welt Die nächste Ausgabe erscheint am 1. Juni 2015 Unser aktuelles Projekt in Papua-Neuguinea Kirche für die Menschen vor Ort MÄRZ – MAI 2015 Schwerpunkt C 51 78 Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Papua-Neuguinea (ELCPNG) leistet einen wichtigen und verlässlichen Dienst am Nächsten. Sie unterhält nicht nur viele Schulen und einige Basiskrankenhäuser, sondern sie engagiert sich besonders in der Jugend- und Frauenarbeit. Trotz der Größe des Landes und der häufig sehr unzureichenden Infrastruktur bietet die Evangelisch-Lutherische Kirche in PNG wirkungsvolle Vor-Ort-Angebote. So gibt es ein Netzwerk mit Programmen, das gerade Menschen in den ländlichen Regionen erreicht. Die Angebote der Frauen- und Jugendarbeit sind dafür gute Beispiele, denn sie bringen die Menschen zusammen und ermöglichen die Stärkung in Glaubens- und Lebensfragen. So trägt die Frauenarbeit zur Gleichberechtigung der Geschlechter bei, fördert die Ausbildung von Frauen und setzt sich aktiv für die Überwindung von häuslicher Gewalt ein. Und die Jugendarbeit der ELC-PNG stellt sich besonders den Fragen und Herausforderungen der jungen Generation. Sie lädt junge Leute dazu ein, das Evangelium als Lebensmöglichkeit zu entdecken und stärkt ihre Rolle als Christen in der sich rasch wandelnden Gesellschaft Papua-Neuguineas. Nach wie vor leben 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Papua-Neuguinea auf dem Land. Dort sind Bildungseinrichtungen noch immer sehr knapp, dabei ist Bildung eine wichtige Voraussetzung, damit Kinder eine Zukunft haben. 36 weltbewegt Spendenkonto des Zentrums für Mission und Ökumene: IBAN: DE11 2106 0237 0000 0273 75 BIC: GENODEF1EDG Programmarbeit ELC-PNG (Projekt 3001) (Konto 27375 BLZ: 210 602 37 EDG Kiel) Foto: N. Gehm, Titel: Bernard Riff Bei der Durchführung ihrer Angebote in der Bildungs-, Frauen-, und Jugendarbeit wird die ELC-PNG auch personell von ihren internationalen Partnerkirchen unterstützt. Im Auftrag der Nordkirche üben derzeit Pastorin Eva SunnyLagies (Lutheran Church College Banz) und Pastor Dr. Martin Brückner (Martin-Luther-Seminar, Lae) eine Lehrtätigkeit in Papua-Neuguinea aus. Auch die finanzielle Förderung der Jugend- und Frauenarbeit hat unsere besondere Aufmerksamkeit. Helfen Sie dabei mit! Dank Ihrer Spende werden Frauen und junge Menschen in Papua-Neuguinea gestärkt. SCHWERPUNKT Papua-Neuguinea weltbewegt 37 Schwerpunkt Unser aktuelles Projekt in Papua-Neuguinea Kirche für die Menschen vor Ort Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Papua-Neuguinea leistet einen wichtigen und verlässlichen Dienst am Nächsten. Sie unterhält nicht nur viele Schulen und einige Basiskrankenhäuser, sondern sie engagiert sich auch besonders in der Jugend- sowie in der Frauenarbeit. Mit Ihrer Unterstützung möchten wir das Engagement für die Jugendlichen und für die Frauen in Papua-Neuguinea fördern. Nähere Informationen zu unserem aktuellen Spendenprojekt finden Sie auf der Heftrückseite. 2 Fotos: C. Plautz (1), S. D. Gradert (1), M. Haasler (2), Wikimedia (1), A. Knuth (1), J. Bartels (1), T. Krafft (1), M. Struck-Garbe (2), M. Krieg (2), S. Schmidt (1), ZMÖ-Bildarchiv (1) 4 Zur Schule müssen viele Kinder weite Wege zurücklegen. Vor-Ort-Angebote können den wichtigen Zugang zur Bildung erleichtern. Editorial Aus dem Inhalt 8 Papua-Neuguinea ist ganz anders! Vom Missionskleid zur Bilum-Fashion Eine Annäherung von Martin Haasler an ein Land im Umbruch, das voller Widersprüche ist. Die Mode spiegelt auch die Geschichte des Landes wider. Marion Struck-Garbe erzählt sie nach. Paradies der Rohstoffe Brücke zwischen Tradition und Moderne Das Wirtschaftswachstum ist enorm gestiegen. Aber was kommt davon bei der Bevölkerung an? Wir brauchen Visionäre 12 14 16 17 Die Kirche steht vor großen Herausforderungen. Was ist zu tun? Kinim Siloi sucht nach Antworten. Moderne Kunst hat sich inzwischen etabliert und verarbeitet auch politische Themen. Medizin muss dorthin, wo die Menschen sind Die Regierung muss mehr für das Gesundheitswesen tun, fordert Dr. Andreas Schultz, Direktor von „Ärzte der Welt“. Heikle Balance Hexenwahn Wenn alles im Umbruch ist, kann das für die Kirche auch eine Chance sein, meint Dr. Anton Knuth. Wie kommt es zu dem Phänomen? Wie kann man ihm begegnen? Prof. Theodor Ahrens geht den Fragen nach. Ein Mensch allein ist nur ein halber Mensch Weg zur Gleichberechtigung noch weit Um Gemeinschaft und ihre Bedeutung für Gesellschaft und Theologie geht es im Interview mit Maiyupe Par. Zur Rolle der Frau – ein Gespräch mit Cathy Mui und Mary-Rose Palei und ein Beitrag von Cynthia Lies Wantoks im globalen Dorf Von Anfang an dabei Welche Bedeutung haben die Neuen Medien für die Gesellschaft? Thorsten Krafft hat nachgefragt. Ein Nachruf auf Dr. HansJoachim Kosmahl von Paul Gerhardt Buttler 18 19 22 24 28 + 30 Liebe Leserin, lieber Leser, Papua-Neuguinea gilt in unseren Breitengraden als Sinnbild für alles, was exotisch, was wild und sehr weit weg ist. Aber wie ist es dort wirklich? Der zweitgrößte Inselstaat der Welt ist ein Land voller Widersprüche und Gegensätze und hat so viele Facetten, dass sie sich kaum einfangen lassen. So gibt es allein über 836 indigene Sprachen und Dialekte. Hinzu kommt, dass sich der Inselstaat durch die Globalisierung in einem rasanten sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Umbruch befindet. Papua-Neuguinea steht mit seinem Wirtschaftswachstum im internationalen Vergleich an 15. Stelle. Wieviel davon bei der Bevölkerung wirklich ankommt, ist eine der Fragen, mit denen sich Marion und Eckhart StruckGarbe in ihrem Beitrag kritisch beschäftigen. Die enorme Kluft zwischen Moderne und Tradition droht das Land manchmal auseinanderzureißen. Die Neuen Medien beschleunigen diese Entwicklung um ein Vielfaches. Aus Respekt vor dieser Vielfalt könne sein Artikel „auch nur eine Annäherung sein“, hatte Martin Haasler im Vorfeld erklärt. Als Referent für Papua-Neuguinea und Pazifik betreut er die Partnerschaftsbeziehungen der Nordkirchen, die es seit über 35 Jahren gibt. Er habe den ozeanischen Inselstaat als ein Land erlebt, das zugleich extrem fremd sei, einem dann aber auch wiederum sehr nahe kommen könne – vor allem durch die Begegnung mit den Menschen. Nun wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre. 32 Ihre weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach 52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: [email protected] IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND V ERLEGER: Z entrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Breklum und Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. DIREKTOR: Pastor Dr. Klaus Schäfer (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS ww.nordkirche-weltweit.de. KORREKTUR: Constanze Bandowski, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, w DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE11 2106 0237 0000 0273 75 Evangelische Darlehnsgenossenschaft EG KIEL, BIC GENODEF1EDG. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu bearbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier. weltbewegt weltbewegt 3 Schwerpunkt Papua-Neuguinea ist ganz anders! Eine Annäherung an ein Land, das voller Widersprüche und Gegensätze ist und sich in einem rasanten Umbruch befindet Martin Haasler Martin Haasler ist Referent für Papua-Neuguinea und Pazifik sowie für Partnerschaften im Zentrum für Mission und Ökumene. 4 weltbewegt ls eine Bekannte hörte, dass ich nach Papua-Neuguinea gehen wollte, um dort in der lutherischen Kirche zu arbeiten, sagte sie: „Oh, wie schön! Ich wollte auch schon immer mal nach Südamerika!“ – Schon häufig habe ich diese Begebenheit in verschiedenen Varianten von ökumenischen Mitarbeitenden in Papua-Neuguinea erzählt bekommen. PapuaNeuguinea, kurz PNG, klingt für viele wie der Inbegriff der Exotik. Bereits seine Lage nördlich von Australien, auf der Osthälfte Neuguineas, der zweitgrößten Insel der Erde, den westlichen Rand Ozeaniens markierend, gilt zuweilen als Expertenwissen. „Ziemlich speziell“ nannte eine Buchhändlerin jüngst meinen Kauf einer Kulturgeschichte Ozeaniens und jemand im Laden fügte hinzu: „Wenn ich Papua-Neuguinea höre, denke ich nur immer an Missionare in Kochtöpfen, aber so ist es da doch heute nicht mehr, oder?“ „Nein“, antwortete ich, „so ist es da nicht, und so war es dort auch nie…“ Ich zögerte und fühlte, wie mir die Hände feucht wurden und mein Blutdruck stieg wie jedes Mal, wenn dieses offenbar nicht auszurottende, ungeheuerliche Klischee über Menschen in Ozeanien im Raume steht, nachdem es in freundlichstem Plauderton und ohne bewusste feindliche Absicht, geradezu arglos ausgesprochen wird. Noch gibt es die Klischees von den Wilden Wie sollte ich erklären? Wo sollte ich ansetzen? Wie ließ sich aufräumen mit diesem brutalen Klischee von den menschenfressenden Wilden, die in den dunklen Dschungeln einer entlegenen Südseeinsel nahezu unberührt, unbemerkt, aber auch unbeeindruckt vom Rest der Welt grausame archaische Praktiken pflegen? Das oft bemühte Bild von PNG als Heimat menschenfressender Wilder bringt mich regelmäßig aus der Fassung. Es ist wie ein Schlag vor den Kopf. Was sollte ich entgegnen, wie darauf antworten? Wie könnte ich ein überzeugendes Bild von den Menschen in PNG zeichnen, die weit davon entfernt sind – womöglich unter martialischen Gesängen und Tänzen um besagten Kochtopf herum – sich jedwedem äußeren Einfluss zu widersetzen und damit den Trägerinnen und Trägern einer wie auch immer gearteten „Mission“ eine endgültige Abfuhr zu erteilen? Das Wenige, das mit PNG gemeinhin assoziiert wird, etwa die Vorstellung von den „Missionaren im Kochtopf der letzten Wilden in der fernen Südsee“, stammt häufig aus einer offenbar ungebrochenen, vollkommen unreflektierten selbstherrlichen Tradition der deutschen Kolonialzeit. Wie sollte ich die unheilvolle brachiale Wucht des wirkmächtigen Klischees von den weltfremden, unbelehrbaren, unfassbar primitiven und grausamen Wilden entkräften, die alles an Menschlichkeit, Zivilisation, Kultur, Bildung auch nur Erinnernde in menschenverachtender, geradezu „kannibalistischer“ Weise ablehnen? „Papua-Neuguinea ist ganz anders“, hörte ich mich sagen. Es war genau der Satz, den ich schon unzählige Male von Leuten gehört hatte, die PNG lieben, die dort Freunde haben oder in dem Land selber zuhause (gewesen) sind. Aber was erklärt dieser Satz? den die Stadtteile miteinander. Der Flughafen, das Regierungsviertel oder die Universität liegen nur ein paar Autominuten auseinander, jedenfalls außerhalb der Rushhour. Auf einem städtischen Hügel mit Seeblick befindet sich das Diplomatenviertel mit seinen parkähnlichen Grundstücken und wie Gefängnisse gesicherten Villen. An den Rändern der Stadt wuchern die „settlements“ genannten Slums. Dem Gast aus Europa wird aus Sicherheitsgründen abgeraten, diese Siedlungen zu betreten oder auch nur zu befahren. Selbstverständlich: PNG ist ganz anders. Aber inwiefern? Was genau ist anders? Port Moresby hat ein kleines Geschäftszentrum mit mehrstöckigen Häusern und einigen größeren Bank-, Hotel- und Firmengebäuden mit schillernden Glasfassaden. Die meisten Leute, die hier unterwegs sind, tragen modische westliche Kleidung und bewegen sich geschäftsmäßig zwischen den Einrichtungen und Geschäften. Parkplätze für die Pkws und Geländewagen sind im gesamten Zentrum ein rares Gut. Dicht an dicht schieben sich die Autos. Es wird gedrängelt und gehupt. Das Straßenbild eines vielleicht nicht besonders gediegenen, aber florierenden Geschäftsviertels. Das Leben in Port Moresby ist auch im internationalen Vergleich sehr teuer. Die Übernachtung im Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch. Flugreisende aus Übersee gelangen in der Regel über Port Moresby in das Land. Die landschaftlich wunderschön gelegene Hauptstadt erinnert ein wenig an australische Hafenstädte, die vom Vieh- oder Erztransport leben und aus leicht nachvollziehbaren Gründen in keinem gängigen Reiseführer erwähnt werden. Zahllose Zweckbauten für die Hafenwirtschaft, für Verwaltung und Gewerbe, aber natürlich auch für Parlament und Regierung des Landes bestimmen das