KUNST-SPECIAL Frühjahr 2015 MAGISCHER POP: ART-COLOGNE-PREIS FÜR HANS MAYER DIE JUNGEN & DIE BESTEN AUF DER KÖLNER MESSE KUNST-FRÜHLING: REMBRANDT UND CO. IN BELGIEN UND NL IMI KNOEBELS KERNSTÜCKE IN KREFELD INHALT IMPRESSUM K.WEST SPECIAL: KUNST 2015 SONDERAUSGABE K.WEST SPECIAL KUNST 2015 4 MAYERS MAGIE DER BILDER, TÖNE UND STOFFE Art-Cologne-Preis 2015: Interview mit Deutschlands wichtigstem Galeristen 8 NEU IN DER KOJE Zu Besuch bei den Youngsters der Art Cologne Tel.: 0201/86 206-33 Fax: 0201/86 206-22 www.kulturwest.de 12 WEGWEISER Wohin auf der Art Cologne? Unsere Tipps für den Messe-Rundgang REDAKTION V.i.S.d.P.: A. Wilink 16 SCHAU DICH UM Lust auf mehr nach der Art Cologne? Ausstellungen, die man nicht verpassen sollte. K.WEST erscheint monatlich im Verlag K-West GmbH Heßlerstraße 37 45329 Essen MARKETING MaschMedia, Oberhausen LAYOUT Herweg / Michalakopoulos Pecher 20 15 RESTAURANTS FÜR DEN ABEND NACH DER ART COLOGNE 24 CHINA IMPORT Großprojekt für ein Riesenland: Acht Mal China in NRW 25 ZEITREISE AUFS LAND Martin Rosswog in der Photographischen Sammlung / SK Stiftung Köln DRUCK Hitzegrad Print Medien & Service GmbH, Dortmund TITELFOTO RUDOLF BONVIE Aussi pour Sophie, 2014 178 x 122 cm, ed. 3 digital collage, c-print #RB010 © Rudolf Bonvie, courtesy | PRISKA PASQUER 26 KOSTEN NUTZEN RECHNUNG Ach Achenbach: Eine Analyse. 28 ALLES GANZ EINFACH Imi Knoebels Frühwerk in Krefeld 32 Triumph des alters Amsterdam zeigt das Spätwerk von Rembrandt. 36 WOHIN MAN AUCH SCHAUT Ab ins Ausland: Top-Ausstellungen in Belgien und den Niederlanden Labor-Workshop mit Künstlerkollektiv KUNSTrePUBLIK Leitung: Matthias Einhoff, Harry Sachs ¶ 10. bis 12. Jul 2015 I bk 11 - 2015 Spätestens seit den 1960er Jahren eignen sich Künstler_innen den städtischen Raum als Handlungsraum an. Mit unterschiedlichen Konzepten und künstlerischen Interventionen wird dabei auf urbane Konfliktfelder, gesellschaftliche Ein- und Ausschlüsse reagiert und sich kritisch eingemischt. Das Künstlerkollektiv KUNSTrePUBLIK arbeitet in diesem Feld oftmals in Form eines mobilen Labors mit unterschiedlichen künstlerischen Praktiken und Konzepten. Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel www.bundesakademie.de I Programmbereich Bildende Kunst K.West Special Art Cologne.indd 1 16.03.2015 10:40:20 4 | SPECIAL KUNST MAYERS MAGIE DER BILDER, TÖNE UND STOFFE INTERVIEW: ALEXANDRA WACH Hans Mayer und Max Bill, Op art Galerie, Esslingen 1965. Kaistrasse, 1990. Hans Mayer und Karl Lagerfeld, Galerie Hans Mayer, Düsseldorf, Kaistrasse, 1989. K.WEST 04/2015 | 5 Hans Mayer und Keith Haring, Galerie Hans Mayer, Düsseldorf, Kaistrasse, 1990. Alle drei Fotos: Courtesy Galerie Hans Mayer. Mit 25 Jahren debütierte er in einem ehemaligen Sarglager mit einer Josef Albers-Ausstellung. In Esslingen und Krefeld setzte sich Hans Mayer für die Op-Art ein und ließ auf seinen Vernissagen Rockbands auftreten. Selbst vor Theater-Events und Modenschauen eines Emmanuel Ungaro schreckte der Galerist nicht zurück. Mitbegründer der ersten Kunstmesse der Welt in Köln von 1967, zog er vier Jahre später zum Grabbeplatz nach Düsseldorf. Von hier aus entdeckte er die amerikanische Pop Art, integrierte die Fotokunst von Peter Lindbergh, Helmut Newton oder Dennis Hopper in sein facettenreiches Programm und holte die amerikanische Szene der 1980er an den Rhein, bevor die Protagonisten wie Basquiat oder Keith Haring viel zu früh aus dem Leben schieden. Jetzt bekommt der Senior-Galerist mit einem Faible fürs gattungsübergreifende Cross-Over den Art-Cologne-Preis 2015. Foto: Michael Dannenmann. K.WEST: Herr Mayer, Sie schauen von Ihrem Schreibtisch aus auf blinkende Monitore von Nam June Paik. Warum haben Sie diese Arbeit ausgewählt? MAYER: Obwohl sie schon fast 30 Jahre alt ist, scheint sie gar nicht gealtert. Sie versprüht immer noch eine unglaubliche Frische. Paik war als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie eher ein Außenseiter. Er hat das Unterrichten im Gegensatz zu vielen anderen aber sehr ernst genommen. Wenn er Deutsch sprach, hörte es sich gleichzeitig wie Englisch und Koreanisch an. Das hat aber gar nichts ausgemacht, denn verstanden hat man sich immer. K.WEST: Dass Sie als ausgebildeter Industriekaufmann und Verkäufer von Designmöbeln 1965 eine »(op)art galerie« in Esslingen aufgemacht haben, versteht man nicht auf Anhieb. MAYER: Mein Interesse für Kunst fing bereits in meiner Geburtsstadt Ulm an. Die Hochschule für Gestaltung mit Max Bill als Leiter hatte großen Einfluss auf mich. Dann traf ich den FAZ-Kunstkritiker Albert Schulze-Vellinghausen, der mich darauf brachte, eine Galerie zu eröffnen. Er empfahl mich auch bei Josef Albers, mit dem ich die erste Ausstellung machte und der damals in Deutschland ignoriert wurde. Esslingen hatte den Vorteil, dass eine Galerie mit kinetisch-konstruktivistischer Kunst dort in der Provinz sofort auffiel. Wir waren schnell ein Begriff in ganz Deutschland. 6 | SPECIAL KUNST K.WEST: Da haben Sie ja auch mit spektakulären Crossover-Events nachgeholfen. Berühmte zeitgenössische Musiker, Modenschauen und das noch unbekannte Living Theatre traten bei den Vernissagen auf. MAYER: Zum Beispiel hat auch Lily Greenham damals Schwitters Lautgedichte erstklassig vorgetragen. Wenn ich eine gute Eröffnung hatte, waren 600 bis 1000 Leute da. Die haben zwar kaum gekauft, aber das Echo war enorm. Bei den klassischen Kunstliebhabern kam das damals gar nicht gut an! Oder in Amsterdam hatte ich Julian Beck vom Living Theatre bei einer Ausstellung von Willem Sandberg kennengelernt, der damals mit seinen innovativen Museumsideen Furore machte. Ich lud die Truppe nach Deutschland zur Eröffnung von Julio Le Parc ein. Sie brauchten einen Bus, Duschen, eine Unterkunft. Ich gab ihnen einen Scheck über 3000 D-Mark ohne Quittung und hoffte, dass sie wirklich kommen. Das Landestheater in Esslingen war für Sonntag gebucht. Im Vorverkauf war alles ausverkauft, der Vorplatz voll von Menschen, unter ihnen wichtige Museumsleute, nur die Schauspieler waren nicht da. Es war peinlich. Plötzlich kam dann ein holländischer Bus vorgefahren, Julian Beck stieg aus und fragte ganz lässig: »Should we play here? Ok. Let’s start!« Damit begann die Vorstellung und dauerte schließlich über drei Stunden. K.WEST: In Krefeld gingen Sie 1967 eine Partnerschaft mit der 30 Jahre älteren Pariser Galeristin Denise René ein und eröffneten dort eine Dependance zu Esslingen. 1969 kam dann noch eine zusätzliche gemeinsame Galerie in Düsseldorf dazu. MAYER: Wir zeigten gleich in der ersten Krefelder Ausstellung »Vom Konstruktivismus zur Kinetik« unter anderem Victor Vasarely, Julio Le Parc und Heinz Mack. Dann ging 1967 durch die Weltpresse die Marina City von Bertrand Goldberg. Er war als Amerikaner einer der letzten Studenten am Bauhaus in Berlin gewesen, wo er bis 1933 im Büro von Mies van der Rohe gearbeitet hatte. Wegen der Nazis ist er zurück nach Chicago gegangen. Ich habe ihn dort 1966 besucht, und es war sofort eine große Sympathie da. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht in Krefeld aus Anlass meiner Ausstellung »Kunst für die Architektur« einen Vortrag halten möchte. Er sagte zu, und auch der Architekt Werner Ruhnau, der zusammen mit Yves Klein, Norbert Kricke und Jean Tinguely das Musiktheater in Gelsenkirchen entwarf, war dabei. Um das Ereignis zu feiern, organisierte ich schnell ein Fest mit The Who, The Rattles und den Small Faces, die ich über den Besitzer des Star-Clubs in Hamburg vermittelt bekam. Ich war eben schon damals viel unterwegs. K.WEST: Sie und Denise René haben also gemeinsame Aktionen realisiert, aber es gab auch unterschiedliche Einschätzungen von Kunst? MAYER: Ja. Das Programm aus Frankreich dominierte lange, was ich unbedingt ändern wollte und auch tat – mit Namen wie Yves Klein, Lucio Fontana, Arman, Ellsworth Kelly oder Cy Twombly. Die Trennung kam dann aber erst 1986, sehr fair und mit großer Geste von Denise, obwohl ich den eigentlich rechtlichen Schnitt sehr schlecht geplant hatte, nämlich genau zur Eröffnung der Kunstsammlung in Düsseldorf. Mein eigenes Programm, fern der strengen Ausrichtung von Denise, habe ich eigentlich richtig erst um 1980 mit Warhol verfolgt. Sie war von dieser Entwicklung nicht gerade begeistert. Und auch bei den Museumsleuten brauchte es lange, bis sie Warhol ernst nahmen. Ab seinem Treffen mit Beuys bei mir in der Galerie kam er dann in den folgenden Jahren häufig zu mir, und die Einstellung zu seiner Kunst änderte sich so langsam. K.WEST: Was zeigten Sie ihm? Hans Mayer, Galerie Hans Mayer, Düsseldorf, 2008. Foto: Ralph Goertz. Kaistrasse, 1990. Courtesy Galeri MAYER: Wir sind kreuz und quer durch die BRD zu aufregenden Ausstellungen, zu herausragenden Kulturdenkmälern wie Barockkirchen und zu Sammlern gefahren. Kurz bevor Warhol 1987 starb, hatte ich einen großen Auftrag für ihn von Mercedes-Benz, über 80 Porträt-Bilder der legendärsten Automodelle. Später gab es Probleme mit Fotorechten, es zog sich hin. Es wurden nur 37 Bilder hergestellt, und Edzard Reuter, der damalige Chef von Mercedes, wollte das Studio besuchen, um einige von ihnen anzuschauen. Leider aber wurde der Termin um vier Tage verschoben, da Warhol ins Krankenhaus musste, angeblich nichts Ernstes. Am Sonntagabend kam dann die Nachricht, dass er gestorben war. Bis heute ist nicht klar, was da wirklich passiert ist. Die Bilder gingen dann zehn Jahre auf Tournee durch Museen. Trotz der Tragik seines plötzlichen Todes war das natürlich für die Wahrnehmung seiner Kunst ein großer Entwicklungsschritt. K.WEST: Im gleichen Jahr hat sich Robert Rauschenberg vom U-BahnBau vor Ihrer Galerie inspirieren lassen. MAYER: Er hat sich einfach um die Ecke ein Absperrschild geholt und es für seine Skulptur verwendet, die vor Ort entstehen sollte. K.WEST: Nach den Pop-Art-Heroen Warhol und Lichtenstein brachten Sie die nächste Generation von US-Amerikanern nach Deutschland: Basquiat und Keith Haring, der nur drei Wochen vor seinem Aids-Tod bei Ihnen einen Sportwagen bemalte. MAYER: Es war faszinierend, Haring beim Arbeiten zuzusehen. Er hatte seine Bilder im Kopf und malte in einem Zug. In den 90ern kamen dann noch Tony Oursler mit seinen Videos und Robert Longo dazu, mit denen ich seitdem regelmäßig zusammenarbeite, auch zeitgenössische Maler wir Markus Oehlen und Ben Willikens. Phänomene wie die Modefotografie eines Helmut Newton, Karl Lagerfeld oder Peter Lindbergh hatten ebenso früh Platz in meinem Programm, obwohl man sie damals im Kunstkontext noch eher ablehnte. Die Ausrichtung wurde immer breiter, bis hin zu den Arbeiten eines Jürgen Klauke, auf den sich heute viele junge Kreative beziehen. Und auch Ausstellungen mit Architekten haben mich immer wieder interessiert. K.WEST: Sie waren 1967 Gründungsmitglied des Kölner Kunstmarktes und auch bei der ersten Art Basel bereits dabei. MAYER: Der Kunstbetrieb hat sich seitdem unglaublich beschleunigt. Auktionshäuser bieten inzwischen junge Gegenwartskunst an. Ohne diese Teilnahmen an den internationalen Messen könnte die Galerie finanziell bis heute nicht existieren. Aber auch ohne Enthusiasmus und Neugier sind keine Entdeckungen von neuen Positionen zu haben, die letztlich eine Galerie am Leben erhalten. K.WEST: Zum 40-jährigen Jubiläum zeigten Sie in der Langen Foundation in Neuss eine Auswahl von Werken, die über Ihre Galerie einen Käufer gefunden haben. Der Wert von manch einem dieser Verkäufe hat sich inzwischen vertausendfacht. Die Elektro-Pioniere Kraftwerk aber ließen ihre 3D-Video-Musik-Performance zur Wiedereröffnung Ihrer Räume am Grabbeplatz unentgeltlich laufen? MAYER: Ich kenne Kraftwerk seit ihren Anfängen und habe ihnen auch oft geholfen. Sie hatten mir seit Jahren ein Konzert versprochen. Neben dem Auftritt von Steve Reich 1972 ist diese Performance zu einem meiner aufregendsten Musik-Ereignisse geworden, wenn es auch nur 20 Minuten dauerte. Die Stadt hatte einen längeren Auftritt nicht genehmigt. Und obwohl wir ihn bewusst nicht in den Medien angekündigt hatten, sprach er sich blitzschnell per Mundpropaganda herum. Die Galerie, ja der gesamte Grabbeplatz, platzte aus allen Nähten. Ein tolles Geschenk! ie Hans Mayer. ,6-563 #f30,3& '&-% 4UBEUXJF4BNUVOE4FJEF 8 | SPECIAL KUNST NEU IN DER KOJE TEXTE: STEFANIE STADEL Sie sind jung. Haben das Studium noch nicht lange hinter sich und erste Galerie-Ausstellungen gemeistert. Nun wartet der große Auftritt auf die drei. Denn sie zählen zu den gut 20 ausgewählten »New Positions«, die sich bei der Art Cologne in einer Einzel-Koje ausbreiten können. K.WEST hat sie wenige Wochen vor der Messe besucht. Und nachgeschaut, wie sich die Neuen auf das Solo vor großem Publikum vorbereiten. Philipp Hamann PHILIPP HAMANN Noch eine Treppe und noch eine und noch eine, bis es nicht mehr weitergeht. Unter dem Dach des Altbaus im Kölner Süden steht hager Philipp Hamann in der Wohnungstür. Viel weiter als halb lässt sie sich nicht öffnen, dann haut das Türblatt gegen die selbstgezimmerte Holzbank im engen Flur. Er habe schon oft daran gedacht, eine Ecke von der Bank abzusägen, bemerkt Hamann. Er bastelt gern. Die Bank ist ihm allerdings etwas zu lang geraten. Überhaupt scheint das Platz-Problem eines zu sein, das sich durch die ganze kleine Wohnung zieht und im Arbeitszimmer besonders augenfällig wird: Vollgestopfte