6. Sinfoniekonzert Mit Bravour 6. Sinfoniekonzert Mit Bravour 10. April 2015, 19.30 Uhr, Theater Nordhausen 11. April 2015, 19.30 Uhr, Haus der Kunst Sondershausen PROGRAMM 2 Mariam Batsashvili, 1993 geboren in Georgien, gab schon als 11-Jährige ein Young-Talents-Konzert in Österreich. Inzwischen kann die Pianistin auf eine ganze Reihe von internationalen Rezitals und Wettbewerbserfolgen zurückblicken. In jüngerer Zeit erspielte sie sich im Februar 2011 beim Internationalen Franz-LisztKlavierwettbewerb Weimar u. a. den 1. Preis, im November 2014 gewann sie als jüngste Finalistin den 10. Internationalen Franz-LisztWettbewerb in Utrecht, einen der renommiertesten der Welt. Für die folgenden Jahre kann sie auf zahlreiche Konzerttourneen vorausblicken, die sie mit über 100 Konzerten in 30 Länder darunter China, Brasilien, USA, Südafrika, Russland, Japan und Indonesien bringen werden. Sie wird mit so renommierten Orchestern wie dem Rotterdam Philharmonic Orchestra, den Brussels Philharmonic oder dem National Symphony Orchestra of Ecuador arbeiten und auf Festivals wie dem Beethovenfest Bonn, dem Pianofortissimo Festival Bologna oder dem Delft Chamber Music Festival in den Niederlanden auftreten. Mariam Batsashvili studiert bei Natalia Natsvlishvili sowie seit Oktober 2011 an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar bei Grigory Gruzman. Markus Huber absolvierte sein Musikstudium an den Hochschulen in München und Wien u. a. bei Leopold Hager (Dirigieren) und Karl-Hermann Mrongovius (Klavier). Seine Dirigentenkarriere begann er 1996 als Solorepetitor mit Dirigierverpflichtung am Landestheater Detmold. Ein Jahr später wechselte er in gleicher Position sowie als 2. Chordirektor an das Opernhaus Chemnitz, 1999 wurde er zusätzlich Chefdirigent des Collegium Instrumentale Chemnitz. Von 2002 bis 2007 war er erster Gastdirigent des Bulgarischen Kammerorchesters, 2003 wurde er Chefdirigent des Leipziger Symphonieorchesters. Seit 2008 ist Markus Huber Generalmusikdirektor des Theaters Pforzheim. Er stand am Pult zahlreicher renommierter Orchester, darunter dem Philadelphia und San Francisco Symphony Orchestra, dem ORF-Symphonieorchester und dem Saarländischen Rundfunk, den Hamburger Symphonikern, sowie Orchestern in Minneapolis, Florida, Kuala Lumpur, Tokio und Singapur und vielen weiteren im In- und Ausland. Einladungen bringen ihn 2015 nach New Orleans und Tucson, nach Rumänien, zur Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, nach Heilbronn, Saarbrücken, Herford, Siegen, Rumänien, Erfurt und Gera, Dortmund und Greifswald. Markus Huber widmet sich intensiv dem Werk Richard Wagners. Nach seinem Debut 2013 mit „Tristan“ in New Orleans und 2014 mit dem „Ring“ in Ausschnitten mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz folgt im Juni 2015 der „Lohengrin“ in Pforzheim. Ebenfalls mit der Badischen Philharmonie ist 2013 eine CD mit Werken von Mozart und Reger entstanden. Eunsung Kim (* 1984) Open Door Komponiert 2014 in Sondershausen. Franz Liszt (1811–1886) 1. Klavierkonzert Es-Dur I. Allegro maestoso. Tempo giusto II. Quasi Adagio III. Allegretto vivace – Allegro animato IV. Allegretto marziale animato Komponiert 1830 bis 1848, umgearbeitet 1853 und 1856, Uraufführung am 17. Februar 1855 in Weimar unter der musikalischen Leitung von Hector Berlioz und mit Franz Liszt am Klavier. – Pause – Sergej Rachmaninow (1873–1943) Sinfonische Tänze op. 45 