Gesamtes Konzertprogramm als PDF

8. HfM-Woche
der Kammermusik
10. bis 14. Juni 2015
Hochschule für Musik Saar
Mi 10. Juni | 19 Uhr
HfM-Konzertsaal
1. Konzert (FuF)
Sa 13. Juni | 19 Uhr
HfM-Konzertsaal
4. Konzert
Do 11. Juni | 19 Uhr
HfM-Konzertsaal
2. Konzert
So 14. Juni | 19 Uhr
HfM-Konzertsaal
5. Konzert
Fr 12. Juni | 19 Uhr
HfM-Konzertsaal
3. Konzert
© MUSIKVERLAG HANS SIKORSKI GmbH & Co. KG, Hamburg
Kammermusik von
Ludwig van Beethoven &
Dmitri Schostakowitsch
Es musizieren Professoren, Dozenten und Studierende
der Hochschule für Musik Saar
In Zusammenarbeit mit SR2 KulturRadio und mit freundlicher Unterstützung der Freunde und Förderer der HfM Saar (FuF)
Eintritt: 6 Euro / 3 Euro (erm.) pro Konzert | Vorverkauf: VVK-Stellen und www.ticket-regional.de | Info: www.hfm.saarland.de
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ie 8. Kammermusikwoche 2015 an der Hochschule für Musik Saar,
in der Lehrende und Studierende auf höchstem Niveau miteinander
musizieren, konzentriert sich in ihrer inhaltlichen Ausrichtung auf
zwei Komponisten, zwischen denen mehr als ein Jahrhundert spannender
Musikgeschichte steht: Ludwig van Beethoven (1770-1827) und Dmitri Schostakowitsch (1906-1975). Die Kombination beider entspricht biografischen
Parallelen: Beide Komponisten vereint die Liebe und Passion zur Form der
Symphonie.
Beethoven (r)evolutioniert diesen Formgedanken mit programmatischen
Elementen, schließlich – im Falle der 9. Symphonie – sogar mit einer klaren
Textkonnotation, die im Schlusschor „An die Freude“ kulminiert und den
Boden schafft für weitere symphonische Chorintarsien, beispielsweise bei
Mahler oder Debussy (Nocturne Nr. 3).
Beide Komponisten verzweifeln innerlich an den schwierigen politischen Verhältnissen. Beethoven, der die Widmung der „Eroica“ an Napoleon Bonaparte nach der Krönung 1804 aus lauter Enttäuschung zurücknahm, weil er darin
einen Verrat der geliebten Ideale der Französischen Revolution sah. Schostakowitsch, dessen Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ auf Stalins Veranlassung
1936 in der „Prawda“ verrissen wurde, weil auf der Bühne angeblich „Chaos
statt Musik“ stattfand. Hinter der vernichtenden Kritik stand eine perfide und
von langer Hand konstruierte Maschinerie der „Kulturkontrolle“, an deren
Ziel die ausschließlich politisch gesteuerte Kunst stehen sollte. In den humanistischen Idealen einen sich beide Komponisten, die Tragik in beiden Biografien sind allerdings anders konnotiert.
Man kann bei Beethoven – wie bei Schostakowitsch – von einer „Emigration
ins Innere“ sprechen. Bei Beethoven bedingte sein Ohrenleiden eine immer
stärker werdende Introvertiertheit – ebenso die zahlreichen familiären Enttäuschungen. Schostakowitsch sah sich nach einer temporären politischen
„Rehabilitierung“ im Jahre 1948 immer neuen Hasstiraden seitens des StalinRegimes ausgesetzt, die den Bann nicht nur über ihn, sondern auch über seine Komponistenkollegen Chatchaturjan und Prokofjew verhängte. Erst nach
Beethoven & Schostakowitsch _____________________________________________
der Publikation der „Geheimen Memoiren“ des Komponisten (deren Echtheit
noch nicht ganz gesichert ist) durch Solomon Wolkow wurde bekannt, dass
Schostakowitsch sich im Ausland als Regimetreuer verhielt, im Inneren aber und auf subtile Weise auch in seinen Kompositionen - mit seinen politischen
Peinigern auf das Schärfste abrechnete.
Flucht ins Innere: In der Kammermusik zeichnen viele Komponisten ein anderes, vielleicht weniger repräsentativ wirkendes, dafür oft wahrhaftigeres
Bild ihrer musikalischen Persönlichkeit. „Im Streichquartett muss der Gedanke tief und die Idee rein sein“ - dieses Zitat Schostakowitschs kann, auch
wenn keines seiner Streichquartette in der Konzertreihe erklingt, für alle
musikalischen Formen gelten, die in der Woche zu hören sind: Die Transparenz einer Kammermusik- Architektur lässt einen tiefen Blick in die Abgründe
einer Komponistenpsyche erkennen, die sich nun nicht hinter der groß angelegten Disposition des Symphonieorchesters verstecken kann.
Die Woche der Kammermusik an der HfM Saar bietet in ihren abendlichen
Konzerten darum beides: Vergleichbares und Gegensätzliches; Musik zweier
Epochen, die sich teils ergänzt, teils in antithetischem Verhältnis steht. Der
monumentale Pathos des Kopfsatzes von Beethovens Violinsonate c-Moll op.
30,2 findet seine Wiederaufnahme im ersten Satz der Violoncellosonate von
Schostakowitsch - sozusagen als zyklische Exposition einer Sonatenanlage,
die von der Expressivität über die Elegie hin zur Finalparodie schreitet. Der
üppigen Satzdisposition des späten Beethoven-Quartetts op. 131, das George Bernhard Shaw „schön, simpel, geradlinig und unprätentiös“ fand, wird
man die aphoristische Dichte der beiden Oktettsätze op. 11 von Schostakowitsch als Gegenentwurf entgegen halten können.
So finden sich in der Kammermusikwoche 2015 für das Publikum viele Gelegenheiten, zwei bedeutende Symphoniker im Dialog miteinander zu entdecken – und zwar diesmal in einer anderen Disziplin: der Kammermusik.
Prof. Dr. Jörg Abbing
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Mittwoch, 10. Juni 2015 / 19 Uhr, HfM-Konzertsaal (FuF-Konzert)*
Ludwig van Beethoven
Trio für Violine, Viola und Violoncello
G-Dur op. 9 Nr. 1
Adagio – Allegro con brio
Adagio, ma non tanto e cantabile
Scherzo. Allegro
Presto
Lena Neudauer, Violine
Yeo-Jin Hwang, Viola
Mario Blaumer, Violoncello
Die groß angelegte klassische Form mit vier Sätzen; die bedeutungsschwere
Eröffnung, die die drei Streicher mit dem imaginierten Klang eines Orchestertutti konfrontiert, und die virtuose motivische Arbeit im stets aktiven Allegro
con brio; das ruhig fließende Adagio, das - nach klassischem Ideal austariert
- Melancholie und Dramatik fast beiläufig streift und „nach einigen Anklängen
und gleichsam hingeworfenen Figuren“ seinen Schleier abstreift und sich zu
einem „tiefempfundenen Seelengemälde“ (Johann Schenk) entwickelt; das
Scherzo, dem Beethoven zwei Zwischenspiele spendiert; und schließlich das
quicklebendige Finale, das eine Virtuosität einfordert, die die Fähigkeiten des
Kammermusikzirkels des Widmungsträgers - dem Mäzen und Grafen Johann
Georg von Browne - überstiegen haben dürfte: Alles an dieser Musik versprüht
das Selbstvertrauen des 28 Jahre jungen Komponisten, der sich seines stetig
wachsenden Ansehens in Wien erfreut. Stolz präsentiert er „dem ersten Mäzen
seiner Muse das beste seiner Werke“ (Beethoven) und von seinem Verleger
erhält er für seine „Trois Trios“ das vier- bis sechsfache Monatsgehalt eines
damaligen Orchestermusikers. Dennoch, so scheint es, hielt Beethoven die
klanglichen Möglichkeiten dieser Gattung für zu begrenzt. Sein op. 9 umfasst
seine letzten Werke für Streichtrio. Größere, der breiten Öffentlichkeit zugängliche Konzertsäle und der damit verbundene Wunsch nach einer raumgreifenden Klangfülle, eine sich weitende Harmonik, sowie das Ideal des vierstimmigen Satzes mit Baß, Tenor, Alt und Sopran mögen dazu beigetragen haben,
daß Beethoven fortan dem Streichquartett den Vorzug gab.
