Programmheft - 6. Sinfoniekonzert

6. Sinfoniekonzert
Mit Bravour
6. Sinfoniekonzert
Mit Bravour
10. April 2015, 19.30 Uhr, Theater Nordhausen
11. April 2015, 19.30 Uhr, Haus der Kunst Sondershausen
PROGRAMM
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Mariam Batsashvili, 1993 geboren in Georgien, gab schon als
11-Jährige ein Young-Talents-Konzert in Österreich. Inzwischen
kann die Pianistin auf eine ganze Reihe von internationalen Rezitals und Wettbewerbserfolgen zurückblicken. In jüngerer Zeit erspielte sie sich im Februar 2011 beim Internationalen Franz-LisztKlavierwettbewerb Weimar u. a. den 1. Preis, im November 2014
gewann sie als jüngste Finalistin den 10. Internationalen Franz-LisztWettbewerb in Utrecht, einen der renommiertesten der Welt. Für
die folgenden Jahre kann sie auf zahlreiche Konzerttourneen vorausblicken, die
sie mit über 100 Konzerten in 30 Länder darunter China, Brasilien, USA, Südafrika,
Russland, Japan und Indonesien bringen werden. Sie wird mit so renommierten
Orchestern wie dem Rotterdam Philharmonic Orchestra, den Brussels Philharmonic oder dem National Symphony Orchestra of Ecuador arbeiten und auf Festivals
wie dem Beethovenfest Bonn, dem Pianofortissimo Festival Bologna oder dem
Delft Chamber Music Festival in den Niederlanden auftreten. Mariam Batsashvili
studiert bei Natalia Natsvlishvili sowie seit Oktober 2011 an der Hochschule für
Musik Franz Liszt Weimar bei Grigory Gruzman.
Markus Huber absolvierte sein Musikstudium an den Hochschulen in München und Wien u. a. bei Leopold Hager (Dirigieren)
und Karl-Hermann Mrongovius (Klavier). Seine Dirigentenkarriere
begann er 1996 als Solorepetitor mit Dirigierverpflichtung am
Landestheater Detmold. Ein Jahr später wechselte er in gleicher
Position sowie als 2. Chordirektor an das Opernhaus Chemnitz,
1999 wurde er zusätzlich Chefdirigent des Collegium Instrumentale Chemnitz. Von 2002 bis 2007 war er erster Gastdirigent
des Bulgarischen Kammerorchesters, 2003 wurde er Chefdirigent des Leipziger
Symphonieorchesters. Seit 2008 ist Markus Huber Generalmusikdirektor des
Theaters Pforzheim. Er stand am Pult zahlreicher renommierter Orchester, darunter dem Philadelphia und San Francisco Symphony Orchestra, dem ORF-Symphonieorchester und dem Saarländischen Rundfunk, den Hamburger Symphonikern,
sowie Orchestern in Minneapolis, Florida, Kuala Lumpur, Tokio und Singapur
und vielen weiteren im In- und Ausland. Einladungen bringen ihn 2015 nach New
Orleans und Tucson, nach Rumänien, zur Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz,
nach Heilbronn, Saarbrücken, Herford, Siegen, Rumänien, Erfurt und Gera,
Dortmund und Greifswald. Markus Huber widmet sich intensiv dem Werk Richard
Wagners. Nach seinem Debut 2013 mit „Tristan“ in New Orleans und 2014 mit
dem „Ring“ in Ausschnitten mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz folgt im
Juni 2015 der „Lohengrin“ in Pforzheim. Ebenfalls mit der Badischen Philharmonie ist 2013 eine CD mit Werken von Mozart und Reger entstanden.
Eunsung Kim (* 1984)
Open Door
Komponiert 2014 in Sondershausen.
Franz Liszt (1811–1886)
1. Klavierkonzert Es-Dur
I. Allegro maestoso. Tempo giusto
II. Quasi Adagio
III. Allegretto vivace – Allegro animato
IV. Allegretto marziale animato
Komponiert 1830 bis 1848, umgearbeitet 1853 und 1856, Uraufführung am 17. Februar 1855
in Weimar unter der musikalischen Leitung von Hector Berlioz und mit Franz Liszt am Klavier.
