PDF, 13275 KB - Grüne Partei der Schweiz

Informationsbulletin der
Grünen Partei der Schweiz
Nr. 2 | Mai 2010
Agrotreibstoff im Tank
stillt den Hunger nicht
Im Jahr der Biodiversität S.9
Das Volk bestrafen? NEIN zum Abbau der Arbeitslosenversicherung S.14-16
2
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im greenfo!
Endlich ist es soweit: Kurz vor Pfingsten, am 20. Mai 2010,
eröffnen wir das Hotel-Restaurant Rhätia in St. Antönien.
Hier hat es Platz für Ihr Inserat.
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eine eindrückliche Landschaft und die Gastfreundschaft
in einem charaktervollen Haus.
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031 312 66 60.
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Freiheit. Gleichheit. Würde.
Für mich und dich.
Gesamtschweizerische Demo
gegen Rassismus und
gegen Ausgrenzung
Bern, Samstag 26. Juni 2010, 14.30h
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UNTERSTÜTZT VON (Stand 26.04.2010) Amnesty International Schweiz, Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel, augenauf Bern, augenauf Zürich, Bleiberecht , C.E.D.R.I,
Centre Europe Tiers-Monde CETIM, Collectif de soutien aux sans-papiers de Genève, Comedia, Coordination Asile Migration Vaud CAMIV, Coordination genevoise contre
l›exclusion et la xénophobie (Stopexclusion), DIDF, Europäisches BürgerInnen Forum , FEEL Forum des étrangeres et étrangers de Lausanne, FIZ Fachstelle Frauenhandel
und Frauenmigration, Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIMM), Frauen für den Frieden Schweiz, Freundeskreis Cornelius Koch, Friedensdorf,
Gewerkschaftsbund Baselland, grundrechte.ch, Grüne – Les Verts Schweiz, Humanrights.ch, IFIR (Föderation Irakischer Flüchtlinge), IGA – Interprofessionelle Gewerkschaft der ArbeiterInnen Basel, IGIF, Informationsstelle für Ausländerinnen- und Ausländerfragen isa, Junge Alternative JA!, junge grüne schweiz, JUSO Schweiz, l›autre
syndicat La Côte, NCBI Schweiz, OeME - Kommission der Evang. -ref. Gesamtkirchgemeinde Bern, Pro Integra, Religiös Sozialistische Vereinigung der Deutschschweiz,
SIT - Syndicat interprofessionnel de travailleuses et travailleurs, Solidaritätsnetz Ostschweiz, Solidaritätsnetz Sans-Papiers Bern, SolidaritéS Vaud, SOLIFONDS, SOS
Asile Vaud, SP Schweiz, SP Stadt Zürich, TERRE DES
Sin
Senza
sans
Ohne
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FEMMES Schweiz, UNIA, Union der ArbeiterInnen ohne nosotros
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geregelten Aufenthalt, Verein Berner Beratungsstelle für
no funciona
Sans-Papiers, Verein für die Rechte illegalisierter Kinder,
ne va plus
ne ide
VPOD – SSP. Mehr Details: WWW.OHNEUNS.CH
nada
ništa
rien
pa
nichts niente s‘bën olmaz
greenfo 2 | 2010
Inhalt
Editorial & Grüne Post.................................4
Nachrichten aus den Kantonen..................5
Petition gegen Agrotreibstoffe:
Ein Argauer kämpft für
sein Dorf und für Mosambik...................6 -8
Impressum
greenfo –
Informationsbulletin
der Grünen Partei
der Schweiz
Waisenhausplatz 21
3011 Bern
Tel. 031 312 66 60
Fax 031 312 66 62
www.gruene.ch
[email protected]
PC 80-26747-3
Datum: Mai 2010
Erscheint 4 Mal pro Jahr
Auflage:
6100 Exemplare
Redaktion:
Corinne Dobler
Design-Konzept:
id-k.com
Layout und
Bildredaktion:
Bénédicte Savary
Druck: typoART, Worb
Bilder/Illustrationen:
D. Temps (Cover),
I. Schauwecker (4)
C. Dobler (7, 17, 20-21)
Creative Common (8, 11,
13, 22, 23)
Pro Natura (9)
SES (12)
Initiative
Cleantech (12)
photocase.de (15-16)
greenfo 2 | 2010
Biodiversität: Wir sind
auf die Vielfat der Arten
angewiesen..................................................9
Problem Atommülllagerung:
keine Lösung in Sicht............................. 10-11
100’000 neue Arbeitsplätze
für die Schweiz........................................... 12
Fall UBS: Es braucht
neue Regulierungen................................... 13
Arbeitslosenversicherung:
das Referendum ist
die richtige Antwort.................................. 14
Eine Revision auf Kosten
der Jungen..............................................15-16
Frauen-Demo:
Her mit dem schönen Leben ..................... 17
Lehre statt Strasse
für die jungen Sans-papiers ...................... 18
Lese- und Filmtipps ................................... 19
Porträt: Debora Buess.......................... 20-21
Menschenrechte:
es gibt noch viel zu tun .............................22
Klimaschutz beschäftigt
die Europäischen Grünen .........................23
Schenken Sie
ein greenfo-Abo!.........................................24
4
Editorial
Grüne Post
Sehr geehrte Damen und
Herren
Liebe Grüne
Eyjafjallajökull sei Dank: Der isländische Vulkan hat uns eindrücklich gezeigt, dass die Natur doch stärker ist
als der Mensch. Dass der Planet Erde
macht, was er will, und reagiert, wie
er will. Dass er uns überdauern wird.
Und dass die Welt doch nicht so klein
ist, dass wir einfach immer hin- und
herjetten können. Dass Städte, die
scheinbar nebenan liegen, plötzlich
unerreichbar geworden sind, zumindest wenn wir uns an unsere prall
gefüllten Agenden halten möchten.
Reisende mussten für einmal voll auf
den Zug setzen, was hoffentlich ihr
Reiseverhalten nachhaltig verändern
wird. Sie mussten die Langsamkeit
neu entdecken, eine Art zu reisen, bei
der die Seele mitreisen kann. Sie werden sich vielleicht in nächster Zeit ein
bisschen länger überlegen, wohin die
Reise gehen soll, und statt dem Exotischen in erträglicher Flugreisedistanz
die Nähe zur Natur in Zugreisedistanz
wählen. Keine schlechte Wahl im Jahr
der Biodiversität. Lasst uns die Natur
neu entdecken und uns ihrer bewusst
werden! Einstimmen in das Thema
können Sie sich auf Seite 9. Wir werden sicher in weiteren greenfo-Ausgaben darüber berichten.
Eine Gefahr für die Biodiversität - vor
allem in den Ländern des Südens - ist
der Agrotreibstoff-Boom. Auf Seite
6 begeben wir uns nach Zurzach im
Kanton Aargau, wo eine Anlage zur
Produktion von Treibstoff aus mosambikanischen
Jatropha-Nüssen
entstehen soll. Ein weiterer Schwerpunkt dieses greenfo ist die Erwerbslosigkeit (ab Seite 14). Ich wünsche
Ihnen bei der Lektüre viel Freude und
Stolz, Grün zu sein.
In der Allgemeinbildung
erhielten wir den Auftrag, uns vertieft mit
den schweizerischen
Parteien auseinanderzusetzen. Mir wurde
Ihre Partei zugeteilt. Die
Themengebiete waren:
Wirtschaftspolitik,
Migrationspolitik, Aussenpolitische Öffnung,
Umweltschutz und
Sozialpolitik.
Ein grosses Lob zu Ihrer
Homepage. Diese war
sehr informativ und hilfreich. Die einzelnen Themengebiete waren kurz
und bündig beschrieben, was die Erstellung
meiner Powerpoint-Präsentation erleichterte.
Zudem ist die Homepage
in einer leicht verständlichen Sprache formuliert.
Guten Tag
Ich schreibe Ihnen, um
Ihnen zu gratulieren,
dass Sie endlich den ökologisch problematischen
Fleischkonsum thematisiert haben (siehe
greenfo 4/2009).
Studien zeigen, dass
die Aufzucht der Tiere
die Umwelt mehr verschmutzt als alle Nahrungsmitteltransporte
zusammen. Selbst wenn
das Fleisch lokal produziert wird, erzeugt es klar
mehr Treibhausgase als
aus Argentinien importiertes Gemüse.
Ich bin froh, dass diese
Frage durch die Grünen
endlich aufgeworfen
wurde. Denn es gibt nur
einen Planeten, und er
muss bewahrt werden!
Lisa Favre
Stefan Stamenkovic
Corinne Dobler
Redaktorin
greenfo 2 | 2010
Kantone
Bern
Lachendes und weinendes Auge
nach den Wahlen vom 28. März
2010 im Kanton Bern: Der Grüne
Regierungsrat Bernhard Pulver
wurde mit dem besten Resultat
wiedergewählt. Im Parlament
verloren die Grünen jedoch drei
Sitze.