Stadtbild. Autobahnähnliche Straßen verbin- Nur 13 Prozent der Menschen leben in der Stadt Fotos: C. Wenn (1), M. Haasler (1), E. Lau (1), J. Bartels (2) A Hotelzimmer kann leicht mehrere Hundert Euros kosten, ohne dass diese zumeist von weltweit tätigen Hotelketten gebotenen Unterkünfte mehr als mittelklassigen Komfort zu bieten hätten. Zum Vergleich: Der Mindestlohn in PNG beträgt 3,20 Kina pro Stunde, umgerechnet 1,08 Euro. Der Grund für die hohen Preise in der Stadt liegt zum einen in der Alternativlosigkeit des Angebots und zum anderen in der Tatsache, dass sich etwa durch Ausbeutung der natürlichen Ressourcen sehr viel Geld verdienen lässt, die hohen Preise also von den entsprechenden Firmen bezahlt und darum verlangt werden. Hauptexportgüter des Landes sind Gold, Erdöl, Kupfer und Kaffee. Keine einzige Straße verbindet die Hauptstadt Papua-Neuguineas mit dem Rest des Landes. Wer andere Landesteile besuchen will und sich nicht zu Fuß auf den (nicht vorhandenen) Weg machen will, ist auf Flugzeuge oder Schiffe angewiesen. Erstaunlich, dachte ich damals. „Aber“, so habe ich es in der Hauptstadt immer wieder gesagt bekommen, „Port Moresby ist nicht PNG, denn“ – und auf diese Aussage war ich inzwischen gefasst – „PNG ist ganz anders“. Diese Aussage lässt sich eindrücklich belegen, denn in PNG atmet kaum jemand Stadtluft. Der Urbanisierungsgrad ist einer der niedrigsten der Welt. Mit 13 Prozent ist er halb so hoch wie der Tansanias (26 Prozent) oder Indiens (30 Prozent), und er beträgt weniger als ein Sechstel des Verstädterungsgrades von Deutschland (74 Prozent). Im Vergleich zu den Ländern Ozeaniens ist der Urbanisierungsgrad von PNG auffallend niedrig. Wer außerhalb Port Moresbys oder Städten wie Lae, Mount Hagen, Madang oder Goroka unterwegs ist, wird die ländliche Prägung des Landes nicht übersehen können. Bereits an den Rändern der wenigen Fernstraßen des Landes, den sogenannten Highways, findet sich zwischen größeren Ortschaften im Wohnungsbau keine städtische „Stein-Architektur“ mehr. Die Häuser sind in traditioneller Bauweise zumeist aus pflanzlichen Materialien gebaut. Wege, die in den Highway einmünden, sind außerhalb der Städte in der Regel nicht asphaltiert. Schon der Highway empfiehlt sich nicht für Pkw-Limousinen, aber wer den Highway verlässt, wird auch auf den besten Straßen ohne Geländewagen nicht weit kommen können. Tradition neben Moderne – das Leben in PapuaNeuguinea ist voller Gegensätze. (v.l.n.r.): Der Hafen von Port Moresby und das Parlamentsgebäude, traditioneller Umzug, Gemüseverkauf aus eigener Ernte. Das Land erlebt einen rasanten Wandel Die meisten Menschen leben fernab großer Straßen. Größere Ortschaften und Städte versorgen ein riesiges Umland mit allem, was sich in den heimischen Gärten nicht anbauen oder in den großen Wäldern oder im Meer nicht ernten, jagen und fangen lässt. Viele Menweltbewegt 5 Schwerpunkt 6 weltbewegt der exponentiell zunehmenden Kommunikation von Informationen aller Art werden nicht nur Nachrichten und Meinungen, sondern auch Bilder und Vorstellungen unters Volk gebracht, die in vielerlei Hinsicht den Wunsch nach einer Entwicklung befeuern, die unmittelbar zu Wohlstand und einer Lebensweise westlicher Prägung sowie internationaler Anerkennung führt. Ein rascher, infrastrukturell abgesicherter Anschluss an internationale Konsum- und Versorgungsstandards sowie die individuelle Teilhabe an materiellem Reichtum gehören zu den wichtigsten Motiven, aus denen heraus insbesondere junge Menschen ihre dörflichen Gemeinschaften verlassen und damit ihre Rolle in den traditionellen Sozial- und Grundversorgungssystemen aufgeben. Mit kurz- und langfristigen Folgen nicht nur für die Einzelnen, sondern auch für die Gemeinwesen, denen sie entstammen. Etliche Anzeichen der Veränderungen sind zahlreich und lassen sich schon vom Highway aus erkennen. Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Individualisierung und Entsolidarisierung als gesellschaftlicher und ökonomischer Trend. Immer häufiger ist zu beobachten, dass Grundstücke vor den Toren einer Stadt oder größeren Ortschaft eingezäunt und von Wachdiensten kontrolliert werden. Am augen- fälligsten ist vielleicht die Werbung. Ob braune Brause, Bierbüchsen, Telefonkarten oder auch ein gemästetes Schwein – am Highway ist für Geld vieles zu bekommen. In etwas dezenter beworbenen, jedoch nicht unbemerkt bleibenden sogenannten Clubs am Straßenrand werden den zahlungskräftigen Durchreisenden sogar sexuelle Dienstleistungen angeboten. Die ethnische Vielfalt ist eine große Herausforderung Wer in PNG ein Produkt bewerben möchte, muss sich einigen Schwierigkeiten stellen. Die Tatsache, dass in dem Land mit einer Bevölkerung von rund sieben Millionen Menschen über 830 Sprachen gesprochen werden, zwingt die Werbebranche dazu, ihre Botschaften entweder auf Tok Pisin als der verbreitetsten Verkehrssprache oder auf Englisch zu formulieren. Dieses Vorgehen setzt allerdings voraus, dass die potenzielle Kundschaft lesen kann, was bestenfalls für gut die Hälfte der Erwachsenen zutrifft. Nirgendwo ist die ethnische und kulturelle Vielfalt sowie die Dichte der Sprachen so groß wie in diesem Land. Kinder wachsen nicht selten zweisprachig auf, denn nicht immer ist ihre Muttersprache auch die ihres Vaters. Nach der Sprache des Dorfes ist Tok Pisin meist die nächste zu erlernende Sprache. Erst weiterführende Schulen bieten Englisch- Fotos: M. Haasler (1), E. Lau (2), M. Krieg (1) schen müssen tagelange Fußwege auf sich nehmen, um überhaupt an eine Straße zu gelangen. Wie überall auf der Welt lebt die Stadtbevölkerung von den landwirtschaftlichen Produkten, die in der Umgebung der Stadt hergestellt und großenteils auf städtischen Märkten verkauft werden. Auch die Fernstraßen bieten Gelegenheit zur Vermarktung von lokal angebauten Produkten. Auf Marktplätzen oder an Straßenständen werden entlang des Highways zumeist vor Ort produziertes Obst und Gemüse angeboten. Auf diese Weise breitet sich die Geldwirtschaft allmählich auch in die entlegensten Landesteile aus, die traditionell von einer Wirtschaft geprägt sind, die der Selbstversorgung dient. Mit der Einführung des Geldes hat eine Veränderung der Lebens-, Konsum- und Wirtschaftsgewohnheiten eingesetzt, die erheblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben und das soziale Gefüge des Landes hat. Das Land befindet sich heute in einem rasanten, umbruchartigen Wandel, dessen Komplexität und Tiefgang sich an zahllosen Veränderungen ablesen lässt und der mit seinen dramatischen Auswirkungen tiefe Spuren im Leben der einzelnen, ihren Familien, Clans und Dorfgemeinschaften hinterlässt. Die intensive Nutzung moderner Kommunikationstechnik ist ein Beispiel dafür. Allen voran die Mobiltelefonie und das Internet. Mit unterricht an. An Hochschulen und Universitäten wird schon aufgrund der zur Verfügung stehenden Fachliteratur auf Englisch unterrichtet. Wer in PNG groß geworden ist und Englisch spricht, hat also meist vier Sprachen erlernt. Es lässt sich erahnen, welchen sozialen Stellenwert die eigene Muttersprache hat und wie hoch die sprachliche Hürde für eine Berufsausbildung oder gar für einen Hochschulabschluss ist, der internationalen Standards entspricht – von finanziellen Gesichtspunkten ganz abgesehen. Die gemeinsame Sprache vermittelt Zugehörigkeit. Wer dieselbe Sprache spricht, ist ein Wantok (abgeleitet von „one talk“) und gehört in aller Regel derselben ethnischen Gemeinschaft an. Wer meine Sprache spricht, wer mein Wantok ist, steht mir näher als andere Menschen. Meinem Wantok bin ich verbunden und verpflichtet zugleich, denn wir gehören zusammen und sind aufeinander angewiesen, um uns in einer nur schwer verständlichen Umwelt zu behaupten. Die Verständigung auf gemeinsame Werte und Regeln ist unter Wantoks selbstverständlich. Dies kann zu einer riesigen Herausforderung werden, wenn es um die Ausbildung einer Nation mit einheitlichem Rechts- und Wertesystem geht. Wenig überrascht es daher, dass die Bekämpfung von Vetternwirtschaft und Korruption weit oben auf der offiziellen Prioritätenliste der Regierung steht. Wer in dem Land ohne Gewalt etwas verändern will, muss Argumente dafür finden und in den jeweiligen kulturellen Kontext hineintragen und übersetzen. Das ist ein langwieriger und müheseliger Prozess, wie sich beispielsweise an der präventiven Gesundheitsarbeit zeigt. Allein welche kulturellen Hürden zu überwinden sind, um elementare Hygiene-Regeln zu vermitteln, die Ausbreitung von TBC, Cholera oder HIV/AIDS zu verhindern, ist ein gigantisches Problem in dem multikulturellen Land. Häufig noch schwieriger ist es unter den aktuellen Gegebenheiten, soziale Veränderungen wie die Überwindung häuslicher Gewalt zu erreichen. Mit Opferraten von über 60 Prozent – allein unter der weiblichen Bevölkerung – bricht sie im weltweiten Vergleich derzeit alle traurigen Rekorde. PNG ist anders, die Menschen in PNG sind es nicht. Sie sind und verhalten sich ebenso, wie andere es unter denselben Bedingungen und Gegebenheiten tun würden. Der Kontext menschlichen Lebens in PNG ist jedoch so sehr von dem verschieden, was in europäisch geprägten oder von europäischem Denken beeinflussten Ländern als „normal“ gilt, dass sich im wechselseitigen Austausch und in der Begegnung interkulturelle Missverständnisse und Konflikte selbst und gerade da nicht vermeiden lassen, wo vermeintlich gleiche Bezugsgrößen wie „das Geld“ eine Rolle spielen. Darum hat die Partnerschaftsarbeit wie die zwischen den Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Papua-Neuguinea und in Norddeutschland immer auch damit zu tun, hier wie dort die Gültigkeit des Evangeliums Jesu Christi für alle Menschen in der alltäglichen Wirklichkeit, also unter den Bedingungen des kirchlichen Lebens immer wieder neu durchzubuchstabieren. PNG ist anders – aber Deutschland ist es auch. weltbewegt weltbewegt 7 7 Schwerpunkt Paradies der Rohstoffe Nicht alle Proteste gegen Landraub beschränken sich aufs Wort wie dieses Plakat in Port Moresby. Es kommt teilweise zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Das Wirtschaftswachstum ist enorm gestiegen. Was kommt davon bei der Bevölkerung an? Eckart Garbe und Marion Struck-Garbe Eckart Garbe ist seit 40 Jahren beruflich im Pazifik unterwegs. Der Volkswirt und Soziologe war Leiter des Büros des deutschen Entwicklungsdienstes in Papua-Neuguinea und auch als Journalist für Presse und Rundfunk tätig. Seit 2010 berät er kirchliche Institutionen und ökumenische Partner. 8 weltbewegt apua-Neuguinea verfügt über solch einen Schatz an Ressourcen, dass es in wenigen Jahren eigentlich ein wohlhabender Staat sein könnte. Stattdessen bestimmen Plünderung und Ausverkauf die Wirtschaft des Landes. Es nutzt seinen Rohstoffreichtum momentan nicht, um die großen Infrastrukturdefizite zu beheben. So sind nach wie vor Straßen, Küstenschifffahrt und Stromversorgung unzureichend und es mangelt an Beratung und Diensten im ländlichen Raum. Auch fehlen die Mittel, um die Mängel in Bildung, Gesundheit, Ernährungssicherheit sowie fehlende Entwicklungsperspektiven zu beseitigen. Während die Menschen dies meist unzufrieden und hilflos erleiden, erleben sie zugleich, dass viel Geld in den Taschen von korrupten Politikern und Eliten verschwindet. Die Medien berichten jeden Tag über solche Geschehnisse. Der Abbau von Mineralien, die Förderung von Erdöl und Erdgas, Fischfang, Ölpalmplantagen sowie Holzeinschlag in großem Stil spülen Geld in die Kassen des Staats. Dabei bleibt die dörfliche Subsistenz- und Familienwirtschaft weiterhin das eigentliche ökonomische Rückgrat. Etwa 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevöl kerung arbeiten in diesem sogenannten informellen Bereich. Der Ertrag des Gartenanbaus ist hauptsächlich für den Eigenbedarf bestimmt, die Überschüsse werden auf lokalen Märkten vertrieben, die zusätzlich für ein kleines Geldeinkommen sorgen. Dies wird zunehmend nötiger, da die Geldwährung inzwischen in alle Lebensbereiche vorgedrungen ist. Es fehlt also selten an Nahrung, jedoch fehlen notwendige Infrastrukturen. Wer profitiert vom wachsenden Export? Durch den massiven Export von Bodenschätzen, die inzwischen zwei Drittel des gesamten Exporteinkommens ausmachen, hat Papua-Neuguinea im letzten Jahrzehnt sein Wirtschaftswachstum kontinuierlich vorangetrieben. Dies wird in Zukunft durch den Bau beziehungsweise die Inbetriebnahme des ersten Flüssiggas-Pro jekts des amerikanischen Exxon Mobil Konzerns noch ausgebaut. Das Liquefied Natural Gas Project (PNG-LNG) nahm 2008 seinen Anfang und umfasst ein in Papua-Neuguinea bislang nicht dagewesenes finanzielles Volumen. 