– Pause –
Sergej Rachmaninow (1873–1943)
Sinfonische Tänze op. 45
I. Non Allegro
II. Andante con moto (Tempo di valse)
III. Lento assai
Komponiert 22. September bis 29. Oktober 1940, Uraufführung am 3. Januar 1941 in
Philadelphia durch das Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugène Ormandy.
Loh-Orchester Sondershausen
Mariam Batsashvili Klavier
Musikalische Leitung: Markus Huber
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„OPEN DOOR“ – EINE KOMPOSITION
FÜR DAS LOH-ORCHESTER
Komponieren hat in der Musikstadt Sondershausen eine besondere Tradition.
Es waren nicht zuletzt die zahlreichen
Kapellmeister und Dirigenten der Hofkapelle bzw. des späteren Loh-Orchesters,
die für das Ensemble des Fürsten viel
Musik zu Papier brachten. An diese
kreative Tradition knüpft das Sondershäuser Kompositionsstipendium für
junge Komponistinnen und Komponisten an. Es wurde im Frühjahr 2012 von
der Thüringer Landesmusikakademie,
der Theater Nordhausen/Loh-Orchester
Sondershausen GmbH und der Glückauf Sondershausen Entwicklungs- und
Sicherungsgesellschaft (GSES) ins
Leben gerufen.
Das erste im Rahmen dieses Stipendiums entstandene Werk von Theodor
Schubach (* 1985) „kerben/Traumprotokolle/Resonanzen“ für Orchester und
Violoncello wurde bereits am 13. April
2013 in Sondershausen erfolgreich uraufgeführt, vom MDR mitgeschnitten
und am 23. April gesendet. Im März
2014 kamen zum 5. Sinfoniekonzert die
Schöpfungen der beiden Stipendiaten
des 2. Kompositionsstipendiums zu Gehör: Der Schwede Hendrik Ajax (* 1980)
schrieb in Sondershausen das Orchesterstück „Ondulations“, von der gleichaltrigen Spanierin Nuria Núñez Hierro
erklang das Werk „Lost in Sahara“. Im
Herbst 2014 schließlich verbrachte der
südkoreanische Komponist Eunsung
Kim drei Monate in Sonderhausen. In
dieser Zeit entstand sein Orchesterstück „Open Door“.
„Open Door“
Wie kamen Sie dazu, Komponist zu
werden?
Ich erhielt in jungen Jahren Unterricht
auf dem Klavier. Und ich spielte manchmal ohne Noten Klavier. Dann schrieb
ich die Noten auf und dachte darüber
nach, wie ich selber meine eigene
Musik komponieren könnte.
Mit 11 Jahren fing ich an, Kompositionsunterricht zu nehmen.
Eunsung Kim – der Komponist
Eunsung Kim wurde 1984 in Südkorea
geboren. Er erhielt bereits in jungen
Jahren Unterricht in Klavier, Geige, Gesang sowie in Komposition. Nach dem
Abitur studierte er an der Seoul National
University Komposition bei Prof. Tae
Bong Chung, von 2012 bis 2014 bei Prof.
Michael Obst an der Hochschule für
Musik Franz Liszt Weimar im Masterstudiengang. Derzeit absolviert er dort ein
Aufbaustudium. Er besuchte Meisterkurse bei den Komponisten Unsuk Chin,
Younghi Pagh-Paan und Zack Browning
sowie dem Neue Musik Ensemble E-MEX
Ensemble.
Eunsung Kim gewann unter anderem
2011 den zweiten Preis des ChangakKompositionswettbewerbs in Seoul,
2012 den zweiten Preis (bei Nichtvergabe des ersten Preises) des Kompositionswettbewerbs zur Lutherdekade in
Bayreuth, 2013 den zweiten Preis (bei
Nichtvergabe des ersten Preises) und
den Publikumspreis des Kompositionswettbewerbs anlässlich der Weimarer
Frühjahrstage für zeitgenössische Musik
in Weimar. 2014 gewann er den ersten
Preis des Felix Mendelssohn Bartholdy
Hochschulwettbewerbs in Berlin. Im
gleichen Jahr war er Stipendiat des Sondershäuser Kompositionsstipendiums.
Haben Sie schon mehrere Stücke für
Sinfonieorchester geschrieben?
Ich habe noch nicht viel für Orchester
komponiert. Eigentlich ist das Werk
„Open Door“ mein erstes Werk für Orchester. Ich hoffe, in meiner Studienzeit
noch mehr in dieser Richtung zu komponieren. Das ist meine Aufgabe in diesem
Moment.