Die Verteidigung der rot-grünen
Mehrheit ist für Blaise Kropf, Präsident der Grünen Kanton Bern,
ein «historisches Resultat» und
Pulvers Spitzenresultat «der verdiente Lohn für eine sehr kompetente Arbeit». Pulver kann nun
seine Arbeit im Erziehungsdepartement fortführen. Schwierig
wird die Arbeit im Parlament, das
sich klar nach rechts bewegt hat.
Denn die BDP hat massiv zugelegt, und zwar nicht auf Kosten
der SVP. Die Grünen verloren drei
Sitze und sind jetzt mit 16 Mitgliedern im Grossrat vertreten.
Die engen Mehrheiten der letzten
Legislatur sind nun leider nicht
mehr gegeben. Der bürgerliche
Block verfügt wieder über eine
klare Mehrheit.
5
Zürich
Die Stadtzürcher Grünen haben
bei den Kommunalwahlen vom 7.
März 2010 ihre Vertretung in der
Exekutive verdoppeln können.
Neben Ruth Genner zieht neu Daniel Leupi in den Stadtrat ein.
Nach einem einjährigen intensiven Wahlkampf und einem nervenaufreibenden Wahlsonntag
konnten die Zürcher Grünen einen historischen Erfolg feiern:
Noch nie gab es zwei Grüne ExekutivvertreterInnen in einer grösseren Stadt!
Daneben nimmt sich das Resultat
der Legislativwahl bescheidener
aus: Die Grünen konnten zwar
ihren Wahlanteil um ein halbes
Prozent steigern, stagnieren
aber bezüglich der Sitzzahl (14
von 125). Die rot-grüne Mehrheit
konnte nicht gehalten werden,
aber zusammen mit der neu vertretenen GLP verfügt sie über total 65 Sitze, was mindestens die
ökologischen Anliegen stärkt. Ob
sich damit ein kantonaler oder
gar nationaler Trend abzeichnet,
wird sich weisen.
St. Gallen
Im Verkehr setzt die Stadt St.
Gallen in Zukunft konsequent
auf den öffentlichen Verkehr, Velos und Füsse. Die entsprechende Städte-Initiative wurde am 7.
März mit knapp 60 Prozent der
Stimmen angenommen.
Für das Begehren hatten sich neben den Grünen auch Umweltorganisationen, SP, EVP und ein Teil
der CVP stark gemacht. Das Stadtparlament befürwortete die Initiative, während sich der Stadtrat
(Exekutive) dagegen stellte.
St. Gallen hat als erste von fünf
Schweizer Städten über die Initiative abgestimmt. Sie wurde
ebenso in Zürich, Luzern, Basel
und Winterthur lanciert.
Hinter den Städte-Initiativen
steht der Verein «UmverkehR».
Gefordert wird, dass der motorisierte Individualverkehr nicht
weiter zunimmt. Das gesamte
Verkehrswachstum soll mit dem
öffentlichen Verkehr, Fuss- und
Veloverkehr aufgefangen werden.
Corinne Dobler
Corinne Dobler
Greenfo 2Ausgabe
greenfo
| 2010 2 | 2009
Markus Kunz
Ehemaliger Präsident der Grünen
der Stadt Zürich
6
Kampagne
Agrotreibstoffe:
Ein Aargauer
kämpft
für sein Dorf und
für Mosambik
Plattform
Agrotreibstoffe
Die Plattform
Agrotreibstoffe ist ein
loser Zusammenschluss
von rund 20
Organisationen, die
ein Moratorium für
Agrotreibstoffe in der
Schweiz fordern. Zur
Plattform gehören
nebst den Grünen:
Alliance Sud, ÄrztInnen
für Umweltschutz,
arbeitsgruppe schweizkolumbien, Basler Appell, Bio Suisse, Bio Forum Schweiz, Brot für
Alle, Caritas, Erklärung
von Bern, Fastenopfer,
IP Suisse, KleinbauernVereinigung, Pro
Natura-Friends of the
Earth Switzerland,
Public Eye on Science,
Reformierte Kirchen
Bern-Jura-Solothurn,
Solifonds, SWISSAID,
terre des hommes
schweiz, Uniterre
In Bad Zurzach AG und in Delémont JU sind Anlagen zur Produktion von
Agrotreibstoffen geplant. Doch Agrotreibstoffe führen zu Hunger und Umweltzerstörung. Der Widerstand wächst.
Der braune, gepflügte Acker, auf
den Karl Mayer zeigt, sieht wie
ein ganz gewöhnlicher Acker aus.
Nichts deutet darauf hin, dass hier
in Kürze ein 80 Millionen Franken
schweres Projekt der Firma Green
Bio Fuel Switzerland AG realisiert
werden soll: eine Anlage zur Produktion von jährlich 130 Millionen Liter Biodiesel aus mosambikanischen Jatrophanüssen. Der
Acker liegt genau 300 Meter von
Mayers Reihenhaus entfernt, das
er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern bewohnt. Das Feld
gehört zum Solvay Industrie Park
bei Bad Zurzach. Die «Zurzis» sind
jedoch durch ein Naturschutzgebiet von der Anlage getrennt, während für die Einwohnerinnen und
Einwohner der Nachbarsgemeinde Rekingen die Anlage von ihren
Gartensitzplätzen, Gärten und
Balkonen aus greifbar nah ist. Der
Rekinger Karl Mayer gehört darum
zu den rund 50 Engagierten aus seinem Dorf, die sich gegen die Anlage
wehren. Die dick mit Zeitungsartikeln, Leserbriefen und Unterlagen
gefüllte Mappe unter seinem Arm
zeugt von seinen zahlreichen Aktionen. Er, der bisher nicht politisch
aktiv war, hat sich zum Experten
für Agrotreibstoffe und Rechtsmittel gewandelt. «Wenn man so
direkt betroffen ist, kümmert man
sich halt.»
Lokale Landwirtschaft zerstört
Je mehr Mayer sich mit dem Thema auseinandersetzte, desto mehr
öffnete sich sein Horizont. Er begann sich mit dem Herkunftsland
der Jatrophanüsse zu beschäftigen.
«Das Jatropha wird in Mosambik in
riesigen Monokulturen angebaut,
es handelt sich also nicht um eine
Nischenproduktion wie behauptet», erklärt Mayer. Für Rohstoffe
aus Ländern wie Mosambik und
Brasilien werden ökologisch wertvolle Gebiete gerodet, Kleinbauern
vertrieben und Wasserressourcen
ausgebeutet. Es werden Felder be-
greenfo 2 | 2010
Kampagne
Karl Mayer: «Diese Projekte sind ein menschlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Unsinn.»
baut, die dann nicht mehr für den
Anbau von Nahrungsmitteln zur
Verfügung stehen. Das führt in diesen Ländern zu einer Verknappung
und Verteuerung der Nahrungsmittel und kann Hunger-Krisen provozieren.
Und nicht überall ist Bio drin, wo
Bio draufsteht. Eine Studie der Materialprüfungsanstalt Empa aus
dem Jahr 2007 zeigt, dass «Bio»Treibstoffe – wie Agrotreibstoffe
oft genannt werden – keineswegs
umweltfreundlicher sind als fossile
Treibstoffe. In die CO2-Bilanz muss
der ganze Prozess von der Produktion bis zur Distribution einberechnet werden, also auch der Transport. Für Mayer ist deshalb klar:
«Es geht jetzt nicht mehr um den
Standort Bad Zurzach, sondern
darum, dass weder die Anlagen
in Zurzach noch in Delémont eine
Steuerbefreiung erhalten, denn diese Projekte sind ein menschlicher,
wirtschaftlicher und ökologischer
Unsinn.»
greenfo 2 | 2010
‘Chropfleerete’ statt Verhandlung
Ursprünglich hätte mit dem Bau
der Anlage in Zurzach schon 2008
begonnen werden sollen. Doch die
Einwohnerschaft von Rekingen legte zwei Mal Einsprache ein. Im Dezember 2009 fand die Einspracheverhandlung statt. «Das war eher
ein Abwimmeln der Einwohner und
eine ‘Chropfleerete’ als eine wirkliche Verhandlung», erzählt Mayer in
seiner Küche mit Blick auf das Solvay-Areal. Am 24. Dezember 2009
wurde die Baubewilligung erteilt,
die 30-tägige Beschwerdefrist begann zu laufen – über die Feiertage. Die Einwohnerschaft konnte
das Risiko einer Beschwerde nicht
tragen. Bei einer Streitsumme von
acht Millionen Franken – zehn Prozent der Bausumme – hätten sich
die Anwaltskosten im schlimmsten Fall auf 150’000 Franken belaufen. So verstrich die Frist ungenutzt.
«Aber immerhin haben wir eine Verzögerung erreicht», sagt Mayer. 