700 km Pipeline aus dem südlichen Hochland enden eine halbe Autostunde nördlich von Port Moresby in einem eigens errichteten großen Hafenterminal mit Verarbeitungsanlagen. Seit April 2014 wird Gas gefördert und im Mai wurde die erste Gas-Fracht von PNG nach China verschifft. Dorthin wird die angestrebte Fördermenge von sieben Millionen Tonnen Gas jährlich auch in Zukunft verkauft. Da es die für den Projektaufbau benötigten Fachkräfte im Land nicht gibt, wurden für kurze Zeit Fachkräfte aus dem Ausland angeheuert. Allerdings sind für die lokale Bevölkerung langfristige Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten nur in begrenztem Umfang entstanden. Um zu überleben, ist die örtliche Bevölkerung nach wie vor auf Subsistenz- und Gartenbau angewiesen. Ob die Einnahmen des Staats aus dem LNGProjekt schließlich dazu benutzt werden, die öffentlichen Schulden abzubauen und Bildung, Gesundheit und den Öffentlichen Dienst zu verbessern, bleibt abzuwarten. Viele befürchten, dass PapuaNeuguinea den großen Geldregen nicht verkraften kann und alles bloß die Korruption ins Unermessliche steigern wird. Diese Sorge hat dazu geführt, dass nun geplant wird, die neuen Einnahmen dem regulären Staatshaushalt nur zum Teil zuzuführen. Ein Großteil soll zur zukünftigen Nutzung durch spätere Generationen auf Sonderkonten angelegt werden. Die Einrichtung dieses „Sovereign Wealth Funds“ gibt Hoffnung, dass die LNG-Einnahmen doch noch dem Land als Ganzes zugute kommen könnten. Allerdings ist auch diese Konstruktion mit Risiken behaftet. Sie ist ihrerseits nicht gegen Risiken an Märkten und künftigen Missbrauch gefeit. Organisierter Landraub Fotos: E. v. d. Heyde (1), S. D. Gradert (1), M. Struck-Garbe (1), M. Haasler (1) P Ein weiteres Problem ist die 1996 eingeführte „Special Agricultural Business Lease“ (SABL), die zuletzt viel Diskussion und Protest in der Öffentlichkeit ausgelöst hat. Ursprünglich war die Regelung zur Förderung landwirtschaftlicher Betriebe gedacht. Inzwischen kommen die SABL-Pachtverträge einem massiven Landraub gleich. Über fünf Millionen Hektar Land, das sind immerhin 12 Prozent der Gesamtfläche des Landes, wurden für die Verpachtung an – meist ausländische – Firmen beziehungsweise Investoren freigegeben. Laut SABL-Gesetz kann der Staat Land von den traditionellen Eigentümern – 97 Prozent des Grund und Bodens gehören den Klans – pachten und dies dann seinerseits für 99 Jahre an interessierte Geschäftsleute verpachten. Dies erfordert jedoch die vorherige, freie und informierte Zustimmung durch die traditionellen Eigentümergruppen, also durch die Dorfgemeinschaften. Wie sich herausstellte, sind letztere vielfach nicht befragt worden. Oft wurden Verträge ohne deren Wissen abgeschlossen. Diese Vorgehensweise hat nicht nur ihre Rechte beschnitten, sondern ihnen auch das Leben schwer gemacht, nämlich dort, wo ihr Überleben von der Nutzung des Landes oder Waldes abhängt. Schwer wird es insbesondere dann, wenn es tatsächlich zu Aktivitäten auf dem verpachteten SABL-Gebiet kommt. Es ist in vielen Gegenden PapuaNeuguineas zwischen traditionellen Landeigentümern und Pächtern zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen um SABL-Flächen gekommen. SABL-Pachtverträge enthalten zwar die Auflage, das gepachtete Land agrarisch zu bewirtschaften, doch da meist Waldflächen vergeben werden, wird dann häufig erst einmal abgeholzt, um anschließend die agrarwirtschaftliche Nutzung zu unterlassen. Dort, wo keine Lizenzen (mehr) für den Holzeinschlag vergeben werden, ist SABL oftmals ein Trick, um dennoch abholzen zu können. Das ist fatal für den Waldbestand, insbesondere weil SABL ein totales Abholzen, also einen Kahlschlag, erlaubt – im Gegensatz zu den üblichen Forst- Konzessionen, die bloß selektives Abholzen zulassen. Die Konflikte um SABL und die Proteste, die dadurch ausgelöst wurden, haben dazu geführt, dass eine Untersuchungskommission eingesetzt werden musste, die prompt massiven Betrug und Unregelmäßigkeiten im Vergabeverfahren aufgedeckt hat. Laut Kommission sind 90 Prozent der Pachtverträge illegal. Die Regierung hat inzwischen angekündigt, dass alle illegalen Verträge aufgehoben werden sollen, hat jedoch bislang versäumt, diese Ankündigung auch umzu setzen. Bislang sind die illegalen Nutzungen also noch nicht gestoppt. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt nach wie vor von der Selbstversorgung. Umdenken notwendig Papua-Neuguineas Regierungen haben allesamt einseitig auf Rohstoffe gesetzt. Die Menschen wurden dabei vergessen. Man muss dringend umdenken, um dem Fluch seines geplünderten Reichtums etwas entgegenzusetzen. Die Regierung hat eine ambitionierte Vision: Das Land soll bis 2050 eine moderne Nation werden. Doch bislang ist davon noch nicht viel zu sehen. Allerdings gibt es auch Hinweise auf gesellschaftliche Veränderungen: bessere Information, digitale Medien, zunehmende Mobilität, junge Leute mit frischem Selbstbewusstsein. Ihnen wird es zufallen dafür zu sorgen, dass ihr Land nicht hinten bei den Verlierern, sondern vorne landet. Marion Struck-Garbe unterrichtet im Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg und arbeitet bei Greenpeace. Die Sozialwirtin und Ethnologin hatte mit ihrer Familie fünf Jahre in Papua-Neuguinea gelebt. Sie ist Mitglied im Ausschuss für PapuaNeuguinea und Pazifik des Zentrums für Mission und Ökumene. weltbewegt 9 Der Frieden ist trügerisch. Die Panguna-Mine auf der weißen Insel Bougainville (linkes Foto) hat in den 1990er Jahren zu einem zehnjährigen Bürgerkrieg geführt. Schwerpunkt rigkeiten gibt, Rechtsnormen landesweit umzusetzen. Was bleibt ist D ein riesiges Loch im Boden Goldstück aus der PorgeraGoldmine 10 weltbewegt Marion Struck-Garbe ie Suche nach Gold und anderen Edelmetallen hat seit den frühen 1920er Jahren Fremde ins heutige Papua-Neuguinea (PNG) gelockt. Im Umkreis des kleinen Städtchens Wau in Morobe kam es damals zu einem regelrechten Goldrausch, was jedoch nicht ohne massive Konflikte mit der indigenen Bevölkerung abging. An dieser grundlegenden Situation hat sich bis heute nichts geändert, wenn auch die Dimensionen inzwischen dramatisch geworden sind. Fast hundert Jahre später zählt das Land neun große Tagebauminen und weitere sieben große Bergbauvorhaben, die in den nächsten Jahren in Betrieb gehen sollen. Alle Hoffnungen und Pläne von allen bisherigen Regierungen PNGs fußen auf diesem umfangreichen Abbau von Gold, Kupfer, Nickel und anderen Bodenschätzen und Ressourcen. Bergbau trägt heute mit 50 Prozent zu den Deviseneinnahmen bei und hat damit großen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung sowie die Politik. Allerdings überwiegt das Negative. Denn Korruption und schlechte Regierungsführung verhindern, dass die Möglichkeiten des Bergbaubooms dazu genutzt werden, endlich längst überfällige Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen und den Menschen nötige Basis-Dienstleistungen bereitzustellen. So lebt die Bevölkerung in ländlichen wie in städtischen Gebieten großteils weiterhin in Armut, ohne Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und Gesundheit und ohne die Chance, daran rasch etwas zu ändern. Diese Situation erzeugt viel Unzufriedenheit. Clan- und Dorfgemeinschaften, die Grund und Boden an internationale Bergbauunternehmen abgegeben haben, greifen, wenn sie sich betrogen und übervorteilt fühlen, auf traditionelle Kampfmittel zurück. So blockieren sie zum Beispiel Zugangsstraßen zu den Minen, um höhere Entschädigungssummen für Land und Umweltschäden einzufordern. Das bekannteste Beispiel sind die Auseinandersetzungen um die PangunaMine auf der Insel Bougainville, die schließlich in einen zehnjährigen Bürgerkrieg (1989-1999) mündeten. Konflikte und Gewalt im Umfeld des Bergbaus haben dazu geführt, dass die Minengesellschaften heute in erheblichem Umfang private Sicherheitsdienste beschäftigen. So arbeiten 450 Wachleute allein für die Porgera-Mine in Enga. Diese Zahl übertrifft die Mannschaftsstärke von Polizei und Streitkräften in Papua-Neuguinea bei weitem. Gewalttätige Konfrontationen zwischen diesen »Securities« und Anwohnern nehmen zu. Da die Polizei oft selbst in diese Auseinandersetzungen verwickelt ist, zögern die Betroffenen meist, sich an sie zu wenden. Stattdessen weiten sich Formen von Selbst- und Lynchjustiz aus. Solche Trends tragen dazu bei, dass es weiterhin große Schwie- Fotos: R. Lavinsky/iRocks.com (1),J. Weate/Wikimedia (1), R. Farbelini/gemeinfrei (1), E. Lau (1) Mehr Fluch als Segen Die Globalisierung sorgt für anhaltende Nachfrage nach Mineralien. Inzwischen spielt Chinas Rohstoffbedarf dabei eine große Rolle. Allerdings haben die meisten Bergbauunternehmen in Papua-Neuguinea ihren Sitz in Kanada, offensichtlich weil es dort wenig Kontrolle für die Auslandsaktivitäten von Bergbaugesellschaften gibt. Jetzt drängen zusätzlich Chinas Bergbaufirmen verstärkt in das Land. Wie alle anderen Akteure nehmen auch sie wenig Rücksicht auf die Umwelt. Die Minen verschmutzen Flüsse und die offene See mit Schwermetallgiften, was den Lebensraum langfristig stark beeinträchtigen wird. Daneben entsteht in Papua-Neuguinea auch das weltweit erste kommerzielle Tiefseebergbauprojekt. Das Solwara genannte Vorhaben befindet sich nördlich Rabaul in der Bismarcksee und sollte eigentlich schon längst produzieren. Doch Unstimmigkeiten zwischen Regierung und Nautilus, der kanadischen Betreiberfirma, sowie Proteste der lokalen Bevölkerung haben den Start bis jetzt verzögert. Die potenziellen Umweltrisiken des Projekts sind bis heute nicht hinreichend geklärt. Dennoch will Nautilus die Produktion in Gang setzen. In Papua-Neuguinea zeigt sich, dass der Reichtum an Bodenschätzen bislang eher ein Fluch denn ein Segen ist. Die erwirtschafteten Einnahmen fließen Großteils zu den multinationalen Unternehmen; was im Land bleibt nährt eine korrupte, neureiche Kaste, die wenig für die eigenen Landsleute tut. So trägt auch der Bergbau bislang kaum dazu bei, die Armut im Land zu bekämpfen und breiten Wohlstand für die lokale Bevölkerung zu schaffen. Was bleibt ist ein riesiges Loch im Boden ... Die PorgeraGoldmine Die Pipeline der chinesischen RamuNickel-Mine leitet den Erzschlamm zur Raffinerie an die Küste, wo das Erz vom Schlamm getrennt wird. Der Abraum geht direkt ins Meer. weltbewegt 11 Schwerpunkt Wir brauchen Visionäre „Was die Kirche zur Kirche macht, das sind die Gemeinden“ – Gottesdienst in der St. Pauls Gemeinde in Goroka mit Pastor John Geril (s. Foto unten). Die Kirche steht vor großen Herausforderungen. Was ist zu tun? W o stehen wir und was brauchen wir als Kirche? Die Evangelisch-Lutherische Kirche ist nach der katholischen Kirche die zweitgrößte in Papua-Neuguinea. Aus einem ehemaligen Missionsgebiet ist längst eine eigenständige Kirche geworden, die trotz großer Herausforderungen stetig gewachsen ist. Heute zählt sie 1,2 Millionen Mitglieder. Die Kirchenverwaltung in Lae ist für mich jedoch nicht gleichbedeutend mit der Kirche. Das Kirchenamt ist zwar zuständig für die Verwaltung, für die Entscheidungsfindung, das Management, die Verbreitung von Informationen und nicht zuletzt für die Verteilung kirchlicher Ressourcen. Die eigentliche Kirche, das sind die Gemeinden. Sie sind es, die die Kirche lebendig machen und zum Schwingen bringen. In diesem Sinn sollte von Kirche in zweierlei Weise gesprochen werden: Es gibt sie in ihrer äußeren Form und in ihrer spirituellen Gestalt. Zu äußeren Gestalt: Viele Gemeinden in Dörfern und Städten werden nicht gut geführt, zumindest was die Bereiche Verwaltung, Verantwortlichkeit und Transparenz betrifft. Nicht selten fehlt es an Grundwissen, was die Gemeindeleitung betrifft – oft auch an Ressourcen. Trotzdem sprühen sie vor Lebendigkeit und Menschen kommen zusammen, um miteinander Gottesdienst zu feiern. Das zeigt, dass der Glaube der Gläubigen letztlich nicht davon beeinträchtigt 12 weltbewegt wird, wie eine Gemeinde verwaltet wird. Auf verschiedene Bedürfnisse in Stadt und Land reagieren Es gibt viele Herausforderungen, mit denen sich die Kirche sowohl auf dem Land als auch in der Stadt gegenübersieht. Dazu gehören vor allem Bereiche wie Gewalt, Geld und Korruption, das Auseinanderbrechen von Familien, Drogen, Alkohol, sexueller Missbrauch, Sektenbildung, Hexenwahn, zunehmende Säkularisierung, und vieles andere. Diese Bedrohungen sind nicht vermeidbar. Zum einen entwickelt sich das ganze Land in einem rasenden Tempo. Parallel dazu ist auch die Kirche gewachsen. Es gibt 17 Distrikte, die über das ganze Land verteilt sind. Es gibt insgesamt sieben kirchliche Abteilungen, unter anderem auch für die Bereiche Gesundheit, Landwirtschaft, Infrastruktur und Bildung. Damit versuchen sie auf die gesellschaftlichen Probleme zu reagieren. Nach wie vor gibt es sowohl auf dem Land als auch in der Stadt zu wenig Pastoren. Sie fehlen auch in den neu gegründeten Gemeinden. Das führt dazu, dass diese sich dann Laienpriester oder Älteste suchen, die eine Fortbildung in Theologie und Bibelkunde haben. Darin liegt die Gefahr, dass sie häufig überfordert sind, wenn sie mit Sekten oder anderen Gruppen konfrontiert werden, die die Gemeinden mit ihren Reden und Predigten überrollen. Was übrigens bereits in lutherischen Hochburgen geschieht. Die Kirche ist nun aufgefordert, mehr Pastoren und Laienprediger auszubilden. Das bisherige Verhältnis ein Pastor für drei Gemeinden muss überdacht werden. Die Verteilung der Pastoren sollte sich eher an der Größe der jeweiligen Gemeinden ausrichten. Auf dem Land werden vor allem viele Pastoren gebraucht, um den Zusammenhalt von Dorfgemeinden zu gewährleisten. In der Stadt gibt es andere Probleme, wie das Auseinanderbrechen von Familien. Hier brauchen die Menschen vor allem seelsorgerliche Hilfe, die aber oft fehlt. Trotz allem sind die kirchliches Dienste und kirchliches Engagement stark. Zahlreiche Frauen engagieren Fotos: M. Haasler (2), R. Grützmann (1) Kinim Siloi sich in der Frauenarbeit. Einige unterstützen die diakonische Arbeit in Krankenhäusern oder in Gefängnissen. Auch die Jugend und die Sonntagschulen sind in vielen Gemeinden sehr aktiv. Allerdings gibt es auch hier Unterschiede zwischen Stadt und Land, allein dadurch, dass Ehrenamtliche in der Stadt einen einfacheren Zugang zu kirchlichen Materialien haben, der in Dörfern oft fehlt. Dennoch werden die kirchlichen Dienstleistungen und Werke auch hier sehr geschätzt. Lösungen und Visionen Wie kann die Kirche die Probleme lösen? Dabei möchte ich zwischen langfristigen und kurzfristigen Lösungen unterscheiden. Eine Lösung kann man nur finden, wenn man die einzelnen Probleme ernst nimmt. Wenn man einer konkreten Herausforderung gegenübersteht, weiß man oft sofort, was zu tun ist und wie man sie beim nächsten Mal vermeiden kann. Wie die Kirche im konkreten Fall handelt hängt davon ab, wie sie ihre Verantwortung als Haushalter Gottes wahrnimmt. Grundsätzlich braucht die Kirche kluge, vertrauensvolle, verantwortliche und visionäre Kirchenführer. Eine gute Leitung muss vergessen, wer sie ist und woher sie kommt. Sie muss die Kirche als Einheit führen. Das bedeutet, dass es notwendig ist, in einer Sprache zu sprechen, wie eine Person zu denken und zu handeln. Die Kirche sollte zusammenhalten, um des Evangeliums und der organisierten Kirche willen. Die Aufgabe der Leitung ist es zudem, Entscheidungen der Synode und des Kirchenrates sowohl in den Regionen als auch auf allen Ebenen der Kirchenstruktur mitzutragen, einzuführen und umzusetzen. Sie sollte sich darauf einstellen, verschiedene kirchliche Dienste zu unterstützen, die unter ihrer Fürsorge stehen. Kirchliche Leitung braucht ehrenwerte und vertrauensvolle Menschen in den Regionen, den Abteilungen und Institutionen. Die Kirche braucht eine Führung, die nichts fürchtet außer Gott. Weiterhin braucht die Kirche mehr Pastoren und ausgebildete biblische Schüler – Frauen wie Männer. Auch die Qualität der Ausbildungsstätten, der Seminare und Kirchenkollegs muss überprüft werden. Wir brauchen zudem mehr wissenschaftliche Fachleute für die Ausbildung, die zugleich den Standard prüfen und garantieren. Es gibt viele säkulare Institutionen, die im Bereich sozialer Dienste ihr Fachwissen zur Verfügung stellen. Sie sind so zahlreich, dass unsere Kirche mit ihrer sozialen Arbeit nur davon profitieren kann. Deshalb sollte unsere Hauptaufgabe darin bestehen, für die pastorale Ausbildung kirchlicher Bediensteter und Leiter zu sorgen. Zweitens sollten wir die evangelische Mission innerhalb und außerhalb der Kirche in den Blick nehmen. Im Moment fehlt es der offiziellen Kirche an der Beschäftigung mit den Themen Mission und Evangelium. Sie beschäftigt sich zu sehr mit sich selbst. Ihr Augenmerk liegt derzeit vor allem auf inneren Angelegenheiten und selbstgemachten Problemen. Vielen scheint es dabei vor allem um das eigene Wohl zu gehen, so dass sie den Blick verloren haben für das Wohl des Ganzen. Mein Wunsch ist, dass sich das ändert – um der Kirche willen. Übersetzung: Ulrike Plautz Rev. Kinim Siloi ist Direktor für Interkirchliche Beziehungen, Ökumene und Kirchliche Partnerschaften der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Papua-Neuguinea weltbewegt 13 Schwerpunkt Heikle Balance Wenn alte Hierarchien wegbrechen, gibt es Freiraum für Neues. Davon profitieren vor allem Frauen. Sie nutzen die gewonnene Stärke auch, um sich in der Gesellschaft zu engagieren. Foto oben: Schwester Lorraine Garasu aus Bougainville hat sich während des Bürgerkrieges für den Frieden eingesetzt. Mitte: Immer mehr Frauen bilden sich fort und studieren, unten: Frauenprotest gegen den Klimawandel. Traditionen und alte Hierarchien weichen auf – auch in der Kirche. Das führt zu Spannungen, kann aber auch eine Chance sein. W Pastor Dr. Anton Knuth war von 2011 bis 2014 Dozent für Theologiegeschichte am Pazifisch Theologischen Seminar (PTC) in Suva, Fidschi und ist jetzt Pastor in Hamburg. 14 weltbewegt ie kommt es bloß, dass unsere Pastoren, Bischöfe oder Chiefs ihren Kirchen und Gemeinschaften nicht mehr so zu dienen vermögen, wie sie es früher konnten und eigentlich auch heute sollten?“, fragt ein Student aus Papua Neuguinea am Pacific Theological College (PTC) in Suva, Fidschi. Viele nutzen ihr Studium an dieser regionalen theologischen Hochschule, um über Antworten auf die beständigen Krisen in ihren Kirchen nachzudenken. Es gibt wohl keine Kirche im Südpazifik, die sich nicht in Turbulenzen befände. Die einst aus der Missionszeit ererbte etablierte Position in der Gesellschaft wird zunehmend nicht hinterfragt. Das hierarchische Leitungsmodell, nach dem alle dem einen Hirten, dem einen Häuptling fraglos folgen, funktioniert je länger je weniger. Auch die Chiefs und Big Man haben ihre zentrale Rolle in den Dörfern vielfach verloren. Der Staat übernimmt mehr Bereiche des öffentlichen Lebens, übernimmt Funktionen, die früher die Kirchen innehatten. Die Geldwirtschaft verdrängt zunehmend traditionelle Kreisläufe von Geben und Nehmen. Inmitten der gesellschaftlichen Umbrüche wenden sich vor allem jüngere Menschen in ihrer Suche nach spirituellem Halt und Segen neuen Gruppierungen zu. „Uns laufen wegen der andauernden Leitungsschwäche unserer Kirche die jüngeren Mitglieder weg“, stellte ein Student aus Samoa fest. Die Mormonen haben dort inzwischen mehr Mitglieder als die methodistische Kirche. Es gibt im Südpazifik nicht nur Staatskrisen und die Angst vor „failing states“, sondern auch eine Unzufriedenheit über „failing churches“. Viele der etablierten Kirchen scheinen sich selbst zu blockieren durch Missmanagement, Klientelwirtschaft oder sogar Ethnozentrismus. Woran liegt das? Die Ursache nur in mangelnden persönlichen Qualitäten der Kirchenleitenden zu sehen, wäre verkürzt. Die Krisen der Kirchen sind vielmehr ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Umwälzungen von einer traditionalen Dorf- und Subsistenzwirtschaft (die dem Eigenbedarf dient, Anm. d. Red.) hin zu einer kapitalbestimmten Globalisierung und Verstädterung. Das traditionelle Leitungsmodell, das auf Güterausgleich und Konfliktschlichtung in einer überschaubaren Gruppe eingestellt war, gerät ins Straucheln. Ein Grund dafür ist, dass die Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft und Organisation aufgrund verbesserter Transportmöglichkeiten und verstärkter Migration gewachsen sind. Bisher wurde denjenigen eine Leitungsfunktion übertragen, die ihrem eigenen Familienverband verpflichtet waren. Angesichts unübersichtlicher und größerer Verwaltungsaufgaben werden heute professionellere Managementabläufe benötigt, die sich nicht über Nacht einführen lassen. Leider begünstigen fehlende Kontrollmechanismen über Geldströme nach wie vor Korruption oder Vetternwirtschaft. Die Kirchen sind – trotz ihrer Botschaft von der einen in Christus versöhnten Menschheit – vielfach weiterhin entlang ethnischer Gruppen organisiert. So wird in der Methodischsten Kirche Fidschis die Kollekte nicht vom Einzelnen, sondern nach Sippen (tokatoka) getrennt eingesammelt. „Ob Bibelstunde oder Arbeitseinsätze, die kirchliche Arbeit ist immer dann am erfolgreichsten, wenn sie sich entlang der Einteilung des Dorfes in Familien entfaltet.“ Ein methodistischer Pfarrer aus Fidschi bringt damit die traditionelle Sichtweise auf den Punkt: „Unsere Kirche sollte sich verstärkt auf ihre Basis in der dörflichen Gemeinschaft besinnen und keine Alleingänge ohne Konsultationen mit den örtlichen Autoritäten und Chiefs eingehen.“ Nach dieser Sicht bleibt die Großfamilie, bleiben die Chiefs wichtigste Bezugsgröße, weil sie das gemeinsam von den Ahnen ererbte Land bewirtschaften und insofern die Kirche auch ökonomisch unterstützen. Unabhängig von persönlicher Leistung oder wirtschaftlichem Erfolg ist es auf dem Dorf die Familie, die für einen sorgt, aber auch entsprechenden Einsatz für andere Familienmitglieder erwartet. Aber kann eine letztlich clanisch organisierte Kirche ein wirkungsvoller Faktor der Orientierung für eine Gesellschaft im Umbruch sein? Eine Erneuerung ihrer Verwaltungsstrukturen oder transparenteren Leitungskultur wird sich so wohl kaum finden lassen. Wird die Kirche ein Spiegel der Zerklüftung oder der Einheit sein? In der Missionsgeschichte hatte der christliche Glaube die Menschen gerade aufgrund seiner grenzüberschreitenden Kraft der Versöhnung zwischen verschiedenen Clan-Iden- Fotos: A. Knuth (2), A. Butt (1), ZMÖ-Bildarchiv (1) Dr. Anton Knuth titäten angezogen. Noch vor Errichtung von kolonialen Staatsgebilden war es oft die Kirche gewesen, die alte Feinde versöhnen konnte und mit ihren Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen für alle auf eine neue Gerechtigkeit, Ausgleich und Frieden hoffen ließ. Heute scheinen es aber vielfach die Kirchen zu sein, die die Identitäten der einzelnen Stämme verfestigen und bestärken und so zugleich hilflos vor den Verschiebungen in einer Gesellschaft stehen, die sich mehr und mehr kapitalistisch organisiert und nicht mehr hauptsächlich auf dem Tauschkreislauf innerhalb der Großfamilie basiert. Einerseits wirken in den Kirchen traditionelle Loyalitäten und „Wantokismen“ weiter und schwächen unparteiliche Führungspositionen oder Schiedseinrichtungen. Andererseits werden durch die Aufweichung der traditionellen Lebensweise aber auch neue Spielräume sichtbar, die starre, überkommene Hierarchien in Frage stellen. So gibt es heute mehr Freiraum für viele Frauen, die sich nicht mehr automatisch Chiefs, Pastoren oder auch den Schwiegermüttern unterordnen müssen. Hoffnungsvoll stimmen die Kirchen, die die Ordination von Pastorinnen aktiv fördern, wie die Protestantische Kirche von Kiribati oder Maohi Nui (Französisch Polynesien). Vermehrt studieren Frauen am PTC Theologie. Sie könnten nach erfolgreichem Studienabschluss eine Vorbildfunktion übernehmen. Bekannt sind auch die positiven