Schränke und Regale, Fotos, Schnipsel, Kleinkram überall. »Es ist wie in meinen Arbeiten«, sagt der Künstler. Und man braucht sich nur wenige von Hamanns Werken anzuschauen, um ihm Recht geben zu können. In den Lege- und Klebebildern, den Collagen, den Videos, den Räumen kommt tatsächlich all das zusammen, was er findet, sammelt, archiviert, film, fotografiert oder recherchiert. Manchmal legt er noch eine Matratze dazu, wie bei einer seiner letzten Ausstellungen. Dort könnte man sich dann niederlassen und den Erlebnissen und Gedanken des Künstlers nachhängen. Denn egal, ob er filmt, klebt oder zusammenlegt, die meiste Zeit geht es ihm darum, die eigenen Eindrücke, Erlebnisse zu ordnen, zu klären. Situationen, Zusammenhänge zu erfassen und sie von der persönlichen auf eine allgemeingültige Ebene zu heben. Seine Papierarbeiten muten dabei zuweilen an wie ein Puzzlespiel, oder – noch besser – eine Mind-Map. Etwa, wenn Hamann der Vita und dem Wesen des eigenen Großvaters nachspürt, den er selbst nie gesehen hat. Es gleicht einem langsamen Kennenlernen – durch Fotos, Bilder, alte Zeitungsauschnitte, durch Dinge, mit denen der Opa sich umgab. Der Künstler trägt das alles zusammen und bringt es durch seine Arbeiten in eine Ordnung. Auch eigene Erlebnisse werden auf diese Weise »verarbeitet«. Hamann holt ein großes Plakat aus dem Nebenraum – darauf die Konturen eines Mannes mit Rucksack und Hut. Drunter, drüber und daneben hat er Fotos, Fundstücke und handschriftliche Notizen angeordnet, die mit diesem Mann zu tun haben. Alles dreht sich um jenen Wanderkünstler, den Hamann vor einiger Zeit bei einem Arbeitsaufenthalt an der Ostsee kennengelernt hat. Zunächst sei er fast ein Freund gewesen, doch bald habe sich der Fremde immer mehr aufgedrängt, man sei ihn kaum mehr losgeworden. Diese ganze Geschichte bringt Hamann aufs Papier, das er demnächst wohl in die Einzel-Koje am Messestand der Kölner Galerie M29 hängen wird. Dort soll es neben weiteren collagierten Werken und einer Videoarbeit wirken. Medial scheint der 1984 in Bayreuth geborene Künstler kaum festgelegt – und auch thematisch nicht. Hamann interessiert vieles: Nach dem abgebrochenen geisteswissenschaftlichen Studium, das ihn fürs Lehramt qualifizieren sollte, fand er auf internationalen Umwegen nach Köln an die Kunsthochschule für Medien in die Klasse von Jürgen Klauke. Mehr als der beeindruckte Hamann jedoch ein Seminar über Tagebuch-Filme bei Matthias Müller. Es brachte Hamann auf Ideen, die er noch heute – auf seine eigene Weise – weiterführt. Nebenbei verliert er seine Bastel-Leidenschaft aber nie ganz aus den Augen. Als Beleg dafür steht eine Art Kapitänsbrücke im Arbeitszimmer: Auf dem Podest aus einem ehemaligen Lattenrost ist ein Steuerrad montiert. Wenn Hamann mal abschalten will, stellt er sich dahinter und dreht es sachte hin und her. Für die Art Cologne will er selbst ein paar Tage lang auf solche Entspannungsübungen verzichten und das BastelKunststück in die Koje verpflanzen. Hoffentlich gibt es dort genug Platz – und keine Tür, die dagegen hauen könnte. Andrea und Anita, München 2007 © Herlinde Koelbl HERLINDE KOELBL Sabrina Fritsch 25. 1. – 3. 5. 2015 GREEN CITY Geformte Landschaft – Vernetzte Natur Das Ruhrgebiet in der Kunst 10. 5. – 13. 9. 2015 © Ruthe, Sauer, Flix stört hier nichts – allenfalls die schöne Aussicht könnte ablenken. Fritsch kann sich von morgens bis abends auf die Malerei konzentrieren, die sie auf der Art Cologne zeigen will. Und sie genießt es, erstmals an mehreren Werken gleichzeitig arbeiten zu können. Wenn es passt, will sie sieben Großformate in die Koje hängen und einige kleinere Arbeiten zur Auflockerung. Fast alle sind schon da – allerdings keines ganz fertig. Ringsum warten sie an den Wänden oder liegen auf Böcken bereit und wecken die Neugier. Doch bevor Fritsch über die vermeintlichen Hauptsachen spricht, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf eine klobige Maschine mitten im Atelier. Das Ding sieht aus wie ein ausrangierter Kopierer. Ein Risograph, klärt die Künstlerin auf. Er bildet die Vorlagen nach Art der Siebdrucktechnik ab, bringt die Farbe durch eine durchlöcherte Folie aufs Papier. Praktisch das ganze vergangene Jahr hat die Malerin damit verbracht, ihr Archiv durch den Risographen zu jagen: Fotos, eigene Werke, Fundstücke. Ein alter Malerlappen war auch dabei. Insgesamt 583 Motive sind auf drucktechnischem Weg in etwas Neues verwandelt worden. Fritsch hat die Blätter in Büchern gruppiert – jedes ein Unikat. Aus diesem gedruckten Archiv schöpft sie zum Teil nun auch Vorbilder für ihre neuesten Arbeiten. Mal ist es ein zerknicktes Papierband, das sie auf den Risographen gelegt hat. Ein andermal hatte sie beim Malen Pflanzenformen im Kopf. Dann wieder dachte Fritsch an Licht, das durchs Rollo fällt, und überzog die Leinwand mit gleichmäßigen Streifen. Gern gibt die Malerin Auskunft über solche gegenständlichen Anlässe, die in den meisten ihrer Bilder jedoch nahezu zum Verschwinden gebracht werden. Das braucht Zeit, viel Zeit. Schicht für Schicht bringt Fritsch unterschiedliche Malmaterialien auf die Leinwand: Sie zeichnet, malt mit Öl, Acryl, manchmal auch mit Tusche. Oft klebt sie grobes, poröses Gewebe aus Jute auf, streicht Acrylpaste darüber, um sie nach dem Trockenen abzuschleifen und so zu glätten. Die Ergebnisse sind im wahrsten Sinne vielschichtig. Könnte sie sich einen Betrachter aussuchen, so Fritsch, dann wäre es einer, der viel Zeit und Ruhe mitbringt. Viersen lädt zur Muße ein. Im Kölner Messe-Trubel wird man sie sich erkämpfen müssen. Flightbike, 2009 © Klaus Geigle/ VG Bild-Kunst, Bonn 2014 SABRINA FRITSCH Aus dem Date in Düsseldorf wird nichts. Hier hatte sie 2008 ihr Akademie-Studium abgeschlossen und bis vor kurzen auch gelebt. Doch nun hat die Künstlerin ihren Wohnort vorübergehend gewechselt. Sabrina Fritsch ist nach Viersen gezogen. Wegen des Freundes, der hier ein Stipendium hat. Aber auch, weil sie sich von der Kleinstadt mehr Ruhe verspricht, die sie suchte für die Vorbereitungen auf die Einzelpräsentation am Stand der Düsseldorfer Galerie Van Horn. Mehr Platz hat Fritsch am Niederrhein noch dazu gewonnen: in einem riesigen Atelier auf dem vierten Stock einer ehemaligen Tuchfabrik. In der Tat Das deutsche Wohnzimmer, Spuren der Macht, Haare und andere menschliche Dinge – Fotografien von 1980 bis heute RUTHE · SAUER · FLIX DAS IST DOCH KEINE KUNST Comics und Cartoons zwischen Shit happens, NICHTLUSTIG und Schönen Töchtern 20. 9. 2015 – 17. 1. 2016 Kunst erleben neben CentrO und Gasometer… 2015 www.ludwiggalerie.de | Tel. 0208 41249 28 10 | SPECIAL KUNST ALEXANDER BORNSCHEIN Alexander Bornschein. Foto: Stanton Taylor INFO Die Art Cologne findet vom 16. bis zum 19. April 2015 in Halle 11 der Kölner Messe statt. Tel.: 0221 / 8210. www.artcologne.de Lässig lehnen sie an den Wänden. Die Plexiglasscheiben sind so groß und dünn, dass sie leicht durchhängen. Transparente Partien erlauben Durchblicke. Doch weite Teile sind bedruckt: Abstrakte Formen überlagern fotografische Motive, die mitunter an die Auslagen von Edel-Boutiquen erinnern. Mit solchen Arbeiten gab Alexander Bornschein kürzlich sein erstes Solo in Linn Lühns Düsseldorfer Galerie. Nun möchte man den Künstler kennenlernen. Doch ist es schwierig, ihn dieser Tage zu Hause zu erwischen. Kurz in Düsseldorf, macht er sich gleich darauf schon wieder auf den Weg. Nicht in Sachen Kunst ist Bornschein so oft auf Achse, sondern in Diensten diverser Bands, für die er hinter dem Mischpult steht. Und sich nebenbei daran freut, Verbindungen zu entdecken zwischen dem Gebaren in der Musikbranche und jenem im Kunstbetrieb – die Unterschiede seien gar nicht so groß, bemerkt der junge Mann mit den ratzkurzen Haaren. Vorerst ist er in beiden Welten zu Hause. In der einen sieht der 29-Jährige seine Berufung. In der anderen verdient er das Geld, um die halbe Miete zu zahlen für die Wohnung an der Graf-Adolf-Straße, die er sich mit einem Kollegen teilt. Seitdem er letzten Sommer das Kunststudium bei Christopher Williams in Düsseldorf zum Abschluss gebracht hat, wohnt und arbeitet Bornschein hier. Das dunkle Laminat im geräumigen, aufgeräumten BüroAtelier sieht tadellos aus, und man mag kaum glauben, dass all die großformatigen Siebdruckarbeiten der vergangenen Monate vor Ort auf dem Fußboden entstanden sind. Da er nun ohne das nützliche Gerät in den Akademie-Werkstätten auskommen muss, hat Bornschein sich aufs Improvisieren verlegt. Der Künstler nennt es Freestyle, wenn er die abstrakten, formlosen Gebilde durch ein großes, teils mit Klebestreifen abgedecktes Sieb auf die Scheiben bringt. Der erste Arbeitsschritt. In einem zweiten wählt Bornschein fotografisches Material aus, das dann von einem Spezialbetrieb aufgedruckt wird. Bereits während des Studiums hatte er den Siebdruck für sich entdeckt. Und schon immer spielte das Material des Bildträgers eine nicht unwesentliche Rolle. Bornschein druckte auf Fahnenstoff oder auch auf Holzfurnier. Jetzt also Plexiglas. Es scheint wie gemacht für jene Idee, die ihm durch den Kopf geht: Interessiert habe ihn der Blick in Schaufensterräume – in perspektivische Räume, die als Display organisiert und nicht zum Betreten gedacht sind. Der Blick auf Dinge, die das Begehren wecken wollen. Dabei geht es offenbar weniger um das Gezeigte an sich – die Kleidung also. Wichtiger sind wohl übergeordnete Kategorien: Der Raum, das Präsentieren, das Betrachten. In seinen Bildobjekten aus Plexiglas versuche er daraus eigene »Strukturen des Sehens« abzuleiten, so Bornschein, der sich überhaupt nicht schwer damit tut, über die eigene Arbeit zu sprechen. Allerdings ist es nicht immer leicht, ihm ganz zu folgen. Lieber schaut man die einnehmenden Ergebnisse seiner Arbeit an. Blickt auf jene abstrakten Gebilde, die formal antworten auf die fotografischen Motive. Erkennt Bezüge zur umliegenden Architektur, die sich verdichten, wenn durch transparente Partien das räumliche Dahinter zu sehen ist. Etwas ganz Ähnliches plant der Künstler für seinen Auftritt bei der Art Cologne. Borscheins sonst durchweg ernste Mine hellt sich auf, wenn er sich vorstellt, dort einen ganzen Raum für sich zu haben – wo er »schnelle gute Blicke« bauen könne. Das sei für ihn das Spannendste. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 30. April — 5. Mai 2015 www.kurzfilmtage.de 12 | SPECIAL KUNST WEGWEISER TEXTE: ALEXANDRA WACH Ein halbes Jahrhundert hat sie auf dem Buckel. Doch gerade in den letzten Jahren zeigt sich die älteste aller Kunstmessen in Topform. Und so schaut die Kunstwelt gespannt nach Köln, wenn die Art Cologne Mitte April in die 49. Runde geht. Was erwartet uns? K.WEST hat sich umgesehen im Programm der rund 200 Galerien. Hier ein paar Tipps für den Messe-Rundgang. Blain/Southern Die Galerie Blain/Southern ist nicht nur in Berlin, sondern auch in London und New York vertreten. Bei der Art Cologne zeigt sie unter anderem Fotografien von Wim Wenders – und beweist damit vorbildliches Timing. Denn parallel läuft im Museum Kunstpalast in Düsseldorf eine große Schau, die sich dem fotografischen Schaffen des Filmemachers widmet. Für die Art Cologne hat Blain/Southern Architekturpanoramen aus Wenders’ Anfang der 1980er Jahre begonnener Fotoserie »Pictures from the Surface of the Earth« im Gepäck. Entstanden als Vorbereitung für den Film »Paris, Texas«, zeigen sie etwa Geschäftszeilen in Las Vegas – die typisch vereinsamte Ästhetik erinnert an Edward Hopper. Maria Lassnig: Der Jüngling, 2011. © Maria Lassnig. Foto: Jens Ziehe, Courtesy Capitain Petzel, Berlin. Galerie Capitain Petzel Wim Wenders: Safeway, Corpus Christie, Texas, 1983. Courtesy the artist and Blain/Southern. 2008 eröffnete die Kölnerin Gisela Capitain gemeinsam mit der New Yorker Petzel Gallery eine Dependance in Berlin, die von sich reden macht mit Solo-Ausstellungen schillernder Gegenwartskünstler wie Karla Black, Wade Guyton oder Sarah Morris, Monika Sosnowska oder Christopher Williams. Am Messestand auf der Art Cologne dürfte »Der Jüngling« der 2014 verstorbenen und lange verkannten Österreicherin Maria Lassnig buchstäblich abheben. »Die Bilder sollen lieber penetrant als elegant sein«, beschrieb die Künstlerin einmal ihre Absichten beim Malen menschlicher Körper. Weswegen auch der besagte junge Mann trotz Muskeln und Leggins alles andere als appetitlich aussieht. Als wüsste er von der Tragik seines verfallenden Fleisches, reißt er sich dramatisch die Brust auf. Ein Schmerzensmann, der den Betrachter bei den Rippen packt. K.WEST 04/2015 | 13 Chert 2008 eröffnete die Italienerin Jennifer Chert in Berlin-Kreuzberg ihre Galerie mit einem international ausgerichteten Programm junger Positionen. Nach dem Debüt 2010 kehrt sie im Segment New Contemporaries mit einem vielversprechenden Quartett zurück. Neben David Horvitz und Zora Mann ist auch Petrit Halilaj dabei, der zur gleichen Zeit in der Bundeskunsthalle und dem Kölnischen Kunstverein mit Einzelausstellungen aufwartet. Der aus dem Kosovo stammende Wahl-Berliner, Jahrgang 1986, ist mit Vogel-Zeichnungen vertreten. MARTIN ROSSWOG–– ENTLANG EUROPA 13.3.