Beethoven & Schostakowitsch _____________________________________________
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Dmitri Schostakowitsch Sonate für Viola und Klavier op. 147
Moderato
Allegretto
Adagio
Jone Kaliunaite, Viola
Tatevik Mokatsian, Klavier
Als Schostakowitsch im Mai 1975 das Programm für einen Autorenabend an
der Leningrader Philharmonie zusammenstellen sollte und die zu diesem
Zeitpunkt erst geplante Sonate für Viola und Klavier (neben der Cello- und der
Violinsonate) dafür auswählte, war er von schwerer Krankheit gezeichnet.
Aber wußte er auch, daß er mit der Bratschensonate sein letztes Werk niederschrieb? Oder bürdete die Nachkommenschaft dieser Komposition den
Charakter eines Schwanengesangs auf? Wolfgang Rihm warnt davor, Schostakowitschs Musik nur nach biographischen Konnotationen abzutasten. „Wir
wollen die Biographie hören, wenn wir Musik hören“ und vergessen, „daß
seine Musik die Qualität besitzt, die sie besitzt, (…) auch ohne die Vorgaben,
die sie erhält - egal von woher.“
Gezupfte leere Quinten, die Alban Bergs „Dem Andenken eines Engels“ heraufbeschwören, eröffnen und gliedern die harmonielose Novelle. Sie wird von
zwölftönigen Melodien schmuckloser Intensität durchzogen, die im Mittelteil
einen wütenden Ausbruch auslösen. Beim Scherzo lässt Schostakowitsch,
indem er aus seiner eigenen nicht fertiggestellten Oper zitiert, Nikolai Gogols
„Spieler“ aufleben, die von ihren eigenen Opfern betrogen werden. Die Sonate
beschließt Schostakowitsch mit einem, an dieser Stelle unüblichen, langsamen
Satz und versenkt sich in das Fundament von Beethovens „Mondscheinsonate“ - gebrochene Dreiklänge und ein punktiertes rhythmisches Motiv. Nach
einer leidenschaftlichen Kadenz der Bratsche, besänftigt ein reines C-Dur. An
den Widmungsträger Fjodor Druschinin, Bratschist des Beethovenquartetts,
für das Schostakowitsch einen Großteil seines Kammermusikoeuvres schuf,
schreibt der Komponist: „Das ist ein Adagio zur Erinnerung an Beethoven. Aber
das soll Sie nicht behindern. Die Musik ist hell und klar.“
-PAUSE-
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Ludwig van Beethoven Trio für Klavier, Violine und Violoncello D-Dur
op. 70 Nr. 1 „Geistertrio“
Allegro vivace e con brio
Largo assai ed espressivo
Presto
Kristin Merscher, Klavier
Hans-Peter Hofmann, Violine
Mario Blaumer, Violoncello
So wie die Werke Schostakowitschs bei Interpreten und Hörern oft unter dem
unseligen Stern der Biographie des Komponisten stehen, so verlieren sich Musiker und Publikum beim Studium der Werke Beethovens auf der Suche etwa
nach dem „Mondschein“, dem „Pathetischen“, dem „Heroischen“ oder eben
den Geistern, die Beethoven selbst nicht rief. Der Musikwissenschaftler Stefan
Kunze sieht jedoch in der „Bündigkeit, mit der Empfindung und Konstruktion
sich gegenseitig bedingen“ einen Beweis dafür, „daß kein Rest von ‚Abbildlichkeit‘ bleibt. Die Sprachfähigkeit von Beethovens Musik hat Ergänzung oder
Stützung nicht nötig. Die Wirklichkeit, die aus Beethovens Tönen spricht, ist
eine in keiner Hinsicht erborgte - weder aus dem Reich romantischer Welterfahrung, noch aus Shakespeares nachtschwarzen albtraumhaften Visionen.
(Dies soll nicht heißen, es sei nicht wissenswert, wodurch Beethovens Phantasie im einen oder anderen Fall in Gang gesetzt, vielleicht beflügelt wurde.)“.
Als eine solche Inspirationsquelle mag die unvollendete Oper „Macbeth“ gedient haben; so finden sich auf einigen Notenblättern Skizzen sowohl zum Trio
als auch zu einem Hexenchor. Das Übersinnliche begegnet uns dann auch tatsächlich, allerdings erst im zweiten Satz. Die Streicher eröffnen ihn mit einem
fahlen unisono, das Klavier antwortet mit einem wehmütigen Motiv, pulsierende Akkorde lassen harmonische Farben aufscheinen. Im Verlauf des Satzes verschleiern Tremoli und Chromatik die Konturen des Untergrundes. Beethovens
Schüler Carl Czerny erschauerte ob der „geisterhaften“ Atmosphäre, die ihn
„an die erste Erscheinung des Geists im ‚Hamlet‘ denken“ ließ. Die beiden Ecksätze hingegen eröffnen beide mit einem Aufmerksamkeit fordernden Ansturm,
der sofort durch einen Trugschluß abrupt zum Stillstand gebracht wird, und
erfreuen sich im folgenden an irdischem - aber geistreichem - Versteckspiel.
Beethoven & Schostakowitsch _____________________________________________
Dmitri Schostakowitsch Aus der Jazz Suite Nr. 2
Arrangiert für Blechbläser und Schlagzeug
von S. Verhaert
Marsch (Giocoso. Alla marcia)
Lyrischer Walzer (Allegretto)
Walzer Nr. 2 (Allegretto poco moderato)
Tanz Nr. 1 (Presto)
Das Große Blechbläserensemble
der Hochschule für Musik Saar
Leitung: Peter Leiner
Liu Luda, Felix Schauren, Johannes Weiler,
Ralf Schröder - Trompeten
Scott Jared - Horn
Zixu Li, Stephan Urnau, Claire Nicolay,
Florian Weber - Posaunen
Sebastian Busch - Tuba
Julian Rotheneicher und
Alexander Fritze - Schlagzeug
Es dürfte nahezu unmöglich sein, den Titel „Jazz-Suite Nr. 2“ für die äußerst
beliebte Zusammenstellung von acht prägnanten Tänzen im kollektiven Bewußtsein durch ihren eigentlichen Titel - nämlich „Suite für Varieté-Orchester“
- zu ersetzen. Selbst 16 Jahre, nachdem der Klavierauszug von den tatsächlichen drei Sätzen der Jazz-Suite Nr. 2 - Scherzo, Wiegenlied und Serenade
- aus den geheimnisumrankten Untiefen russischer Archive aufgetaucht ist,
findet sich kaum ein CD-Cover und kaum eine Besprechung, die die irrtümliche
Zuordnung richtigstellt. Dies hängt sicherlich auch mit der ungeheuren Popularität des sogenannten „Walzer Nr. 2“ zusammen, an der Stanley Kubricks
„Eyes Wide Shut“ und Lars von Triers „Nymphomanic“ einen entscheidenen
Anteil haben und die in der Klassikhitparade wohl nur von Beethovens „Für
Elise“ übertroffen wird. Auch heute hören Sie also mitnichten die Jazz-Suite Nr.