„Open Door“ – „Offene Tür“:
Welche Gedanken verbergen sich hinter
diesem Titel?
Für das Werk „Open Door“ bekam ich
von einem Text eine Inspiration: „Danach, als ich aufblickte, sah ich am
Himmel eine offene Tür“, das ist eine
Passage aus der Bibel, Neues Testament, Offenbarung 4:1.
Die „Offene Tür“ kann in den Bibelversen verschieden interpretiert werden.
Deswegen kann man nicht genau einen
Begriff definieren. Aber für mich ist sie
eine neue Welt, die sich auftut, wenn
man durch sie hindurchgeht. Ich weiß
nicht, was hinter der offenen Tür klingt.
Aber ich hoffe, dass in diesem Stück die
Klangwelt, die in meinem Herzen steht,
zu hören ist. Das Werk ist dem Andenken
an meinen Vater gewidmet (1955–2004).
Wie kamen Sie auf die Idee, die dem
Stück für das Loh-Orchester zugrunde
liegt?
Schon 2004 wollte ich mit diesem Titel
ein Werk schreiben. Ich schob es auf,
konnte es aber dann durch den Aufenthalt in Sondershausen verwirklichen.
Wenn ich an eine offene Tür dachte,
fielen mir einige Sache ein: Leuchten,
Choral, Fanfare, Donnergebrüll.
Eine Tonreihe, die aus den 48 Tönen
besteht und ganz zu Beginn erklingt,
bildet 18 Akkorde. Und sie wiederum
machen einen Choral, diesen hören wir
in der Mitte und am Ende des Stücks.
Den Choral habe ich nach dem SchlussChoral aus J. S. Bachs Kantate BWV 21
(„Ich hatte viel Bekümmernis“) komponiert („Das Lamm, das erwürget ist, ist
würdig zu nehmen Kraft und Reichtum
und Weisheit und Stärke und Ehre und
Preis und Lob.“ Offenbarung 5:12). All
das zusammen ist die Grundlage für die
Musik von „Open Door“.
Sind Sie selbst religiös und christlich
geprägt? Ist das ein Grund für den
biblischen Bezug in „Open Door“?
Ich bin evangelisch. Und ich schreibe
gern mit einem religiösen Bezug. Wenn
ich z. B. ein Chorstück komponiere,
verwende ich häufig einen Bibeltext.
Komponieren bringt meinen Glauben
zum Ausdruck. Viel Musik von Bach ist
religiös. Dies mag ich. Seine Musik
inspiriert mich.
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VIRTUOSER TASTENZAUBER
von Juliane Hirschmann
kalischen Avantgarde, die vom Fortschritt in der Musik überzeugt war und
die Musikwelt polarisierte.
25 Jahre lang tobte sich Liszt als Klavier- Von Weimar aus reiste Liszt häufig nach
virtuose auf den Konzertpodien Europas Sondershausen. Die thüringische Kleinaus, begeisterte, ja hypnotisierte mit
stadt war seit den 1850er Jahren zu
seinen Auftritten das Publikum. „Franz
einem wichtigen Zentrum zeitgenösLiszt war ein Superstar, ein Genie, eine
sischer Musik, insbesondere derjenigen
europäische Berühmtheit, kurzum:
Liszts geworden. Wohl aufgrund vieler
eine absolute Ausnahmeerscheinung.
persönlicher Begegnungen hatte die
Bereits als Wunderkind faszinierte er
Hofkapelle unter dem musikalischen
in Wien, Paris und London sein PubliLeiter Eduard Stein und später unter Max
kum. In späteren Jahren bereiste er
Erdmannsdörfer ein besonderes Verhältganz Europa und trieb seine Karriere
nis zu dem Komponisten. Die Kapelle
in schwindelerregende Höhen. Die
schätzte Liszts Musik, die andernorts
damalige ‚Yellow Press‘ ... berichtete
eher auf Widerspruch stieß, und führte
ausführlich über seine Konzerte und
sie immer wieder auf. Liszt selbst äunoch ausführlicher über seine zahlßerte sich mehrfach begeistert über die
reichen Kapriolen, die das Liszt-Fieber
Qualität der Sondershäuser Hofkapelle.
