des Fortbestandes in sich; denn der ewige, dreifach große Baumeister, als welcher uns die Kraft des Wortes erscheint, bauete nach einem ewigen, aus seinem Wesen selbst hergeleiteten Gesetz. Dieses Gesetz stellt sich uns dar unter dem Sinnbilde des rechten Winkels. Das Winkelmaß, das der wort führende Meister trägt, gibt die Gestalt; auf ihm beruht der Zusammenhang des Baues; in der Vereinigung des Senkrechten und Wagerechten sehen wir die Grundlage aller Konstruktion, und darum finden wir auch den rechten Winkel dem Dreieck der Kelle angefügt. Die Kelle also ist das Sinnbild des göttlichen Wortes und seiner Durchführung durch das göttliche Gesetz. Jetzt wissen wir, warum der Orden sie uns aufs Herz gelegt >378< hat. In jedem Menschen lebt ein Göttliches, Freies, Reines, Ewiges; doch es schläft, es ist gebunden durch die Fesseln der Materie, es ist verdunkelt durch unsere irdische Natur. Aber es ist uns die Möglichkeit gegeben, das Schlummernde zu wecken, das Gebundene zu befreien, das Finstere in uns zu erleuchten, das Irdische in uns zu reinigen und zu heiligen. Auch in unser Inneres ist die Kraft des Wortes, die überall wirksam ist, gelegt. Das göttliche Geschenk des Wortes, die Sprache, ist allein dem Menschen verliehen. Wir fühlen es in unserm Inneren sich regen und blitzartig empor zucken; es möchte heraus, es möchte laut werden und wirken: aber ach! nur zu oft verhallt die innere Stimme in dem wüsten Getöse der Leidenschaften und Begierden. Wir mißbrauchen das Geschenk der Sprache zu törichten Reden und zu Werken der Finsternis, aber das Wort der Wahrheit schweigt uns. Hier hat nun unsere maurerische Arbeit einzusetzen. Sie will uns mit kategorischer Strenge zwingen, dem Worte in unserm Inneren Gehör zu geben, auf daß es unser ganzes Wesen durchdringe und uns gestalte zu einem göttlichen Kunstwerk, aus dem rauhen Bruchstein zum Kubus nach dem Gesetz des rechten Winkels. Darum hat die Kelle, wie bei der Überreichung gesagt wird, „ihren Wert durch ihre Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit“; denn so, und nur so allein, arbeiten wir wirklich freimaurerisch, und die Kelle, welche wir nicht bloß bei unsern Zusammenkünften, sondern stets auf unserm Herzen fühlen sollen, ist uns ein immerwährendes Mahnzeichen für diese Arbeit. Die Kelle des Lehrlings ist „unpoliert, um ihn zu erinnern, daß er sie fleißig gebrauchen soll“. Nur durch Übung, und zwar durch unausgesetzte Übung, bei welcher es keinen Feierabend gibt, nur durch unaufhörliches Schulen, unserer inneren Werkzeuge, der Vernunft, des Verstandes und des Willens, lassen sich Erfolge erringen; nur so gelangen wir zur polierten Kelle, die in hellem Silberglanze strahlt. — Und an einem ledernen Riemen ist das Kleinod befestigt; er ist von demselben Stoff wie der Lehrlingsschurz. Das bedeutet, daß das Göttliche mit dem Irdischen, im Menschenleben eng verbunden bleiben, und daß unser irdisches Teil sich stets als Träger des Göttlichen und als nichts anderes fühlen soll; denn also ist es nach des Schöpfers Ratschluß bestimmt. Und warum ruht nun unsere Kelle auf dem Herzen? Wohl mit vollem Recht hat sie dort ihren Platz. Während der Schurz unsern Leib, die niedere Region unseres Seins, bedeckt, nimmt die Kelle die mittlere Region ein. Sie steht auf der Grenzwacht zwischen Geist und Materie. Hier, auf dem Kampfplatz zwischen Finsternis und Licht, ist das eigentliche maurerische Arbeitsfeld. Wenn der Kampf in uns tobt, wenn Leidenschaften in uns ringen, wenn des Leidens Nacht uns umgibt, dann zuckt und zittert das bange Herz in unserer Brust, und der Dichter scheint recht zu haben, wenn er singt: „Das arme Herz hienieden, Von manchem Sturm bewegt, Erlangt den wahren Frieden Nur, wo es nicht mehr schlägt.“ Und dennoch können wir auch hier schon dem Herzen trotz Jammer und Leid, trotz Sündenverstrickung und Schuldbewußtsein süßen, heiligen Frieden geben durch die Arbeit mit der Kelle. Das göttliche Wort, das in uns spricht, das göttliche Gesetz, das in uns baut, das ist es, was uns erwärmt, belebt, führt, belehrt, tröstet, beruhigt und belohnt, das ist es, was uns allein Frieden und Seligkeit verleiht. Mit äußerlicher Tugendübung, mit Verkitten und Verstreichen der Spalten und Risse unseres fehlerhaften Ichs kommen wir nicht aus. Da kann nur die „wichtige und höchst notwendige Arbeit“ frommen: die Erneuerung unser selbst von innen heraus durch die Kraft des göttlichen Wortes. Jetzt wissen wir, warum die Kelle des Maurers höchster Schmuck genannt wird. Was schmückt uns denn in Wahrheit? Ist es äußerer Glanz ? Reichtum und allerlei Flitter, die der Mensch sich selber anhängt? Nein, das haben wir alles draußen gelassen, als wir vor den Toren des Tempels alle Metalle ablegten. Der höchste Schmuck ist das göttliche Kleinod, das der Mensch in sich trägt, das unsterbliche Leben, das in ihm sich bilden und ihn befreien soll. (1902.) >380< Das Schwert. Wenn der fremde Suchende das Logenhaus betreten hat, so muß er die Metalle ablegen; denn irdische Güter können ihm nichts nützen auf dem Wege, den er zu wandeln hat. Mit Geld und Gut kann er sich die hohen Schätze nicht erwerben, nach denen fortan sein Streben gerichtet sein soll. Wenn aber die Lehrlingsweihe vollendet ist, dann erhält er bei seiner maurerischen Ausrüstung andere Metalle vom Orden, welche geweiht sind zum Dienste der k. Kunst. Er empfängt die Maurerkelle von Silber, welche auf seiner Brust befestigt wird, da wo sein Herz schlägt, und das ritterliche Schwert von Eisen, mit dem er sich umgürtet. Ein Werkzeug und eine Waffe bietet ihm der Orden dar und unterweist ihn in dem Gebrauche beider. Wie wir die Kelle anzuwenden haben, das habe ich in dem vorstehenden Vortrage zu zeigen versucht. Nunmehr bleibt uns noch das Schwert zu betrachten übrig. „Was hat das Schwert, diese Mordwaffe, in dem Frieden der Loge zu tun?“, so hören wir Brüder fragen, die eine andere Auffassung von der Freimaurerei haben als wir. Der große Herder, den sich Fr. Ludwig Schröder zum Vertrauten und Berater bei der Abfassung seiner Rituale ausersehen hatte, äußert sich in sehr heftiger Weise gegen die in der Loge gebrauchten Waffen. „Das Kehren der Degen auf ihn (den Aufzunehmenden)“, sagt er, „soll's bleiben? Sein Ursprung liegt in Umständen, die gar nicht mehr sind, und deren Argwohn selbst abgewandt werden muß. Es bezieht sich auf Geheimnisse, die nicht sind(!), und dann, welch ein erster Anblick! Brüder, Brüder gegen sich mit gezogenem Degen! Auch symbolisch hasse ich den Anblick. Vielmehr lasse sie alle bereit stehen zur Verfechtung der Wahrheit, und er in diese wahrhafte Gesellschaft aufgenommen werden, jedoch mit Deutungen, daß Wahrheit und Güte nicht mit Schwertern verteidigt oder ausgemacht werde usf.“ Dieser Ausspruch Herders ist sehr interessant, weil wir daraus lernen können, daß selbst ein so bedeutender Mann, wie er es war, der mit Recht den ersten Geistern unserer Nation zugezählt wird, von unserer Sache eine schiefe Ansicht gewinnen kann. Herder wäre gewiß vor einem solchen Irrtum bewahrt geblieben, wenn er mehr in der Loge gelebt hätte. Seine aktive Logentätigkeit ist aber nur, nach seiner eigenen Angabe, eine sehr kurze gewesen. Bald nach seiner in noch jugendlichem Alter zu Riga erfolgten Aufnahme ist er wahrscheinlich durch irgendwelche Unvollkommenheiten des Logenlebens abgeschreckt worden und hat seitdem nie wieder eine Loge betreten. Es ist also nicht zu verwundern, daß er auf irrige Anschauungen verfallen mußte, weil ihm die nötige Erfahrung und Einsicht in die Sache selbst fehlte. So ist auch das, was er in späteren Jahren über Freimaurerei geschrieben hat, mehr das Ergebnis einer geistvollen Spekulation, weniger aber ein Resultat eigener Anschauung der Sache selbst. Auch Lessing schrieb seine drei ersten Freimaurergespräche ohne die Sache selbst aus eigener Anschauung zu kennen, sogar noch vor seiner Aufnahme. Aber wie unvergleichlich tiefer drang er mit seinem scharfen Geiste ein als Herder. Das, was jener über unsere k. Kunst sagt, können wir als klassisch bezeichnen; es lebt gleichsam in aller Maurer Munde, während die Herderschen Gespräche und Aufsätze so gut wie vergessen sind. Daß das Schwert ein sehr altes maurerisches Symbol ist, hätte Herder wissen können. Die englische Großloge führt seit ihren ältesten Zeiten ein Schwert, welches in einigen Ausgaben des Andersonschen Konstitutionen-Buches sogar abgebildet ist; sie hatte unter ihren Beamten einen besonderen Schwertträger. Auch kennen die ältesten Rituale schon den Gebrauch, dem Suchenden die Spitze einer Waffe (warlike instrument) auf die Brust zu setzen. Wie bedeutsam das Schwert für uns ist, möchte ich in folgendem zu zeigen versuchen. Ehe ich auf die Bedeutung des Schwertes eingehe, sei mir noch eine Vorbemerkung gestattet. In unsern Akten finden sich für dieselbe Sache zwei Benennungen: „Schwert“ und „Degen“. Ich wäre dafür, den letzteren Ausdruck ganz fallen zu lassen und nur das Wort „Schwert“ zu gebrauchen, obschon es den Anschein hat, als wenn unsere Akten zwischen beiden einen Unterschied machen. Die beiden >382< höheren Ordensabteilungen haben ein eigenes Schwert, welches nach Eröffnung der Loge über die Bibel gelegt wird; nicht so die Johannisloge. Es wird sogar ausdrücklich gesagt, daß in dem Schwert ein besonderer Vorzug der oberen Abteilungen vor der Johannisloge liegt. In dieser legt bei der Eröffnung der Logenmeister seinen Degen über die geöffnete heilige Schrift. Nur für besondere Verdienste kann einer Johannisloge das Schwert verliehen werden, was meines Wissens nur bei der Vereinigten Loge in Breslau der Fall ist. Mit dem Ausdrucke „Degen“ scheint also die Waffe bezeichnet zu werden, die sich in den Händen der Brüder befindet. Nun müssen wir bedenken, daß der Begriff des Schwertes der ältere und allgemeinere ist. Der Degen (Das Wort „Degen“ ist sehr alt. Es findet sich in den ältesten Denkmälern der deutschen Literatur; z. B im Nibelungen-Liede, und wird dort dadurch ein Recke, ein Held bezeichnet. Ob das Wort in unseren alten Gedichten auch als Synonym von Schwert gebraucht wird, weiß ich nicht.) — wenigstens das, was wir heute darunter verstehen — ist nichts anderes als ein verkümmertes und entartetes Schwert. Er entstand erst nach der Erfindung der Schußwaffen, als das Schwert, die eigentliche ritterliche Waffe auf Hieb und Stich, immer mehr und mehr ihre Bedeutung zu verlieren anfing. So wurde aus dem breiten, starken Schwert eine schmale, biegsame Klinge, die am Gefäß allerlei Zutaten, als: Stichblätter, Korb, Bügel u. dergl., erhielt, bis endlich im 18. Jahrhundert der Galanteriedegen die Metamorphosen beschloß, der wegen seiner Lächerlichkeit im Volksmunde allerlei Benennungen erhalten hat. Eben im 18. Jahrhundert ist der „Degen“ in unsere Rituale hineingekommen, in einer Zeit, da jeder Mann von Stande einen Degen trug. Ein Beweis dafür ist der in der Großen Loge zu den drei Weltkugeln noch heute bestehende Gebrauch, daß der vorbereitende Bruder dem Suchenden Hut und Degen abfordert und diese als Zeichen des Gehorsams dem Meister überreicht; natürlich muß jetzt dem Aufzunehmenden zu diesem Zweck, sobald er das Logenhaus betreten hat, erst ein Degen überreicht werden, was in jenen Zeiten, als er diesen schon an der Seite trug, nicht nötig war. — Das Schwert ist nun einmal die ritterliche Waffe, die schon der Knappe erhielt, um sich in seinem Gebrauch zu üben, und darum paßt sie auch allein für uns, die wir uns Freimaurer-Ritter-Lehrlinge nennen. Wie das Schwert des Ritters, so muß auch das unsrige die Kreuzesform, den vierfachen rechten Winkel, zeigen, welche beim Degen ganz verloren gegangen ist. Daß es dem Ritter auch als Kreuz gegolten hat, geht daraus hervor, daß er es auf dem Schlachtfelde im Sterben küßte, wenn kein Priester vorhanden war, der ihm das Kreuz vorhalten konnte. Außerdem ist das Schwert die ideale Waffe im allgemeinen. Wenn ein Herrscher einen Krieg anfängt, so sagen wir nicht, er greift zum Säbel oder zur Muskete oder zur Kanone, sondern er greift zum Schwert. — Darum müßte nach meiner Meinung das Wort „Degen“ aus unserm Gebrauchtum gänzlich verschwinden und überall das Wort „Schwert“ dafür an die Stelle treten. — Wie kommt nun das Schwert in die Loge?, so fragt mit unsern Gegnern vielleicht mancher neuaufgenommene Bruder, der sich — gewiß mit Recht — die Loge als eine Stätte des Friedens vorgestellt hat. Sicherlich soll unser Maurertempel eine Stätte sein, wo Friede und Eintracht herrscht, eine Heimat für Licht und Wahrheit. Die höchsten Güter der Menschheit sollen in ihr wohnen, und den Suchenden, die an ihre Pforte klopfen, soll der Weg zu ihnen gewiesen werden. So sollte es sein. Auch in der Welt, von welcher die Loge das Abbild ist, sollten Licht, Wahrheit, Frieden und Eintracht herrschen. Das ist aber nicht der Fall. Die Finsternis hat ihr Schattenreich ausgebreitet, Irrtum nimmt der Menschen Sinn gefangen, der Menschen, die nicht in Frieden leben können, weil sie nicht alle durch dieselbe Sehnsucht nach dem einen, ewigen Licht geleitet werden. Wo aber Licht und Wahrheit wohnen sollen, da muß Finsternis und Irrtum ausgetrieben werden; und das kann ohne Kampf nicht geschehen, und wir, die wir in erster Reihe zu Streitern in diesem Kampf berufen sind, wären nur halbe Maurer,. wenn wir nicht mit der Kelle in der einen und mit dem Schwerte in der anderen Hand unsere Arbeit beginnen wollten. In unserem Fragebuche (Abt. III, Art. 3, Fr. 11) heißt es: „Weshalb bedienen sich die Brüder der Degen in der Loge?“ „Zur Erinnerung der Wiederaufbauung der Mauern Jerusalems.“ In der heiligen Schrift aber heißt es (Nehem. 4,18) : „Ein jeglicher, der da bauete, hatte sein Schwert an seine Lenden gegürtet und bauete also.“ So mußten die Kinder Israel gerüstet sein gegen die feindlichen Mächte, die sie am Wiederaufbau der heiligen Stadt und des Tempels hindern wollten; und so auch wir. Wenn wir in vielen anderen Logen das Schwert nicht finden, weil es dort nicht angebracht erscheint, durch >384< ein Sinnbild an den Kampf erinnert zu werden, so wollen wir darum mit jenen Brüdern nicht rechten. Der Kampf bleibt aber darum auch ihnen nicht erspart. Wir aber wollen durch das Schwert, das wir führen, allezeit an ihn gemahnt sein. Dieser Kampf aber wird und muß dauern, solange es Menschen gibt, die zum Lichte streben, und je heller das Licht aufleuchtet, desto erbitterter wird der Kampf geführt. Das zeigt die Geschichte. Das hellste und größte Licht in der Geschichte der Menschheit ist die Erscheinung Christi und seiner Lehre. Wo gibt es nun etwas, um das erbittertere Kämpfe geführt sind? Oft freilich mit unreinen Händen, oft genug waren Haß, Rachgier, Herrschsucht und Fanatismus die unlauteren Motive, welche die reinen Waffen befleckt haben. Aber immer war es doch dieses höchste und reinste Licht, das die Ursache zu solchem schweren Ringen gab. Das wußte der große Meister, der der Welt das Licht gebracht hatte, weil er selbst das Licht der Welt war, am besten, und darum sprach er zu seinen Jüngern: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, Frieden zu senden auf Erden; ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater, und die Tochter wider ihre Mutter, und die Schnur wider ihre Schwieger; und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“ (Matth. 10, 34 bis 36.) Und abermals sprach er zu ihnen beim letzten Abschied, wohl wissend, daß er sie führerlos zurücklassen müsse: „Verkaufet eure Kleider und kaufet ein Schwert.“ (Luk. 22,36.) Das sprach derselbe, der zu seinen Jüngern beim Scheiden sagte: „Den Frieden lasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh. 14,27.) Er, der den Frieden in seiner Brust trug, hinterließ ihn denen, die ihn verstanden, und sein letzter Zweck war, ihn der ganzen Welt zu geben; aber er wußte sehr gut, daß dieser höchste Sieg nicht ohne schwerste Kämpfe errungen werden kann, und daß es eines langen Ringens und einer Entwicklung von Jahrtausenden bedürfen werde, ehe das, wozu er den unvergänglichen Grund gelegt hatte, zur Reife gelangen könne. Wir aber als des Meisters Nachfolger sind Kämpfer, denen das Schwert zur Hand sein muß. Aber er hat uns auch gelehrt, wie wir es zu gebrauchen haben, in welchem Sinn und Geist er den Kampf, den unvermeidlichen, geführt wissen wollte. Als Petrus das Schwert zog, um seinen Meister zu verteidigen, da wehrte dieser es ihm, weil es in Zorn und Leidenschaft gezückt war, und sprach: „Stecke dein Schwert in die Scheide! Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?“ Nicht zur Rache und nicht zum Anfall soll das Schwert uns dienen, nicht mit Erbitterung soll es geführt werden, sondern zum Schutz und zur Verteidigung der Wahrheit. Ja, das Wort der Wahrheit selbst soll uns zum zweischneidigen Schwert werden, wie es heißt in der heiligen Schrift: „Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig als ein zweischneidiges Schwert;“ und Paulus, dem überall, wo seine Gestalt in Werken der Kunst erscheint, das Schwert als Attribut beigegeben ist, nennt das Wort das Schwert des Geistes. (Eph. 6,17.) Kann hiernach der Neueingetretene noch fragen, wie das Schwert in die Loge kommt, und kann es ihm noch auffallend erscheinen, im Friedenstempel eine bewaffnete Brüderschaft zu finden? Wahrlich, die Waffe, die nur bestimmt ist, das Höchste zu verteidigen und den Frieden zu erringen, ist rein und geweiht; sie wird zum Symbol für das Wort der Wahrheit selbst. Wie die Strahlen der Sonne den trüben Nebel, der das hehre Tagesgestirn verdunkeln will, verscheuchen und auflösen, so sind unsere Schwertklingen Lichtstrahlen zu vergleichen, die in die Finsternis hinein fallen sollen, um das zu befreien, was in ihren Banden liegt. Hiernach wird es auch ersichtlich, welch eine bedeutungsvolle Rolle das Schwert bei unserer ganzen Lehrlingsaufnahme spielt. Der Suchende betritt das Logenhaus als ein Unerleuchteter, der im Dunkeln ist und das Licht zu sehen wünscht; und unser Wunsch ihm gegenüber kommt dem seinigen entgegen: wir wollen die Finsternis, die noch in ihm herrscht, vertreiben und ihn erleuchten durch ein Licht, das er bisher zu benutzen gehindert war. Überall auf dem Wege der Aufnahme begegnet er dem Schwert, dem Strahl der Geistessonne, der die Finsternis vertreiben will. Zuerst erblickt er diesen Strahl in der dunklen Kammer, wohl nur ganz flüchtig, vielleicht beim Öffnen der Tür, wenn der vorbereitende Bruder mit gezücktem Schwert zu ihm eintritt. An der Pforte der Loge tritt ihm der wachthabende Bruder mit bloßem Schwerte entgegen, das er „allezeit in der Hand >386< hat, um die fremden Unkundigen abzuhalten.“ (Frgb., Abt. III, Art. 3, Fr. 12.) Noch muß der Suchende als Unkundiger für ihn gelten. Erst wenn der Meister ihn für einen Anhaltenden erklärt, d.h. für einen, „welcher fortfährt, den Weg zum Lichte aufzusuchen“, dann senkt sich seines Schwertes Spitze, und um seines Eifers willen darf dem Anhaltenden der Eintritt nicht länger verwehrt werden. Bei der Aufnahme selbst aber richtet sich das Schwert gegen seine Brust, zunächst das des zweiten Aufsehers, dann sind es die Schwertspitzen aller Brüder, welche sein Herz treffen wollen. Der Zweck ist immer derselbe: es soll Licht werden in ihm, das Wort der Wahrheit und des Lebens soll in ihm befreit werden, getötet wird in ihm nur das, was der Finsternis angehört. Wohl ihm, wenn er, wie einst jener Arnold von Winkelried die Speerspitzen der feindlichen Phalanx in sein Herz hinein drückte, „um der Freiheit eine Gasse zu machen“, die Schwerter derer, die ihm Brüder sein wollen, freudig und freiwillig in sein Herz aufnimmt, um dem Lichte den Weg in sein Inneres zu bereiten. Endlich legt er bei der Ablegung des Gelübdes und bei der Blutmischung die Hand auf das über dem Evangelium liegende Schwert des Meisters. Wenn die Bibel uns das Wort der Wahrheit ist, so erinnert uns das darüber ausgestreckte Schwert, daß die Wahrheit, die das heilige Buch verkündigt, im Menschenleben beschützt, verteidigt und durchgeführt werden muß. „Die Hand auf das Schwert gelegt, gibt die Ergebenheit gegen unseres ehrwürdigen Ordens Richterstuhl zu erkennen, dessen Gesetzen Sie sich unterwerfen,“ so heißt es in unseren Akten (L. B. II, Beil. Seite 38). Das Gesetz des Ordens besteht nicht sowohl in den von Menschenhand geschriebenen Satzungen, welche das Leben unserer Verbindung regeln, sondern es ist im höchsten Sinne darunter das Gesetz zu verstehen, durch welches dem Licht und der Wahrheit die rechte Wirksamkeit verschafft, der Finsternis aber eine Grenze gesetzt wird. Ihm gelobt sich der Suchende an und ist bereit, seinen Vorsatz, diesem Gesetz zu dienen, mit seinem Blute zu besiegeln. So kann denn zum Schluß nach vollzogener Aufnahme das Schwert, ein Strahl des ewigen Lichtes, ihm in die Hand gegeben werden. Bedeutet für ihn die Kelle das göttliche Wort, das fortan tief in der verschwiegenen Werkstatt seines Innern schaffen soll, so führt ihn das Schwert, das er nun erhält, auf die Wirksamkeit seines inneren Lichtes nach außen hin. Zum Noviziat einer Ritterschaft des Geistes ist er eingeweiht, in welcher er sich vorzubereiten hat für den hohen Beruf, ein Streiter für das höchste Licht zu sein. Das Schwert, das er nun in der Hand hält, erinnert ihn daran, daß er es fortan selbst auf die Suchenden zu richten hat, die nach ihm kommen. Darum prüfe er sich, ob er würdig und wohl geschickt sei, einen Strahl des Lichtes auszusenden in das Herz eines Mannes, der berufen ist, sein Bruder und Mitarbeiter am Werke des Ordens zu werden. Das kann aber nur der, welcher sich frei gemacht hat von den Banden der Finsternis. Daran soll ihn der Hut, das Zeichen des freien Mannes, erinnern, den er neben dem Schwert zurückerhält mit dem Geheiß, sein Haupt damit zu bedecken, das er fortan nur entblößen soll beim Gebet und bei der Nennung des Namens des großen Baumeisters der Welt. Wenn der Meister dem neuen Bruder die Waffe überreicht, so sagt er, daß er sie tragen soll „zur Erinnerung an seine Pflicht, den Orden, den Unschuldigen und den Wehrlosen zu verteidigen.“ (L. B. II, Seite 58.) Das will sagen, er soll überall da eintreten mit seiner Kraft, wo das Licht gedämpft und die Wahrheit unterdrückt wird. So kämpft er für den Orden, der den höchsten Gütern der Menschheit dienen und das Reich des Friedens verbreiten will. Noch freilich ist diese Zeit in weiter Ferne, von der der Prophet sagt, daß in ihr die Schwerter zu Sicheln und die Speere zu Pflugscharen werden sollen; aber wir arbeiten daran, daß diese Zeit heraufkomme, jeder nach seinen Gaben und seinem Vermögen. Können wir auch der Welt diesen Frieden nicht geben, so mögen wir ihn wenigstens für uns selbst erringen und in den kleinen Kreisen zu verbreiten suchen, die unserer Wirksamkeit geöffnet sind. Dann wird unser Werk Früchte bringen. Und wenn wir dereinst Kelle und Schwert niederlegen nach treuer Arbeit und rühmlich bestandenem Streit, dann wird der ewige Meister, der auch das Geringste ansieht, auch auf unser Werk seinen Gnadenblick lenken und es nicht verloren sein lassen. (1898.) >388< Die Handschuhe. Die maurerische Bekleidung des neuaufgenommenen Bruders wird vollständig durch die Übergabe der Handschuhe. Die Bekleidung im engeren Sinne besteht aus dem Schurz und den Handschuhen, während Kelle und Schwert Werkzeuge bzw. Ausrüstungsgegenstände des neuen Maurers sind. Die Übergabe der Handschuhe findet unmittelbar nach der des Schurzes statt; hierdurch und durch die gleiche Farbe und gleichen Stoff wird beides zueinander in Beziehung gesetzt. Der Schurz sowohl wie die Handschuhe sind von weißem Leder; die weiße Farbe deutet auf Aufrichtigkeit und reine Gesinnung, die Dauerhaftigkeit des Stoffes auf Beständigkeit und Treue. (L. B. II, Seite 55.) Die Handschuhe, wenn wir sie als Symbol betrachten, scheinen aus der spezifischen Werkmaurer-Symbolik herauszufallen. Den Schurz finden wir beim Maurer wie beim Steinmetzen und anderen Gewerben; unter den Sinnbildern der Tafel finden wir eine ganze Anzahl, welche direkt den Werkstätten entnommen sind. Die Handschuhe dagegen haben mit dem Handwerk, namentlich mit dem Maurer- und Steinmetzgewerbe, nichts zu schaffen. Kein Handwerker arbeitet mit Handschuhen, weil die damit bekleidete Hand an Geschicklichkeit verliert. Man versuche einmal, mit der behandschuhten Hand zu schreiben oder zu zeichnen oder sonst etwas zu verrichten, wozu die unbekleidete Hand die Fertigkeit durch Übung erlangt hat, so wird man bald merken, ein wie großes Hindernis der Handschuh für die exakte Arbeit ist. Selbst die gröbere Arbeit der verschiedenen Gewerbe wird ohne Handschuh verrichtet. Wozu dient nun aber der Handschuh? Zunächst ist er ein Schutz für die Hand, namentlich für ihre Innenfläche. Die Reibung, welche bei kräftig anzufassenden und zu handhabenden Gegenständen unvermeidlich ist und störend werden kann, wird durch den fest anliegenden Handschuh von der Handfläche abgehalten oder wenigstens vermindert. Die Hand gewinnt dadurch an Festigkeit und Sicherheit. Die Zügel des Pferdes beim Reiten oder beim Fahren regieren wir viel sicherer und bequemer mit Handschuhen als ohne dieselben, vor allem aber kann der Fechter den Handschuh nicht entbehren; erst durch ihn liegt der Griff seiner Waffe fest und sicher in seiner Hand. Der Reitersmann, der mit der Linken den Zügel seines Rosses hält und mit der Rechten seinen Pallasch führt, um dreinzuschlagen, ist stets behandschuht. Ebenso war es der Ritter, dessen Handschuhe an der äußeren Fläche der Hand und der Finger mit Eisenplatten belegt waren, während das Leder der Innenfläche fest den Schwertgriff umfaßte. Welche wichtige Rolle der Handschuh beim Schlägerfechten und Florettieren spielt, ist bekannt. — Ich möchte daher mich der Ansicht zuneigen, daß der Handschuh nicht durch die Werkmaurerei, mit welcher er nichts zu tun hat, in unsere Symbolik hineingekommen ist, sondern daß dies vielmehr durch ein ritterliches Element geschehen ist, mit welchem unsere Verbindung — wir wissen nicht genau, wann und wie — in Verbindung gewesen ist. Aus dieser Zeit schreiben sich meiner Meinung nach die Handschuhe her, welche auch von denjenigen maurerischen Lehrarten, welche von einer Ritterschaft nichts wissen wollen, trotzdem beibehalten sind. Bei diesem kräftigen Zufassen ist es die Dauerhaftigkeit des Stoffes, da die Handschuhe ebenso wie der Schurz von Leder sind, welche sie tüchtig macht. Beständigkeit und Treue sollte der dauerhafte Schurz ausdrücken. Bei den Handschuhen möchte ich diese beiden Eigenschaften in Festigkeit und Energie übersetzen. Nun haben die Handschuhe aber noch einen anderen Zweck. Sie sollen die Hand nicht nur vor Verletzungen schützen, sondern auch vor Verunreinigungen, dann aber soll auch das, was wir anfassen, durch sie vor Verletzung und Verunreinigung geschützt werden. Die Redensart „etwas mit Handschuhen anfassen“ bedeutet: etwas mit Zartheit und Rücksicht behandeln. Die Dinge in der Welt, mit denen wir uns zu befassen haben, sind nicht immer so sauber, wie sie sein sollten. Wir wissen ja, daß Finsternis überall herrscht und das Licht, das wir suchen, zu unterdrücken sucht. Wenn wir uns, wie es ja unvermeidlich und auch notwendig ist, solchen Berührungen nicht entziehen, so bleiben davon leicht Spuren an uns zurück; das muß aber verhindert werden, >390< denn durch solche Berührungen werden wir herabgezogen, unsere innere Arbeit wird unterbrochen, und der Zug unseres Geistes nach oben wird gehemmt. Daher haben wir dafür zu sorgen, daß wir nicht verunreinigt werden; das Sinnbild dafür ist der Handschuh, mit dem wir unsere Hand bekleiden. Das zarte Weiß, das er zeigt, darf nicht befleckt werden. Das ist aber eine große Kunst, die Dinge so anzufassen, daß wir unbefleckt aus der Berührung hervorgehen. Wir erwerben sie zugleich mit der k. Kunst. Denn wenn wir durch sie lernen, unser inneres Licht und Leben zu erwecken, so erhalten wir dadurch zugleich die Fertigkeit, allen Dingen, mit denen wir in Berührung kommen, ihre reine und lichte Seite abzugewinnen, und das wird wiederum fördernd und belebend auf uns einwirken. Nun aber haben wir nicht nur für uns eine Befleckung von außen her zu fürchten, sondern es ist auch die Gefahr vorhanden, daß das Reine und Zarte, mit dem das Leben uns zusammenführt, durch uns eine Verunreinigung, Herabsetzung und Kränkung erleidet. Denn in uns ist nicht alles so rein und licht, wie es sein sollte, auch wir gehören der Finsternis an, wenn auch in uns der edle Vorsatz erwacht ist, sie zu bekämpfen. Darum ist es unsere fortwährende Aufgabe, sie niederzuhalten und in ihre Schranken zurückzuweisen, wenn sie ihr Haupt erheben will. In allen möglichen Gestalten tritt sie in uns auf, in die sie sich verkappt, so daß wir in unserer Eigenliebe nur zu oft ihr rechtes Gesicht nicht sehen und wohl gar diese Masken für etwas Berechtigtes und unserer Eigenart und unserem Charakter Angemessenes halten. Rücksichtslosigkeit, Schroffheit, Heftigkeit vergeben wir uns selbst gar zu leicht und bedenken nicht, wie sehr sie uns selbst und anderen schaden. Das sollte aber dem Maurer, der die weißen Handschuhe trägt, stets gegenwärtig sein. Es gibt eine Kunst, alle Dinge beim rechten Ende zu ergreifen, in allen Verhältnissen des Lebens mit feinem Verständnis die gegebene Lage zu erfassen und stets das Richtige zu finden, das dahin gehört. Wir nennen das Takt. Manchem ist dieser Takt angeboren. Wie aber in der Musik, von welcher der Ausdruck entlehnt ist, es oft langer und mühevoller Übungen bedarf, um dem Schüler das richtige Taktgefühl beizubringen, so ist es auch im Leben, wo diese Fertigkeit zu erlernen noch schwieriger ist, da wir meistens unser eigener Lehrmeister bleiben und selten von anderen eine Einwirkung erfahren, die wir uns auch nicht recht gefallen lassen wollen; denn je älter wir werden, desto schwerer wird es uns, von anderer Seite eine Zurechtweisung hinzunehmen. Erfolgt nun gar eine solche gleichfalls in taktloser Art, so kann das Schlimmste daraus entstehen. Auf dieses Taktgefühl weist nun den Maurer der weiße Handschuh hin. Es entspringt am leichtesten und ungezwungensten einem offenen und reinen Herzen, das ohne Hintergedanken sich seinem Nächsten naht, und in dessen tiefstem Grunde die Liebe wohnt, welche sich am Ende doch als die höchste Kraft erweist, durch welche alle Gegensätze ausgeglichen werden. Darum bedeutet das reine Weiß der Handschuhe ebenso wie beim Schurz die Reinheit und aufrichtige Gesinnung unserer Brüderschaft. Drei Paar Handschuhe erhält der neuaufgenommene Bruder. ,, Hier, mein Bruder“, sagt der Meister, „empfangen Sie das erste Paar Manneshandschuhe, welches Sie be ständig aufbewahren müssen. Diese weißen Handschuhe sollen Ihnen zum Zeichen Ihrer Aufnahme dienen, und wenn Ihre Meister es einst nötig finden, ihre Bedeutung zu erklären, so werden Sie darüber weiteren Unterricht erhalten.