2, sondern vier Sätze für Varieté-Orchester in der Transkription für Blechbläser
und Schlagzeug. Bei den Tänzen, die möglicherweise gar nicht von Schostako-
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witsch selbst, sondern von dem eng befreundeten Musikwissenschaftler und
Komponisten Lewon Atowmjam zusammengestellt wurden, handelt es sich
um ein Potpourri aus Ballett- und Filmmusiken. Vor allem Letztere sind oftmals Gelegenheitskompositionen aus den Jahren zwischen 1940 und 1956, mit
denen sich Schostakowisch als dem Sowjetregime treu untergebener Kulturdiener präsentierte und die ihm den nötigen Freiraum für eigene musikalische
Wege gewährleisteten. Wie aus Briefen von 1955 hervorgeht, hemmen jedoch
die schematischen Kompositionen - wie schon während seiner Zeit als Stummfilmbegleiter - seine Kreativität: „Bei mir gibt es nicht viel Neues, Gutes gibt
es noch weniger. Strenggenommen habe ich seit der Symphonie Nr. 10 nichts
mehr geschaffen. Bald fange ich an, mich wie Rossini zu fühlen. Bekanntlich
hat er im Alter von 40 Jahren sein letztes Werk geschrieben. Er wurde dann
70…“. Wäre der niederdrückende politsche Hintergrund nicht hinreichend
bekannt, man wäre geneigt von Luxusproblemen zu sprechen angesichts des
enormen Unterhaltungswertes der Tänze. Der „Marsch“ entspringt dem Film
„Ein Billett V. Zone oder die Abenteuer Karsinkinis“, der berühmte „Walzer
Nr. 2“ wird in „Die erste Staffel“ getanzt und der „Tanz Nr. 1“ inspiriert sich an
dem Marktplatzgetümmel im Film die „Pferdebremse“. Einzig der Schauplatz
des „lyrischen Walzers“ ließ sich nicht ermitteln.
Beethoven & Schostakowitsch _____________________________________________
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Donnerstag, 11. Juni 2015 / 19 Uhr, HfM-Konzertsaal
Dmitri Schostakowitsch Fünf Romanzen op. 121 für Bass-Stimme
und Klavier nach den Texten aus der
Zeitschrift „Krokodil“ Nr. 24
(vom 30. August 1965)
Eigene Aussage
Schwer erfüllbarer Wunsch
Umsicht
Irinka und der Hirte
Übertriebene Begeisterung
Dmitri Schostakowitsch Vorwort zur vollständigen Sammlung meiner Werke und kurze Betrachtungen hinsichtlich dieses Vorworts op. 123
(Text: D. Schostakowitsch)
Frank Wörner, Bass
Olga Politova, Klavier
In den 1960er Jahren häufen sich die Ehrungen für Schostakovitsch; im In- und
Ausland wird er als kulturelles Wahrzeichen des Jahrhunderts gefeiert. Er ist
Mitglied in den königlichen Akademien von Schweden und England und gleichzeitig „Held der sozialistischen Arbeit“. Inzwischen sind es keine Abende mehr,
die seinem Schaffen gewidmet werden, sondern ganze Festivals. Doch jede
Medaille hat ihre Kehrseite: Unter der politischen Last, die ihm von den Schultern genommen wird, versagt ihm der Körper. Am Abend des 28. Mai 1966 wird
wieder einmal ausschließlich Schostakowitsch klingen, unter anderem sollen
das „Vorwort zur vollständigen Sammlung meiner Werke und kurze Betrachtungen hinsichtlich dieses Vorworts“ nach einem eigenen Text und die „Fünf
Romanzen“ aus der Taufe gehoben werden. Letztere basieren auf Leserbriefen,
die - teilweise fingiert - für den Sonderbeitrag „Glauben oder nicht glauben“
von der sowjetischen Satirezeitschrift „Krokodil“ zusammengetragen wurden.
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Sie schildern schablonenhaft russische Alltagssituationen: einen tätlichen
Angriff auf einen Busfahrer, eine Kontaktanzeige, eine Warnung vor fragwürdigen Polizeipraktiken, die anhimmelnde Liebe eines Mädchen vom Lande
und eine Werbung für frischgebackenes Brot. Propagandistisch indoktrinierte
Gesellschaftssatire vertont vom Meister der musikalischen Ironie - nur einen
Tag hat Schostakowitsch für die Serie benötigt. So knapp wie möglich gehalten, sind die Lieder nur eine Fußnote im Oeuvre des Komponisten. Trotzdem
ist Schostakowitsch außergewöhnlich nervös am Abend ihrer Uraufführung. Er
selbst wird am Klavier sitzen und fürchtet, daß ihm die Hände aufgrund einer
unheilbaren Rückenmarksentzündung versagen könnten. Die Sängerin Galina
Wischnewskaja wagt sich nicht die lebende Legende während der Proben auf
falsch gespielte Töne (in eigenen Werken!) hinzuweisen und flüchtet sich in ein
hysterisches „Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los ist!“ und ein unbeholfen
beruhigendes „Wenn Sie nur wüßten, Dmitri Dmitrijewitsch, wie gut Ihnen der
Frack steht! Sie gleichen einem englischen Lord“. Das Konzert wird schließlich
ein voller Erfolg und Schostakowitsch sagt noch: „O Galja, ich war ja noch nie
so glücklich!“ In de rselben Nacht erleidet er seinen ersten Herzinfarkt. Es war
sein letzter öffentlicher Auftritt als Pianist.
1. Eigene Aussage
In Chrowostjanke bestieg ich den Autobus. Der Fahrer kassierte Fahrgeld von
den Leuten. Und ich stellte an ihn die Frage: „Warum hast du denn in Chochlach nicht angehalten?“ Er saß und schwieg. Und ich fragte erneut: „Warum
hast du in Chochlach nicht angehalten?“ Er murmelte etwas wie: „Asphalt…“
und: „Wenn dort…“ und: „Wenn dort nicht…“ Ich überlegte kurz, doch dann
beugte ich den Körper ganz weit nach vorn und konzentrierte ganz energisch
meine Kräfte in die rechte Faust und nach der Methode des Boxens landete
mein Schlag am Kiefer des Schurken. Dazu gab ich diesem Kerl nur einen Satz
als Kommentar: „Da hast du Asphalt in deine miese Visage.“ Solche Maßnahmen erscheinen mir legal, sind anzuwenden, wenn es gilt, sich vor Schurken zu
schützen. Und betrunken war ich nicht. Bin 66 Jahr und hatte am Morgen nicht
einmal gefrühstückt. Der Pensionär Isajew N. M.
2. Schwer erfüllbarer Wunsch
Bin ledig und benötige vor allem Geld. Die Frau nach Maß fand ich bisher
nicht, die vor allen Dingen kein Geld will. Darum bleibt für mich der sehnlichste
Wunsch: Kommen Sie doch zu mir, und: falls es eine in Moskau gäbe, die mich
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beköstigt, die meinen Durst stillt und die auch kein Geld von mir dafür will, so
schreiben Sie mir Namen und Adresse. Ich bitte Sie, ich bitte Sie.
3. Umsicht
Obgleich mich der Strolch Fedulow halb tot geprügelt hat, so hab ich dies bei
der äußerst tüchtigen Miliz nicht mit einem Wort beklagt, bedenkend, mit den
erhaltenen Prügeln mich zu begnügen.
4. Irinka und der Hirte
Man schaut umher, ins Tal hinab, ruhig liegen dort an dem Teich die Kühe, und
wie wirkt es belustigend, wenn man von oben die winzige Gestalt des Hirten
sieht, so klein wie ein Junge. Und Irinka spürt plötzlich den Wunsch, ihn heiß
und fest zu umarmen, mit ihm zu fliegen empor in den klaren, blauen Himmel.