Friedensinitiativen der Missionsschwester Lorraine Garasu, die auf Bougainville ein kirchliches Frauen- und Friedenszentrum ge- gründet hat, das wesentlich zum Versöhnungsprozess auf der rohstoffreichen, aber gleichwohl armen Insel beitragen konnte. Es gibt die Hoffnung, dass sich durch die Förderung einer stärkeren öffentlichen Rolle von Frauen Wege für ein besseres Miteinander der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ergeben könnte. Sie könnte eine neue Führungskultur zum Ergebnis haben – auch in der Kirchenleitung. Dies kann auch von uns in Deutschland durch Ausbildungshilfen gefördert werden, damit möglichst noch mehr Studierende die Möglichkeit bekommen, neue Leitungsideen zu entwickeln. Vielleicht könnte die Kirche gleichsam zu einem „Dritten Raum“ zwischen dem traditionell-dörflichen und dem modern-städtischen Leben werden. Nur wenn die Kirchen neue Formen der Kirchenleitung, des Ausgleichs und Miteinanders finden, wird es ihnen gelingen, nicht nur Spiegel einer zerklüfteten Gesellschaft zu sein, sondern auch ein Vorbild für eine neue Einheit, die auf einer gerechten Teilhabe an den Ressourcen und einem friedlichen Miteinander verschiedener ethnischer Gruppen in dieser Region basieren wird. weltbewegt 15 Schwerpunkt Schwerpunkt „Ein Mensch allein ist nur ein halber Mensch“ Über die Bedeutung der Gemeinschaft für Gesellschaft und Theologie spricht Pastor Maiyupe Par im Interview mit Ulrike Plautz. Wantoks im globalen Dorf Was heißt das konkret? Im Dorf helfen sich alle gegenseitig. Ganz gleich, ob es nun um Gartenarbeit, um ein Haus oder darum geht, Essen zu bekommen. Nichts geht ohne die anderen. Das fängt schon damit an, dass Dorfbewohner Tipps geben, wenn man ein Haus bauen will, und einem sagen, wo man einen guten Platz findet oder gutes Holz bekommt. Dann ist es natürlich auch selbstverständlich, dass sie anschließend auch alle beim Bau mithelfen. Der Gemeinschaftsgedanke ist manchmal so extrem, dass ich mir überlege, wenn ich einen festen Termin habe, ob ich an der benachbarten Baustelle vorbeigehe oder nicht. Denn eigentlich müsste ich ja mithelfen. Maiyupe Par ist Pastor der EvangelischLutherischen Kirche in PapuaNeuguinea. Seit 2013 ist er als Ökumenischer Mitarbeiter in Breklum tätig, wo er mit seiner Familie lebt. 16 weltbewegt Wie sieht das in der Stadt aus? Dort ist es natürlich schon anders. Die Ansprü che haben sich gelockert. Sicher, auch dort braucht man Freundinnen und Freuden, um gut zurechtzukommen. Sie helfen bei der Wohnungssuche oder dabei, einen Job zu finden. Aber wenn man Geld verdient, ist es nicht mehr so existenziell. Dann könnte man zur Not auch überleben ohne andere Menschen. Das ist neu. Eine Besonderheit in den einheimischen Sprachen ist, dass es in der Grammatik nicht nur Singular und Plural, sondern auch Dual gibt. Was hat es damit auf sich? Damit wird die Zweisamkeit noch einmal stärker betont. Es heißt dann: Wir zwei machen gerade das und das. Die Form unterstreicht noch einmal eine besondere Form der Gemeinschaft. Sie betont aber auch auf besondere Weise das Angewiesensein auf den anderen. Welche Rolle spielen die Neuen Medien? Thorsten Krafft Welche Bedeutung hat dieser Gemeinschaftsgedanke in der Theologie? Er ist für uns zentral. In unserer Vorstellung ist ein Mensch allein ein halber Mensch. Er wird erst dann zu einem ganzen Menschen, wenn er sich mit einem anderen verbindet. So könnte man auch sagen: eins und eins sind eins. In diesem Sinne deuten wir auch die Schöpfung. Gott hat alles in einer Dualität geschaffen: Himmel und Erde, Tag und Nacht und schließlich Mann und Frau. Alles wird erst zusammen zu einem Ganzen. Was heißt das konkret? Der christliche Glaube lässt sich nur in der Gemeinschaft ausüben, etwas anderes können wir uns in der Praxis nicht vorstellen. So gesehen wäre es für uns unvorstellbar, alleine einen Gottesdienst zu besuchen. Es geht immer die ganze Familie in die Kirche. Dieses Verständnis prägt unsere Vorstellung, zum Beispiel auch was die Partnerschaft zu anderen Kirchen betrifft: Erst durch die Partnerschaft zu anderen Kirchen der Welt werden die Einzelkirchen zu einer vollständigen Kirche. Fotos: U. Eder (1), S. D. Gradert (1), T. Krafft (3) Welche Bedeutung hat die Gemeinschaft für Eure Gesellschaft? Maiyupe Par: Die Gemeinschaft ist für uns alles. Ohne sie kann man nicht überleben, das ist unsere Erfahrung. Uns hat eben das Leben im Dorf bestimmt. Es wird viel geschrieben, gepostet und online diskutiert. Begriffe wie Umbruch, Wandel, Transformation werden gerne angeführt und versuchen begreiflich zu machen, was im drittgrößten Inselstaat der Welt seit 2006, mit der Ankunft der mobilen Kommunikation, vor sich geht. Noch hat nur jeder Zweite ein Handy, wenige ein Smartphone. Das Marktpotenzial ist groß und die Konkurrenz kommt langsam in Fahrt. Doch welche Bedeutung hat der Umgang mit Handy, Facebook und Co für die Menschen in Lae, der zweitgrößten Stadt? Wie sieht es im Landesinneren aus? Ich verabrede mich per Whatsapp zu einem Gespräch mit Joshua Gewasa. Joshua arbeitet seit einem Jahr als freiwilliger Mitarbeiter in der IT-Abteilung der evangelisch-lutherischen Landeskirche. Seit dem letzten Jahr hat der Student der Universität für Technologie den Bachelor of Science in angewandter Physik in der Tasche. Er wirkt bescheiden, reflektiert, sympathisch. Joshua hat ein Ziel vor Augen. Der 26-jährige gehört zu einer neuen Generation von jungen Menschen, die Gesellschaft, Politik oder Kirche aktiv mitgestalten wollen. Er ist begeistert von den Möglichkeiten der Neuen Medien und erzählt von seinem ersten Handy, das er sich vor sechs Jahren kaufte. Als Schüler hatte er sich seinen Eltern, die auf der Insel Salamaua lebten, nur per Brief mitteilen können. 2009 begann die Firma Digicel das Land mit einfachen Mobiltelefonen zu fluten. Der Siegeszug des SMS begann. Zeitgleich mit dem Segen kamen auch die ersten Probleme. Er schmunzelt verlegen, als er über die Welle begeisterter, per Handy flirtender Ehepartner berichtet. Was folgte, waren Ehekrisen und zerbrochene Beziehungen. Dafür gab und gibt es bis heute die „mobailfon marit“. Die Heirat, die sich aus einem SMS-Flirt mit einem oder einer Unbekannten ergeben konnte. „Yu husat?“ Und wer bist du? Das neue Medium wurde und wird ganz pragmatisch interpretiert und konsumiert. Während des Gesprächs meldet sich Joshuas Smartphone mehrfach. Es sind Facebooknachrichten, die scheinbar im Minutentakt auflaufen. 93 Prozent der 300 000 überwiegend jungen Social-Media-Nutzer wenden die Facebook App ihres Handys oft an und tasten sich neugierig über die Grenzen der eigenen Bevölkerungs- und Sprachgruppen vor. Smartphone-Besitzende entdecken ein günstiges und mächtiges Werkzeug: Kommunikation, Fotoapparat, Videokamera und Radio im kleinen Gerät vereint – inklusive Anschluss an das globale Dorf. Unzählige, teilweise drastisch bebilderte Social-MediaPosts zeugen von den ersten Versuchen sich der Gemeinschaft mitzuteilen. Noch wichtiger aber ist die Verbreitung eines Speichermediums im Handy mit gewaltiger Wirkung: Die Micro-SD-Karte. Filme, Bilder und Musik werden heute per Bluetooth getauscht. Ein neuer Begriff macht die Runde: „Yumi Blututim!“ Schick es mir per Bluetooth! Ich frage Joshua nach dem Stellenwert des Radios im Land. Seiner Meinung nach haben Radioprogramme in der heutigen Form kaum Zukunft. Er meint, dass die Komponente Bild immer wichtiger wird, um unbekannte Themen und Geschichten begreifbarer, fühlbarer zu machen. Immer lauter werden Rufe nach einer Regulierung und Zensur der sozialen Medien. Es sind auch junge Menschen wie Joshua, die mich überraschen. Er wünscht sich von seiner Regierung eine sofortige Filterung sämtlicher gefährdenden Inhalte im Internet, und die lägen seiner Meinung nach bei 90 Prozent. So denken auch die meisten seiner Freunde. Er schlägt eine mehrjährige Sperre vor, bis es Regeln gibt. Er wünscht sich mehr Zeit, seine Mitmenschen auf das, was da gerade über sie hereinbricht, vorzubereiten und zu schützen. Zum Schluss erzählt mir Joshua, dass er in ein paar Wochen einen 14-monatigen Freiwilligendienst in Deutschland antreten wird. Ich freue mich auf ein Anschlussinterview und bin gespannt auf seine Eindrücke, die wir sicher wöchentlich auf Facebook miterleben und kommentieren können. Joshua Gewesa arbeitet als freiwilliger Mitarbeiter in der IT-Abteilung der Kirche. Thorsten Krafft ist Medienberater im Lutheran Communications Centre der ELC-PNG und gibt u. a. die Kirchenzeitung „Niugini Lutheran“ heraus. weltbewegt 17 Schwerpunkt Bilum-Mode von Cathy Kata, gesehen in London Marion Struck-Garbe Mode gehört zum Alltag. Auch in Ozeanien. Genau wie andere kulturelle Bereiche ist auch sie Veränderungen und Einflüssen von außen unterworfen. Mit der Missionierung verschwand die traditionelle Kleidung. Es setzte sich eine Kleiderform durch, die bis in die 1990er Jahre überall getragen wurde und als Nationaltracht galt. Heute, im Zeitalter der Globalisierung, tragen die Menschen vor allem in Städten importierte und industriell hergestellte Kleidung. Gleichzeitig hat sich, mit der Wiederentdeckung der eigenen kulturellen Werte, in den letzten 20 bis 30 Jahren auch eine spezifisch pazifische Mode entwickelt. Eine neu entstandene Berufssparte von Mode- oder Stoffdesignerinnen besinnt sich bei der Herstellung von Kleidung und Accessoires auf traditionelle Formen und Muster. Traditionelle Kleidung Ursprünglich diente Kleidung nicht nur dem Schutz sondern markierte auch den sozialen Status. Neben dem Stoff wurde auch der eigene Körper „genutzt“. Durch Körpermalerei oder -schmuck wollte man bestimmte rituelle oder gesellschaftliche Aktivitäten zusätzlich sichtbar machen. Die traditionelle Kleidung beschränkte sich lange auf einen Schurz oder einem Faserrock – und einen Bilum: eine Netztasche aus Pflanzenfasern. Sie wurde von Frauen als Umhang und von Männern als Schurz genutzt. Das Bilum war ein Symbol für die Mutter Erde, den Uterus sowie das gute Leben. Jede Ethnie hat bis heute ihre eigenen Muster und Farben. Noch immer werden neue Muster kreiert, für die allerdings meist bunte Wollfäden verwendet werden. Im Bilum wird auch heute noch alles transportiert, ob Kinder oder Süßkartoffeln, Feuerholz oder Kultgegenstände. der Feldarbeit erwies sie sich oft als zu unbequem, so dass die Menschen dort auf traditionelle Bedeckung zurückgegriffen. Zwingend war die neue Kleidung jedoch für Kirchgänge und beim Betreten öffentlicher Räume. Das Missionskleid mit seinem großen Blumenmuster ist ein viktorianisches Überbleibsel, das teilweise noch heute getragen wird. Ab 1930 wurde aus diesem sackartigen Kleid ein zweigeteiltes Kleidungsstück bestehend aus einem Unterrock (laplap) und einem puffärmeligen Kleid oder einer Tunika. Diese Kombination, die von Frauen selbst hergestellt wird, hat sich unter dem Namen Meri Blaus rasant verbreitet und zum nationalen Kleidungsstück gemausert. Es wird von Frauen aller Ethnien sowohl im Hochland als auch an der Küste getragen und ist damit zu einem wichtigen Element geworden, das die nationale Einheit visualisiert und den problematischen Prozess des Zusammenwachsens zur Nation unterstützt. Gleichzeitig macht das Festhalten der Frauen an dieser eher traditionellen Kleidung auch sichtbar, wie schleppend die Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen – vor allem in ländlichen, Regionen – verlaufen. Bilum-Fashion In den Städten sind moderne Berufstätige heute ähnlich gekleidet wie Europäerinnen. Da sie oft über wenig Bargeld verfügen, decken sie sich mit Secondhand-Kleidung ein, die auf Märkten oder in Lagerhallen angeboten wird. Diese importierte Kleidung macht es Frauen möglich, den Anschluss an die globale Welt auch modisch sichtbar zu machen. Vor etwa zehn Jahren begannen Frauen erstmals Bilum-Stücke auf ihre Secondhandkleider zu applizieren. Damit war die BilumMode geboren. Bereits 2003 gab es die ersten Bilum-Kleider im traditionellen Stil: einfache, eher formlose Kleider ohne Verschlüsse oder Nähte, alles handwerkliche Unikate und im Vergleich zu anderer Kleidung sehr teuer. Die Herstellung der Kleidung ist sehr mühsam und