I. Non Allegro II. Andante con moto (Tempo di valse) III. Lento assai Komponiert 22. September bis 29. Oktober 1940, Uraufführung am 3. Januar 1941 in Philadelphia durch das Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugène Ormandy. Loh-Orchester Sondershausen Mariam Batsashvili Klavier Musikalische Leitung: Markus Huber 3 4 „OPEN DOOR“ – EINE KOMPOSITION FÜR DAS LOH-ORCHESTER Komponieren hat in der Musikstadt Sondershausen eine besondere Tradition. Es waren nicht zuletzt die zahlreichen Kapellmeister und Dirigenten der Hofkapelle bzw. des späteren Loh-Orchesters, die für das Ensemble des Fürsten viel Musik zu Papier brachten. An diese kreative Tradition knüpft das Sondershäuser Kompositionsstipendium für junge Komponistinnen und Komponisten an. Es wurde im Frühjahr 2012 von der Thüringer Landesmusikakademie, der Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH und der Glückauf Sondershausen Entwicklungs- und Sicherungsgesellschaft (GSES) ins Leben gerufen. Das erste im Rahmen dieses Stipendiums entstandene Werk von Theodor Schubach (* 1985) „kerben/Traumprotokolle/Resonanzen“ für Orchester und Violoncello wurde bereits am 13. April 2013 in Sondershausen erfolgreich uraufgeführt, vom MDR mitgeschnitten und am 23. April gesendet. Im März 2014 kamen zum 5. Sinfoniekonzert die Schöpfungen der beiden Stipendiaten des 2. Kompositionsstipendiums zu Gehör: Der Schwede Hendrik Ajax (* 1980) schrieb in Sondershausen das Orchesterstück „Ondulations“, von der gleichaltrigen Spanierin Nuria Núñez Hierro erklang das Werk „Lost in Sahara“. Im Herbst 2014 schließlich verbrachte der südkoreanische Komponist Eunsung Kim drei Monate in Sonderhausen. In dieser Zeit entstand sein Orchesterstück „Open Door“. „Open Door“ Wie kamen Sie dazu, Komponist zu werden? Ich erhielt in jungen Jahren Unterricht auf dem Klavier. Und ich spielte manchmal ohne Noten Klavier. Dann schrieb ich die Noten auf und dachte darüber nach, wie ich selber meine eigene Musik komponieren könnte. Mit 11 Jahren fing ich an, Kompositionsunterricht zu nehmen. Eunsung Kim – der Komponist Eunsung Kim wurde 1984 in Südkorea geboren. Er erhielt bereits in jungen Jahren Unterricht in Klavier, Geige, Gesang sowie in Komposition. Nach dem Abitur studierte er an der Seoul National University Komposition bei Prof. Tae Bong Chung, von 2012 bis 2014 bei Prof. Michael Obst an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar im Masterstudiengang. Derzeit absolviert er dort ein Aufbaustudium. Er besuchte Meisterkurse bei den Komponisten Unsuk Chin, Younghi Pagh-Paan und Zack Browning sowie dem Neue Musik Ensemble E-MEX Ensemble. Eunsung Kim gewann unter anderem 2011 den zweiten Preis des ChangakKompositionswettbewerbs in Seoul, 2012 den zweiten Preis (bei Nichtvergabe des ersten Preises) des Kompositionswettbewerbs zur Lutherdekade in Bayreuth, 2013 den zweiten Preis (bei Nichtvergabe des ersten Preises) und den Publikumspreis des Kompositionswettbewerbs anlässlich der Weimarer Frühjahrstage für zeitgenössische Musik in Weimar. 