Doch der Hirt bemerkt Irinka nicht. Er sitzt arglos, mit breiten Schultern, ihr den
Rücken zugewandt und pellt sich ein Ei. Und Irinka, sie möchte ihn ja so furchbar gern umarmen.
5. Übertriebene Begeisterung
Das erste Brot! Wer hat, so sagt mir, von euch schon einmal Brot probiert, ein
Stück Brot vom Korn einer neuen Ernte. Unsagbar duftet es nach Sonne und
nach jungen Ähren, doch hauptsächlich nach des Kombinatsführers Händen,
die ständig triefen von Benzin.
Vorwort zur vollständigen Sammlung meiner Werke
und kurze Betrachtungen hinsichtlich dieses Vorworts
In einem Schwung das ganze Blatt beschmiert. Dann prüft mein Ohr, was ich
da komponiert. Beim Hören stöhnt das Publikum vor Qual. Nachher wird es
gedruckt. Dann der Skandal! Ein solcher Werkeinführungstext würde selbstverständlich nicht ausschließlich zur Gesamtausgabe grade meiner Werke passen, sondern zu Gesamtausgaben von Werken vieler, äußerst, äußerst vieler
Komponisten, nicht nur sowjetischer, sondern auch des Auslands. Und hier das
Signum: Dmitri Schostakowitsch. Bin Volkskünstler der UdSSR. Und noch viele
andre Ehrentitel hab ich: Erster Sekretär vom Verband der Komponisten der
RSFSR, Vorstandssekretär vom Verband der Komponisten der UdSSR und noch
sehr viele andre und sehr verantwortungsvolle Funktionen und Aufgaben.
(Deutsche Fassung: Jörg Morgener)
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Ludwig van Beethoven
Trio für Klavier, Violine und Violoncello
B-Dur op. 97 “Erzherzogtrio”
Allegro moderato
Scherzo. Allegro
Andante cantabile, ma però con moto
Allegro moderato
Myoung-Hyun Seo, Klavier
Velislava Taneva, Violine
Daeyoun Kim, Violoncello
Enkel von Maria Theresia, Neffe von Joseph II. und Sohn von Leopold II.:
Erzherzog Rudolph hatte einen Stammbaum, der illustrer nicht sein könnte.
Als jüngstes Glied in der Habsburger Kette der Thronfolger des österreichischen Kaiserreichs hatte er das Glück, weitgehend von Politik verschont zu
bleiben und seine künstlerischen Neigungen ausleben zu dürfen. 1808 fügte
der 16-jährige Prinz seinem Lebenslauf eine weitere Rarität hinzu und wurde Klavier- und Kompositionsschüler von Ludwig van Beethoven. Als Jérome
Bonaparte, Napoleons Bruder, Beethoven abwerben will und ihn mit einer
Anstellung und 600 Dukaten jährlich nach Kassel lockt, kontert Rudolph, indem er sich mit zwei weiteren Fürsten zusammenschließt und Beethoven eine
„Rente“ auf Lebenszeit garantiert. Beethoven solle als „möglichst sorgenfreyer
Mensch sich einem Fache allein widmen“ können, da „diese, von allen übrigen
Beschäftigungen ausschlüssliche Verwendung, allein im Stande sey, grosse,
erhabene, und die Kunst veredelnde Werke zu erzeugen“. Beethoven bleibt
seinem Freund und Gönner ein Leben lang verbunden und widmet ihm eine
Reihe von Werken, die nicht selten den Höhepunkt einer Gattung im Schaffen
Beethovens darstellen: darunter befinden sich unter anderem das 5. Klavierkonzert (Emperor), die letzte Violinsonate, die Missa solemnis, die Große Fuge
für Streichquartett, die„Hammerklaviersonate“ und eben das Klaviertrio op.
97. Die Werkeinheit sucht Beethoven hier nicht im Konflikt kontrastierender
Themen und Sätze, die er nach allen Regeln der kontrapunktischen Kunst
gegeneinander antreten lässt. Stattdessen wohnt allen Sätzen eine souveräne Gelassenheit inne, die sich majestätisch bedeutsam im Allegro moderato
und tanzend und trittfest im Scherzo präsentiert, wehmütig die Variationen
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im Andante durchzieht und im trillernden Spiel des Finales den Mutwillen in
den Grenzen des Schönen toleriert. Trotz fortschreitenden Verlusts der Hörfähigkeit ließ es sich Beethoven nicht nehmen, die erste öffentliche Aufführung
selbst am Klavier zu bestreiten. Die Qualitiät des Vortrags muß wohl dementsprechend gewesen sein. Die Verstimmung des Klaviers störte den Komponisten nicht. „Im Forte schlug der arme Taube so darauf, daß die Saiten klirrten, und im Piano spielte er wieder so zart, daß ganze Tongruppen ausblieben“
(L. Spohr). Es bedeutete den Abschied des Pianisten Beethoven von der Bühne
und den Beginn einer beispiellosen innerlichen Odyssee des Komponisten.
Trotz dieser wenig genußvollen Uraufführung prunkt das Trio unbestritten „als
eines der hellgrünendsten Blätter an seiner schon lang erworbenen Lorbeerkrone“ (Allgemeine Musikalische Zeitung, 1823).
-PAUSELudwig van Beethoven Serenade für Klavier und Flöte D-dur op. 41
Entrata - Allegro
Tempo ordinario d´un Menuetto
Allegro molto
Andante con Variazioni
Allegro scherzando e vivace
Adagio
Allegro vivace e disinvolto
Grigor Asmaryan, Klavier
Grigory Mordashov, Flöte
Obwohl sich Beethoven zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seiner „gesuchten“
Schreibweise bereits ein Ansehen als Komponist ernstzunehmender und (vor
allem) ernster Musik aufgebaut hatte, widmete er sich gelegentlich noch der
Unterhaltungsmusik und unterzieht sie seinen ihm eigenen musikalischen
Reflexionen. Die Serenade op. 25 (41) ist sein letztes Werk dieser Gattung, und
der Grund ihrer Entstehung ist ebenso rätselhaft wie die Wahl der Besetzung Flöte, Violine und Viola - die eines Basses entbehrt. Verhältnismäßig konventi-
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onell dagegen fällt die Satzfolge aus: Ein Marsch „Entrata“ eröffnet traditionell
das Werk und beschert einer wichtigen Person ihren angemessen Auftritt. Es
folgt ein Menuett im alten Stil (tempo ordinario) mit zwei Triozwischenspielen,
die einmal die Streicher und einmal die Flöte in den Vordergrund rücken. Das
Allegro molto in Moll inspiriert sich an der damals in Wien allgegenwärtigen
türkischen Mode und Musik. Die Variationen bilden das Herzstück der Serenade und bieten allen Instrumenten eine solistische Bühne.
An fünfte Stelle setzt Beethoven - wie schon in seinem Septett - ein Scherzo
anstelle des üblichen zweiten Menuetts. Die spitze Heiterkeit seiner Ecken
kontrastiert mit dem ernst und den kontrapunktischen Finessen des Mittelstücks. Die Vorbereitung auf das virtuose und unbeschwerte Finale (vivace e
disinvolto, wörtl. unbeteiligt) zelebriert Beethoven mit einem einleitenden Adagio. Über der Fassung für Flöte und Klavier op. 45 ist ein „revûe par l’auteur“
zu lesen, das darauf hinweist, daß nicht Beethoven selbst es war, der die
ursprüngliche Version bearbeitet hat. „Die Übersetzungen sind nicht von mir,
doch sind sie von mir durchgesehen und stellenweise ganz verbessert worden,
also kommt mir ja nicht, daß ihr da schreibt, daß ich’s übersetzt habe, weil ihr
sonst lügt und ich auch gar nicht die Zeit und Geduld dazu zu finden wüßte…”.
