zum Artikel "48 Stunden in Bremerhaven"

48 S T UNDEN BREMERHAVEN
DER NORDISCHE PATIENT
BREMERHAVEN
Eine ganze Zeit lang sah es so aus, als würde Bremerhaven nicht wieder
auf die Beine kommen. Doch dann entdeckte man eine ganz neue Kur für
den angeschlagenen Stolz der Nordseeküste: Gäste. Vor allem viele.
Ihretwegen könnte die Stadt vor einer neuen Blüte stehen
TEXT: DAVID POHLE
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FOTOS: RENÉ SUPPER
STUNDEN
BREMERHAVEN IN 2 TAGEN
EXTRATIPPS Seite 26
HAVENWELTEN
Hier blüht und gedeiht
die Stadt. Mit Blick
über den Hafen auf das
Atlantic Hotel Sail City
und das Klimahaus.
Hier trudeln Besucher
und SchifffahrtFans gerne ein
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48 S T UNDEN BREMERHAVEN
B
remerhaven, stolze, wichtige Hafenstadt
an der Nordsee. Rosige Prognosen
stellten schlaue Experten schon vor
Jahrzehnten in Aussicht. Vollgas, ohne Rücksicht
auf Verluste, Fortschritt und Wachstum, höher,
schneller, weiter. Die Stadt, die zum Bundesland Bremen gehört, will groß rauskommen.
Risiken werden keine gesehen, Weitsicht Fehlanzeige, Vorsorge ist nur was für Hypochonder.
Das war kurzsichtig, vor allem war es falsch.
Heute schickt sich die Stadt nach dem Motto „Du
hast keine Chance, also nutze sie“ an, ihrem vorgezeichneten Schicksal ein Schnippchen zu schlagen.
TOURISMUS ALS MEDIZIN.
WIR SIND HIER ZUM PATIENTENBESUCH,
ABER BLUMEN HABEN WIR NICHT DABEI
M JAM
ESST MEHR FISCH
KOCHSHOW Bremerhaven ist
die Fischhauptstadt Deutschlands, der Fischereihafen das
pulsierende Herz. Wie lecker
– und gesund – Fisch ist, wenn
er richtig eingekauft und zubereitet wird, erfährt man hier
bei den stets ausverkauften,
saisonal ausgerichteten Kochshows und Kochkursen für
jedes Niveau.
Termine und Reservierungen
für die große Lust auf Fisch:
www.seefischkochstudio.de
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WAS WAR PASSIERT?
Es kam knüppeldick: Die wichtige Hochseefischerei
wurde eingestellt, Werften gingen pleite und als
Anfang der 1990er-Jahre die letzten 4.000 Soldaten
der US-Armee ihr B’heaven, das fast 50 Jahre lang
ihr wichtigster europäischer Hafen gewesen war, verließen, stieg die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhen.
Die Katerstimmung war auf dem Höhepunkt und
guter Rat extrem teuer. Bremerhaven hing am Tropf.
Und jetzt? Bremerhaven, eigentlich chronisch
pleite, hat das Wunder vollbracht, in den Taschen
nackter Männer mehrere Hundert Millionen Euro
für eine beispiellose Frischzellenkur, fast eine
Operation am offenen Herzen, zu finden und diese
in das neue Gesicht der Stadt zu stecken: Die Havenwelten sollen den Niedergang stoppen – mit riesigem Hotel, bemerkenswerter Museumslandschaft
und hoffentlich großer Zukunft.
Tourismus ist dafür die vielversprechende
Medizin. Deshalb sind wir hier zur Visite, eher zum
Patientenbesuch. Blumen haben wir nicht dabei, aber
ein volles Programm für zwei Tage an der Wesermündung. Viel neues, wenig altes Bremerhaven.