2014 gewann er den ersten Preis des Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerbs in Berlin. Im gleichen Jahr war er Stipendiat des Sondershäuser Kompositionsstipendiums. Haben Sie schon mehrere Stücke für Sinfonieorchester geschrieben? Ich habe noch nicht viel für Orchester komponiert. Eigentlich ist das Werk „Open Door“ mein erstes Werk für Orchester. Ich hoffe, in meiner Studienzeit noch mehr in dieser Richtung zu komponieren. Das ist meine Aufgabe in diesem Moment. „Open Door“ – „Offene Tür“: Welche Gedanken verbergen sich hinter diesem Titel? Für das Werk „Open Door“ bekam ich von einem Text eine Inspiration: „Danach, als ich aufblickte, sah ich am Himmel eine offene Tür“, das ist eine Passage aus der Bibel, Neues Testament, Offenbarung 4:1. Die „Offene Tür“ kann in den Bibelversen verschieden interpretiert werden. Deswegen kann man nicht genau einen Begriff definieren. Aber für mich ist sie eine neue Welt, die sich auftut, wenn man durch sie hindurchgeht. Ich weiß nicht, was hinter der offenen Tür klingt. Aber ich hoffe, dass in diesem Stück die Klangwelt, die in meinem Herzen steht, zu hören ist. Das Werk ist dem Andenken an meinen Vater gewidmet (1955–2004). Wie kamen Sie auf die Idee, die dem Stück für das Loh-Orchester zugrunde liegt? Schon 2004 wollte ich mit diesem Titel ein Werk schreiben. Ich schob es auf, konnte es aber dann durch den Aufenthalt in Sondershausen verwirklichen. Wenn ich an eine offene Tür dachte, fielen mir einige Sache ein: Leuchten, Choral, Fanfare, Donnergebrüll. Eine Tonreihe, die aus den 48 Tönen besteht und ganz zu Beginn erklingt, bildet 18 Akkorde. Und sie wiederum machen einen Choral, diesen hören wir in der Mitte und am Ende des Stücks. Den Choral habe ich nach dem SchlussChoral aus J. S. Bachs Kantate BWV 21 („Ich hatte viel Bekümmernis“) komponiert („Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“ Offenbarung 5:12). All das zusammen ist die Grundlage für die Musik von „Open Door“. Sind Sie selbst religiös und christlich geprägt? Ist das ein Grund für den biblischen Bezug in „Open Door“? Ich bin evangelisch. Und ich schreibe gern mit einem religiösen Bezug. Wenn ich z. B. ein Chorstück komponiere, verwende ich häufig einen Bibeltext. Komponieren bringt meinen Glauben zum Ausdruck. Viel Musik von Bach ist religiös. Dies mag ich. Seine Musik inspiriert mich. 5 6 VIRTUOSER TASTENZAUBER von Juliane Hirschmann kalischen Avantgarde, die vom Fortschritt in der Musik überzeugt war und die Musikwelt polarisierte. 25 Jahre lang tobte sich Liszt als Klavier- Von Weimar aus reiste Liszt häufig nach virtuose auf den Konzertpodien Europas Sondershausen. Die thüringische Kleinaus, begeisterte, ja hypnotisierte mit stadt war seit den 1850er Jahren zu seinen Auftritten das Publikum. „Franz einem wichtigen Zentrum zeitgenösLiszt war ein Superstar, ein Genie, eine sischer Musik, insbesondere derjenigen europäische Berühmtheit, kurzum: Liszts geworden. Wohl aufgrund vieler eine absolute Ausnahmeerscheinung. persönlicher Begegnungen hatte die Bereits als Wunderkind faszinierte er Hofkapelle unter dem musikalischen in Wien, Paris und London sein PubliLeiter Eduard Stein und später unter Max kum. In späteren Jahren bereiste er Erdmannsdörfer ein besonderes Verhältganz Europa und trieb seine Karriere nis zu dem Komponisten. Die Kapelle in schwindelerregende Höhen. Die schätzte Liszts Musik, die andernorts damalige ‚Yellow Press‘ ... berichtete eher auf Widerspruch stieß, und führte ausführlich über seine Konzerte und sie immer wieder auf. Liszt selbst äunoch ausführlicher über seine zahlßerte sich mehrfach begeistert über die reichen Kapriolen, die das Liszt-Fieber Qualität der Sondershäuser Hofkapelle. zusätzlich anheizten. Die Begeisterung, Auch später, als Liszt abwechselnd in die er mit seinen Auftritten auslöste, Weimar, Rom und Budapest lebte, blieb steigerte sich mitunter ins Delirium, er der Stadt treu. Vom 3. bis 6. Juni 1886 und Franz Liszt war auch eine Projektietwa trafen sich namhafte Größen des onsfläche für erotische Fantasien und zeitgenössischen Musiklebens in Songeheime Sehnsüchte.