“ Und ferner: „Hier, mein Bruder, empfangen Sie das zweite Paar, welches Sie allezeit tragen müssen, wenn Sie mit den Brüdern in der Loge sind.“ (L. B. II, Seite 55 ff.) Was das zweite Paar anbetrifft, so ist für seine Deutung dem oben Gesagten kaum etwas hinzuzusetzen. Wenn die Brüder in der Loge beisammen sind, vereinigt zu heiligem Geschäfte, bereit zum Dienste des Lichtes und der Wahrheit, die Herzen emporgehoben zum Urquell alles Guten und Großen, dann soll das zweite Paar getragen werden, dann vereinigen sich die Hände, bedeckt mit den weißen Handschuhen, zum Griff der Liebe und zur Kette der Eintracht. Durch den Handschuh hindurch fühlen sie gegenseitig die Wärme des Blutes und den innigen Druck, der in fester Freundschaft die Getrennten in eins zusammenschließt, und das reine Weiß, womit ihre Hände bedeckt sind, soll ihnen die Gewähr geben, daß Reinheit, Zartheit, milder und liebreicher Sinn zwischen ihnen herrschen möge; denn wenn die Logenarbeit die Geister dem Höchsten zuwendet, dann kommt das Licht in uns zur Wirkung, dann spürt es auch der Bruder neben uns, dem sich unser Inneres leichter denn sonst erschließt, und dem wir freudig unser Bestes, Reinstes und Heiligstes hingeben. >392< Nun aber das erste Paar Handschuhe, das übrigens nur in unserer Lehrart allein üblich ist, — was bedeutet es? — Die Worte, welche bei der Überreichung gesprochen werden, sind dunkel. Wir sollen diese ersten Handschuhe zum Zeichen unserer Aufnahme beständig aufbewahren und werden vielleicht einmal später eine nähere Aufklärung erhalten. Überall nun, wo der Orden uns auf eine spätere Zeit vertröstet, in welcher uns die rechte Kenntnis mitgeteilt werden soll, darf das Nachdenken über den fraglichen Gegenstand nicht ausgeschlossen sein, im Gegenteil wird sogar der Orden Freude empfinden über den Eifer eines Lehrlings, der durch eigene Forschung ohne Vorwitz zu finden sucht, was ihm noch verborgen ist. So ist es z.B. mit den drei Schritten, und so ist es auch hier mit dem ersten Paar Handschuhe. Während wir das zweite Paar, das wir in Gebrauch zu nehmen haben, öfter durch ein anderes ersetzen müssen, sobald es unbrauchbar geworden ist, bleibt das erste beständig, solange wir leben, in unserem Besitz. Zum Zeichen unserer Aufnahme soll es uns dienen und uns täglich daran erinnern, was wir geworden, wozu wir berufen sind, und welches große Ziel wir erreichen sollen. Schurz und Kelle, das zweite Paar Handschuhe und das Schwert bleiben wohl in der Loge zurück und finden dort ihren Aufbewahrungsort. Das erste Paar aber nimmt der junge Lehrling mit nach Hause und behält es als ein Kleinod und Heiligtum in seinem Besitz. Es soll ihm ein Talisman werden, bei dessen Anblick er des Tages gedenkt, an welchem er zu dem Lichte geboren ward, dessen Schein er von der Stunde seiner natürlichen Geburt zu benutzen gehindert war. Vielleicht tut er es in einen weißen Umschlag, schreibt das Datum seiner Aufnahme darauf und legt das unscheinbare Päckchen in irgend ein Schubfach, aber in ein solches, das er oft öffnet. Vornan ist sein bester Platz, damit es ihm sogleich ins Auge falle und so der Zweck der Erinnerung erreicht werde. Da liegt es denn jahrelang, vielleicht jahrzehntelang. — Wenn das zweite Paar zum Tragen bei den Arbeiten der Loge bestimmt ist, so begleitet das erste den Maurer in das profane Leben. Wenn er auch seine Hände nicht damit bekleidet, so hat er es doch stets zur Hand, und es mahnt ihn an seine Pflichten. Jede Versäumnis aber heftet sich an diese weißen Handschuhe als ein Fleck, der zwar für menschliche Augen nicht sichtbar, aber für das allsehende Auge des ewigen Meisters offenbar ist. Auf das zweite Paar Handschuhe, das er in der Loge trägt, blicken die Brüder, auf das erste Paar, das im Verborgenen aufbewahrt wird, schaut der große Meister. Und wenn die Hochmitternachtsstunde geschlagen hat, wenn der müde Leib zur letzten Ruhe gebettet wird im dunklen Totenschrein, dann finden wohl die Hinterbliebenen das erste Paar und sprechen: „Siehe da! wie hat er diese Handschuhe so sorgfältig verwahrt! Wie teuer und wert mögen sie ihm gewesen sein! Wir wollen sie ihm mitgeben auf seinem letzten Gange, damit keine andere Hand sie entweihe.“ — Und so ziehen sie die lange verwahrten Handschuhe dem Entschlafenen auf die starren Totenhände, und er nimmt sie gleichsam mit vor den Richterstuhl des höchsten Meisters, dessen Gnadenhand die Flecken, die das zarte Weiß im langen Leben, im Ringen und Kämpfen, im Irren und Fehlen erhalten hat, tilgen möge. Als drittes und letztes Paar Handschuhe empfängt der neue Bruder Frauenhandschuhe, und der Meister spricht bei ihrer Überreichung: „Die weißen Frauenhandschuhe sind für Sie bestimmt, um sie derjenigen zu geben, für welche Sie die größte Achtung hegen. Durch dieses Geschenk bezeugen Sie Ihr reines Herz derjenigen, die Sie einst zu Ihrer gesetzmäßigen Maurerin erwählen oder bereits erwählt haben. Lassen Sie aber solche nie von unreinen Händen getragen werden !“ Die Reinheit des Verhältnisses, die Zartheit des gegenseitigen Begegnens, wie sie, von dem zweiten Paar angedeutet, zwischen den Ordensbrüdern stattfinden soll, muß auch zwischen dem Maurer und derjenigen walten, die er zur Gefährtin seines Lebens erkoren hat, und zwar in noch viel höherem Grade. Je näher sich zwei Menschen im Leben treten, desto genauer lernen sie sich kennen, desto schärfer nehmen sie gegenseitig ihre guten Seiten und ihre Fehler und Schwächen wahr. Am vollkommensten ist dies bei der innigen Lebensgemeinschaft von Mann und Weib der Fall. Wenn aber hier die weißen Handschuhe im rechten Sinne wirken, so wird eines an des anderen Lichtseiten sich erheben und durch sie beglückt sein, die Schattenseiten aber durch das Licht der Liebe zu erhellen suchen, oder sie mit Nachsicht und Freundlichkeit ertragen. Der Maurer bezeugt sein reines Herz der Frau, welcher er die Handschuhe überreicht, d.h. er bietet ihr sein Herz an, so rein er es zu geben vermag, er naht sich ihr mit so reinen Gesinnungen, wie sie für den Lebensbund erforderlich sind. Nicht Sinnenreiz soll ihn zu dem Weibe seiner Wahl hinziehen, sondern die Erkenntnis des inneren Wertes, welcher nicht nur bleibt, sondern sich >394< vermehrt, wenn die Blüte der Jugend und Schönheit längst dahin gesunken ist. Aber die weißen Frauenhandschuhe haben eine noch tiefere Bedeutung. Es ist eine Art Maurerweihe, welche die Gattin des neu aufgenommenen Bruders durch die Überreichung der Handschuhe erhält. Der Orden gibt ihr geradezu den Titel einer „rechtmäßigen Maurerin“ und spricht dadurch in ganz unzweideutiger Weise aus, daß sie unsere Schwester sein und teilhaben soll an dem maurerischen Werke unseres Bruders. Wohl heißt es an einer Stelle unserer Lehrlingsakten (L. B. II, Beil., Seite 32): „Wenngleich wir das schöne Geschlecht hochschätzen, so gestatten wir demselben doch den Eintritt bei uns nicht, damit seine Gegenwart unsere Brüder an Beachtung der Ordnung und an der Arbeit nicht hindere“; damit aber ist nicht gesagt, daß die Frau vom Orden gänzlich ausgeschlossen sei. — Freilich wäre es ein sehr mißliches Ding, die Frauen in die Geheimnisse unserer k. Kunst einzuweihen und sie zu unseren geheimen Versammlungen zuzulassen. Sie unseren ganzen Aufnahmegebräuchen, in denen doch der ganze rnaurerische Weg, wie wir gesehen haben, sich abbildet, zu unterwerfen, wäre schon an und für sich sinnlos und bei der viel größeren Erregbarkeit der weiblichen Natur geradezu ein Wagnis. Freilich könnte man sie auf andere Weise in die Maurermysterien einweihen und sie an dem Unterrichte der Brüder teilnehmen lassen. An Versuchen dazu hat es nicht gefehlt, namentlich in Frankreich. Man hat sog. Adoptionslogen eingerichtet, in welchen Frauen nach einem ganz anders gearteten Ritual aufgenommen werden und arbeiten, teils ganz selbständig, teils unter Teilnahme und Aufsicht von Männern. Die Erfahrungen, welche man damit gemacht hat, sind durchaus nicht ermutigend. Überall da, wo solche Frauenlogen aufgetaucht sind, waren sie ein sicheres Anzeichen des Verfalls der Freimaurerei. Trotzdem taucht die Frauenfrage in der Maurerei immer wieder auf. Immer von neuem hört man die Ansicht äußern, daß es nicht recht sei, die Frauen auszuschließen, sie seien ebensogut der Erhebung und Veredlung bedürftig wie die Männer, sie könnten ebensogut wie diese segensreich im Orden wirken, und es sei ungerecht, sie der Segnungen der k. Kunst nicht teilhaftig werden zu lassen. Viele Logen (aber nicht unserer Lehrart!) haben Schwesternfeste eingerichtet, welche sich schon sehr unseren maurerischen Arbeiten zu nähern anfangen. Da werden die Frauen feierlich in den Tempel eingeführt, aus welchem man alle Lichter, Säulen, Arbeitstafel und sonstige spezifisch freimaurerische Gegenstände entfernt hat. Die Versammlung wird nach einem dem maurerischen nachgebildeten Ritual eröffnet, worauf dann den Schwestern ein Vortrag gehalten wird, um sie mit dem Geist unserer Sache vertraut zu machen. Auch damit wird nicht viel erreicht; was die Schwestern sehen, ist doch nicht das Rechte, das fühlen sie bald heraus, und was sie dort hören, kann ihnen ebensogut gesagt werden, wenn wir sie ab und zu an froher Tafelrunde in unseren Hallen willkommen heißen, wie es in unseren Logen wohl überall geschieht. (Wie vorsichtig man mit solchen Schwesternversammlungen sein muß, beweist die Tatsache, daß vor einiger Zeit in dem in Braunsberg erscheinenden ultramontanen Blatt „Warmia“ unsere harmlosen Schwesternabende und Liedertafeln als „ Orgien“ bezeichnet wurden, welche zu beschreiben sich die Feder sträubt!) Wie aber soll denn nun die Frau mit der Idee der k. Kunst vertraut gemacht werden, und wie gelangt sie dazu, sich als gesetzmäßige Maurerin zu betätigen? — Der mühevolle Weg, den wir gehen, der Gebrauch der maurerischen Werkzeuge, den wir in unausgesetzter Arbeit erlernen, das stete Ringen und der schwere Kampf, der uns im Streben zum Lichte beschieden ist, — alles dies ist der weiblichen Natur nicht angemessen. An der Arbeit am rauhen Stein erlahmt die zarte Hand der Frau, und auf dem Dornenpfade zur Höhe ermattet ihr Fuß; für die folgerichtige Strenge unserer Arbeit hat sie kein Verständnis, sie, deren Lebenselement die Empfindung ist, durch welche die edle Frau — und von einer solchen kann hier nur die Rede sein — stets sicher geleitet wird. Ihr Eigentum ist „das ewig Weibliche, das uns hinan zieht.“ Das ist die demutsvolle Hingabe, das selbstverleugnende Aufgehen in der Liebe. Dies hehre Gut, das auch uns Männern nötig ist zu unserer Vollendung, und um das wir schwer ringen müssen im Kampfe mit unserem eigenen Selbst, das sich im herrischen Trotze dagegen auflehnt, besitzt die edle Frau, denn es ist ihr als kostbares Geschenk vom Schöpfer in die Wiege gelegt worden, und sie bringt es dem Manne entgegen als schönste Morgengabe. Des Mannes Leben ist vorwiegend nach außen gerichtet, des Weibes Leben nach innen; des Mannes Bestimmung ist, zu arbeiten und zu kämpfen, des Weibes Bestimmung ist, >396< zu lieben. Freilich muß auch das Weib arbeiten und ringen, denn sie ist wie der Mann mitten in das Leben hineingestellt. Dabei aber bedarf sie der Hilfe und Unterstützung des Mannes; er gibt ihr Stärke, und sie hält sich an ihm, wie die zarte Efeu-Ranke sich um den Eichenstamm schlingt. Aus des Mannes Herzen hat das Weib zu empfangen, was ihr den festen Halt im Leben gibt, und aus des Ordensbruders Herzen wird der Schwester offenbar, was das Geheimnis der Freimaurerei ist; das Beste, was er sich in seinem Arbeiten und Streben durch die k. Kunst errungen hat, gehört ihr, und was sie nimmt, das gibt sie ihm reichlich wieder durch die Liebe. Sie ist des Weibes höchstes Wissen, und nur durch sie kann auch der Mann erst wissend werden: „Das ewig Weibliche zieht ihn hinan.“ Beide, Mann und Weib, ergänzen sich gegenseitig aus ihrer inneren Natur heraus. Er gibt ihr Stärke, sie verklärt ihn mit der Schönheit der Seele in der Liebe. So gelangen beide zum höchsten Wissen, zur Weisheit, und damit werden sie eins. Mann und Weib sollen nicht nur ein Leib, sondern auch ein Herz und eine Seele sein. Darum steht geschrieben (1. Mos. 1,27): „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde — nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Weib schuf er sie.“ So wird die Logenschwester zur gesetzmäßigen Maurerin, die vollen Anteil haben soll an dem Werke, das sich in den stillen Mauern der Loge und im Herzen des Bruders vollzieht. Jeder Bruder aber, welcher derjenigen, die er zu seiner rechtmäßigen Maurerin erwählt hat oder erwählen wird, die weißen Frauenhandschuhe überreicht, sei darauf bedacht, die neue Schwester an die Arbeit zu stellen. Die Weihe zur k. Kunst ist ihr gleichsam angeboren; des Bruders Sache aber ist es, sie über ihren Beruf als Schwester, der sich an diese Weihe knüpft, aufzuklären und sie mit unzerreißbaren Banden nicht nur an das eigene Herz, sondern auch an unseren Orden zu fesseln. (1904.) Die Lehrlingstafel Die schwarze Tafel mit den weißen Figuren. Wenn der fremde Suchende auf langem mühevollen Wege endlich zur Aufnahme gelangt ist, dann darf er das berechtigte Verlangen hegen, das eigentliche Geheimnis des Ordens zu erfahren. Es kann ihm nicht zugemutet werden, daß er die richtige Vorstellung von dem Wesen des maurerischen Geheimnisses schon mitbringt. Wie muß er nun erstaunen, wenn er erfährt, daß das, was er sehnlichst zu kennen wünscht, nicht unmittelbar mitgeteilt werden kann, sondern, daß jeder einzelne es für sich erringen und erarbeiten muß. Das Geheimnis der k. Kunst läßt sich nicht aufschreiben und schwarz auf weiß nach Hause tragen. Und dennoch sieht der junge Lehrling es aufgeschrieben vor sich liegen, wenn auch nicht schwarz auf weiß, so doch weiß auf schwarz. In der Mitte der Loge sieht der Lehrling zwischen drei großen Lichtern eine schwarze Tafel ausgebreitet liegen, auf welcher sechzehn weiße Figuren gezeichnet sind. Es ist dieselbe Tafel, die er mit den merkwürdigen drei Schritten nach allen Himmelsgegenden durchmaß. Er berührte sie mit unsicher tastendem Fuße, als noch die Binde seine Augen mit undurchdringlichem Dunkel bedeckte. Diese merkwürdige Tafel ist eine Urkunde, welche in einer Sprache, die allen Menschen, welches Idiom sie auch sprechen mögen, verständlich ist, den ganzen Inhalt des Ordens vom ersten bis zum letzten Grade verkündigt, nicht in trockenen Lehrsätzen, welche veralten können, sondern in lebensvollen Hieroglyphen, welche keinem Wechsel unterworfen sind, sondern für alle Zeiten dasselbe bedeuten. >400< Wer aber vermag diese wunderbare Urkunde zu entziffern und ihre stummen Zeichen zum Reden zu bringen? — Das ist nur auf einem langen Wege möglich, der noch länger ist als der, den der fremde Suchende bei seiner Aufnahme zurücklegen muß. Die Loge kann weiter nichts tun, als dem angehenden Maurer Anleitung geben, wie er diesen Weg finden kann, gehen aber muß er den Weg selbst. In unseren Lehrlingsakten befindet sich eine offizielle Erklärung der Arbeitstafel, welche wir dem neuaufgenommenen Lehrling vorlesen können, wie das ja in früheren Zeiten nach jeder Aufnahme geschehen ist. Er würde aber sehr irren, wenn er in den Erklärungen der einzelnen Sinnbilder etwas Fertiges, Erschöpfendes erblicken wollte, und wenn er glauben möchte, die ganze Wissenschaft des Lehrlings zu besitzen, wenn er dieses Schriftstück auswendig gelernt hätte. In der VI. Abteilung des Fragebuches lautet die erste Frage: „Können Sie mir zu meiner Zufriedenheit die allegorischen Figuren erklären, welche Sie auf Ihrer Tafel erblicken?“ und der Lehrling in seiner Bescheidenheit antwortet: „Ich hoffe es.“ Und weiter wird gefragt: „Wa rum antworten Sie: ich hoffe es?“ „Weil ein Lehrling in allen Dingen ungewiß ist.“ Das, was in den Erklärungen gesagt ist, sind nur Andeutungen und Anleitungen zu weiterem Forschen und tieferem Eindringen in die Sache des Ordens, deren Tiefe unerschöpflich ist; und wenn die folgenden Ausführungen vielfach über die Erklärungen der Akten hinausgehen, so wollen sie trotzdem auch nichts weiter sein als Anregungen zum selbständigen Suchen und Finden, gegeben von einem, der selbst ein Suchender und darum dem Irrtum Unterworfener ist und sich als Lehrling fühlt. Hören wir jetzt, was unsere Akten uns über die Arbeitstafel sagen. „Die Arbeitstafel, nach welcher die freien und angenommenen Maurer-Ritter-Johannis-Lehrlinge-Brüder ihre Arbeiten verrichten sollen, und welche ihnen von ihren Meistern zum Unterricht mitgeteilt worden, soll viereckig und gleichseitig*) sein, um die Gestalt des Ordens zu bezeichnen, dessen Länge gleich mit seiner Breite, und dessen Höhe gleich mit seiner Tiefe ist; denn die königliche Wissenschaft umfaßt in ihrer Vollkommenheit den Umkreis der Welt.“ *) Wenn wir die unsern Akten beiliegende Zeichnung der Tafel betrachten, so scheint dies nicht ganz richtig zu sein, da die Tafel sich dort nicht als vollkommenes Quadrat, sondern als ein Rechteck darstellt, das, von Westen nach Osten gemessen, länger ist als von Norden nach Süden. Wenn wir dagegen den Raum östlich vom musivischen Fußboden, diesen als Vorhof auffassend, betrachten, so haben wir ein genaues Quadrat vor uns. Mau hat nun gemeint, die Tafel anders herstellen und den Fußboden in das Quadrat einschließen zu sollen. Ich bin jedoch nicht dafür, teils aus ästhetischen Gründen, weil dadurch die beiden Säulen zu gedrungen erscheinen würden, teils aus anderen Gründen, auf welche bei der Betrachtung des Fußbodens eingegangen werden soll. Die quadratische Form der Tafel, auf welche unsere Akten hinweisen, findet noch an einer anderen Stelle Erwähnung. Im Fragebuche ist die Rede von der Gestalt der Loge, deren Länge gleich ihrer Breite, und deren Höhe gleich ihrer Tiefe ist. Dort wie hier bei der Betrachtung der Tafel wird durch den Kubus bzw. das Quadrat hingewiesen auf die Vollkommenheit, für welche die Vierzahl, die wir im Quadrat, der Grundfläche des Kubus, finden, das Sinnbild ist. „Die königliche Wissenschaft umfaßt in ihrer Vollkommenheit den Umkreis der Welt.“ Wie das geschieht, das zeigen auch vornehmlich die drei verschiedenen Bedeutungen unserer Symbolik. Es ist öfters darauf hingewiesen worden, daß alles, was der Orden uns bietet, eine moralische, eine historische und eine freimaurerisch-wissenschaftliche Bedeutung hat. Das gilt namentlich von dem Inhalt der Tafel. Ihre Figuren zeigen uns die tiefsten Ideen, sie deuten hin auf die weltbewegenden Kräfte, durch welche sich alles entwickelt und vollzieht. Vom Engeren zum Weiteren und Weitesten fortschreitend, werden wir durch sie geführt und angeleitet; von der eigenen Persönlichkeit läßt uns die moralische Bedeutung ausgehen, während die historische Bedeutung unseren Blick auf die Geschichte der Menschheit und auf ihre Entwicklung zur Vollendung lenkt; die wissenschaftliche Bedeutung aber erschließt uns das Weltall, zeigt uns seine Gesetze und läßt uns einen Blick tun in die Werkstätte des allmächtigen Weltenmeisters. Wenn die Gebräuche der Lehrlingsaufnahme uns den praktischen >402< Weg zeigen, welchen derjenige, der unsere k. Kunst erlernen will, einzuschlagen hat, so ist in der Zeichensprache der Tafel die wissenschaftliche Theorie enthalten, welche unserer Kunst zugrunde liegt. Jede Kunst ist auf einem Wissen gegründet. Der praktischen Ausführung muß das theoretische Wissen vorangehen. Ohne dieses wächst das künstlerische Schaffen wild und schrankenlos empor und geht einer sicheren Entartung entgegen. Nur wenn die künstlerische Übung sich stützt auf eine klare Erkenntnis dessen, was zu leisten ist, und wie dies zu geschehen hat, wird das Bemühen des Strebenden vom rechten Erfolge gekrönt und ein wahres Kunstwerk geschaffen. Ganz ebenso verhält es sich auch in unserer k. Kunst, und wie großes Gewicht der Orden auf die theoretische Erkenntnis legt, geht daraus hervor, daß er nicht nur von einer königlichen Kunst, sondern auch von einer königlichen Wissenschaft redet. Das geschieht nicht nur an der oben angeführten Aktenstelle, sondern auch an einer Stelle des Lehrlings-Fragebuches, wo es heißt: „Was wird unter Maurerwissenschaft verstanden ?“ „Die Lehre von der Erhebung des Menschen durch Tugend zum Lichte und die Kenntnis von dem Verborgenen oder dem Geheimnis des Ordens.“ (Erb., IV., 5.) Über diese Stelle ist ausführlicher in den beiden Vorträgen über das Geheimnis des Ordens gehandelt worden. Diese Lehre, welche die Theorie der k. Kunst enthält, sucht nun der Orden darzustellen durch die Figuren der Lehrlingstafel, also nicht durch dogmatische Sätze, sondern durch Zeichen, welche erst durch die Arbeit des Lernenden Leben und Sprache gewinnen sollen. Man hat vielfach gemeint, daß der symbolische Weg, den der Orden uns vorschreibt, bedenklich sei, und es ist schon öfter allen Ernstes der Vorschlag gemacht, ihn zu verlassen, und alle Sinnbilder als „nicht mehr zeitgemäß“ abzuschaffen. Man hat geglaubt, daß eine Symbolik, welche verschiedenartiger Deutung unterliegt, leicht vom rechten Wege ablenken und zum Irrtum verführen könne. Daß ein solches Irren stattfinden kann, darf nicht geleugnet werden; ja, die Geschichte der Freimaurerei beweist es, wieviel und wie verhängnisvoll nach dieser Richtung geirrt worden ist. Das darf uns aber nicht abschrecken, denn „Irren ist menschlich“. Ein Irren findet bei jeder Kunstübung statt. Der Stift des Zeichners kann entgleisen, und der Hammer des Bildhauers kann fehlschlagen. Wenn es dem Kunstjünger aber rechter Ernst ist, so wird er auch aus seinen Fehlern lernen, und der Irrtum wird ihm zum Mittel werden, der Wahrheit näher zu kommen. Faßt er die Sache mit heiligem Eifer und mit reinen Händen an, so wird es ihm nicht schwer fallen, Irrtümer zu vermeiden, umsomehr als der Orden es an Hinweisungen und Anregungen, den rechten Weg zu finden, nicht fehlen läßt. Die Resultate aber, die er gewinnt, prüfen sich an sich selbst. Das Echte und Wahre wird ihm zum bleibenden Besitz, und freudigen Mutes fühlt er sich dadurch gefördert und gehoben; das Falsche aber hat nicht Bestand, es fällt von selbst ab wie die taube Blüte vom Baume. Wollte man der Freimaurerei ihre Symbole nehmen, so wäre das gleichbedeutend mit ihrer Zerstörung; der ihr allein eigentümliche Weg des Erkennens und des innerlichen Erlebens würde dadurch gänzlich verschüttet werden. Darum wollen wir treu bewahren, was uns von unseren Vätern treu überliefert ist, und was sie im Wechsel der Zeiten als über dem Zeitgeist stehend erprobt und bewährt gefunden haben. Unsere Sinnbilder sind das Einfachste, das sich denken läßt; sie sind geometrischen Ursprungs; Linie, Winkel, Dreieck, Viereck usw. liegen ihnen zugrunde. Darum sind sie unveränderlich, denn wer will diesen Urelementen der Gestaltung etwas hinzutun oder etwas hinweg nehmen. Diese einfachsten Formen aber reden zu uns von dem tiefsten und Bedeutendsten, dazu sind sie vor allem geeignet; denn das wahrhaft Große und Erhabene ist stets einfach. Nachdem nun unsere Akten uns in der quadratischen Form unserer Tafel auf das Weltumfassende ihres Inhalts hingewiesen haben, reden sie uns von der Art, wie sich die Sinnbilder auf dem Grunde der Tafel darstellen. In den Erklärungen (L. B. II, Beil., S. 43) heißt es: „Der Grund der Tafel ist schwarz, die Figuren darauf sind weiß; denn das Dunkel, welches auf allen Seiten unsere Arbeiten umgibt und unsere Geheimnisse verhüllt, wird endlich, wenn die Zeit erfüllet ist, dem Lichte der Wahrheit weichen, deren klarer Schein allen Arbeiten der Freimaurerei Leben, Stärke und Schönheit gibt.“ Und im Fragebuche (Abt. VI, Fr. 3) heißt es: „Weshalb ist die Arbeitstafel der Johannis-Lehrlinge schwarz und die Figuren weiß?“ >404< „Weil das Dunkel, welches unsere Kenntnisse umgibt, vor dem Lichte der Wahrheit flieht.