7
8
Die Odyssee
der Jatrophanüsse
Nahrung statt Treibstoff
In Delémont sollen gar 100 Millionen Franken investiert werden für
eine Anlage, in der aus brasilianischem Zuckerrohr jährlich 100’000
Tonnen Agroethanol und 30’000
Tonnen pharmazeutisches Ethanol
hergestellt werden sollen. Auch
dort hat sich Widerstand formiert.
Im März lancierte ein Kollektiv eine
kantonale Volksinitiative für ein
Moratorium gegen Agrotreibstoffe. Die jurassische Grüne Erica Hennequin sagte am 23. April an einer
Medienkonferenz der Plattform
Agrotreibstoffe in Bern: «Solange
es Frauen, Männer und Kinder gibt,
die Hunger haben, dürfen keine
Nahrungsmittel verwendet werden, um Treibstoff für Autos zu
produzieren.»
Auch die BundesparlamentarierInnen sind nicht untätig geblieben.
Die Grünen hatten schon früh ein
Moratorium gefordert und zahlreiche Vorstösse eingereicht. In einer parlamentarischen Initiative
verlangt nun die Kommission für
Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) des Nationalrates die
Einführung von Zulassungskriterien, die sozial und ökologisch
problematische
Agrotreibstoffe
ausschliessen. Die Initiative wurde inzwischen auch von der UREK
des Ständerates gutgeheissen. Um
die parlamentarische Initiative zu
unterstützen, hat die Plattform
Agrotreibstoffe im April die Petition «Keine Agrotreibstoffe, die
zu Hunger und Umweltzerstörung
führen» lanciert (siehe rechts).
In Rekingen beobachten Karl Mayer, seine Familie und die Nachbarschaft gespannt, was in Bern
passiert. Denn dort wird sich nun
entscheiden, ob das 80-MillionenProjekt mit all seinen Nebenwirkungen vor ihrer Haustüre wirklich
realisiert werden wird oder ob der
Acker auch in Zukunft einfach ein
Acker bleibt.
Corinne Dobler
Mitarbeit: Meret Rehmann
Petition
«Keine Agrotreibstoffe, die zu Hunger und Umweltzerstörung führen»
Die Petition können Sie bis zum 6.
September unterzeichnen. Sie finden diese auf www.gruene.ch unter
«Aktuell». Dort können sie auch Petitionsbögen herunterladen und Ihre
Bekannten unterzeichnen lassen.
greenfo 2 | 2010
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Thema
Wir sind auf die Vielfalt von
Pflanzen und Tieren angewiesen
2010 ist das Jahr der Biodiversität. Wir sollten das Jahr nutzen, um uns bewusst zu werden, dass wir nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten
sind.
Was wissen wir von unserem Planeten? Eine Studie aus England
ist zum Schluss gekommen, dass
Kinder zwischen vier und elf Jahren
eine grössere Anzahl von PokémonFiguren erkennen als Tiere und
Pflanzen! Unser Mangel an Wissen
ist tatsächlich beunruhigend. Obwohl wir uns oft verhalten, als ob
wir die einzigen Lebewesen auf der
Erde wären, sind wir auf andere Organismen angewiesen, und zwar in
allen erdenklichen Weisen.
Einige davon sind offensichtlich.
Wir fangen Fische, um sie zu essen,
wir halten Kühe für Fleisch, Milch
und Leder. Wir züchten Seidenraupen, um Kleider zu nähen. Wir
züchten eine grosse Anzahl von
Pflanzen zu vielfältigen Zwecken
– als Nahrungsmittel, für medizinische Produkte, als Rohstoffe für
Holz oder Papier.
Aber ein grosser Teil unserer Abhängigkeit ist weniger offensichtlich.
Würmer, Pilze, Insekten und Mikroben bauen abgestorbenes Holz
und abgebrochene Äste ab. Einige
Organismen produzieren Dung, andere verbreiten Samen. Gewisse Arten reichern unseren Boden an und
machen ihn fruchtbarer. Pflanzen
rund um Bäche und Flüsse filtern
das Wasser und säubern es. Zudem
nehmen sie Kohlendioxid aus der
Luft auf und beeinflussen damit
die Zusammensetzung der Atmosphäre. Ihr Wurzelwerk verhindert
die Erosion der Böden. Einige Bakterien können sogar die Wolkenbildung beeinflussen!
greenfo 2 | 2010
Teurer Verlust
All diese Leistungen der Natur sind
gratis. Aber wir bezahlen, wenn sie
verloren gehen. Weniger fruchtbare Böden erschweren den Anbau
von Pflanzen. Verschmutztes Wasser muss durch teure Anlagen gefiltert werden, damit es wieder getrunken werden kann. Mit teuren
Anlagen müssen Hänge gesichert
werden, die früher durch Wälder
und Baumbestände vor dem Abrutschen bewahrt wurden. Der Verlust
von Tierarten erhöht das Risiko,
dass Menschen von Krankheiten
wie Lyme-Borreliose befallen werden.
Im Jahr der Biodiversität (und auch
danach) muss es also darum gehen, den Menschen die Natur vor
unserer Haustür, die Artenvielfalt
und die gegenseitige Abhängigkeit
der verschiedenen Lebewesen wieder näher zu bringen. Wir schützen
besser, was wir kennen.
Stéphanie Penher
Dossierverantwortliche
Die Langhornbiene von Pro Natura zum
Tier des Jahres 2010
ernannt.
Buchtipp
Im Juni wird ein
Buch mit dem Titel
«Biodiversität»
von Bruno Baur,
Naturschutzbiologe
an der Uni Basel,
veröffentlicht. Baur
erläutert grundlegende
Aspekte und Prozesse,
die zu Veränderungen
in der Vielfalt des
Lebens auf unserem
Planeten führen. Dabei
wird gezeigt, dass
Biodiversität nicht
bloss ein Zählen und
Registrieren von Arten
ist.
Herausgeber:
Uni-Taschenbücher,
2010
10
Kampagne
Problem AtommüllLagerung:
Keine Lösung in Sicht
Machen Sie mit bei der
Grünen Kampagne!
Für unsere Kampagne
vor Ort sind wir auf
Sie, interessierte und
engagierte Leute, angewiesen!
Wenn Sie sich aktiv
gegen die geplante
Lagerung von Atommüll
in Ihrer Nähe wehren
und bei der Organisation von Aktionen
und Events mithelfen
wollen, melden Sie sich
bei Meret Rehmann
unter gruene@gruene.
ch. Bitte geben Sie uns
Ihren Namen, Adresse,
Mailadresse, Telefonnummer und die Region
(Südranden / Nördlich
Lägeren / Bözberg /
Zürcher Weinland / Jüra
Südfuss) an. Auch für
Informationen stehen
wir Ihnen unter dieser
Mailadresse gerne zur
Verfügung.
Derzeit werden in der Schweiz
Standorte gesucht, wo Atommüll
gelagert werden kann. Fünf Regionen stehen zur Diskussion:
Südranden, Nördlich Lägeren, Bözberg, Zürcher Weinland und Jura
Südfuss. Im Sommer beginnt die
Vernehmlassung. Das Atommüllproblem ist bei weitem nicht gelöst
– vor allem aus technischer Sicht.
Gewisse Atommüll-Teilchen strahlen über einen Zeitraum von gut
einer Million Jahre. Diese enorme
Zeitspanne macht es schwierig,
einen angemessenen Umgang mit
dem Atommüll zu finden. Die «Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle» (Nagra) hat zwar ein Konzept vorgelegt,
doch das Grundproblem bleibt
bestehen: Kein Konzept kann befriedigend sein, solange nicht der
Atomausstieg das Ziel ist.
Die technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen an ein
Atommülllager sind immens. Viele
elementare Unklarheiten wurden
im Nagra-Konzept nicht beseitigt:
Wie soll kontrolliert werden, wie
sich das Lager über diese enorme
Zeitspanne entwickelt? Wie soll
der Atommüll adäquat verpackt und
eingelagert werden? Welche Materialien sollen verwendet werden:
korrodierender Stahl, Kupfer oder
zerbrechliche Keramik?
Doch damit nicht genug: Die Nagra
will eine etwa fünf Kilometer lange Zufahrt bauen, um mit Lastwagen ins Atommülllager zu fahren.
Experten beteuern aber, dass das
Wirtgestein - also jener Gesteinskörper, der das Tiefenlager umfasst
- so wenig wie möglich geschädigt
werden darf, ansonsten drohen
Wasserläufe.
Doch das ist nur ein Teil des ungelösten Problems, denn für so grosse Zeiträume gibt es keine «ein-fürallemal-Lösung». Wichtige Fragen
bleiben unbeantwortet:
- Wie kann das Lager während
1’000’000 Jahren kontrolliert werden und die Möglichkeit bestehen
bleiben, dass der Atommüll zurückgeholt werden kann?