zusätzlich anheizten. Die Begeisterung, Auch später, als Liszt abwechselnd in
die er mit seinen Auftritten auslöste,
Weimar, Rom und Budapest lebte, blieb
steigerte sich mitunter ins Delirium,
er der Stadt treu. Vom 3. bis 6. Juni 1886
und Franz Liszt war auch eine Projektietwa trafen sich namhafte Größen des
onsfläche für erotische Fantasien und
zeitgenössischen Musiklebens in Songeheime Sehnsüchte.“ (Oliver Hilmes)
dershausen, darunter auch Liszt. Anlass
Als Komponist schrieb er zunächst
war die 23. Tonkünstlerversammlung
für den eigenen Gebrauch, auffällig
des Allgemeinen Deutschen Musikverseine Lust an brillanten Bearbeitungen eins (ADMV). Sie stand unter einem ganz
und Arrangements aller Art und sein
besonderen Vorzeichen. Denn diese VerInteresse an Folklore. In seiner Zeit als sammlung des 1861 von Liszt gegrünKlaviervirtuose entwarf er auch die
deten Musikvereins sollte zugleich eine
Grundzüge seines 1. Klavierkonzertes.
Vorfeier sein zu dessen 75. Geburtstag
Er vollendete es jedoch erst 1849 in
am 22. Oktober. Es wurde die letzte
Weimar, wo er sich ein Jahr zuvor als
große Ehrung für den Komponisten. Er
Hofkapellmeister niedergelassen hatte, verstarb noch vor seinem Geburtstag am
um sich auf eine andere Tätigkeit zu
31. Juli in Bayreuth. Auf dem Programm
konzentrieren: das Komponieren. In
der zahlreichen Konzerte, die im Juni
Weimar schuf er inspiriert von Hector
1886 in Sondershausen zu hören waren,
Berlioz seine von Literatur, Malerei oder stand natürlich viel Musik von Franz
anderen außermusikalischen Ideen an- Liszt, zwei Konzerte waren ganz ihm gegeregten Sinfonischen Dichtungen. Zu
widmet; in dem ersten der beiden spielte
ihrer Zeit gleichermaßen bewundert wie das Orchester ausschließlich instrumengescholten wurden sie zum Inbegriff der tale Werke, darunter auch seinen „Toten„Neudeutschen Schule“ und beförderten tanz“ für Klavier und Orchester.
Liszt an die vorderste Front einer musiSein 1. Klavierkonzert vollendete Liszt
in Weimar, „als er seine Erfahrungen
mit der Sinfonischen Dichtung aus dem
Geist der poetischen Idee gemacht
hatte. Im Es-Dur-Konzert – und das gilt
auch für das Konzert in A-Dur – sind die
wesentlichen klaviertechnischen Errungenschaften Liszts mit den Intentionen
der Sinfonischen Dichtung verschmolzen.“ (Alfred Beaujean) Die Uraufführung spielte der Komponist selbst im
Februar 1855 unter der musikalischen
Leitung von Hector Berlioz.
Liszt schrieb natürlich ein virtuoses
Schaustück für den Solisten, das Orchester ist entsprechend sehr zurückgenommen und bietet dem Solisten
damit eine geeignete Plattform – eine
sehr effektvolle jedoch, denn es stellt
ihm immer wieder solistische Orchesterpartner an die Seite, etwa im 1. Satz die
Klarinette oder Solovioline, im 3. Satz
die Triangel. Durch Musik, die alle vier
Sätze miteinander verbindet (so erklingt
das vielfältigen Wandlungen unterworfene Thema vom Beginn des 1. Satzes
immer wieder) spannt Liszt einen großen Bogen und bindet alles zu quasi
einem Satz zusammen, ganz ähnlich wie
in seinen Sinfonischen Dichtungen.
Das markante Hauptthema erklingt zunächst im Orchester, scharf rhythmisiert,
donnernd, in chromatischen Tonschritten, die seit jeher mit dem Diabolischen
verbunden sind und auch im Folgenden
den Klang prägen; doch das Orchester
wird dann mit dem wuchtigen Einsatz
des Klaviers wie weggewischt und bleibt
auch für eine ganze Weile im Hintergrund.