“ Schwarz und weiß, die Farben der Finsternis und des Lichtes sind es, die wir auf unserer Tafel erblicken. Den überwiegend größeren Raum nimmt die schwarze Farbe ein; sie bildet den dunklen Hintergrund des Bildes, von welchem sich die bedeutungsvollen Figuren in lichtem Weiß abheben wie die Sterne vom nächtlichen Himmel. Ein treues Bild der Welt haben wir hier vor uns, wie wir es erblicken im eigenen Leben, im Leben der Menschheit und in der Natur, die uns umgibt. Die weißen Figuren reden davon, wie das Licht bestrebt ist, sich zu offenbaren, die Finsternis zu durchdringen und aufzuhalten, sie zeugen von den Ideen, auf denen das Leben und seine Entwicklung vom Unvollkommenen zur Vollkommenheit beruht, und sie weisen auf eine Zukunft hin, in welcher das höchste Ziel dieser Entwicklung erreicht sein wird. Dieses Hervorbrechen des Lichtes aus der Finsternis, diesen Sieg der Wahrheit über den Irrtum zu schauen und fördern zu helfen —, das ist des vernunftbegabten Menschen herrlicher Beruf, seine höchste Bestimmung. Soll er aber diesen Beruf wahrhaft erfüllen und ein tätiger und fruchtbringender Mitarbeiter an dem großen Werke werden, dann muß er, der das Bild der Welt in seinem Inneren trägt, erst in sich selbst die Gegensätze des Lichtes und der Finsternis erleben und die Schwere ihres Kampfes erfahren. Der Mensch wandelt im Dunkeln und sucht durch Erweckung und Vermehrung der in ihm wohnenden sittlichen Kraft sich zum göttlichen Lichte zu erheben. Je ernster er es mit dieser Aufgabe meint, desto mehr lernt er ihre Schwierigkeit erkennen, desto drückender fühlt er das Gewicht, das ihn belastet und seinen Flug zum Lichte hemmt. Sein vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Leben erscheint ihm wie eine schwarze, in Finsternis getauchte Tafel, auf deren dunklem Grunde sich als leuchtende Punkte jene höheren Momente seines Daseins abheben, in denen er der Gottheit näher gerückt erschien, in denen ihr Licht ihn durchleuchtete und beseligte. Das sind die hellen Figuren auf der Tafel seines Lebens. Sie festzuhalten, ihr Licht auf seinen Weg strahlen zu lassen, und auch dann, wenn der Geist der Finsternis seine schwarzen Flügel um ihn schlägt, sie nicht zu verlieren und ihrer Wirksamkeit bewußt zu bleiben, das ist die schwere Kunst, die er auszuüben hat. Gelingt es ihm, in ihr fortzuschreiten, dann wächst er sich aus zur sittlichen Persönlichkeit, dann erlangt er die Kraft, nach außen zu wirken und den Segen des Lichtes, den er in sich selbst erfahren hat, um sich her zu verbreiten. Erlöst vom Selbstschein, erweitert sich sein Blick; er sieht nicht mehr sich allein, sondern auch seine Mitmenschen, die lieben ihm wandernd, den gleichen Weg suchend, irrend streben und strebend irren. Er erkennt sie als Brüder, denen er helfen muß, nicht durch äußerliche Mittel, durch welche er ihnen die Schwere des Daseins zu erleichtern sucht, sondern indem er, die Pflichten höchster Wohltätigkeit erfüllend, ihnen das Licht, das ihm selbst scheint, zu übermitteln sucht und es sie finden und benutzen lehrt. So wird er zum Erretter und Heiland, zum Tröster und Führer für seine leidenden, im Joch der Finsternis schmachtenden Brüder. Und von dem Bruder, der ihm zur Seite geht, richtet er seinen Blick auf die Menschheit. Auch ihre Tafel ist schwarz, und spärlich sind die hellleuchtenden Zeichen, welche sie aufweist. Die Geschichte der Völker ist ein fortwährender Kampf, der kein Ende nehmen will. Wieviel Blut und Tränen weist sie auf, wieviel Wirren und Greuel; sie werden nicht weniger trotz unserer so hoch entwickelten Kultur, und gerade durch das Licht, das die Fortschritte auf allen Gebieten gebracht haben, erscheinen die dunklen Schatten um so schwärzer. Auf dem dunklen Hintergrunde der Weltgeschichte sehen wir einzelne leuchtende Punkte. Einzelne Helden treten auf, gottbegnadete Bringer des Lichtes, Zeugen der Wahrheit, die sie geschaut, und für die sie bereit waren, ihr Blut und Leben hinzuopfern; sie führen neue Zeiten herauf, sie eröffnen neue Wege und geben neue Gesetze. Aber die Finsternis rastet nicht; sie kann das Licht nicht begreifen; sie geht entweder achtlos an seinen Zeichen vorüber, oder sie wendet sich dagegen und bekämpft es. Ebenso spärlich wie jene Lichthelden auftreten, ebenso selten sind auch die Siege, welche das Licht erringt, und aus denen ein bleibender Gewinn der Menschheit erwächst. Der größte Lichtheld, der je gelebt hat, ist Jesus von Nazareth. Er steht mitten in der Weltgeschichte, wie der flammende Stern mitten auf unserer Arbeitstafel steht. Welch wunderbares Licht hat er der Welt gebracht, und welche Fülle von Wahrheit ihr verkündigt! Aber auch sein Licht hat die Finsternis noch lange nicht begriffen. Es ist diesem Lichte noch lange nicht gelungen, die dunklen Tafeln der Weltgeschichte aufzuhellen. Selbst diejenigen, die sich seine Priester nennen, haben so vielfach sein Licht gefälscht, seine Wahrheit verdreht und sind darüber >406< aus Priestern zu Pfaffen geworden, die in ihrer Herrschsucht, ihrer Unduldsamkeit und in ihrem Fanatismus die entsetzlichsten Greuel verübt haben und noch verüben. „Er kam in sein Eigentum; aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Jawohl! Die Tafel der Weltgeschichte ist schwarz, und sie enthält nur spärlich helle Figuren. — Aber dennoch! Des Lichtes Kraft ist groß, und sein endlicher Sieg kann nicht zweifelhaft sein, und wir, die wir als Streiter mitten in diesen Kampf gestellt sind, dürfen am wenigsten daran irre werden. Der große Weltenmeister hat uns das Auge geöffnet für die Wirksamkeit seines ewigen Lichtes, die sich uns offenbart, wenn wir unsern Blick auf den Kosmos richten, auf den großen Tempel, in dessen mittelstem Baume er wohnt. Das Weltganze erscheint dem menschlichen Sinn wie ein buntes Durcheinander, das sich aus unzähligen Erscheinungen und Bildern zusammensetzt. Die Mehrheit der Menschheit geht, nur den Interessen der Ichsucht folgend, daran achtlos vorüber; sie wandelt im Dunkeln der Weltentafel, ohne ihre leuchtenden Zeichen wahrzunehmen. Wohl erfreut sich der feiner organisierte Mensch an den Bildern der Natur und fühlt in ihrem ästhetischen Genuß sein Herz bewegt und erhoben. Aber nur demjenigen, der hinter jenen Bildern die ewig waltenden Gesetze aufsucht, erschließt sich ahnungsvoll der Zusammenhang des Ganzen, das sich ihm als eine große Einheit enthüllt. Wohl findet auch er Kampf, wohin er blickt; es ist der Kampf ums Dasein, der überall in der Natur, auf Erden und selbst am Himmel, sich vollzieht. Aber er gewahrt auf der dunklen Weltentafel, sich über Raum und Zeit erhebend, wo die an die Materie gebundenen Dinge hart aneinanderstoßen, in leuchtenden Zeichen das ewige Licht, das die unendliche Liebe aussendet, um alles Erschaffene zum einen Mittelpunkte zurückzuführen. — Dies alles lehren die weißen Figuren auf der schwarzen Tafel. Sie leiten von der Finsternis zum Lichte und lehren das Geheimnis des Ordens, das endlich, wenn die Zeit erfüllet ist, sich offenbaren wird an dem zu seinem Ursprunge strebenden Menschen, an der zu seligem Frieden sich durchringenden Menschheit und an dem Weltganzen, das seiner ewigen Bestimmung und Entwicklung nach unwandelbaren Gesetzen zuschreitet. (1888. 1904.) Der Rahmen der Arbeitstafel. Wie oft ist schon dem Orden ein Vorwurf daraus gemacht worden, daß er sich mit dem Schleier des Geheimnisses umgibt. „Wenn das, was ihr in euren Logen treibt, etwas Gutes ist, warum tretet ihr nicht offen damit hervor und lasset alle Welt daran teilnehmen? Warum scheuet ihr das Licht und verbergt euch hinter Mauern und verschlossenen Türen? Warum diese Geheimniskrämerei, die doch für unsere fortgeschrittene Zeit vollends nicht mehr paßt?“ — So sprechen die Profanen, und wir sind kaum in der Lage, ihnen eine andere Meinung beizubringen und sie von der Notwendigkeit unseres Abschließens von der Welt überzeugen zu können, weil nur derjenige, der unsere Sache kennt, diese Notwendigkeit einsehen kann. Wir scheuen nicht das Licht, sondern wir suchen es; wir lieben nicht die Finsternis, sondern wir hassen sie und suchen sie uns fernzuhalten und aufzuhellen. Unsere ganze k. Kunst aber hat den Zweck, das göttliche Licht der Wahrheit zu finden, zu verstehen, zu ergreifen und in uns zur Wirksamkeit zu bringen. Was uns daran hindert, das ist eben die Finsternis. Wie vieles gilt draußen für lichtvoll und groß und ist doch nichts als eitel Blendwerk, das sich den Schein des Lichtes erborgt hat und der Finsternis entstammt. Solches Licht scheuen wir allerdings und wehren ihm sorgsam den Eingang. Daher die undurchdringlichen Mauern, daher die verschlossenen Türen, daher die Prüfung derjenigen, die zu uns herein wollen, und die Abstimmung über ihre Aufnahme. Der Orden geht aber in seiner Vorsicht noch weiter. Auch diejenigen, die, aus der profanen Welt kommend, die Pforte der Loge durchschritten haben, unterwirft er ferneren Prüfungen und läßt nur diejenigen in sein Innerstes dringen, die ihm als Geläuterte erscheinen, welche der Finsternis entsagt haben. Wenn nun das, was >408< auf unserer Arbeitstafel verzeichnet steht, die Kunde ist von dem Licht und Wort und von den über jeden Wandel und Wechsel erhabenen Gesetzen des Lebens und seiner Entwicklung zum Licht, mit einem Wort, von dem Geheimnis des Ordens, so folgt daraus, daß nur diejenigen imstande sind, das Geheimnis des Ordens zu ergründen, zu ergreifen und zu verteidigen, welche unablässig bestrebt sind, ihr Inneres zu reinigen und durch Läuterung von den Schlacken der Finsternis sich dazu geschickt zu machen; denn das Geheimnis enthüllt sich uns nur durch unsere maurerische Arbeit. Wer nie maurerisch gearbeitet hat, der geht an dem verborgenen Schatz achtlos vorüber, ohne zu ahnen, wo er liegt, wie groß sein Wert ist, und auf welche Weise er gehoben werden kann. An diese Schwierigkeiten und Widerstände, welche überwunden werden müssen, wenn wir in das Innere dringen wollen, erinnert uns der Rahmen, welcher die Arbeitstafel einfaßt. Er ist es, der unsere Geheimnisse einschließt und vor Entweihung bewahrt. Ebenso wie die Arbeitstafel erscheint auch der Rahmen in schwarzer und weißer Farbe, und die Zeichnung, die er zeigt, besteht, ganz ähnlich dem musivischen Fußboden, aus schwarzen und weißen Dreiecken. Gleichsam wie Palisaden stehen die weißen Dreiecke als lichtvolle Wächter um die Tafel herum, um allem den Eingang zu wehren, was noch in Finsternis ist. Der Lehrling, wenn er zur Arbeit eingetreten ist, und die Tafel ihm bei Eröffnung der Loge enthüllt wird, sieht wohl ihre Zeichen, aber er ist noch weit davon entfernt, ihren Inhalt begriffen zu haben. Begreift nun der Geselle oder der Meister oder der noch höher graduierte Bruder die ganze Tiefe dessen, was auf der Arbeitstafel verzeichnet steht? Nein! Das ganze Geheimnis des Ordens ist in ihren Zeichen enthalten, und alle diejenigen, die noch auf einer niederen oder höheren Stufe stehen, haben sich des Inhalts nur mehr oder weniger vollständig bemächtigt. Darum ist es jedem verboten, die Arbeitstafel zu betreten oder über sie hinwegzuschreiten. Wohl wird der Aufzunehmende mit den drei merkwürdigen Schritten durch die Tafel hindurch und über sie hinweg geführt, aber es geschieht, wenn noch die Binde seine Augen umhüllt, und nur der Suchende, der ein Anhaltender und zuletzt ein Leidender geworden ist, vermag den Rahmen zu durchbrechen. Der einzige, welcher die Tafel betreten und überschreiten darf, ist der Weiseste Ordens + Meister. Er gilt uns als derjenige, der das Geheimnis am tiefsten und vollkommensten erfaßt haben soll. Damit stimmt überein, was unsere Akten über den Rahmen sagen. Es heißt daselbst (L. B. II, Beil., S. 43) : „Der Rahmen, welcher alle diese geheimen Figuren ein schließt, drängt unsere Geheimnisse auf eine Stelle zusammen. Der große Baumeister der Welt bestimmte uns nicht zu einer eingeschlossenen und verborgenen Gesellschaft; als aber Gewalt, Arglist und Bosheit überhand nahmen, ward Offenherzigkeit ein Fehler, Verschwiegenheit eine Tugend und Vereinigung gegen die Übermacht eine Notwendigkeit, welches wir mit diesem geschlossenen Rahmen anzeigen wollen.“ Das Fragebuch aber spricht sich (Abt. VI, Fr. 4) folgendermaßen darüber aus: „Was bedeutet der um die Arbeitstafel der Johannis-Lehrlinge geschlossene Rahmen?“ „Gleichwie dieser Rahmen die auf der Tafel gezeichneten Figuren umschließt, so müssen auch die Geheimnisse des Freimaurer-Ordens in eines rechtschaffenen Freimaurers Herzen eingeschlossen sein.“ Wenn wir die angeführte Stelle unserer Tafelerklärung betrachten, so drängt sich die Frage auf: wann geschah es, daß Gewalt, Arglist und Bosheit überhandnahmen, wann war die Veranlassung gegeben, daß die Hüter des maurerischen Lichtes sich in die Verborgenheit zurückzogen? — Ich will es dahingestellt sein lassen, ob unsern Vätern, als sie diese Worte niederschrieben, irgend ein auf die Geschichte des Ordens bezügliches Faktum vorgeschwebt hat; wir würden aber entschieden fehlgehen, wenn wir jene Worte lediglich im historischen Sinne auffassen wollten. In der Geschichte der Allgemeinheit werden wir einen solchen Zeitpunkt schwerlich verzeichnet finden, wohl aber in der Geschichte jedes einzelnen Menschen. Das Kind ist offenherzig und arglos. Es erblickt in jedem, der mit ihm freundlich tut, auch einen Freund, es vertraut und glaubt alles, was man ihm sagt. Auch der Jüngling, der ins Leben tritt, ohne die Welt zu kennen, ist noch voll Vertrauen und glaubt von jedem das Beste. Aber bald wird es anders. Trübe Erfahrungen bleiben nicht aus. >410< Er lernt Heuchelei und Lüge kennen, das Böse tritt ihm in jeder Gestalt entgegen und raubt ihm das Vertrauen; und wenn ihm sein gutes Herz auch gebietet, zunächst von jedem Menschen das Beste anzunehmen, so wird er doch vorsichtig, und er fängt an, das, was ihm seine Mitmenschen an Gesinnungen, Worten und Taten entgegenbringen, auf seine Echtheit zu prüfen. Ein Rahmen fängt an, die Tafel seines inneren Lebens zu umziehen; denn er hat nur zu schmerzlich erfahren, daß Gewalt, Arglist und Bosheit mächtiger sind als sein reines, unbefangenes Herz. Wohl ihm, wenn er sich durch trübe Erfahrungen nicht verbittern läßt; wohl ihm, wenn er sich das Heiligtum seines Innern rein bewahrt, ohne sich von der Finsternis in ihren Strudel hineinziehen zu lassen und selbst ihr Werkzeug zu werden. Dann baut er, der sich sagen muß, daß er als einzelner gegen die furchtbare Übermacht der Finsternis nicht aufkommen kann, sein wohl beschütztes inneres Heiligtum aus, in welches er seine heiligsten Gedanken und Empfindungen verschließt; denn, wie der Dichter sagt: „Die Wenigen, die was davon erkannt, Die, töricht g'nug, ihr volles Herz nicht wahrten, Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.“ Warum sagte der Obermeister: „Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließe die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen.“ (Matth. 6, 6.) Und warum sagte er: „Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselben nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen.“ (Matth. 7, 6.) Warum sagte er das? Aus demselben Grunde, aus welchem der Orden sich in das Verborgene zurückzog und einen Rahmen um seine Arbeitstafel legte. Wohl ist es wahr, daß der große Baumeister, wie es in unserer Aktenstelle heißt, uns nicht zu einer eingeschlossenen und verborgenen Gesellschaft bestimmte. Nach seinem Willen dürfte eigentlich unser Orden gar nicht vorhanden sein, denn er will, daß das, was das eigentliche Wesen unserer Vereinigung ausmacht, in jedem einzelnen Menschen lebendig sei. Jeden Erdgeborenen hat er ausgestattet mit einem Funken seines ewigen Lichtes, und er hat gewollt, daß in jedem dieser Funke in richtiger Erkenntnis der Wahrheit und in Freiheit des Willens entwickelt werden sollte. Das ist es, was jeder Menschenseele ihren unendlich hohen unschätzbaren Wert verleiht. Denn in jedem Menschen ist eine heilige Werkstatt angelegt, in der sich aus unscheinbarem Keim ein göttliches Leben entwickeln kann. Aber diese Freiheit des Willens, die des Menschen höchstes Gut ist, wird ihm zugleich zu seinem Verhängnis. An den Scheideweg gestellt, wo der breite Weg, der zur Finsternis führt, sich scheidet von dem schmalen Pfade des Lebens, verfällt er dem Wahn und gesellt sich dem Herrn der Finsternis zu. So kommt es, daß Gewalt, Arglist und Bosheit überhandnehmen, und daß Verschwiegenheit eine Tugend und Vereinigung gegen die Übermacht eine Notwendigkeit wird. Darum der Rahmen, der unsere Geheimnisse auf eine Stelle zusammendrängt. Nur diejenigen lassen wir herein, die, mit uns gleichgesinnt, den schmalen und steilen Weg der Tugend gehen wollen. Mit ihnen vereinigen wir uns und finden so den sichersten und festesten Halt gegen die feindlichen Mächte. So wie kein Fremdling in den geschlossenen Kreis einer Familie eindringen darf, weil seine Geheimnisse nur für die Glieder des Hauses bestimmt sind, so stehen wir treu verbundene Brüder zusammen, uns haltend und stützend, unsere Herzen einander öffnend, und das Heiligste, das uns bewegt, einander vertrauend. Das ist der Sinn des Rahmens um unsere Tafel; das ist der Grund, weshalb die Freimaurerei sich abschließen muß, und weshalb sie das Treiben der Welt ein profanes nennt. — Aber der Rahmen der Tafel hat noch eine tiefere Bedeutung. Der Orden lenkt unsern Blick von dem eigenen Selbst und von den beschränkten Kreisen, in denen wir uns bewegen, auf die Entwicklung des Ganzen, vom einzelnen Menschen auf die Menschheit. Er lehrt uns die Gesetze dieser Entwicklung aufsuchen und verstehen, wie sie sich im Fortschreiten des Menschengeschlechts zeigen. Große Taten und mächtige Geistesbewegungen verzeichnet wohl die Weltgeschichte auf ihren Blättern, aber von dem Größten und Schönsten, das jene weltbeglückenden Früchte zur Reife gebracht hat, muß sie schweigen, weil es tief verborgen, weil es ein Geheimnis ist. Wir sehen staunend zu dem mächtigen Eichbaum empor, wie er seine Äste ausbreitet und seine stolze Krone gen Himmel erhebt, aber von seinem geheimnisvollen Wachstum, von dem Lebenssaft, der in den Zellen webt, von der wunderbaren Kraft, die aus der unscheinbaren Eichel den Riesen des Waldes erstehen ließ, können wir nichts merken, das vollzieht sich in stiller geheimnisvoller Werkstätte. So ist es auch im Leben der Menschheit. Was die Weltgeschichte uns an großen Errungenschaften zeigt, das sind nur die fertigen Resultate einer inneren >412< Arbeit, die sich unserer Beobachtung entzieht. Das Höchste und Größte, das der Menschheit frommt, wird nicht auf Schlachtfeldern erkämpft, auch nicht auf den Rednerbühnen der Parlamente errungen. Nicht in dem Hader der Parteien offenbart sich das wahre Leben der Völker, sondern im Verborgenen. Überall da, wo reines und rastloses Streben nach Licht und Wahrheit wach wird, sei es im stillen Arbeitszimmer des Gelehrten, im einsamen Atelier des Künstlers oder im tiefsten Herzen des Geisteskämpfers, da breitet die Weltgeschichte die geheime Arbeitstafel der Volksseele aus, durch deren festgeschlossenen Rahmen nur der Geistesverwandte dringt, um seine geringe Kraft mit jenen treibenden Kräften zu vereinigen. Ihnen fühlt der wahre Freimaurer, der es ernst mit seiner Kunst meint, sich kongenial. Mag seine Kraft noch so klein sein, sie ist nicht vergebens da und wird ihre Frucht bringen zur rechten Zeit. Ja, der recht Strebende wird einen Lohn erlangen, der noch über das Bewußtsein, seine Arbeit nicht verloren zu wissen, hinausgeht. Auch der große Baumeister der Welt hat seine Arbeitstafel, auf welcher er die höchste Lösung der Welträtsel verzeichnet hat, mit einem undurchdringlichen Rahmen umzogen. Naturforscher und Weltweise bemühen sich vergebens, ihn zu durchbrechen, um das Dunkel aufzuhellen, in dem Jehovah wohnen will. Solange sie auf menschliches Erkenntnisvermögen und menschlichen Scharfsinn sich stützen, vermögen sie es nie. Nur dem Menschenherzen, das in unablässigem Eingen nach Reinheit und Veredlung seinen Gott sucht, naht sich der Ewige. Er will sich finden lassen und hebt dem Geläuterten selbst die Decke von seinen Heiligtümern. Wohl kann der Sterbliche, solange Erdenbande ihn fesseln, das volle Licht der Gottheit noch nicht ertragen; aber eine Ahnung davon geht ihm auf, und in dem Frieden seines Herzens spürt er den harmonischen Zusammenklang des Menschlichen und Göttlichen, und der große Plan und letzte Zweck des Weltenmeisters ist ihm kein Geheimnis mehr. Zwar in Worte kann er es nicht fassen, dieses höchste Geheimnis; aber er spürt es in seinem Inneren; denn: „Das kein Auge gesehen, und kein Ohr gehöret hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Uns aber hat es Gott geoffenbaret durch seinen Geist; denn der Geist erforschet alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ (1. Kor. 2, 9 u. 10.) (1888. 1904.) Die auf dem Rahmen der Tafel verzeichneten Himmelsgegenden. Wenn der Suchende mit verbundenen Augen und unsicheren Schrittes auf Umwegen zur Logentür geführt wird, und wenn er später bei seinen Reisen mehrfach umkehren muß, verliert er gänzlich die Richtung und ist gezwungen, sich vertrauensvoll ganz seinem Führer zu überlassen. Wenn dann endlich die Binde gefallen ist, hat er vor allem das Bedürfnis, sich zurechtzufinden und sich zu unterrichten, wo er sich eigentlich befindet. Zwar hat er aus den Worten des wachthabenden Bruders, der dem Anhaltenden die Pforte öffnete, erfahren, daß er nach Durchschreiten derselben die Loge betreten hat, aber die Loge ist ihm ein unbekanntes Gebiet; er steht auf einem Boden, auf den er seinen Fuß vorher noch nie gesetzt hat. Wenn die Binde gefallen ist, und der Suchende den unvergeßlichen Eindruck des ersten maurerischen Lichtes, das ihm erteilt worden, auf sich hat einwirken lassen, dann schaut er wohl auch umher und schlägt sein suchendes Auge zu der Decke des Tempels empor. Daselbst erblickt er den gestirnten Himmel und erkennt aus ihm, daß die Loge ein Abbild des Weltgebäudes ist. Weshalb nun stellt der Orden demjenigen, der aus der Welt zu ihm kommt, über dessen Haupt sich allezeit der Himmel wölbt, und dem die Sonne tagtäglich leuchtet, in der Loge noch ein besonderes Abbild dieser Welt dar? — Das geschieht darum, daß der Maurer die Welt, die so vielfach mit blöden Augen und verschlossenem Sinn durchwandelt wird, im rechten Lichte sehen lerne. Er soll nicht in ihr umherirren, sondern sich in ihr zurechtfinden, er soll sich, wie man zu sagen pflegt, orientieren. >414< Sich orientieren! Was heißt das ? — Man versteht darunter, durch Aufsuchen einer Himmelsgegend die anderen bestimmen. Der Schiffer auf der öden Heeresfläche blickt, wenn der Himmel in der .Nacht wolkenlos ist, nach dem Polarstern, der ihm zeigt, wo Norden ist. Wenn der Himmel bedeckt ist oder auch bei Tage, wenn die Sterne nicht sichtbar sind, hat er seinen Kompaß, dessen Magnetnadel ihm mit unfehlbarer Sicherheit die nördliche Richtung weist. Dreht er dem Norden den Rücken, so weiß er, daß er vor sich Süden, zur Rechten Westen und zur Linken Osten hat. Damit ist er orientiert. Bei uns Maurern ist eine andere Himmelsgegend die maßgebende: es ist der Osten. Daher können wir den Ausdruck „sich orientieren“ im eigentlichsten Sinne des Wortes gebrauchen; denn der „Orient“ ist es, auf den sich unsere Blicke richten, und der uns die anderen Himmelsgegenden finden lehrt. Auch eine Bussole weist uns der Orden, die uns anzeigt, wo Osten ist: das ist der Rahmen der Arbeitstafel, auf welchem die vier Himmelsgegenden verzeichnet stehen. Sie zeigt uns, daß Osten da ist, wo der Altar steht, und wo der Meister seinen Sitz hat, Norden und Süden, wo die Brüder gereiht sind als Bürger einer idealen Welt; Westen aber liegt hinter uns, wo die Pforte ist, durch welche wir eintraten. Indem die Arbeitstafel uns so orientiert, bringt sie uns zum Bewußtsein, daß auch wir im Herzen eine Bussole tragen, die uns nach Osten, dem Sitz des Lichtes, hinweist, wo die Sonne sich erhebt über den Horizont und emporsteigt am Firmament, um uns die Dinge um uns her in dem Glanze ihres Lichtes erkennen zu lassen. Diese vergängliche Sonne aber, deren Licht einst auch erlöschen muß, wird uns zum Sinnbild für die Geistessonne, deren Licht durch die Ewigkeiten strahlt, und die auch in unser Inneres hinein leuchtet, um dort das in uns schlummernde, ihr wahlverwandte Licht zu entzünden. Aus dem Abgrunde des Lichtes, dem ewigen Osten, steigt sie uns entgegen, und der Zug unseres Herzens drängt uns zu ihr hin. Wir sind recht orientiert und haben die feste sichere Richtung. Darum wird im Fragebuche dem Lehrling das Wort in den Mund gelegt: „Ich war im Dunkeln und wünschte das Licht zu sehen.“ Darum trat der Suchende ein durch die westliche Pforte, aus der unerleuchteten Welt kommend, aus der Gegend, die dem Licht im Osten abgewandt ist. Westen ist der Ort des Unbewußten, unfreien; aus ihm brechen wir auf nach Osten und suchen dort Klarheit und Freiheit, wo der Meister seinen Sitz hat. Aber der Weg dorthin ist für den Sterblichen nicht leicht zu finden, denn, „es irrt der Mensch, solang' er strebt“. Er muß reisen. Aus dem Suchenden muß ein Anhaltender, aus dem Anhaltenden ein Leidender werden. Immer gelangt er wieder nach Westen zurück, anstatt den Osten zu erreichen. Und wenn er endlich auf den rechten Weg gebracht ist, der nach Osten zum Meister führt, dann ist es ihm auch noch nicht vergönnt, in gerader Richtung vorwärts zu gehen. Es ist, als wenn eine starke Strömung, die er direkt nicht überwinden kann, sich ihm hindernd entgegen stemmt. So wie der Schiffer bei entgegenstehendem Winde gezwungen ist, sein Fahrzeug im Zickzack zu lenken, zu lavieren, um vorwärts zu kommen, so muß auch der Maurer durch Süden und Norden hindurch, wenn er sich dem Osten nähern will. Er muß das Leben erfahren, erfassen und verstehen lernen von seiner hellen und von seiner dunklen Seite. Der linde Hauch aus Süden muß ihn anwehen, und der rauhe Sturmwind aus Norden muß ihn durchschütteln, des Lebens Fülle und Schönheit muß ihn erheben, und seine finsteren Abgründe müssen ihn erschüttern. So vollendet er jene drei merkwürdigen Schritte über die Arbeitstafel von Westen durch Süden und Norden nach Osten, bei denen, wenn sie richtig gemacht werden, er die vier auf der Tafel verzeichneten Himmelsgegenden mit den Füßen berührt. Er muß lavieren. Aber bei allem Wanken und Schwanken ist er orientiert, wenn er den ewigen Osten im Gesicht behält. Sein Kurs ist der rechte; denn die Aufseher, Vernunft und Gewissen, sind mit ihm; sie sitzen am Steuer und lenken sein Schifflein zum sicheren Hafen. So orientiert sich der Maurer in der Loge, die er fortan als Heimstätte bewohnen soll; er erkennt sie als die Werkstatt der k. Kunst, die ihm alles bietet, was ihn in der Erlernung derselben fördern kann. Der Weg über die Tafel mit seiner Durchschreitung der vier Himmelsgegenden zeigt ihm deutlich, wie er, das Böse und Finstere abweisend, das Gute und Schöne in sich aufnehmend, das wahre Leben in sich entwickeln und Fortschritte auf der Bahn des Lichtes machen kann. — Dies alles konnten wir aus unserer eigenen Anschauung und Überlegung aus den auf dem Rahmen verzeichneten Himmelsgegenden lernen. Wir dürfen aber einen wichtigen Fingerzeig nicht übersehen, welchen uns unsere Akten in dem geben, was sie über diesen Gegenstand >416< sagen. Es heißt in unsern Erklärungen (L. B. II, Beil., S. 43) und im Fragebuch (VI, 5): „Die vier auf der Tafel bemerkten Himmelsgegenden bedeuten, daß unsere Brüder über alle Weltteile zerstreut sind.“ Diese Aktenstelle scheint sich in einen gewissen Widerspruch zu setzen mit dem, was über den Rahmen gesagt ist. Dieser soll ja unsere Geheimnisse auf eine Stelle zusammendrängen, und nun erfahren wir, daß in unsern Brüdern die maurerische Idee über den ganzen Erdkreis zerstreut sei. Das maurerische Geheimnis ist also nicht in das enge Viereck eingeschlossen, sondern es lebt überall in der Zerstreuung. Wer sind nun „unsere Brüder?