- Wie kann das Lager während
1’000’000 Jahren markiert bleiben,
und wie können Untergrundkonflikte vermieden werden?
- Wie soll das Lager während
1’000’000 Jahren vor unvorhersehbaren Naturereignissen wie Erdbeben oder Eiszeiten geschützt
werden?
greenfo 2 | 2010
11
11
Sicher ist nur das Risiko
Was es bedeuten kann, wenn ein
Lager voreilig realisiert wird, ist im
deutschen Asse zu sehen. Der ehemalige Salzstock wurde einst als
ideal für die Lagerung von Atommüll erachtet. Das Wirtgestein leite Wärme ab und sei extrem stabil,
hiess es. Insgesamt 126’000 Fässer
Atommüll wurden versenkt – bis
spätestens 2012 müssen sie wieder raus. Denn Tag für Tag laufen
12’000 Liter Wasser ein. Asse droht
einzustürzen. Die Kosten für die
Rückholung belaufen sich auf mindestens 3,7 Milliarden Euro.
Das Beispiel zeigt: Die absolute
Sicherheit gibt es nicht. Sicher ist
nur das Risiko. Die Nagra muss dies
einsehen und ein Lager planen, in
dem der Atommüll ständig überwacht und notfalls auch zurückgeholt werden kann. Verharmlost
sie die Gefahren und ungelösten
Probleme gegenüber der betroffenen Bevölkerung, macht sie sich
unglaubwürdig.
Regionen gegen
ein unsicheres Lager
Ein Atommülllager-Konzept, das
ewige Sicherheit verspricht, ist
greenfo 2 | 2010
nicht sicher. Bevor die Standorte
gewählt und ein schein-partizipatives Mitspracheverfahren aufgegleist werden, muss die Nagra die
offenen Fragen beantworten. Es
braucht Lösungen auf Zeit, denn
unter Zeitdruck steht niemand
und der Müll läuft uns nicht davon
- er strahlt noch lange genug. Und
damit es in Zukunft nicht noch
mehr Atommüll geben wird, ist die
einzig wahre Lösung der Atomausstieg.
Solange die Nagra eine «ein-fürallemal-Lösung» vorschlägt und
auf eine unsichere Lösung drängt,
müssen wir uns wehren. Beteiligen
Sie sich am Widerstand in Ihrer Region!
Sabine von Stockar
Projektleiterin Atom&Strom SES
Mehr Infos unter
www.energiestiftung.ch
Infoveranstaltungen
Die SES organisiert im
Juni 2010 in allen fünf
Standort-Regionen
Infoveranstaltungen:
Montag, 7. Juni –
Südranden SH
Dienstag, 8. Juni – Nördlich Lägeren ZH, AG
Mittwoch, 9. Juni – Bözberg AG
Montag, 14. Juni – Zürcher Weinland ZH, TG
Dienstag, 22. Juni – Jura
Südfuss SO, AG
12
Initiative
Initiative
100’000 neue Arbeitsplätze
für die Schweiz
Die Cleantech-Initiative fordert
neue Arbeitsplätze durch Investitionen in erneuerbare Energien und
saubere Technologien. Die Grünen
unterstützen dieses Anliegen.
Franziska Teuscher
Nationalrätin BE
«Ich bin stolz, dass die
Grünen in verschiedenen Kantonen mit
ihren kantonalen Initiativen eine Vorreiterrolle zur Förderung der
erneuerbaren Energien
gespielt haben.»
Der Unterschriftenbogen der CleantechInitiative liegt diesem
greenfo bei. Bitte unterzeichnen Sie ihn rasch,
lassen Sie ihn von Ihren
Bekannten unterzeichnen und senden Sie uns
den Bogen zurück!
Wir stehen vor einer dreifachen Krise: Wir pusten zuviel CO2 in die Atmosphäre und verschärfen damit
den Klimawandel. Wir verbrennen
gedankenlos wertvolle Energieressourcen und bringen dadurch
unsere Vorräte in rasantem Tempo
zum Verschwinden. Wir gefährden
unsere Ernährungsgrundlage, indem wir immer mehr Kulturflächen
überbauen. Eines sollte inzwischen
allen klar sein: Wir können nicht so
weitermachen wie bisher, wir machen sonst die Lebensgrundlage
unserer Kinder und Kindeskinder
kaputt. Es braucht eine Änderung
unserer Wirtschaftsweise und unseres Konsumverhaltens. Wir dürfen in Zukunft nicht mehr verbrauchen, als an Ressourcen tatsächlich
nachwächst. Das können wir im
Energiebereich erreichen, wenn
wir konsequent in erneuerbare
Energieträger und saubere Technologien, also in Cleantech, investieren. Dies verlangt die SP mit ihrer
Volksinitiative, welche die Grünen
selbstverständlich unterstützen.
Ich freue mich, die Grünen im Initiativkomitee zu vertreten.
Mit der Cleantech-Initiative schaffen wir nicht nur mehr Nachhaltigkeit auf allen Produktionsebenen. Mit diesem Volksbegehren
können in der Schweiz 100’000
neue Arbeitsplätze entstehen. Die
Schweizer Energieversorgung kann
mit erneuerbaren Energiequellen
sichergestellt werden, beispielsweise mit Sonne, Wind, Biomasse
oder Geothermie. Dafür müssen
wir aber auch in neue Berufe, neue
Ausbildungs- und Arbeitsplätze investieren.
Grüne mit Vorreiterrolle
Innovationen im Energiebereich
müssen stärker vorangetrieben
werden. Ich bin stolz, dass die Grünen in verschiedenen Kantonen
mit ihren kantonalen Initiativen
eine Vorreiterrolle zur Förderung
der erneuerbaren Energien gespielt
haben. Die Initiative der SP will diese Technologien nun schweizweit
fördern und anwenden.
Nachhaltigkeit darf jedoch nicht
beim Thema Energie enden. Ebenso müssen wir uns in Zukunft noch
stärker für eine umweltgerechte
Mobilität und eine naturnahe Landwirtschaft einsetzen. Sechsspurige Autobahnen und Einkaufszentren auf der grünen Wiese führen
zu Mehrverkehr, kosten wertvolle
Energie- und Landressourcen und
verschärfen unsere Klimaprobleme.
Nur wenn wir Cleantech in allen
Bereichen anwenden, bekommen
wir die dreifache Krise in den Griff.
Franziska Teuscher, Nationalrätin BE
Vizepräsidentin Grüne Schweiz
greenfo 2 | 2010
Standpunkt
13
Es braucht neue Regulierungen
Die Generalsversammlung der UBS hat einmal mehr gezeigt, dass die Finanzkrise nicht zu einem Umdenken geführt hat. Nun braucht es drastischere Einschnitte.
Das war eine schöne Blamage für
Villiger und Grübel. Allerdings war
sie Resultat massloser politischer
Instinktlosigkeit. Dabei hat man
mit Villiger extra einen alt Bundesrat geholt, um solche Desaster zu
verhindern. Von einem Sieg der Aktionärsdemokratie konnte indes an
der UBS-GV keine Rede sein. Die nötige Wende in der Salär- und BoniPolitik blieb aus. Vielleicht war das
ein Wink, nicht allzu viel Glauben
und Effort in die Wirksamkeit der
Abzocker-Initiative von Thomas
Minder zu verschwenden. Diese
bringt zwar einige klare Regulierungen bezüglich goldener Fallschirme
oder Vorausbezügen, vertraut aber
sonst dem Aktionär.
Dabei leuchtet eigentlich sofort
ein, dass Demokratie und Aktiengesellschaft nichts miteinander
zu tun haben. In der Demokratie
gilt das Prinzip «ein Mensch, eine
Stimme», in der Aktiengesellschaft
bestimmt die Mehrheit des Kapitals den Gang der Dinge. Es waren
ja auch bislang die Aktionäre, welche die horrenden Saläre sehr wohl
geduldet bis gewollt haben, in der
Meinung, unter dem Strich zahle
sich das für sie aus, indem sie mit
übermässigen Kapitalrenditen belohnt würden. Wenn nun einige
gegensteuern wollen, dann einzig, um die Aktionäre gegenüber
greenfo 2 | 2010
Management und Verwaltungsrat
besser zu stellen. Blauäugig wäre
zu meinen, die «normal Arbeitenden» kämen in den Genuss der Salär- und Boni-Reduktionen. Die 1:12Initiative der JUSO setzt hier am
richtigen wunden Punkt an.