11.45 UHR LITTLE DUBAI
Eineinhalb Stunden fährt man mit dem Auto von
Hamburg, lässt Bremen links liegen und verlässt die
Bundesautobahn 27 in Bremerhaven-Mitte. Wo
früher Hafenbrachen lagen, steht jetzt das Hotel
Sail City, mit 147 Metern höchstes Gebäude an der
Nordseeküste. Ein aufgeblasenes Segel solle es darstellen, meinte der Architekt bei der Einweihung.
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Ewige Spötter nörgelten, es handele sich um eine
Miniaturausgabe des Burj al Arab in Dubai. So what?
Das mag 200 Meter höher sein, aber dafür hat es
garantiert keine Bienenvölker auf dem Dach, die
freiberuflich Seestadt-Honig produzieren. Und den
Weserblick natürlich auch nicht.
12.15 UHR HOTEL SAIL CITY
Die großen Stars der Havenwelten sind allesamt nur
einen kleinen Katzensprung voneinander entfernt.
Hotel und Klimahaus trennt kaum eine Fischgräte,
Auswandererhaus und Zoo sind gleich in Sichtweite.
Wir fahren vor, checken ein. Unser Auto steht ja
trocken im Parkhaus unter der Lobby. Zimmer im
9. Stock, Bremerhaven liegt uns jetzt zu Füßen.
Der Blick über die Weser ist weit, der Zoll scheint
winzig und die Containeranlagen im Hintergrund
dieses Panoramas gigantisch.
12.45 UHR ALTER HAFEN
„Moin“, sagen wir. „Moin“, sagt Jan Rohrbach von der
Tourist-Info gegenüber dem Hotel. „Wir möchten
Container sehen“, sage ich. „Geht klar, nehmen
Sie den Hafenbus. Sie sind noch etwas früh, vorm
Zoo können Sie dann einsteigen, das ist nur 100 Meter von hier. Vorher empfehle ich ein Fischbrötchen
auf dem Deich. Perso nicht vergessen, viel Spaß
und tschüss!“, schickt er uns norddeutsch kurz angebunden, aber herzlich auf den Weg. Wir haben – wie
üblich auf Städtereisen – Fahrräder geliehen, kostenlos im Hotel. Nun kurven wir entspannt am Alten
Hafen hin und her, bis sich die Schlange vor der
Fischbrötchenbude in Wohlgefallen aufgelöst hat.
Das hat auch einen Grund: Fisch ist alle. Brötchen
ohne alles oder mit Remoulade und Zwiebeln
sind noch da. Gucken wir halt so auf die Weser.
14.15 UHR HAFENBUS
Die kurzweilige Livemoderation ist mit Kalauern
gespickt. Im Containerhafen – „Das ist die Fläche
von 360 Fußballplätzen, neben-, nicht aufeinander“,
krächzt es aus dem Mikrofon – stehen zahllose Lastwagen, Betonmischer, in Plastik eingeschweißte
Hubschrauber und sogar Wasserwerfer mit arabischen Schriftzeichen zum Transport in die weite
Welt bereit. Neue Autos warten gefühlt zu Zehntausenden, manche sind angekommen, andere gehen
in den Export. Gigantische Transportschiffe, die aussehen wie überdimensionierte Schuhkartons, öffnen
ihre Mäuler, schlucken die Ware und spucken sie
irgendwo in Übersee wieder aus. Die rund 5 Kilometer lange Stromkaje, die längste der Welt – hier
werden die Container verladen –, befährt der Bus
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1
(1) Klirrende Kälte und tropische Hitze entlang
des achten Längengrades, auf dem auch Bremerhaven liegt, www.klimahaus-bremerhaven.de
(2) Architektonisch gelungener Zugang im
Klimahaus (3) Modern, neu und zentral im
Fischereihafen, www.best-western-bremerhaven.de
(4) Die Hoffnung, die von Offshorewindparks
ausgeht, fußt auf bis zu 1.000 Tonnen schweren
Monstern namens Tripod (5) Schlepperromantik
vor Butjadingen (6) Plattformblick von der 21. Etage
des Hotels Sail City auf Weser und Zoo mit KnutDouble aus Pappe, www.zoo-am-meer-bremerhaven.de
(7) Tradition und Moderne, Hoffnung und Zukunft
(8) Das Auswandererhaus war 2007 Europas Museum
des Jahres, bewegend bleibt es auch seitdem,
www.dah-bremerhaven.de (9) Hinrich „Hinni“ Hinck
ist der Vater des einzigartigen Motorradrennens
im Fischereihafen, www.fischereihafen-rennen.de
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3
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5
KLIMAHAUS BREMERHAVEN: Die Besucher erleben alle Klimazonen der Welt, die auf demselben Längengrad wie die Stadt Bremerhaven liegen.
