3 Tages-Anzeiger – Montag, 16. März 2015 Schweiz Dem grossen Bruder ausgeliefert Embryonen-Tests: Ja mit Vorbehalten Der Chef des Nachrichtendiensts, Markus Seiler, hatte das Ziel, den besten Dienst der Welt zu leiten. Doch er bleibt von Partnern wie den USA abhängig. Nun strebt er nach umfassenden Überwachungsmitteln. Thomas Knellwolf und Philippe Reichen Zwangsheirat ist in der Schweiz verboten, doch für die Geheimdienste war sie das letzte Mittel. Über Jahrzehnte hatten sich der Auslandnachrichtendienst und sein Inland-Pendant bekämpft. Es war mehr als Rivalität oder Argwohn. «Es herrschte Krieg», sagt einer, der beim eidgenössischen «Spy versus Spy» mitgetan hatte. Vermittlungs- und Koordinationsversuche scheiterten. Am Schluss blieb dem Bundesrat nur noch eine Lösung: die Fusion von Ausland- und Inlanddienst. Per 1. Januar 2010 entstand der Nachrichtendienst des Bundes. Damit keiner der Dienste wie ein Verlierer aussah, wurde der bisherige Auslandchef «stellvertretender Direktor» und der Inlandchef «Vizedirektor». Ihnen vor die Nase gesetzt wurde ein Externer: Markus Seiler, damals gerade 41-jährig, ein schneller Denker mit schneller Beamtenkarriere, zuletzt Generalsekretär im Verteidigungsdepartement. Kein kalter Krieger, sondern ein Thinktank-Typ. Der erste und bis dato einzige NDB-Direktor nahm sich viel vor. Noch vor Amtsantritt kündigte er in einem Interview an, er wolle den «besten Nachrichtendienst der Welt» schaffen. Es dauerte kein halbes Jahr, da zeigte sich überdeutlich, dass das grosse Ziel noch ein ganzes Stück entfernt war. Der Inlanddienst hatte eine «Zeitbombe» (so Bundesrat Ueli Maurer) als Mitgift in die Zwangsehe gebracht. Was hochging, hiess Isis, eine Datenbank mit Einträgen zu 200 000 Personen. Das waren zwar 700 000 weniger als bei der Fichen affäre 1989. Doch verzeichnet waren wiederum unzählige ungefährliche Individuen, darunter der heutige grüne Nationalrat Balthasar Glättli (er hatte ein Demogesuch eingereicht). Markus Seiler, der die Verfehlungen nicht begangen hatte, musste dafür geradestehen. Skandale prägen bei fast jedem Geheimdienst das Bild in der Öffentlichkeit und erschweren die nüchterne Antwort auf die Frage, was der NDB in seinem ersten halben Jahrzehnt geleistet hat. Ja, was? Der TA hat mit einem Dutzend Personen geredet, die für den Dienst oder in dessen Umfeld arbeiten und arbeiteten. Zum Teil geschah das in konspirativen Treffen, in Cafés, auf Spaziergängen, hinter verschlossenen Türen. Schweiz hat einen Mini-Dienst Zwei Positiva vorneweg. Erstens: In der Isis-Datenbank sind noch 31 000 Personen verzeichnet. Zweitens: Frieden ist eingekehrt beim NDB (abgesehen von letzten persönlichen Animositäten). Seiler hat sich als fähiger Fusionsmanager erwiesen, doch seinem Anspruch, «keine Dunkelkammer» zu leiten, wurde er nicht immer gerecht. Aus der Zahl der Mitarbeiter, dem Budget oder aus der Liste der Partnerdienste machte der NDB anders als der frühere Inlanddienst ein Staatsgeheimnis. Doch auch das sind Tempi passati: Diskret hat der NDB kürzlich Zahlen im Internet aufgeschaltet. Budget 2014: 63,3 Millionen Franken. 