Die Finanzkrise hat keineswegs zu
einem Umdenken geführt. Die ethische Wende blieb aus, musste wohl
zwangsläufig ausbleiben. Denn es
ist das System der Finanzmärkte
selbst, das die Krise hervorgerufen
hat. Es kann nur durch eine schnittige Re-Regulierung gebändigt werden. Etwa indem Derivate (Finanzinstrumente, deren Preis oder Wert
von den Kursen oder Preisen anderer Handelsgüter oder Wertpapiere
abhängt) zumindest eingeschränkt
werden. Indem die «Obama»Steuer aufs Tapet kommt. Und vor
allem, indem die «too big to fail»Zeitbombe durch ein sinnvolles
Trennbankensystem entschärft
wird. Allerdings nicht so, dass die
Ebners und seine SVP-Spezis sich
dann die Filetstücke holen können. Wenn die UBS meint, die Politik hole ihr im USA-Desaster zum
Nulltarif die Kohlen aus dem Feuer,
hat sie sich getäuscht. Jedenfalls in
den Grünen.
Daniel Vischer
Nationalrat ZH
Daniel Vischer
Nationalrat ZH
«Es leuchet eigentlich
ein, dass Demokratie
und Aktiengesellschaft
nichts miteinander zu
tun haben.»
14
Referendum
Arbeitslosenversicherung:
Das Referendum
ist die richtige Antwort
Die 4. Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) ist ungerecht,
unnötig und inakzeptabel. Denn sie bringt nur Verschlechterungen: höhere Beiträge, weniger Taggelder und längere Wartezeiten. Das verdient ein
Referendum!
Louis Schelbert
Nationalrat LU
«Die Parteien, die
eben erst beim Versuch scheiterten,
die Renten der beruflichen Vorsorge zu
senken, wollen nun
den gleichen Fehler
wiederholen, indem
sie die Leistungen
für die Erwerbslosen
abbauen.»
Ein Unterschriftenbogen liegt diesem
greenfo bei. Bitte
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ihn und geben Sie ihn
weiter. Weitere Bögen
können Sie auf
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unter «Aktuell» herunterladen.
Die Grünen wollen eine faire Arbeitslosenversicherung mit einem
längerfristig schuldenfreien Ausgleichsfonds. Dafür braucht es aber
keine Gesetzesrevision: Das geltende Recht reicht. Der Bundesrat hat
gemäss Art. 90c des Arbeitslosenversicherungsgesetzes das Recht
und die Pflicht, die Beitragssätze
zu erhöhen, wenn die Schulden
des Ausgleichsfonds 2,5 Prozent
der Gesamtlohnsumme erreichen.
Stattdessen liegt nun eine Vorlage mit einer schlechten Finanzierungslösung und einem immensen
Leistungsabbau vor.
Träte die Vorlage in Kraft, würden
junge Leute, die ohne eigenes Verschulden keine Arbeit haben, mit
längeren Wartezeiten und weniger
Taggeldern bestraft. Das ist ungerecht: Als Steuerzahlerinnen und
Milizsoldaten werden sie ernst
genommen, als Opfer der Krise dagegen wird ihnen die berufliche Zukunft verbaut.
Kantone müssen Sozialhilfe
berappen
Bestraft würden zudem die schon
jetzt stark betroffenen Regionen.
Seit hätten kein Recht mehr auf
zusätzliche Taggelder bei hoher
Arbeitslosigkeit. Bestraft würden
auch die Langzeitarbeitslosen; ihnen bliebe nur noch die wirtschaftliche Sozialhilfe. Die Kosten dafür
würden auf die Kantone und Gemeinden abgewälzt.
Die Entschuldung der Arbeitslosenversicherung ist auf 15 Jahre angelegt. Das ist unseriös und öffnet einem weiteren Leistungsabbau Tür
und Tor. Wie anders verhält sich die
herrschende Politik vis-à-vis den
Grossbanken. Obwohl die UBS immer noch durch Milliarden aus der
öffentlichen Hand gestützt wird,
sacken Banker mit dem Segen der
Aufsichtsbehörden wieder Boni in
Milliardenhöhe ein. Hier werden
also nicht wie bei den Sozialversicherungen sofortige Einsparungen
gefordert.
Die Parteien, die eben erst beim
Versuch scheiterten, die Renten
der beruflichen Vorsorge zu senken,
wollen nun den gleichen Fehler wiederholen, indem sie die Leistungen
für die Erwerbslosen abbauen. Bei
der AHV, der IV und der Unfallversicherung wollen sie mit einem weiteren Sozialabbau nachdoppeln.
So geht es nicht. Gewerkschaften,
Hilfswerke und Jugendorganisationen sind entrüstet. Kantone und
Städte mahnen. Das Referendum
ist die richtige Antwort.
Louis Schelbert
Nationalrat LU
greenfo 2 | 2010
15
Eine Revision
auf Kosten der Jungen
In Krisenzeiten haben die Jungen wegen «mangelnder Berufserfahrung»
Mühe, ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden. Während sie in der Phase
der Vollbeschäftigung fast automatisch integriert worden waren, wird dies
in Zukunft nur noch möglich sein, wenn die Politik die richtigen Zeichen
setzt. Doch genau auf die Jungen zielt die Revision der Arbeitslosenversicherung ab. Und die Folgen dieser Revision werden die ganze Gesellschaft
treffen. Eine Rechnung, die nicht aufgeht.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kündigte zwar Ende
März eine leichte konjunkturelle
Erholung für die Schweiz an. Doch
auf die Arbeitslosenrate hat dies
bisher nur einen geringen Einfluss.
Sie bewegt sich immer noch oberhalb der vier Prozent-Marke. Die regionalen Unterschiede werden aus
dieser Durchschnittszahl zudem
nicht ersichtlich. Mit über sieben
Prozent haben die Kantone Genf
und Neuenburg den höchsten Anteil an Erwerbslosen.
Vor allem die 15- bis 30-Jährigen sind
von den Folgen der Krise betroffen.
Die Zahl der Arbeitssuchenden in
diesem Alter ist innerhalb eines
Jahres um 20 Prozent gestiegen.
Gemäss Elena Obreschkow, die
bei der Gewerkschaft Unia für den
Sektor Jugend zuständig ist, sind
die Statistiken jedoch nicht vertrauenswürdig: Fast die Hälfte der
jungen Erwerbslosen seien nicht
als Arbeitslose gemeldet und würden von ihren Eltern unterstützt,
betont sie. Aussagekräftig sei die
starke Zunahme der Zahl der Jungen, welche in der Rubrik «Lang-
greenfo 2 | 2010
zeitarbeitslosigkeit» erscheinen.
Diese Zahl hat in einem Jahr um 146
Prozent zugenommen. Dies weist
klar darauf hin, dass ein Teil der
jungen Generation die Kosten der
Wirtschaftskrise trägt. Es muss
alles dafür getan werden, dass die
jungen Menschen die Hoffnung zurückgewinnen.
Junge werden bestraft
Die Revision der Arbeitslosenversicherung macht genau das Gegenteil. Elena Obreschkow: «Sie ist
eine richtige Bestrafung – obwohl
die Jungen nicht schuld sind an der
finanziellen Situation der Arbeitslosenversicherung und andere Lösungen für deren Sanierung existieren. So könnte beispielsweise ein
Solidaritätsanteil auf die höchsten
Löhne erhoben werden.»
Sparmassnahmen, die für die Jungen besonders ungerecht sind,
haben die Jugendorganisationen,
darunter die Jungen Grünen, dazu
bewogen, das Referendum zu
unterstützen. Falls die Revision
durchkommt, haben die unter 25Jährigen ohne Unterhaltspflichten
Als Steuerzahlerinnen
und Milizsoldaten
werden die jungen
Leute ernst
genommen, als Opfer
der Krise dagegen wird
ihnen die berufliche
Zukunft verbaut.

16
16
Kampagne
«Die Sparmassnahmen werden schlussendlich
keinen Spareffekt haben, denn die Kosten
werden einfach in die Sozialhilfe verschoben.»
nur noch Anrecht auf 130 Taggelder, die 25- bis 29-Jährigen auf 260.
Bisher waren es 400 Taggelder. Die
Jungen, welche sich einem Vollzeit-Studium gewidmet haben und
bisher nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen konnten,
bekommen gar nur 90 Taggelder.
Da hat die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände
(SAJV) Recht, wenn sie in einem
Communiqué sagt: «Diese Jungen
müssen nicht nur mit dem Frust
leben, ihre berufliche Laufbahn als
Arbeitssuchende zu beginnen, sondern werden dabei auch noch klar
weniger durch die Arbeitslosenversicherung unterstützt, obwohl sie
eine besonders verletzliche Gruppe
bilden.» Die Sparmassnahmen sind
klar diskriminierend und werden
schlussendlich keinen Spareffekt
auf die öffentlichen Gelder haben,
denn die Kosten werden einfach in
die Sozialhilfe verschoben. Den Betroffenen, die zu Sozialfällen werden, droht die Marginalisierung.
Problem verschoben statt gelöst
Eine weitere Massnahme zielt auf
das Prinzip der Zumutbarkeit ab.