“ Wir können dieses Wort hier in dreifachem Sinne verstehen. Zunächst müssen wir dabei wohl an unsere Ordensbrüder denken, an diejenigen, die durch dieselbe (oder eine ähnliche) Aufnahme wie wir Mitglieder einer anerkannten Loge geworden sind. Aber ich meine, wir würden damit nicht das nichtige treffen. Ja, wenn jeder, der mit dem Freimaurernamen, den er durch die Aufnahme erwirbt, auch das wahre Freimaurertum in Fleisch und Blut übergegangen miterhalten könnte! Aber das ist leider nicht der Fall. Die schwere, unausgesetzte Arbeit, ohne welche ein wahres Freimaurertum nicht errungen werden kann, wird leider von zu vielen gescheut. Wie groß ist die Zahl derjenigen, die da glauben, die ganze Freimaurerei bestehe nur darin, daß man ein guter Staatsbürger und Familienvater sei, dem nichts vorgeworfen werden kann, und die sich deshalb um das, was der Orden ihnen bietet, entweder nur gelegentlich einmal, wenn sie gerade die Lust anwandelt, oder auch gar nicht kümmern. Das sind die Lauen und Gleichgültigen, die da abfallen, wenn es gilt, den Brudernamen zu bewähren, die nicht vergeben und vergessen können, weil sie mit den Arbeiten der k. Kunst ganz im Rückstande geblieben sind, und von der alles überwindenden Liebe, die in dem wahren Freimaurer sich entfaltet, keinen Begriff haben und sich auf die schroffen Ecken ihres rauhen Steines als auf ihre besonderen Charaktereigentümlichkeiten noch etwas einbilden. Ferner, wie viele gibt es in den Freimaurerkreisen, die unter der k. Kunst etwas ganz anderes verstehen als wir, und die in unbrüderlicher und fanatischer Weise nicht aufhören, uns anzufeinden und um unserer Überzeugung willen zu verfolgen. Wir wollen es uns nur gestehen: Die Bruderkette, die den Erdkreis umspannt, und von der so oft in schönen Reden geschwärmt wird, ist eine Illusion. Wenn sie überhaupt vorhanden ist, so ist sie stark brüchig; denn sie enthält viele Ringe, die nicht standhalten und zerspringen, wenn sie einmal straff angespannt wird. Zweitens sind unsere Brüder alle Menschen, weil sie alle Kinder eines ewigen Vaters sind. Es ist eine der schönsten Aufgaben unserer k. Kunst, diese allgemeine Menschenliebe in den Herzen ihrer Jünger zu wecken und zu nähren. Wenn wir von ihr durchdrungen sind, dann können wir wohl sagen, unsere Brüder sind in der ganzen Welt, in Ost und West, in Süd und Nord, zerstreut. Und diese allgemeine Menschen- und Bruderliebe soll uns auch bei unserer Arbeit leiten. Der wahre Freimaurer sieht von seinem Standpunkt aus jene Bruderkette, die den Erdkreis umspannt, verwirklicht, wenn auch nur als Idealbild, das er in seinem liebeglühenden Herzen trägt. Er ist sich bewußt, daß alles, was er durch seine Arbeit in der k. Kunst erringt, nicht nur ihm selbst, sondern der ganzen Menschheit zugute kommen soll, mag es auch noch so klein und geringfügig erscheinen. Denn vor dem Auge des Allvaters ist nichts klein und nichts groß. Aber diese ideale Kette, die der Menschenfreund schlingt, kommt nur ihm allein zum Bewußtsein. Auch sind unsere Menschenbrüder nicht so über alle Weltteile zerstreut, daß wir sie suchen müßten. Sie kommen uns im Gegenteil überall entgegen, und wir finden sie überall, wo Menschen wohnen mit ihren Sorgen und Mühen, mit ihren Leiden und Freuden. Aber es gibt drittens noch eine zerstreute, durch alle Himmelsgegenden verbreitete Brüderschaft, die uns wahlverwandt ist, obwohl ihre Glieder einer Freimaurerloge nicht anzugehören brauchen. Überall da, wo der freimaurerische Geist sich regt, — und das ist auch außerhalb der geschlossenen Logenkreise der Fall — sind sie anzutreffen. Überall, wo Kräfte frei werden, um den Geist des Göttlichen im Menschen zu beleben, zu befreien, zu entwickeln, ihn loszumachen vom Zwange des Buchstabens, und ihn zu fördern auf dem Wege seiner Bestimmung, da ist Freimaurerei vorhanden, da wird gebaut und geschafft an demselben Werke, an dem auch wir bauen und schaffen, und wenn diese Bestrebungen auch nicht sich unserer Organisation einfügen, also gewissermaßen nicht zünftig sind, so kommen sie doch auf dasselbe hinaus, und ihre Träger sind unsere Brüder im höchsten und weitesten Sinne. — Man hört vielfach den Ausdruck gebrauchen: der Mann ist ein Freimaurer ohne Schurz. Ich meine, man muß nicht zu freigebig mit dieser Bezeichnung sein und sie nicht ohne weiteres auf >418< jeden ehrenhaften Mann anwenden. Sie paßt nur auf diejenigen, die wirklich geistig bauen, indem sie zunächst sich selbst zu einem göttlichen Tempel auszugestalten suchen, um dann auf ihre Mitmenschen zu wirken und, ihnen das Licht bringend, am Aufbau der Menschheit mitzuarbeiten. — Daß es solche Mitarbeiter für uns gibt, ist zweifellos; doch sie sind über alle Weltteile zerstreut, und viele haben weder Fühlung mit uns noch untereinander. Ja, wenn es gelänge, alle zu vereinigen und alle ihre Kräfte auf das eine große Ziel hinzulenken, das uns vorschwebt! Das wäre eine unüberwindliche Macht, vor der die Finsternis nicht standhalten könnte! Aber ach! sie sind zerstreut. Wie einzelne Lichtfunken irren sie in dem wüsten und verwirrten Treiben auf der dunklen Erde umher. Die Durchschnittsmenschen überwuchern sie, die nur nach Erwerb und Genuß, nach Ehre und Anerkennung für sich selbst geizen. Sie irren umher auf der dunklen Erde, wo Wissen selten mit Weisheit gepaart, Schaffen selten durch Schönheit verklärt und Macht und Gewalt weit entfernt ist von der Stärke, die uns rüstet mit Begeisterung zur Ausführung des Höchsten und Schwersten. So scheint das Suchen nach den höchsten geistigen Gütern in Gefahr, erstickt zu werden von dem Unkraut, das der Finsternis entsprossen ist, und nur wenige ringen sich hindurch. Sie sind zerstreut, aber sie sind überall in allen Weltgegenden, überall auf Höhen und in Tiefen, im Lichte und im Schatten, in Palästen und in Hütten, unter Weisen und unter Einfältigen sind sie zu finden, ja, vielleicht auch dort, wohin wir unsere Blicke voll Sehnsucht richten, dort über den ewigen Sternen, denn wer sollte denken, daß nur auf der kleinen Erde, diesem Staubkorn im All, sich allein der maurerische Gedanke in dem Suchen nach Gestaltung ewigen Lebens zu verkörpern strebt! — Können denn nun die Zerstreuten sich auch finden ? Ach, nur wenige erkennen sich am rechtwinkligen Wandel, am Griff der Liebe, am Wort der Wahrheit und des Lebens. Aber wo auch immer ein solches Erkennen stattfindet, da ist Licht und Leben, da ist Friede und Harmonie, da gründet sich ein Hort der Wahrheit und Freiheit. — Das ist die unsichtbare Loge mit ihrem stillen, geheimnisvollen und doch so mächtigen Wirken. An sie sollen uns die Himmelsgegenden auf dem Rahmen erinnern, wenn sie uns sagen, daß unsere Brüder in allen Weltgegenden zerstreut sind. Schließlich haben wir bei der Betrachtung der Himmelsgegenden wohl zu beachten, daß dieselben in der innigsten Beziehung zu den Figuren der Tafel stehen. Die Sinnbilder, die im Norden stehen, sollen dienen, die Nachtseite des Lebens zu erhellen, die im Süden sollen Mittel sein, das Licht des Mittags uns in seinem strahlendsten Glanze zu übermitteln, was im Westen liegt, gibt Kunde von dem Wechsel und Wandel der profanen Welt, an welche es grenzt, und was im Osten sich befindet, legt Zeugnis ab von dem unvergänglichen göttlichen Lichte. Was aber in der Mitte der Tafel liegt, das stellt die Wirksamkeit des Lichtes in der Welt und die Entwicklung des göttlichen Lebens im Irdischen dar. Die Stellung der Figuren ist somit keine willkürliche, obwohl es so scheinen könnte. Wer die Tafel zum erstenmal betrachtet, erhält den Eindruck des Unruhigen, Zusammengewürfelten. Bei tieferem Eindringen aber lernen wir bald, uns zurechtzufinden, und unsere Akten helfen uns dazu. Die Erklärungen freilich, die wir in den Beilagen des zweiten Logenbuches erhalten, trennen oft das Zusammengehörige und fügen anderes aneinander, was getrennt hätte bleiben müssen. Dagegen gibt das Fragebuch einen vortrefflichen Fingerzeig zu einer fruchtbringenden Gesamtauffassung der Tafel, indem es die sechzehn Figuren in fünf genau zusammengehörige Gruppen von je drei bzw. vier Symbolen einteilt. Das Fragebuch spricht sich darüber (Abt. VI, Fr. 6) folgendermaßen aus: „Was schließt der doppelte Rahmen ein?“ *) „Drei Zieraten der Loge, drei bewegliche und drei unbewegliche Kleinodien, drei Sinnbilder und vier Gleichnisse.“ *) (Weshalb hier der Rahmen ein doppelter genannt wird, ist nicht recht ersichtlich; vielleicht haben die beiden Reihen von hellen und dunklen Dreiecken, aus welchen er besteht, die Veranlassung zu dieser Bezeichnung gegeben.) Nach diesem Schema werden wir die einzelnen Symbole zu betrachten haben. Doch möchte ich dabei eine etwas andere Reihenfolge der Gruppen einhalten. Demgemäß wenden wir uns 1. zu den drei unbeweglichen Kleinodien, dem unbehauenen oder rauhen Stein, dem behauenen oder kubischen Stein und dem Reißbrett der Meister. In ihnen wird uns die vornehmste Aufgabe des Maurers vor Augen geführt. Wir betrachten dann >420< 2. die drei beweglichen Kleinodien, Winkelhaken, Wasserwaage und Senkblei, welche das Prinzip darstellen, nach welchem die maurerische Arbeit sich vollzieht. Wir wenden uns dann 3. zu den drei Sinnbildern, der Maurerkelle, dem Hammer und dem Zirkel. Sie sind die Werkzeuge, durch welche die maurerische Arbeit unmittelbar in Angriff genommen wird. Wir kommen dann 4. zu den drei Zieraten, dem flammenden Stern, dem mit Spitzen verzierten Franzen*) und dem rautigen oder musivischen Fußboden. Sie bezeichnen den Weg, den der Maurer von Westen nach Osten, von der Finsternis zum Lichte zurücklegt. Endlich betrachten wir *) (Das Wort „der Franzen“ ist unserem heutigen Sprachgebrauch ganz fremd. Wir setzen dafür das Wort „Vereinigungsband,“ das jetzt überall üblich ist.) 5. die vier Gleichnisse, die Sonne, den Mond und die beiden kupfernen Säulen. Sie reden zu uns von den göttlichen Kräften, durch welche der Maurer seinen Weg zurücklegt und seine Arbeit vollendet. (1890.1904.) Die drei unbeweglichen Kleinodien. Der Orden legt den einzelnen Gruppen der Symbole der Arbeitstafel verschiedene Benennungen bei. Er spricht von Kleinodien, Sinnbildern, Zieraten und Gleichnissen. Der Wert, den diese Bezeichnungen haben, liegt nicht nur in der übersichtlichen Zusammenfassung des Zusammengehörigen, sondern auch darin, daß uns eine Übersicht über die Bedeutung und Wirkung der Symbole gegeben wird. Sechs Figuren heißen Kleinodien. Warum? Weshalb erhalten gerade der rauhe Stein, der kubische Stein, das Reißbrett, das Winkelmaß, die Wasserwaage und das Senkblei diese Benennung, die doch etwas besonders Kostbares, Unschätzbares zu bezeichnen scheint, das ihnen gewissermaßen einen Vorrang vor den anderen Dingen gibt, welche die Tafel uns zeigt? Ein Kleinod ist uns durch den Wert, den es für uns hat, besonders teuer, und wir hüten es mit besonderer Sorgfalt, um es nicht zu verlieren. Oft wird ein solches Wertstück auch als Schmuck getragen, und auch im Orden treten drei Symbole in diesem Sinne auf, das Winkelmaß, die Wasserwaage und das Senkblei, welche wir am Meister und den beiden Aufsehern als Amtsschmuck an blauen Bändern bemerken. Das Fragebuch weist darauf (VI, 18) hin durch die Frage: „Warum heißen diese drei Dinge Kleinodien?“ „Weil sie dem Logenmeister, wie auch dem Bruder ersten und dem Bruder zweiten Aufseher zum Schmuck dienen.“ Eigentlich könnten wir alle Symbole für Kleinodien halten, denn sie sind uns alle teuer und wert und werden es uns in immer höherem Grade, je mehr wir ihren hohen Wert und ihre Unentbehrlichkeit für unsere Maurerarbeit kennen lernen. Das Wort Kleinod hat aber neben dem Begriff des Kostbaren auch noch den des Intimen in sich, es >422< bezeichnet etwas, was wir besonders in unser Herz geschlossen haben. Was aber muß uns als Maurern mehr am Herzen liegen als die Aufgabe, unseren rauhen Stein nach dem Plane des Reißbrettes zum Kubus zu formen, und welche wichtigere Herzenssache kennen Meister und Aufseher, als mit Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei die Arbeit zu prüfen, ob sie in rechter Weise geschieht. Auch den Hammer, den Zirkel und die Kelle könnte man wohl Kleinodien nennen, denn ein gutes und im Gebrauch bewährtes Werkzeug wird dem Arbeiter teuer und unschätzbar. Trotzdem führen sie den Namen Sinnbilder; weshalb — werden wir später sehen. Viel weniger paßt die Bezeichnung „Kleinod“ auf die drei Zierate und die vier Gleichnisse. Sie haben nicht jenen intimen Charakter der anderen Symbole; denn sie führen uns in das Weite, Allumfassende, ja, in das Unermeßliche und Unendliche. Was hat es nun aber auf sich mit dem Unterschiede von beweglichen und unbeweglichen Kleinodien? Das Fragebuch nennt Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei beweglich, „weil alle allgemeinen Zeichen des Freimaurer-Ordens durch Darstellung dieser drei Kleinodien gemacht werden“ (VI, 14), und setzt hierzu den rauhen Stein, den Kubus und das Reißbrett in Gegensatz, „weil“, wie es heißt, „durch ihre Darstellung keines der Zeichen des FreimaurerOrdens zustande gebracht werden kann“ (VI, 20). Diese Erklärung klingt etwas naiv und ist eigentlich selbstverständlich. Es muß meiner Ansicht nach noch andere Gründe dafür geben. Zunächst ist zu erwägen, daß der rauhe Stein als zu bearbeitendes Werkstück festliegt und nicht hin und her bewegt wird, wenn der Arbeiter es unternimmt, ihn zu formen. Ebenso liegt der Kubus unbewegt, dem Lehrling als Muster, vor ihm. Auch das Reißbrett, die Tafel, welche Plan und Regel für die Arbeit enthält, liegt fest vor seinen Augen. Das, was in fortwährender Bewegung sein muß, das sind die Werkzeuge, durch welche die Arbeit in Angriff genommen und auf ihre Tüchtigkeit geprüft wird. Dann aber bedeutet hier wohl das Wort „unbeweglich“ ebensoviel wie unabänderlich, ewig feststehend. Der rauhe Stein, der Kubus und das Reißbrett drücken die unumstößliche Wahrheit aus, daß sich das Unvollkommene zum Vollkommenen nach einem vom höchsten Meister vorgezeichneten Plane, der unabänderlich ist, wie die Gottheit selbst, entwickeln muß. Nunmehr kommen wir zu den unbeweglichen Kleinodien selbst, und der erste Gegenstand unserer Betrachtung ist Der rauhe Stein. Die vornehmste Arbeit des Freimaurer-Lehrlings, welche die Grundlage unseres ganzen maurerischen Lebens und Strebens bildet, welche beginnt, sobald der erste freimaurerische Gedanke sich in uns regt, und welche sich erst dann schließt, wenn beim Schlage der Hochmitternachtsstunde die Werkzeuge unseren Händen entsinken, ist die Arbeit am rauhen Stein. So sagen unsere Akten (L. B. II, Beil., Seite 47): „Der rauhe Stein ist der Gegenstand der sorgfältigen Arbeit der Johannis-Lehrlinge. Ihnen liegt ob, denselben zu bebauen, zu ebnen und zu einem vollkommenen Baugerät zu bereiten. Er erinnert uns, unsere üblen Neigungen abzulegen und uns immer vollkommener zu gestalten; eine Arbeit, die schwer, aber unerläßlich für den ist, der sich der Wahrheit zu nähern wünscht.“ Auf unserer Arbeitstafel sehen wir das Bild des rauhen Steines im Norden abgebildet, an der Stelle, welche am wenigsten erleuchtet ist. Über ihm steht das Bild des Mondes, der seine schwachen Strahlen auf ihn wirft, unter ihm finden wir das Senkblei, dessen Lot nach der Säule J . . . . hinweist, und neben ihm sehen wir die Kelle, unser vornehmstes Werkzeug, welches zwar für die Bearbeitung eines Steines wenig geeignet zu sein scheint und dennoch, wie wir sehen werden, das wichtigste Mittel zu seiner Gestaltung ist. Die allererste Forderung, welche der Orden an den neueingetretenen Lehrling stellt, ist eine rein ethische. Der ganze Lehrlingsgrad redet von dieser sittlichen Aufgabe, welche uns auf der Lehrlingstafel unter dem Bilde des rauhen Steines entgegentritt. „Ein Freimaurer“, so heißt es in der ersten Frage des Fragebuches, „ist ein freier Mann, der seine Neigungen zu überwinden, seine Begierden zu mäßigen und seinen Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen weiß.“ Und weiter heißt es im Fragebuche: „Die Pflicht eines Freimaurers ist es, das Laster zu fliehen und der Tugend nachzustreben“ (Frgb., Abt. III, Art. 3, Fr. 1). >424< Aber der Zweck der Freimaurerei ist darum noch nicht ein ausschließlich moralischer, wenigstens nicht derjenigen Art der Freimaurerei, wie sie sich in den Akten unserer Lehrart darstellt. Unsere Akten sprechen es schon im Lehrlingsgrade ganz deutlich aus, daß der Zweck der k. Kunst noch ein anderer, höherer ist; denn sie definieren an einer anderen Stelle des Fragebuches den Begriff der Freimaurer-Wissenschaft als Lehre von der Erhebung des Menschen durch Tugend zum Lichte (Frgb., Abt. IV, Fr. 5). Es wird also hier ganz deutlich gesagt, daß das eigentliche Ziel unserer Arbeit das Licht und die Erleuchtung unseres Innern durch das Licht ist. Die Übung der Tugend ist nur das notwendige Mittel zu diesem Zweck; denn nur das reine Herz kann das Licht in sich aufnehmen, nur der geläuterte Sinn wird der rechten Erleuchtung teilhaftig. Der rauhe Stein liegt darum im Norden, im Dunkeln, von den matten Strahlen des Mondes nur schwach erleuchtet; der fertige Kubus aber liegt im Süden im vollen Glanze des Tages, und auf seinen polierten Flächen spiegeln sich die Strahlen der Hochmittagssonne. Daß der Zweck der Freimaurerei nicht allein ein moralischer ist, geht noch aus dem Umstände hervor, daß unseren Sinnbildern und Gebräuchen, wie bekannt, eine dreifache Bedeutung beigelegt wird, nämlich außer der moralischen noch eine historische und eine wissenschaftliche oder mystische. Die k. Kunst will uns dadurch aus dem engen Kreise unseres persönlichen Lebens hinausführen und unseren Gesichtskreis erweitern, indem sie uns einen Blick werfen läßt auf die Entwicklung des Menschengeschlechts im ganzen und endlich auf die Entwicklung des Alls, des großen Bauwerkes der Welten. Die Einsicht in die Weisheit, Schönheit und Stärke des allgemeinen großen Ganzen ist das höchste Licht und der letzte Aufschluß, den sie uns geben kann. Wenn nun auch bei unserer Betrachtung des rauhen Steines im Lehrlingsgrade die moralische Seite im Vordergrunde bleiben muß, so bleibt es uns doch unbenommen, auch über die beiden anderen Bedeutungen nachzudenken. Die ethische Forderung, die der rauhe Stein auf unserer Lehrlingstafel stellt, erscheint einfach und selbstverständlich, ja, sie kommt uns auf den ersten Blick kaum als eine spezifisch freimaurerische vor; sie ist oder soll allen Menschen geläufig sein. „Jeder Mensch hat seine Fehler“, und „wir sind allzumal Sünder“, das sind Worte, die wir alle Tage von Maurern und Nichtmaurern hören können. Wie selten aber begegnen wir — selbst bei Maurern — einem tieferen Erfassen der Aufgabe, welche in diesen Worten liegt, oder gar einem richtigen Anfassen der Lösung derselben mit wahrhaft freimaurerischen Mitteln. Viele Menschen, ja, viele Maurer denken sich bei jenen Worten kaum etwas, oder sie stellen gar die allgemeine Fehlerhaftigkeit des Individuums als einen Umstand hin, der nun einmal so ist, an dem aber nichts zu ändern sei. „Ich habe meine Fehler und Schwächen wie alle anderen, und so wie ich bin, so muß ich auch einmal verbraucht werden.“ Trotz der Einsicht in den fehlerhaften Zustand haben die meisten gar nicht einmal die Absicht und den guten Willen, eine Besserung zu versuchen, ja, sie pochen wohl noch auf ihre eigenen Schwächen, als auf Eigentümlichkeiten, für welche sie Nachsicht beanspruchen, während sie selbst schnell genug bei der Hand sind, die Fehler anderer unnachsichtig zu verurteilen und zu strafen. Der Freimaurer, der so denkt, hätte besser getan, nie an die Pforte unseres Tempels zu klopfen; denn bei solchen Anschauungen kann natürlich weder von einer freimaurerischen Einsicht, noch weniger von einer freimaurerischen Arbeit die Rede sein; der Lebensnerv der k. Kunst wird dadurch von vornherein unterbunden, und der Keim der Selbsterkenntnis, der in der Einsicht der eigenen Fehlerhaftigkeit liegt, wird erstickt unter dem Unkraut der Selbstliebe. Der rechte Maurer weiß diesen Irrweg zu vermeiden und versteht es, jenen Keim der Selbsterkenntnis großzuziehen. Ein tüchtiger Steinmetz, der einen rohen Block erhält, um ihn zu einem regelmäßigen Baustein zu bebauen, prüft denselben erst nach allen Richtungen, er untersucht ihn vor allem daraufhin, ob das Material, aus dem er gebildet ist, sich für eine erfolgreiche Bearbeitung eignet, ob der Stein spröde und brüchig, oder ob er nachgiebig und bildsam ist. Vielleicht hat der Stein gar einen Sprung, der bis ins Innerste geht und ihn für ein tüchtiges Baustück überhaupt ungeeignet erscheinen läßt. Nach solcher Prüfung wird er die Werkzeuge zu wählen und die Kraft seiner Schläge abzumessen haben. Ebenso der Freimaurer. Seine Arbeit unterscheidet sich aber von der des Steinmetzen in einem wesentlichen Punkte. Dieser hat seinen zu behauenden Stein als ein Objekt vor sich liegen, dem er als das handelnde Subjekt frei gegenübersteht. Anders der Freimaurer. Hier fällt das arbeitende Subjekt und das zu bearbeitende Objekt zusammen, denn die sittliche Tätigkeit des Maurers bezieht sich zuvörderst auf >426< ihn selbst. Es ist ihm daher unmöglich, sich seiner Aufgabe vollkommen objektiv gegenüberzustellen. Darin liegt eine der größten Schwierigkeiten des freimaurerischen Werkes, sowohl in bezug auf die Erkenntnis dessen, was geleistet werden soll, als auch in bezug auf die Arbeit selbst. Dennoch dürfen wir nicht zögern, mit solchen Untersuchungen zu beginnen. — Selbsterkenntnis ist die erste Vorbedingung der freimaurerischen Arbeit. Darum, Lehrling, betrachte deinen rauhen Stein; sieh auf dein eigenes Herz und schaue in seine geheimsten Falten. Das Licht, das dir dazu leuchtet, ist zwar schwach; denn du hast noch nicht die Strahlen der Sonne der Wahrheit geschaut. Aber das Licht des Mondes, das dir gegeben ist, stammt von ihr, und der geringe Schein ist hell genug, um dir zu deiner Erkenntnis zu leuchten. Fragen wir uns also zuvörderst: welche Beschaffenheit hat unser Stein, aus welchem Material besteht er, welchem Steinbruch entstammt er? Ein köstlicheres Material kann es nicht geben, als das, welches wir zu bearbeiten haben. Nicht ein toter Marmor ist es, sondern ein belebtes Gebilde, dessen rauhe Außenseite einen lebendigen köstlichen Kern verbirgt. Der höchste Meister selbst hat unseren rauhen Stein aus seinem großen Steinbruch genommen und ihn auf den allgemeinen Bauplatz gelegt, damit er dort die Form erlange, die ihn geschickt macht für seinen heiligen Tempelbau. In jeden Bruchstein hat er einen Funken seines eigenen Geistes hineingelegt, der sich entwickeln und seine rauhe Hülle durchbrechen soll. Wenn wir diese hohe Abkunft unseres Steines recht erkannt haben und uns allezeit gegenwärtig halten, dann ist schon viel für unsere Arbeit geschehen. Sie gibt uns das Bewußtsein des Geistesadels, von welchem wir bei unserer maurerischen Arbeit stets getragen sein müssen. Die Selbsterkenntnis, die ihr Fundament bildet, darf sich nicht allein beziehen auf die Fehler und Schwächen des Menschenherzens, sondern vornehmlich auf das, was Großes, Heiliges, Göttliches in ihm liegt. Gott schuf das Menschenherz gut und rein. Jeder Blick in ein unschuldiges Kinderauge lehrt uns das. Freilich will die Lehre der Kirche davon nichts wissen. Sie behauptet, der Mensch sei böse und verderbt von Geburt an, er bringe die Erbsünde mit auf die Welt, die ihm anhafte von dem Sündenfall unseres ersten Stammvaters. Unsere Ordenslehre sagt uns davon nichts. Den Sündenfall und damit den Abfall vom göttlichen Leben erfährt jeder einzelne in sich selbst; und das ist natürlich und folgerichtig. Der Mensch ist geschaffen aus einer irdischen, materiellen Hülle, welche von einem Keim des göttlichen Geistes belebt wird. Mit diesem Keim gab aber der Schöpfer dem Menschen zugleich die freie Wahl, entweder den Weg des Lichts oder den der Finsternis zu wandeln. Von Hause aus will jeder Mensch zum Licht. Er wird aber bald abgezogen von dem geraden Wege durch die Macht seiner irdischen Natur. Unsere materielle Hülle, in die wir gekleidet sind, ist an und für sich nicht böse, sie ist heilig, wie die ganze Natur es ist. Das Böse entsteht erst dann, wenn der in uns wohnende göttliche Geist vom Irdischen überwältigt, zur Sinneslust gereizt und zur Selbstsucht aufgestachelt wird. Dieser Kampf des Göttlichen mit dem Irdischen, dieses fortwährende Fallen und Sichwiederaufrichten ist die natürliche Folge unserer menschlichen Natur. In jedem einzelnen Menschen aber vollzieht sich dieser Kampf auf verschiedene Weise. In ihm und durch ihn bildet sich der Charakter des Menschen, der ihm sein eigentümliches individuelles Gepräge verleiht. Je öfter das Göttliche den Sieg behält, desto mehr werden auch die edlen Eigenschaften im Menschen hervortreten; gewinnt aber das Irdische die Oberhand, dann bilden sich jene Unebenheiten und Rauhheiten heraus, die sich als spitzige Ecken des rauhen Steins immer mehr und mehr verhärten, bis sie der Bearbeitung fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegensetzen. Unsere rauhen Steine, wenn sie hier auf den maurerischen Bauplatz kommen, sind alle solche entwickelten Charaktere mit spröden Ecken und Kanten. Wir haben die Jugend hinter uns, da unser Material weich und formbar war. Wie oft haben wir des Vaters Ermahnung, der Mutter Warnung, des Freundes Rat überhört und sind dahin gestürmt, nur dem eigenen wilden Triebe folgend! Wie ließen wir Neigungen anwachsen zu Begierden, bis sie unseren Willen knechteten und aus den Bahnen der Vernunft rissen! So wuchsen unsere Fehler heran zu spitzigen Ecken und Kanten, mit denen wir überall anstoßen, und der größte Teil unserer Leiden und Plagen hat seine Ursache in diesen Unebenheiten unseres Wesens. Nun kommen wir hierher als gereifte Männer auf unseren geistigen Bauplatz, wo Johannes der Täufer uns auf die „Metanoia“, auf jene Umwandlung unseres Innern, jene geistige >428< Wiedergeburt hinweist, ohne welche es kein Heil gibt, und kraftlos und verzagt will der Mut uns sinken. Aber die Lehre, die wir in der Loge des Täufers erhalten, richtet uns bald wieder auf und belebt unser gesunkenes Selbstvertrauen. Wie geschieht das? Die Art der Bearbeitung des rauhen Steins ist eine zwiefache, nämlich erstens von außen nach innen und zweitens von innen nach außen. Die erstere deckt sich vollkommen mit der Arbeit, welche der Steinmetz in der Bauhütte unter der Aufsicht des Meisters ausführt. So wie er die spitzigen Ecken abhaut, bis die quadratischen Flächen des Kubus hervortreten, so können auch wir unsere üblen Neigungen überwinden und unsere Begierden mäßigen; wir können unseren Willen durch das Pflichtgebot in Schranken halten. Wir können in Befolgung unseres freimaurerischen Gebotes: das Laster zu fliehen und der Tugend nachzustreben, uns so weit gestalten, daß wir vor den Augen der Welt, vor den Augen unseres Meisters und unserer Brüder äußerlich als tugendhafte Männer erscheinen. Vor den Augen des ewigen Meisters, der Herz und Nieren prüft, genügt aber diese Arbeit noch lange nicht. Selbst wenn durch sie ein kubischer Stein mit spiegelblank polierten Flächen, an dem niemand etwas auszusetzen findet, hergestellt ist, kann doch das Innere tot und kalt geblieben sein. Solche Tugendhelden sind Wölfe in Schafs-Kleidern, übertünchte Gräber, äußerlich herrlich anzuschauen, innerlich aber voll Moder und sittlicher Fäulnis. Die rechte Bearbeitung des rauhen Steins, die eigentlich freimaurerische, die vor den Augen des richtenden Obermeisters allein Gnade findet, die zuerst stattfinden muß, wenn jene Arbeit von außen her einen Wert behalten