“ (Oliver Hilmes) dershausen, darunter auch Liszt. Anlass Als Komponist schrieb er zunächst war die 23. Tonkünstlerversammlung für den eigenen Gebrauch, auffällig des Allgemeinen Deutschen Musikverseine Lust an brillanten Bearbeitungen eins (ADMV). Sie stand unter einem ganz und Arrangements aller Art und sein besonderen Vorzeichen. Denn diese VerInteresse an Folklore. In seiner Zeit als sammlung des 1861 von Liszt gegrünKlaviervirtuose entwarf er auch die deten Musikvereins sollte zugleich eine Grundzüge seines 1. Klavierkonzertes. Vorfeier sein zu dessen 75. Geburtstag Er vollendete es jedoch erst 1849 in am 22. Oktober. Es wurde die letzte Weimar, wo er sich ein Jahr zuvor als große Ehrung für den Komponisten. Er Hofkapellmeister niedergelassen hatte, verstarb noch vor seinem Geburtstag am um sich auf eine andere Tätigkeit zu 31. Juli in Bayreuth. Auf dem Programm konzentrieren: das Komponieren. In der zahlreichen Konzerte, die im Juni Weimar schuf er inspiriert von Hector 1886 in Sondershausen zu hören waren, Berlioz seine von Literatur, Malerei oder stand natürlich viel Musik von Franz anderen außermusikalischen Ideen an- Liszt, zwei Konzerte waren ganz ihm gegeregten Sinfonischen Dichtungen. Zu widmet; in dem ersten der beiden spielte ihrer Zeit gleichermaßen bewundert wie das Orchester ausschließlich instrumengescholten wurden sie zum Inbegriff der tale Werke, darunter auch seinen „Toten„Neudeutschen Schule“ und beförderten tanz“ für Klavier und Orchester. Liszt an die vorderste Front einer musiSein 1. Klavierkonzert vollendete Liszt in Weimar, „als er seine Erfahrungen mit der Sinfonischen Dichtung aus dem Geist der poetischen Idee gemacht hatte. Im Es-Dur-Konzert – und das gilt auch für das Konzert in A-Dur – sind die wesentlichen klaviertechnischen Errungenschaften Liszts mit den Intentionen der Sinfonischen Dichtung verschmolzen.“ (Alfred Beaujean) Die Uraufführung spielte der Komponist selbst im Februar 1855 unter der musikalischen Leitung von Hector Berlioz. Liszt schrieb natürlich ein virtuoses Schaustück für den Solisten, das Orchester ist entsprechend sehr zurückgenommen und bietet dem Solisten damit eine geeignete Plattform – eine sehr effektvolle jedoch, denn es stellt ihm immer wieder solistische Orchesterpartner an die Seite, etwa im 1. Satz die Klarinette oder Solovioline, im 3. Satz die Triangel. Durch Musik, die alle vier Sätze miteinander verbindet (so erklingt das vielfältigen Wandlungen unterworfene Thema vom Beginn des 1. Satzes immer wieder) spannt Liszt einen großen Bogen und bindet alles zu quasi einem Satz zusammen, ganz ähnlich wie in seinen Sinfonischen Dichtungen. Das markante Hauptthema erklingt zunächst im Orchester, scharf rhythmisiert, donnernd, in chromatischen Tonschritten, die seit jeher mit dem Diabolischen verbunden sind und auch im Folgenden den Klang prägen; doch das Orchester wird dann mit dem wuchtigen Einsatz des Klaviers wie weggewischt und bleibt auch für eine ganze Weile im Hintergrund. Eng umschlungen ist das Klavier mit der Soloklarinette und der Sologeige im lyrischen Seitenthema. Der zweite Satz