––9.8.2015 DIE PHOTOGRAPHISCHE SAMMLUNG Natalia Hug Die Kanadierin verschlug es in die Domstadt, nachdem ihr Mann Daniel Hug zum Direktor der Art Cologne gekürt worden war. Junge Künstler aus der Region, frisch aus den Akademien entlassen, sind seitdem ihr Spezialgebiet. Aber auch Nachwuchs aus dem englischsprachigen Raum findet bei ihr Gehör, etwa Corin Sworn, 1976 in London geboren und in Kanada aufgewachsen. Sie hat bereits Schottland bei der Venedig-Biennale vertreten. Sworn spürt in ihren Installationen, Filmen und Fotoarbeiten den Geheimnissen der Objektwelt nach. Und das mit dem Impetus einer belesenen Analytikerin. Im Sektor New Contemporaries zeigt Sworn Fotoexperimente aus der Edition »Felling the Pine Trees on the Plot« von 2014, die schon in der Langen Foundation in Neuss zu sehen waren. Die violett-gelb gefärbten Wiesenblumen erzeugen spätsommerliche Verfallsgefühle. Niels Borch Jensen Gallery Für Grafik-Liebhaber ist die Niels Borch Jensen Gallery eine gute Anlaufstelle. Dank einer Druckwerkstatt in Kopenhagen setzt sie die Vorstellungen der Künstler mit beachtlicher Präzision um. Auf der Liste langjähriger Partner finden sich Namen wie Georg Baselitz, Tacita Dean, Olafur Eliasson, Per Kirkeby, Tal R und Danh Vo. Seit 1999 existiert eine Dependance in Berlin. Am Stand von Niels Borch Jensen ist diesmal mit einer aktuellen Serie von Carsten Höller zu rechnen, die sich offenbar Hitchcocks Klassiker »Die Vögel« zum Vorbild genommen hat. Fotorealistisch anmutende Porträts von im Quartett auf einer Stange hockenden Vögeln variieren die Körpersprache der aufs Schönste menschelnden Federwesen. Photo: Martin Rosswog: Com Dhineol, County Kerry, Irland (Haus Gebrüder Daly), 1992 / 1993 © Martin Rosswog, Lindlar; VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Im Mediapark 7, 50670 Köln, Tel. 0221 888 95-300 · www.sk-kultur.de täglich außer Mi 14 bis 19 Uhr, Mo freier Eintritt Erwin wurm Am I still a House ? 11. 4. – 12. 7. 2015 Galerie Maulberger Seit über 30 Jahren bestreiten die Münchner ihr Programm mit deutscher Nachkriegskunst. Die Gunst der Stunde mit der großen ZEROSchau in Berlin nutzt man erwartungsgemäß, um den Ueckers und Pienes einen Parallelauftritt am Rhein zu ermöglichen. Heinz Mack ist zur Abwechslung mit Papierarbeiten von 1960 vertreten, die mit simpler Kreide den Effekt eines Urknalls zu erzeugen verstehen. Oder doch nur die mikroskopische Simulation eines Stofffetzens? Neben den Informel-Größen Karl Otto Götz und Emil Schumacher ist auch Bernard Schulze mit von der Partie. Man begeht den 100. Geburtstag des 2005 verstorbenen Abstrakten und zeigt das »Weisse Bild« – bereits 1959 war es auf der Documenta II in Kassel zu sehen. Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal · 0202 47898120 skulpturenpark-waldfrieden.de 14 | SPECIAL KUNST Repetto Gallery Die Londoner Galerie bespielt ihre Koje diesmal mit einer geballten Ladung Christo. In Collagen und Zeichnungen nimmt der Künstler 1982 die Reichstagsverhüllung von 1995 vorweg, oder ein Jahr später das erst 2005 realisierte Projekt »The Gates« im New Yorker Central Park. Mit Blick auf solche Arbeiten wird einem erst einmal bewusst, wie viel Zeit die Umsetzung der aufwendigen Projekte in Anspruch nahm. Auch der britische Land-Art-Klassiker Richard Long kommt bei Repetto reichlich zum Zug. Mit seinen auf Wanderungen in Kreisen geschichteten Steinskulpturen etwa, oder mit dekorativen Handabdrücken in Lehm, die, auf Holz gedrückt, den Charme einer Steinzeithöhle verbreiten. Galerie Wentrup Seit 2004 ist das Portfolio der Berliner auf 13 Positionen angewachsen, die von Malerei bis zu Video reichen. Einige der überwiegend jungen Künstler haben sich längst etabliert, etwa Gregor Hildebrandt oder Florian Meisenberg. Neben den weniger bekannten Miriam Böhm und Peles Empire möchte auch Timm Ulrichs die rheinische Sammlerschaft für sich gewinnen. Der ehemalige Professor an der Kunstakademie Münster beschäftigt sich in seinem seit fünf Jahrzehnten ausufernden und nicht gerade als marktgängig geltenden Werk mit der Frage nach dem Original und der Kopie. Die Arbeit »Form und Inhalt« etwa zeigt akkurat an einer Wand hängende Fotos von in der Form abweichenden Vasen, während auf Regalen darunter ihre weißen Ton-Imitate die richtige Zuordnung einfordern. Wie das Duell wohl ausgeht? Ernst Ludwig Kirchner: Gelbe Tulpen Stillleben mit »Bubu de Montparnasse«, 1918. Galerie Henze & Ketterer Die Schweizer sind seit Jahren ein Garant für Hochpreisiges auf der Art Cologne. Vor allem Ernst Ludwig Kirchner hat es den Spezialisten für den deutschen Expressionismus angetan. Diesmal verblüffen sie mit einer ganzen Einzelpräsentation des 1937 von den Nazis für »entartet« erklärten Malers und Grafikers, der ein Jahr darauf Selbstmord beging. Im Messe-Aufgebot findet sich neben halluzinogenen Wald- und Fantasielandschaften das drei Millionen Schweizer Franken teure »Gelbe Tulpen Stillleben mit Bubu de Montparnasse« von 1918: Eine prächtige Explosion gelber, orangener und roter Töne. Die ausschweifend gebogenen Blumen des Bösen fühlen sich – wie es scheint – zu einem Exemplar des Romans »Bubu de Montparnasse« von Charles-Louis Philippe hingezogen – ein Bestseller von 1901, der im Pariser Prostituierten-Milieu angesiedelt ist. Priska Pasquer Mit einer Spezialisierung auf Vintage-Fotografie der 1920er und 1930er Jahre fing es an. Dann weitete die Kölner Galerie von Priska Pasquer ihr Profil um zeitgenössische Kunstfotografie mit Schwerpunkt auf Japan aus. Inzwischen vertritt Pasquer auch Maler – unter den Neuzugängen im Programm findet sich der junge Bosnier Radenko Milak, der auf der Messe sein Projekt »365« präsentieren wird. Es besteht aus 365 Aquarellen, die historische Momente des 20. Jahrhunderts zeigen – Kriegsbilder aus dem Internet etwa, oder Porträts bekannter Persönlichkeiten aus Printmedien. Ebenfalls dabei ist der Medienkünstler Rudolf Bonvie, der sich ähnlich wie Milak dem Umgang mit Bildern im Netz widmet. Der Südafrikaner Pieter Hugo zeigt seine sozialkritischen Fotografien, für die er 2005 mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet wurde. Radenko Milak: 3 June 1924 - Franz Kafka died, aus der Serie »365 (Images of Time)«, 2013. © Radenko Milak, courtesy Priska Pasquer K.WEST 04/2015 | 15 K.WEST_92 x 127 mm_Uecker_Abo_Layout 1 20.03.15 10:59 Seite 1 ZWEIMAL HINGUCKEN UECKER? Sonderausstellungen auf der Art Cologne, an denen man nicht vorbeischauen sollte »Bookmarks« Bevor Ungarn unter der rechts-konservativen Regierung von Victor Orban die wiedergewonnene Demokratie zu verspielen anfing, arbeitete es nach der Wende von 1989 die kulturpolitischen Lücken auf, die das kommunistische Regime gerissen hatte. Dazu gehörten auch die verbotenen oder nur geduldeten Kunst-Strömungen der vergangenen Jahrzehnte. Große Budapester Institutionen zeigten die inoffizielle Kunst der 60er und 70er Jahre, die endlich aus dem Untergrund verschworener Gemeinschaften geholt wurden. Das tut jetzt auch eine Sonderschau im Eingang der Art Cologne mit der ungarischen Konzeptkunst, die hierzulande wohl nur Spezialisten bekannt ist. Als Kuratoren treten drei Galerien aus Budapest auf. Sie sind auch im Sektor Collaborations vertreten. Kisterem, acb und Vintage mischen Werke der einstigen Avantgarden mit ungarischen Zeitgenossen seit den 2010er Jahren. Die Gegenüberstellung geschieht nicht ohne Grund, denn viele der aktuellen Arbeiten beziehen sich auf Werke der unterdrückten Vorgänger, etwa Miklós Erdély oder den in Köln lebenden Endre Tót. Beide wurden in ihrem Land in den 90ern mit einer Retrospektive geehrt. Ob dies heute noch möglich wäre? ABO? 0201.8 62063 ANTWORTEN MONATLICH. KUNST, BÜHNE, MUSIK, DESIGN, FILM, LITERATUR DAS KULTURMAGAZIN DES WESTENS www.kulturwest.de oder Telefon 0201.8620633 »Wie die Pop Art nach Deutschland kam« Das Zentralarchiv des Internationalen Kunsthandels (ZADIK) widmet sich in seiner Sonderausstellung den ersten zehn Jahren der Pop Art in Deutschland. Die Schau stellt Rudolf Zwirner als Pionier in den Mittelpunkt, weil er die Richtung 1964 in seiner Kölner Galerie auf dem deutschen Kunstmarkt einführte. Seitdem waren die Ateliers der Pop Artisten vor seinen Besuchen nicht mehr sicher – unter anderen hatte Zwirner auch Peter Ludwig im Schlepptau. Auf Auktionen trat der junge Mann aus Cologne mit einem unersättlichen Kaufhunger hervor: 1970 ersteigerte Zwirner für den damaligen Rekordpreis von 75.000 Dollar ein Werk von Roy Lichtenstein. Noch nie war für einen lebenden amerikanischen Maler eine so hohe Summe ausgegeben worden. Castelli war über die Konkurrenz entsetzt – hatte doch bis dahin seine Frau Ileana Sonnabend in ihrer Pariser Galerie ein europäisches Monopol für die Pop Art. Der Rest ist Geschichte, die das ZADIK mit bisher unveröffentlichten Bild- und Textdokumenten wieder ins Gedächtnis ruft. 22.3. - 28.6.2015 VON DER HEYDT KUNSTHALLE WUPPERTAL-BARMEN von-der-heydt-kunsthalle.de 3 16 | SPECIAL KUNST KUNST SCHAU DICH UM Wer den Messe-Rummel satt hat, mag sich umsehen in den Museen. Köln und die Umgebung sind bekanntlich voll davon. Aber wohin? K.WEST weiß es. KÖLN MUSEUM LUDWIG ALIBIS: SIGMAR POLKE. RETROSPEKTIVE BIS 5.7.2015 In den Monaten vor seinem Tod im Juni 2010 hatte der Künstler noch Pläne geschmiedet. Hatte mit der Kuratorin in New York erste Überlegungen für diese große Retrospektive angestellt. Nach viel beachteten Stationen im Museum of Modern Art und in der Londoner Tate Gallery läuft sie nun etwas verändert im Museum Ludwig. Man weiß: Sigmar Polke ist der Erfinder des Kapitalistischen Realismus, der mit viel Ironie das eigene künstlerische und gesellschaftliche Umfeld bespiegelt. Aber auch als fantastischer Erfinder ist er bekannt und als beherzter Experimentator, der nach unerprobten Farbstoffen, Materialien und Chemikalien griff, um seine Malerei voranzutreiben. Doch gibt es auch weniger ausgeleuchtete Ecken im Œuvre. Ein großes Thema der Kölner Schau ist die multimediale Spannbreite seines Schaffens. Erstmals lässt man Polke mit seiner erstaunlichen Beweglichkeit in allen möglichen Gattungen glänzen. Und zum ersten Mal würdigt das Museum Ludwig Polkes Filme. museum-ludwig.de KÖLNISCHER KUNSTVEREIN PETRIT HALILAJ – ABETARE 17.4. BIS 2.8.2015 Seit einigen Jahren begegnet man ihm allenthalben in Museen und auf Biennalen. Überall zeigt Petrit Halilaj seine anrührenden Kunststücke, die fast immer mit der eigenen Biografie umgehen: Petrit war 13 Jahre alt, als er und seine Familie wegen des Krieges im Kosovo die Heimat verlassen mussten. Parallel zur Art Cologne ist er gleich an zwei Orten im Rheinland mit Solo-Ausstellungen präsent – in Bonn und in Köln. Eigens für die Ausstellung im Kölnischen Kunstverein hat der Künstler eine ganz neue Werk- gruppe produziert, die von seiner einstigen Schule im Kosovo handelt. Im Zentrum der Schau stehen Kritzeleien, die Schüler damals auf den Bänken und Tischen der Klassenräume hinterließen. Halilaj bildet sie stark vergrößert aus dünnen Stahlstangen nach: Häuser, Herzen, Vögel, Blumen, Autos, auch Gewehre erzählen von den Hoffnungen und Sorgen der Kinder von einst. koelnischerkunstverein.de WALLRAF-RICHARTZ-MUSEUM, FONDATION CORBOUT WERNER HERZOG & HERCULES SEGERS. SEELENLANDSCHAFTEN 14.4.BIS 12.7.2015 Rechtzeitig zur Messe holt sich das Wallraf-Richartz-Museum eine Europa-Premiere ins Haus. Werner Herzog heißt der Held des Frühjahrs. Allerdings ist es kein neuer Film des prominenten Regisseurs, den Köln zu bieten hat. Gezeigt wird eine Videoinstallation: Auf drei großen Wandflächen projiziert Herzog fünf Videos mit Landschaftsbildern des niederländischen Malers und Radierers Hercules Seghers, musikalisch untermalt vom Komponisten und Cellisten Ernst Reijseger. Bereits 2012 hatte Herzog diese Arbeit auf der New Yorker Whitney Biennale gezeigt. Im Wallraf steht »Hearsay of the soul« (Hörensagen der Seele) nun aber nicht mehr für sich, sondern Seite an Seite mit Seghers’ Werken – Radierungen und ein Gemälde. Denn Herzog selbst bezeichnete seine Installation als »Pilgerreise« zum Werk des Hercules Seghers – sicher einem der originellsten und experimentellsten Meister des Goldenen Zeitalters. Er schuf fantastische Landschaften, experimentierte mit diversen Radiertechniken und diente dem jungen Rembrandt als Vorbild. Herzog sieht in ihn gar als »Vater der Moderne«. www.wallraf.museum Werner Herzog: Installationsansicht von »Hearsay of the Soul«, Foto: Johanna Arnold, Courtesy CCA Wattis Institute for Contemporary Arts TEXTE: Stefanie Stadel K.WEST 04/2015 | 17 BONN BUNDESKUNSTHALLE »DER GÖTTLICHE – HOMMAGE AN MICHELANGELO« BIS 25.5.2015 Schon zu Lebzeiten eine Legende: Michelangelo Buonarroti, 1475 geboren und vor 450 Jahren in Rom gestorben. Man bewundert seine Statuen – den strotzenden David, die ergreifende Pietà. Ebenso die Malerei, etwa in der Sixtinischen Kapelle. Auch als Baumeister von Sankt Peter in Rom schrieb er Geschichte. Die Faszination für das Multitalent überdauerte die Jahrhunderte und hält bis heute. Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle nun geht Michelangelos erstaunlicher Wirkungsmacht anschaulich und mit wissenschaftlicher Gründlichkeit nach. Da trifft man etwa auf den jungen Raffael, der sich dem kolossalen David von schräg hinten mit seiner Zeichenfeder nähert. Oder Caravaggio, der bei seinem Johannesknaben offenbar an Figurationen aus Michelangelos Jüngstem Gericht dachte. Auch Rubens, Delacroix und Rodin, Beckmann und Henry Moore zählen zu den Nacheiferern. Sogar Robert Mapplethorpe. Sie alle und noch mehr sind zugegen in der Bundeskunsthalle. Nur einer fehlt: Der Göttliche selbst. Die Hommage an Michelangelo muss ohne Michelangelo auskommen. Zweifellos ein Manko der trotzdem sehenswerten Schau. bundeskunsthalle.de Abb.: Jule k. BUNDESKUNSTHALLE PETRIT HALILAJ BIS 18.10.2015 Zerfleddert und verstaubt war er, noch dazu fehlten dem kleinen gelben Kerl die Augen. So fand Petrit Halilaj den ausgestopften Kanarienvogel, irgendwo in den Kellern des 2001 geschlossenen Naturkundemuseum von Pristina, der Hauptstadt des vom Krieg gezeichnten Kosovo. Er ließ das Tierchen heimlich mitgehen, auch um es vor der Mülltonne zu bewahren. Über Jahre waren die Depots fest verschlossen, Halilaj gehörte zu den ersten, die sich dort umschauen durften und war tief betroffen über das, was er verschimmelt in Schränken und Kisten fand – 90 Prozent des Bestands waren ruiniert. In Bonn versucht der Künstler, das Verlorene zurückzuholen. Ob Pfau, Ferkel oder Flamingo – Halilaj hat sie mit Dung, Gras und Erde alle sorgsam abgeformt und im Ausstellungssaal arrangiert. Als einziges »Original« sitzt dort der Kanarienvogel, und blickt durch seine blaue Maske auf die merkwürdige Menagerie. bundeskunsthalle.de Schmallenberg 2015 Artist Sweethearts – Eine Ausstellung von und über Künstlerpaare 25. April bis 14. Juni 2015 • KÜNSTLERHAUS DORTMUND Mit Michel Aniol + Meike Kuhnert • Pascal Aperdannier + Anne Paschvoß Klaus Erich Dietl + Stephanie Müller • Guda Koster + Frans van Tartwijk Mandy Krebs + Marko Schiefelbein • Susanne Kutter + Markus Willeke Torben Laib + Madeleine Christin Leroy • Katharina Maderthaner + Christian Schreckenberger • Susanne Maurer + Marc Taschowsky Kihyun Park + Florian Rosier www.kh-do.de 18 | SPECIAL KUNST BONN KUNSTMUSEUM LARRY SULTAN BIS 17.5.2015 Seit 2004 machte er mit seinen Fotos aus dem amerikanischen Pornofilm-Milieu von sich reden. Trotzdem ist Larry Sultan hierzulande immer noch das, was man einen Geheimtipp nennt. Und so kann Bonn mit einer Premiere locken: Erstmals in Europa präsentiert das Kunstmuseum – kräftig unterstützt vom Kölner Galeristen Thomas Zander – einen großen Blick über das spannende Werk des 1946 geborenen und bereits 2009 verstorbenen US-Künstlers. Von den 70ern, als Sultan sich nahe der Konzeptkunst bewegte, führt der Weg bis zu »The Valley« – ihren Namen hat die Serie vom kalifornischen San Fernando Valley, einem Zentrum der amerikanischen Sexfilm-Industrie. Im Auftrag eines Magazins sollte Larry Sultan dort 1998 einen Branchenstar mit der Kamera bei der Arbeit begleiten. Aus dem Tagesjob wurde eine Arbeit von fünf Jahren. Rund hundert Pornofilm-Produktionen hat Sultan in dieser Zeit gesehen. Und dabei etliche Bilder aufgenommen – fast durchweg jugendfrei. kunstmuseum-bonn.de DÜSSELDORF KUNSTSAMMLUNG NRW, K20 UECKER BIS 10.5.2015 Rund um die Welt war Günther Uecker mit seinen Werken zu Gast. Bisher nur vereinzelt sah man sie jedoch in Düsseldorf, wo der 1930 in Mecklenburg geborene Künstler seit Jahrzehnten lebt und arbeitet. Die Kunstsammlung NRW holt das Versäumte nun nach und macht zwei große Hallen im K20 am Grabbeplatz frei für das erste große Heimspiel des 85-Jährigen, der noch immer unter den Schlagwörtern Nagel- oder Zerokünstler die Runde macht. Dabei hat er natürlich viel mehr zu bieten.. Davon zeugt die eher sparsame, dafür umso dezidiertere Auswahl von rund 60 Schlüsselwerken in Düsseldorf. Das Spektrum reicht vom anarchischen »Terrororchester«, das sich mit seinen fantastischen Krachmaschinen mitten in der Grabbehalle ausbreitet, bis zur tief meditativen »Sandmühle«, die gleich daneben Schnüre an Stangen um eine zentrale Achse kreisen lässt. Ihre verknoteten Enden durchpflügen einen aufgeschütteten Sandkreis, schreiben dem Sand Spuren ein und löschen sie gleich wieder aus. Für Uecker ein Sinnbild der verrinnenden Lebenszeit, ein Memento mori. kunstsammlung.de Günther Uecker: Bewegtes Feld, 1964. Collection Van Abbemuseum, Eindhoven, Niederlande, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 MUSEUM KUNSTPALAST WIM WENDERS. LANDSCHAFTEN. PHOTOGRAPHIEN 18.4. BIS 16.8.2015 »Wenn man viel unterwegs ist«, schreibt er, »wenn man gern umherstreift, um sich zu verlieren, kann man an den merkwürdigsten Orten landen.« Wim Wenders landete etwa im amerikanischen Westen, im deutschen Osten, in Australien, Südamerika, Südostasien, Armenien, Italien oder Japan. Und überall hatte er den Fotoapparat dabei. Die fotografische Arbeit sei inzwischen die andere Hälfte seines Lebens, sagt der durch Filme wie »Der Himmel über Berlin«, »Pina« oder »Das Salz der Erde« bekannte Regisseur. Zu Wenders' 70. Geburtstag zeigt das Museums Kunstpalast rund 80 seiner großformatigen Fotos und Landschaftspanoramen. smkp.de MÖNCHENGLADBACH MUSEUM ABTEIBERG SIGMAR POLKE. ANNÄHERUNG AN VENEDIG BIS 5.7.2015 1986 hatte Sigmar Polke seinen großen Auftritt im deutschen Biennale-Pavillon. Auch nach Venedig kam er natürlich nicht ohne seine Kamera – über zwei Jahre war der Künstler dort filmend unterwegs. Die nie zuvor öffentlich gezeigten Ergebnisse der Arbeit präsentiert nun das Museum Abteiberg. Man sieht, wie Polke sich in experimentell skizzenhaften, mehrfach belichteten Aufnahmen dem Ausstellungsort näherte. Der gründlichen Recherche folgten konkrete Vorarbeiten, die er mit der Kamera dokumentierte. Und schließlich die filmkünstlerische Bestandsaufnahme des vollends installierten Biennale-Zyklus, der dem Künstler damals den Goldenen Löwen einbrachte. Gleich im Anschluss an ihren Auftritt in Venedig gingen die gelblich-transparenten Lackbilder nach Mönchengladbach, wo sie jetzt Seite an Seite mit den Filmen zu sehen sind. www.museum-abteiberg.de NEUSS LANGEN FOUNDATION OLAFUR ELIASSON – BOROS COLLECTION 1994 – 2015 18.4. BIS 18.10.2015 Um die 50 Leute arbeiten in seinem Atelier: nicht nur Künstler, auch Architekten, Physiker, Ingenieure, Forscher unterschiedlicher Disziplinen. Alles fließt ein in die höchst effektvollen Großinstallationen des in Dänemark geborenen, auf Island aufgewachsenen, in Berlin und Kopenhagen lebenden und arbeitenden Künstlers. Mit Wasser und Licht, Wind, Nebel, Spiegeln und rotierenden Farben bringt er sein Publikum zum Staunen. Sicher auch in Neuss, wo nun um die 40 von Olafur Eliassons Kunststücken aus gut 20 Schaffensjahren zusammenkommen. Dabei schöpft die Schau ausschließlich aus dem Fundus des Medienunternehmers und Großsammlers Christian Boros. langenfoundation.de Erwin Wurm: Dismiss. © Jesse Willems K.WEST K.WEST04/2015 4/2015 | 19 WUPPERTAL SKULPTURENPARK WALDFRIEDEN ERWIN WURM – AM I STILL A HOUSE 11.4. BIS 12.7.2015 Bekannt wurde er mit seinen »One Minute Sculptures«, bei denen Erwin Wurm Mitmenschen in abenteuerlichen Posen vor die Kamera lockte – Damen mit Waschmittelflaschen unterm Kleid etwa oder Herren mit Spargelstangen in beiden Nasenlöchern. Und das war nur der Anfang. Immer wieder schickt sich der 1954 geborene Österreicher an, das Schöne, Feierliche, Hehre vom Podest zu schubsen und stattdessen hinauf zu hieven, was eigentlich nie dorthin gehörte: Mal sind es kleine Peinlichkeiten oder Inkorrektheiten. Mal sind es unmögliche Verformungen – Aufgeweichtes, Zerfließendes, Angeschwollenes, Aufgeblasenes. Im Skulpturenpark Waldfrieden präsentiert er nun Skulpturen, die sich das Motiv des Hauses vorknöpfen. Zentral ist die begehbare Plastik »Fat House« von 2004: Ein Landhaus in Originalgröße, das total verfettet erscheint. Im Inneren läuft ein Video, das die Skulptur per Computeranimation zum Sprechen bringt – im Monolog werden ganz ernsthaft existentielle Fragen erörtert. skulpturenpark-waldfrieden.de 20 | KUNST SPECIAL 15 RESTAURANTS FÜR DEN ABEND NACH DER ART COLOGNE HIP UND MITTEN IN KÖLN TEXT: MARTIN STEUER KÖLSCHE KLASSIKER Bar Schmitz Austern schlürfen im belgischen Jugendstil Was in den späten neunziger Jahren im Kölner Kreativviertel hip war, erfreut sich auch heute noch hoher Fluktuation. Das liegt auch daran, dass aus den einst armen Studenten zahlungskräftige Entscheider geworden sind. Die gönnen sich gern mal die mediterrane Küche, die immer auch Richtung Haute Cuisine schielt. Aachener Str. 34, Belgisches Viertel, www.salonschmitz.com/bar Essers Kaninchen aus der Eifel, Ochsen aus der Steiermark Mehrere österreichische Gastronomen haben sich in den letzten Jahren in Köln niedergelassen – dieser Ehrenfelder kocht besonders raffiniert. Alle Positionen der bunt wechselnden Tageskarte sind jeden Groschen wert, zum Beispiel der isländische Polarsaibling aus nachhaltiger Küstenfischerei. Ottostr. 72, Ehrenfeld, www.essers-gasthaus.de Funkhaus am Wallrafplatz Wirtschaftswunder-Ambiente an kreativer Küche Vor zwei Jahren öffneten die umtriebigen Kölner Gastronomen Diaz und Ranz die Fenster des bis dahin als Campi beliebten Cafés im WDRFunkhaus. Seitdem weht eine leichte Brise mediterraner Köstlichkeiten durch die traditionsreichen Räumlichkeiten, wo mit Blattspinat gefüllte Pfannkuchen oder ein ansprechendes Gemüse-Couscous für Auge und Mund reizvoll gestaltet sind. Wallrafplatz 5, Domnähe, www.funkhaus-koeln.de Fertig Urkölsche Einrichtung, französische Ausrichtung Es gehen auch in vierter Generation noch die alten Geschichten vom Gründer Jacob Fertig herum, der seine Gäste ganz wie ein kölscher Köbes gern unflätig bediente. Ingo Fertig hat den Service nach wie vor nicht um die Möglichkeit der Kartenzahlung oder Reservierung erweitert, aber serviert hervorragende französische Küche zu vorbildlich kalkulierten Preisen. Bonner Str. 26, Südstadt, Tel. 801 73 40 Lütticher Rinderbäckchen und Dorade in vollendeter Hipness Rustikal, stylish, schick und trendig: Im kleinen Hinguck-Restaurant kommt das Vieh mit gestampften Karotten-Kartoffel-Gemüse; der Fisch aus dem Ofen mit jungem Spinat sowie wunderbaren Quetschkartoffeln auf den Tisch. Alles nichts für den kleinen Geldbeutel, aber das 3-GangMenü für 34,50 € ist ein Hit – daher Reservierung dringend empfohlen! Lütticher Str. 12, Belgisches Viertel, www.luetticher.jimdo.com Fischermann’s Drei Gänge mit Promigarantie Kölner Sternchen aller Kategorien nutzen das hervorragende, international ausgerichtete Restaurant seit 15 Jahren, um ihr Konterfei zu präsentieren, aber auch um einfach nur beste Gerichte und Weine zu genießen. Ein lebhafter, von vielen kultisch verehrter Ort inklusive tollem Service. Rathenauplatz 21, Nähe Zülpicher Platz, www.restaurant-fischermanns.de Rotonda Restaurant Feine Gerstentröpfchen im Business Club Neben außergewöhnlichen Bieren konzentrieren sich die Macher um Sternekoch Saloum Raphael Doucouré ihrem exklusiven Standort entsprechend auf eine extrem hochwertige Küche, die nachhaltig und in Teilen vegan arbeitet. Zwischen Sushi und Wiener Schnitzel tut sich Betörendes auf, und nicht alles ist unbezahlbar. Pantaleonswall 27, Nähe Barbarossaplatz www.rotonda-restaurant.de/koeln, unbedingt resevieren! Haus Scholzen Kölscher geht’s nur noch im Brauhaus Authentische Kölner Brauhäuser geben sich laut und weitläufig. Wer beschauliche Gastronomie sucht und dennoch bürgerlich im Geschmackssinn hat, macht den Abend in Ehrenfeld rund: ausgezeichnete deutsche Hausmannskost in allen Varianten, und das in herzlicher, aber unspießiger Atmosphäre. Venloer Str. 236, Ehrenfeld, www.haus-scholzen.de Venlo Lässiges Couscous zum FC-Spiel Der Untertitel »Die gute Stube« trifft es bestens: So unspektakulär die Einrichtung auch scheint, so gemütlich ist sie. Das spiegelt sich unmittelbar in der Hausmannskost wider: Einfache Gerichte wie Couscous, Flönz (Kölsche Blutwurst) oder auch eine Dorade erreichen dank bester Zutaten und liebevoller Zubereitung höchste Qualität. Bei Fußballübertragungen geht es hoch her. Venloer Str. 29, Belgisches Viertel,www.mein-venlo.de Heckmanns Ausgezeichnet, aber bodenständig Mediterran, französisch, deutsch: ein kulinarischer Rundflug, der bei allen Gerichten auf den Punkt zu landen weiß. Das war dem Gault Millau immerhin schon 13 Punkte wert. Dennoch lässt sich die Wachtel-Praline auf Rettich-Linsen oder Skreifilet auf Fenchel-Orangen hier ganz lässig genießen. Top! Sülzburgstr. 104-106, Sülz www.restaurant-heckmanns.de K.WEST 04/2015 | 21 MESSENÄHE Maria Eetcafé Niederländische Fritierkultur im Belgischen Viertel Die unerschrockenen Gäste haben größte Freude daran, sich Sammlungen frittierter niederländischer Spezialitäten zu verinnerlichen: Frikandel, Bitterballen und Vleeskroket, das Ganze mit ordentlich Satésaus an den begleitenden Frietjes – das hinterlässt an Gaumen wie Hüften bleibenden Eindruck. Hans-Böckler-Platz 1, Belgisches Viertel www.maria-koeln.de Café Especial Der ewige Kölsch-Mexikaner Von der Lanxess Arena ist es nur ein Stolperer, um diesen langjährig verlässlichen Mexikaner zu erreichen, der sowohl in Sachen deftiger Gerichte als auch in seinem Ambiente voll und ganz dessen entspricht, was man sich in den bundesdeutschen 80ern als »Mexikaner« vorstellte. Trotzdem toll, nicht nur für Fans von Bohnen und Stroh. Neuhöfferstr. 