soll, ist die Arbeit von innen nach außen. Sie muß ausgehen von jenem göttlichen Keim, der von dem ewigen Meister als Erbe in uns gelegt ist, und der den wahren Ahnenstolz des Freimaurer-Ritters ausmacht. Nicht umsonst steht das Senkblei, das mit seinem Lot auf die Säule J . . . . weist, unter dem Bilde des rauhen Steines. Mit diesem Senkblei sondiere dein Inneres, du Lehrling, bis du den Punkt gefunden hast, von dem alles Leben stammt! Und hast du ihn gefunden, dann halte ihn fest, verliere ihn nie wieder und sorge dafür, daß er sich entwickle und Frucht bringe! Aus ihm gestaltet sich das Reich Gottes, das nicht kommt mit äußeren Gebärden, sondern das in uns ist und das uns aufrichtet und vollendet. Von diesem göttlichen Erbe redet unser Obermeister in seinen Gleichnissen, wo er es bald mit dem Samen vergleicht, der auf gutes Land fiel, bald mit dem Senfkorn, das zum Riesenbaum erwächst, bald mit den Lampen der klugen Jungfrauen, denen es an Öl nicht gebrechen soll, bald mit dem Pfunde, das nicht vergraben werden darf, sondern wuchern muß. So muß sich auch die Entwicklung unseres inneren Lebens vollziehen. Auf die Erkenntnis des in uns gelegten Lichtfunkens muß seine Entfachung zur Flamme folgen, auf die Selbsterkenntnis die Selbstentwicklung. Das Werkzeug aber für diesen Teil der Arbeit am rauhen Stein liegt neben ihm bereit: es ist die Kelle. Daß dieses Werkzeug für einen Steinmetzen zur Bearbeitung des rauhen Steines ungeeignet erscheint, habe ich schon vorhin erwähnt. Für einen Steinmetzen, der dem zu bearbeitenden Block nur von außen beikommen kann, ist Meißel und Spitzhammer unentbehrlich. Unsere Lehrlingstafel läßt nichts von diesen Werkzeugen erblicken, während die Teppiche anderer Systeme sie aufweisen. In diesem Umstand glaube ich, den Hinweis zu erblicken, daß unsere Lehrart gerade die Bearbeitung unseres Steines von innen heraus hat betonen wollen. Es wird zwar bei der Erklärung der Kelle gesagt, sie diene dazu, die Spalten und Risse des Herzens zu vermauern und zu verkitten. Damit ist ihre Arbeit aber noch keineswegs abgetan. Mit jenen Worten verweilt unsere Aktenerklärung bei dem eigentlichen Bilde der Kelle; denn dem Werkmaurer kann sie zu weiter nichts dienen als zum Auftragen eines verkittenden Mörtels. Nun aber geht die Erklärung weiter, indem sie sagt, sie diene dazu, „das Herz so gut, so rein und so tugendhaft zu machen, daß kein Bruder sich zu fürchten braucht, dem anderen sein ganzes Herz aufzuschließen“. Das kann nur von innen heraus geschehen. Ein Herz, das dem Bruder sein Innerstes aufschließen soll, kann sich nicht begnügen mit einem äußerlichen Verkleben seiner Spalten und Risse: es muß im Innern geläutert und gereinigt sein, dann erst wird es geschickt zu einem unauflöslichen Bündnis. Dies geschieht durch die Kelle, welche jeder Freimaurer unseres Systems auf dem Herzen trägt. Sie vereinigt in dem rechtwinklig gebogenen Schaft, in der Handhabe und in der dreieckigen Platte die Erkennungszeichen des Freimaurers, Zeichen, Griff und Wort, welche zugleich seine das Innerste seines Herzens berührenden Werkzeuge sind. Auf die tiefsinnige Lehre von Zeichen, Griff und Wort kann ich heute ausführlicher nicht eingehen. Ich will hier nur hervorheben, daß das gleichseitige Dreieck, der Hauptbestandteil der Kelle, von uralten Zeiten her ein Sinnbild ist der schaffenden Kraft Gottes, des göttlichen Wortes, das im Anfang war, und durch das alle Dinge gemacht sind, des Wortes, das Gedanke, Wille und Tat in sich vereinigt. Dies Wort der ewigen Wahrheit hat sich, soweit wir die Schöpfung überblicken können, am herrlichsten offenbart in dem staubgeborenen Menschensohn, dem das göttliche Geschenk der Sprache verliehen wurde, durch welche er die Fähigkeit erhielt, das Göttliche in sich lebendig zu machen und sich dadurch seinem ewigen Vater zu nähern. Das ist die innere Arbeit mit der Kelle, das ist die neue Geburt, auf die der Täufer hinwies, und welche der Obermeister mit klaren Worten gelehrt hat, das herrlichste, aber auch zugleich schwierigste freimaurerische Werk, ein Werk, das die Daransetzung aller unserer Kräfte und die höchste Selbstverleugnung erfordert. Wie dieses Werk sich vollzieht, darüber muß die Instruktion schweigen; sie kann nur daran erinnern, daß ohne dies Eine unsere ganze Freimaurerei ein toter Kram sein würde, sie kann nur daran mahnen, daß diese Arbeit bis zur Hochmitternachtsstunde unseres Lebens keine Unterbrechung erleiden darf, und sie kann nur darauf hinweisen, daß der heilige Vorgang unserer Wiedergeburt sich in uns nur vollziehen kann, wenn wir dafür sorgen, daß das innere Heiligtum unseres Herzens wohlgedeckt sei vor allem Niedrigen und Gemeinen, und wenn wir mit ängstlicher Sorgfalt und hingehendster Selbstverleugnung darauf bedacht sind, dem in uns sich entwickelnden Leben reine geistige Nahrung zuzuführen. Kein irdischer Meister, kein Aufseher kann diese Arbeit prüfen und kontrollieren, sie steht unter der alleinigen Hammerführung des ewigen unsichtbaren Meisters, der uns seine Aufseher, Vernunft und Gewissen, zur Seite gegeben hat. Er schärfe unser inneres Ohr, daß wir in der Stimme des Gewissens sein Wort vernehmen, er öffne unser inneres Auge für das Licht der göttlichen Vernunft, die unseres Fußes Leuchte sei, damit wir zu der Stunde, wenn die Arbeiter bezahlt und nach Hause entlassen werden, unser hinlängliches Auskommen haben und in Frieden eingehen mögen in die ewige Heimat! Bisher haben wir die Arbeit am rauhen Stein betrachtet aus einem Gesichtspunkte, welcher nur auf das Individuum, auf unser eigenes Ich, Bezug nimmt. Hierbei aber bleibt die k. Kunst nicht stehen. Von dem einzelnen Baustein, den sie bearbeitet, lenkt sie den Blick auf den Tempel, in dem der einzelne Stein nur ein kleines Glied ist; von dem Individuum auf die Gesamtheit. Sie läßt uns innewerden, daß unser sittliches Streben nicht nur uns allein, sondern auch denen, die neben uns stehen, und so auch mittelbar dem großen Ganzen zugute kommen soll. Die k. Kunst formt nicht bloß, sondern sie sucht auch das, was sie geformt hat, zu vereinigen. Einen deutlichen Hinweis auf diesen Gedanken finden wir in unseren Akten bei der Erklärung der Kelle, wenn es heißt: die Kelle diene auch dazu, „des Nächsten und der Brüder Fehler zu vermauern“ Also nicht bloß der eigene rauhe Stein, sondern auch der unserer Nebenmenschen unterliegt unserer Bearbeitung, eine Idee, die im Gesellengrade ihre weitere Ausführung erfährt. Der einzelne Stein ist für sich allein nichts; nur durch die Vereinigung mit anderen wird er etwas, nützt er etwas. Der Einsiedler, der sich mit seinem geistigen Streben in die Wüste zurückzieht und sich von seinen Mitmenschen abschließt, geht einen Irrweg; denn der Mensch gehört zum Menschen; einer soll vom anderen lernen, einer durch den anderen gefördert werden. Einsamkeit ist zwar, wie unsere Akten an einer anderen Stelle sagen, „die Schule des Nachdenkens, und in der Stille macht selbst ein Meister seinen Riß auf dem Reißbrette zu der Arbeit, die er aufführen will“. Aber unsere Arbeit darf nicht in Einsamkeit vergraben bleiben. Auch unser Obermeister blieb im Verborgenen, bis er sich durch innere Erhebung für seine Sendung gerüstet hatte. Dann aber trat er hervor, ward ein Führer der Geister und Stifter der erhabensten Weltreligion. Also soll auch jeder einzelne sich bereiten in seinem Innern und dann hinausgehen, um zu wirken unter seinen Mitmenschen. Durch das gegenseitige Einwirken der einzelnen Menschen aufeinander gestaltet sich die menschliche Gesellschaft gleichsam zu einem Individuum — zur Menschheit; und unsere Freimaurerei ist es, die uns die Menschheit als eine große Einheit auffassen lehrt, in welcher alle Kräfte, die in ihr frei werden, zum Ausbau ihrer Vollendung wirken sollen. >432< Dies führt uns auf die historische Bedeutung des rauhen Steines. Wenn wir die menschliche Gesellschaft als ein einheitliches Ganzes betrachten, so erhellt ohne weiteres, daß ebenso wie die einzelnen Individuen, aus denen es besteht, unvollkommen und der Veredlung bedürftig sind, auch das Ganze weit entfernt ist von dem, was es sein soll. Die Menschheit stellt somit einen einzigen großen rauhen Stein dar. Die Kräfte aber, die darauf hinwirken, diesen rohen Stein seiner kubischen Vollendung näherzuführen, sind der Drang zur Vereinigung und der Trieb zur Veredlung. Der Nachweis aber, wie sich diese Triebe im Menschengeschlecht bemerkbar machen, nach welchen Gesetzen sie zur Wirksamkeit gelangen, und auf welche Weise durch sie das Ganze gefördert wird, — ist die Weltgeschichte. Es wäre einseitig, die Weltgeschichte nur aufzufassen als eine Aufzählung von Tatsachen aus dem Leben der Völker; sie soll nicht nur zeigen, was, geschehen, sondern auch, was geleistet ist, und nicht umsonst heißt darum die Weltgeschichte das Weltgericht; denn sie fordert die Taten des einzelnen wie der Gesamtheit vor ihr unbestechliches Tribunal und prüft sie nach dem wahren Wert, den sie für die Entwicklung des Ganzen dargebracht haben. Vereinigung und Veredlung sind die Werkzeuge, welche am rohen Stein der Menschheit arbeiten. Der Trieb zur Vereinigung ist der erste, der sich geltend macht, zunächst geweckt und genährt durch den Drang der Notwendigkeit. Der Trieb zur Erhaltung der Art führt Mann und Weib zusammen und bildet den Grund für die Familie, deren Glieder untereinander durch die Bande des Blutes verbunden sind. Die Familien untereinander vereinigen sich zum Schutz und Trutz gegen feindliche Angriffe zu Stämmen. Das gemeinsame Leben der Stämme macht eine Regierung notwendig, es bilden sich Einrichtungen heraus, Gesetze werden gegeben und durch die regierende Gewalt gehandhabt zum Schutz und zur Wohlfahrt des einzelnen wie der Gesamtheit. So bilden sich aus den einzelnen Stämmen Völker, Nationen, die durch ihren Wohnsitz, durch die klimatischen Verhältnisse, unter denen sie sich entwickeln, durch die Sprache, die sie sprechen, voneinander unterschieden sind, es bilden sich Staaten mit verschieden entwickelten Gemeinwesen, die sich wiederum als größere Einheiten gegenüberstehen. Aber wenn auch die Grenzen zwischen den einzelnen Völkern von der Natur durch Flüsse, Gebirge, ja durch Meere noch so streng gezogen scheinen, wenn auch die Unterschiede des nationalen Charakters und der nationalen Interessen noch so groß sind: der in der Menschheit lebende und wirkende Drang nach Vereinigung überwindet das Trennende; und so, wie er der Schöpfer der sozialen Einrichtungen war, wird er auch zum Begründer der internationalen Verträge. Und nicht bloß, äußerlich der menschlichen Gesellschaft ihre Gestalt zu geben, ist der Vereinigungstrieb tätig: er unterliegt der Veredlung und Vertiefung und bildet so ein festes Band, das im Inneren die Glieder verbindet, indem er sich von der zwingenden Macht der Naturnotwendigkeit zur bewußten Freiheit erhebt. So wird aus der Vereinigung der Geschlechter zur Erhaltung der Art die Gattenliebe; Eltern, Kinder und Verwandte vereinigt das feste Band der Familie. Die heilige Ordnung, „die der Städte Bau gegründet“, webt, wie der Dichter singt, das Teuerste der Bande, die Liebe zum Vaterlande. Und nun blicken wir genauer hin auf das innere Leben der Völker! Überall, wo eine Idee sich regt, sei sie, welcher Art sie wolle, mag sie äußerlichen Einrichtungen dienen oder sich mit den höchsten inneren Gütern der Menschheit beschäftigen, überall tritt der Vereinigungstrieb auf und bemächtigt sich ihrer, um sie als Band zur Vereinigung der Glieder zu nützen und so der Idee selbst um so wirksamer zu dienen. Aus der religiösen Idee bildet sich die große Gemeinschaft der Kirche, welche alle Glieder umfassen und in ihren Schoß aufnehmen will; der Forschungstrieb der Menschheit, der die Wahrheit zu erkennen trachtet, gestaltet sich zur Universitas literarum, welche alle Wissenschaften in sich zu vereinigen strebt; die Idee der Vaterlandsliebe findet ihren Ausdruck in der Heeresmacht, die, wohl bereitet und gerüstet zur Abwehr wie zum Angriff, ihren Schild über die heimischen Penaten hält. — Es würde zu weit führen, alle die Verbindungen aufzählen zu wollen, welche in der menschlichen Gesellschaft sich bemerkbar machen, und die alle den Zweck haben, durch Vereinigung und Organisation der Kräfte für die Wohlfahrt des Ganzen einzutreten. Wo hat nun aber dieser Trieb nach Vereinigung und Veredlung, der sich im Menschengeschlecht regt, seinen Ursprung? — So wie im einzelnen Menschen der Gedanke an das Göttliche und Ewige, das Bewußtsein seiner Abstammung von dem großen Vater der Liebe und des Lebens es ist, welches ihn führt und innerlich auferbaut, so bildet auch diese Idee für die gesamte Menschheit die nie versiegende Quelle für ihre Entwicklung und Veredlung. Auch für den rauhen Stein der Menschheit bleiben das auf die Säule J . . . . hinweisende Senkblei >434< und die Kelle des göttlichen Wortes die nicht mißzuverstehenden Sinnbilder für das, woraus allein das Heil kommen kann. In jedem einzelnen soll der Gottesgedanke sich frei machen und als Trieb auftreten, der zum Lichte führt, und diese Triebe der Individuen vereinigen sich durch natürliche Wahlverwandtschaft zu einem großen Strom, auf dessen stolzen Wogen das Menschengeschlecht seiner Vollendung entgegen geführt werden soll. Ja, so sollte es sein! Ist es aber so? — Sollten wir nicht bei all der Unvollkommenheit, bei all dem Elend und Jammer, bei all der Gemeinheit und Niedrigkeit, von der wir die menschliche Gesellschaft zersetzt und zerrissen finden, nicht doch gerechte Zweifel hegen, ob der Strom, auf dem sie dahintreibt, sie auch wirklich dem Lichte näher bringt? — Freilich, die Menschheit ist eben ein rauher Stein; die Unvollkommenheiten, welche sich am einzelnen zeigen, machen sich auch in der Gesamtheit bemerkbar. Leidenschaften und Begierden erschüttern den einzelnen und hindern ihn in seinem Streben zur Vollkommenheit, und die Gesellschaft wird zerrissen von Parteikämpfen, die oft genug nicht um der Wahrheit, sondern um selbstischer Zwecke willen, manchmal in unreinster, widerwärtigster Weise geführt werden; der einzelne streitet mit seinem Nächsten, den er lieben sollte, in gehässiger Weise um Mein und Dein, weder sein Gut noch seine Ehre und guter Name sind ihm heilig, wenn die Dämonen des Hasses und der Zwietracht losgelassen sind, und die Völker stehen eifersüchtig und mißtrauisch nebeneinander und zerfleischen sich, oft um geringer Ursache willen, in blutigen Kriegen mit ihren grauenhaft vervollkommneten Mordwaffen. Wie wir beim einzelnen Hochmut und Unduldsamkeit finden, so auch in der Gesamtheit. Wir sehen priesterliche Gemeinschaften, die, anstatt Liebe zu verbreiten, den Andersdenkenden verfluchen, wir sehen eine wissenschaftliche Richtung, die, anstatt den Keim des göttlichen Geistes im Menschengeschlecht zu pflegen, in brutalem Materialismus diesen Geist zu ersticken und dafür ihr aufgeblähtes Stückwerkswissen einzuschmuggeln trachtet. Doch ich will das Bild menschlicher Zerrissenheit nicht weiter ausmalen. Mag es sich aber auch noch so traurig gestalten, — eins dürfen wir uns dadurch nicht rauben lassen: den Glauben an das im einzelnen wie in der Menschheit wirksame Göttliche, das das Geschlecht zwar langsam, aber sicher auf der Bahn des Lichtes der Vollendung entgegenführt. Das menschliche Geschlecht kann untergehen, ehe es dies große Ziel erreicht hat, ebenso wie der einzelne stirbt, ehe er mit seinem rauhen Stein fertig geworden ist: aber aufgehalten werden auf dieser Bahn kann es nimmermehr. Man wende nicht dagegen ein, daß sich das nicht nachweisen ließe. Jeder, der die Bücher der Weltgeschichte mit offenem Auge und unbefangenem Sinn liest, muß das erkennen. Wohl finden wir hier große Schwankungen; so wie wir einzelne Individuen kämpfen, unterliegen und untergehen sehen, so sehen wir auch ganze Nationen, die in hoher Kulturblüte weltbeherrschend dagestanden, verfallen, dahin sinken und verschwinden bis auf wenige traurige Reste, aber stets treten andere Völker auf, die die Führerschaft übernehmen. Wenn wir am Ufer des Weltmeeres bei herannahender Flut stehen, so sehen wir die Wellen heran brausen und wieder zurückweichen; immer dasselbe schwankende Spiel. Wir merken nicht, daß die Flut höher steigt. Wenn wir aber uns die Zeit nehmen, ruhig auszuharren, so erkennen wir doch endlich, daß die Wogen immer weiter und weiter über den Strand rollen, bis sie endlich unsere Füße netzen. So ist es auch mit dem Fortschreiten der Menschheit. Wie lange haben wir denn beobachtend an dem Ufer dieses Meeres gestanden? Wie viele Wogen naben wir denn herankommen und wieder zurückweichen gesehen? Die paar Jahrtausende Geschichte, die wir übersehen können, sind doch nur eine winzige Spanne Zeit; und welche Bahn hat das Menschengeschlecht noch vor sich! Die Wogen, die wir heran rauschen sehen, sind abhängig von der Kraft des wechselvollen Windes: aber immer sich gleichbleibend wirkt die Kraft, die die Wasser in der Flut steigen macht. Und eine solche Kraft ist auch im Leben der Menschheit tätig: das Licht des Göttlichen. Halten wir darum fest an dem Glauben an das Licht des Göttlichen, das zwar zeitweise durch Trug und Wahn verdunkelt, aber nie verlöscht werden kann; und halten wir ferner daran fest, daß das Licht im menschlichen Geschlecht einzig und allein dadurch wahrhaft gefördert werden kann, daß der einzelne in sich dieses Licht zu erwecken und zu vermehren versteht. Daran arbeitet die Loge; und durch den Blick vom einzelnen auf das Allgemeine soll jeder von uns erneute Kraft erhalten für seine Sendung und für die Lösung der Aufgabe, zu der er berufen ist. So wie die winzigsten Geschöpfe im Ozean durch Aufeinanderfügen kleiner Baustücke die großen Korallenriffe erbauen, >436< so ist auch der kleinste Gedanke, der sich in deinem Innern dem ewigen Lichte zuwendet, nicht verloren, wenn er sich umsetzt in ein Wort der Wahrheit, in eine Tat der Liebe, sondern findet seine Stelle in der Entwicklung des Ganzen. Das bedenke, du Maurer, und handle danach! ----Vielleicht möchte es scheinen, daß der Vergleich der Menschheit mit einem rauhen, zu bearbeitenden Baustein nicht recht passen will, daß sich vielmehr dieses Bild nur auf den einzelnen Menschen anwenden ließe. Richtiger wäre es vielleicht, die menschliche Gesellschaft, weil sie aus vielen einzelnen Gliedern besteht, mit einem im Bau begriffenen Gebäude, einem noch unvollendeten Tempel zu vergleichen. Dem ist aber nicht so. Die Menschheit, als Ganzes betrachtet, ist weiter nichts als nur ein kleiner Bruchteil eines großen Ganzen, ein einzelnes Bauslück zu dem großen Tempelgebäude. Wo ist denn nun dieser große Tempel? Wir heben unseren Blick aufwärts von unserer kleinen Erde und blicken hinaus in die unermeßlichen Fernen des Weltalls. Wir leihen uns vom Lichtstrahl die Flügel und eilen vorwärts bis in die äußersten Fernen, daß es uns gelänge, die Grenzen des gewaltigen Gebäudes zu finden, seinen Bezirk zu umspannen, seinen Plan zu ergründen. Vergebenes Bemühen! Eine Unendlichkeit häuft sich auf die andere. Mutlos Anker werfen muß die kühne Seglerin Phantasie. Sie kehrt heim von ihrem Fluge in das Unermeßliche und begnügt sich, das zu betrachten, was der große Meister von seinem Gebäude unseren blöden Augen zu enthüllen für gut befunden hat. Von Anbeginn der Zeiten hat der Mensch seinen Blick anbetend auf die Werke der Schöpfung gerichtet, auf seinen Wohnsitz, die prangende Erde, und auf das Firmament, das sich über ihr ausspannt mit seinen Tausenden und aber Tausenden von Welten. Man hat das Firmament den Tempel des Höchsten genannt, und doch ist es nur ein kleiner Teil des großen Ganzen; man hat diesen Teil der Schöpfung als etwas Fertiges und Vollkommenes betrachten zu müssen geglaubt, und doch ist es das nicht. Auch auf diesen Bruchteil des großen Tempels läßt sich das Bild des rauhen Steines anwenden, und so ergibt sich uns die freimaurerisch-wissenschaftliche Bedeutung desselben. Keineswegs als eine wissenschaftliche Errungenschaft der Neuzeit, sondern als eine Anschauung aus uralter Zeit gilt die Vorstellung, daß nichts in der erschaffenen Welt feststeht, sondern daß alles einem beständigen Wechsel unterliegt. Was der altgriechische Weltweise Heraklit durch Spekulation fand und in den Satz: „panta rhei“, alles fließt, zusammenfaßte, das ist von der modernen, auf Beobachtung und Experiment gegründeten Naturwissenschaft in vollem Umfange bestätigt worden. Am deutlichsten tritt uns dieses Naturgesetz in der Pflanzen- und Tierwelt entgegen, wo sich das Geborenwerden, Wachsen, sich Entwickeln und Absterben vor unsern Augen vollzieht. Ebenso aber ist es in der unorganischen Welt. Die Gestalt der Erde mit ihren Gebirgen und Meeren, die für die Ewigkeit gegründet erscheint, steht keineswegs fest, sondern ist veränderlich. Ja, unsere Erde selbst ist nicht ewig, sie wird sich auflösen in dem Feuer der Sonne, von der sie wie alle anderen Planeten einst ausgegangen. Und auch die Sonne steht nicht still, wie man sonst wohl annahm, sondern bewegt sich mit allen ihren Begleitern nach einer bestimmten Richtung des Himmels hin. Wer will sagen, welcher Umwandlung, in welchen unermeßlichen Fernen, nach welchen unermeßlichen Zeiten, sie entgegengeht? Sollte uns dieser ewige Wechsel und Wandel, die Gewißheit, daß nichts im unendlichen Weltenraum weder eine bleibende Stätte noch eine bleibende Gestalt hat, mit Trauer und Bangigkeit erfüllen? Das müßte es, wenn wir nicht aufschauen möchten in gläubiger Zuversicht zu dem ewigen Meister, der das Ganze in seiner Hand hält, dessen heiliges, unabänderliches, auf seinem Reißbrett verzeichnetes Gesetz den steten Wechsel der sichtbaren Dinge vorgezeichnet hat; wir müßten das, wenn wir in dem Meister des ewigen Tempels nicht den allliebenden Vater erkennen möchten, der das, was er geschaffen hat, durch stufenweise Veredlung der Vollendung entgegen führen will. Je höher der Mensch fortschreitet in wissenschaftlicher Erkenntnis, je mehr er sich frei macht von Vorurteilen, je mehr er seinen Blick erweitert, desto heller tritt ihm die Wahrheit vor Augen, daß nicht im Stillstande, sondern in der Entwicklung das wahre Leben zu finden ist. Dies ist in unserer Neuzeit in glänzendster Weise bestätigt worden durch den Forschergeist Darwins, von dessen viel angefochtener Lehre man fälschlich glaubte, daß sie vom Materialismus eingegeben sei, und daß sie die heiligsten Güter der Menschheit in Frage stelle. Wenn Darwin >438< lehrt, daß die Arten, welche das Tier- und Pflanzenreich zeigt, nicht entstanden sein können durch einen plötzlichen Schöpfungsakt, sondern daß nach ganz bestimmten, von ihm aufgefundenen Gesetzen sich das Höhere aus dem Niederen entwickelt haben müsse, so hat er uns dadurch keineswegs den Glauben an Gott den Schöpfer geraubt, vielmehr hat er uns zu einer tieferen Erkenntnis und Einsicht in die wunderbare Wirksamkeit des Schöpfers verhelfen; er hat uns gezeigt, daß Schöpfung, Erhaltung und Regierung ein einheitliches Werk ist, das sich nach einem ewigen Gesetz vollzieht; er hat uns den Inhalt der Säule zur Linken, J . .. ., „Gott hat mich erschaffen“, erst zum rechten Verständnis gebracht und zu einem hellen Licht werden lassen, indem er dartat, daß die Kraft dieser Säule bei der Entstehung der Welt, der Geschöpfe, des Menschen, der ganzen Natur sich keineswegs ausgegeben und erschöpft hat, sondern daß sie als Entwicklungs- und Vervollkommnungstrieb in alle Ewigkeit fortwirkt. Ich will die Gedanken, die sich mir hier in überwältigender Fülle aufdrängen, nicht weiter ausführen. Halten wir nur das Eine fest: Die Schöpfung, soweit wir sie überblicken, ist ein unvollendetes Baustück, in dem die Kraft der Säule J.... wirksam ist, die da geweckt und wirksam erhalten wird durch die Arbeit der Kelle, d.h. durch die Macht des schaffenden, erhaltenden und regierenden Wortes, welches zur Vollendung führt und dasselbe bleibt gestern, heute und in alle Ewigkeit. Und der Tempel, in welchen sich dieses Baustück einfügen soll? Wir sehen ihn nicht; er steht im Reiche des Geistes, unzugänglich für alle, die, an Raum und Zeit gebunden, von den Fesseln der Materie gehalten sind; nur anbetend ahnen können wir ihn. Werden wir ihn einst schauen, wenn die irdische Binde von unsern Augen genommen ist? Wir hoffen es und bereiten uns für diese große Zukunft, indem wir in freier Tätigkeit uns nach dem ewigen Weltgesetz zu gestalten suchen. Der geheimste Plan des Tempels aber, den kein Sterblicher ergründet, ist der Weltzweck, und in dem dunklen Adyton liegt die Auflösung des Welträtsels. — (1891.) Der kubische Stein. Dem rauhen Stein im Norden steht auf unserer Tafel gegenüber im Süden der kubische Stein. Wenn wir diese beiden Bilder betrachten, fallen uns unwillkürlich zwei Begriffe ein, die sich im Leben schroff gegenüberstehen, und zwischen welchen in unsern Tagen mehr denn je der Kampf entbrannt ist: Realismus und Idealismus. Der Bruchstein mit seinen unregelmäßigen Ecken und Kanten ist das Reale, der Kubus mit seinen nach dem rechten Winkel zugehauenen ebenen Flächen ist das Ideale. Draußen auf dem Markt des Lebens gelten die Gegensätze zwischen Idealem und Realem für unversöhnlich; scharf getrennt stehen die beiden Lager der Idealisten und Realisten sich gegenüber. Jene bezeichnen diese als Hemmschuh der Kulturentwicklung und als Beförderer des Verfalls auf allen Gebieten des geistigen Lebens; diese schelten jene Träumer und Phantasten, die utopistischen Ideen nachjagen, um endlich den Boden unter den Füßen zu verlieren. Unsere Freimaurerei, wenn sie sich auch von dem geräuschvollen Treiben der Welt zurückzieht, kann sich nicht ganz der Einwirkung jener Strömungen entziehen. Durch die verschlossenen Türen unserer Tempel dringt von jenen Stürmen da draußen eine scharfe Zugluft bis zu uns herein. Realisten und Idealisten hat es zu allen Zeiten auch in unserm Bunde gegeben; wer seine Geschichte kennt, der weiß, wie dieser Gegensatz die Ursache vieler Kämpfe und Streitigkeiten gewesen ist, die auch in unserer Zeit noch keineswegs überwunden sind. Glücklicherweise liegt in unserer Sache selbst die Gewähr, daß solche Kämpfe unsern Orden wohl erschüttern, aber nicht umstürzen können, ja, diese Kämpfe können nur dazu dienen, um uns Klarheit zu verschaffen und uns die Augen zu öffnen, daß wir deutlich erkennen, was uns fördert und was uns hemmt. — Überall ist die k. Kunst bestrebt, die Gegensätze auszugleichen und aus Kampf zum Frieden zu führen; so auch hier. Den Realisten schützt sie vor Verrohung und Versinken in Materialismus, den Idealisten vor ideologischer Schwärmerei und haltloser Zerfahrenheit. Indem sie beide vor den krankhaften Auswüchsen ihrer Richtung bewahrt, will sie ihnen den Weg zeigen, auf dem sie versöhnt der Vollendung entgegengehen können. Ja, die k. Kunst will keine Realisten und keine Idealisten, sie will Freimaurer, d.h. Männer, die da, im Realen >440< wurzelnd, zum Idealen emporstreben und so beide Richtungen in sich vereinigen; sie will das Gleichgewicht des Geistes in uns herstellen: darum legt sie in die Schalen ihrer Waage auf der einen Seite den rauhen, auf der andern Seite den kubischen Stein. Während bei den ungeordneten Gemütern draußen die Zunge der Waage schwankt, soll sie beim Freimaurer feststehen und nach oben weisen. Die Freimaurerei läßt den zum Lehrling Aufzunehmenden drei Schritte über die Tafel tun, welche die Welt, vornehmlich die Welt im kleinen, die Welt unseres Inneren, bedeutet. Von der Grundfeste des musivischen Fußbodens, der da ist die Geburtsstätte des geistigen Lebens, führt der erste Schritt zum kubischen Stein nach Süden, der zweite zum rauhen Stein nach Norden; dann erst ist es vergönnt, den letzten Schritt nach Osten zu tun. Diese drei Schritte werden im Lehrlingsgrade in ihrer wahren Bedeutung nicht erklärt, sie werden dem Nachdenken des Neueintretenden überlassen. Und so kann es denn dem angehenden Freimaurer nicht verborgen bleiben, daß diese drei Schritte den Weg durch das Leben wie durch den Orden darstellen müssen, den Weg, auf dem wir, durch Arbeiten gestaltet, durch Prüfungen bereitet, endlich zum Meister gelangen müssen, der uns aufnimmt und uns sein Licht schauen läßt. Warum aber gelangen wir erst zum Kubus nach Süden und dann zum rauhen Stein nach Norden? Sollte nicht die umgekehrte Reihenfolge die natürlichere sein? Heißt es doch in unsern Akten: „der rauhe Stein sei das Hauptaugenmerk der Lehrlinge; ihnen liegt ob, denselben zu behauen, zu ebnen und zu einem vollkommenen Baustein, d.h. zu einem Kubus, zu gestalten.