Eng umschlungen ist das Klavier mit der
Soloklarinette und der Sologeige im
lyrischen Seitenthema. Der zweite Satz
erscheint als große Arie, deren Sänger
das Klavier mit einer ausschweifenden
Melodie ist; sie wird lediglich im dramatisch anmutenden Rezitativ-Abschnitt unterbrochen. Der dritte Satz
erregte durch den Einsatz der Triangel
bei den Zeitgenossen am meisten Aufmerksamkeit, vom Liszt-Gegner Eduard
Hanslick ist die bissige Bemerkung
„Triangelkonzert“ überliefert. Dabei ist
dieser Satz ein sehr grazil anmutendes
Scherzo. Erst dessen Schluss ist mit
dem Wiedereinsatz des Hauptthemas
aus dem 1. Satz ins Martialische gewendet. Zur Marschmusik umgedeutet wird
zu Beginn des Schusssatzes die Melodie aus dem 2. Satz. Glockenspielähnlich gibt sich das federleichte Klavier,
Anklänge an das Scherzothema sind zu
hören, bevor der Satz zu einer atemberaubenden Schlusssteigerung anhebt.
„Im Concertsaale“. Liszt auf einem kolorierten Titelkupfer von Adolf Brennglas (1842)
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SEIN ALLERLETZTER FUNKE
von Annett Reischert-Bruckmann
„Die Musik eines Komponisten sollte
sein Geburtsland ausdrücken, seine Liebesaffären, seine Religion, die Bücher,
die ihn beeinflusst haben, die Bilder, die
er liebt. Sie sollte alle Erfahrungen eines
Komponisten in sich vereinigen. Was ich
versuche zu tun, wenn ich meine Musik
niederschreibe, ist auf einfache und
direkte Weise auszudrücken, was ich in
meinem Herzen fühle, während ich komponiere. Wenn ich Liebe verspüre oder
Bitterkeit, wenn sich dort Traurigkeit
oder religiöse Gefühle breitmachen,
werden diese Empfindungen Teil meiner
Musik, und so wird sie entweder schön
oder bitter, traurig oder religiös.“ Kaum
jemals hat ein Komponist so klarsichtig
sein eigenes künstlerisches Schaffen
und Selbstverständnis in Worte gefasst
wie der 68-jährige Sergej Rachmaninow
im Oktober 1941 im Rahmen eines
Interviews zwei Jahre vor seinem Tod.
Zu diesem Zeitpunkt lag seine letzte
Kom-position schon mehr als ein Jahr
zurück: Die „Sinfonischen Tänze“, mit
denen er seinen insgesamt 45 Nummern
umfassenden Werkkatalog beschlossen
hatte, dürfen somit als der vorzeitige
Schwanengesang dieses „Letzten Romantikers“ gehört werden – und zugleich
als bilanzierende Essenz eines Komponisten, der inmitten des 20. Jahrhunderts
bis zuletzt der Tonalität verpflichtet
blieb. Rachmaninow komponierte seine
„Sinfonischen Tänze“ in den Sommermonaten 1940 im amerikanischen
Orchard Point, einem idyllischen Feriendomizil in der Nähe von Huntington auf
Long Island, wohin sich der weit gereiste
und vor allem als Pianist so überaus erfolgreiche Musiker nach einem operativen Eingriff mit seiner Ehefrau zu-
Sergej Rachmaninow
rückgezogen hatte. Bereits um 1915
hatte er (…) damit begonnen, sich unter
dem Titel „Die Skythen“ ein weiteres
Mal der Tanzform zu widmen und plante
eine Orchestersuite mit den drei Teilen
„Mittag“, „Abenddämmerung“ und
„Mitternacht“. Als er jedoch erfuhr, dass
ihm sein russischer Landsmann Prokofjew
mit seiner „Skythischen Suite“ für
großes Orchester op. 20 zuvorgekommen war, begrub er dieses Projekt und
ließ es für lange Zeit als Torso in der