Die von Beethoven gebilligte Transkription also wurde von Franz Xaver Kleinheinz verfasst. Daß der komponierende Zeitgenosse dabei keineswegs bloß
die Violin- und Violastimme vom Klavier ausführen läßt, sondern dessen
Möglichkeiten mit der Erschließung des Baßbereichs und vollgriffigen Akkorden nützt, sowie in Dynamik und Artikulation eingreift, das Finale gar um zwei
Takte erweitert und somit ein durchaus eigenständiges Werk schuf, kümmerte
die journalistische Rezeption nicht. Die Leipziger Zeitung übergeht ihn prompt:
„Beethovens Name empfiehlt schon diese sehr schöne Serenade, die sich nicht
zu schwer spielt, und aus sieben Hauptsätzen von sehr gefällig kontrastierendem, romantischem Charakter besteht.“
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Dmitri Schostakowitsch Quintett für zwei Violinen, Viola, Violoncello
und Klavier g-Moll op. 57
Präludium. Lento
Fuge. Adagio
Scherzo. Allegretto
Intermezzo. Lento
Finale. Allegretto
Velislava Taneva, Violine
Xiangzi Cao, Violine
Ainis Kasperavičius, Viola
Diego Hernández Suárez, Violoncello
Hristina Taneva, Klavier
Seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ war der Aufhänger: „Chaos statt
Musik“, eine „betont disharmonische, chaotische Flut von Tönen“, „Gepolter,
Geprassel und Gekreisch“, „absichtlich verdrehte Musik“ und Kakophonie sind
nur einige Vorwürfe der stalinistisch indoktrinierten Zeitung „Prawda“, denen
sich Schostakowitsch 1936, eben noch gefeiertes, nationales Aushängeschild,
plötzlich ausgesetzt sah. Monatelang schlief er vollständig angekleidet, den
gepackten Koffer neben dem Bett, in der Erwartung, verhaftet und deportiert zu werden. Die stalinistischen Säuberungen, denen Millionen zum Opfer
fielen, waren in vollem Gange. Erst 1940 - mit seinem Klavierquintett - kommt
die Wende und Schostakowitsch wird öffentlich rehabilitiert. Für dieses Werk
erhält er den alljährlich vergebenen und mit 100 000 Rubel hochdotierten Stalinpreis erster Klasse. Dieselbe Zeitung lobt nun die „lyrische Lösung für eine
sehr wichtige künstlerische Aufgabe der Gegenwart: den inneren Reichtum
einer großen Persönlichkeit wahrheitsgetreu, aufrichtig und mitreißend darzustellen.”
Begeistert von Schostakowitschs erstem Steichquartett, entstand das Quintett
auf Wunsch des Beethoven-Quartetts. Der Komponist selbst saß bei der
vielumjubelten Uraufführung im November 1940 am Klavier. Das Werk ist Zeugnis der Meisterschaft Schostakowitschs, der staatlich verordneten, sicherlich
aber auch persönlich gelebten Traditionsverbundenheit ebenso Ausdruck zu
verleihen, wie der drückenden und prägenden Atmosphäre der Zeit. Jede Note
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ist abgewogen - „Wie bei einem 60 Jährigen“, stellt Sergei Prokofiev halb ironisch, halb bewundernd fest, und bedauert, „daß es im Quintett keine großen
Höhenflüge gibt“, keine Abenteuer und keinen Impetus. Mit ihrer gefesselten
Dramatik bilden die langsamen Sätze die psychischen Gravitationspunkte des
Werkes: Die Fuge, die ihre Form verschleiert und ihr Thema durch die Streicher im pianissimo intonieren lässt, und das romantische Intermezzo, das mit
seinen schreitenden Pizzicato-Bässen barocke Züge an den Tag legt und das
„Zwischenspiel“ durch meditative Traurigkeit in ein hoffnungsloses Licht rückt.
Geerdet wird das gesamte Werk durch ein zentrales Scherzo von manisch übertriebener Heiterkeit. Nach all diesen seelischen Abgründen bietet der letzte
Satz eher Zuflucht, als daß er Erleichterung bringt - willkommen ist er trotzdem: echter Dostojewski eben, gespielt von Chaplin.
Freitag, 12. Juni 2015 / 19 Uhr, HfM-Konzertsaal
Ludwig van Beethoven
Quartett für zwei Violinen, Viola
und Violoncello cis- Moll op. 131
Adagio, ma non troppo e molto espressivo
Allegro molto vivace
Allegro moderato
Andante, ma non troppo e molto cantabile
Presto
Adagio quasi un poco andante
Allegro
Lorenz Blaumer, Violine
Daniel Stoll, Violine
Vidmante Andriunaite, Viola
Mario Blaumer, Violoncello
Werkerläuterung: Arnulf Herrmann
Beethoven hielt sein Streichquartett op.131 in cis-Moll selbst für sein größtes.
Dieses Konzert ist eine Mischform: Es verzahnt die Aufführung mit Reflexionen des Komponisten und HfM-Professors Arnulf Herrmann über das Werk.
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Samstag, 13. Juni 2015 / 19 Uhr, HfM-Konzertsaal
Ludwig van Beethoven
Quartett für zwei Violinen, Viola
und Violoncello f-Moll op. 95
“Quartetto serioso”
Allegro con brio
Allegretto ma non troppo
Allegro assai vivace ma serioso
Larghetto – Allegretto agitato
Yoon-Ji Han,Violine
Marie-Helene Leonhardi, Violine
Jannis Rieke, Viola
Oliver Léonard, Violoncello
Der Verlust des Gehörs, der ihn zunehmend in die Isolation zwingt, finanzielle
Sorgen durch den inflationären Wertverlust des Geldes, die kriegerische Unruhe, ausgelöst durch die französische Besatzung Wiens, der zurückgewiesene
Heiratsantrag an Therese Malfatti - das Schicksal meint es besonders ernst mit
Beethoven im Jahr 1810. Zwar stellt Beethoven seinen Verlegern gegenüber
klar, daß er jederzeit für jede Gelegenheit das passende Stück komponieren
könne und persönliche Umstände also nicht zwingend auf den emotionalen
Gehalt des in Arbeit befindlichen Stückes abfärben, so scheint es sich bei seinem Streichquartett op. 95 doch um eine Herzensangelegenheit gehandelt zu
haben. Die Widmung an den Cellisten Nikolaus Zmeskall hat keinen politischen
oder finanziellen Hintergrund, es ist „ein liebes Andenken unserer hier lange
waltenden Freundschaft.“ Die Kiste ungarischen Wein, die Beethoven zum
Dank erhält, kann er nicht genießen: „Lieber Z! Sie (…) haben mein reines aufrichtiges Werk entstellt. Sie sind nicht mein Schuldner,sondern ich der Ihrige,
u. jetzt haben sie mich nur noch mehr dazu gemacht, ich kann nicht schreiben,
wie weh mir dieses Geschenk thut.“ An einer Veröffentlichung ist Beethoven
vorerst nicht interessiert; erst sechs Jahre später kontaktiert er einen Verleger
in England, schreibt aber dazu: „The Quartet is written for a small circle of con-
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naisseurs and is never to be performde in public.“ Wie sich die Öffentlichkeit
mit dem Aufführungsverbot arrangieren soll, lässt Beethoven offen und gibt
damit gleichzeitig einen Vorgeschmack auf die Widersprüchlichkeit, die den
Charakter des Werkes prägt. Da ist das zwischen Dur und Moll changierende
Kopfmotiv voller Entschlossenheit und Tatkraft, das sich im ersten Satz vehement der beschwichtigenden Melancholie des zweiten und dritten Themas widersetzt. Im langsamen zweiten Satz (Allegretto ma non troppo!) bringt die Homophonie eines klassischen Cantabile unversehens mehrere Fugati hervor. In
der Dissonanz eines verminderten Septakkordes findet sie ihre Erlösung, und
findet damit gleichzeitig die Brücke zu einem Scherzo, Allegro assai vivace, ma
serioso! Auch die Satzbezeichnung des vierten Satzes ist in sich widersprüchlich: Das Allegretto, im Vergleich zu einem Allegro, zügelt Drang und Treiben,
während agitato eigentlich das Gegenteil vorschreibt. Aus diesem Blickwinkel
ist es erschütternd konsequent, daß Beethoven sein „Quartetto serioso“, wie
er selbst es betitelt hat, mit einem flirrenden F-Dur-Wirbel beschließt. Um aus
all diesen Gegensätzen eine Einheit zu formen, komprimiert Beethoven jede
Aussage auf ihren Kern. Auf vermittelnde Elemente verzichtet er - vier Sätze in
rekordverdächtigen 20 Minuten. Beispielhaft nimmt der erste davon gerade
einmal vier in Anspruch und ist - wie übrigens das Gegenstück der c-Moll Violinsonate - durchkomponiert. Die Durchführung zählt 22 Takte. Ein das Finale
einleitende Larghetto espressivo sorgt für Symmetrie und Gleichgewicht in der
Satzfolge. „Für Dich armer Beethoven gibt es kein Glück von außen, Du mußt
Dir alles in Dir selbst erschaffen.“ (L.v.B.)