erscheint als große Arie, deren Sänger das Klavier mit einer ausschweifenden Melodie ist; sie wird lediglich im dramatisch anmutenden Rezitativ-Abschnitt unterbrochen. Der dritte Satz erregte durch den Einsatz der Triangel bei den Zeitgenossen am meisten Aufmerksamkeit, vom Liszt-Gegner Eduard Hanslick ist die bissige Bemerkung „Triangelkonzert“ überliefert. Dabei ist dieser Satz ein sehr grazil anmutendes Scherzo. Erst dessen Schluss ist mit dem Wiedereinsatz des Hauptthemas aus dem 1. Satz ins Martialische gewendet. Zur Marschmusik umgedeutet wird zu Beginn des Schusssatzes die Melodie aus dem 2. Satz. Glockenspielähnlich gibt sich das federleichte Klavier, Anklänge an das Scherzothema sind zu hören, bevor der Satz zu einer atemberaubenden Schlusssteigerung anhebt. „Im Concertsaale“. Liszt auf einem kolorierten Titelkupfer von Adolf Brennglas (1842) 7 8 SEIN ALLERLETZTER FUNKE von Annett Reischert-Bruckmann „Die Musik eines Komponisten sollte sein Geburtsland ausdrücken, seine Liebesaffären, seine Religion, die Bücher, die ihn beeinflusst haben, die Bilder, die er liebt. Sie sollte alle Erfahrungen eines Komponisten in sich vereinigen. Was ich versuche zu tun, wenn ich meine Musik niederschreibe, ist auf einfache und direkte Weise auszudrücken, was ich in meinem Herzen fühle, während ich komponiere. Wenn ich Liebe verspüre oder Bitterkeit, wenn sich dort Traurigkeit oder religiöse Gefühle breitmachen, werden diese Empfindungen Teil meiner Musik, und so wird sie entweder schön oder bitter, traurig oder religiös.“ Kaum jemals hat ein Komponist so klarsichtig sein eigenes künstlerisches Schaffen und Selbstverständnis in Worte gefasst wie der 68-jährige Sergej Rachmaninow im Oktober 1941 im Rahmen eines Interviews zwei Jahre vor seinem Tod. Zu diesem Zeitpunkt lag seine letzte Kom-position schon mehr als ein Jahr zurück: Die „Sinfonischen Tänze“, mit denen er seinen insgesamt 45 Nummern umfassenden Werkkatalog beschlossen hatte, dürfen somit als der vorzeitige Schwanengesang dieses „Letzten Romantikers“ gehört werden – und zugleich als bilanzierende Essenz eines Komponisten, der inmitten des 20. Jahrhunderts bis zuletzt der Tonalität verpflichtet blieb. Rachmaninow komponierte seine „Sinfonischen Tänze“ in den Sommermonaten 1940 im amerikanischen Orchard Point, einem idyllischen Feriendomizil in der Nähe von Huntington auf Long Island, wohin sich der weit gereiste und vor allem als Pianist so überaus erfolgreiche Musiker nach einem operativen Eingriff mit seiner Ehefrau zu- Sergej Rachmaninow rückgezogen hatte. Bereits um 1915 hatte er (…) damit begonnen, sich unter dem Titel „Die Skythen“ ein weiteres Mal der Tanzform zu widmen und plante eine Orchestersuite mit den drei Teilen „Mittag“, „Abenddämmerung“ und „Mitternacht“. Als er jedoch erfuhr, dass ihm sein russischer Landsmann Prokofjew mit seiner „Skythischen Suite“ für großes Orchester op. 20 zuvorgekommen war, begrub er dieses Projekt und ließ es für lange Zeit als Torso in der Schublade ruhen. Ein Vierteljahrhundert später fasste er den Entschluss, die Idee einer dreisätzigen Orchestersuite erneut aufzugreifen. „Fantastische Tänze“ wollte er sein Opus 45 nun betiteln, doch auch diesen Gedanken verwarf er alsbald wieder, um Assoziationen mit dem gleichnamigen Zyklus von Klavierminiaturen Dmitri Schostakowitschs zu vermeiden. Kurzerhand taufte er es daher in „Sinfonische Tänze“ um – ein Allerweltstitel, der