Schublade ruhen. Ein Vierteljahrhundert
später fasste er den Entschluss, die
Idee einer dreisätzigen Orchestersuite
erneut aufzugreifen. „Fantastische Tänze“ wollte er sein Opus 45 nun betiteln,
doch auch diesen Gedanken verwarf er
alsbald wieder, um Assoziationen mit
dem gleichnamigen Zyklus von Klavierminiaturen Dmitri Schostakowitschs
zu vermeiden. Kurzerhand taufte er es
daher in „Sinfonische Tänze“ um – ein
Allerweltstitel, der leicht in die Irre
führt: Denn angesichts der komplexen
und weitaus stärker sinfonischen denn
leichtgängig tänzerischen Anlage übte
sich der Komponist damit geradezu in
Understatement. Sein „letzter Funke“,
wie Rachmaninow sein Opus ultimum
liebevoll bezeichnete, geriet zu einem
seiner persönlichsten Werke und dem
eigenen sinfonischen Vermächtnis, in
dem er drei Jahre vor seinem Tod noch
einmal Rückschau auf sein eigenes
Leben und Schaffen halten sollte und
sämtliche Facetten seiner Kompositionskunst ein letztes Mal bündelte:
die Liebe zu seiner russischen Heimat,
der er trotz eines mehr als 20-jährigen
US-Exils bis zuletzt treu geblieben
war, seine geradezu überschäumende
kompositorische Fantasie sowie seine
einzigartige melodische Gestaltungskraft. So durchzieht denn auch eine
Reihe von musikalischen Zitaten oder
zitathaften Anklängen dieses Werk, in
dem der Russe einen Bogen von seiner
Jugend bis in die späten Jahre der
künstlerischen Reife schlägt. Der erste
Tanz ist geprägt von einem markanten,
ja martialisch anmutenden Rhythmus,
über dem sich ein charakteristisch
fallender Dreiklang als thematische
Keimzelle erhebt und aus dessen Struktur sich das gesamte Themenmaterial
des Satzes entfaltet. Wenn im träumerischen Mittelteil bei breitem Tempo
das Solo-Saxophon die Dreiklangsfigur
in ihrer Umkehrung intoniert, vermeint
man den sehnsuchtsvoll-melancholischen Gestus russischen Volksliedguts herauszuhören. Das dritte Thema
des Satzes erinnert hinsichtlich der
Klangfarbenwahl mit Glockenspiel und
Harfe an Motive aus der Oper „Der Goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow, deren Partitur Rachmaninow von
Kindesbeinen an intensiv studiert hatte
und als „einen seiner größten Schätze“
betrachtete. Zugleich ruft der Schluss
dieses Satzes durch die Verwendung
eines Zitats aus dem Kopfsatz der
Sinfonie Nr. 1 d-Moll Erinnerungen an
die eigenen sinfonischen Anfänge vier
Jahrzehnte zuvor wach und verleiht
zudem – durch vernehmbare Anklänge
an altrussische Kirchengesänge – seiner Heimatverbundenheit nachhaltig
Ausdruck. Der zweite Satz zeigt sich als
melancholisch-bittere Walzerfantasie,
die zuweilen ins Groteske abzuschweifen droht, wenn etwa eine mehrfach
ansetzende liebliche Walzerbegleitung
durch scharf artikulierte Blechbläserfanfaren förmlich zerschnitten wird. Die
düstere Stimmung dieses „Valse triste“
wird durch den Einsatz von gestopften
Hörnern und gedämpften Trompeten
verstärkt. Neben Anklängen an kasachische Volksweisen erscheint dieser
mit „Andante con moto“ überschriebene
Satz wie eine Hommage an den von
Rachmaninow hoch verehrten Peter
Tschaikowsky, birgt er doch zahlreiche
versteckte Reminiszenzen u. a. aus
dessen „Nussknacker“-Suite in sich.