Dmitri Schostakowitsch Trio Nr. 1 für Violine, Violoncello
und Klavier c-Moll op. 8
Andante – Allegro
Elisa Gummer, Violine
Takuro Okada, Violoncello
Wenzel Gummer, Klavier
Die Besucher des Kinos „Lichtes Band“ fühlten sich offenbar im falschen Film.
Buhrufe und sogar Tumulte gab es, als Schostakowitsch mit zwei Freunden
sein erstes Klaviertrio zur musikalischen Deutung des Films anstimmte und
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seinen Arbeitsplatz zu Probezwecken mißbrauchte. Dabei muß man dem
Werk des 17-jährigen, in die Widmungsträgerin frisch verliebten Studenten,
zugutehalten, daß es sich durchaus zur Verfilmung eignen würde. Chromatische Schwermut mit seufzenden Hebungen, spitze Groteske - mal frech, mal
grüblerisch - Drohgebärden, flüchtende Sechzehntel, aktionsgeladene Höhepunkte und liebliche Melodien mit impressionistischer Untermalung: All das
stellt Schostakowitsch mit szenisch scharfen Schnitten und Tempowechseln
in seiner einsätzigen Komposition einander gegenüber. Den dramaturgischen
Faden verliert er dabei nicht. Das Trio hat sich, obwohl es erst nach seinem Tod
veröffentlicht wurde, seinen festen Platz im kammermusikalischen Repetoire
sichern können. Schostakowitsch selbst hat sein Werk des Öfteren zu didaktischen Zwecken herangezogen, wie sein Schüler Rewol Bunin uns überliefert
hat: „In stummem Entzücken hörten wir zu; sobald er aber geendet hatte, forderte uns Schostakowitsch immer wieder auf: Nun, kritisieren Sie, kritisieren
Sie…“
Ludwig van Beethoven
Sonate für Klavier
und Violine c-Moll op. 30 Nr. 2
Allegro con brio
Adagio cantabile
Scherzo. Allegro
Finale. Allegro
Hwan Hee Yoo, Klavier
Hyun Oh, Violine
Im Ringen um die führende Position im Zusammenspiel war dem Cembalo bzw.
Klavier und den „einstimmigen“ Instrumenten wechselndes Glück beschert.
Während zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Cembalopart in den meisten Fällen nur beziffert, nicht auskomponiert, vorlag und seine Bedeutung somit mit
der Phantasie und Inspiration des Cembalisten schwankte, stellte der Sturm
und Drang der nachfolgenden Epoche die Verhältnisse auf den Kopf. Nun kam
den Melodieinstrumenten lediglich eine verstärkende oder begleitende Rolle
zu; oftmals konnte ihre Stimme gänzlich gestrichen werden, ohne daß der musikalische Fluß empfindlich gestört worden wäre. Die auf allen Ebenen um Aus-
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gleich bemühte Klassik vermittelte schließlich zwischen den beiden Parteien.
Die von Mozart in seinen Sonaten für Klavier und Violine angestoßene Aussöhnung, greift Beethoven auf. Auch wenn in dem vorliegenden Werk die Eröffnung aller Sätze noch dem Klavier vorbehalten ist, werden die Seitenthemen
von der Violine vorgestellt. Der Themendualismus bekommt so auf natürliche
Weise klangliche Unterstützung. Leere, leise Oktaven, ein prägnanter Rhythmus und brodelnde 16tel im Baß, die jederzeit auszubrechen drohen, schaffen
eine Atmosphäre voller Geheimnis und Unruhe. In ungläubiges Staunen wird
man von der ironisierenden Leichfüßigkeit versetzt, mit der das zweite Thema
dahermarschiert und die schnellen 16tel auf seine fröhliche Seite zu ziehen
vermag. Erst gegen Ende der Exposition mischt sich leichtes Unhagen in den
heiteren Wettlauf und drängt in die Durchführung. Die übliche Wiederholung
des ersten Teils entfällt und bietet ein Musterbeispiel dafür, wie die Energie
und Dramaturgie eines Werkes traditionelle Formschemata durchbrechen
muß. „Notwendig und aktiv“ sollte alle Musik sein, „unabhängig davon, welcher Mittel man sich zur Erreichung dieses wichtigsten Zieles bedienen mag.“
(Schostakowitsch, 1975)
Nachdem Beethoven die Charaktere nach allen Regeln der Kunst gegeneinander hat antreten lassen, erfolgt der Einsatz der Reprise im Forte. Die geheimnisvolle Vorsicht ist der Entschlossenheit gewichen, die den Satz zu einem
stürmischen Ende treibt. Die Melancholie des weitschweifenden Adagio bietet
nun willkommenen Raum für Reflexion. Dann fordert die Lebendigkeit des
Scherzos mit keckem Vorschlag und pointiertem Rhythmus die Aufmerksamkeit. Das eingeschobene Trio moduliert nicht, mit fließenden Figuren glättet es
nur den Vorwitz des Hauptthemas. Das Finale schließt den Kreis und greift, mit
wenigen Lichtblicken, Unruhe und Ungestüm des ersten Satzes wieder auf.
-PAUSE-
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Dmitri Schostakowitsch Zwei Oktettsätze für vier Violinen,
zwei Violen und zwei Violoncelli op. 11
Präludium
Scherzo
Hans-Peter Hofmann, Yonjoo Kang, Yoonji Han
und Yu-Shan Lee, Violinen
Patrizia Messana und Luis Borten, Violen
Aurore Dassesse und Masanori Tsuboi, Violoncelli
Rachmaninov, Prokofjew, Bunin, Kandinsky, Chagall: Seit der FebruarRevolution von 1917 und dem Ende der Zarenherrschaft verließ ein großer
Künstler nach dem anderen seine russische Heimat. Trotzdem war diese Zeit,
in der man sich laut Lenin den Luxus der Kunst nicht leisten könne, solange
das Geld für Dorfschulen fehle, - die Zeit, in der getauscht statt gezahlt wurde,
doch die künstlerisch fruchtbarste in der Geschichte Rußlands. Die propagandistische Regulation der Kunst hatte zwar schon erste „Erfolge“ vorzuweisen,
doch noch wurde experimentiert und die künstlerische Avantgarde berauschte
sich am Untergang der Romantik. Diese Stimmung bricht sich ihre Bahn in den
beiden Sätzen für Streichoktett, die der 19-jährige Stummfilmpianist Schostakowitsch in den Jahren 1924/25 schreibt und die bald darauf im Staatsverlag,
zusammen mit seiner berühmten ersten Symphonie, veröffent- licht werden.