leicht in die Irre führt: Denn angesichts der komplexen und weitaus stärker sinfonischen denn leichtgängig tänzerischen Anlage übte sich der Komponist damit geradezu in Understatement. Sein „letzter Funke“, wie Rachmaninow sein Opus ultimum liebevoll bezeichnete, geriet zu einem seiner persönlichsten Werke und dem eigenen sinfonischen Vermächtnis, in dem er drei Jahre vor seinem Tod noch einmal Rückschau auf sein eigenes Leben und Schaffen halten sollte und sämtliche Facetten seiner Kompositionskunst ein letztes Mal bündelte: die Liebe zu seiner russischen Heimat, der er trotz eines mehr als 20-jährigen US-Exils bis zuletzt treu geblieben war, seine geradezu überschäumende kompositorische Fantasie sowie seine einzigartige melodische Gestaltungskraft. So durchzieht denn auch eine Reihe von musikalischen Zitaten oder zitathaften Anklängen dieses Werk, in dem der Russe einen Bogen von seiner Jugend bis in die späten Jahre der künstlerischen Reife schlägt. Der erste Tanz ist geprägt von einem markanten, ja martialisch anmutenden Rhythmus, über dem sich ein charakteristisch fallender Dreiklang als thematische Keimzelle erhebt und aus dessen Struktur sich das gesamte Themenmaterial des Satzes entfaltet. Wenn im träumerischen Mittelteil bei breitem Tempo das Solo-Saxophon die Dreiklangsfigur in ihrer Umkehrung intoniert, vermeint man den sehnsuchtsvoll-melancholischen Gestus russischen Volksliedguts herauszuhören. Das dritte Thema des Satzes erinnert hinsichtlich der Klangfarbenwahl mit Glockenspiel und Harfe an Motive aus der Oper „Der Goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow, deren Partitur Rachmaninow von Kindesbeinen an intensiv studiert hatte und als „einen seiner größten Schätze“ betrachtete. Zugleich ruft der Schluss dieses Satzes durch die Verwendung eines Zitats aus dem Kopfsatz der Sinfonie Nr. 1 d-Moll Erinnerungen an die eigenen sinfonischen Anfänge vier Jahrzehnte zuvor wach und verleiht zudem – durch vernehmbare Anklänge an altrussische Kirchengesänge – seiner Heimatverbundenheit nachhaltig Ausdruck. Der zweite Satz zeigt sich als melancholisch-bittere Walzerfantasie, die zuweilen ins Groteske abzuschweifen droht, wenn etwa eine mehrfach ansetzende liebliche Walzerbegleitung durch scharf artikulierte Blechbläserfanfaren förmlich zerschnitten wird. Die düstere Stimmung dieses „Valse triste“ wird durch den Einsatz von gestopften Hörnern und gedämpften Trompeten verstärkt. Neben Anklängen an kasachische Volksweisen erscheint dieser mit „Andante con moto“ überschriebene Satz wie eine Hommage an den von Rachmaninow hoch verehrten Peter Tschaikowsky, birgt er doch zahlreiche versteckte Reminiszenzen u. a. aus dessen „Nussknacker“-Suite in sich. Zudem bedient sich Rachmaninow auch eines Zitats aus eigener Feder, nämlich des „Tanz der Frauen“ aus seinem erfolgreichen Operneinakter „Aleko“. Im dritten und letzten Satz versteht er es auf meisterhafte Weise, den russisch- Bühnenbildentwurf von Ivan Bilibin zu RimskiKorsakows Oper „Der goldene Hahn“ (1909), die Rachmaninow zeitlebens begleitete und an die er in den „Sinfonischen Tänzen“ anspielt 9 10 orthodoxen Kirchengesang kunstvoll mit dem gregorianischen „Dies irae“ (dt.: Tag des Zorns) aus der lateinischen Totensequenz zu verweben. Man kann den Eindruck gewinnen, als erklinge in diesem letzten Satz seines letzten vollendeten Orchesterwerks sein ganz persönliches Credo: Rachmaninow errichtet