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leider nicht, zu heikel. „Sicherheit, Sie verstehen,
oder wollen Sie einen Container auf den Kopf
kriegen?“ „Nö, lieber nicht“, denke ich. Am Ende
zieht es sich etwas, sodass wir die erste Gelegenheit
zum Ausstieg beim Klimahaus nutzen.
SCHAUFENSTER
FISCHEREIHAFEN
Seefischkochstudio
weckt Appetit auf
Fisch und mehr
16.20 UHR KLIMAHAUS
Da die meisten Besucher in der Zeit von ca. 10 bis
15 Uhr ihre Exkursionen machen, ist das futuristische Gebäude, das an eine auf dem Rücken liegende
Niere erinnert und so etwas wie der prominente
Herzschrittmacher der Stadt ist, schon ziemlich leer.
Gut für uns, denn so können wir uns nahezu alleine
auf die Reise entlang des achten östlichen Längengrads begeben. Darauf liegt Bremerhaven, aber zum
Beispiel auch der Regenwald Kameruns, Korallenriffe vor Samoa, Teile der Antarktis und Alaskas
sowie die nahe Hallig Langeneß. Und im Klimahaus
sind die dort jeweils vorherrschenden Bedingungen
eins zu eins umgesetzt. Trockene Hitze, feuchte
Schwüle, eisige Kälte und Bremerhavener Schietwetter schärfen das Bewusstsein für die immer wichtigere Frage: Was ist eigentlich Klima?
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DIE LETZTE KNEIPE VOR NEW YORK.
DAS KLINGT MAGISCH NACH
ABENTEUER, SHANTYS UND SEEBÄREN
ISLE OF MAN LIGHT
LAUT. ROH. ECHT. Benzin liegt
in der Luft, wenn das spektakuläre Motorradrennen auf
2,7 Kilometer langem historischen Stadtkurs im Fischereihafen 20.000 Besucher über
Pfingsten begeistert.
Röhrende Motoren, benzinschwangere Luft, infernalischer
Lärm und rund 400 leidenschaftliche Fahrer machen
dieses Event einzigartig in
Europa. Nächster Termin:
24./25. Mai 2015 (Pfingsten).
www.fischereihafen-rennen.de
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19.30 UHR LETZTE KNEIPE VOR NEW YORK
Die Seemannskneipe, inzwischen überwiegend ohne
Seemänner, ist urig. Von außen als unscheinbarer
Geheimtipp zu klassifizieren, ist innen alles sehr
rustikal: dunkles Holz, breiter, flacher Tresen,
maritime Devotionalien. Das Bier ist kalt, es gibt
Fisch in Truckerportionen, die polnische Bedienung ist nett. Diese Kneipe kann man lieben, keine
Gourmandie, aber originell – vor allem samstagabends, wenn Bruni Schlager und Shantys singt –
und rustikal mit fairen Preisen.
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Foto Hinrich Hinck: Sabrina Adeline Nagel
M A I 2 015
18.30 UHR POLARSTERN
Wie das Klima in diesem Hause unmittelbar auf
uns wirkt, ist überraschend: Wir haben vor allem
Appetit auf lokalen Fisch. Also rauf auf die Räder,
Richtung Kaiserhafen. Wir suchen die letzte Kneipe
vor New York. Auf dem Weg dahin sehen wir die
Polarstern im Dock. Der prächtige Eisbrecher,
der fast ganzjährig als Forschungs- und Laborschiff
in Arktis und Antarktis eingesetzt wird, hatte kurz
mal Sehnsucht Heimathafen.