32, Deutz, www.cafe-especial.com Hotelux Deftig und opulent: sowjetische Küchenkunst Ein Kölner Klassiker, und dennoch bis heute ein Exot. Wenn zum Beispiel der gehaltvolle russische Kartoffelsalat bestellt wird, ächzt manch mitteleuropäischer Magen, und auch ein echter Blini muss nun mal kräftig mit Käse überbacken sein. Es hilft, das deftige Erlebnis mit einer der unzähligen Wodka-Sorten abzurunden. Von-Sandt-Platz 10, Deutz, www.hotelux.de Mongo’s Rohzutaten vom Marktstand Erlebnis- und Systemgastronomie auf asiatischer Basis. Die fähigen Köche nehmen jede noch so unausgewogene Zusammenstellung roher Zutaten wohlwollend entgegen, die der Gast selbst bestimmt, und flämmen daraus im Wok schnell ein ansehnliches Gericht zusammen. Dank »All You Can Eat« lässt sich dabei waghalsig herum experimentieren. Ottoplatz 1, Deutz, www.mongos.de Rosenzeit Kreatives Mittelmeer am Mülheimer Hafen Die beiden Schwestern Schumacher locken mit Fantasie in ihr liebevoll eingerichtetes Lokal: die Penne Rigate mit Hühnchen, Zitronengras, Zucchini, grünem Pfeffer und Currysauce schmecken so großartig, wie sie sich lesen. Zum runden Abschluss dann das Mohnparfait mit Rhabarberkompott, Marzipan und Minze: umwerfend! Mülheimer Freiheit 2-4, Mülheim, www.cafe-rosenzeit.de Montage mit der Arbeit Feuer, 2015, von Michael Sailstorfer, courtesy Galerie Johann König, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 und Bundeskunsthalle, Foto: Peter Oszvald © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn Petrit Halilaj in Zusammenarbeit mit Alvaro Urbano She, fully turning around, became terrestrial 2013 © Petrit Halilaj, courtesy Chert gallery, Berlin Petrit HAlilAj She, fully turning around, became terrestrial bis 18. Oktober 2015 in Bonn Ärger im PArADies 24. April – 11. Oktober 2015 in Bonn auf dem Dach der Bundeskunsthalle Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Museumsmeile Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn, T +49 228 9171–200 www.bundeskunsthalle.de 22 | VERLAGSONDERSEITEN Kunst, die Identifikation stiftet Der Bergpark aus der Perspektive von Thomas Schüttes »Hase«: Die PARKWERK-Künstlergruppe entwickelt den Wasserturm (links im Bild) zum dynamischen Kunstort, das Team um Martin Kaltwasser errichtet das KRAFTWERK Lohberg, irgendwo auf dem weitläufigen Gelände platziert Jakob Kolding seine kleine Bronze. © Christoph Böll. Eine Reise ins Blaue »Choreografie einer Landschaft«: Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Lohberg in Dinslaken arbeiten Künstler und Anwohner Seite an Seite Der ehemalige Wasserturm, der zum Café und Info-Treff wird. Ganz in der Nähe das Bauwerk aus Recyclingmaterial mit Energieversorgung durch schiere Muskelkraft: Zwei Beispiele dafür, wie zeitgenössische Künstler im »Bergpark« – einem neu angelegten Landschaftspark – Zeichen setzen. Und nicht nur sie allein. Denn das Besondere an dem, was derzeit zwischen Ruhrgebiet und Niederrhein in Dinslaken vonstatten geht, ist die Einbeziehung der Anwohner. Ein Konzept, das offenbar ankommt – die Arbeiten nehmen Gestalt an. Im Rahmen der Entwicklung des »Kreativ.Quartier Lohberg (KQL)« wurde in Dinslaken-Lohberg mit dem »Lohberg Corso«, dem »Lohberger Weiher« und dem »Bergpark« Landschaft völlig neu gestaltet. Die Vielfalt der Umgebung zu spiegeln, Identifikation zu stiften, Teilhabe zu ermöglichen: Das ist es, worauf es Kurator Markus Ambach vor allem ankommt. In einem Werkstattverfahren erarbeiteten im Jahr 2012 internationale Künstler verschiedene Kunstwerke für den künftigen »Bergpark«. Die KQL-Projektgemeinschaft legte dabei Wert darauf, ökologische, wirtschaftliche, städtebauliche und soziale Aspekte des Standortes in den Planungsprozess mit einzubeziehen. Der »Bergpark« soll die Besucher in die umliegenden Landschaften leiten und gleichzeitig zum Ausgangspunkt für die Entdeckung der Kunst werden. Dafür hat Kurator Markus Ambach den Begriff »Choreografie einer Landschaft« geprägt. »Die fragmentierte Landschaft soll durch eine sinnfällige Choreografie wieder zusammengeführt und erlebbar werden«, sagt Ambach. Ausgewählt wurden schließlich künstlerische Konzepte von Jeanne van Heeswijk, Thomas Schütte, Jakob Kolding sowie von Folke Köbberling und Martin Kaltwasser – ihnen allen ist die Beteiligung der Bürger sozusagen immanent. Der Wasserturm der ehemaligen Zeche Lohberg wird zum zentralen Punkt der PARKWERK-Künstlergruppe. © Katrin Osbelt. Jeanne van Heeswijk lädt die Anwohner in Workshops und anderen Veranstaltungen dazu ein, sich den »Bergpark« zu eigen zu machen. In dem Projekt »PARKWERK – Lokale Reisen ins Blaue« geht es der Niederländerin und ihren Kollegen Britt Jürgensen und Marcel van der Mejis darum, diesen Raum gemeinsam weiter zu entwickeln und neue Nutzungsmöglichkeiten zu eröffnen. Etwa, indem der Wasserturm zu einem dynamischen Ort wird, der neben dem Café ein Informationszentrum beherbergt und als Treffpunkt für Anwohner und Touristen dient. »Wir bringen die Menschen dazu, sich darüber klar zu werden, was sie brauchen«, erläutert van Heeswijk. »Wir fragen nicht nach Wünschen, deren Erreichbarkeit womöglich im Utopischen liegt, sondern geben Anstöße, Dinge im eigenen Umfeld zu verändern. Vom Warten auf bessere Zeiten werden die Zeiten nicht besser. Wenn das Warten endet und Menschen produktiv werden, dann beginnen sie, sich ihre eigenen Räume zu erschaffen. Und das ist Kunst!« K.WEST 04/2015 | 23 Eine neue Kraftzentrale Ein riesiger Hase KRAFTWERK Lohberg, das kollaborative Kunstprojekt unter der Regie von Martin Kaltwasser, feiert Richtfest. © Katrin Osbelt. Martin Kaltwasser und Folke Köbberling befinden sich aktuell in der heißen Bauphase für das »KRAFTWERK LOHBERG«. Das Künstlerduo hat bereits 2012 mit der Open-Air-Installation »Our CenturY« im Rahmen der Ruhrtriennale ein Zeichen in der Region gesetzt. Für »Choreografie einer Landschaft« errichten die beiden nun ein großzügig verglastes Holzbauwerk aus Recyclingmaterial – ebenfalls gemeinsam mit Lohberger Bürgern. Für den späteren Betrieb wird die benötigte Energie durch menschliche Muskelkraft erzeugt – zum Beispiel mittels hocheffizienter Pedalgeräte des Künstler-Tüftlers Colin Tonks. Kaltwasser und Köbberling artikulieren in ihrer Arbeit ein elementares Thema des Geländes, seiner Vergangenheit und seiner Zukunft: Das ehemalige Bergbau-Areal soll zum CO2-neutralen Standort werden. Eine kleine Bronze Die vier Meter hohe Skulptur »Hase« des international renommierten Künstlers Thomas Schütte – hier im Modell zu sehen – formt mit dem ehemaligen Kohlerundeindicker eine monumentale Installation. © MAP. Thomas Schütte schließlich arbeitet an der vier Meter hohen Skulptur eines Hasen. Das rot glänzende Artefakt soll – einer »drop sculpture« gleich – wie aus dem Hut gezogen auf dem Mittelpodest des ehemaligen Kohlerundeindicker der Zeche auftauchen. So hält unvermittelt etwas Neues Einzug in die industrielle Vergangenheit; scheinbar ohne Beziehung zu Ort, Zeit oder sozialem Umfeld. Und dennoch trifft das Werk eine kontextbezogene Aussage. Denn vor dem Hintergrund der Frage, wie sich angesichts der hier schwer lastenden Geschichte eine offene Zukunft für diesen Ort und vor allem für seine jungen Bewohner finden lässt, setzt Schüttes Arbeit ein Zeichen – leicht, spielerisch, frech und herausfordernd. INFO So stellt sich der dänische Künstler Jakob Kolding den »Fundort« für seine Bronze in Form eines kleinen Kohlestücks im »Bergpark« vor. © MAP. Der Däne Jakob Kolding nähert sich in seinem Schaffen immer wieder den Themen Stadt, Raum und urbane Kultur. Seine Arbeit im Rahmen von »Choreografie einer Landschaft« zeigt, wie man mit einfachen Mitteln nicht nur die Weite des Parks, sondern auch den Raum der Erzählung und Vorstellung erschließen kann. Kolding hat eine schlichte Skulptur erschaffen – ein klassisch in Bronze gegossenes Stück Kohle. Kein großer »Brackmann«, wie er früher unter Tage gebrochen wurde, sondern ein haushaltsübliches »Klümpken« von etwa zehn Zentimetern Umfang. Dafür sucht der Künstler nun den idealen Ort. Das Stückchen skulpturale Kohle soll – als habe es jemand versehentlich liegen lassen – an einer unauffälligen Stelle im »Bergpark« platziert werden. Die »Choreografie einer Landschaft« wird am 6. Juni 2015 ab 15.00 Uhr im Rahmen eines Festes im »Bergpark« in Dinslaken-Lohberg der Öffentlichkeit vorgestellt. Kurator Markus Ambach lädt zu einer Führung über das Gelände ein. Alle künstlerischen Arbeiten werden dauerhaft im »Bergpark« verbleiben. Dieses Projekt wird mit Mitteln des Ökologieprogramms im Emscher-Lippe-Raum (ÖPEL) gefördert. www.kql.de, www.choreografieeinerlandschaft.de 24 | KUNST SPECIAL CHINA–IMPORT INTERVIEW: STEFANIE STADEL Alfred Ko : Sidewalk, 2014. © Alfred Ko, Courtesy of the artist. Zu sehen im Museum Folkwang, Essen. Diesmal kein Plastikspielzeug und auch keine Billig-T-Shirts. Das große Ausstellungsprojekt China 8 bringt im Mai Kunst aus der Volksrepublik in acht Städte und neun Museen an Rhein und Ruhr. K.WEST sprach mit Walter Smerling, der die künstlerische Gesamtverantwortung für das Großprojekt trägt. K.WEST: Bereits seit den 90er Jahren gibt es hierzulande immer wieder Präsentationen chinesischer Gegenwartskunst. Bisher hat sich aber nur ein Name wirklich festgesetzt in den Ohren des deutschen Publikums: Ai Weiwei. SMERLING: Ai Weiwei ist ein wichtiger, sensibler und vor allem kritischer Geist und aus der Szene nicht mehr wegzudenken. Er ist sehr schlecht behandelt worden. Wenn die Freiheit der Kunst in Gefahr ist, dann schaut die westliche Welt eben ganz besonders genau hin. Ai Weiwei ist eine Symbolfigur für freie Meinung. Und seitdem er in Unfreiheit lebt, konzentriert man sich noch mehr auf ihn. Doch die Kunstszene in China besteht nicht nur aus Ai Weiwei, sondern aus einer Vielzahl unterschiedlicher Positionen, die wir zeigen wollen. K.WEST: Diese chinesischen Künstler seien dabei, eine eigene Sprache zu entwickeln, so heißt es in den Info-Texten zu CHINA 8. Sie verfolgen diese Entwicklung seit den 90ern mit Ausstellungen wie »China!« 1996 in Bonn und »Chinart« 2002 in Duisburg, die Sie beide mit auf den Weg gebracht haben. Wie würden Sie beschreiben, was sich in den vergangenen 20 Jahren getan hat? SMERLING: Viele der Künstler reflektieren in ihren Arbeiten, wie die Wirtschaft das Land verändert – nicht zuletzt durch die Globalisierung, nicht zuletzt durch die Produkte, die auch aus Deutschland ins Land kommen. Es geht darum, wie sich soziale oder soziokulturelle Verhaltensweisen ändern. Dieser Paradigmenwechsel wird von keinem so intensiv begleitet wie von den Künstlern. Dies geschieht aber heute nicht mehr so laut und im Stil der westlichen Szene wie noch in den 90er Jahren. Damals wurde oft die Sprache der amerikanischen Pop Art kopiert. Heute gehen die Künstler ihren eigenen Weg, der auf chinesische Traditionen baut. K.WEST: Wie viele Künstler werden gezeigt? SMERLING: Wir haben in China über 200 Künstler besucht und 118 eingeladen. Nun warten wir auf die Antworten. Viele haben schon zugesagt. K.WEST: Wenn Sie mit zeitgenössischen chinesischen Künstlern im Austausch stehen, dann werden Sie sicher auch viel erfahren über Repressionen, unter denen diese Künstler dort zu leiden haben – selbst ein so prominenter wie Ai Weiwei. Wie sehen Sie die Situation der Künstler in China, unter welchen Bedingungen müssen die Kreativen dort arbeiten? SMERLING: Zunächst muss ich sagen, dass wir die westlichen Wertvorstellungen nicht den asiatischen überstülpen können. Umgekehrt geht das auch nicht. Dass man Ai Weiwei verbietet auszureisen, ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Im Bereich der Literatur gibt es Künstler, die noch größere Probleme haben – das bedauere ich natürlich sehr. Aber das muss der chinesische Staat für sich lösen. Wir können nur einen Dialog anbieten; genau das will die Ausstellung. Denn ich glaube an den Wandel durch Dialog. Deshalb wird es im Rahmen von CHINA 8 auch Konferenzen geben, Diskussionen mit Künstlern und Politikern. Im Übrigen würde ich sagen, dass es den bildenden Künstlern heute wesentlich besser geht als noch vor 20 Jahren. KWEST: Eine Ausstellung wie diese kann sicher nicht an den offiziellen Stellen vorbei organisiert werden. Liegt da nicht die Gefahr auf der Hand, dass wir nur zu sehen bekommen, was Peking uns zeigen will? SMERLING: Das kuratorische Team besteht aus drei Museumsdirektoren – Tobia Bezzola, Leiter des Museum Folkwang, Ferdinand Ullrich, Direktor der Kunsthalle Recklinghausen, und mir selbst. Wir haben die Kunstwerke vor Ort gemeinsam ausgewählt. Dabei konnten wir uns frei – ohne Begleitung irgendeiner Kulturbehörde – in China bewegen. Das Ergebnis unserer Recherchen in den Ateliers ist eine Liste von über 400 Arbeiten, die wir bei CHINA 8 zeigen wollen. Alle sind genehmigt worden, bei keinem einzigen Werk hat es Einwände von offizieller Seite gegeben. Dabei stand für uns immer fest: Unter kuratorischen Gesichtspunkten wollen wir die Dinge hart und kritisch diskutieren. Aber sobald auch nur ein Hauch von Zensur zu spüren gewesen wäre, hätten wir das Projekt abgesagt. K.WEST: Sind die Künstler, die bei CHINA 8 vertreten sind, in ihrer Heimat bekannt? Dürfen sie dort überhaupt ausstellen? SMERLING: Es sind bekannte und unbekannte darunter. Ob sie in China ausstellen dürfen, war für uns nicht maßgeblich. Wir haben uns nicht etwa Künstler herausgepickt, die im Gefängnis saßen. Solche Kriterien haben bei der Auswahl nicht die primäre Rolle gespielt. Wir machen ja eine Kunstausstellung. www.china8.de K.WEST 04/2015 | 25 ZEITREISE AUFS LAND Kasepää, Estland, 2005 (Haus S. Kivkora) © Martin Rosswog, Lindlar; VG Bild-Kunst, Bonn, 2015 Mäntymäki (bei Vilppula), Finnland, 1995 (Haus T. Mäntymäki) © Martin