“ (L. B. II, Beil., S. 47.) Es müßte also erst der rauhe Stein vor uns liegen, um durch uns seine Gestaltung zu erfahren. Dem ist aber nicht so. Wenn wir nicht zuerst das Bild des kubischen Steins in unserer Seele empfangen haben, können wir mit dem rauhen Steine nichts anfangen. Erst müssen wir wissen, wozu wir diesen gestalten sollen; dann erst können wir an die Arbeit gehen. Wer das Urbild der Vollendung nicht in sich trägt, der wandelt wie ein Blinder dahin; sein Streben wird gegenstandslos, weil ihm die Richtung fehlt. Darum führt uns die k. Kunst bei unserm ersten Schritt zum Ideal der Vollkommenheit; sie wählt als Bild dafür den rechtwinklig zugehauenen Baustein, der durch seine vollendete Form befähigt ist, sich leicht und ohne Zwang in den großen Tempelbau einzufügen, und sie stellt ihn in das hellste Licht. Während über das Bild des rauhen Steines im Norden der schwache Schimmer des zunehmenden Mondes sieh ergießt, strahlt über dem Bilde des Kubus im Süden die helle Mittagssonne, deren Licht von seinen polierten Flächen zurückgeworfen wird. Der Süden der Tafel zeigt uns das Leben in seinem höchsten Glanz und seiner reichsten Fülle, er zeigt uns das Kleinod — ein unbewegliches wird es von unsern Akten genannt — , das die für alle Ewigkeiten feststehende Norm für das Streben des Menschen bildet, das Bild der Vollendung, zu der jeder Mensch von seinem himmlischen Herrn und Meister berufen ist. Und doch, trotz des hellen Sonnenlichts, in welchem das Ideal des Lebens vor uns liegt, wie oft wird es verloren im Sturme der Leidenschaften und Begierden, wie oft wird es erstickt und begraben durch niedere Triebe, die uns das edle Bild verwischen und uns vom rechten Wege abziehen! Wie oft wird der menschliche Geist irre an dem, was ihm das Höchste und Begehrenswerteste sein sollte! Statt auf die Höhe seinem Ziel entgegenzuschreiten, führt ihn sein Weg hinab in die Abgründe der Finsternis und der Verzweiflung. Aller Haß und Streit, aller Irrtum und Wahn, alle Tränen und Schmerzen, alle Seufzer und Flüche sind in letzter Ursache zurückzuführen auf das Verlieren des Ideals und auf den verfehlten Weg, der uns, anstatt dem Göttlichen entgegenzuführen, zum Dienste falscher Götzen bringt, mögen diese nun Stolz, Eitelkeit, Habsucht, Sinneslust oder sonstwie heißen. Es ist dafür gesorgt, daß die Glieder unseres Bundes, wenn sie getreu ihrer Pflicht den Winken der Ordenslehre folgen, vor solchen Irrwegen bewahrt bleiben. Die Freimaurerei zeigt ihren Jüngern nicht bloß das Ideal, sondern sie weist ihnen auch die Wege, auf welchen sie sich ihm nähern können, und lehrt sie ihre Werkzeuge kennen, durch welche sie gefördert und vor Irrtümern bewahrt werden. Zunächst bringt der Orden uns in einen Raum, wo wir geschützt und wohlbedeckt sind, sicher vor Gefahr und Störungen. Das ist die rechte und gehörig gedeckte Loge, in welcher der Orden diejenigen versammelt, die sich der Wahrheit und dem Lichte zu nähern wünschen, das ist die Hütte Gottes bei den Menschen, deren Heiligtum von nichts Argem und Falschem entweiht werden darf. Wohl und festgefügt steht sie auf sicherem, nach der Wasserwaage geebneten Grunde, und selbst jene scharfe Zugluft, die ab und zu einmal durch die geöffnete Tür von dem wirren Treiben da draußen zu uns herein fährt, sie kann den >442< durch Liebe, Freundschaft und gleiches Streben gefestigten Mauern nichts anhaben. Und wenn wir uns in unserer Arbeitsstätte umschauen — siehe da!, so erscheint uns die ganze Loge wieder unter dem Idealbilde des Kubus; denn unser Lehrlings-Fragebuch (Frageb., II Abt., 2. Art., Fr. l bis 8) sagt ausdrücklich, „daß die Länge der Loge gleich ihrer Breite und ihre Höhe gleich ihrer Tiefe ist, daß ihre Länge von Osten nach Westen, ihre Breite von Süden nach Norden reicht, daß ihre Höhe eine unzählbare Anzahl von Ellen beträgt, ihre Tiefe sich von der Oberfläche der Erde bis zu deren Mittelpunkt erstreckt, und daß sie bedeckt sei mit einer himmelblauen Decke, bestreut mit goldenen Sternen.“ So zeigt uns unsere Loge im Bilde des Kubus das große Bauwerk der Welten in seiner Unendlichkeit und Pracht, als einen heiligen Tempel, in dessen Heiligstem unsichtbar und unnahbar der Allmächtige Baumeister dieses Tempels selbst seinen Sitz hat, er, dessen heiliges Gesetz gilt und waltet durch das Heiligtum in seinen höchsten Höhen, seinen tiefsten Tiefen und seinen fernsten Fernen. Und wir Brüder finden uns wieder in diesem Tempel als Bürger einer idealen Welt, die in ihrem regelrechten Haushalt keine Störung noch Verwirrung kennt, wir finden uns zusammen als Brüder, als Söhne des einen allmächtigen und allliebenden Vaters, als Erstgeborene seines Lichtes, hoch begnadigt vor allen seinen anderen Geschöpfen durch die Fähigkeit, sein Licht und seine Wahrheit zu erkennen und durch Erweckung dieses Lichtes und seines heiligen Wortes ihn zu ahnen und uns ihm zu nähern. Beim Scheine dieses Lichtes und durch den Schall des Wortes des ewigen Meisters, der in uns widerklingt, offenbart sich uns der ewige unzerstörbare Kern unseres Inneren. Das Bild der Welt finden wir wieder als Spiegelbild in uns. Als ewiges unveräußerliches Erbteil ist das Kubische, das Göttliche, das Urbild der Vollkommenheit, in uns gelegt, aber nur als Abbild, als Keim für eine zukünftige Gestaltung unseres ganzen Ichs, als ein Pfund, das wir nicht vergraben, sondern mit dem wir wuchern sollen. Daß dieses Kubische, dieses göttliche Erbteil, nicht nur in uns, die wir das Bewußtsein davon haben, sondern auch in die ganze Schöpfung als etwas Unvergängliches und Unabänderliches hineingelegt ist, darauf deutet die Wasserwaage hin, die wir auf unserer Tafel unter dem kubischen Steine dargestellt sehen. Nach unserem Fragebuche (Fragebuch VI. Abt., Fr. 16) dient die Wasserwaage dazu, „den Grund zum Gebäude gleich und richtig zu machen“. Wenn wir also die Wasserwaage unter dem Kubus sehen, so will das sagen: der Grund, auf dem das Göttliche in der Welt ruht, ist fest und gleich, der ewige Meister hat ihn selbst gelegt, was auf ihm gebaut ist, kann nicht fallen und gleiten. So ruhig und sicher wie das Samenkorn in der Erde ruht auch der Keim des Göttlichen im Geschaffenen. Nur bedarf es bei jenem des Taus und des Sonnenscheins, um ihn ans Licht zu locken und zur Ähre zu entwickeln, bei diesem müssen durch Arbeit die schlummernden Kräfte geweckt und zur Entfaltung gebracht werden, damit der Kubus, das Bild der Vollkommenheit, welches vorgebildet im Innern liegt, nach außen hin in die Erscheinung trete. Dies führt uns nun auf die Bedeutung des kubischen Steines als Mittel zur Gestaltung unseres Inneren und auf die Wege, die im Schutze der wohlbedeckten Loge uns mit unfehlbarer Sicherheit ans Ziel führen, wenn wir in hingebendem Eifer und unerschütterlicher Treue den Winken folgen, die der Orden uns gibt. Bei unseren Betrachtungen über die Arbeit am rauhen Stein, die ja die Vollendung des kubischen Steines zum Ziel hat, haben wir gesehen, daß diese Arbeit eine zwiefache ist, und zwar erstens eine Arbeit von außen nach innen, nach der Art, wie sie der Steinmetz vollbringt, indem er die rauhen Ecken abschlägt und mit Hilfe von Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei den Kubus herausschält; bei dieser Arbeit wird durch das von außen an uns herantretende Pflichtgebot unser geistiger Mensch geformt und veredelt. Zweitens aber ist eine Arbeit von innen nach außen notwendig, welche jener, die eigentlich nur vorbereitend wirkt, entgegenkommt. Sie ist die wichtigere, notwendigere, die eigentlich freimaurerische Arbeit, die sich durch die Kelle, d.h. durch die Wirksamkeit des göttlichen Wortes, in uns vollzieht. Über diese Arbeit von innen heraus geben uns unsere Akten einen wichtigen Fingerzeig durch das, was sie zur Erklärung des kubischen Steins sagen. Es heißt es in der Ausdeutung der Arbeitstafel, „Der kubische Stein ist nach dem Winkelmaß, der Wasserwaage und dem Senkblei geebnet und dient unsern Gesellen zum Augenmerk, um daran ihre Werkzeuge zu schleifen.“ (L. B. II, Beil., S. 47.) Wir sehen also hier die Arbeit am kubischen Stein eigentlich den Gesellen zugewiesen. Es deutet darauf auch hin, daß die Säule zur Rechten, an der >444< die Gesellen ihren Lohn erhalten, deren Name und Inhalt aber den Lehrlingen unbekannt ist, im Süden unter dem kubischen Stein und der Wasserwaage befindlich ist. Das Fragebuch aber läßt an der parallelen Stelle keinen Zweifel darüber, daß auch die Lehrlinge an dieser Arbeit vollen Anteil haben; denn es heißt daselbst: die Gesellen sollen am kubischen Stein ihre und der Lehrlinge Werkzeuge schleifen. Und weiter fügt das Fragebuch erklärend hinzu: „Welches sind die Werkzeuge eines Freimaurers ?“ „Die Vernunft, der Verstand und der Wille.“ „Was bedeutet der Ausdruck, sie sollen ihre Werkzeuge schleifen?“ „Die Vernunft gewöhnen, zu verstehen und zu wollen, was gut ist.“ (Fragebuch Abt. II, Art. l,Fr. 32 bis 34.) Ich habe vorhin die Entwicklung des inneren Menschen mit der eines Samenkorns verglichen. Was ist es denn, was das Samenkorn befähigt, zur Pflanze zu erwachsen und Blüte und Frucht zu bringen? Erstens muß das Korn einen gesunden Keim in sich bergen, ein kleines unscheinbares Knöspchen, dem niemand ansehen kann, was seine eigentliche Bestimmung ist, in welchem aber die ganze Pflanze bereits vorgebildet enthalten ist; zweitens aber ist in ihm die Kraft enthalten, die geweckt und gestärkt werden kann, um den Keim der Entwicklung entgegenzuführen, so daß er mit unwiderstehlicher Gewalt, die dunklen Erdschollen durchbrechend, sich dem Lichte entgegen ringt. So ist es auch mit dem Menschengeiste, der, sowie das Saatkorn vom Sämann in das Erdreich, von unserm Schöpfer und Vater in das materielle Kleid unseres irdischen Leibes hinein gesät worden ist. Die Keimkraft aber, die in uns gelegt ist, erscheint uns in dreifacher Art als das, was unsere Akten unsere Werkzeuge nennen: Vernunft, Verstand und Wille. Es sind drei verschiedene Richtungen unseres Geistes, die aber doch wieder dem einen göttlichen Keim unseres Inneren entstammen. Die Vernunft ist das kostbarste Erbe, das wir vom Schöpfer erhalten haben. Sie ist es, die uns über alle andern Geschöpfe erhebt, sie ist das teure Kleinod, durch das wir befähigt sind, uns über die Sinnenwelt hinaus in das Reich der Ideen zu erheben. Alle abstrakten Begriffe, aus denen sich unser Geistesleben zusammensetzt, gewinnen wir durch sie. Der Verstand aber ist die Kraft, die es uns erst ermöglicht, sowohl die durch sinnliche Wahrnehmung uns gewordenen Begriffe als auch die durch die Vernunft gewonnenen Ideen durch Urteile und Schlüsse miteinander zu verknüpfen. Ich möchte die Vernunft als intensive, den Verstand als extensive Tätigkeit unseres Geistes bezeichnen. Das Material, das die Vernunft bietet, sichtet und ordnet der Verstand durch den logischen Prozeß, und wir gelangen durch ihn erst zu einem allgemeinen Weltbilde. — Der Wille endlich ist die Kraft, welche jene beiden in Bewegung setzt. Ohne ihn ist weder ein geistiges noch ein Leben in der Sinnenwelt möglich; er ist es, der uns zum Handeln nach freier Selbstbestimmung antreibt. Diese drei Kräfte unseres Geistes können mißleitet werden und verkümmern wie das Samenkorn, dem nicht die notwendigen Bedingungen zur Entwicklung gegeben werden. Die Vernunft kann einschlafen; der Verstand kann sich, anstatt in den Dienst der ewigen Ideen zu treten, zum Irdischen, Vergänglichen, Gemeinen erniedrigen; der Wille kann seine Richtung verfehlen und uns, anstatt vorwärts und aufwärts zum Licht und zur Wahrheit, rückwärts und abwärts zur Finsternis und zum Irrtum führen. Darum ist das nötig, was der Orden mit dem Schleifen der Werkzeuge am kubischen Stein bezeichnet: die Vernunft gewöhnen, zu verstehen und zu wollen, was gut ist. Jede Kraft, die recht wirken soll, muß erstens geübt werden, sonst wird sie schwächer und schwächer, bis sie endlich ganz abstirbt; zweitens muß sie die rechte Richtung haben, in der sie sich betätigen soll. Beide Aufgaben werden am kubischen Stein gelöst. Dadurch, daß uns das Bild des Ideals der Vollkommenheit beständig voranleuchtet mit dem Gebot: „Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist“, dadurch, sage ich, wird dem in unsern irdischen Leib eingeschlossenen und durch Bande der Materie gefesselten Keim der Vernunft Luft und Licht, Tau und Sonnenschein zugeführt. Durch das Leben, das vom Ideal ausgeht, wird sie dahin geführt, zu verstehen und zu wollen, was gut ist, d.h. sie ist es, die durch die Erkenntnis des Guten erleuchtet, den Verstand beherrscht, anstatt von ihm beherrscht zu werden, sie ist es, die, anstatt sich von dem Willen knechten zu lassen, ihm in rechter Erkenntnis der Wahrheit das Gesetz des sittlichen Handelns vorschreibt und ihn so von der Willkür zur Freiheit führt. Um aber diese unsere geistigen Kräfte zu regeln und sie stets in der rechten Richtung auf das Ziel der Vollendung >446< zu erhalten, dient der Hammer, der mit seinem Schlag uns „in Ordnung“ zwingt und darum auch auf unserer Tafel seine Stelle neben dem kubischen Stein hat. So wird derjenige, der seine Werkzeuge am kubischen Steine schleift, selbst zum Kubus. Die rauhen Ecken und Kanten fallen ab, und der vollendete Mensch, der Erstgeborene vom Vater, erhebt sich aus der irdischen Hülle, um heimzukehren zu dem, der ihn erschaffen hat. Wer aber hat diese Vollendung erreicht? Von allen Sterblichen nur Einer, den wir darum unsern Obermeister nennen. Nach dem Willen des Allvaters war es ihm beschieden, das Göttliche im Menschlichen ganz zu vollenden. Darum steht er da als vollkommener Kubus, als unseres Tempels Grund und Eckstein, dessen Licht läuternd und erlösend durch die Jahrtausende in alle Ewigkeit hinaus leuchtet. Ihn recht zu erkennen und zu erfassen, durch seine Kraft uns emporheben zu lassen aus dem Staub und Schutt des Bauplatzes auf die lichte Tempelhöhe eines vollkommenen Lebens in Gott, das ist das Endziel unserer Ordenslehre, das ist die Seligkeit, die den Geprüften und Bewährtgefundenen im innersten Raume unseres Tempels aufbewahrt ist. Wer auf diese Höhe gelangt ist, für den ist der Unterschied zwischen Realem und Idealem geschwunden. Ein Idealismus kann nur stattfinden und sich dem Realismus gegenüberstellen im Kampfe, wo das Göttliche noch im Irdischen gefesselt liegt. Auf der Höhe der Vereinigung mit dem Vater ist dieser Kampf ausgekämpft; der Sieg ist errungen, und was uns in der kämpfenden Loge als das Ideale erschien, das wird in der siegenden Loge zu dem eigentlich Realen, weil es das einzig wahrhaft Seiende, das Ewige ist, vor dessen Wahrheit alles Irdische als eitler Schein dahinschwindet. Möge es uns allen vergönnt sein, durch die Hilfe dessen, der in dem Schwachen mächtig ist, das volle Licht seiner ewigen Loge zu schauen! (1891.) Das Reißbrett. Die Symbole des rauhen und des kubischen Steines bereiten dem Verständnis keine besonderen Schwierigkeiten. Wenn es dem Anfänger ohne Anleitung auch nur schwer gelingen mag, ihre ganze Tiefe zu erforschen, so wird er sich der Hauptsache nach doch bald darüber klar, was sie ausdrücken wollen. Desto schwerer ist dagegen das dritte der unbeweglichen Kleinodien, das Reißbrett, zu verstehen. Überhaupt muß der Lehrling auf ein volles Verständnis dieser wichtigen Hieroglyphe verzichten. Erst im Gesellengrade läßt sich eingehender darüber reden, und der Meistergrad gibt befriedigenden Aufschluß. Aber damit ist die Sache keineswegs abgeschlossen. In den Andreasgraden wird die Erkenntnis des Reißbrettes noch mehr vertieft und erhält in den Kapitelgraden ihren Abschluß. Im Lehrlingsgrade können deshalb nur einige Andeutungen gegeben werden. Mit dem flammenden Stern zusammen nimmt das Reißbrett die Mitte der Tafel ein, ein Umstand, der auf die hohe Wichtigkeit dieser beiden Sinnbilder hinweist. Beide zusammen sind gleichsam das Herz des Lehrlingsteppichs, welches Lichtstrahlen und Lebensströme nach allen Seiten hin verbreitet. Auch unsere Akten heben die Beziehungen des Reißbretts zum flammenden Stern ausdrücklich hervor. Was sagen nun unsere Lehrlingsakten über dieses merkwürdige Symbol? In der Erklärung der Lehrlingstafel heißt es folgendermaßen : „Das Reißbrett, welches mitten unter dem flammenden Sterne befindlich ist, dient unsern Meistern, um darauf Entwürfe zur Ausführung des Baues zu machen. Denn kein geschickter Baumeister fängt seine Arbeit an, bevor er nicht eine Zeichnung gemacht und einen vernünftigen Plan entworfen hat.“ (L. B. II, Beil., S. 4T.) Und im Fragebuch heißt es: „Wozu dient das Reißbrett?“ „Die Meister sollen auf dem Reißbrett Entwürfe machen und für die Arbeiter und Brüder Freimaurer die Arbeit zeichnen.“ (Fragebuch VI, 23. Vgl. auch II, Art. l, Fr. 29 und X, Fr. 85.) Wie sieht nun das Reißbrett aus? — Dieses Symbol hat eine vollständige Geschichte in unserer Lehrart. Die Zeichnung, welche von Br. v. Eckleff an Br. v. Zinnendorf mit den Akten gelangt ist, zeigt ein Reißbrett, welches ganz anders aussieht als das heute bei uns >448< gebräuchliche. Es bestand aus einer rechteckigen weißen Platte, welche eine schräge Lage hatte, so daß der eine der oberen Winkel nach dem Stern, der eine der unteren Winkel nach dem Zirkel hinwies. Auf der Platte bemerkte man einige Figuren, zum Teil ganz unbestimmt und flüchtig gezeichnet, über welche eine Erklärung nicht existierte; auch wußte niemand, was sie bedeuten sollten. Br. v. Zinnendorf ließ daher diese Figuren ganz weg, so daß das Reißbrett ganz weiß blieb und in schräger Stellung. Die späteren schwedischen Akten, welche unter König Karl XIII. eingeführt wurden, zeigen ein gerade stehendes Rechteck, auf welchem neun geometrische Figuren in drei Reihen sichtbar sind. Die oberste Reihe zeigt ein rechtwinkliges Doppelkreuz #, einen Kreis und ein schräges, einfaches, rechtwinkliges Kreuz; die zweite ein Quadrat zwischen zwei gleichseitigen Dreiecken, von denen das eine mit der Spitze nach unten, das andere mit der Spitze nach oben weist; die dritte Reihe endlich zeigt in der Mitte die Figur des großen pythagoräischen Lehrsatzes, links die Figur zum Beweise des Satzes, daß die Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten sind, und endlich rechts die Konstruktion der Aufgabe, ein Rechteck in ein Quadrat zu verwandeln. Bei der Neuredaktion unserer Akten, welche Br. v. Nettelbladt nach ferneren schwedischen Überlieferungen unternahm, und welche in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingeführt wurde, ist das Reißbrett in dieser Gestalt vom Br. v. Nettelbladt nicht aufgenommen worden. Er stellte das Rechteck gerade, so daß seine Seiten parallel mit dem Rahmen der Arbeitstafel stehen, und von den geometrischen Figuren behielt er nur das schräge Kreuz bei, das er in die Mitte des Reißbrettes stellte, und dessen rechtwinklige Form er in die eines sog. Andreaskreuzes verwandelte, welches die Figur des lateinischen Buchstabens X oder der römischen Ziffer X zeigt. Wichtig erscheint mir dabei, daß, wenn man die beiden oberen und die beiden unteren Enden der Kreuzbalken miteinander verbindet, zwei gleichseitige Dreiecke entstehen, die mit ihren Spitzen aneinanderstoßen und so die ungefähre Figur einer Sanduhr bilden. Das Kreuz selbst erscheint auf unserm jetzigen Reißbrett rein weiß auf dunkler gefärbtem Grunde, während der dasselbe umgebende Rahmen wieder heller gefärbt ist. Es zeigt also das auf der ganzen Arbeitstafel durchgeführte Prinzip von Weiß und Schwarz, und bildet somit eine Arbeitstafel im kleinen. Es war ein höchst glücklicher Gedanke des Brs. v. Nettelbladt, das schräge Kreuz auf das Reißbrett zu setzen; denn diese einfache Figur ist von großer Bedeutung für unsere ganze Symbolik. Sie ist eine sog. symbolische Wurzel, aus der, wie spätere Grade zeigen, sich manches entwickeln läßt. (Einen ebenso genialen Gedanken faßte Br. v. Zinnendorf, als er aus einer seiner Tochterlogen die Anfrage erhielt, wie die Aufdrückung von Salomos Siegel auf des Leidenden Zunge erfolgen solle. Da die Akten darüber keine Vorschrift enthalten, so bestimmte Br. v. Z., daß der zweite Aufseher die Kelle dazu benutzen sollte; ein Gehrauch, der heute noch besteht und in seiner Sinnigkeit gerade das trifft, was hier ausgedrückt werden soll.) Das schräge Kreuz ist die einzige Figur, die er aus dem schwedischen Reißbrett (auch auf dem Eckleffschen Reißbrett ist das schräge Kreuz deutlich erkennbar) herübergenommen hat, nur mit dem Unterschiede, daß er es nicht rechtwinklig, sondern als richtiges Andreaskreuz, in welchem sich die beiden Balken unter einem Winkel von 60° (bzw. 120°) schneiden, in die Mitte hinein zeichnete. So liegt das Reißbrett jetzt vor uns, hoffentlich für immer. Betrachten wir das Symbol näher, so finden wir, daß nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form für uns bedeutungsvoll ist. Die Form ist die eines aufrecht stehenden Rechtecks, dessen kürzere Seiten oben und unten, dessen längere Seiten rechts und links liegen. Man erhält dieses Rechteck, wenn man die Endpunkte eines regelmäßigen Sechsecks, mit Übergehung von zwei sich gegenüberliegenden, miteinander verbindet. Weshalb das Reißbrett gerade die Form des im Sechseck liegenden Rechtecks haben muß, wird dem Johannisgesellen klar werden. Der Lehrling muß sich mit der Tatsache begnügen. In unserer Symbolik nun steht das Rechteck, das rechtwinklige Viereck mit ungleichen Seiten, auf einer niedrigeren Stufe als das Quadrat, welches in seiner rechtwinkligen und gleichseitigen Gestalt die vollkommenste Flächenfigur ist. Der Kubus, der, wie wir gesehen haben, das Idealbild des vollkommen Geschaffenen darstellt, zeigt uns in allen seinen Flächen auch das vollkommene Quadrat. Ein Baustein, welcher von lauter >450< rechteckigen Flächen begrenzt wird, wäre wohl für manchen Zweck des Baumeisters verwendbar, aber er hätte noch nicht die vollendete Form des kubischen Steines erreicht, welcher vor allen auserwählt und köstlich ist. Doch wäre es möglich, daß er die Form erhalten könnte. Wenn wir nun für die körperlichen Steine ihre Flächen nehmen, unter welchen sie dem Auge erscheinen, so sehen wir im Quadrat das Bild des Vollkommenen, im Rechteck dagegen das Bild des in der Entwicklung zur Vollkommenheit Begriffenen. Dies wird derjenige, der im Orden weiter fortschreitet, bestätigt finden. Es ist meiner Meinung nach daher auch wohl beachtenswert, daß die ganze Lehrlingstafel, wie sie in der Zeichnung unserer Akten vor uns liegt, nicht vollkommen quadratisch ist; die Eckleffsche Tafel ist es auch nicht. Hätte Br. v. Nettelbladt die quadratische Form gewollt, so wäre es ihm ein Leichtes gewesen, sie herzustellen. Er tat das aber nicht, obgleich er in den Erklärungen sagte: „Diese Tafel soll viereckig und gleichseitig sein usw.