Zudem bedient sich Rachmaninow auch
eines Zitats aus eigener Feder, nämlich
des „Tanz der Frauen“ aus seinem erfolgreichen Operneinakter „Aleko“. Im
dritten und letzten Satz versteht er es
auf meisterhafte Weise, den russisch-
Bühnenbildentwurf von Ivan Bilibin zu RimskiKorsakows Oper „Der goldene Hahn“ (1909), die
Rachmaninow zeitlebens begleitete und an die er in
den „Sinfonischen Tänzen“ anspielt
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orthodoxen Kirchengesang kunstvoll
mit dem gregorianischen „Dies irae“
(dt.: Tag des Zorns) aus der lateinischen
Totensequenz zu verweben. Man kann
den Eindruck gewinnen, als erklinge
in diesem letzten Satz seines letzten
vollendeten Orchesterwerks sein ganz
persönliches Credo: Rachmaninow
errichtet hier ein Szenario des Schreckens, das sich im Satzverlauf immer
weiter steigert, bis es etwa 30 Takte vor
Schluss von einer anderen liturgischen
Melodie überlagert wird, nämlich dem
Credo-Gesang „Gelobt sei der Herr“ aus
dem „Großen Abend- und Morgenlob“
op. 37. Just dort, wo der Jubelgesang
das bedrohliche „Dies irae“ verdrängt,
versieht er die autographe Partitur
mit der Anmerkung „Alleluja“, als
wolle er – seinen eigenen Tod bereits
vorausahnend – damit der Hoffnung
auf eine andersartige Weiterexistenz
nach dem Ableben bzw. dem Triumph
des Glaubens über den Tod Ausdruck
verleihen. Am 29. Oktober 1940 – und
damit nach einer Entstehungszeit von
nur fünf Wochen, während denen er das
Werk in tagtäglicher Arbeit von 9 bis
23 Uhr quasi in einem Schaffensrausch
zu Papier gebracht hatte – setzte er
unter die Orchesterpartitur seines Opus
summum als Schlussmemorandum die
Worte: „Ich danke dir, Gott.“ (…)
Am 3. Januar 1941 fand in Philadelphia
die höchst umstrittene Uraufführung
der „Sinfonischen Tänze“ statt, deren
außerordentliche Instrumentierung
neben der gängigen Besetzung mit
dreifachem Holz zusätzlich ein Altsaxophon, stark erweitertes Schlagwerk, Klavier und eine Harfe verlangt.
Einige Kritiker attestierten der Komposition „Langeweile“ und „Inspirationslosigkeit“, glaubten Anklänge an
Maurice Ravel, Richard Strauss oder
Aus dem Leben des Loh-Orchesters
Ein besonderes Projekt: OrchesterWerkstatt „Musik und Politik. Oder: Der König
tanzt Menuett“
Rachmaninow mit Eugène Ormandy (rechts) 1941
Jean Sibelius herauszuhören und
vermissten den „Aufbruch zu neuen
Ufern“. Eugène Ormandy jedoch, den
mit Rachmaninow eine über viele
Jahre gewachsene fruchtbare Zusammenarbeit verband, übermittelte dem
Komponisten eine Woche nach der
Premiere folgende Dankesworte: „Am
Mittwochmorgen sprach ich zu den
Orchestermitgliedern, dankte ihnen
für die wunderbare Zusammenarbeit
wie auch für die schönen Konzerte, die
sie von Freitag bis Dienstag spielten.
Sie waren sehr glücklich und stolz und
baten mich, Ihnen für alles zu danken.
Für mich selbst möchte ich Ihnen meine
tiefe Dankbarkeit dafür aussprechen,
dass Sie uns die Erstaufführung Ihres
letzten Werkes überlassen haben, und
hoffen, dass unsere Aufführungen Sie
nicht enttäuscht und Ihr Vertrauen in
uns gerechtfertigt haben. Ich bin Ihnen
dafür sehr dankbar. Ich danke Ihnen
auch für unsere persönliche Freundschaft, in welcher ich Sie ebenso wie
Toscanini bewundere.“
Die Geschichte der Musik ist mit der Geschichte der Politik eng verknüpft. Am
Fürstenhof diente Musik etwa der Verherrlichung des Herrschenden, eine Nationalhymne soll das Selbstverständnis eines Staates zum Ausdruck bringen. Als
wortlose Kunst kann Musik aber auch ganz subtil Kritik an politischen Zuständen
üben. Mit der Frage, was genau Musik und Politik miteinander verbindet, haben
sich zu Beginn des Jahres Schülerinnen und Schüler der Klosterschule Rossleben
und des Herder-Gymnasiums in Nordhausen beschäftigt und im Februar gemeinsam mit dem Loh-Orchester zwei Konzerte gegeben: in der Turnhalle der Klosterschule Rossleben mit den dortigen Schülern und im Theater Nordhausen mit den
Schülern des Herder-Gymnasiums.