Er widmet sie seinem gerade von der Schwindsucht dahingerafften engen
Freund, dem Dichter W. L. Kurtschawow. Der erste Satz deklamiert wehmütig
mit romantischem Gestus, unterbrochen von einem irrlichternden Scherzando.
Der zweite Satz wirbelt mit schneidenden Dissonanzen, die sich, da von einem
reißenden Rhythmus getrieben, dem Ohr des Hörers nur umso schärfer einprägen.
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Ludwig van Beethoven
Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott Es-Dur op.16
Grave – Allegro ma non troppo
Andante cantabile
Rondo. Allegro ma non troppo
Tatevik Mokatsian, Klavier
Nanako Kondo, Oboe
Johannes Gmeinder, Klarinette
Amanda Kleinbart, Horn
Marlene Simmendinger, Fagott
Durch unermüdlichen Fleiß werde er „Mozarts Geist aus Haydns Händen“
erhalten, gibt der Bonner Gönner Graf Waldstein dem 22 Jahre jungen Beethoven mit auf den Weg nach Wien. Und nach zwei Lehrjahren beim Schöpfer
der Schöpfung tritt Beethoven den Beweis an. Aus dem Jahr 1794 stammen die
ersten Skizzen zu seinem Quintett, das es wohl in dieser Form und Besetzung
ohne Mozarts Vorlage (KV 452) nicht gegeben hätte. Nicht nur die Bläsertonart
Es-Dur haben beide Werke gemeinsam, sondern auch die dreisätzige Anlage,
sowie die langsame, bedeutende Einleitung zum ersten Satz. Zudem zitiert
Beethoven eifrig den verehrten Pionier: im zweiten Satz finden sich Anleihen
aus Don Giovanni (Batti, batti, o bel Masetto) und der Zauberflöte. Daß es sich
bei dem Thema des Rondo um eine Variante des gleichbezeichneten Satzes
von Mozarts Klavierkonzert KV 482 (in Es-Dur!) handelt, könne nur ein Esel
verkennen - so der Mozartbiograph Otto Jahn in Anlehnung an ein berühmtes
Brahmszitat. Beethoven ist jedoch in seinem kompositorischen Können bereits
souverän genug, um trotz aller Bezüge auf Mozart ein eigenständiges Werk zu
schaffen. Bei ihm geht es weit weniger demokratisch zu als bei Mozarts Vorlage - und auch im Vergleich zu anderen Kammermusikwerken Beethovens. Man
hört deutlich heraus, daß es sich bei dem Autor um einen Pianisten handelt,
dessen Karriere als Virtuose sich bereits erfolgreich angelassen hatte. Über
weite Strecken des Werkes steht das Klavier konzertierend einem Ripieno der
Bläser gegenüber. Beethoven schien das Rampenlicht zu genießen und führt
am Klavier den Hörer am Ende der Durchführung mit einer Scheinreprise auf
die falsche Fährte. Die eigentliche Reprise dann beendet er mit einem Schein-
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schluß, täuscht eine neuerliche Durchführung an, ringt sich dann aber doch zu
einem Schluß durch. Aber nicht nur das Publikum muß seine jugendfrischen
Launen dulden. Bei einem Vortrag im Jahre 1804 ließ es sich Beethoven nicht
nehmen, seine solistische Rolle zusätzlich mit einer Kadenz auszuschmücken.
Sein Schüler Ferdinand Ries erinnert sich: „Im letzten Allegro ist einigemal ein
Halt, ehe das Thema wieder anfängt; bei einem derselben fing Beethoven auf
einmal an zu phantasieren, nahm das Rondo als Thema und unterhielt sich
und die anderen eine geraume Zeit, was jedoch bei den Begleitenden nicht der
Fall war. Diese waren ungehalten und Herr Ram (der Oboist) sogar sehr aufgebracht. Wirklich sah es possierlich aus, wenn diese Herren, die jeden Augenblick erwarteten, dass wieder angefangen werde, die Instrumente unaufhörlich
an den Mund setzten und dann ganz ruhig wieder abnahmen. Endlich war
Beethoven befriedigt und fiel wieder ins Rondo ein. Die ganze Gesellschaft war
entzückt.“
Sonntag, 14. Juni 2015 / 19 Uhr, HfM-Konzertsaal
Dmitri Schostakowitsch Sonate für Violoncello
und Klavier d-Moll op. 40
Allegro non troppo
Allegro
Largo
Allegro
Giedrius Žukauskas, Violoncello
Ahra Hong, Klavier
Knappe 10 Jahre ließ Schostakowitsch die Liebhaber der Kammermusik warten,
ehe er sich 1934 wieder diesem Sujet widmete. Entstammte sein Streichoktett
von 1924 noch der Feder eines frühreifen Studenten, so war Schostakowitsch
nun mit 28 Jahren ein angesehener Komponist, gefeiert für seinen burlesken
und ironischen Stil: In ihm vereint er den Hang der musikalischen Avantgarde
zur Zwölftönigkeit und damit zur Gleichberechtigung aller Halbtöne, sowie
die Begeisterung für die Integration mechanischer Elemente in die Musik,
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geweckt durch die Industrialisierung und postuliert im sozialistischen Realismus. Klassische Formen, wie die Sonate, stellt er dabei jedoch nicht in Frage,
genauso wenig, wie den Wert einer Melodie. Seine chromatischen Wendungen
sind jedoch unberechenbar, sind durch die Schule der Atonalität gegangen und
entziehen dem Zuhörer das Vertrauen in gewohnte funktionale Bezüge. Seine Harmonien, die Dur und Moll nicht scheuen, bieten somit eine trügerische
Sicherheit und seine Musik erhält einen doppelten Boden, einen Raum für
Ironie, Sarkasmus und unterschwellige Gefahr. Schostakowitsch gelingt es so,
die bedrückende Atmosphäre der Unsicherheit, die in der Gesellschaft durch
staatlich verordnete, unklar definierte und willkürlich auslegbare Ideologien
ausgelöst wurde, musikalisch zu erfassen und trotzdem eine Oberfläche zu
schaffen, die allgemein zugänglich und populär, „massentauglich“, war: Eine
Gratwanderung, die ihm in seiner Sonate für Cello und Klavier besonders gut
gelingt. Bei Publikum und Musikern ist sie gleichermaßen beliebt. Schon kurz
nach ihrer Premiere nahmen Cellogrößen wie Piatigorsky und Fournier sie in ihr
Repertoire auf und machten sie international zu einem Hit. Der erste Satz empfängt den Zuhörer mit herzerwärmender Melancholie und macht deutlich, was
Schostakowitsch meint, wenn er die Melodie als Seele einer Komposition bezeichnet. In der Reprise entzieht ihr Schostakowitsch allerdings die tragenden
Wellen der Begleitung, erschreckend einsam liegt sie am Ende des Satzes über
einem harmonielosen Baßostinato. Angriffslustig und mit bukolischer Freude wischt das Scherzo alle negativen Assoziationen weg. Umso nachhaltiger
wirkt die Resignation, die das Largo verbreitet. Ihr begegnet der letzte Satz mit
einem spöttischen Marsch und einer heiter, makabren Verfolgungsjagd: Musik,
wie für einen Comicstrip? Lachen Sie nur…
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Ludwig van Beethoven
Trio für Klavier, Klarinette und Violoncello B-Dur op. 11 “Gassenhauer-Trio”
Allegretto con brio
Adagio
Tema: Pria ch’io l’impegno. Allegretto
Thomas Duis, Klavier
Frederik Virsik, Klarinette