Bisher müssen Erwerbslose eine Arbeit nur annehmen, wenn sie unter
Berücksichtigung der Qualifikationen und Erfahrungen als zumutbar
erachtet wird. Dies garantiert der
erwerbslosen Person eine Anerkennung ihrer Fähigkeiten und schützt
die Arbeitnehmenden vor Lohndumping. Für die unter 30-Jährigen
wird dieses Prinzip in Zukunft aber
nicht mehr gelten, falls die Revision angenommen wird: Das bedeutet, dass eine junge Person, die
sorgfältig ausgebildet worden ist,
gezwungen werden könnte, eine
Stelle anzunehmen, die überhaupt
nicht ihren Fähigkeiten entspricht.
Das ist für die Jungen verheerend.
Sie müssen unter Umständen den
Beruf wechseln und können nicht
mehr von ihrer Ausbildung profitieren, denn die Arbeitslosenversicherung finanziert keine berufliche
Umorientierung. Die Lehre als solche wird damit abgewertet. Diejenigen, die in Jobs arbeiten müssen,
für die sie überqualifiziert sind,
verdrängen die schlechter Ausgebildeten, die vorher in diesen Jobs
gearbeitet haben. Damit wird das
Problem zum Teufelskreis. Und zu
befürchten ist, dass das Prinzip der
Zumutbarkeit in der Zukunft auch
für andere Kategorien von Erwerbslosen aufgehoben wird. In diesem
Fall ist eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
für alle Angestellten zu erwarten.
Sie werden genötigt, sich mit allen
möglichen Stellen zu allen möglichen Bedingungen zufrieden zu geben. Das Phänomen der «Working
Poor», das in der Schweiz relativ
neu ist, wird dadurch verstärkt.
Diese Entwicklung kann aber noch
aufgehalten werden. Wir müssen
Nein sagen zu einer Revision, deren positiven Effekte sich bei näherer Betrachtung als negativ erweisen und welche die Perspektiven
einer ganzen Generation schwer
belastet. Eine Gesellschaft, die
ihre Jugend fallen lässt, wird Mühe
haben, eine Zukunft aufzubauen.
Bénédicte Savary
Greenfo Ausgabe
greenfo 22 || 2009
2010
Thema
Her mit dem schönen Leben!
Erfolgreiche Frauendemo am 13. März in Bern
Gemeinsam können wir etwas bewegen - Frauen, solidarische Männer
und Kinder haben mit einer farbenfrohen und lautstarken Demo konkrete Taten für die Gleichstellung gefordert. Ein breites Bündnis von rund
50 Frauenorganisationen, Parteien und sozialen Organisationen, darunter auch die Grünen, haben am 13. März in Bern eine überraschend grosse
Frauendemo möglich gemacht.
Überall auf der Welt fordern Frauen im Rahmen des dritten internationalen «Marche Mondiale des
Femmes» ein Ende der Armut und
Gewalt an Frauen. Mit der weltweiten Aktion wollen Frauen und Männer gemeinsam und solidarisch die
Gleichstellung und die Rechte der
Frauen vorantreiben. Auch in der
Schweiz haben sich rund 8000 Personen an der Frauendemo - einer
der grössten seit vielen Jahren - beteiligt.
Die erfolgreiche und lustvolle Frauendemo zeigt, dass viele bereit
sind, sich für die Rechte der Frauen und für echte Gleichstellung
zu engagieren. Das ist vor dem
Hintergrund der zahlreichen uneingelösten Versprechen nicht weiter verwunderlich und stimmt für
kommende Auseinandersetzungen
und Aktionen zuversichtlich. Seit
fast 30 Jahren ist die Gleichstellung in der Schweizer Verfassung
verankert, und trotzdem erhält
eine Frau für fünf Tage Arbeit nur
den Lohn von vier Tagen. Zum ersten Mal hat sich dieser Lohnunterschied in den letzten Jahren wegen
der grosszügigen Auszahlung von
Boni an die Männer sogar noch
greenfo 2 | 2010
vergrössert. Und dies obwohl die
Frauen immer besser ausgebildet
sind.
In Folge der Krise verschlechtern
sich die Arbeitsbedingungen von
Frauen. Die Arbeit auf Abruf und
im Stundenlohn nimmt zu. Dazu
kommt der anhaltende Druck auf
die soziale Sicherheit: Trotz dem
grossen Sieg in der Abstimmung
über den Rentenklau sollen das
Rentenalter der Frauen mit der 11.
AHV-Revision erhöht und die Leistungen der Arbeitslosenversicherung abgebaut werden. Wird für
Frauen die gleiche Pflicht gefordert, muss ihnen auch das gleiche
Recht - gerade punkto Lohngleichheit – eingeräumt werden.
2011 jähren sich 40 Jahre Frauenstimmrecht, 30 Jahre Verfassungsartikel, 20 Jahre Frauenstreik und
15 Jahre Gleichstellungsgesetz –
eine gute Gelegenheit, weitere erfolgreiche Frauenaktionen durchzuführen.
Corinne Schärer
Grossrätin Grüne BE und
Gewerkschaftssekretärin
Gleichstellungspolitik Unia
Die Grünen
haben zahlreich
mitdemonstriert .
17
18
Thema
Lehre statt Strasse
für die jungen Sans-Papiers
Der Nationalrat hat in der Frühlingssession überraschend zwei Motionen
angenommen, die verlangen, dass Kinder von Sans-Papiers zu einer Berufslehre zugelassen werden. Hoffentlich zieht der Ständerat im Juni nach.
Anne-Catherine
Menétrey
alt-Nationalrätin VD
«Die UNO-Kinder-
rechtskonvention
garantiert allen Kindern ausdrücklich das
Recht auf eine Berufsausbildung.»
Mehr Informationen
finden Sie auf
www.sans-papiers.ch
Lausanne war Ende Februar vorgeprescht. Die Stadt entschied,
dass künftig vier der insgesamt 150
Lehrstellen in der Verwaltung mit
Kindern von Sans-Papiers besetzt
werden sollen. Genf doppelte kurz
darauf nach.
Die Ankündigungen der beiden
Städte lösten eine rege Debatte
aus, auch auf nationaler Ebene.
Offenbar gab dies den Bundesparlamentarierinnen und -parlamentariern den nötigen Anstoss, um
zwei entsprechende Motionen
anzunehmen; der Nationalrat am
3. März, die Staatspolitische Kommission des Ständerates folgte am
20. April. Auch in den Parlamenten der Kantone Waadt und Genf
fanden sich plötzlich Mehrheiten,
die kritisierten, dass junge SansPapiers, die nicht für den Status
ihrer Eltern verantwortlich sind,
ohne Zukunftsperspektiven zur
Schwarzarbeit oder einem Leben
auf der Strasse verdammt werden.
Dabei prangern die Nationale
Plattform zu den Sans-Papiers und
andere Organisationen die heutige paradoxe Situation schon seit
gut zehn Jahren an. So sind Kinder,
die in der Illegalität leben müssen,
zwar zur Schule, zum Gymnasium
und falls möglich sogar zur Universität zugelassen, gleichzeitig
jedoch von einer Berufslehre ausgeschlossen.
Recht auf Bildung
Die Formaljuristen aber schreien
auf, weil die Stadt Lausanne ihrer
Meinung nach das Recht verletzen
wird, wenn sie wirklich Lehrstellen
für Sans-Papiers zur Verfügung
stellt. Aber welches Recht? Die
UNO-Kinderrechtskonvention garantiert allen Kindern ausdrücklich
das Recht auf eine Berufsausbildung. Das Berufsbildungsgesetz
und die entsprechende Verordnung
formulieren als Voraussetzung für
eine Lehre nur das erforderliche
Alter und einen genügend grossen Schulsack. Einen Vorbehalt
bezüglich den Bestimmungen des
Ausländergesetzes erwähnen sie
nicht. Wieso sollte also plötzlich
das Ausländergesetz massgebend
sein, während das Recht auf Bildung verletzt werden darf?
Eins ist sicher: Wenn der Druck der
Städte und der Menschen, die sich
um die Zukunft dieser Jugendlichen
sorgen, weiterbesteht, und wenn
darüber hinaus der Ständerat dem
Entscheid des Nationalrates und
seiner eigenen Kommission folgt,
werden die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden,
um den jungen Sans-Papiers den
Zugang zur Berufslehre zu ermöglichen.
Wer sich dem unter der Berufung
auf das Recht widersetzt, vertuscht damit seine Feindseligkeit
gegenüber den Migrantinnen und
Migranten. Das ist sowohl scheinheilig als auch inkonsequent. Konsequenterweise müssten die gleichen Menschen dann auch die Tore
der Schulen vor der Nase dieser illegalisierten Kinder zuschlagen.
Anne-Catherine Menétrey
Grüne VD sowie Mitgründerin und erste
Präsidentin der Plattform zu den SansPapiers
greenfo 2 | 2010
erleben, was sie
gsstrom bis in
urchqueren sie
e Wüste.