21.45 UHR LILI MARLEEN
Auf dem Rückweg halten wir an einer Laterne, die als
nette Erinnerung an Lale Andersen, die wohl berühmteste
Tochter der Stadt, an der Linzer Straße steht. Mit dem
Ohrwurm Lili Marleen rücken wir wieder ein ins Hotel.
09.10 UHR AUSWANDERERHAUS
Wer nah am Wasser gebaut hat, den können die bewegenden Biografien, 18 davon Auswandererschicksale,
15 Zuwanderergeschichten, von denen man je eine
beim Betreten des Museums annimmt, ganz schön mitnehmen. Zukunft ungewiss, Mut, Hoffnung und oft
auch Verzweiflung riesig. Ich reise mit Carl Laemmle,
der 1884 in das Land der schon damals unbegrenzten
Möglichkeiten ging und in Kalifornien die Universal
City Studios gründete, an einem Ort, der heute als
Hollywood bekannt ist. Eine Erfolgsgeschichte. Andere
gehen wenig spektakulär und illusionslos zu Ende.
12.30 UHR LUNEPLATE
Wir checken aus dem Sail City aus und treffen Rüdiger
Staats, den Pressesprecher von Bremenports, der wohl
das schönste Büro hat. Es liegt noch über unseren
Panoramazimmern. Von da aus zeigt er mit hanseatischer Gelassenheit Richtung Luneplate. Bremerhavens
neuester Stadtteil wurde als Ausgleichsfläche für
den letzten Containerterminal gekauft und ist jetzt als
Naturschutz- und damit quasi Naherholungsgebiet
ausgewiesen. Wasserbüffel wurden angesiedelt, fast
20 prächtige Exemplare leben dort unter der Führung
von Bulle Valentino, dessen „850 Kilogramm italienische Eifersucht“ den wilden Haufen zusammenhält.
„Und fressen tun die auch alles, was eine hochsensible
Leistungskuh verschmähen würde“, grinst Staats.
14.15 UHR BACKFISCHFEST
So eine gute Stimmung habe ich in einem Fischladen
noch nicht erlebt, hinterm Tresen wird gegrinst,
gelacht und kokettiert. Ganz selbstbewusst offenbar,
denn bei Fisch 2000 am alten Fischereihafen – das
bestätigt auch Herr Staats, der uns hergeführt hat –
gibt es den besten Backfisch in Fishtown, die immerhin
noch Fischhauptstadt Deutschlands ist. Nirgends, auch
nicht in Hamburg, wird so viel Fisch verarbeitet wie
hier. Nur kommt er nicht auf Schiffen aus der Nordsee,
sondern per Lkw aus Dänemark und sonst woher.
Eine Portion ist gut, zwei sind besser. Ich lege mich
fest: der beste Backfisch Deutschlands.
15.00 UHR FISCHEREIHAFEN
Mitten im Fischereihafen an der Mündung der Weser
liegt das nagelneue Best Western Hotel. Neuer Stahl
und altes Holz sollen das kulturelle Erbe der Stadt
aufnehmen. Gelungen, finde ich.