Rosswog, Lindlar; VG Bild-Kunst, Bonn, 2015 Vale de Algoro, Portugal 2010 (Haus C. Cavalho) © Martin Rosswog, Lindlar; VG Bild-Kunst, Bonn, 2015 San Martín de la Vega del Alberche, Kastilien, Spanien (Haus von Thia Maria), 1992 © Martin Rosswog, Lindlar; VG Bild-Kunst, Bonn, 2015 (im Uhrzeigersinn) Wo IKEA weit weg ist: Der Becher-Schüler Martin Rosswog hat sich mit der Kamera in ländlichen Höfen und Häusern umgeschaut. Von Holzöfen beheizte Räume, die von Schränken und Vorhängen in Zimmer unterteilt werden; Wände, denen als einziger Schmuck Jesusbilder dienen; die Tischdecken aus gemustertem Wachstuch – so lebte es sich auf dem Land. Früher, als Großmutter noch Marmelade eingekocht und Opa den Sonntagsbraten im Stall küchenfertig gemacht hat. Wie lange mag das her sein? Der sein Wohnen an IKEA-Standards ausrichtende Städtebewohner kann kaum glauben, dass einige der Interieur-Aufnahmen, die der im bergischen Lindlar lebende Martin Rosswog von seinen Reisen zu den Rändern Europas mitgebracht hat, nur ein paar Jahre alt sind. Das Haus von Carlos Carvalho im portugiesischen Ort Vale de Algoso etwa hat Rosswog vor gerade mal fünf Jahren mit der Kamera vermessen und dabei auch einen Esstisch aufgenommen, der unter einem Sammelsurium aus christlichen Devotionalien und Familienfotos seine Funktion nahezu einbüßt. Ansonsten ist die Einrichtung des 80-jährigen Carvalho, der sich und seine vielköpfige Familie als Schmied und Landwirt ernährte, von pragmatischer Kargheit bestimmt. Schwer zu sagen, wo auf den Bildern die Küche aufhört und die Werkstatt anfängt. Was vermuten lässt, dass die Work-Life-Balance hier schon mal aus dem Lot gerät. Seit den 1980er Jahren reist Rosswog, der bei Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat, durch Europa, um eine im Verschwinden begriffene ländliche Lebenswelt zu dokumentieren. Er war in Estland, Finnland, Rumänien, Russland, Spanien oder Portugal unterwegs, hat Tausende von Kilometern zurückgelegt und dabei immer auch eine Zeit- reise unternommen. In der formalen Disziplin, die er sich dabei auferlegt, kann man unschwer die konzeptuelle Schule seines Lehrers Bernd Becher erkennen: An jedem Ort entstehen ein Porträt der Bewohner, schwarzweiße Außenansichten des Hauses und des Grundstücks sowie farbige Ablichtungen der Wohnräume. Dreizehn dieser Serien hat der 1950 in Bergisch Gladbach geborene Rosswog für die Ausstellung »Entlang Europa« in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung ausgewählt. Was sie zeigen, scheint auf faszinierende Weise aus der Zeit gefallen. Selbst museumsreife Herde und alte Röhrenfernseher wirken in den Räumen wie modernistische Fremdkörper. So ärmlich die penibel aufgeräumten Behausungen manchmal auch scheinen, zeichnet sie nahezu immer eine Farbenfrohheit aus, die dem Betrachter gute Laune macht. Mit gelb lackierten Holzwänden, grünen Kaminen, leuchtend roten Vorhängen oder hellblau gestrichenen Wänden widersetzen sich die Landleute anarchisch den Dezenz-Geboten der Einrichtungsmagazine. Doch bei aller Unterschiedlichkeit der Anstriche und Möblierungen, sucht Rosswog in der Vielfalt immer eine Art Archetypus ländlichen Wohnens. Vor elf Jahren hat er ihn auch in Deutschland gefunden, auf dem Hof von Klaus Schröder in Nasingen, gelegen in der Süd-Eifel. Ein bisschen steif, dabei aber nicht unfreundlich, schaut der ehemalige Maurer in die Kamera, während die an den Körper gelegten Arme der Haltung eine soldatische Anmutung geben. Im Haus findet sich neben Holzkreuzen, Heiligendarstellungen und Familienfotos auch ein Sinnspruch, der diesem Leben vielleicht zum Titel gereichen könnte: »Der Vater sorgt mit vieler Müh, für seine Kinder spät und früh«. | ANK Martin Rosswog: »Entlang Europa«; bis zum 9. August 2015; Photographische Sammlung / SK Stiftung Köln Tel.: 0221/888 950 26 | KUNST SPECIAL KOSTEN NUTZEN RECHNUNG TEXT: CHRISTEL WESTER Helge Achenbach. Copyright: Eiskellerberg.tv Nach dem Urteil: das System Helge Achenbach. Bis vor kurzem war er einer der international erfolgreichsten Kunstberater, mit zahlreichen Künstlern befreundet und hatte beste Kontakte zu Museen in aller Welt. Zu seinen schwerreichen Kunden gehörte auch der 2012 verstorbene Aldi-Erbe Berthold Albrecht. Dessen Familie brachte den Zampano der Kunstwelt zu Fall. Das Landgericht Essen hat Helge Achenbach zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Der Strafprozess gegen Helge Achenbach fand just zu einem Zeitpunkt statt, an dem der Kunstmarkt mächtig in Verruf geraten ist. Er gilt als Gelddruckmaschine, wo Abermillionen für eine Ware von nicht klar definierbarem Wert umgesetzt werden. Spätestens seit dem Skandal um den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi vor knapp vier Jahren gilt er zudem als Waschanlage für Schwarzgeld, das über Scheinfirmen in Steuerparadiese fließt. Doch wie Beltracchi fliegen auch dem Kunstspekulanten Achenbach immer noch Sympathien zu. In der Kunstszene denken einige, dass der wahrhaft Geschädigte Helge Achenbach heißt. Denn er hat nicht nur seinen Ruf, sondern auch sein gesamtes Vermögen verloren. Sein Lebenswerk ist ruiniert. Mit 62 Jahren sitzt er, gesundheitlich angeschlagen, im Gefängnis. Den Milliardären, die ihn angezeigt haben, entstand im Vergleich dazu kein existenzieller Schaden. Im Gegenteil, die Werke, die Achenbach ihnen vermittelte, haben größtenteils Wertsteigerung erfahren. Ein Bei- spiel: Berthold Albrecht kaufte ein Gemälde von Gerhard Richter für 4,5 Millionen Euro. Gerade wurde bei einer Auktion ein Richter-Gemälde für 41 Millionen versteigert. Achenbachs Anwälte haben auch tatsächlich so argumentiert: Wo kein Schaden entstanden sei, gebe es auch keinen Betrug. Dieser Logik ist das Gericht nicht gefolgt. Richter Johannes Hidding warf der Verteidigung sogar vor, Ressentiments gegen Milliardäre zu schüren. In seiner Urteilsbegründung sagte er: »Das Vermögen wohlhabender Menschen ist vom Strafgesetzbuch genauso geschützt wie das normalverdienender Menschen«. An 16 Prozesstagen fand vor dem Landgericht Essen eine umfangreiche Beweisaufnahme statt. Dabei erfuhr man viel über die Usancen der sonst extrem verschwiegenen Kunsthandelsbranche. Da werden Kaufentscheidungen in Millionenhöhe gern mal per SMS übermittelt, die Kunstwerke häufig vorher nicht einmal angesehen, schriftliche Verträge sind selten, fast alle Geschäfte basieren auf mündlichen Vereinbarungen – und natürlich sind alle Duzfreunde. Eben darauf baute Helge Achenbach seine Geschäftsbasis auf: Vertrauen und Freundschaft. Dass er diese Grundlage missbraucht habe, wurde in der Urteilsbegründung ausdrücklich betont. Wie das System Achenbach funktionierte, legte Helge Achenbach selbst in einem Teilgeständnis dar. Das Geständnis betraf seine Geschäfte mit Berthold Albrecht. Ihm hat Achenbach in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum Kunst und Oldtimer für sehr viel Geld vermittelt: Zwischen 2009 und 2012 kaufte Albrecht Kunstwerke für rund 33 Millionen Euro und Oldtimer für rund 63 Millionen Euro. Mündlich vereinbart war, dass Achenbach Kunst und Oldtimer zu Einkaufspreisen weiterreicht und K.WEST 04/2015 | 27 selbst eine Provision kassiert. Fünf Prozent für Kunst, drei Prozent für Oldtimer. Das ist wenig, in der Branche sind höhere Margen üblich. Und Achenbachs Aufwand war besonders hoch. Er hat seinen Kunden immer mehr als nur Kunst verkauft. Rauschende Partys und exquisite Diners mit Künstlern und Museumsleuten gehörten dazu. Also: soziales Prestige und Teilhabe am glamourösen Milieu. Dass die Provisionen seine Kosten nicht deckten, war Achenbach immer klar. Aber er wollte großzügig erscheinen und holte sich das Geld über verdeckte Aufschläge, indem er Rechnungen am Fotokopierer manipulierte (»collagierte«, wie er es nennt). Das flog nicht auf, da der Freund keine Originalrechnungen verlangte. Raffinierter musste er bei seinen Geschäften mit der Berenberg Bank vorgehen. Im Sommer 2011 ging die exklusive Privatbank eine Kooperation mit Achenbach ein. Über die neu gegründete Firma Berenberg Art Advice wollte man reichen Anlegern mit der Investitionsware Kunst eine Alternative bieten zu den in Misskredit geratenen Finanzprodukten. Hier trat Achenbach über eine seiner anderen Kunstberatungsfirmen als Zwischenhändler auf und erzielte auf diese Weise ebenfalls verabredungswidrige Aufschläge. Dabei nahm er eine unseriöse Doppelfunktion ein: Als Berater, der vorgibt seine Kunden in einem undurchsichtigen Markt vor überhöhten Preisen zu bewahren – und als einflussreicher Händler, der auf genau jenem Markt die Preise mitbestimmt und nebenbei Aufgeld kassiert. Achenbach besaß eine starke Machtposition im Kunstbetrieb, wobei er sich allerdings meistens gesetzeskonform verhielt. Im Strafprozess gegen ihn traten nicht nur die illegalen Praktiken des Systems Achenbach zutage, sondern auch die durchaus legalen, die dennoch zu denken geben. Dafür brauchte er willfährige Mitspieler und fand sie in den notorisch klammen Museen. Denn bei Wertsteigerungen von Kunst kommt ihnen eine bedeutende Rolle zu. Achenbach war gut darin, Museumsdirektoren über Beiräte in seine Geschäfte einzubinden und Kooperationsmodelle zwischen Sammlern oder Unternehmen und Museen zu initiieren. Museen sind aber öffentliche Institutionen, von Steuergeldern unterhalten. Doch wenn ein privater Sammler oder ein Unternehmen ein Bild an ein Museum verleiht, ist das Objekt nachher mehr wert, weil seine kunsthistorische Bedeutung jetzt als erwiesen gilt. Die Dauerleihgabe ist also ein lukratives Anlagemodell, bei dem das Museum zudem die Versicherung bezahlt und für fachgerechte Konservierung und Restaurierung aufkommt. Damit nicht genug: Ein Leihvertrag über zehn Jahre senkt die Erbschaftssteuer, bei zwanzig Jahren entfällt sie komplett. Deshalb gehörte zum Dienstleistungs-Portfolio des Kunstberaters Achenbach neben der Vermittlung von Kunst ebenfalls die Vermittlung von Leihverträgen mit renommierten Museen. Manche Kunden wünschen dann, wie eine Zeugin im Prozess, noch eine Kopie in Originalgröße – fürs Esszimmer. Letzteres Bild ist exemplarisch dafür, was passiert, wenn Kunst zum Spekulationsobjekt wird. Es handelt sich um eine frühe Arbeit von Georg Baselitz: »Landschaft nach Trier« von 1958. Ursprünglich gehörte es dem Fotografen Benjamin Katz, der es in der gemeinsamen Studienzeit vom Künstler erworben hatte. Nun braucht er Geld, um sein eigenes fotografisches Werk sachgerecht zu archivieren. Katz ist mit seinen großartigen Künstlerporträts und Ausstellungsfotos einer der wichtigsten Chronisten der Kunstszene in Deutschland seit den 1960er Jahren. Sein Werk verdiente es, mit öffentlichen Geldern unterstützt zu werden. Doch die Kassen sind bekanntlich leer. Für 200.000 Euro verkaufte Katz seinen Baselitz an Achenbach. Der verlangte beim Weiterverkauf an Kunden der Berenberg Bank 875.000 Euro – mehr als das Vierfache! Allerdings hatte Katz den vergleichsweise niedrigen Preis deshalb akzeptiert, weil ihm der Ankauf eines Konvoluts seiner Fotografien in Aussicht gestellt wurde, sobald der Baselitz verkauft sei. Ein nicht eingelöstes Versprechen – ausgerechnet durch dieses Bild flog das System Achenbach auf. Der ehemalige Museumsdirektor Thomas Kellein, u. a. von 1996 bis 2010 an der Kunsthalle Bielefeld, arbeitet heute als freier Kunstberater. Achenbach hatte ihn angeheuert. Zunächst hat auch er von den Preisaufschlägen profitiert, dann aber beim Baselitz-Bild als Whistleblower agiert und damit letztlich den Fall ins Rollen gebracht. Doch auch wenn dieser Deal am Ende nicht wie geplant lief, zeigt das Beispiel deutlich: Nur wer über die nötigen Netzwerke verfügt, hat Erfolg auf dem Kunstmarkt. Und: Nur wenige Werke werden gepuscht, andere verdrängt. Rekordpreise fressen Geld und Aufmerksamkeit. So werden Preispolitik und Marktstrategien zum Bewertungsmaßstab. Aber ist teure Kunst automatisch gute Kunst? »Der schnelle Markt, die Gier nach Gewinnen, degradiert die Kunstwerke«, warnte Helge Achenbach vollmundig in seiner Autobiografie, die er heroisch »Der Kunstanstifter« nennt. Heute wissen wir, dass seine unsauberen Geschäfte mit der Berenberg Bank bereits aufgeflogen waren, als das Buch im Herbst 2013 erschien. Kurz darauf begannen die Ermittlungen. Doch Achenbach nutzte die letzte Gelegenheit, sich als Kämpfer für das Gute und Wahre zu stilisieren. »Wir müssen die Kunst vor dem Markt schützen«, fordert ausgerechnet er, der diesen Markt mit geschaffen und kräftig von ihm profitiert hat. Auf der letzten Seite verkündet er: »Ich hatte immer das Ziel, das System transparenter zu machen.