zeitaufwendig. Die international bekannten Designerinnen Cathy Kata und Florence Jaukae Kamel beschäftigen inzwischen kooperative Arbeitsgruppen, die nach ihren Anweisungen und Entwürfen Bilum-Kleidung anfertigen. So werden im Rahmen der kleinen Modebetriebe Arbeitsplätze für Frauen geschaffen. Diese neue Bilum-Mode hat es schon bis nach New York und London geschafft. Eine eigenständige und genuine Entwicklung, die nicht nur die internationale Modewelt bereichert, sondern auch die Menschen und nicht zuletzt die Kultur in PapuaNeuguinea. Missionskleidung Das Zeitalter von Mission und Kolonialismus wirkte sich auch auf die Kleidung aus. Frauen wurde nun vorgeschrieben, dass sie ein langes, weites, lose herabhängendes Kleid mit langen Ärmeln und hohem Kragen zu tragen hatten, um so viel Haut wie möglich zu verdecken. Mit dieser Maßnahme sollten „die Einheimischen zivilisiert werden“. Bei 18 weltbewegt Brücke zwischen Tradition und Moderne Fotos: ZMÖ-Bildarchiv (1), R. Tietgen (1), N. Gehm (1), M. Struck-Garbe (1) Vom Missionskleid zur BilumFashion Moderne Kunst hat sich fest etabliert und verarbeitet auch politische Themen Marion Struck-Garbe Das Bilu ms Rolle. Sc pielt im Alltagsle ben eine hwere La sten kön große werden. ne n d a m Formen it beweg u nd Farbe haben es t ns neuerdin gs sogar ind vielfältig und geschaff in die Mo t. dewelt Moderne Malerei oder modernes Design wird gemeinhin nicht mit Papua-Neuguinea in Verbindung gebracht. Traditionelle Masken, Schilde, Story-Boards, Skulpturen und ähnliches gelten als authentisch, als ursprünglich, während andere Formen der Kreativität als „nicht echt“ oder gönnerhaft als „primitive Kunst“ abgetan werden. Aber das künstlerische Schaffen ist eben nicht stehengeblieben wie die Objekte im Museum. Es ist nur anders geworden und damit lebendiger Ausdruck einer gegenwärtigen vitalen Kultur. Sie benutzt neue Techniken und Materialien, um individuelle Ideen darzustellen, die von den vielfältigen traditionellen Kulturen mit ihren je eigenen Mustern und Symbolen beeinflusst sind. Die Exponate befassen sich vielfach und farbenfroh mit der Schönheit von Körperschmuck und -bemalung oder traditionellen Ritualen und Zeremonien. Die Kunstschaffenden verstehen sich explizit als Bewahrer von Tradition und Geschichte. Sie beschäftigen sich aber auch mit Umbrüchen und den Folgen des sozialen Wandels. Seit einigen Jahren setzen sich einige Künstler und Künstlerinnen zudem intensiv mit den Folgen des Klimawandels auseinander. In ihren Werken schildern sie zum Beispiel das Schicksal von Menschen, die ihre Heimatinseln verlassen und auf andere Inseln ausweichen müssen, weil die Meeresspiegel angestiegen sind oder Mangelernährung droht, weil die Korallenbleiche zu Fischknappheit führt. Diese Situation hat der Maler Alexander Mebri in seinem Bild „Refugees of the sinking Islands” festgehalten. Fortsetzung Seite 20 Missionskleider in einer historischen Fotografie aus einem Sammelalbum (vor 1910). weltbewegt 19 Schwerpunkt Schwerpunkt Müllteppich groß wie Mitteleuropa Plastikmüll im Pazifischen Ozean wird zu einem der größten Umweltprobleme I m Pazifischen Ozean treiben Unmengen von Müll. Am schädlichsten für Tiere und Menschen ist die Verschmutzung durch sichtbaren und unsichtbaren Plastikmüll, weil er die Nahrungskette empfindlich stört. Der Plastikmüll wird überwiegend über Flüsse der Pazifik-Anrainerund Inselstaaten ins Meer gespült. Er gelangt weniger durch Schiffe ins Meer, denn das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe verbietet seit 1988 bei hoher Strafe den Schiffen das Verklappen von Plastikmüll im Meer. Für die große Mehrzahl von Meereslebewesen ist das Schwemmgut (mit einer Lebensdauer von bis zu 450 Jahren!) tödlich gefährlich. Meeresschildkröten verwechseln weiße Plastiktüten mit Quallen, wodurch ihre Verdauung blockiert wird; Seeotter ersticken an Sixpack-Ringen; Seevögel verschlucken Kunststoffteile, die ihnen den Magen füllen und, weil sie sie nicht verdauen können, zum Hungertod führen; und Fische verfangen sich in unzähligen verloren gegangenen Netzen. Dazu kommen toxische Abfälle z. B. durch Tankerunfälle oder durch Tsunamis (wie der von 2011 in Japan), die viele tausend Tiere töten. Auch an Stränden findet man große Mengen von Plastikmüll, der von Tieren wie Wattwürmern gefressen wird. Im Pazifischen Ozean treiben Unmengen von verschiedenen Sorten Müll. Eine Schwimmende Müllhalde. Der im Meer treibende Müll versammelt sich in mehreren tausend Kilometer großen Wirbeln im Zentrum von Meeresströmungen. Der größte Müllteppich befindet sich zwischen Hawaii und der Westküste der USA (Great Pacific Garbage Patch). Er hat die Größe Mitteleuropas und wächst täglich weiter. Durch Sonneneinstrahlung und mechanischen Wellenschlag wird das Plastik in kleine Teile zermahlen, die biologisch nicht abbaubar sind. Das Material folgt komplexen Strömungswirbeln und wird, je nach Wetterlage, von der Wasseroberfläche in Tiefen von bis zu 30 Metern gespült. Bei stürmischer See sind die Plastikobjekte auf der Meeresoberfläche nicht zu sehen. Dies ist einer der Gründe, weshalb das Phänomen der Plastikansammlungen in den Meeren lange nicht entdeckt wurde. Sämtliche sechs Müllstrudel in den Weltmeeren befinden sich außerhalb der Hoheitsgewässer der angrenzenden Staaten, so dass sich kein Staat verantwortlich fühlt. Die Kosten für ihre Beseitigung sind gigantisch hoch. Es kann noch Jahrzehnte dauern, bis die Müllteppiche beseitigt werden. Nach Angaben des „United Nations Environment Programme“ (UNEP) finden jedes Jahr 6,4 Millionen Tonnen Müll den Weg in die Ozeane. Pro Quadratkilometer Meer sind das 46 000 Plastikstücke. Wenn diese Entwicklung nicht bald durch Gegenmaßnahmen (s. Kasten) aufgehalten wird, würde es das Ende von jährlich 1 000 000 Seevögeln und 100 000 Meereslebewesen bedeuten. „Während wir alle von einer Insel in der Südsee träumen, von der Rückkehr ins Paradies, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus,“ Ernest Dichter (1907–1991). (Quelle: Pazifik-Infostelle) Künstlerische Verarbeitung des Klimawandels – 2008 entstand das Bild von Alexander Mebri „Flüchtlinge der versunkenen Inseln“. John Danger: 2009, “Klimawandel“, Acryl auf Material (Tischtuch) 20 weltbewegt (die Kultur der Stammesgesellschaften, Anm. d. Red.). Sie thematisiert die – in ihrer ganzen Dimension – kaum greifbare Bedrohung durch den globalen Klimawandel. Die weltweite Anerkennung hat jedoch weder den Kunstschaffenden noch der modernen Kunst die Stellung im eigenen Lande gebracht, die sie eigentlich verdienen. Nach wie vor existiert kein Ort, an dem moderne Kunst permanent präsentiert werden kann. Es gibt weder professionelle Galerien noch staatlich geförderte Ausstellungsräume. Dabei ist es die Kunst, die die bestehenden Gegensätze zwischen innovativ und kreativ verbindet und die es schafft, eine Brücke zwischen Tradition und Moderne zu schlagen. Fotos: M. Struck-Garbe (3), M. Haasler (1), Vberger/Wikimedia (1) Julie Mota: “Heimatlose Flüchtlinge” Einen Schritt weiter geht Julie Mota. Ihr Bild „Homeless Refugees” zeigt ein Paar mit besorgtem Gesichtsausdruck. Die Frau hält ein kleines Kind im Arm. Sie sind unter Druck, auf der Flucht und müsse ihre Habe, ihre Vergangenheit und ihr Herz zurücklassen. Was sie besonders deutlich zum Ausdruck bringt, ist Heimatlosigkeit, Bedrängnis und der Verlust ihrer Kultur. Zeitgenössische, moderne Kunst ist seit über 40 Jahren fester Bestandteil der Gesellschaft. So etablierte sich Mitte der 1970er Jahre eine Kunstakademie (später ‚Faculty of Creative Arts’ der Universität) in Port Moresby. Einige ihrer Absolventen sind weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt geworden, wie Mathias Kauage, Joe Nalo und Gigmai Kundu, deren Arbeiten in Australien, USA, Großbritannien, Japan, Indien und Deutschland ausgestellt und von bekannten Museen und Galerien aufgekauft wurden. So war Mathias Kauage, der 2003 verstorben war, von der englischen Königin zum Ritter geschlagen worden. In ihren Werken findet sich ein Zusammenspiel des Ländlichen, des Urbanen sowie des Insularen. Ihre Kunst verbindet das Regionale, das Globale sowie des Tribale Meeresfilter gegen Müll Wie verschmutzt das Meer an vielen Stellen bereits ist, hat Boyan Slat mit eigenen Augen gesehen. Als leidenschaftlicher Taucher ist der 19-Jährige oft unter Wasser unterwegs. Oft sah er vor lauter Müll die Fische nicht mehr. Das gab ihm den letzten Anstoß, sich mit einer Lösung des Problems zu beschäftigen. Und so soll der Plan funktionieren: Der Student für Luft- und Raumfahrttechnik will die Meere mit einem riesigen schwimmenden Filter vom Plastikmüll befreien. Die Konstruktion soll aus einer am Meeresboden fixierten Plattform bestehen mit seitlich angebrachten Auslegern, die wie überlange Arme den Müll aus dem Wasser einfangen. Dafür will sich der Student die Wasserströmung zunutze machen, um Plastikteilchen automatisch in Richtung der Plattform spülen zu lassen. Ob das Ganze in der Praxis wirklich funktioniert, soll jetzt eine Machbarkeitsstudie zeigen. Für seine Idee hat Slat schon verschiedene Preise gewonnen, wie beispielsweise den Best Technical Design Award 2012 der TU Delft. Außerdem gründete Boyan Slat Anfang des Jahres die Non-Profit-Organisation „The Ocean Cleanup Foundation“, die sich um die Entwicklung der Technik kümmert. Sein Ziel ist es, schätzungsweise 7 250 000 Tonnen Plastikmüll aus dem Meer zu fischen, was dem Gewicht von 1 000 Eifeltürmen entspricht. Nur fünf Jahre soll das mit seiner Konstruktion dauern. weltbewegt 21 Schwerpunkt Zur Gesundheitssituation in Papua-Neuguinea Dr. Andreas Schultz J Dr. Andreas Schultz ist Arzt und Direktor des Vereins Ärzte der Welt/Sektion Deutschland. Er war von 2005 bis 2009 als Arzt vom Zentrum für Mission und Ökumene entsandt an das Braun Memorial Krankenhaus in Finschhafen. 22 weltbewegt e weiter man sich von der Haupstadt entfernt, desto weiter entfernt man sich von einer gesicherten Gesundheitsversorgung. Der Weg ins nächste Krankenhaus ist weit und beschwerlich. Zudem leiden die manchmal schon verfallenen Einrichtungen unter einer unzuverlässigen Versorgung mit Medikamenten und Materialien. In ländlichen Regionen, in denen immerhin mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leben, ist meist ein Arzt für die Betreuung von 10 000 Menschen zuständig. (In Berlin kommen auf einen Arzt 187 Patienten). Gesundheitsindikatoren wie die Lebenserwartung, die Mütter- und vor allem die Kindersterblichkeit sind deutlich höher als in den benachbarten Staaten. Nur etwas über die Hälfte aller Schwangerschaften und Geburten werden von einer Gesundheitsfachkraft begleitetet. Pro 1000 Geburten sterben über 60 Kinder und mit ihnen jedes Mal bis zu drei Mütter an den Folgen ihrer Schwangerschaft. Papua-Neuguinea stagniert 2015 als einziges ozeanisches Land bei einer mittleren Lebenserwartung von etwa 60 Jahren und gleicht darin Somalia, Südafrika oder Angola, ohne dass es jedoch wie diese von einer nennenswerten AIDS-Epidemie getroffen wurde. selbst ausgebildeten Fachkräften ins benachbarte Ausland. sich! Dieses Land braucht Fachärzte und Krankenhäuser. Was es aber in jeder noch so abgelegenen Region vor allem bräuchte, wären gut ausgebildete und ausgestattete Hebammen, Krankenschwestern für Impf- und Biometrie-Programme und Basisgesundheitshelfer sowie Berater für Familienplanung und Ernährung. Das Land braucht mehr Gesundheitshelfer an der Basis Auch schafft man es nicht, die Integration der Versorgung durch die wenigen Krankenhäuser mit den Bedürfnissen der ländlichen Bevölkerung voran zu treiben. Das Gesundheitspersonal sitzt in diversen Zentren und Kliniken und wartet auf Patienten, anstatt zu den Menschen zu gehen, die nicht ins Krankenhaus kommen können, weil sie kein Geld, kein Auto, keine Straße oder schlicht und einfach keine Ahnung haben, dass sie zum Arzt gehen dürfen oder sollten. In der Bevölkerung herrscht nach wie vor verbreitete Unkenntnis über Ursachen, Risiken und die Vermeidung akuter chronischer Krankheiten. Prävention und die Förderung von Gesundheitsleistungen sind auch und gerade in diesem Land anstrengend – zumal der Erfolg