“, d.h. sie sollte so sein, ist es aber nicht. Nur der eigentliche Raum der Tafel, der die Figuren auf schwarzem Grunde zeigt, ist ein vollkommenes Quadrat. Dies ist gleichsam die höhere Welt der Ideen, welche die Figuren ausdrücken. Diesem Quadrat haftet in dem Fußboden noch ein Erdenrest an, der dadurch, daß er sich ihm anschließt, ihm die vollkommene Form nimmt. Es dauert noch recht lange, bis wir endlich die quadratische Tafel finden, die uns das Bild der vollkommenen Welt ohne Trübung schauen läßt. Der Inhalt des rechteckigen Reißbrettes ist das schräge sog. Andreaskreuz. Es ergibt sich ungezwungen aus der Form des Rechtecks selbst; denn es entsteht, wenn man die beiden Diagonalen zieht, welche in der Zeichnung nicht ganz bis an die Eckpunkte geführt sind. Das schräge Kreuz ist dem Lehrling nicht mehr ganz unbekannt; er erblickt es bei jeder Aufnahme, wenn die Brüder Aufseher hinter dem am Altare knieenden Suchenden ihre Schwerter kreuzen. Ich glaube nun, in unserer Symbolik ein bestimmtes Gesetz zu erkennen, das ich überall bewahrheitet gefunden habe, und das ich an dieser Stelle aussprechen und vorausschicken möchte. Die überwiegende Mehrzahl unserer Sinnbilder ist geometrischer Natur; sie zeigen als ihre Grundform die Linie. In welche Hülle die Linie dabei gekleidet ist, ob sie als Schnur eines Bleilots, als Umriß einer geometrischen Figur, als Kreuzbalken, als Schwertklinge oder sonstwie erscheint, ist dabei zunächst nebensächlich. Selbst die beiden Säulen lassen sich so auffassen. Die Mitte der Säule, gleichsam ihre Seele, ist gleichfalls eine gerade Linie, welche senkrecht auf der Grundfläche, auf welcher die Säule steht, aufgerichtet ist und ihren Schwerpunkt enthält. Wo nun in unserer Symbolik eine Linie auf eine andere stößt, wie z. B. beim Winkelmaß, beim Hammer usw., da soll etwas ausgedrückt werden, was erst gestaltet, gleichsam gezeugt werden soll. Eine Linie wirkt auf die andere ein als eine Kraft, die etwas ins Werk setzen, etwas in die Erscheinung treten lassen will. Die Erweckung schlummernder Kräfte ist es, die hier angedeutet werden soll. Wo jedoch die sich treffenden Linien einander durchschneiden, wie z.B. bei den Linien des flammenden Sterns, bei dem Geflecht des musivischen Fußbodens und bei unserm Andreaskreuz auf dem Reißbrett, da ist eine Gestaltung schon vollzogen, eine Idee hat Leben gewonnen und hat sich in greifbarer oder fühlbarer Weise bereits verkörpert. Von diesem Gesichtspunkt aus haben wir das Andreaskreuz des Reißbrettes zu betrachten. Nach dem, was in unsern Akten steht, ist es zweifellos, daß der Orden durch diese Figur die Art und Weise ausdrücken will, wie aus dem rauhen Stein der Kubus werden soll. Es ist der Weg vom Unvollkommenen zum Vollkommenen, welcher hier angedeutet wird. Das Reißbrett gehört, wie die Akten sagen, den Meistern, deren Aufgabe es ist, auf demselben Entwürfe zur Ausführung des Baues zu machen. Sie sollen, nach dem Fragebuch, die Arbeit den Brüdern vorzeichnen. Hierbei ist zweierlei auffallend. Erstens kann ein Zeichenbrett doch nur für den in Rede stehenden Zweck benutzt werden, wenn es eine tabula rasa ist, wenn noch nichts darauf gezeichnet ist. Dies ist aber doch bei unserem Reißbrett nicht der Fall, denn es zeigt das schräge Kreuz. Zweitens ist es nicht recht ersichtlich, weshalb es noch nötig sein soll, daß die Meister für die Arbeiten Zeichnungen entwerfen; denn das unbewegliche Kleinod des kubischen Steines steht allen als Muster vor Augen, so daß es sich zu erübrigen scheint, auf dem Reißbrett noch besondere Vorlagen zu geben. Wie erklären sich nun diese Widersprüche? >452< Die Entwicklung des Unvollkommenen zum Vollkommenen geschieht nach einem ewigen göttlichen Gesetz, das unabänderlich ist und für alle Ewigkeit feststeht. Diese Wahrheit soll in dem unbeweglichen Kleinod des Reißbrettes zum Ausdruck kommen. Es würde aber nur bedingt richtig sein, wenn wir das schräge Kreuz als Symbol dieses Gesetzes ansprechen wollten. Das göttliche Gesetz liegt im Winkelmaß, wie wir bei der Betrachtung der beweglichen Kleinodien sehen werden. Das Winkelmaß ist nach dem oben entwickelten Gesetz die noch ruhende göttliche Zeugungskraft, denn die beiden Linien, die es bilden, berühren sich nur in den beiden Endpunkten. Das schräge Kreuz dagegen besteht aus zwei sich schneidenden Linien; es bedeutet daher nach dem oben Gesagten eine Schöpfung, die durch jenes göttliche Gesetz Leben gewonnen hat und in die Erscheinung getreten ist, ein Etwas, aus dem das göttliche Gesetz erkennbar ist und den Strebenden zum Bewußtsein gebracht wird. In der Baukunst geschieht dies bereits in deutlichster Weise durch den Plan, den der Meister den Arbeitern vorzeichnet. Einen solchen Plan hat der Orden uns schon auf dem Reißbrett der Lehrlingstafel in dem schrägen Kreuz gezeigt. Zwei Strahlen oder Kräfte durchkreuzen sich hier, es ist das Menschliche und das Göttliche, das sich in gegenseitiger Durchdringung zu einem Gebilde gestaltet. Es sind die Kräfte der beiden Säulen, die auf der Arbeitstafel sich getrennt gegenüberstehen, hier aber ihrem inneren Gehalt nach zu gemeinsamer Wirkung vereinigt sind. (Daß diese Auffassung dem Orden nicht fremd ist, beweist ein altes Andreas-Meisterzeichen, welches sich in der Bijou-Sammlung unserer Loge befindet Dasselbe stellt ein ovales Medaillon dar, welches auf der einen Seite das Bild des gekreuzigten Apostels, auf der andern aber das durch die beiden Säulen gebildete schräge Kreuz zeigt.) Die Kraft, die sich im Winkelmaß darstellt, schuf den Menschen, wie er dasteht, als letztes Glied der Schöpfung; das schräge Kreuz dagegen zeigt eine Neuschöpfung, eine Wiedergeburt, die der Mensch in eigener Freiheit vollzieht, und die die göttliche Kraft in ihm zustande bringt, und das ist eben die Entzündung des inneren Lebens, wenn das Göttliche das Menschliche zu durchdringen beginnt. Das ist das tiefste Geheimnis der Freimaurerei, das sich nur dem erschließt, der es in sich selbst erlebt und erfahren hat. Nun können wir auch begreifen, was es damit auf sich hat, daß die Meister die Arbeit für die Lehrlinge und Gesellen zeichnen sollen. Wer ist ein Meister? Ein Meister ist nur der, welcher jenes innerste Geheimnis der Neuschöpfung zum Licht in sich erlebt hat. Er allein ist befähigt, die Arbeiter recht zu unterrichten und ihnen die Wege zu weisen, nicht dadurch, daß er ihnen mitteilt, was uns der Orden an Erklärungen seiner Zeichen und Sinnbilder gegeben hat, auch nicht durch mehr oder weniger geistvolle Auslegungen des vom Orden Überlieferten. So schätzbar diese Mittel auch sind, so können sie doch erst recht verfangen, wenn dahinter die durch die k. Kunst geläuterte und erleuchtete Persönlichkeit steht, die dem toten Wort das rechte Leben verleiht. Ein Meister, der seinen Jüngern das vorlebt, was sie zu gestalten haben, der zeichnet ihnen die Arbeit hin, auf die sie schauen als auf ein begeisterndes Vorbild, das ihre Nacheiferung erweckt und sie mehr fördert als gute Lehren und schön gesetzte Worte. Der Orden gibt den Meistern das Reißbrett in die Hand und belehrt sie durch das schräge Kreuz, was sie den Arbeitern vorzeichnen sollen, jeder für sich, jeder auf sein eigenes Reißbrett, das aus seiner Persönlichkeit hervorleuchten soll. Das gelingt in größerem oder geringerem Maße; es bleibt immer ein menschlich unvollkommenes Bild; die Tafel bleibt ein gestrecktes Rechteck, das sich dem Quadrat zu nähern sucht, und das Kreuz darauf zeigt ungleiche Winkel, aber es sucht sich dem rechtwinkligen Kreuz zu nähern, denn der Weg zur Vollkommenheit, vom rauhen Stein zum Kubus, ist auf dem Reißbrett verzeichnet. Alle großen Geister, die die Menschheit wahrhaft erleuchtet und gefördert haben auf der Bahn zur Vollendung, waren solche Meister und haben auf solche Weise gewirkt, nicht bloß durch Worte und Lehren, sondern durch die Macht ihrer Persönlichkeit und durch das Licht ihres inneren Lebens. Solch ein Meister war Moses, der seinem Volke das Gesetz vom Sinai herabbrachte. Wohl war er ein innerlich Erleuchteter, aber das Volk verstand ihn nicht. Es nahm das Gesetz wohl an und befolgte es, und wenn es abfiel, so kehrte es immer reumütig zu ihm zurück. Aber das Gesetz blieb ihm etwas Äußerliches. Wir haben bei der Betrachtung des rauhen Steines gesehen, daß ein äußerliches Abschleifen und kubisches Formen nicht genügt, sondern daß eine innerliche Arbeit hinzukommen muß, die allein das Baustück tüchtig machen kann. Auf der Stufe der äußeren Gesetzlichkeit war aber das jüdische Volk stehen geblieben. Auf dem Reißbrett des Moses erschien dem Volke das schräge Kreuz nur als die kalte Zahl X, als die zehn Gebote mit ihrem „du sollst“ und „du sollst >454< nicht“. Das Warum, die Quelle, aus der das Gesetz geflossen war, blieb ihm verborgen. Da erschien ein anderer Meister, Johannes der Täufer. Durch ihn leuchtete die erste Dämmerung des Lichtes auf, das von innen heraus erleuchtet. Er lehrte die innere Umwandlung und Erneuerung und fing an, jene Quelle zu erschließen und damit die Bahn zur Vollendung zu eröffnen. Er zeigte das Lebensgesetz, nach welchem die innere geistige Entwicklung des Menschen sich vollzieht. Und auch uns hat er, der der Patron unseres Ordens ist, das rechte Verständnis für das schräge Kreuz (Das Siegel unserer höchsten Ordensabteilung zeigt den Arm Johannis des Täufers, welcher das schräge Kreuz hält, mit welchem wir den Täufer auch sonst häufig auf Kunstwerken dargestellt sehen.) des Reißbretts eröffnet. „Öffne dein Herz dem ewigen Lichte und laß dich vom göttlichen Leben durchdringen.“ Das war seine Lehre. — Und noch mehr! Er wies auf den hin, der nach ihm kommen sollte, auf ihn, der da ist der Meister über allen Meistern. Sein Werk war, das Gesetz durch die Liebe, die des Gesetzes Erfüllung ist, zum rechten Verständnis zu bringen und zum Leben zu erwecken. Auf diesen höchsten Meister weist das Kreuz des Reißbrettes hin. Aber das Reißbrett dieses höchsten Meisters kann kein Rechteck mit schrägem Kreuze mehr sein, sondern ein Quadrat mit rechtwinklig sich kreuzenden Diagonalen. So erscheint es dem im Orden Fortschreitenden wirklich auf der Stufe, die ihn den Obermeister finden läßt. Seine Persönlichkeit war in Gott vollendet, menschliches und göttliches durchdrangen sich in ihm in vollkommenster Weise. Darum konnte er auch die tiefste und nachhaltigste Wirkung ausüben, die in den Jahrtausenden, welche nach seinem Erdenwallen verflossen sind und noch verfließen werden, sich nicht abschwächt, sondern zunimmt in dem Grade, als das Verständnis für seine Erscheinung wächst, trotz der Verdrehungen und Entstellungen, welche Aberglauben und Pfaffenweisheit an ihr von jeher verübt haben und noch heute an ihr zu verüben nicht müde werden. Und sollte nun die Freimaurerei, die doch die höchste Vollendung des Menschlichen durch das Göttliche anstrebt, an dieser größten und lichtvollsten Erscheinung der Weltgeschichte achtlos vorübergehen? — Nein! so wahr der Orden das Höchste will, und so wahr der Held aus Nazareth das Höchste vollbracht hat, so wahr ist er unser Obermeister, von dessen Fülle wir alle Gnade um Gnade genommen haben. Wenn er aber unser Obermeister sein soll, dann müssen wir nicht nur auf seine Lehre achten, sondern vor allem auf sein Reißbrett, auf welches er uns die Arbeit vorgezeichnet hat, auf dieses unbeweglich für alle Zeiten festliegende Kleinod, auf seine in höchster Vollendung von Gott durchdrungene Persönlichkeit, von welcher der Ruf durch alle Jahrtausende erschallt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Doch genug! Wir sind über den Rahmen des Lehrlingsgrades schon hinausgegangen; denn das Verständnis des höchsten Meisters und die Erreichung des Erblohnes, der uns durch ihn zuteil wird, das alles muß den höchsten Stufen unseres Ordens vorbehalten bleiben. Der Lehrling soll wohl schon von weitem den Schimmer des höchsten Lichtes schauen und der herrlichsten Zukunft ahnungsvoll entgegensehen; aber zunächst soll er auf das Johanneische Reißbrett und auf den Weg der Erweckung des inneren Lebens achten. Er soll säen, damit er, wenn die Zeit der Ernte kommt, volle Garben bringen und sein „Auskommen“ haben möge. (1904.) >456< Die drei beweglichen Kleinodien, Winkelhaken, Wasserwaage und Senkblei. In den sogenannten beweglichen Kleinodien liegen uns drei Werkzeuge vor, welche dem Maurer oder Steinmetzen jederzeit dienen müssen, um zu kontrollieren, ob seine Arbeit in richtiger Weise geschieht. Wenn ein Arbeiter es unternimmt, aus einem rohen Steinblock einen Kubus herauszuschlagen, so kann er damit beginnen, daß er zunächst die obere Fläche bearbeitet und sich bemüht, sie wagerecht herzustellen. Hierzu ist es nötig, daß die Wasserwaage unablässig als Prüfmittel angewandt werde. Sie muß an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Richtungen aufgesetzt werden, um nachzumessen, ob die Fläche sich horizontal gestaltet. Ist dies fertig gebracht, so wird der Steinmetz sich daran machen, die zweite Fläche an die erste waagerechte senkrecht anzufügen. Bei dieser Arbeit muß das Senkblei angelegt werden, um unaufhörlich zu prüfen, ob sein Lot richtig einspielt, denn nur so erhält der Arbeiter die Gewißheit, daß er sein Werk vorschriftsmäßig ausführt. Beide Flächen aber müssen, wenn die Arbeit richtig gemacht ist, in einer geradlinigen Kante zusammenstoßen. Soll nun die dritte Fläche entstehen, welche mit den beiden ersten eine Ecke des Kubus bildet, so reichen Wasserwaage und Senkblei nicht mehr aus. Nunmehr muß das Winkelmaß (Der Ausdruck „Winkelmaß“ ist dem Winkelhaken vorzuziehen. Unter diesem kann man sich jeden beliebigen Winkel denken; unter Winkelmaß wird aber jeder ein rechtwinklig gestaltetes Werkzeug verstehen.) angewendet werden. Nur durch dieses kann man die Richtung der zweiten Kante finden, welche sich auf der oberen Fläche an die erste rechtwinklig anzuschließen hat. In dieser Weise setzt sich die Arbeit fort, bis endlich der ganze Kubus hergestellt ist. Wenn wir nun einen auf einer ebenen Fläche stehenden Kubus betrachten, so finden wir, daß alle seine Kanten senkrechte oder wagerechte Linien sind, wir finden, daß alle Winkel, die wir an ihm wahrnehmen, rechte Winkel sind, endlich, daß alle Flächen, von denen er begrenzt wird, als rechtwinklige und gleichseitige Vierecke, als Quadrate, erscheinen. Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei, oder kürzer gesagt: das Senkrechte und das Wagerechte — der rechte Winkel ist darin mit einbegriffen, denn er entsteht überall da, wo eine senkrechte und eine wagerechte Linie zusammentreffen —, sind also diejenigen Elemente, welche den Kubus entstehen lassen, sie sind das Prinzip, das sich in der Erscheinung des Kubus ausprägt. Wir können aber noch weiter gehen und sagen: Im Senkrechten und Waagerechten oder im rechten Winkel liegt das Prinzip der ganzen Baukunst. Bei der Vereinigung von Bausteinen müssen dieselben Prinzipien walten, welche bei der Bildung jedes einzelnen tätig waren. Wenn ein Gebäude aufgeführt werden soll, so muß ein ebener Baugrund vorhanden sein. Auf einem schrägen Abhang kann man nicht bauen, es müßten denn Untermauerungen oder Aufschüttungen stattfinden, um einen ebenen Grund herzustellen; dann erst kann man daran denken, senkrecht in die Höhe zu bauen. Das Waagerechte ist die Vorbedingung für das Senkrechte und findet in jenem Halt und Stütze; denn, wollte man einen Bau auf schiefem Grunde rechtwinklig in die Höhe führen, so würde er umfallen. Ebenso wäre es sinnlos und zugleich gefährlich, auf ebenem Grund ein schiefes Bauwerk zu errichten. (Die schiefen Türme zu Pisa und Bologna sind architektonische Kuriositäten, die aber weder schön noch nachahmenswert sind.) Die Vereinigung des Senkrechten und Waagerechten, also der rechte Winkel, ist gleichsam die Seele jedes Baues, weil er die architektonische Statik enthält, welche dem Werk Zusammenhang und Festigkeit sowohl als auch Ebenmaß und Schönheit verleiht. Jedes Bauwerk, von der schlichtesten Hütte bis zum stolzesten Palast, zeigt uns, wir mögen uns den Bau von außen betrachten oder in das Innere hineingehen, wie das Prinzip des rechten Winkels überall durchgeführt, überall das Gestalt- und Maßgebende ist. In allen Teilen des Baues, in seiner Fassade wie in seinem Innern, an jedem Pfosten und an jeder Säule, an jeder Zimmerecke, an jeder Tür und an jedem Fensterkreuz sehen wir den rechten Winkel, und selbst da, wo wir schräge Linien, wie an Giebelfeldern und Dachstühlen, oder gekrümmte, wie an Bögen und Gewölben, erblicken, ist es doch immer der rechte Winkel, der das >458< letzte Wort spricht, und auf welchen in der Konstruktion sich endlich alles zurückführen läßt. Alles dieses sprechen unsere Akten im Fragebuch (VI, 16 bis 18) in einfachsten Worten aus: „Wozu dient der Winkelhaken?“ „Die Gestalt zu geben.“ „Wozu dient die Wasserwaage?“ „Den Grund zum Gebäude gleich und richtig zu machen.“ „Wozu dient das Senkblei?“ „Das Gebäude auf seinem Grunde senkrecht aufzuführen.“ Wenn wir nun fragen: wer gab dem Menschen dieses Prinzip des Formens und Bauens? Wer war es, der den rechten Winkel erfand?, so müssen wir sagen: der große Weltenmeister selbst ist es gewesen, der dieses Gesetz gab und es den Menschen erkennen ließ. Der rechte Winkel ist ein Ausdruck für eine Naturkraft, die der ewige Meister als unerschütterliches Gesetz hingestellt hat. Das ist — die Schwerkraft. Wenn wir uns die Wasserwaage und das Senkblei ansehen, wie sie auf unserer Tafel abgebildet sind, so finden wir, daß das letztere die Gestalt eines Rahmens oder soliden Scheites zeigt, welcher ein langgestrecktes Rechteck ist, dessen lange Seite gegen die auf ihre senkrechte Richtung zu untersuchende Fläche angelegt wird. Die Wasserwaage dagegen bildet ein gleichschenkliges Dreieck, dessen untere Seite auf die zu prüfende Fläche aufgesetzt werden muß. Diese äußerlichen Formen sind nebensächlich. (Ob die vier- bzw. rechteckige Gestalt des Senkbleis und die dreieckige Gestalt der Wasserwaage hier einen besonderen Sinn haben, möchte ich dahingestellt sein lassen. Das Senkblei wird auch dargestellt als eine lange, auf eine Rolle gewickelte Schnur, an deren Ende sich ein Bleilot befindet. Ich ziehe aber die andere Form vor, da bei der einfachen Schnur die Richtung derselben durch die Kugel, welche an die zu prüfende Fläche anstößt, eine Ablenkung erfährt.) Das, worauf es ankommt, die eigentliche Seele des Werkzeugs, ist bei beiden dasselbe: es ist die Schnur, an welcher unten ein Bleilot hängt, und welche, wenn die zu prüfenden Flächen richtig sind, auf der Mittellinie des Instrumentes einspielen muß. Diese Schnur weist in beiden zum Mittelpunkte der Erde hin, und die Kraft, welche ihr diese senkrechte Richtung gibt, nennen wir Schwerkraft. Ebenso ist es die Schwerkraft, welche uns in der Oberfläche einer in einem Gefäß befindlichen, ruhig stehenden Flüssigkeit eine wagerechte Ebene darstellt. Diese zentripetale Kraft aber, auch Gravitation genannt, ist es, nach deren Gesetzen die Weltkörper einander anziehen und sich umeinander bewegen, Gesetze, die wir auf unserer Erde an einem fallenden Stein, ebenso wie in unermeßlichen Fernen, wo Planeten und Kometen um Sonnen und Doppelsterne umeinander sich bewegen, beobachten können. Wenn dieses Gesetz der Gravitation aufgehoben werden möchte, so würde unfehlbar der ganze Weltenbau in ein Chaos zusammensinken. Wir können also getrost behaupten, daß an den Scheitelpunkt des rechten Winkels der Zusammenhang und die Ordnung des ganzen Weltalls gebunden ist. Demgemäß erhält das Winkelmaß auf unserer Arbeitstafel einen besonderen Platz. Es befindet sich, wie die Erklärungen der Akten ausdrücklich hervorheben, „zwischen Sonne und Mond“. Dadurch wird auf seine kosmische Bedeutung hingewiesen; denn das Winkelmaß ist es, das auch diesen beiden Lichtern des Himmels, welche für unsere Erde und ihre Bewohner von so hoher Bedeutung sind, ihre Bahnen vorschreibt. So steht das Winkelmaß auf unserer Tafel als ein Zeuge der unendlichen Macht und der unergründlichen Weisheit des Weltenmeisters. Es ist wunderbar, wie in unserer Symbolik durch eine so einfache Figur, wie die Vereinigung einer waagerechten und einer senkrechten Linie zu einem Winkelmaß, so erhabene Ideen ausgedrückt werden können. Bei genauerer Betrachtung des Winkelmaßes auf unserer Tafel finden wir nun, daß seine beiden Schenkel weder senkrecht noch wagerecht stehen, vielmehr ist das Werkzeug so gezeichnet, daß der Scheitelpunkt nach Osten liegt, die beiden Schenkel aber nach Norden und Süden weisen. Der Winkel öffnet sich demgemäß nach Westen hin, um das, was er ausdrücken will, von Osten aus, woher seine Kraft stammt, nach Westen hin, wo die Geschaffenen stehen, in welchen diese Kraft lebendig werden soll, zu verbreiten. Aus dem Winkelmaß schallt uns, die wir als Suchende im Westen stehen, die Stimme des Ewigen entgegen: „Du Menschenkind, schaue nach Osten und erkenne mich, denn ich bin dein Gott. Mein Licht habe ich dir gegeben, damit du in ihm schauen mögest, was ewig ist. Mein Gesetz weise ich dir, wenn du auch mich selbst nicht sehen kannst, mein Gesetz, durch das >460< Himmel und Erde gegründet sind, das die Welt in ihren Angeln hält, und nach dem sich alles vollzieht in der sichtbaren wie in der unsichtbaren Welt. Erkenne meinen heiligen Willen, der auch dich in das Leben rief und dir die Fähigkeit gab, diesen meinen Willen, der sich dir im Gesetz offenbart, heilig zu halten und zu dem deinigen zu machen. Erkenne darin deinen heiligen Beruf, die Bestimmung, die dir gegeben ist: durch Erfüllung meines Gesetzes dich zu befreien und dich mir zu nähern. Das Wort, das einst an Abraham erging, es ist auch dir gesprochen: Ich bin der allmächtige Gott! Wandle vor mir und sei fromm!“ (1. Mos. 17,1.) Die Größe und Herrlichkeit der Natur mit ihren von ewigen Gesetzen regierten Erscheinungen führt uns durch Religion zur Gotteserkenntnis, und damit erwacht in uns der Trieb zum Höchsten und entwickelt in uns die Stärke, durch die wir unsere Bestimmung erfüllen. Die drei Grundursachen sind gegeben, und damit hat das freimaurerische Werk begonnen. Das Winkelmaß weist uns das Gesetz nicht nur in der vergänglichen Natur, sondern auch in der überirdischen, geistigen Welt, wo derselbe heilige Wille waltet, durch den der ewige Meister einen unsichtbaren Bau errichtet, bei welchem auch wir mithelfen sollen. Darum heißt es in der Erklärung unserer Akten (L. B. II, Beil., Seite 45) : „Der Winkelhaken, welcher zwischen Sonne und Mond befindlich ist, bedeutet, daß, so wie der Baumeister mit diesem Werkzeug die Arbeit bestimmt, nachmißt und ihre Tüchtigkeit prüft, auch wir uns allezeit eines winkelrechten Wandels befleißigen müssen.“ In den vorhergehenden Vorträgen ist vielfach des Winkelmaßes Erwähnung geschehen und auf seine Bedeutung als göttliches Gesetz hingewiesen worden. Bei der Betrachtung der freimaurerischen Erkennungsart haben wir gesehen, wie alle Zeichen des Ordens im rechten Winkel ihren Ursprung haben; wir haben gesehen, daß die allgemeinen Zeichen des Ordens unzählig sind und gemacht werden durch Darstellung von Winkeln, wasserrechten und senkrechten Linien. Auch als Hausgerät der Loge haben wir den rechten Winkel kennen und seine Bedeutung schätzen gelernt. Endlich haben wir bei der Betrachtung der Lehrlingsaufnahme die Wichtigkeit des rechten Winkels kennen gelernt und gesehen, welche große Rolle er in den Gebräuchen spielt, z.B. bei den rechtwinkligen Schritten, bei dem Knieen auf dem Winkelmaß, bei dem rechtwinklig geöffneten Zirkel, der auf das Herz des Suchenden gesetzt wird, usw. Es mag daher genügen, an dieser Stelle darauf hinzuweisen. Doch sei es mir gestattet, noch mit einigen Worten auf die beiden Komponenten des rechten Winkels, Wasserwaage und Senkblei, zurückzukommen. Wenn wir im Winkelmaß, das im Osten liegt, den heiligen Willen des Weltenmeisters und sein ewiges Gesetz erkannt haben und an die Aufgabe herangehen, seinen Willen in uns zu erfüllen und sein Gesetz in uns lebendig zu machen, so werden wir bald inne, wie schwer diese Aufgabe zu lösen ist, und wie groß die Widerstände sind, die wir dabei zu überwinden haben. Aber die unendliche Güte, die mit der Gerechtigkeit Gottes gepaart ist, zeigt uns Mittel und Wege, durch die wir überwinden und zum Ziele gelangen können. Das sind die beiden Werkzeuge, Wasserwaage und Senkblei, die uns die große Arbeit menschlich näher bringen und uns stückweise lehren, was der menschlichen Fassungskraft sogleich zu ergründen nicht gelingen kann. Mit dem Winkelmaß werden sie uns zu drei Kleinodien, unschätzbare Mittel zum Zweck, welche beweglich genannt werden, „weil“, wie das Fragebuch (VI, 14) sagt, „alle allgemeinen Zeichen des Freimaurerordens durch Darstellung dieser drei Kleinodien gemacht werden“. Wie die unbeweglichen Kleinodien ein mit der Spitze nach Westen gerichtetes Dreieck bilden, weil die Aufgabe, den rauhen Stein zum Kubus zu formen, sich im Westen vollzieht, wo der Sitz des Menschlichen ist, in dem sich der Plan der Lösung der Aufgabe darstellen soll, so bilden, dem entgegengesetzt, die drei beweglichen Kleinodien ein nach Osten gerichtetes Dreieck, an dessen Spitze das Winkelmaß steht. Wasserwaage und Senkblei sind gleichsam vom Winkelmaß ausgegangen, sie sind von jenem dem im Westen stehenden Menschen dargereicht und offenbart. Über den beiden Säulen erhalten sie ihre Plätze, was von Bedeutung >462< ist, wie wir bei der Betrachtung der letzteren sehen werden. So wie die beiden Aufseher im Westen stehen, „um dem Meister zu gehorchen“, sein Wort zu verbreiten und seinen Willen auszuführen, so stehen auch die Wasserwaage und das Senkblei nach Westen hin auf der Tafel, und zwar jene auf der Seite des ersten Aufsehers im Süden, dieses auf der des zweiten Aufsehers im Norden, und wie der Meister als Zeichen seines Amtes das Winkelmaß trägt, so gehören Wasserwaage und Senkblei den beiden Aufsehern. Demgemäß heißt es im Fragebuch (VI, 18) : „Warum heißen diese drei Dinge Kleinodien?“ „Weil sie dem Meister wie auch dem Bruder ersten Aufseher und dem Bruder zweiten Aufseher zum Schmuck dienen.“ Was die Aufseher aber zu bedeuten haben, das wissen wir aus früheren Betrachtungen, und es ist kein Zweifel, daß die Kleinodien, die sie tragen, in innigster Beziehung zu ihren Ämtern stehen. Vernunft und Gewissen, das sind die beiden göttlichen Kräfte, die in den Aufsehern ihren Ausdruck finden und auch in ihren Amtszeichen dargestellt werden. Unsere Akten scheinen damit nicht ganz übereinzustimmen. Aus der oben angeführten Stelle des Fragebuches, welche nur davon spricht, daß die Wasserwaage den Grund eben machen und das Senkblei dazu dienen soll, das Gebäude senkrecht aufzuführen, gibt uns die Teppicherklärung noch einen anderen Aufschluß. Es heißt daselbst (L. B. II,, Beil., Seite 48) folgendermaßen: „Die Wasserwaage, das Senkblei und der Zirkel sind einem Baumeister unentbehrliche Werkzeuge. Auch unsere Arbeiten untersucht und mißt ein vollkommener Obermeister mit seinem weit ausgestreckten Zirkel. Der Suchende soll daher seine Handlungen mit dem Zirkel der Vernunft prüfen, seine Schritte nach der Richtschnur des Gewissens lenken, den Grund zu allem nach der Wasserwaage der Erfahrung legen und das Gebäude derselben nach dem Senkblei des Schönen aufführen, damit der Tempel, den jeder in seinem Innern zur Ehre des Höchsten aufrichten soll, so gestaltet werde, daß dieser Baumeister, wenn er diese Arbeit einst nach seiner Gerechtigkeit prüfen wird, zum wenigsten finden möge, daß unser Bestreben nur seine Ehre zum Zweck gehabt habe, und daß es unser Bemühen gewesen sei, unsere Arbeit mit seinem auf dem Reißbrett gemachten Entwurfe in Übereinstimmung zu bringen. Darum dienen auch diese Werkzeuge zu Ehrenzeichen“ usw. Daß hier von unseren Akten der Zirkel als Symbol der Vernunft gedeutet wird, während wir die Wasserwaage als ihr Sinnbild ansprechen, darf uns nicht irremachen, ebensowenig wie der Ausdruck Senkblei des Schönen, welcher nicht mit der Beziehung dieses Werkzeuges als Gewissen zu stimmen scheint. Unsere Symbole sind mehrdeutig, und es darf die hier angeführte Auslegung nicht als die einzig richtige und mögliche angesehen werden. Bei Betrachtung des Zirkels werden wir sehen, inwiefern auch er ein Symbol der Vernunft ist. Unsere Aktenstelle spricht ferner von einer „Richtschnur des Gewissens“. Eine Richtschnur aber ist in unseren beiden Kleinodien, wie wir gesehen haben, als das eigentlich Wesentliche vorhanden. Welche soll nun als Richtschnur des Gewissens betrachtet werden? Wenn uns also unsere Akten hier keine scharfen Begriffsbestimmungen geben, so müssen wir durch unsere Auslegung versuchen, einen Ausweg zu finden. Betrachten wir zuerst die Wasserwaage. Sie ist es, die den Grund legen und ihn eben herstellen soll, damit auf ihm sich das Gebäude erhebe. Das vielfache Prüfen und Untersuchen des Grundes durch wiederholtes Ansetzen des Werkzeuges bringt uns eine Menge von Erfahrungen, durch die wir bei unserem Suchen und Hin- und Hertasten lernen, wie wenig meistens der Grund, den wir vorfinden, für die Aufrichtung unseres Baues geeignet ist, und wie sehr er oft der nachbessernden Hand bedarf. Das mag wohl die Veranlassung zu dem Ausdruck „Wasserwaage der Erfahrung“ gegeben haben. Es ist richtig, daß unser Werk ohne gemachte Erfahrungen nicht vor sich gehen kann. Aber die große Fülle der Erfahrungen, die wir machen, muß, wenn wir davon Erfolge ernten wollen, zu einem bestimmten Prinzip in Beziehung gesetzt und durch dieses auf ihren Wert geprüft werden. Erfahrungen macht jeder, aber in sehr verschiedener Weise. Aus der Erinnerung an Tatsachen und Umstände eine gewisse Erkenntnis schöpfen, das tut auch das Tier. Das Rind findet den Weg zu den „gewohnten Ställen“ >464< von selbst, und der Hund, der einmal gezüchtigt ist, weiß ganz genau, was ihm bevorsteht, wenn sein Herr zum wohlbekannten Stock greift. Aber die Erfahrungen, die der mit Vernunft begabte Mensch macht, entbehren vielfach einer höheren Beziehung. Der Egoist, der da glaubt, daß die Welt nur für ihn geschaffen sei, der Hochmütige, der sich als Mittelpunkt betrachtet und alles seiner Eitelkeit zu unterwerfen sucht, der Sinnenmensch, der in der Welt nur einen Tummelplatz seiner Lüste erblickt, — sie alle machen Erfahrungen, aber nicht in jenem höheren Sinne, in dem sie der Maurer macht, dem die Wasserwaage gegeben ist, die ihm in dem in der Mitte hängenden Lot die Richtschnur gibt, durch welche er das, was ihm begegnet, auf seinen Wert prüfen und abschätzen lernt. Die Schnur des Werkzeuges weist ihn nach oben; und wenn er es recht zu brauchen weiß, dann wird ihm jeder Ort, jedes Verhältnis, jede Begegnung zu einem Baugrunde für ein Ewiges; dann bezieht er die Dinge um sich her nicht auf sich selbst, sondern auf das Ewige und Göttliche, das überall in der Welt lebt und verbreitet ist, und das er zu schauen, zu erfahren trachtet. Diese Beziehung seiner Erfahrung auf die höchste Idee, dieses Abmessen irdischer Dinge an der Richtschnur des Göttlichen vermag der Maurer nur durch die Vernunft, wenn er sie frei gemacht hat von Befangenheit und Vorurteil. Sie ist es, die ihm sagt, daß alles, was geschieht, wenn es auch verkehrt erscheint, nur einem Zwecke und Plane dienen kann. Damit ist der sichere Grund gefunden, auf dem der Bau aufgeführt werden kann. Die Wasserwaage der Erfahrung aber wird zum Symbol der Vernunft, die uns die Verhältnisse und Dinge um uns her klar schauen läßt vom Standpunkte des Ewigen aus, auf den sie uns stellt. Wer aber nun auf dem so gewonnenen Grunde in die Höhe bauen und seinen Bau mitten in die oft feindlichen Verhältnisse und Umstände hineinstellen will, der sehe zu, daß sein Bau sicher stehe und nicht falle. Es ist noch ein anderes, nach oben hin zu bauen, als nur den rechten Baugrund zu finden. Für ein solches Bauen können wir das Senkblei nicht entbehren, und sein Bleilot wird uns zur Richtschnur des Gewissens. Wenn die Vernunft bei unserem Gange durch das Leben in Widerspruch gerät mit dem, was wir erfahren haben, wenn unlösbare Widersprüche uns verwirren, ablenken und uns hineinziehen wollen in ihre Verstrickungen, dann weist uns das Senkblei zurecht, das von der tiefsten Tiefe zur höchsten Höhe zeigt. Wenn unsere Vernunft mit ihren Urteilen und Schlüssen den Weg nicht mehr findet und zu erlahmen droht, dann spricht unser Gewissen, diese wunderbare Stimme des Herzens. Sie weist uns nach oben und lehrt uns den Ausweg finden. Unter ihrer Leitung bauen wir, und unser Bau wird sicher stehen, wenn wir die Richtung nicht verlieren, die uns das Senkblei gibt —: nach oben. Wasserwaage und Senkblei haben ein Prinzip: das hängende Bleilot. So sind Vernunft und Gewissen beides Offenbarungen des göttlichen Lichtes, das vom Schöpfer in uns gelegt ist; es zeigt sich in ihnen auf verschiedene Weise. Das Senkblei des Gewissens führt uns zur Höhe der göttlichen Idee selbst, die Wasserwaage der Vernunft lehrt uns durch die Erfahrungen, die wir machen, die Durchführung dieser Idee auf dem Boden der realen Welt. Wohl dem, der beides zu vereinigen weiß; er gelangt zum Winkelmaß, das aus Senkrecht und Wagerecht entsteht, und lernt winkelrecht bauen. Sein Idealismus gerät nicht ins Schwanken, weil er den realen Boden nicht unter den Füßen verliert. Dieser Idealismus aber, der nach oben weist, ist es wohl gewesen, der unsere Väter veranlaßt hat, den Ausdruck „Senkblei des Schönen“ zu gebrauchen. Das Schöne ist hier nicht der äußere Glanz und Schimmer, der der Menge gefällt, dabei aber der Mode unterworfen ist, der heute begehrt wird und morgen nichts mehr gilt, sondern es ist der Abglanz des göttlichen Lichtes im Irdischen, das Ewige, das sich in unvergänglichen Formen und Gestaltungen als das Wahre, Große und Bleibende offenbart. Das gewinnen wir durch das Senkblei sowie durch die Wasserwaage, deren Bleilot uns in die höchste Höhe und in die tiefste Tiefe weist. Wenn wir senkrecht aufgerichtet stehen auf waagerechtem Grunde wie die Säule J . . . ., dann ist über unserem Scheitel der Zenit, unter unseren Füßen der Nadir. Möge sich an uns erfüllen das Wort des Dichters: „Wo du auch wandelst im Raum, es knüpfet dein Zenit und Nadir An den Himmel dich an, dich an die Achse der Welt. Wie du auch handelst in dir, es berühre den Himmel der Wille, Durch die Achse der Welt gehe die Richtung der Tat!