266 Vollzeitstellen gab es. Hinzu kommen Dutzende feste Mitarbeiter, Soldaten, Offiziere in Armee-Einheiten. Und Polizisten in den Kantonen. Dort gibt es nochmals 84 Stellen. Zum Vergleich: Die deutschen Nachrichtendienste beschäftigen mehr als 10 000 Personen. Die Schweiz, mit der zehnmal kleineren Bevölkerung als Deutschland, leistet sich einen MiniDienst, auch wenn die Spionageabwehr, die Informatik und die Jihad-Bekämpfung jüngst ausgebaut wurden. Aber an der Papiermühlestrasse 20, dem NDBSitz in Bern, betont man die Vorteile der Der Dachverband der Behindertenorganisationen will Embryonen-Tests ermöglichen. Das sorgt für Unstimmigkeiten. Anja Burri Bern Der Sitz des Nachrichtendienstes des Bundes in Bern, im Volksmund «Pentagon». Foto: Peter Klaunzer (Keystone) Kleinheit: kurze Wege, man kennt sich, keine Silos. Nach zwei Jahren Zwangsehe zeigte sich dort aber schmerzhaft, dass dies allein nichts nützt, um Schlimmstes zu verhindern, wenn das Sicherheitsmanagement vernachlässigt wird. Ein frustrierter NDB-Informatiker spazierte im Frühling 2012 mit elektronischen Ge heiminformationen im Rucksack unbemerkt durch die Sicherheitsschleusen. Mit in sein Reihenhaus südlich von Bern nahm er Daten zu allen Verfahren des Dienstes und zu den Kontakten im Ausland. Auf die Schliche kam man ihm erst, als er bei der UBS mit dubiosen Angaben ein Konto eröffnen wollte. Bei einer Hausdurchsuchung stellte die Bundesanwaltschaft Schreiben sicher, in denen der Italoschweizer die entwendeten Die Amerikaner wissen bestens Bescheid über die Exportabsichten kleiner Spezialisten um Aargau oder Solothurn. Terabytes in englischer Sprache zum Kauf anbot. Gegenüber der Öffentlichkeit versuchte das Verteidigungsdepartement den Fast-GAU zu verbergen, doch er flog auf. Die NDB-Spitze musste Partner wie die CIA oder den britischen MI6 ins Bild setzen. Washington und London waren «not amused». Etliche Schweizer Staatsschützer kennen und schätzen Grossbritannien oder die USA von Aus- oder Weiterbildungen. Urkunden mit dem Sternenbanner sieht man in einigen Büros, insbesondere bei Kadern. Sie zeugen von transatlantischer Verbundenheit. Und von einer Abhängigkeit. Denn von gleichwertigen Partnerschaften kann allein schon aufgrund der Grössenverhältnisse nicht die Rede sein. «Wir sind die Bettler», sagt ein erfahrener Mitarbeiter. Bei Entführungen von Schweizern durch islamistische Terrororganisationen beispielsweise hat Bern von den grossen Partnern nicht immer die erhofften Informationen bekommen. Wenn die USA ein Anliegen haben, zögern sie hingegen nicht, es den schweizerischen Verbindungsleuten mit Nachdruck vorzutragen. CIA-Mitarbeiter sprechen beispielsweise in Bern vor, um Exporte schweizerischer Hightechfirmen in den Iran zu unterbinden, die zur Produktion von Atomwaffen beitragen könnten. Dank ihrer Überwachung wissen die Amerikaner bestens Bescheid über die Export absichten kleiner Spezialisten im Aargau oder im Solothurnischen. Lässt man die US-Spionage in der Schweiz gewähren? Nein, heisst es in Bern, aber die Abwehr erfolge «nicht einseitig», sondern «fokussiert». Die Schweiz ist auf Big Brother Amerika angewiesen, die eigenen Überwachungsmöglichkeiten sind eingeschränkt. Der NDB darf bislang keine E-Mails abfangen und nicht in Computer eindringen. Ein neues Gesetz, das der Nationalrat heute berät, soll dies ermöglichen (TA vom Donnerstag). Es waren die USA, die den NDB Anfang 2014 aufmerksam