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(10) So nah kommt man dicken Pötten
im Hafen nur mit dem Rad (11) Zeitfresser Miniport im sehenswerten Paradies
für Seefahrtsromantiker und -liebhaber,
www.dsm.museum (12) Wenn der Wind sich
dreht, wird die alternative Energiequelle
flügellahm? Flügel ohne Offshorewindrad auf
Halde (13) Der beste Backfisch Deutschlands wird
von Menka Osterndorff über den Tresen des Kultladens Fisch 2000 gereicht, www.fisch2000.de
(14) Die schneidige Seute Deern (süßes Mädel) mit
schönem Restaurant unter Deck gehört zum Schifffahrtsmuseum, www.seutedeern.de (15) Wasserbüffelbulle Valentino ist unumstrittener Chef im
Naturschutzgebiet Luneplate, www.bremerhaven.de
(16) Michaela Reinhardts Kekse sind die besten an
der Nordsee, die leckeren Rezepte familiär aus
New York überliefert, www.brownies-cookies.de
(17) Kleines Bier vor der letzten Kneipe vor New
York geht immer, www.treffpunktkaiserhafen.de
(18) Und drinnen vom maritimen Zapfhahn auch
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DER MINIPORT IM DEUTSCHEN SCHIFFAHRTSMUSEUM: Hier kann jedes Landei gefahrlos seine Seetauglichkeit testen. www.dsm.museum
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BUCHTIPP
Ein Fischtrawler liegt am Kai, Möwengeschrei am
Himmel, Bremerhavens Havenwelten in der Ferne.
Alles vor meinem Fenster. Das ist riesig und schon
beim Frühstück lässt sich von hier aus der Hafen
samt Attraktionen in Augenschein nehmen.
DOCKERSTOLZ
15.45 UHR SCHIFFFAHRTSMUSEUM
Schnelldurchlauf, der dem Museum nicht gerecht
wird. Am Minipool machen wir trotzdem fest und
steuern mit jungenhafter Begeisterung Modelltanker
und -frachter per Fernbedienung.
17.55 UHR KEKSE
Einen Geheimtipp müssen wir aber noch ablaufen:
Brownies & Cookies von Michaela Reinhardt.
Epizentrum, wenn es um Kekse geht, die den Namen
noch verdienen. „Man muss sich der Liebe und dem
Backen stets mit ganzem Herzen widmen“, haucht
Michaela und schwört, niemals die Familienrezepte
zu verraten, die sie aus dem Staate New York mitgebracht hat. Schade eigentlich.
Jeder Krümel ein Genuss: www.brownies-cookies.de
19.30 UHR WEITBLICK
Gestern Abend war das Licht schlecht, heute klart es
aber kurz auf. Letzte Auffahrt zur Aussichtsplattform
Sail City. Wir sind alleine, 21. Etage, 86 Meter über
der Weser. Der Wind pfeift, jetzt kommt Regen, die
Sonne geht. Da René mir keinen Antrag macht – es
ist schon eine spezielle Romantik –, gehen wir auch.
20.45 UHR KROHNS ECK
Eigentlich wollten wir ins Natusch gehen, eines der
besten Fischrestaurants in ganz Deutschland und
gleich um die Ecke, aber heute Abend war für kurz
entschlossene Fischfreunde kein Tisch mehr frei.
Also landen wir bei Mäggie im Krohns Eck, keine
Alternative im Wortsinn, aber nach einem langen
Tag eine Kneipe mit bestem Lokalkolorit. Den Rest
des Abends beobachten wir einen holländischen
Schlepperkapitän bei dem Versuch, eine üppige
Blondine an Land zu ziehen. Erfolglos. Doch weil er
die Niederlage mit Anstand trägt, spielen wir ihm
den alten Schlager Hein Mück aus Bremerhaven vor.
Der hatte nämlich Glück bei den Frauen.
08.45 UHR KATERFRÜHSTÜCK
Die Frischzellenkur hat der stolzen Stadt gutgetan,
die Operation scheint gelungen, der Patient lebt und
ist auf dem Wege der Besserung. Statten Sie ihm
doch einen Besuch ab, dem nordischen Patienten,
vielleicht schon diesen Sommer zur Sail.
HAVENWELTEN
Fünf Minuten Bremerhaven
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18
Bremerhaven,
harte Stadt am
Meer. Hast
viel einstecken
müssen in den
vergangenen
Jahren.
Der Fischerei
ging es schlecht, den Werften
auch, die Amerikaner zogen ab.