nicht sofort sichtbar ist. Aber beides lohnt Traditionelle Medizin ist offiziell anerkannt Fotos: J. Garvs (2), N. Petersen (1) Medizin muss dorthin, wo die Menschen sind Die Zahl der Kinder, die unter Mangelernährung leiden, ist mit 18 Prozent noch immer gleich hoch wie vor zehn Jahren. Entgegen dem internationalen Trend ist die Prozentzahl der grundgeimpften Kinder unter einem Jahr in den letzten 25 Jahren sogar stetig gesunken. Die wenigen Ärzte sind heiß begehrt, aber selten gewillt, im Land und dort vor allem auf dem Land zu arbeiten. Gleiches gilt für Krankenschwestern, Pfleger und Hebammen. Sie sind teilweise überaltert, chronisch unter- oder oft auch nicht bezahlt. Sie arbeiten allein an isolierten Standorten, körperlichen Gefahren und besonderen Anstrengungen ausgesetzt und vor allem nicht kontinuierlich fort- und weitergebildet. Obwohl die Regierung erst vor kurzem die Gesundheitsvision 2050 ausgerufen hatte, um die medizinische Versorgung zu verbessern, verhindern vor allem die schlechte Infrastruktur sowie hohe Transportkosten die Umsetzung dieser Ziele. Aber auch die nicht unerhebliche Abwanderung von einst im Land Durch den Erlass eines „Traditional Medicine Act“ ermöglichte die Regierung 2007 die Integration der „Buschmedizin“ in die Schulmedizin beziehungsweise in die primäre Gesundheitsversorgung. Traditionelle Heiler und Heilpflanzen sind wichtige Ressourcen in ländlichen Gebieten. Die nationale Kommission berichtete im Jahr 1999, dass etwa 80 Prozent der Bevölkerung in Papua-Neuguinea pflanzliche Arzneimittel verwendet und sich an traditionelle Heiler wendet. Durch die nationale Politik, die beide Systeme akzeptiert und propagiert, besteht in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz, beide Heilsysteme nebeneinander zu verwenden. Diese Toleranz betrifft auch Ärzte und Heiler. Trotz der ethnischen Vielfalt gibt es gemeinsame Konzepte und Überzeugungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit, einschließlich eines universellen Glaubens an die Macht der Zauberei, von Bräuchen, Naturheilkunde und Beschwörung. Interessant ist, dass die nationale Politik die Verwendung von Zauberei aber auch ausdrücklich verbietet. Aufbau eines Gesundheitssystems ist wichtig Mit dem Aufbau und Unterhalt des Gesundheitssystems hängt zusammen, dass insbeMitarbeiterinnen im Braun Memorial Krankenhaus, Finschhafen. sondere der Doppelbelastung durch HIV und Tuberkulose weder angemessen noch zeitgerecht begegnet werden kann. Gleiches gilt für die Malaria. Ein häufig unterschätztes Problem in Papua-Neuguinea ist die Zunahme der Erkrankungen am Denguefieber. Prävention, Aufklärung über die Übertragungswege und persönlicher Schutz wären notwendig, erforderten aber eine hohe Mobilisation von Ressourcen. Das Rückgrat der Gesundheitsversorgung des Landes ist durch Personal- und Geldmangel, fehlende Investitionen und Reparaturen, massenhafte Schließung von Gesundheitsposten und die Unterversorgung mit Medikamenten extrem geschwächt. Nichtstaatliche Organisationen und Kirchen bewahren das System vor dem völligen Zusammenbruch. Gibt es Hoffnung? Ja, denn Hoffnung machen die Menschen selbst, allen voran die Kinder, die wir über die Jahre aufwachsen sehen. Wir wollen helfen, in diesem Land – gefangen zwischen Tradition und Moderne – die Vorzüge anderer Kulturen und Technologien so umzusetzen, dass es aus eigener Kraft heraus, seinen Weg gehen kann. Unsere Aufgabe muss es sein, die Kinder gesund zu halten, sodass sie stark in die Zukunft gehen können. Wohlgemerkt eine Zukunft, die wir vielleicht nicht erleben werden, sie aber schon. Das süße Leben Vielleicht ist Ihnen der Witz bekannt: Ein Gastgeber fragt seinen Gast: „Wieviel Zucker nimmst du?”. Der Gast antwortet: „Normalerweise nehme ich viel Zucker in meinen Tee, aber jetzt habe ich Probleme. Mein Arzt hat mir verboten zu viel Zucker zu nehmen, deshalb nehme ich nur noch sieben Löffel.” Vielleicht kennen einige auch diesen Dialog zwischen einem Neuguineaner und seinem ausländischen Kollegen: Der Gastgeber: „Nimmst du auch Zucker?” Antwort: „Nein, danke, ich bin süß genug.” Daraufhin der Gastgeber: „Das bin ich auch, nur der Kaffee ist nicht süß.” Solche Witze zeigen, dass wir unseren Tee oder Kaffee wirklich sehr süß lieben. So süß, dass man eher vom Zuckertrinken sprechen sollte. Besonders an der Küste ist Zucker sehr beliebt: Er wird den ganzen Tag über getrunken, bis kurz vor dem Schlafengehen. Der Süßstoff ist so wichtig geworden, dass er in den vergangenen Jahrzehnten die Mentalität der Menschen verändert hat. Dies merkt man besonders bei Besuchen. Hatten die Menschen an der Küste früher ihren Gästen als Zeichen der Gastfreundschaft Betelnuss und Tabak angeboten, so wird heute meist Tee gereicht. Man sagt nicht mehr: „Sori, mipela i nogat buai” „Sorry, wir haben keine Betelnuss“, sondern, „Sori, mipela i nogat suga”, (Sorry, wir haben keinen Zucker), wenn man sich für mangelnde Gastfreundschaft entschuldigen will. Im Finschhafen-Gebiet hat das beliebte Süßstoffgetränk einige Spitznamen: Der bekannteste ist „Kande Kulung”. „Kande” steht für “kandre” (Onkel) und „kulung” bedeutet „Getränk”. Zusammengefasst also: Onkels Getränk. In manchen melanesischen Kulturen ist der Bruder der Mutter die wichtigste Person der Familie. Er hat das letzte Wort für alle wichtigen Entscheidungen. Der Zuckertrank dient also auch dazu, den Onkel so glücklich zu machen, dass er seinen letzten Segen zu den Entscheidungen gibt. Maiyupe Par Zeichnung: Kavagle Par weltbewegt 23 Schwerpunkt Forum Hexenwahn Wie kommt es zu dem Phänomen? Wie kann man ihm begegnen? Prof. em. Dr. Theodor Ahrens atlosigkeit und Entsetzen lösen Berichte wie der folgende aus, den der Post Courier, eine der führenden Tageszeitungen in PapuaNeuguinea am 28. Februar 2011 auf der Titelseite brachte: „Wiederum wurde in einer der Stadtrandsiedlungen in der Küstenstadt Lae eine aus dem Hochland stammende Mutter von vier Kindern von ihren Verwandten und Nachbarn getötet, anschließend mit Kerosin übergossen und verbrannt. Sie wurde beschuldigt, den Tod ihrer nächtens im Schlaf unerwartet verstorbenen halbwüchsigen Tochter verursacht zu haben. Von den zuschauenden Bewohnern kam der wehrlosen Frau niemand zu Hilfe.“ Kein Einzelfall! Jährlich werden etwa fünfzig solcher Vorkommnisse bekannt. Die Dunkelziffer ist vermutlich groß. Wie wird man/frau zur Hexe? Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die andere bis zum Tode krank machen können, ist in Papua-Neuguinea – aber nicht nur dort – nach wie vor lebendig. In solchen Menschen ruht, so die Annahme, eine destruktive Kraft. In den kleinteiligen Gesellschaften der vorkolonialen Zeit dienten Todeszauber und Beschuldigungen der Hexerei, um die es hier geht, dem Austrag lokaler Konflikte. Wenn Rivalitäten und böse Nachrede Beziehungen im Nahbereich vergiften, mündet dies auch heute noch leicht in 24 weltbewegt den Verdacht, diese oder jene Person habe jemanden aus Neid und Missgunst vernichtet. In Situationen der Unsicherheit und gefühlter Gefahren blühen Gerüchte und Klatsch. Aus dem Gerücht wird eine Erzählung. Diese fragt nicht: Wie ist das gekommen? , sondern: Wer hat das verursacht? Es könnte jeder Mann und jede Frau gewesen sein. Doch die Erzählung deutet nach außen. Aus einem drohenden „alle gegen alle“ formt die improvisierte Erzählung ein „alle gegen eine(n)“ – ein Hinrichtungsbündnis gegen Einzelne. Es endet mit der Ermordung eines willkürlich gegriffenen Opfers – meist trifft es wehrlose Frauen und Mädchen. Hexenwahn wuchert In der Umbruchsituation der postkolonialen Gesellschaft Papua-Neuguineas bilden neue soziale Ungleichgewichte, unübersichtliche politische Zustände, nicht zuletzt die Ausbreitung von HIV/AIDS und die Beunruhigungen, Ängste und Phantasien, die dadurch ausgelöst werden, erweiterte Arenen für das Wuchern des Hexenwahns. Menschen erwarten an den Vorteilen wirtschaftlicher Entwicklung beteiligt zu werden. Wenn solche Erwartungen enttäuscht werden und gleichzeitig alte Beziehungen aus dem Lot geraten sind, löst dies Debatten aus, die entweder in der traditionellen Sprache des Okkulten, mithilfe der Sprachregelungen einer modernen Ideologie oder im Rahmen einer anderen religiösen Vorstellungswelt diskutiert werden können. Der moderne Hexenwahn bringt traditionelle Wirklichkeitsannahmen ins Spiel. Was so aus der Welt geschafft werden soll, sind die Ängste und destruktiven Phantasien, das eigene Zerstörerische, nicht zuletzt die eigenen Probleme mit der Sexualität. Sie werden auf willkürlich gewählte Opfer abgeleitet. Wie kommt es zu Hexereianklagen in einem christianisierten Land? Es mag verwundern, dass Hexenfurcht und Hexenverbrennungen in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung – oft schon seit Generationen – Mitgliedschaft in einer der christlichen Kirchen beansprucht, nach wie vor gang und gäbe sind. Todeszauber und Hexerei waren Praktiken, auf die die Missionen des 19. Jahrhunderts als vordringlich zu beseitigende Übel zielten. Ist das Christentum dort also ein mehr schlecht als recht geklebtes Furnier, unter dem das Hartholz der Tradition fortlebt? Das Christentum in Melanesien ist weder ein – leicht ablösbares – ideologisches Furnier noch eine fremde Religion. Es ist vielmehr – wie auch bei uns – in die vor Ort gelebten kulturellen und sozialen Selbstverständlichkeiten einbezogen worden. Die traditionelle religiöse Vorstellungswelt wurde nicht, wie Foto: E. Lau (1) R Missionare gehofft hatten, durch die von ihnen mitgebrachte ersetzt, sondern umgebaut. So wie es in Europa zwischen dem 11. und dem 17. Jahrhundert der Fall gewesen ist, sind auch in Papua-Neuguinea in der Regel Christen an derartigen Menschenjagden beteiligt. Am intensivsten wütete der europäische Hexenwahn nicht etwa im „finsteren Mittelalter“, sondern vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Er war insbesondere von der katholischen Kirche maßgeblich betrieben worden, nachdem sie ihre frühere Position, der Aberglaube der Hexerei sei teuflischen Ursprungs und müsse bekämpft werden, verlassen hatte. Die Hexenbulle von Papst Innozenz VIII. von 1484 stellte den Kampf gegen Hexerei mit dem Kampf gegen Ketzer gleich. Sündhaft war nunmehr nicht der Hexenglaube, sondern nicht an die Realität der Hexen zu glauben. Dies Erbe wirkte auch in den Reformationskirchen fort. Daher bedurften vor allem die Kirchen, insbesondere deren Amtsträger, einer Befreiung vom Hexenwahn. Gegen den gesamtgesellschaftlich verankerten Hexenwahn anzugehen erforderte viel persönlichen Mut und harte Arbeit. Dies hatte Ina Seidel in ihrer Erzählung „Lennacker. Das Buch einer Heimkehr“ über Pastor Johannes Jakobus Lennacker (16281696) deutlich gemacht. Mit der europäischen Aufklärung erloschen die Hexenverfolgungen allmählich. Doch es wäre voreilig, der europäischen Fortschritts- und Modernisierungsgeschichte das Ende des Hexenwahns überhaupt zuzuschreiben. Auch in der modernen Gesellschaft kommt es vor, dass gemeinschaftlich verdrängte Ängste und die Fantasien plötzlich aufbrechen. Erinnert sei an die Bücherverbrennungen und die Vernichtungsmaschinerien des Nationalsozialismus, an den Archipel Gulag in der Sowjetunion und das System des Staatsicherheitsdienstes der DDR. In manchen Quartieren der Bundesrepublik dienen als Muslime wahrgenommene Migranten als Projektionsfläche sozialer Identitätsängste. Die jüngsten, sich unter den Namen PEGIDA sammelnden Menschenmengen sind dafür ein aktuelles Indiz. Undenkbar ist es nicht, dass Eruptionen individueller und kollektiver Ängste und Gewaltphantasien von Zeit zu Zeit durch die dünne Oberfläche der modernen gesellschaftlichen Ordnung brechen. Solche Eruptionen ereignen sich im Krisen geschüttelten Papua-Neuguinea von Zeit zu Zeit. Auch dort kostet es Mut und harte Arbeit, dem verbreiteten Hexenwahn entgegenzutreten. Es mag sein, dass Christen dem Hexenunwesen ablehnend gegenüberstehen oder sogar erwägen, dem Zauberwesen als Medium der Lokalpolitik völlig abzusagen; gleichzeitig müssen sie befürchten, dass benachbarte Gruppen dies nicht tun werden. Die Furcht, plötzlich allein zu stehen, wenn man Gerüchte und Anklagen wegen