“ (1904.) >466< Die drei Sinnbilder, Hammer, Zirkel und Kelle. Nachdem wir in den drei unbeweglichen Kleinodien, im rauhen Stein, im kubischen Stein und im Reißbrett, die freimaurerische Aufgabe, und in den drei beweglichen Kleinodien, Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei, das Prinzip zur Lösung dieser Aufgabe kennen gelernt haben, kommen wir nun zu den drei Sinnbildern, dem Hammer, dem Zirkel und der Kelle, welche die Werkzeuge darstellen, mittels deren die Lösung der maurerischen Aufgabe sich vollzieht. Sie führen uns in die interne Arbeit der k. Kunst mitten hinein. Was bedeutet zunächst der Ausdruck „Sinnbilder“? Von gewisser Seite hat man sich über diese Bezeichnung lustig gemacht. Man hat gemeint, wenn man Symbole Sinnbilder nennt, so wäre das ebenso, als wenn man von „hölzernem Holz“ reden wollte, denn Symbol und Sinnbild seien gleichbedeutend. Ich bin jedoch der Meinung, daß unsere Väter dadurch etwas Besonderes haben bezeichnen wollen. Der Ausdruck „Sinnbild“, welcher schon von den Eckleffschen Akten als Bezeichnung jener drei Werkzeuge gebraucht wird, erscheint mir als der engere Begriff, die Bezeichnung „Symbol“ als der weitere. Demnach wäre wohl jedes Sinnbild ein Symbol, aber nicht jedes Symbol ein Sinnbild. Unter Sinnbild haben wir meines Erachtens hier etwas zu verstehen, was nicht bloß durch sinnliche Wahrnehmung zum Erfassen eines tieferen geistigen Inhalts uns führen soll, sondern was unseren inneren Sinn fortdauernd beschäftigen, in ihm unablässig bewegt werden und so zum Erwecker unseres inneren Lebens werden muß. Demgemäß heißt es in unserem Fragebuch (VI, 30) : „Warum werden die genannte n Werkzeuge Sinnbilder genannt?“ „Weil sie die Tugenden und Pflichten bezeichnen, welche ein Freimaurer jederzeit im Gedächtnis haben soll, und ohne welche er den Freimaurernamen nicht würdig tragen kann.“ Durch diese Auffassung erhalten unsere drei Werkzeuge eine ganz besonders hervorragende Bedeutung. Auf unserer Tafel erscheinen sie zusammengedrängt um deren Mittelpunkt. Sie umgeben den flammenden Stern und das Reißbrett in einem absteigenden Dreieck, dessen nach Westen weisende Spitze der Zirkel bildet. Sie erhalten somit gleichsam von diesen beiden wichtigen Symbolen den Anstoß und die Inspiration für ihre Tätigkeit. Die Reihenfolge, in welcher wir sie hier betrachten wollen, ist eine etwas andere als diejenige, in welcher sie unsere Akten aufführen. Weshalb dies geschieht, werden wir später sehen. Demnach unterliegt zunächst unserer Betrachtung 1. Der Hammer. Dem Hammer liegt, wie auch den beiden anderen Sinnbildern und den meisten anderen unserer Symbole, eine geometrische Figur zugrunde, nämlich die eines doppelten rechten Winkels. T Unser Hammer ist daher kein Spitzhammer, wie er in manchen anderen Lehrarten vorkommt, bei welchem das eine Ende spitz, das andere breit ist; vielmehr sind bei uns beide Enden gleichmäßig breit geformt. Dieses Symbol des doppelten rechten Winkels ist uralt, wir finden es schon auf den Denkmälern des alten Ägyptens in den Händen von Götter- und Herrschergestalten als sogenanntes Henkelkreuz, d.h. verbunden mit einem Kreis, der sich oben ansetzt und als Handgriff dient, und hier offenbar ein Zeichen der regierenden Macht und Gewalt ist. Auch in unserer Symbolik sind wir dem doppelten rechten Winkel schon begegnet. Wir fanden ihn im Winkelmaß und Zirkel auf dem Altar, welche daselbst die Gestalt eines lateinischen T bilden. Diese beiden zum doppelten rechten Winkel zusammengefügten Werkzeuge bedeuteten uns dort, wie wir gesehen haben, das göttliche Gesetz, nach welchem alles sich entwickelt und geschieht, und das auch in dem Bewußtsein >468< des Erschaffenen lebendig werden und zur Geltung kommen soll. Ganz dasselbe bedeutet der Hammer; doch ist ein Unterschied vorhanden. Zirkel und Winkelmaß, wie sie auf dem Altar zum doppelten rechten Winkel vereinigt liegen, stellen das noch in Ruhe befindliche göttliche Gesetz dar; erst im Hammer ist es aktuell geworden. Dort finden wir die geistige Statik versinnbildlicht, hier im Hammer die geistige Dynamik. In der Hand des Meisters gewinnt das Gesetz durch den Hammer Leben und Wirksamkeit, hier wird es erst in Bewegung gesetzt und zur Geltung gebracht. Wir spüren die Wirkung des Hammers selbst mit geschlossenen Augen; auch der Suchende, dessen Augen noch von der Binde umhüllt sind, wird von seiner Kraft bewegt, wenn sein Schall den Raum der Loge (d. i. das Weltall) durchhallt. Er weckt uns aus dem dumpfen Schlafe des Unbewußten zum wahren Leben und Bewußtwerden unserer Bestimmung. Mit ihm und durch ihn erschallt der Ruf: „In Ordnung!“ durch die Reihen der Brüder, d.h. durch die Schar der frei erschaffenen Geister. Wenn die Arbeit beginnen soll, dann ertönt mit einem harten Schlage sein Weckruf: Erwacht! es ist die zwölfte Stunde! Fanget an und besinnet euch auf euch selbst! Auf aus dem trägen Schlafe und hinan zum Licht und Leben! — Und wenn der Hammer uns erweckt hat, dann leitet sein dreifacher Schlag in bedeutungsvollster Weise uns durch Mittag und Hochmittag zur Mitternacht, bis er um Hochmitternacht die Arbeit schließt, wie er sie eröffnet hat. Denn wie der Hammer zum Leben erweckt, so tötet er auch, aber nur, um wieder aufs neue zum Leben zu erwecken. Sein Todesstreich ist gegen die Finsternis gerichtet, und seine zeugende Kraft führt das frische Leben heraus. Alles dies geschieht durch den doppelten rechten Winkel, durch das lebendig gewordene göttliche Gesetz. Aber nicht nur der Meister führt den Hammer, sondern auch die beiden Aufseher, die Vertreter der Brüderschaft, welche der Meister sich im Westen gegenübergestellt und denen er den Hammer als ein Lehen gegeben hat. Wie die Aufseher mit Wasserwaage und Senkblei, aus denen sich das Winkelmaß des Meisters zusammensetzt, geschmückt sind, wie Vernunft und Gewissen, diese Kräfte des göttlichen Lebens, sich im Menschen zur harmonischen Gestaltung vereinigen sollen, so führen auch beide Boten des Meisters, die ihm gegenüberstehen, um ihm zu gehorchen, den Hammer, um des Meisters Willen mit Nachdruck durchzusetzen. Als Ruf des Geistes zur Arbeit und als Stimme des Herzens, das in Hingebung dem höheren Willen sich unterwirft, wirken die Aufseher des Meisters im Westen, um alles wieder zu ihm hinzuführen, von dem es ausgegangen ist, und ihr Hammerschlag ist das Echo des Rufes der Gottheit an die Menschheit. Alles dies werden wir bestätigt finden, wenn wir uns erinnern, welche wichtige Rolle der Hammer bei der Lehrlingsaufnahme spielt. Sein Schlag ist das erste, was der noch im Dunkeln wandelnde Suchende von der Loge vernimmt. Er umwitterte ihn gleichsam mit seinem merkwürdigen Dreischlag. Auch den Neuling, der unsicheren Fußes des Tempels Schwelle betreten hat, erweckt er und ruft ihn zur Tat. Bei allen wichtigen Akten der Aufnahme spielt er mit hinein; er kündigt den Suchenden, den Anhaltenden, den Leidenden an, ja, der Hammerschlag trifft den Aufzunehmenden selbst und kommt mit ihm in die innigste Berührung, er berührt mit dem Dreischlag seine linke Schulter. Das tut der zweite Aufseher, die Personifikation des Gewissens, derselbe, der ihm die Schwertspitze auf das Herz setzte. Der Schlag seines Hammers aber ruft ihm zu: „Wache auf, denn dein Tag bricht an! Öffne die Tür und laß das neue Licht und Leben ein!“ — Und wenn bei der Weihe der Hammer die Zirkelspitze gleichsam in das Herz des Suchenden hineintreibt, dann wird durch die drei Schläge der Grund gelegt zu dem Bau, der das Zeitliche überdauern soll. Ich habe oben bei der Betrachtung des Reißbrettes ein symbolisches Gesetz aufgestellt, nach welchem da, wo zwei Linien aufeinandertreffen, ein Beginnendes, sich Gestaltendes ausgedrückt werden soll. Dies finden wir bei der Gestalt des Hammers (und ebenso bei Zirkel und Kelle, um dies hier gleich vorweg zu sagen) bewahrheitet, wie aus dem Gesagten hervorgeht. Durch die drei Weiheschläge wird der Aufzunehmende zu einem neuen Leben gerufen, er wird als Maurer gezeugt, und in einem späteren Grade ist geradezu von einer Zeugung durch die drei Hammerschläge die Rede. Darum gehört der Hammer auch zu >470< den notwendigsten Hausgeräten der Loge, die bei jeder Aufnahme gebraucht werden. Wenn nun der Hammer das Werkzeug ist, durch welches der neue Maurer erst geschaffen wird, so erinnert er auch an die hohen Pflichten des Lehrlings, die das in uns neu entzündete Leben stärken, entwickeln und ihm seine Nahrung zuführen. Diese Pflichten sind: arbeiten, gehorchen und schweigen. Darüber sprechen sich unsere Akten mit voller Deutlichkeit aus. Es heißt in den Erklärungen der Arbeitstafel (L. B. II, Beil., Seite 46): „Der Hammer ist das Zeichen der regierenden Gewalt und in der Loge das Werkzeug, durch welches Gehorsam, Stille und Aufmerksamkeit bewirkt, die Ordnung erhalten und wiederhergestellt wird.“ Und im Fragebuch (VI, 27) heißt es: „Was bedeutet der Hammer den Freimaurern?“ „Er bezeichnet dem Freimaurer die Pflicht des Gehorsams und erinnert ihn, seine Schuldigkeit still und prunklos zu erfüllen.“ Alle drei Lehrlingspflichten, die ja die Pflichten des Freimaurers überhaupt sind, worden in diesen Ausdeutungen berührt, doch tritt hier die Pflicht des Gehorsams in den Vordergrund, wie es ja nach dem Logengebrauch nicht anders sein kann; denn der Hammer ruft zur Ordnung und zwingt uns, in das Zeichen zu treten. Er ist der doppelte rechte Winkel, die in Tätigkeit tretende Kraft von Senkrecht und Waagerecht. Darum übt er auf den Arbeiter seine Gewalt aus, heißt ihn in das Zeichen treten und in Ordnung stehen vor dem ewigen Meister, der alles nach seinem heiligen Gesetz geordnet wissen will. Das zweite Sinnbild, welches unserer Betrachtung unterliegt, ist 2. Der Zirkel. Über den Zirkel ist in den vorstehenden Vorträgen schon so viel gesagt worden, daß hier kaum noch etwas nachzuholen ist. Ich möchte daher nur noch einmal kurz zusammenfassen, worin seine Bedeutung besteht. Der Zirkel liegt auf unserer Tafel im Westen gegenüber dem im Osten befindlichen Winkelmaß. Überall, wo der Zirkel in unserer Symbolik erscheint, ist er rechtwinklig geöffnet, und wenn man seine Schenkel verlängert und ebenso auch die Schenkel des Winkelmaßes, so kommt ein Quadrat heraus, dessen vier Ecken nach den vier Himmelsgegenden gerichtet sind. Es ist dies etwas unserer Lehrart Eigentümliches. In anderen Lehrarten finden wir stets Winkelmaß und Zirkel zu einem festen Quadrat vereinigt, und zwar so, daß ihre Spitzen, übereinandergelegt, sich kreuzend erscheinen. Anders bei uns. Der Zirkel ist bei uns vom Winkelmaß fern, und das Quadrat, welches beide bilden oder bilden sollen, ist etwas zu Erstrebendes. Wenn wir uns dazu noch der Worte unserer Akten erinnern: „Der Zirkel ist allen Brüdern zu einem Sinnbilde gegeben,“ So ist uns damit der Schlüssel für das Verständnis dieses Symbols gegeben. Alsdann müssen wir uns aber auch erinnern, was der Zirkel bedeutet, der neben dem Winkelmaß, mit diesem ein T bildend, auf dem Altar liegt. Wir haben gesehen, daß sie dort Symbole der Gottheit sind, und zwar bezeichnet das Winkelmaß ihre Allmacht, das in Ruhe befindliche göttliche Gesetz, der Zirkel dagegen den Willen der Gottheit, gleichsam aus sich herauszugehen und die schöpferische Kraft zu betätigen. Dies wird in unserm Aufnahmeritual dadurch ausgedrückt, daß der Meister dem Aufzunehmenden den Zirkel darreicht und ihn auffordert, sich die eine Spitze auf das Herz zu setzen. So reicht der ewige Meister dem Menschen sein eigenes Werkzeug dar und befiehlt ihm, es auf sich selbst anzuwenden. Auf der Tafel nun finden wir wieder beide Symbole, das Winkelmaß in derselben Bedeutung wie auf dem Altar, nur dem Suchenden menschlich näher gebracht als göttliche Norm, die ihm vor Augen sein soll; den Zirkel aber finden wir auf der Tafel wieder als das, was er erst in der Hand des Suchenden wurde, als das ihm von Gott zum eigenen Schaffen verliehene Werkzeug; das ist aber die Vernunft. In dem Wort Vernunft fassen wir alles zusammen, was Göttliches in den Menschen hineingelegt ist. Ob wir dieses sich betätigen sehen als Erkenntnisvermögen (Wasserwaage) oder als geheimnisvolle Macht des Gewissens (Senkblei), immer haben wir es mit Äußerungen der Vernunft zu tun. Und wenn der Mensch der Norm des göttlichen Gesetzes seine eigene schwache Kraft gegenüberstellt, wenn die Sehnsucht in ihm erwacht, diese Norm in sich herzustellen, sich ihr zu nähern und sie zu >472< umfassen, so ist das nicht minder eine Äußerung der Vernunft. Dieses Sehnen und Suchen aber ist es gerade, was der Zirkel auf der Tafel bezeichnet. Die Vernunft hat mehrere Werkzeuge, und eines von ihnen ist der Zirkel, darum konnten unsere Akten mit Recht den Zirkel in den Erklärungen der Tafel mit Wasserwaage und Senkblei zusammenstellen und ihn geradezu den „Zirkel der Vernunft“ nennen; und darum heißt es auch im Fragebuch (VI, 28) : „Woran erinnert der Zirkel?“ „Er erinnert uns an die Pflicht des Freimaurers, den Zirkel der Vernunft bei Untersuchung aller seiner Arbeiten zu gebrauchen.“ Das will sagen: die Sehnsucht nach dem göttlichen Licht, das Verlangen, es zu erkennen und zu umfassen, muß allen unsern Arbeiten die rechte Richtung und die wahre Weihe geben. Der Zirkel ist, wie wir gesehen haben, das Werkzeug des Abmessens und Konstruierens, und wenn wir die eine seiner Spitzen feststellen und die andere herumführen, so entsteht ein Kreis, der Kreis aber faßt zusammen und schließt in sich alles ein, was die Spannung des Zirkels begreifen kann. So wie uns das Winkelmaß die göttliche Kraft zeigt, die, aus einem Punkte ausstrahlend, das All mit ihrem Schaffen erfüllt, so zeigt uns der Zirkel die zusammenfassende, zurückführende, umgreifende Kraft, die in den Menschen gelegt ist, die zu begreifen sucht, was göttlich und ewig ist, die das Getrennte vereinigt, das Entgegengesetzte versöhnt und die Ausstrahlungen des Göttlichen in einem Punkte, im Menschenherzen, zu sammeln sucht. Darum steht der Zirkel auf unserer Tafel als Vertreter des Griffs — denn Griff heißt: Vereinigung, Zusammenfassen —, wie der Hammer der Vertreter des Zeichens war. Der Zirkel richtet seine Spitzen gegen die beiden Säulen, deren Inhalt er begreifen möchte; er streckt sich aus gegen Wasserwaage und Senkblei, die er in seiner rechtwinkligen Stellung zu vereinigen sucht. Alle die geistigen Ideen, die auf der Tafel verzeichnet sind, sucht er zu umfassen und in sich hineinzuziehen. Das ist das menschliche Streben zum Höchsten, wie es in der tiefsten Bedeutung des Geistes liegt, und wie es auf der Tafel durch den Zirkel ausgedrückt wird. Ebenso aber ist auch der Zirkel das Sinnbild des Schweigens. Wie die Peripherie den Mittelpunkt des Kreises ohne Lücke umgibt, so daß nichts von außen eindringen kann, so schützt der Zirkel das Heiligtum in unserm Innern, so daß nichts seinen Frieden stören kann. Heiliges Schweigen herrscht dann in unserm Inneren, und nichts wird dort vernommen als die Stimme des göttlichen Wortes. So wie nun der Hammer auf unserer Tafel uns an das Zeichen, der Zirkel an den Griff erinnert, so wird das Wort dort vertreten durch 3. Die Kelle. Dieses wichtigste unserer drei Sinnbilder ist in einem besonderen Vortrage als Teil der maurerischen Bekleidung schon von uns betrachtet worden, so daß ich hier nur daran erinnern will. Wir haben dort die Kelle als das vornehmste Maurerwerkzeug, als des Maurers höchsten Schmuck, kennen gelernt. Wir haben gesehen, wie sich moralische Bedeutungen an dieses Symbol knüpfen, wenn wir die Kelle nur als das Werkzeug betrachten, welches zum Auftragen und Verstreichen des Mörtels dient; wir haben aber auch die tiefere maurerische Bedeutung der Kelle zu würdigen gesucht, welche ihr die Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit verleiht und sie zum Werkzeug der intimsten Maurerarbeit macht. Für die Bearbeitung des rauhen Steines als Werkzeug an sich ungeeignet, erscheint uns trotzdem ihr Platz auf der Lehrlingstafel neben dem rauhen Stein als der passendste, da wir in ihrem gleichseitigen Dreieck und in dem demselben angefügten rechten Winkel das göttliche Wort selbst und seine Durchführung durch das göttliche Gesetz erkannten, durch welchen Vorgang unser Herz von innen heraus erleuchtet und zur kubischen Gestaltung geführt werden soll. Wir haben die Kelle ferner als Siegel Salomos kennen gelernt und auch dabei ihre Bedeutung als „Wort“ gefunden. Aber noch mehr. Wir finden in der Kelle alle drei Erkennungszeichen, die sie, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, vereinigt. Das Zeichen sehen wir in dem Stiel des Werkzeuges, der im rechten Winkel gebogen ist; der Griff wird angedeutet durch die Handhabe, die sich an den Stiel wiederum rechtwinklig ansetzt, und an welcher auch der lederne Riemen mittels eines Ringes >474< befestigt ist; das Wort endlich finden wir in dem gleichseitigen Dreieck, der symbolischen Einheit von Gedanke, Wille und Tat. Wenn wir aber auf die drei Sinnbilder das von mir aufgestellte symbolische Gesetz anwenden, so sehen wir, daß alle Linien, die in ihnen erscheinen, nicht einander durchschneiden, sondern nur in einem Punkte sich treffen. Im Hammer berührt eine senkrechte Linie die Mitte einer waagerechten; im Zirkel stoßen zwei Linien im Scheitelpunkte eines rechten Winkels zusammen; in der Kelle endlich stoßen die drei Linien des Dreiecks in ihren Endpunkten zusammen, der Mittelpunkt der Grundlinie wird von dem Endpunkt dess einen Schenkels des rechten Winkels berührt, während sich an dem Endpunkt des andern die Handhabe ansetzt. Alle drei weisen daher nach unserm Gesetz auf die Erweckung schlummernder Kräfte hin, sie stellen recht eigentlich die Zeugungsorgane unseres inneren Lebens dar und verdienen daher mit Recht, Sinnbilder im oben erörterten Sinne genannt zu werden. (1904.) Die drei Zieraten, der musivische Fußboden, der flammende Stern und das Vereinigungsband. Die drei Gruppen von Symbolen der Arbeitstafel, welche wir bisher betrachtet haben, zeigen uns die maurerische Arbeit, die uns obliegt, und geben uns für ihre Ausführung die Direktive und die Werkzeuge. Ganz anders die Gruppe, zu welcher wir jetzt kommen. Die sog. drei Zieraten führen uns über das Gebiet unserer Arbeit hinaus in das Große und Erhabene, ja in das Ewige und Unendliche. Sie geben uns große Gesichtspunkte und wollen dadurch der stillen Tätigkeit, die sich in unserm Inneren vollziehen soll, höchsten Schwung und Bedeutung verleihen. Die drei ersten Gruppen richteten unsern Blick mehr auf das Zunächstliegende, auf unser Inneres, und gewannen dadurch mehr einen intimen Charakter, ohne jedoch unsern Blick für das Allgemeine zu verschließen; die drei Zieraten dagegen erweitern unsern Gesichtskreis; sie zeigen uns die ganze Welt, und zwar nicht bloß die irdische Welt, wie sie unsern Sinnen erscheint, sondern, auch die transzendentale Welt des Geistes, und erfüllen uns mit einer Ahnung der unendlichen Liebesfülle der Gottheit. Alle diese großen Gesichtspunkte werden uns aber einerseits erst erschlossen durch die Arbeit, die wir winkelrecht mit unsern Werkzeugen zu verrichten haben, anderseits sollen sie wiederum eine rückwirkende Kraft ausüben auf die Gestaltung unseres Inneren. Ich habe oben (Seite 420) gesagt, daß die drei Zieraten den Weg bezeichnen, den der Maurer von Westen nach Osten, von der Finsternis zum Lichte zurücklegt. Diese Annahme folgt aus der Anordnung, in welcher die drei Symbole auf der Tafel dargestellt sind; denn der Fußboden liegt ganz im Westen, der Stern nimmt die Mitte der Tafel ein, das Vereinigungsband aber befindet sich im äußersten Osten. Alle >476< drei bilden also eine gerade Linie vom Niedergang zum Auf gang. Unser Weg aber geht, wie wir gesehen haben, von Westen nach Osten, und wenn wir auch als schwache, sterbliche Menschen diesen Weg nur im Zickzack jener drei merkwürdigen Schritte zurücklegen können, so bleibt doch der ideale Weg, der geradlinig ist, bestehen, und bei jenen drei Schritten, die uns von Westen ausgehen ließen und uns nach Osten brachten, führte uns der zweite von Süden über den flammenden Stern hinweg, oder vielmehr durch sein Licht hindurch, nach Norden, von wo wir dann durch den letzten Schritt nach Osten gelangen konnten. Die Freimaurerei ist die Lehre von dem Licht des Göttlichen und von der Erleuchtung des Menschen durch dieses Licht. Darum geht des Freimaurers Weg von dem unerleuchteten Westen nach der Quelle des Lichtes, nach Osten. Das Licht, das wir hienieden erreichen können, läßt uns die Wahrheit erkennen, welche uns zum Frieden mit uns selbst und zum inneren Gleichgewicht führt. Nur ein reines Herz und ein geläuterter Sinn vermag dies zu erreichen. Darum wird die freimaurerische Aufgabe gestellt, zunächst unsern rauhen Stein, unser unvollkommenes Ich, zum kubischen Steine zu formen und ihn der Vollkommenheit näher zu bringen. Diese Aufgabe erhält aber noch eine bedeutende Erweiterung durch die Pflicht, welche uns eingeschärft wird, unser Inneres zu einem geistigen salomonischen Tempel zu gestalten, und auf diese erhöhte Aufgabe weisen die drei Zieraten hin, welche nebst den beiden, mit dem musivischen Fußboden eng zusammenhängenden Säulen dem Tempel Salomos entnommen sind. In unserm Fragebuche (VI, 11, 12) heißt es: „Warum haben die Freimaurer ihren Logen diese Zieraten des salomonischen Tempels zugeeignet ?“ „Zur Erinnerung, daß ihre Logen dienen sollen zur Wiederaufbauung eines geistigen und gleich vollkommenen Tempels im Herzen eines jeden Maurers.“ „Warum dient der Tempel Salomos den Freimaurern als Sinnbild?“ „Sie an ihre Pflicht zu erinnern, den Tempel der Tugend in ihren Herzen in gleicher Vollkommenheit, als jener Tempel hatte, zu erbauen.“ Einen einzelnen Baustein zu formen und einen Tempel zu errichten, ist ein großer Unterschied; dennoch aber kommt in unserer k. Kunst beides überein; denn wer sich kubisch ausgestaltet, der baut sich auch zum Tempel aus, zumal ja auch das Allerheiligste des salomonischen Tempels eine kubische Gestalt hatte. Der schlichte Kubus, zu welchem wir uns zu formen haben, wird zum Tempel geweiht durch die Ideen des Göttlichen und Ewigen, welche ihn erfüllen, und diese Ideen werden eben durch die drei Zieraten ausgedrückt. Der Tempel Salomos zerfiel in drei Teile: die Vorhalle, das Heilige und das Allerheiligste. Diesen drei Abteilungen entsprechen unsere drei Symbole, wie wir sehen werden. Auch der zum Tempel ausgestaltete Mensch zeigt diese Einteilung. Seine äußere Erscheinung, wie sie sich in der Welt zeigt und zur Wirksamkeit gelangt, ist die Vorhalle; das vom Licht des Geistes erleuchtete Innere ist das Heilige; das Allerheiligste aber ist das göttliche Erbteil, das dem Menschen selbst ein Geheimnis ist, und dessen Dasein und Wirken er als das Regen der Gottheit in sich spürt, ohne in seine Tiefe dringen zu können. Dieser Vergleich des Menschen mit einem Tempel ist von der Freimaurerei aus ihrem größten Licht, der heiligen Schrift, entlehnt worden. Paulus war es, der ihn aussprach in den Worten: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid, und der Geist Gottes in euch wohnet? So jemand den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid ihr.“ (1. Kor. 3, 16, 17.) Und an einer anderen Stelle (1. Kor. 6, 19) nennt er den Menschenleib einen Tempel des heiligen Geistes. Auf unserer Tafel stehen als partes pro toto die drei Zieraten für den ganzen Tempel. (In anderen Lehrarten (z. B. in der Gr. Nat. Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln") finden wir den ganzen salomonischen Tempel abgebildet.) Wir betrachten sie nicht in der Reihenfolge, in welcher sie von dem Fragebuch aufgeführt werden, sondern ihrem aufsteigenden Inhalte nach, wie sie sich dem von Westen nach Osten Vordringenden darstellen. Demnach unterliegt unserer Betrachtung zunächst 1. Der musivische Fußboden. Unsere Akten sagen (L. B. II, Beil., Seite 44) : „Der musivische Fußboden ist ein aus Salomos Tempel hergenommenes Sinnbild. Es deutet >478< auf die Abwechslungen, denen der Mensch und die ganze Natur unterworfen sind. Der Freimaurer soll diese Abwechslungen mit Ergebung, Demut und Stärke ertragen und jenes höchste Gut suchen, bei welchem kein Wechsel des Lichts und der Finsternis ist.“ Und im Fragebuche (VI, 10) heißt es: „Wozu dient der rautige oder musivische Fußboden ?“ „Die Grundfeste des Tempels zu decken.“ Aus diesen Worten unserer Akten geht unzweideutig hervor, daß der Orden in dem musivischen Fußboden uns ein Bild der irdischen, materi
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