Armut, jeder Fünfte ohne
Arbeit, in einer Seitenstraße
wachsen Bäume aus den
Häusern. Manche der Fenster
sind zugenagelt, als habe
jemand den Krieg erklärt.
Nahe der Polizeiwache pinkelt
ein Betrunkener mittags gegen
einen Baum. Solche Bilder sieht
der Besucher überall, wenn
er durch die Straßen fährt.
In deinen Gesichtern erkennt
man, dass viele, die hier wohnen,
einstecken mussten. In der
Innenstadt haben sie viele
Millionen verbaut, moderne
Museen sind entstanden, ein
Hotel, das aussieht wie dieses
Segel in Dubai. Dubai und
Bremerhaven – wie absurd.
Seinen Stolz trägt Bremerhaven
woanders. Die Franziusstraße
und die Brückenstraße hoch in
den Containerhafen, vorbei
an Lagerhallen, an Kränen, an
weiten Parkplätzen voller
Neuwagen, die nach Übersee
gehen, vorbei an den Docks.
Kulissen wie im Video von
Pride, der Hymne derjenigen,
die sich den Stolz nicht nehmen
lassen. Alles so herrlich grobkörnig. Möwen kreischen, eine
Sirene schreit. Gefühl von
echtem Hafen. Keine Schaufelraddampfer, keine Souvenirverkäufer, keine Zuckerwatte.
Touristen verirren sich selten
hierher. In den Imbissbuden
trinken Docker und Trucker
schwarzen Kaffee und rauchen
die letzte Zigarette – vor der
nächsten Schicht, vor der
nächsten Reise. Hier wird hart
gearbeitet, rund um die Uhr.
Hier schlägt es noch, das Herz
der Stadt. Dockerstolz, geschrieben von
Stefan Krücken, entstammt dem
Blog des Ankerherz Verlages,
wo man die Helden des Alltags
mit packenden, hochwertigen
Büchern wie Wellenbrecher ehrt.
www.ankerherz.de
25
Muss man sehen!
DEUTSCHES
AUSWANDERERHAUS
PERFEKT GELEGEN/1 Mitten
im Fischereihafen und direkt
am Hafenbecken, aber abseits der Havenwelten liegt
das moderne Designhotel,
das für die Entdeckung der
Stadt von dieser Seite aus die
allerbeste Wahl ist. Natusch,
Fisch 2000, Seefischkochstudio und das legendäre Rennen direkt vor der Haustür.
Buchen ab 89 Euro pro Nacht.
www.best-westernbremerhaven.de
HISTORISCHER ORT Über sieben Millionen Menschen wanderten zwischen 1830 und
1974 von hier in die Neue
Welt aus. Das Haus wurde
2007 als bestes Museum Europas ausgezeichnet, erzählt
die stellvertretende Direktorin Ilka Seer stolz. Wir bleiben viel länger als geplant
und denken, dass wir schon
wegen dieses emotionalen
Zauberwürfels unbedingt
wiederkommen müssen.
ANGUCKEN
BEST WESTERN
BREMERHAVEN
ATLANTIC HOTEL
SAIL CITY BREMERHAVEN
↗
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200 Meter entfernt liegt das
Shoppingcenter Mediterraneo mit über 40 Geschäften.
INFO Wer am Mittwoch den
Museumstag mit einem BBQ
im Speisesaal des Hauses
ausklingen lassen möchte,
sollte rechtzeitig reservieren.
www.dah-bremerhaven.de
AUSWANDERERHAUS
SEHNSUCHTS
LIEBLING
Feuchte Augen, Gänsehaut
und Kloß im Hals, ergreifender
kann man Auswandererschicksale nicht
erlebbar machen.