machten auf Iraker, die sich aus dem Kanton Schaffhausen über Facebook mit hochrangigen Terrorverdächtigen in Syrien austauschten. Die Bundesanwaltschaft hat dank des Tipps, wie sie schreibt, «ISAnschlagspläne in Europa vereitelt». «Fokussiert» heisst auch: Spionieren Russen oder Chinesen in Genf, wird die schweizerische Abwehr aktiv. Doch auch diese Fälle werden höchst diplomatisch abgewickelt. Markus Seiler obliegt die Aufgabe, seine Ansprechpartner in den schnüffelnden Staaten darauf aufmerksam zu machen, dass man einen ertappten Spion besser abziehe. Der NDBDirektor hat kürzlich preisgegeben, man habe in seiner Amtszeit «eine Handvoll» Spione erwischt. Jihad-Monitoring wird wichtiger Über 100 Partnerschaften mit ausländischen Diensten pflegt der NDB. Doch wer ist auf der Liste, die der Bundesrat genehmigt? Fast alle, ausser die schlimmsten Diktaturen. Am wichtigsten sind, noch vor den Angelsachsen, die Kontinentaleuropäer. Im lange Jahre geheimen Club de Berne ist der NDB mit den Inlanddiensten der EU und Norwegens vereint. Engste Kontakte pflegt er zu den Nachbarländern, allen voran Frankreich und Deutschland. Bundes- stellen und Kantone liefern zudem laufend Informationen ins «Pentagon», wie der NDB-Sitz in Bern genannt wird: Passagierlisten, Asylanträge, Zolldaten, Polizeirapporte, Ermittlungsberichte, Fingerabdrücke, Anträge für Waffenscheine, Akkreditierungen ausländischer Diplomaten, Rapporte der Militärattachés in den Botschaften weltweit. Daneben profitiert der NDB von der Funkaufklärung: Die Armee schneidet im Wallis und im Kanton Bern Kommunikation bis nach Fernost mit. Obwohl immer mehr über Glasfaserkabel kommuniziert wird, liefert die Funkaufklärung als «Schlüsselsensor» dem NDB nach wie vor wichtige Beiträge. Die Risiken sind überschaubar. Weitaus gefährlicher sind Operationen mit Auslandagenten. Und viel unberechenbarer ist das Anwerben von Informanten, wie die Affäre um den Walliser Weinhändler Dominique Giroud zeigte. Plötzlich sassen ein NDB-Agent und dessen Quelle, ein Privatdetektiv, wegen Hackingvorwürfen in Untersuchungshaft. Stark an Bedeutung gewonnen hat das Jihad-Monitoring. Fachleute, darunter Computerspezialisten und Arabisten, beobachten Onlinedialoge und Propaganda von Islamisten über Facebook, Twitter oder spezielle Foren – zum Teil mit Tarnidentitäten. Radikalisieren sich Jugendliche oder junge Erwachsenen im Internet, kann es passieren, dass sie oder ihre Eltern von Polizisten, die dem NDB dienen, angesprochen werden. Oft haben Väter und Mütter keine Ahnung, was die zum Teil minderjährigen Kinder online konsumieren, gutheissen oder verbreiten. Analysiert werden auch Drohungen islamistischer Kämpfer gegen die Schweiz. Zuletzt geschah dies zweimal, einmal von einem Jihadisten aus Deutschland, im Januar von einem Franzosen. Die Aufrufe – so eine AnalyseErkenntnis des NDB – stammten nicht von religiösen Autoritäten. Zudem blieb das Echo im Netz beschränkt. Doch unter dem Eindruck der Anschläge in Paris und Kopenhagen scheint das Parlament bereit, dem NDB mehr Mittel zu geben. Selbst wenn es zum Ziel des besten Nachrichtendiensts der Welt nach wie vor weit ist. Paare, die ihre Kinder im Reagenzglas zeugen, sollen für die Embryonen-Tests nicht mehr ins Ausland fahren müssen. Mit den in