hier ein Szenario des Schreckens, das sich im Satzverlauf immer weiter steigert, bis es etwa 30 Takte vor Schluss von einer anderen liturgischen Melodie überlagert wird, nämlich dem Credo-Gesang „Gelobt sei der Herr“ aus dem „Großen Abend- und Morgenlob“ op. 37. Just dort, wo der Jubelgesang das bedrohliche „Dies irae“ verdrängt, versieht er die autographe Partitur mit der Anmerkung „Alleluja“, als wolle er – seinen eigenen Tod bereits vorausahnend – damit der Hoffnung auf eine andersartige Weiterexistenz nach dem Ableben bzw. dem Triumph des Glaubens über den Tod Ausdruck verleihen. Am 29. Oktober 1940 – und damit nach einer Entstehungszeit von nur fünf Wochen, während denen er das Werk in tagtäglicher Arbeit von 9 bis 23 Uhr quasi in einem Schaffensrausch zu Papier gebracht hatte – setzte er unter die Orchesterpartitur seines Opus summum als Schlussmemorandum die Worte: „Ich danke dir, Gott.“ (…) Am 3. Januar 1941 fand in Philadelphia die höchst umstrittene Uraufführung der „Sinfonischen Tänze“ statt, deren außerordentliche Instrumentierung neben der gängigen Besetzung mit dreifachem Holz zusätzlich ein Altsaxophon, stark erweitertes Schlagwerk, Klavier und eine Harfe verlangt. Einige Kritiker attestierten der Komposition „Langeweile“ und „Inspirationslosigkeit“, glaubten Anklänge an Maurice Ravel, Richard Strauss oder Aus dem Leben des Loh-Orchesters Ein besonderes Projekt: OrchesterWerkstatt „Musik und Politik. Oder: Der König tanzt Menuett“ Rachmaninow mit Eugène Ormandy (rechts) 1941 Jean Sibelius herauszuhören und vermissten den „Aufbruch zu neuen Ufern“. Eugène Ormandy jedoch, den mit Rachmaninow eine über viele Jahre gewachsene fruchtbare Zusammenarbeit verband, übermittelte dem Komponisten eine Woche nach der Premiere folgende Dankesworte: „Am Mittwochmorgen sprach ich zu den Orchestermitgliedern, dankte ihnen für die wunderbare Zusammenarbeit wie auch für die schönen Konzerte, die sie von Freitag bis Dienstag spielten. Sie waren sehr glücklich und stolz und baten mich, Ihnen für alles zu danken. Für mich selbst möchte ich Ihnen meine tiefe Dankbarkeit dafür aussprechen, dass Sie uns die Erstaufführung Ihres letzten Werkes überlassen haben, und hoffen, dass unsere Aufführungen Sie nicht enttäuscht und Ihr Vertrauen in uns gerechtfertigt haben. Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar. Ich danke Ihnen auch für unsere persönliche Freundschaft, in welcher ich Sie ebenso wie Toscanini bewundere.“ Die Geschichte der Musik ist mit der Geschichte der Politik eng verknüpft. Am Fürstenhof diente Musik etwa der Verherrlichung des Herrschenden, eine Nationalhymne soll das Selbstverständnis eines Staates zum Ausdruck bringen. Als wortlose Kunst kann Musik aber auch ganz subtil Kritik an politischen Zuständen üben. Mit der Frage, was genau Musik und Politik miteinander verbindet, haben sich zu Beginn des Jahres Schülerinnen und Schüler der Klosterschule Rossleben und des Herder-Gymnasiums in Nordhausen beschäftigt und im Februar gemeinsam mit dem Loh-Orchester zwei Konzerte gegeben: in der Turnhalle der Klosterschule Rossleben mit den dortigen Schülern und im Theater Nordhausen mit den Schülern des Herder-Gymnasiums. Die Schülerinnen und Schüler haben zum Thema eigenen Tanz, szenische und sängerische Darbietungen erarbeitet und damit die vom Loh-Orchester zusammengestellte Musik vielseitig und kreativ kommentiert. Es spielte ein buntes musikalisches