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FAB R I Z I O GAT TI
BILAL
Lese- und Filmtipps
Als Illegaler auf dem
Weg nach Europa
tssklaven hat
t, als Augeneworden.
t beim »Corriere
eporter des »Espresm Namen bereits als
Obdachlosenquarlt sowie im Mafiabt und recherchiert.
end seiner Reportahielt Gatti den Euroreis; für »Bilal«
m Premio Terzani
Kunstmann
Sachbuch
Bilal: Als Illegaler
Fabrizio Gatti
bilal
Als Illegaler auf dem Weg nach Europa
auf dem Weg
Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß
Original: »Bilal. Viaggiare, lavorare, morire da clandestini«, Rizzoli,
Mailand 2007
ca. 512 Seiten, mit farbigem Bildteil, gebunden mit Schutzumschlag
ca. Euro 24,90 (D) | 25,60 (A) | SFr 42,90
ISBN 978-3-88897-587-5
Warengruppe: 1973
nach Europa
Fabrizio Gatti
Kunstmann, 2010
ËxHSNISIy975875z
Sie kommen aus Mali, Benin, Liberia, 19
Ghana. Sie heissen Daniel, Stephen,
James, Joseph oder Kofi. Sie haben Bekannte oder Angehörige, die es nach
Europa geschafft haben, und wollen
es ihnen gleichtun, um ihr eigenes
Leben und das ihrer Familien aus ihrer Ausweglosigkeit zu befreien. Um
die Wüste auf Schleppertransporten
zu durchqueren und ans Mittelmeer,
das Tor zu Europa, zu gelangen, nehmen sie Strapazen und Risiken auf
sich, die wir, durch Zufall in Europa
geboren, nicht im Entferntesten erahnen können: Hitze, Durst, Hunger,
Durchfall sowie Schläge, Erpressung
und Erniedrigungen durch Soldaten an den Kontrollposten. Der italienische Journalist Fabrizio Gatti
hat sich unter sie gemischt, um uns
diese Menschen näher zu bringen,
ihre Beweggründe, ihre Träume und
Hoffnungen. Viele sterben schon in
der Wüste, gestrandet im Niemandsland. Andere ertrinken im Mittelmeer. Und die, die es schaffen? Ihnen
steht ein Nichteintretensentscheid
oder ein zähes Asylverfahren bevor.
Schliesslich landen viele von ihnen
im Ausschaffungsgefängnis: zurück
auf Feld 1. Diese Menschen sind die
Spielfiguren im Millionengeschäft
der Schlepper und im migrationspolitischen Geschäft der europäischen
Parteien und Regierungschefs.
greenfo 2 | 2010
DVD
Kriminalroman
La Forteresse
Alpenrauschen
Fernand Melgar, 2008
DVD erhältlich im Verkauf oder
unter www.looknow.ch.
Sabina Altermatt
Piper Verlag, 2009
Wollen wir den Weg von Menschen
wie Daniel und Stephen, deren
Schicksal uns nach der Lektüre von
«Bilal» nicht mehr loslässt, weiterverfolgen, bietet sich der Dokumentarfilm «La Forteresse» an, der am
Filmfestival von Locarno den Goldenen Leoparden gewonnen hat.
Der Film zeigt den Alltag von Asylsuchenden im Empfangszentrum in
Vallorbe VD. Auch hier werden uns
Einzelschicksale geschildert, ohne zu
werten und ein Urteil zu fällen. Wir
sind mit dabei bei den Befragungen,
die über die weitere Zukunft dieser
Asylsuchenden entscheiden, können
die Verzweiflung spüren und auch
das Dilemma der Fragestellenden,
die eines der restriktivsten Asylgesetze in Europa umsetzen müssen.
Grüne Politik in Krimiform: Die
Grüne Bündner Nationalrätin
Franziska Padrun wird in Zürich überfahren und stirbt. Die
Journalistin Flurina Filli vermutet sofort einen Zusammenhang
zum geplanten Bau eines Kongresszentrums im Engadin, wo sie
selber herkommt. Sie reist nach
Sursass – wie Scuol im Buch genannt wird – und beginnt nachzuforschen, was nicht allen gefällt.
Sie begegnet alten Schulkameraden und Freundinnen und weiss
bald nicht mehr, wem sie trauen
kann. Auch die Kommunikationsverantwortliche der AlpinaInvest,
die den Bau des Kongresszentrums finanziert, versucht, die
Recherchen zu behindern. Doch
Flurina Filli wehrt sich gegen alle
Störungsmanöver und stellt sich
den Geistern aus der eigenen Vergangenheit… Der Krimi ist leicht
und flüssig geschrieben – eine
ideale Lektüre für alle, die Grüne
Politik in leicht verdaubarer Form
geniessen möchten.
«Bilal» und «La Forteresse» bringen uns Menschen näher, mit deren
Schicksal wir uns im Alltag kaum befassen, obwohl sie mitten unter uns
leben.
Corinne Dobler
19
20
Porträt
Flippige Jungpolitikerin
Debora Buess, Co-Präsidentin der
Jungen Grünen SG, ist erst 19 Jahre
alt. Und politisiert mit einer bemerkenswert klaren Haltung in einem
Kanton, in dem es nicht einfach ist,
Grüne Politik zu machen.
«Ich bin mit der Politik mehr oder
weniger aufgewachsen», sagt Debora. Ihre Mutter sitzt für die Grünen
im St. Galler Stadtparlament, ihre
Schwester ist ebenfalls bei den Jungen Grünen. Um sich abzugrenzen,
überlegte sich Debora eine Mitgliedschaft bei der JUSO. Doch ein Gleichgewicht zwischen Umwelt- und Sozialpolitik ist ihr wichtig, weshalb
sie sich für die Jungen Grünen entschied. Und im Gegensatz zu den
«alten» Grünen sind die Jungen Grünen in ihren Augen noch ein bisschen
«frischer».
Während die Familie sie politisch auf
Kurs brachte, ist es in ihrem Wohnkanton weniger einfach, grün und
links zu sein: Der Kanton St. Gallen
sei extrem konservativ, die Stadt ein
bisschen weniger. Aber: «Ich bin da
aufgewachsen, ich kenne nichts anderes.» Bei Abstimmungen sei es jeweils schwer, etwas durchzubringen.
Entmutigen lässt sie sich dadurch
nicht: «Es lässt sich immer wieder
etwas finden, was auch in St. Gallen
möglich ist.»
Mehr zu denken gibt ihr die politische Situation allgemein. Und sie
bezieht sich dabei nicht auf die AntiMinarett-Initiative: «Ich bin es leid,
darüber zu diskutieren, eigentlich
geht es ja hier um eine kleine Sache.
Gleichentags wurde das Waffenexportverbot abgelehnt, was eigentlich viel schlimmer ist, aber darüber
spricht niemand.» Die Symbolik und
die Tendenz sind es, die ihr zu schaffen machen. «Die Rechtspopulisten
schaffen es mit solch schwachsinnigen Initiativen, einen Wahlerfolg
nach dem anderen zu erzielen. Die
Linken dagegen sind oft zu intellektuell und können sich dadurch weniger verständlich machen.»
Besser Aktionen als Bürokratie
Gerade deshalb setzt Debora auf Aktionen. Spontane Strassenaktionen
liegen ihr mehr als Bürokratie und
schwerfällige Abläufe. So engagiert
sie sich neben den Jungen Grünen
seit Neustem in der GSoA und seit
Längerem im Sozial- und Umweltforum Ostschweiz (SUFO).
Fraglich ist, ob ihr für ihre vielfältigen Engagements auch in Zukunft
Zeit bleibt. Denn im September be-
greenfo 2 | 2010
21
Debora Buess
*1991 in St. Gallen
Co-Präsidentin der Jungen
Grünen SG
Organisationsmitglied des
Sozial- und Umweltforum
Ostschweiz (www.sufo.ch)
und engagierte Realistin
ginnt sie das zeitintensive Architektur-Studium an der ETH Lausanne:
«Wir brauchen Leute, die ‘gescheite’
Häuser bauen. Wenn ich das Studium schaffen sollte, will ich nicht
irgendwelche Bonzen-Häuser bauen, sondern Häuser mit MinergieStandard und gemäss anderen ökologischen Zielvorgaben.»
Um sprachlich auf das Studium vorbereitet zu sein, arbeitet sie derzeit
als Au-pair in Sion. Sie hütet zwei
Mädchen, führt den Haushalt und
kocht. «Um Französisch zu lernen, ist
das sehr praktisch, aber es ist nicht
das, was ich das ganze Leben machen will.» Sollte sie selbst einmal
Kinder haben, will sie wie ihre Eltern
ein ‘Care-Sharing’ leben: «Die Hälfte
der Woche war mein Vater zuhause,
die andere Hälfte meine Mutter.»