« Im Strafprozess ist er diesem Ziel näher gekommen. CHRONIK Am 10. Juni 2014 wird Helge Achenbach am Düsseldorfer Flughafen verhaftet, er kam aus Brasilien, wo er das WM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mit Kunst ausgestattet hatte. Am 9. Dezember 2014 wird vor dem Landgericht Essen der Strafprozess gegen ihn und seinen ehemaligen Geschäftspartner Dr. Stefan Horsthemke eröffnet. Achenbach wird Betrug und Untreue gegenüber dem 2012 verstorbenen Aldi-Erben Berthold Albrecht sowie gegenüber zwei Kunden der Kunstberatung der Berenberg Bank zur Last gelegt. Horsthemke ist nur in die Geschäfte mit den Berenberg-Kunden involviert. Am 20. Januar 2015 wird Achenbach in einem parallel zum Strafprozess laufenden Zivilverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf zu Schadenersatzzahlungen von 19,4 Mio. Euro an die Familie von Berthold Albrecht verurteilt. Achenbach hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Am 16. März 2015 wird Achenbach zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte sieben Jahre gefordert. Horsthemke wird zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Weiterhin ermittelt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wegen weiterer Betrugsfälle gegen Achenbach. Angezeigt haben ihn die Gesellschafter der Sammlung Rheingold, die Achenbach 2002 ins Leben rief und deren Geschäftsführer er war. Die Sammlung Rheingold kooperiert mit zahlreichen Museen u. a. aus NRW. 28 | SPECIAL KUNST ALLES GANZ EINFACH TEXT: STEFANIE STADEL Imi Knoebel überall: Wolfsburg feierte ihn kürzlich mit einer großen Werkschau, ab Mai ist er in der Kunstsammlung K21 in Düsseldorf zu Gast. Zwischendurch unternimmt der Künstler in Krefeld eine Imi Knoebel, 2015. Mit der Arbeit: Winkel. Foto: Ivo Faber Reise zu den Anfängen. In Haus Esters versammelt Knoebel die wichtigsten Zutaten seines Schaffens – ein Ensemble von 21 überwiegend frühen Arbeiten, die alles in sich tragen, worauf es ihm ankommt. K.WEST 04/2015 | 29 Er war blitzschnell fertig mit der Arbeit. Nun hängen, stehen, lehnen seine »Kernstücke« in den wunderschönen, an diesem Nachmittag durch und durch sonnigen Wohnräumen von Haus Esters. Und Imi Knoebel – bekannt für seine Schweigsamkeit in der Öffentlichkeit – nimmt sich Zeit für ein Gespräch. Aber bitte ohne Mitschnitt. Er wolle sich nur ein bisschen unterhalten, kein Interview geben, bemerkt er gelassen lächelnd inmitten seiner Werke. Nicht mehr als 21 sind es, und ihre Schlichtheit verblüfft: ein grün angemaltes Blatt Papier, ein Pappkarton auf dem »Buffet«, zwölf Hartfaserplatten als Wandverkleidung... Aus einem riesigen, über fast fünf Jahrzehnte gewachsenen Œuvre hat Knoebel das Wenige herausgepickt und anschließend im Düsseldorfer Atelier eigens für diese Ausstellung neu produziert. Warum neu und nicht original? Eine Frage, die sich aufdrängt, aber leicht zu beantworten ist mit Knoebels Affinität zum Konzeptualismus: Schon früh schien ihm die Idee wichtiger als die Ausführung seiner Werke. Deshalb kann das Produkt durchaus immer wieder anders ausfallen. Auch jetzt in Haus Esters weicht das ein oder andere ab vom jeweiligen Prototyp – nicht zuletzt damit sich die »Kernstücke« besser in die Räume fügen. Locker verteilt mit viel Platz um sich herum kommen sie dort zur Wirkung. Die Auswahl muss dem Künstler ungeheuer schwer gefallen sein, könnte man vermuten – bei der Masse an Material. Doch Knoebel beeilt sich zu widersprechen: »Überhaupt nicht«. Schließlich wolle er nicht die Breite zeigen, sondern allein die Grundgedanken seiner Kunst zur Anschauung bringen. Jene Ideen, aus denen sich alles entwickelt hat. Die sind schnell beisammen: Die Linie gehört etwa dazu. Unermüdlich erprobte Knoebel als junger Student alle denkbaren Konstellationen: senkrechte Linien, waagerechte Linien, dicke und dünne in variierenden Abständen. Hinzu kommt die Hartfaserplatte – eigentlich Knoebels liebster Werkstoff. In Krefeld ist sie mehrfach präsent. Als Wandschmuck, geschichtet oder zum Quader verbaut. Dann das kleine, gänzlich grüne Blatt – es steht hier für Farben, die seit den 70ern das minimale Werk ungemein beleben. »Man könnte das Papier in den Boden stecken und mein ganzes weiteres farbiges Werk daraus wachsen sehen«, bemerkt er. Und jener Pappkarton auf dem »Buffet«? Er erinnert an jene Fundstücke, die sich seit den 80ern immer wieder in sein Schaffen schmuggeln. All das, was Knoebel in Krefeld arrangiert, gehört nun zusammen, ist Teil eines Ganzen, dessen Präsentation er sich sehr wohl auch an anderen Orten vorstellen kann. Während der 74-Jährige kürzlich im Kunstmuseum Wolfsburg noch mit einer großen bunten Retrospektive auftrumpfte, bleiben bei diesem Ensemble die farbenfrohen Episoden ganz außen vor. Nichts zu sehen ist etwa von den knalligen Aluminiumarbeiten, von grellen Bändern, die sich über monochrome Tafeln spannen, von Farbsplittern, die auf der Fläche tanzen. Diesmal entscheidet Knoebel sich für die absolute Reduktion und antwortet damit auch auf die schlichte Architektur der Bauhaus-Villa, die Ludwig Mies van der Rohe Ende der 20er Jahre für die Industriellen-Familie Esters plante. Eine Umgebung, in der sich Knoebel offenbar außerordentlich wohl fühlt. Allein der Blick in die Küche bringt ihn ins Schwärmen: das geradlinige Mobiliar, die Kacheln ohne Fugen. Inzwischen sind drei Mitarbeiter von der Museums-Pädagogik gekommen und durchstreifen die sparsam bespielten Ausstellungs-Räume. Wenn die Schau eröffnet hat, sollen sie die Besucher durch die Grundlagen von Knoebels Schaffen geleiten. Doch der nimmt ihnen, noch bevor es losgehen soll, den Mut: »Ja, da gibt es nichts zu sagen.« Es liegt beinahe etwas Triumphierendes in seiner Stimme, wenn diese Bemerkung fällt. Knoebel selbst hat dann doch noch eine Menge zu sagen, weniger über die »Kernstücke« selbst, als vielmehr über die Geschichten, die sie umgeben: Eine tragende Rolle spielt darin der Freund Imi Giese. Gemeinsam mit ihm war Knoebel einst beim Blättern durch einen Ausstellungskatalog auf Kasimir Malewitsch und den Suprematismus gestoßen. Eine echte Entdeckung. Vor allem war es die Idee des »Nullpunkts der Malerei«, die Giese und Knoebel gefiel. www.mkdw.de · Hauptstraße 1 · 25938 Alkersum · Insel Föhr 30 | SPECIAL KUNST KUNST Imi Knoebel: Kernstücke, 2015. Installationsansicht Museum Haus Esters. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Foto: Volker Döhne, Kunstmuseen Krefeld Imi und Imi. Die liebevollen Phantasienamen hatten die Kumpels sich schon in Darmstadt zugerufen, wo sie gemeinsam an der Werkschule studierten. Nur so lang, bis sie 1964 das Foto eines blutenden Akademieprofessors aus Düsseldorf in der Zeitung sahen. Joseph Beuys hatte beim Fluxus-Festival in Aachen eins auf die Nase bekommen – ihm wollten sie zur Hilfe eilen. Mit Stoppel-Haarschnitt und hohen Schnürschuhen ohne Senkel beeindruckten sie Beuys offenbar so sehr, dass er sie in seine Klasse aufnahm und bald auch ihrer Forderung nach einem eigenen Raum nachkam. Während die anderen Beuys-Schüler nun in Raum 18 der Düsseldorfer Kunstakademie eher konventionellen Arbeiten nachgingen, lebten Knoebel und Giese nebenan im legendären Raum 19 ihre Imi-Identität aus und ließen dabei das Vorbild des Professors links liegen. »Wir hatten den Schlüssel, und kein anderer durfte hinein – ein ungeheures Privileg.« Es scheint Knoebel heute noch zu wundern, wie sie dazu kamen. Nach dem Raum benannte Knoebel 1968 auch sein sprödes Schlüsselwerk »Raum 19«. Eine Installation aus Blöcken, Keilrahmen und unbemalten Tafeln aus Hartfaser. Damit fing alles an. Hinter allem, was in Krefeld zu sehen sei, stehe dieser »Raum 19«, sagt Knoebel, während er sich umschaut unter seinen »Kernstücken«. Es war wie eine Befreiung der Malerei: Knoebels ungemalte Bilder eroberten den Raum, wurden Skulptur, fügten sich zur Installation. Um diese Zeit, Ende der 60er Jahre, begann Knoebel auch damit, seine schnurgeraden Linien zu ziehen. Zigtausend Blätter füllte er, hatte dabei aber kaum den Vorsatz, Kunstwerke zu produzieren. Viel eher ging es ihm darum, Elementares zu schaffen. Eine Erinnerung an die jahrelange Fleißarbeit zieht sich jetzt in einer Ecke von Haus Esters dünn und dunkel auf Augenhöhe die Wand entlang. Als Meister der Einfachheit tut Knoebel sich in Krefeld hervor – nicht nur, was seine Kunst angeht. Auch seine Erklärungen sind mitunter überraschend schlicht und geradeheraus. Eigentlich sei es ja ihrer mangelnden Begabung zu verdanken, dass er und Freund Imi einst den Nullpunkt fanden und von da aus neue Wege beschreiten konnten, wirft er nebenbei ein. Es habe ihnen einfach das Talent zum abbildhaften Malen gefehlt, gesteht er und betrachtet dabei versonnen eine der braunen Hartfaserplatten – für ihn das »schönste Bild«. Die Anfänge seien doch eigentlich für jeden das Wichtigste, fährt er fort: »Die eigenen Mittel zu finden«. Für Knoebel liegen diese Anfänge – wie in Haus Esters sehr anschaulich klar wird – in der radikalen Auseinandersetzung mit der Linie, der Fläche, der Farbe, dem Raum. Sie gehen zurück auf jene beiden Heroen, deren Namen immer wieder fallen, wenn die Rede auf Knoebel kommt: Malewitsch als Erfinder des »Nullpunkts«. Und Beuys. Irgendwo auf einer Fensterbank in der Villa hat Knoebel ihm ein Denkmal gesetzt. Ein schlichtes blaues Scheibchen, ähnlich jenem Glas, das Beuys ins Fenster seines »Büros für Demokratie« eingesetzt hatte. In Krefeld steht es aber nicht nur zu Ehren des großen Lehrers. Auch dieses »Kernstück« will einen Anfang markieren. Da liegt es nahe, dass man mit Blick auf die eher unscheinbare Scheibe an jene überwältigenden Dinge denkt, die Knoebel später mit dem Werkstoff schuf. K.WEST K.WEST04/2015 4/2015 | 31 Die Fenster der Kathedrale von Reims, wo er ein Spektakel aus roten, gelben, blauen Splittern entfacht, das Kircheninnere in ein Feuerwerk der Farben taucht. Minimalismus auf die Spitze getrieben. So weit kann man also kommen – selbst wenn man mit den einfachsten Mitteln startet. Es bleibt dabei. Die Anfänge seien für ihn das »Nonplusultra«, formulierte Knoebel einmal. Die Grundlagen liegen ihm am Herzen. Den Rest akzeptiert der Künstler – wohl oder übel. So klingt es zumindest: »Ich muss das Ungenügende oder das Ausschweifende oder auch das Unnötige oder das, wo man sich selbst drin gefällt oder sich so wie ein Hahn oder Gockel fühlt, auch haben.« INFO Don Eddy, Untitled (Volkswagen), 1971 (Detail), Foto © museum moderner kunst stiftung ludwig wien, Leihgabe der Österreichischen Ludwig Stiftung Bis 23. August 2015 Museum Haus Esters, Krefeld Tel.: 02151 / 975580 www.kunstmuseenkrefeld.de Kunsthaus Graz Universalmuseum Joanneum HyperAmerika Landschaft – Bild – Wirklichkeit 10. 04. – 30. 08. 2015 Lendkai 1, 8020 Graz, Di–So 10–17 Uhr www.kunsthausgraz.at Partner Imi Knoebel: Kernstücke, 2015. Installationsansicht Museum Haus Esters. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Foto: Volker Döhne, Kunstmuseen Krefeld 32 | SPECIAL KUNST KUNST Rembrandt Harmensz. van Rijn: Selbstporträt mit zwei Kreisen, um 1665 bis 1669. The Iveagh Bequest, Kenwood House, London. K.WEST 04/2015 | 33 der triumph des alters TEXTE: ALEXANDRA WACH Amsterdam zeigt das Spätwerk von Rembrandt in seltener Vollständigkeit. Die vorausgegangene Präsentation in London musste noch auf vier Spitzenleihgaben verzichten. Mehr als 100 Gemälde aus aller Welt, Zeichnungen und Druckgrafik spiegeln jetzt im Rijksmuseum die letzten 18 Schaffensjahre des genialen Erneuerers, in denen sich sein Stil veränderte und die Motive die große Emotion nicht scheuten. KARTEN: WWW.PACT-ZOLLVEREIN.DE TICKETS @ THEATER-ESSEN.DE FON +49(0)201.812 22 00 UND AN DER ABENDKASSE PACT Zollverein Choreographisches Zentrum NRW GmbH Bullmannaue 20 a, 45327 Essen Fon +49(0)201.289 47 00 Choreographisches Zentrum NRW GmbH wird gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW und der Stadt Essen. Tanzlandschaft Ruhr ist ein Projekt der Kultur Ruhr GmbH und wird gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW. PAC15_Anz_K-West_1504_02.indd 1 Der Blick des rothaarigen Mannes schwankt zwischen Gelassenheit und Abgeklärtheit. Sein orange schimmernder Reitermantel hängt über der Schulter. Der Körper ragt aus einem dick aufgetragenen Schwarz hinaus, das die linke Leinwandseite dominiert. Die Lederhandschuhe verschwimmen in Bewegung und scheinen einen beinahe abstrakten Kontrapunkt zum Rest der Momentaufnahme zu bilden. Dass man das Porträt von Jan Six in der faszinierenden Überblicksschau »Der späte Rembrandt« zu sehen bekommt, gleicht einem Glücksfall. Seit 400 Jahren befindet es sich im Familienbesitz. Damit es ausgeliehen werden durfte, musste der Anlass stimmen. Der Fokus auf die Spätphase des berühmten Urhebers hat die Nachkommenschaft offenbar überzeugt. 