Adnana Rivinius, Violoncello
Das vom 27-jährigen Beethoven komponierte Gassenhauertrio ist in der noch
kurzen Liste seiner Opera bereits das vierte Klaviertrio. Die Vorliebe für diese
Besetzung, der er auch sein op. 1 widmete, dürfte zum einen darauf zurückgehen, daß sich Violine und Violoncello erst vor kurzem unter Mozarts Hand
vom Klavier emanzipierten und sich von ihrer Begleit- und Verdopplungsfunktionen der Klavierstimme lösten; daß also diese Art der Streicherbehandlung
neue, noch lange nicht ausgeschöpfte Kompositionsmöglichkeiten bot. Zum
anderen mag das „demokratische“ Miteinander in der Kammermusik auch die
politischen Sympathien Beethovens widerspiegeln. Die Gleichberechtigung
der drei Stimmen von Klarinette (hier wahlweise auch Violine), Violoncello und
Klavier ist allerdings dem Rezensenten der Allgemeinen Musikalischen Zeitung
von 1799 entgangen, wenn er die Melodieinstrumente zur Klavierbegleitung
degradiert, mag aber als Beispiel für die Gewohnheiten der Zeit gelten: „Dieses Trio, das stellenweise nicht leicht, aber doch fließender als manche andere
Sachen vom Verfasser ist, macht auf dem Fortepiano mit der Klavierbegleitung
ein recht gutes Ensemble. Derselbe würde uns, bey seiner nicht gewöhnlichen
harmonischen Kenntnis und Liebe zum ernsteren Satze, viel Gutes liefern,das
unsere faden Leyersachen von öfters berühmten Männern weit hinter sich zurückließe, wenn er immer mehr natürlich als gesucht schreiben wollte.“ Seine
große Beliebtheit verdankt das Trio nicht zuletzt dem finalen dritten Satz über
einen Ohrwurm aus Josef Weigls Oper „L’amor marinaro“ (Seefahrerliebe), den
Beethoven kurzweilig variiert. Die erste Variation ist allein dem beweglichen
Skalenspiel des Klaviers vorbehalten, das (Var. II) von einem Duett der Melodieinstrumente abgelöst wird, bevor in Var. III das erste Mal alle Beteiligten
gemeinsam auftrumpfen. Dem steten Wechsel von einer langsamen und einer
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schnellen Variation treu bleibend wird der tatenfrohe Optimismus nun durch
ein erstes, von Trauer und Weltschmerz beseeltes Minore kontrastiert. Wild
entschlossen läuft die V. Var. dagegen an. In Var. VI scheint man sich auf einen
gelösten Dialog geeinigt zu haben. Mit beinahe manischer, punktierter Entschlossenheit geht man nun zu Werke (Var. VII). In Var. VIII treten die antagonistischen Protagonisten zum ersten Mal gemeinsam auf, tanzend im sechsachtel Takt, allerdings nicht einmütig. Ein lieblicher Gesang (piano, dolce)
wird durch eine völlig überzogene Klavierbegleitung (sempre forte) stampfend
karikiert. Die letzte Variation (Nr. IX) widmet sich wieder dem ursprünglichen
Thema, herb und im zweistimmigen Kanon. Die überlangen Triller im Klavier
haben hier noch eine humoristische Note und lassen noch nicht erahnen in
welche Höhen und Weiten sie uns in den Spätwerken (vgl. op. 111) führen werden. Danach drängen die Synkopen des Finales auf den Schluß und - bevor der
Vorhang fällt - auf ein letztes Auftreten des Gassenhauers.
-PAUSELudwig van Beethoven
Septett für Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass
Es-Dur op. 20
Adagio - Allegro con brio
Adagio cantabile
Tempo di Menuetto
Tema. Andante con Variazioni
Scherzo. Allegro molto e vivace
Andante con moto alla Marcia - Presto
Johannes Gmeinder, Klarinette
Guilhaume Santana, Fagott
Victoria Duffin, Horn
David Grimal, Violine
Jone Kaliunaite, Viola
Adnana Rivinius, Violoncello
Endika Rodriguez, Kontrabass
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Seit der ersten öffentlichen Aufführung am 2. April 1800 zu Beethovens erster
„großer musikalischer Akademie“ - einer Benefizveranstaltung von, mit und für
den Komponisten, bei der unter anderem auch die erste Sinfonie und das erste
Klavierkonzert erklangen - war das Septett Beethovens Kassenschlager und bis
über seinen Tod hinaus sein meistgespieltes Werk. Mit der Veröffentlichung
konnte es dem Komponisten daher nicht schnell genug gehen. Er fürchtete gar,
daß heimliche Abschriften der Kopie, die er der Widmungsträgerin zukommen
ließ, noch vor der offiziellen Druckversion in Umlauf gelangen könnten und
schrieb an seinen Verleger: „Mein Septett schikt ein wenig geschwinder in die
Welt – weil der Pöbel drauf harrt.“ Zudem habe keines der sieben Instrumente
eine nebensächliche, oder gar zu vernachlässigende Rolle, „tutti obligati“
betont er und fügt mit der Ironie eines gesunden Selbstbewußtseins hinzu:
„Ich kann gar nichts unobligates schreiben, weil ich schon mit einem obligaten
accompagnement auf die Welt gekommen bin.“ Der Praktikabiliät halber sind
jedoch kurze Zeit später bereits Transkriptionen erhältlich: für Klaviertrio, Flöte
und Streichquartett, Klavier zu vier Händen, für eine reine Bläserbesetzung
u.s.w. Der anfängliche Stolz („Das ist meine Schöpfung“, in Anspielung auf das
gleichnamige Werk seines Lehrers Joseph Haydn), wich mit den Jahren einem
Unmut über die in den Augen Beethovens übermäßige Wertschätzung einer
Komposition, die er der Form nach als Divertimento bzw. Serenade, also als
Unterhaltungsmusik angelegt hatte. Zusammen mit dem Gassenhauertrio zählt
Beethovens Septett zu den heitersten und eingängigsten Werken seines Schaffens. Der zweite Satz dort und der dritte Satz hier teilen sich vielleicht nicht zufällig melodisches Material. (Beet-hoven zitiert sich selbst, genauer gesagt das
Menuett aus seiner Sonata facile op. 49 Nr. 2, deren hohe Opuszahl über ihre
Entstehungszeit hinwegtäuscht). Und apropos Gassenhauer: das Thema der
Variationen (IV. Satz) war derart beliebt, daß es als angebliches rheinisches
„Schifferlied“ 1838 in eine Volksliedsammlung Eingang fand.
8. HfM-Woche der Kammermusik
Kammermusik von
Ludwig van Beethoven &
Dmitri Schostakowitsch
Veranstalter
Hochschule für Musik Saar in Zusammenarbeit mit SR2 KulturRadio
Mit freundlicher Unterstützung der Vereinigung
der Freunde und Förderer der HfM Saar (FuF)
Künstlerische Leitung der Kammermusik-Woche
Prof. Tatevik Mokatsian
Programmtexte
Wenzel Gummer
Eintrittspreise
6,- / 3,- Euro (ermäßigt) pro Konzert
Für HfM-Studierende ist der Eintritt bei allen Konzerten frei
*FuF-Konzert: für Mitglieder des HfM-Fördervereins frei
Karten
An der Abendkasse sowie an allen VVK-Stellen
und unter www.ticket-regional.de
© 2015 Hochschule für Musik Saar
Bismarckstr. 1, D-66111 Saarbrücken
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