Gegen Sonderzüge
Obwohl sie selbst mit der Gleichstellung als etwas Selbstverständlichem
aufgewachsen ist, ist ihr klar, dass es
immer noch Anstrengungen braucht.
Als Mentee von alt Nationalrätin Pia
Hollenstein macht sie im (Frauen-)
Förderungsprogramm der Grünen
Partei der Schweiz mit. «Ich finde es
gut, dass die Männer auch mitmachen dürfen. Aber dass Frauen in der
greenfo 2 | 2010
Politik gefördert werden, finde ich
super.» Sie selbst erlebe es oft, dass
sich auch Frauen in ihrem Alter weniger getrauen zu kandidieren und
sich weniger gern exponieren. Es sei
schwierig, Rednerinnen für Demos
und Podien zu finden. Ihre Generation sei zwar eher gegen Sonderzüge,
aber: «Solange Frauen immer noch 20
Prozent weniger verdienen und wirklich oft benachteiligt sind, braucht
es explizit Frauenförderung.»
Zwar steht Debora erst am Anfang
ihres politischen, beruflichen und
privaten Lebens. Vorbilder für ihre
Zukunft braucht sie dennoch nicht:
«Ich lebe so, wie ich leben will, mache
das, was ich machen will, und dann
bin ich (hoffentlich) glücklich.»
Corinne Dobler
Mitglied der GSoA
2004-2009 Kantonsschule
2009 Migros-Mitarbeiterin
Kasse
2010 Au-pair in Sion VS
Ab 2010 Architektur an der
ETH Lausanne
22
Junge Grüne
Menschenrechte:
Es gibt noch viel zu tun!
Das erste Wochenende der Jungen
Grünen des Jahres 2010 hat vom 23.
bis 25. April in Yverdon stattgefunden. Thema waren die Menschenrechte und dabei insbesondere die
Rechte von Homosexuellen.
Nach einer allgemeinen Einführung, der uns einen Überblick
über die Entstehung der Menschenrechte und deren Ratifizierung und Umsetzung in der
Schweiz verschaffte, haben wir
uns mit den Homosexuellen befasst. Wussten Sie, dass zehn
Prozent der Schweizerinnen und
Schweizer nicht heterosexuell
sind? Dies bedeutet, dass diese
zehn Prozent aufgrund ihrer sexuellen Orientierung systematische Diskriminierungen erleben.
In der Schule, auf der Suche nach
einer Arbeitsstelle, in der Öffentlichkeit, in der Werbung, in der
Eheschliessung, in der Erfüllung
ihres Kinderwunschs sowie in vielen anderen Lebensbereichen.
Die Diskriminierung erschwert
den nicht Heterosexuellen die
Auslebung nicht nur ihres sexuellen, sondern auch ihres sozialen
Lebens. Diese Einschränkung verstösst klar gegen die Menschenrechte. Deshalb ist es notwendig,
sich für die Rechte der Homo- und
Bisexuellen einzusetzen.
terschiedlichen Bezeichnungen
«Ehe» und «eingetragene Partnerschaft» machen dies deutlich.
Hinzu kommt, dass homosexuelle
Paare nicht die gleichen Rechte
haben und beispielsweise von
der Adoption von Kindern ausgeschlossen sind.
Paradoxerweise können ledige
Personen Kinder adoptieren, eingetragene Paare hingegen nicht.
Dies zwingt die Homosexuellen
zur Wahl zwischen gemeinsamen
Kindern und der Eintragung der
Partnerschaft. Noch schlimmer
ist, dass nur ein Elternteil offiziell Verantwortung trägt, wenn
das Paar sich für Kinder entscheidet. Bei einer Trennung der Eltern
oder dem Tod eines Elternteils
kann dies zu grossen Problemen
führen.
Schon nur diese Beispiele zeigen
klar, dass auch in der Schweiz
noch eine Menge zu tun ist, damit
die Menschenrechte wirklich umgesetzt werden. Demnächst werden die Jungen Grünen Forderungen ausarbeiten, um diesem Ziel
ein bisschen näher zu kommen.
Tobias Kuhnert
Junge Grüne BE
Keine Adoption
Im Alltag äussert sich die Ungleichbehandlung am stärksten in
der Anerkennung der Beziehung
seitens des Staates. Die kürzlich
entstandene eingetragene Partnerschaft ist ohne Zweifel ein
Schritt in die richtige Richtung.
Von effektiver Gleichstellung
zwischen Hetero- und Nicht-Heterosexuellen kann jedoch noch
keine Rede sein. Schon nur die un-
greenfo 2 | 2010
Grüne International
23
Klimaschutz beschäftigt
Europäische Grüne
Mehr als 300 Delegierte und Interessierte aus den Mitgliedsparteien der
Europäischen Grünen Partei haben sich im März zum «Council Meeting» in
Barcelona getroffen. Ein Thema war der Klimaschutz nach Kopenhagen.
Die Enttäuschung, dass an der Klimakonferenz in Kopenhagen im
vergangenen Dezember keine verbindlichen Massnahmen vereinbart
wurden, sitzt auch bei den Europäischen Grünen immer noch tief. Doch
es herrschte grosse Einigkeit darüber, dass sie sich jetzt nicht frustriert
vom Prozess abwenden sollten. Sie
beschlossen, auf europäischer wie
auch jeweils auf nationaler Ebene
noch mehr Druck zu machen, damit
die EU endlich wieder eine aktive Vorreiterrolle einnimmt. Das Ziel muss
jetzt ein international verbindliches
Abkommen für den Klimagipfel in
Cancún sein.
Auch die europäische Wirtschaftsstrategie (EU 2020) und europäische
Lösungswege für die aktuellen Finanz-, Wirtschafts- und Klimakrisen
beschäftigten die Delegierten. Die
Nachwehen der Wahlen ins Europäische Parlament des vergangenen
Jahres waren ebenfalls immer noch
spürbar. Sie waren zwar ein Erfolg
für die Grünen gesamthaft, vor allem in Frankreich. Gleichzeitig manifestierte sich jedoch die Schwäche
der Grünen in Süd- (Spanien, Italien,
Griechenland, Portugal) und Osteuropa, obwohl die Grünen die eifrigsten Verfechter der EU-Osterweiterung waren.
Die Europäischen Grünen werden
sich deshalb darum bemühen, im
Süden und im Osten stärker zu mobilisieren. Das Beispiel Ungarn zeigt,
dass eine Strategie der Öffnung
rasch Früchte tragen kann. Die neue
ungarische Partei LMP («Politik kann
anders sein»), die am letzten Treffen
der Europäischen Grünen als Beobachterin zugelassen worden war,
greenfo 2 | 2010
eroberte bei den Parlamentswahlen
im April 2010 auf Anhieb 7,43 Prozent
der Stimmen.
Schweizer Resolution
angenommen
Ein Erfolg für die Schweizer Delegation war die einstimmige Annahme
einer Resolution von Yahya Hassan
Bajwa. Sie fordert die Europäischen
Grünen auf, sich unverzüglich an
die Europäische Kommission und
das Europäische Parlament zu wenden. Diese sollten die Verletzung der
Menschenrechte in Pakistan verurteilen und Massnahmen verabschieden, damit dem Töten von religiösen
Minderheiten Einhalt geboten wird.
Die Spitze der Europäischen Grünen
wurde in Barcelona neu besetzt. Im
Co-Präsidium ist neu Monica Frassoni
aus Italien vertreten. Sie ist ehemalige Sprecherin der Grünen Fraktion
im Europäischen Parlament und ersetzt Ulrike Lunacek aus Österreich.
Frassoni ergänzt den bisherigen CoPräsidenten Philippe Lambert. Lunacek und Lambert wurden beide vor
Kurzem ins Europäische Parlament
gewählt.
Jean Rossiaud
Delegierter der Grünen Schweiz
bei den Europäischen Grünen
Die Resolution «Human Rights Violations by the State of Pakistan» von
Yahya Hassan Bajwa und die anderen
Resolutionen finden Sie auf
www.europeangreens.eu
24
Informationsbulletin der
Grünen Partei der Schweiz
Nr. 2 | April 2009
Wie wir den Ausbau der
Bahn finanzieren können
Grüne
on
jetzt line:
neu!
www.
gruene
.ch
Wieso wir keine biometrischen Pässe wollen S. 5
Wieso wir keine neuen Grosskraftwerke brauchen S. 10/11
Informationsbulletin der
Grünen Partei der Schweiz
Nr. 4 | November 2009
Für ein Verbot von
Kriegsmaterial-Exporten
Wieso die Minarett-Initiative gefährlich ist S. 8
Klimaschutz kann gegessen werden S. 15
Informationsbulletin der
Grünen Partei der Schweiz
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Solidarität und nachhaltige Wirtschaft.
Nr. 1 | Februar 2010
In Würde altern
NEIN zum Rentenklau!
Hat es in Ihrem Bekanntenkreis Leute, die das greenfo noch nicht
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