1654 bestellte der Amsterdamer Regent, Mäzen und Kunstsammler bei seinem Freund Rembrandt van Rijn das Auftragswerk. Da steckte der einstige Künstlerfürst bereits in finanziellen Schwierigkeiten. Der drohende Bankrott versetzte ihn aber keineswegs in eine kreative Angststarre. Statt sich dem herrschenden Geschmack seiner Auftraggeber und Konkurrenten anzupassen, zog es Rembrandt vor, den barocken Zeitgeist mit gewagten Experimenten zu hinterfragen. Vielleicht, weil er sein »Burnout« schon hinter sich hatte. Der Wandel seines Stils setzte bereits 1642 nach der Vollendung der epochalen »Nachtwache« und dem Tuberkulosetod seiner ersten Frau Saskia ein. Zuvor waren drei Kinder aus der Ehe kurz nach der Geburt gestorben. Die manische Produktion, geschätzt über die Niederlande MI 08. – .2015 SO 12.04 ALL EARS CE IN PE RF OR M AN SP RA CH E EN GL IS CH ER W O R K TAE B L E K ATE H S O T MCIN DARK MATTER P O R TR A IN TE RA KT IV LA TI ON LI VE -IN ST AL D E -P L AALC ELADTI ON VI DE O- IN ST IT K Ü N S T LINE R B R UNCH GE SP RÄ CH SP RA CH E EN GL IS CH ER CE IN PE RF OR M AN SP RA CH E EN GL IS CH ER 23.03.15 14:04 34 | SPECIAL KUNST hinaus, erlahmte plötzlich. Und das, obwohl der Witwer und Vater des einjährigen Titus einen Hauskredit abzuzahlen hatte. Die neue Haushaltshilfe Geertje Dircx wurde seine Geliebte. Als sich ihre Hoffnungen auf eine Heirat nicht erfüllten und die jüngere Hendrickje Stoffels ihren Platz einnahm, verklagte die Abgewiesene Rembrandt erfolgreich auf Unterhaltszahlungen. Es folgten Jahre des mühsamen Überlebens und einer Selbstsuche, die bis zu seinem Tod 1669 in einem innovativen Arbeitsrausch kulminierte. Die hohen Preise, die Rembrandt selbstbewusst in dieser kritischen Phase verlangte, beschleunigten zusätzlich seinen ökonomischen Abstieg. Er verlor erst seine Kunstsammlung, dann das repräsentative Haus. Manch ein Käufer verweigerte die Zahlung mit vorgeschobenen Argumenten. Ohnehin brach der Kunstmarkt kriegsbedingt ein. Zurückgeben wollten die mit breitem Pinselstrich und pastoser Farbsetzung aufwartenden Ölraritäten trotzdem nur die wenigsten. Parallel entstanden expressive Selbstporträts, in die sich die Spuren der sich häufenden Schicksalsschläge eingruben. Der Verlust von Hendrickje, mit der er Cornelia gezeugt hatte. Von seinem 27-jährigen Sohn, der an der Pest starb. Gleich im ersten Saal saugen drei dieser Bildnisse den Betrachter in ihre seelischen Landschaften ein. Keine grinsenden Selfies, sondern Zeugnisse einer schmerzhaften Selbstbefragung am Spiegel. Rembrandt versteckte weder seine Tiefs noch den alternden Körper. Ein ungeschönter Realismus war ihm lieber als altersschwache Kompromisse. Ohne das Ersparte der Tochter drohte ihm zwar längst die Obdachlosigkeit. Ein Grund mehr, um Unerhörtes zu riskieren. Er malte seine grauen Haare, die schlaffer werdende Haut und die Pigmentflecken. Den gebrochenen Stolz. Das ironische Lachen über die eigene Gebrechlichkeit. Er verkleidete sich aber auch in Fantasiegewänder und schlüpfte in die Rolle von Aposteln. Dabei fixierte er den Betrachter aus dem Halbdunkel, um ihn an seine eigene Sterblichkeit zu erinnern. Sein Blick ist mal sanftmütig, mal verzweifelt. Aber immer lebendig, weise und auf unheimliche Art präsent. Innerhalb des im frisch renovierten Philipsflügel nach Themen wie Kontemplation, Versöhnung, Licht oder Selbstbildnisse strukturierten Parcours ragt das aus Braunschweig kommende »Familienbildnis« von 1665 heraus. Rembrandt treibt hier seine Spezialität, die mikroskopisch schillernde Wiedergabe von Stoffstrukturen, zu neuen Höhenflügen an. Der nach 70 Jahren erste Ortswechsel des phänomenalen Gemäldes wird gekürt von der Nachbarschaft mit der ebenso intimen »Judenbraut«. Isaak legt auf dem säkularen Liebesbeweis seiner Braut Rebecca die Hand auf die Brust und wirbelt damit die Klischees über die calvinistisch prüden Niederlande durcheinander. Beide sorgen in dem dunkelgrau gestrichenen Raum für ein ockerfarbenes Sinnenfest aus Rot-, Gelb-, Braun- und Goldtönen. Grün und Blau sind Mangelware. Dafür gelangt die Farbe direkt mit dem Spachtel auf die Leinwand. Nicht selten mit Hilfe von Fingern und Daumen, die der Farboberfläche freien Lauf lassen. Auch das größte Gemälde, das Rembrandt jemals schuf, ist mit von der Partie. »Die Verschwörung des Claudius Civilis« kommt aus der Königlichen Schwedischen Akademie der Schönen Künste. Eine versteckte Lichtquelle überstrahlt auratisch eine gegen die Römer angeführte Konspiration, die sich als Verweis auf den Aufstand der Niederländer gegen die spanischen Besatzer lesen lässt. Dass Rembrandt die Hauptfigur unverkennbar einäugig darstellte und deren Gesellen eine ähnlich derangierte Figur machten, erzürnte seine Auftraggeber. Das Honorar sah er nie. Quer gegenüber sorgt die »Anatomische Vorlesung des Dr. Deyman« von 1656 für ein hyperrealistisches Rendezvous mit dem Tod. Das Gruppenporträt gehört zu einer Besonderheit der niederländischen Malerei des »Goldenen Zeitalters«. In dem bis heute modern wirkenden Genre kam das bürgerliche Selbstverständnis mit einem Sinn für die Schwingungen des Kollektivs zur Geltung. Ob Schützenvereinigungen, Kaufmannsgilden, die Vorsteher von Wohlfahrtseinrichtungen oder Chirurgenkörperschaften – sie alle setzten sich bei den berühmtesten Malern ihrer Zeit ins Bild und dokumentierten so für beachtliche Summen ihre gelungene Karriere. Auf das Konto von Rembrandt und seiner Werkstatt gingen gleich mehrere Prachtexemplare der Gattung, darunter die ungewöhnlich narrativ aufgeladene »Nachtwache« und die unvermeidlichen Obduktionsszenen. Das Fragment in der Schau zeichnet sich durch eine besondere Drastik aus. Zu sehen sind nur der Oberkörper und die Hände des Dr. Deyman, der ein Gehirn aus dem blutigen Schädel eines Leichnams herausnimmt. Die Bauchdecke ist offen. Im Vordergrund drängen sich die dreckigen Füße des Sezierten auf. Die aus dem British Museum stammende Zeichnung »Schlafende junge Frau« könnte nicht kontrastreicher ausfallen. Sie kommt mit wenigen Strichen aus und ähnelt doch einem japanischen Tuschekleinod. Auch die Porträts, die er von anderen malte, trotzen dem Zwang zur Schönfärberei. Alte Frauen zeigt der Nonkonformist in Nahaufnahme beim Lesen, mit all ihren Makeln, erhaben über die irdischen Nichtigkeiten. In der Drucktechnik radiert Rembrandt direkt in die Platte, um stärkere Schwarz-WeißKontraste zu erreichen und das Spiel aus Licht und Schatten dramatischer erscheinen zu lassen. Wie ein Rückfall in vergangene Konventionen wirkt dagegen das einzige Reiterbildnis, das er jemals gemalt hat. Da entgleitet dann der Zeitgenosse von Descartes und Grimmelshausen in eine privilegierte Schicht, die sich außerhalb der Niederlande vor allem ihrer hemmungslos idealisierenden Selbstinszenierung widmete. Ein kleiner Ausrutscher in einem magischen Fortissimo der Conditio humana. INFO Bis 17. Mai 2015 Rijksmuseum Amsterdam Reservieren: rijksmuseum.nl/de/rembrandt www.rijksmuseum.nl K.WEST 04/2015 | 35 BESUCHEN SIE UNS AUF DER art colognE IN Halle 11.3 K.WEST PARTNER ART COLOGNE 2015 www.bundeskunsthalle.de www.klavierfestival.de www.art-in-duesseldorf.de www.pact-zollverein.de www.bundesakademie.de www.mkdw.de http://china8.de www.kurzfilmtage.de http://200jahrewestfalen.jetzt 36 | SPECIAL KUNST KUNST Isaak Julien: Green Screen Goddess No.1 (Ten Thousand Waves), 2010. Endura Ultra Fotografie WOHIN MAN AUCH SCHAUT TEXTE: KATJA BEHRENS Belgien und die Niederlande sind nicht weit. Und auch was dort läuft, kann sich sehen lassen. K.WEST hat die Höhepunkte im Ausstellungs-Frühling herausgepickt. DEN HAAG GEMEENTEMUSEUM »BERLINDE DE BRUYCKERE. SCULPTURES & DRAWINGS 20002014« bis 31.5. 2015 Seien es Pferdekörper oder Menschenleiber – die verwundbare Kreatur ist eines der zentralen Themen ihres Arbeitens. Dabei scheint die Sorge um die fragile Existenz aller Natur in die Haltungen und Oberflächen der Skulpturen von Berlinde de Bruyckere eingeschrieben. www.gemeentemuseum.nl AMSTERDAM MAASTRICHT STEDELIJK MUSEUM »THE OASIS OF MATISSE« bis 16.8. 2015 Der Kampf der Bildgegenstände, die gleichzeitig dreidimensionaler realer Körper und zweidimensionales dekoratives Element sein wollen, ist in seiner Malerei zu einem großartigen und riskanten Spiel geworden. Dies zeigt sich nun auch wieder im Stedelijk Museum, wo Henri Matisse (1869-1654) mit einer großen Ausstellung gefeiert wird. Die Harmonie, in die der französische Maler die widerstreitenden Bildelemente mit leisem Nachdruck zwingt, ist atemberaubend. Dafür wird sich der Weg nach Amsterdam lohnen. www.stedelijkmuseum.nl BONNEFANTENMUSEUM »HENRI DE FROMANTIOU. ROYAL ILLUSION« bis 28.6. 2015 Augentäuschende Nachahmungen von Tierfell und Tulpenblättern, verrenkte Hühnerhälse und glänzendes Edelholz, weiche Pfirsiche und pralle Weintrauben. Das Bonnefantenmuseum zeigt die allererste Retrospektive des in Maastricht geborenen Stilllebenmalers Henri de Fromantiou (1633/34 –1694). Der Künstler war eine Zeitlang auch als Hofmaler, Restaurator und Konservator in Potsdam tätig. Und als Kunsthändler gelang es ihm, mehrere Fälschungsversuche aufzudecken. www.bonnefantenmuseum.nl K.WEST 04/2015 | 37 OTTERLO KRÖLLER-MÜLLER MUSEUM »»VAN GOGH INSPIRIERT VON ZEITGENOSSEN« 25.4. bis 27.9. 2015 2015 ist in den Niederlanden und Belgien das Van Gogh-Jahr, zu seinem 125. Todestag wird der Meister mit dem abgeschnittenen Ohr und dem unverwechselbaren Pinselstrich mit vielen Ausstellungen geehrt. In Otterlo: Stillleben, Landschaften, Natur, Stadtbilder und Porträts, Gemälde und Zeichnungen des Holländers und seiner Kollegen. www.kmm.nl ROTTERDAM MUSEUM BOIJMANS VAN BEUNINGEN »LA LA LA HUMAN STEPS« bis 17.5. 2015 Eine Ausstellung mit gut hundert Arbeiten aus der Museumssammlung, die alle mit dem Scheitern als Conditio humana, als Bedingung des Menschseins, umgehen. Vier Top-Choreografen entwickeln ein Duett speziell für diesen Anlass. Einmal aufgeführt, werden die gefilmten Performances in der Schau permanent zu sehen sein. Mit dabei: Pippilotti Rists Videoinstallation »Laat je haar neer«. www.boijmans.nl Henri de Fromantiou: Stilleven met dode haan en haas, Collectie Bonnefantenmuseum. Foto: Peter Cox.Endura Ultra Fotografie MUSEUM HAUS ESTERS. KREFELD MUSEUM HAUS LANGE. KREFELD IMI KNOEBEL KERNSTÜCKE 22. MÄRZ BIS 23. AUGUST 2015 DAVID REED The Mirror And The Pool 22. März – 23. August 2015 Mit großzügiger Unterstützung www.kunstmuseenkrefeld.de 38 | SPECIAL KUNST Henri Matisse: Deux odalisques dont l‘une dévetue, fond ornemental et damier, 1928. Moderna Museet, Stockholm. © Succession H. Matisse, c/o Pictoright Amsterdam, 2014. TILBURG MUSEUM DEPONT »ISSAC JULIEN. RIOT. PLAYTIME U.A., TEN THOUSAND WAVES ... « bis 31.5. 2015 Die vielteilige Videoarbeit »RIOT« von Isaak Julien untersucht auf unnachahmliche Weise das Verhältnis von globaler Finanzkrise und zeitgenössischer Kunst. Überblicken kann man das Ganze nicht, eintauchen in Juliens poetische Bildsprache und die experimentellen Narrative aber auf jeden Fall. Daneben sind auch andere seiner starken Film- und Fotoarbeiten zu sehen. www.depont.nl WIELS. CONTEMPORARY ART CENTRE »BODY TALK: FEMINISM, SEXUALITY AND THE BODY IN THE WORK OF SIX AFRICAN WOMEN ARTISTS« bis 3.5. 2015 Wie sehen Feminismus und Body Art in Afrika aus? Wie arbeiten junge afrikanische Künstlerinnen mit dem Thema Sexualität? Was ist ihnen der Körper? Instrument zur Repräsentation, ein Feld der Selbsterforschung? Sechs Künstlerinnen aus verschiedenen Regionen Afrikas und der Diaspora untersuchen in ihrer Kunst den Körper mit all seinen Einschreibungen und Bezügen zu historischen oder politischen Figuren. Ein kritischer Widerhall eines speziellen afrikanischen, schwarzen Feminismus. www.wiels.org GENT MSK MUSEUM VOOR SCHONE KUNSTEN JULIA MARGARET CAMERON bis 14.6.2015 Sie war eine der ersten Fotografinnen überhaupt, träumerisch oder theatralisch ihre Bilder. Julia Margaret Cameron (1815-1879) schuf wunderbar arrangierte Porträts, suggestiv und weichgezeichnet. Ein bisschen religiös angehauchte Romantik, ein bisschen Fin de Siècle, ein bisschen David Hamilton. Zu ihrem 200. Geburtstag ist die britische Fotopionierin im MSK Gent zu Besuch, ihre einzige Ausstellung auf dem europäischen Kontinent. www.mskgent.be MONS 2015 EUROPÄISCHE KULTURHAUPTSTADT ANTWERPEN RUBENSHUIS »RUBENS PRIVAT. DER MEISTER PORTRÄTIERT SEINE FAMILIE« bis 28.6. 2015 Einer der bedeutendsten und fleißigsten Barockmaler der südlichen Niederlande: Peter Paul Rubens (1577-1640) hat nicht nur die wichtigsten historischen Ereignisse sowie mythologische und religiöse Großerzählungen in ungeheuerlichen Bildfeuerwerken verewigt. Er hat auch ganz Privates, mitunter seine nächste Umgebung ins Bild gesetzt: die Ehefrau, seine Kinder, die Schwestern und Brüder. Und sich selbst. Leidenschaftlich und hingebungsvoll ist der Künstler auch hierbei gewesen. www.depont.nl BRÜSSEL KONINKLIJKE MUSEA VOOR SCHONE KUNSTEN VAN BELGIE »RETROSPEKTIVE MARC CHAGALL« bis 28.6. 2015 Fliegende Kühe, Geiger und Tauben, Liebespaare und Märchen. Die große Sonderausstellung zum Werk Marc Chagalls legt ihr Hauptaugenmerk auf die russische Periode des Künstlers. Mit bedeutenden internationalen Leihgaben sicher eine bemerkenswerte Schau. www.fine-arts-museum.be Das tschechische Pilsen ist 2015 die eine Kulturhauptstadt Europas, die belgische Kleinstadt Mons ist die andere. Hier, 65 Kilometer südwestlich von Brüssel, im ehemaligen Kohlerevier Belgiens, hat sich der Abschied von der Zechenindustrie auch auf das Leben der Menschen ausgewirkt. Im Kulturhauptstadtjahr 2015 wird nun versucht, mit Kunst und Kultur, mit Theater, Musik, Literatur und allen nur denkbaren Mischformen gegen den Stillstand anzukämpfen: Vom Heiligen Georg und seiner Rolle in der Kunstgeschichte bis zur Monumentalskulptur aus China spannt sich der Bogen im Veranstaltungsprogramm. MUSÉE DES BEAUX-ARTS »VAN GOGH IN BORINAGE« bis 17.5.2015 Für einen Höhepunkt im Ausstellungsprogramm der Kulturhauptstadt sorgt Vincent van Gogh. Die Ausstellung im Musée des Beaux-Arts beleuchtet seine Zeit in Mons: 1879 war van Gogh als Prediger in die Region gekommen, zwei Jahre später nur gelangte er zur Überzeugung, dass die Malerei und die Zeichenkunst seine wahre Berufung seien. In der Ausstellung wird die wallonische Industrielandschaft Borinage deshalb als künstlerische Geburtsstätte des Meisters gefeiert. Seine Vorliebe für realitätsnahe Themen des täglichen Lebens der Bauern und Arbeiter sei hier verwurzelt. Bis ins spätere Werk finden sich Reminiszenzen an Borinage – dies belegt die Schau mit gut 50 Werken. www.mons2015.eu www.bam.mons.be
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