Programm in einem Querschnitt durch die Geschichte. So erklang Musik, die einst zur Huldigung des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen komponiert wurde, es gab Auszüge aus Beethovens 3. Sinfonie, der „Eroica“, zu hören, die der Komponist zunächst Napoleon widmen wollte, oder Musik von Dmitri Schostakowitsch, dessen Sinfonien eine Reaktion waren auf das Leben unter der Diktatur Josef Stalins. Mit Verdis berühmtem Freiheitschor „Va, pensiero“ trat der jeweilige Schulchor mit dem Loh-Orchester auf, eine Ballettmusik von Jean-Baptiste Lully inspirierte eine Tanzgruppe zu einem Menuett, wie es einst der Sonnenkönig Ludwig XIV. getanzt hat. Die für den Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen komponierte Huldigungskantate von J.B.C. Freislich, gesungen von der Sopranistin Katharina Boschmann, wurde von den Schülern durch eine von ihnen selbst ausgedachte Huldigungsszene ergänzt. Dieses Projekt hat nicht nur Schülerinnen und Schüler mit dem Loh-Orchester, sondern auch die Fächer Musik, Politik und Geschichte zusammengebracht. Der Chor der Klosterschule Rossleben singt Verdis Freiheitschor aus „Nabucco“ 11 VORSCHAU 12 LOH-KONZERTE jeweils 20.00 Uhr, Achteckhaus Sondershausen 1. LOH-KONZERT | 27. Mai 2015 Jean Françaix, Edvard Grieg, Robert Schumann Musikalische Leitung Michael Ellis Ingram 2. LOH-KONZERT | 3. Juni 2015 Erich Wolfgang Korngold, Carl Maria von Weber, Anton Eberl Frank Forst Fagott, Musikalische Leitung Markus L. Frank 3. LOH-KONZERT | 10. Juni 2015 Abschlusskonzert des Sondershäuser Meisterkurses mit dem Cellisten Peter Bruns Musikalische Leitung Markus L. Frank 4. LOH-KONZERT | 1. Juli 2015 Georges Bizet, Camille Saint-Saëns, Darius Milhaud David Castro-Balbi Violine, Musikalische Leitung Michael Ellis Ingram Bildquellen: „Im Concertsaale“. Liszt auf einem kolorierten Titelkupfer von Adolf Brennglas (1842), in: Barbara Meier, Franz Liszt, Reinbek bei Hamburg 2008, S. 57; Sergej Rachmaninow, auf: http://commons.wikimedia.org/wiki/ Category:Sergei_Rachmaninoff_in_photographs?uselang=de#/media/File:Sergei_Rachmaninoff_LOC_31755. jpg; Bühnenbildentwurf von Ivan Bilibin zu Rimski-Korsakows Oper „Der goldene Hahn“ (1909), auf: http:// en.wikipedia.org/wiki/The_Golden_Cockerel#/media/File:Bilibin_stage.jpg; Rachmaninow und Eugène Ormandy, auf: http://www.library.upenn.edu/exhibits/rbm/ormandy/sergei.html; Chor der Klosterschule Rossleben, Juliane Hirschmann. Textquellen: Annett Reischert-Bruckmann, Sein allerletzter Funke, aus dem Programmheft zum 3. Philharmonischen Konzert der Philharmoniker Hamburg am 23. und 24. November 2014. Der Artikel von Juliane Hirschmann sowie die Ausführungen zu „Open Door“ sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Die Fragen auf S. 4/5 stellte Juliane Hirschmann. Impressum: Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH Spielzeit 2014/2015, Intendant: Lars Tietje, Käthe-Kollwitz-Str. 15, 99734 Nordhausen, Tel.: (03631) 6260-0, www.theater-nordhausen.de, Redaktion und Gestaltung: Dr. Juliane Hirschmann, Layout: Landsiedel | Müller | Flagmeyer, Nordhausen. Konzert-Programmheft Nr. 9 der Spielzeit 2014/2015 Wir danken für die großzügigen Blumenspenden der Stadtwerke Sondershausen und des Fördervereins Loh-Orchester Sondershausen e. V. sowie der Floristin C. Hahnemann, Blumengeschäft Fantasia im Herkulesmarkt Nordhausen.
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