der Schweiz noch verbotenen Tests werden die Embryonen auf Erbkrankheiten oder Chromosomenfehler untersucht. Im Juni stimmt das Volk über den Verfassungsartikel zur Präimplantationsdiagnostik (PID) ab, der die Tests im Grundsatz ermöglicht. Die Frage spaltet nicht nur Parteien, sondern auch die Behindertenorganisationen. Integration Handicap, der Dachverband aller Behindertenorganisationen, unterstützt den Verfassungsartikel. Dies berichtete die «NZZ am Sonntag». «Für gewisse Paare, die schwere Erbkrankheiten in sich tragen, ist der Zugang zu PID wichtig», sagt Pascale Bruderer, Präsidentin von Integration Handicap und SP-Ständerätin. Sie könnten dadurch das Risiko senken, ihren Kindern unheilbare Krankheiten weiterzugeben. Mit dieser Haltung sind nicht alle Behindertenorganisationen einverstanden. Die beiden Organisationen Agile.ch und Insieme Schweiz zum Beispiel lehnen den PID-Verfassungsartikel ab. «Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Es soll auch in Zukunft für verschiedene Menschen Platz haben», sagt Eva Aeschimann, Sprecherin von Agile.ch. Ursprünglich wäre der PID-Verfassungsartikel nur für Paare mit schweren Erbkrankheiten gedacht gewesen. Damit hätten auch die meisten Behindertenorganisationen leben können. Das Parlament hat letztes Jahr aber Änderungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes beschlossen, die weiter gehen. Demnach soll es bei künstlichen Befruchtungen generell zulässig sein, die Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib zu testen. Statt 50 bis 100 Paare, wie vom Bundesrat geschätzt, könnten damit pro Jahr rund 6000 Paare solche Tests durchführen, befürchten Kritiker. «Nur der erste Schritt» «Wir wehren uns gegen ein systematisches Screening», sagt Aeschimann. Der Parlamentsentscheid zeige es: Die Aufhebung des Testverbots sei nur der erste Schritt. Weitere Selektionen folgten bestimmt. Aus der Sicht von CVP-Nationalrat Christian Lohr wäre es ebenfalls «nicht konsequent, zuerst den Verfassungsartikel anzunehmen und danach das Gesetz zu bekämpfen». Seine politische Erfahrung habe ihn gelehrt: «So etwas kann man dem Stimmvolk nicht schlüssig kommunizieren.» Lohr ist CoPräsident des überparteilichen Komitees, das den Verfassungsartikel wie auch das Gesetz ablehnt. Ende März wird der Abstimmungskampf zum PIDVerfassungsartikel eröffnet. Damit das Volk auch über das Gesetz abstimmen kann, müssen die Gegner noch 50 000 gültige Unterschriften für das Referendum sammeln. Auch Integration Handicap lehnt das weiter gehende Gesetz ab. «Wir wollen aber jenen Eltern, die wirklich darauf angewiesen sind, die Möglichkeiten der PID zugestehen», sagt Präsidentin Bruderer. Deshalb sage man Ja zum Verfassungsartikel und Nein zum Gesetz. Diesen Weg unterstützt auch Jean-Jacques Bertschi, Präsident des kantonalen Insieme-Verbands Zürich. Man könne kein Paar davon abhalten, die EmbryonenTests im Ausland durchzuführen. Deshalb mache ein Verbot keinen Sinn mehr. Doch es brauche strenge Regeln. Anzeige MARTIN GRAF REGIERUNGSRAT ENLEBEN M M A S U Z R BESSE IEDELN S R E Z R H E STATTINM GSRAT DEN REGIERUN MARTIN GRAF AT N KANTONSR LISTE 4 IN DE GRÜNE LISTE 4 EDITH HÄUSLER DANIEL HEIERLI GABI KISKER DAVID GALEUCHET KILCHBERG ZÜRICH 11/12 ZÜRICH 1/2 BÜLACH
© Copyright 2024 ExpyDoc