NATUSCH
IM FISCHEREIHAFEN
SEUTE DEERN
BEI DEN HAVENWELTEN
CONTAINERTOUR
MIT DEM HAFENBUS
HAFENFISCH Zuverlässig wie
ein altes Frachtschiff kommt
hier vor allem eines auf den
Tisch: Fisch. Und das so exzellent, so frisch, man muss
aufpassen, dass er nicht wieder vom Teller springt. Das
Natusch macht ob dieser
Qualitäten seit vielen Jahren
im ganzen Land von sich reden. Fischereihafen, Reservierung empfohlen.
www.natusch.de
VOR ANKER Unter Deck des
alten Großseglers gibt es natürlich ebenfalls sehr lecker
Fisch, aber auch exzellente
Steaks und eine Atmosphäre, die in der Stadt am Strom
ihresgleichen ergebnislos
suchen müsste. Also, einplanen, reservieren und einen
Abend hier vor Anker gehen.
Im Sommer sitzt und speist
man auch an Deck.
www.seutedeern.de
MARITIMES SPERRGEBIET Wir
hatten Glück, zwei Tickets
gab es noch. Unsere Empfehlung: Tickets reservieren und für gute Plätze am
Startpunkt der zweistündigen Tour im Schaufenster Fischereihafen einsteigen. Der
Containerterminal ist Teil der
Route. Unbedingt gültigen
Personalausweis oder Reisepass mitnehmen.
www.meine-stadt-bremerhaven.de
BESUCHEN
ESSEN
SCHLAFEN
PERFEKT GELEGEN/2 Sagenhafter Blick über Havenwelten und Weser und die
höchste Aussichtsplattform
an der Nordsee obendrauf.
Dazu ein sehr respektables
Restaurant namens Strom,
das gelegentlich mit den
schönsten Teilen vom Luneplate-Wasserbüffel glänzt.
Für die Eroberung der
Havenwelten konkurrenzlos.
Schlummern schon ab
138 Euro pro Nacht.
www.atlantic-hotels.de/sailcity
SHOPPEN Nur knapp
SAIL BREMERHAVEN
AUGUST 2015
MEER ERLEBEN Wenn Mitte
August knapp 100 Segelschiffe Kurs auf Bremerhaven
nehmen, gerät die Stadt ins
Schwärmen. Sie ist schließlich Heimathafen vieler bekannter Großsegler. Fünf
Tage lang heißt es dann Volle
Fahrt voraus in den Ausnahmezustand – von den Havenwelten bis zum Schaufenster Fischereihafen. Singende
Seebären, fettige Häppchen
Lesen Sie mehr über unsere Hoteltipps und andere tolle Plätze in Bremerhaven auf www.sehnsuchtdeutschland.com.
S E H N S U C H T D E U T S C H L A N D 1*2015
und trommelnde Kapellen.
An Stehenbleiben oder
Durchatmen ist nicht zu
denken. Wer anheuern will,
muss schnell sein. Kajüte
buchen und Anker werfen.
Andere Sehleute stehen
schon in den Startlöchern.
Termin: 12. bis 16. August 2015.
www.bremerhaven.de
Fotos: Best Western; ATLANTIC Hotel SAIL City/Helmut Gross; René Supper, www.renesupper.com (2); Natusch Fischereihafen-Restaurant; Bremerhaven.de (2)
48 S T UNDEN BREMERHAVEN
48 S T UNDEN BREMERHAVEN
Willkommen im einzigartigen
Seefischkochstudio Bremerhaven!
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Kocherlebnissen begeistern: Unser Küchenmeister
zeigt Ihnen, wie kreativ, pfiffig und vielseitig Scholle,
Lachs und Co. zubereitet werden können.
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Wir kochen live und frisch vor Publikum: Unsere
Kochshows laden in unterhaltsamer Atmosphäre zum
Schlemmen ein. Oder Sie werden selbst zum Profi: In
unseren Kochkursen erlernen Sie die handwerklichen
Kniffe für die leckere Fischküche. Eben ein köstliches
Vergnügen – mit Lerneffekt.
EUROPÄISCHE UNION
Europäischer Fischereifonds
Investition in eine
nachhaltige Fischerei
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