Die Schülerinnen und Schüler haben zum Thema eigenen Tanz, szenische und
sängerische Darbietungen erarbeitet und damit die vom Loh-Orchester zusammengestellte Musik vielseitig und kreativ kommentiert. Es spielte ein buntes
musikalisches Programm in einem Querschnitt durch die Geschichte. So erklang
Musik, die einst zur Huldigung des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen komponiert wurde, es gab Auszüge aus Beethovens 3. Sinfonie, der „Eroica“, zu hören, die der Komponist zunächst Napoleon widmen wollte, oder Musik von Dmitri
Schostakowitsch, dessen Sinfonien eine Reaktion waren auf das Leben unter der
Diktatur Josef Stalins. Mit Verdis berühmtem Freiheitschor „Va, pensiero“ trat der jeweilige Schulchor mit dem Loh-Orchester auf, eine Ballettmusik von Jean-Baptiste
Lully inspirierte eine Tanzgruppe zu einem Menuett, wie es einst der Sonnenkönig
Ludwig XIV. getanzt hat. Die für den Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen
komponierte Huldigungskantate von J.B.C. Freislich, gesungen von der Sopranistin Katharina Boschmann, wurde von den Schülern durch eine von ihnen selbst
ausgedachte Huldigungsszene ergänzt.
Dieses Projekt hat nicht nur Schülerinnen und Schüler mit dem Loh-Orchester,
sondern auch die Fächer Musik, Politik und Geschichte zusammengebracht.
Der Chor der Klosterschule Rossleben singt Verdis Freiheitschor aus „Nabucco“
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VORSCHAU
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LOH-KONZERTE
jeweils 20.00 Uhr, Achteckhaus Sondershausen
1. LOH-KONZERT | 27. Mai 2015
Jean Françaix, Edvard Grieg, Robert Schumann
Musikalische Leitung Michael Ellis Ingram
2. LOH-KONZERT | 3. Juni 2015
Erich Wolfgang Korngold, Carl Maria von Weber, Anton Eberl
Frank Forst Fagott, Musikalische Leitung Markus L. Frank
3. LOH-KONZERT | 10. Juni 2015
Abschlusskonzert des Sondershäuser Meisterkurses mit dem Cellisten Peter Bruns
Musikalische Leitung Markus L. Frank
4. LOH-KONZERT | 1. Juli 2015
Georges Bizet, Camille Saint-Saëns, Darius Milhaud
David Castro-Balbi Violine, Musikalische Leitung Michael Ellis Ingram
Bildquellen:
„Im Concertsaale“. Liszt auf einem kolorierten Titelkupfer von Adolf Brennglas (1842), in: Barbara Meier, Franz
Liszt, Reinbek bei Hamburg 2008, S. 57; Sergej Rachmaninow, auf: http://commons.wikimedia.org/wiki/
Category:Sergei_Rachmaninoff_in_photographs?uselang=de#/media/File:Sergei_Rachmaninoff_LOC_31755.
jpg; Bühnenbildentwurf von Ivan Bilibin zu Rimski-Korsakows Oper „Der goldene Hahn“ (1909), auf: http://
en.wikipedia.org/wiki/The_Golden_Cockerel#/media/File:Bilibin_stage.jpg; Rachmaninow und Eugène Ormandy, auf: http://www.library.upenn.edu/exhibits/rbm/ormandy/sergei.html; Chor der Klosterschule Rossleben,
Juliane Hirschmann.
Textquellen:
Annett Reischert-Bruckmann, Sein allerletzter Funke, aus dem Programmheft zum 3. Philharmonischen Konzert
der Philharmoniker Hamburg am 23. und 24. November 2014.
Der Artikel von Juliane Hirschmann sowie die Ausführungen zu „Open Door“ sind Originalbeiträge für dieses
Programmheft. Die Fragen auf S. 4/5 stellte Juliane Hirschmann.
Impressum:
Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH Spielzeit 2014/2015,
Intendant: Lars Tietje, Käthe-Kollwitz-Str. 15, 99734 Nordhausen,
Tel.: (03631) 6260-0, www.theater-nordhausen.de,
Redaktion und Gestaltung: Dr. Juliane Hirschmann, Layout: Landsiedel | Müller |
Flagmeyer, Nordhausen. Konzert-Programmheft Nr. 9 der Spielzeit 2014/2015
Wir danken für die großzügigen Blumenspenden der Stadtwerke Sondershausen
und des Fördervereins Loh-Orchester Sondershausen e. V. sowie der Floristin
C. Hahnemann, Blumengeschäft Fantasia im Herkulesmarkt Nordhausen.