Hexerei nicht mittragen will, geben Treibjagden ihren Rückhalt. Anders als dies im europäischen Mittelalter der Fall gewesen ist, beteiligen sich die Kirchen als Organisationen nicht an Hexenverfolgungen. Verurteilungen von Schadzauber gehören zum Standardrepertoire dörflicher Predigten. Das heißt aber nicht, dass Gemeindeälteste, evangelische oder katholische Pfarrer sich vom Hexenwahn und seinen weltanschaulichen Voraussetzungen freigemacht hätten. Häufig ist das nicht der Fall. In Ton gebrannte Menschheitsgeschichte – zu den Schattenseiten der Geschichte gehört es seit jeher, dass kollektive Ängste nach außen auf willkürliche Opfer projiziert werden. Ein Verhalten, das in allen Gesellschaften bis heute vorkommt. Unterschiedliche Strategien im Umgang mit Hexenwahn Schematisch betrachtet lassen sich zwei unterschiedliche Modelle unterscheiden. In der Praxis gibt es Überlappungen. Kirchen, die aus den Missionen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen sind, setzen nach wie vor auf ein Bündnis mit dem Fortschrittsgedanken. Sozialarbeit, Bildungsarbeit und westliche Medizin profilieren das kirchliche Auftragsbewusstsein. Hexerei und Hexenjagden erscheinen in dieser Perspektive als unzeitgemäße, destruktive und moralisch verwerfliche Überbleibsel einer veralteten Welt. Sie verdanken sich Unkenntnis und Wahnvorstellungen und sind mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Aufklärung durch Bildungsarbeit sollte diesem Missstand allmählich beikommen – so die Annahme. Evangelikale und pentekostale Kirchen favorisieren einen anderen weltbewegt 25 Schwerpunkt Frauen, die als Hexen verfolgt wurden, tragen nicht nur äußerliche Narben davon. Zum Stellenwert von Bildungsarbeit und Aufklärung Das Melanesische Institut in Goroka, Papua-Neuguinea, hat jüngst in einem Beitrag zum Thema ein Plädoyer für Aufklärung und Bildung vorgelegt. Weltanschauliche und moralische Optionen (sowie deren jeweilige Implikationen) werden zur Diskussion gestellt – eine wichtige Hilfestellung für kirchliche Mitarbeiter, um mehr Klarheit zu gewinnen. Bildungsarbeit mag zunächst manche Selbstverständlichkeiten der bisherigen Weltsicht schwächen und die moralische Urteilskraft schärfen. Die Frage „Was ist wirklich? Was ist 26 weltbewegt real?“ stellt sich immer und sie stellt sich immer neu im konkreten Konfliktfall. Menschen entscheiden und handeln innerhalb bestimmter weltanschaulicher Rahmenvorgaben. Der Glaube an die Wirksamkeit von und die Furcht vor Schad- und Todeszauber ist Teil traditionellen Alltagswissens. Dies wird in Anschlag gebracht, um festzustellen, was der Fall ist, was wahr ist und was dementsprechend getan werden sollte. Destruktive Kräfte in Mitmenschen oder auch Geistwesen sind genauso real wie Verfahren des In-OrdnungBringens effektiv sein können. Diese Sicht der Beteiligten ist ernst zu nehmen. Dennoch bedürfen Ausgrenzungsprozesse, insbesondere Sündenbockjagden, einer Prüfung. Fragen sind zu stellen und Kriterien ins Spiel zu bringen, die außerhalb herkömmlicher Realitätsannahmen und jenseits traditioneller moralischer Codes liegen. Es gilt die weltanschaulichen Grundannahmen des Hexenwahns als Teil einer magischen Weltsicht zur Diskussion zu stellen. Das kann von zwei Standpunkten aus geschehen: Zunächst kann gefragt werden, ob die Tatsachenbehauptungen einer konkreten Hexereibeschuldigung im Rahmen der traditionellen Weltsicht konsistent sind. Sodann, ob sie Kriterien standhalten, die von außerhalb dieser Weltsicht, seien diese aus medizinischer und physikalischer Forschung oder aus der christlichen Tradition geltend gemacht werden. Wenn diese weiter greifenden Fragen ins Spiel kommen, fangen einige nachdenkliche Menschen möglicherweise an, bislang fraglos hingenommene weltanschauliche Grundannahmen in Frage zu stellen. Großkirchen ebenso wie in staatlichen Organisationen bleiben führende Positionen den Frauen nach wie vor durchgehend verschlossen. In den Kirchen wird eine entsprechende Kritik gern mit dem Hinweis weggebürstet, die Gemeinden seien für Frauen in führenden Rollen „noch nicht bereit“. Andererseits sind lokale Frauengruppen vielerorts in der Gesellschaft, nicht nur in den Kirchen zu einem wichtigen Ferment der Lokalpolitik geworden. Kirchliche und nichtkirchliche Frauenverbände können Foren werden, in denen die Problematik offensiv diskutiert wird, um Bischöfe wie Kirchenleitungen zu klärenden Stellungnahmen zu nötigen. Gegenbündnisse aufbauen Zu einer Destabilisierung ihrer Überzeugungen kann es kommen, sobald eine „alternative symbolische Sinnwelt“ auftaucht und von Einzelnen oder Gruppen, beispielsweise einer christlichen Gemeinde auch gelebt wird. Welche Sinnwelt sich durchsetzt, hängt nicht nur von ihrer jeweiligen theoretischen Schlüssigkeit ab. Ausschlaggebend ist das Kräfteverhältnis zwischen denen, die das traditionelle Gedanken- und Wertesystem nach wie vor legitimieren und jenen, denen Hexerei, Hexereibeschuldigungen, Schad- und Todeszauber aus Vernunft- oder Glaubensgründen als Unsitten vorkommen. Sie jedenfalls hätten die Option, für ihre Erkenntnisse und Verbindlichkeiten einzustehen. Es gilt das fahrlässige, auch in kirchlichen Milieus weit verbreitete Beschweigen zu beenden. Notwendig und geboten ist ein öffentlicher Diskurs über die kognitiven, moralischen und religiösen Dimensionen des Hexenunwesens. Dazu können die Kirchen beitragen. In ihnen, mit ihnen, notfalls auch gegen sie gilt es Gegenbündnisse aufzubauen und zu fördern. Hexereibeschuldigungen treffen meist Frauen. In den protestantischen Theologische Vertiefung der Bildungsarbeit Fotos: E. Lau (1), J. Ahrens (1), C. Oelrich/dpa (1) Ansatz: Der Hexerei und den Hexenanklagen stellen sie die überlegene Gegenmacht Christi als spirituelle Kraft entgegen. Die Welt wird als Schlachtfeld guter und dämonischer Mächte gedeutet. Mission wird inszeniert als Kampf gegen die Mächte des Bösen bzw. Satans als persönlichem Gegenspieler Gottes. Die lähmende Furcht vor Hexen kann durch die Macht des Gebetes und gegebenenfalls der Teufelsaustreibungen, in der Christus als Sieger zu Erfahrung kommt, behoben werden. Die „christliche Gegenoffensive“ sendet ihre Botschaft auf der gleichen Wellenlänge wie die traditionelle Religion. Das mag in der gegebenen Situation zunächst einleuchten, bestätigt aber zugleich das dem Hexenwahn zugrunde liegende Beschuldigungssystem. Dem gilt es beizukommen. Für die Aufhellung und Bewusstmachung der Verkennungen, die mit der Projektion individueller und kollektiver Ängste und Gewaltphantasien auf willkürlich gewählte Opfer einhergehen, bieten sich Bibelarbeiten an: zunächst zu neutestamentlichen Zeugnissen von ausgegrenzten Menschen, zu denen Jesus sich bekennt und damit beansprucht, an Gottes Stelle zu handeln. Sodann zu Texten der Passionsgeschichten. Sie bestehen darauf: Jesus, das unschuldige Opfer, wird von Gott gerechtfertigt. Kehrseite dessen: Anders als der blinde Mob erkennt allein das unschuldige Opfer der Verfolgung den wahren Gott – und die Wahrheit der Situation. Das Evangelium eröffnet den Glauben, dass Gott selbst jenseits des Bösen steht. Es lädt uns ein zu einem Leben im Geiste Jesu und zieht uns damit auf Gottes Seite – jenseits des Bösen. Ein solches Leben steht allen Menschen offen. Es mutet ihnen aber auch zu, die Erkenntnis des Guten, das immer auch das Gut der Anderen ist, nicht zu verraten. Es gilt sich selbst als freies und verantwortliches Subjekt zu begreifen und das Recht auf Unversehrtheit des Leibes und Lebens unserer Mitmenschen als von Gott in gleicher Weise geliebten Wesen zu verinnerlichen. Das Haupthindernis, das sich der Aufhellung des Hexenwahns entgegenstellt, ist das System der Beschuldigung, mit dem die Verantwortung für Unglück und Krankheit Mitmenschen im Nahbereich oder auch den Ahnen aufgebürdet wird. Wie also das System der Beschuldigungen und die zwanghafte Suche nach übernatürlichen Ursachen stilllegen? Konflikte benennen und bearbeiten Eine fachlich fundierte seelsorgerische Arbeit böte eine Möglichkeit. Sie knüpft an traditionelle, im dörflichen Leben erprobte Verfahren des In-Ordnung-Bringens an und modifiziert sie. Die beschuldigte Partei wird einbezogen. Die für ein Unheil verantwortlich gemachte Gruppe wird eine gewisse Bereitschaft mitbringen, Gerüchte und üble Nachrede, die im Schwange sind, zu entkräften. Konflikte können benannt werden. Alternative moralische und weltanschauliche Optionen können ins Spiel gebracht werden. Es zeigt sich, dass die Kriterien, die traditionelle „Ursachenforschung“ steuern, keineswegs durchgängig eindeutige Antworten ergeben. Der Vorteil dieses Weges gegenüber dem evangelikalen und pentekostalen Ansatz liegt unter anderem darin, dass allen Beteiligten, auch den Beschuldigten, Gelegenheit gegeben wird, der Entstehung von Spannungen und Konflikten nachzuspüren und Bereiche des gemeinsamen Lebens zu benennen, die der Heilung bedürfen. Kognitive Engführungen und tief sitzende emotionale Befangenheiten werden gleichermaßen bearbeitet. Es kann zur Sprache kommen, was bislang – manchmal mit großer Anstrengung – beschwiegen wurde. Allmählich werden den Beteiligten ihre hintergründigen Ängste, Gewaltphantasien und Projektionsmechanismen durchsichtig. Wenn alle Gewalt erleiden und alle Gewalt ausüben, dann erübrigen sich Verfahren, die Einzelne zu Sündenböcken oder Hexen erklären. Prof. em. Dr. Theodor Ahrens war von 1987-2005 Professor für Missionswissenschaft und ökumenische Beziehungen der Kirchen an der Universität Hamburg. Er arbeitete von 1971-1978 in der ELC-PNG und war auch Studienleiter im Melanesischen Institut Goroka. Von 1978 bis 1987 war er im Zentrum für Mission und Ökumene zuständig für Missionstheologie und Grundsatzfragen. weltbewegt 27 Schwerpunkt Forum In Planungsworkshops werden Frauen auf ihre neuen beruflichen Aufgaben vorbereitet. „Wir wollen den Status der Frauen verbessern“ Die evangelische Frauenbeauftragte Cathy Mui und die Organisationsberaterin Mary-Rose Palei im Gespräch mit Sabine Schmidt wirkungen auf die sozialen, geistlichen, physischen und ökonomischen Lebensbereiche von Frauen. Mary-Rose Palei: Seit dem letzten Jahr arbeite ich intensiv mit den Frauen in unserer Kirche und deren Kirchenkreisleiterinnen zusammen. In fast allen Kirchenkreisen leiden die Frauen darunter, dass sie nicht lesen und schreiben können. Ein anderes Problem sind Eheschei- Diese Schülerinnen haben gut lachen. Dass Mädchen die Schule besuchen, ist noch nicht selbstverständlich. dungen. Es gibt viele jüngere Frauen, die verheiratete Männer heiraten. Dieses hat oft psychosoziale Folgen für die Frauen. Ein anderes Problem ist das Geld, das auch in unserer Gesellschaft eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Daher suchen Frauen nach Wegen, um Geld zu erwirtschaften und versuchen auf Märkten selbstangebautes Gemüse zu verkaufen. Viele machen Verluste. So leiden die Frauen schließlich darunter, dass sie hart arbeiten müssen und letztendlich kaum etwas dabei verdienen. Welche Auswirkungen haben die kulturellen Umbrüche? Cathy Mui: Durch den Einfluss der Globalisierung verändern sich nach und nach die Ansichten von Männern und Frauen und das Thema Gleichberechtigung bekommt eine immer wichtigere Bedeutung. In dem Zusammenhang spielen übrigens auch die Begegnungen zu Menschen aus unseren Partnerkirchen in Übersee eine Rolle. Gleichzeitig wird aber sichtbar, wie stark die traditionellen Auffassungen verinnerlicht sind – auch innerhalb gebildeter Schichten. Immer noch sind Gewalt und ungleiche Behandlung von Frauen und Kindern in Familien an der Tagesordnung. Dies gilt besonders für die dörflichen 28 weltbewegt Fotos: M. Roselowsky (1), N. Gehm (1), J. Daniels (1), S. Schmidt (1), C. Wenn (1) Wie seht ihr die aktuelle Situation der Frauen in Papua-Neuguinea? Was sind die dringlichsten Probleme? Cathy Mui: Die Lebenssituation der Frauen ist von der immer noch sehr patriarchalischen Kultur unseres Landes geprägt. Der Mann ist nach wie vor das Oberhaupt der Familie. Frauen werden vielfach unterdrückt und als Menschen zweiter Klasse angesehen. Das hat konkrete Aus- Strukturen. Es müsste viel mehr Bildungsarbeit geleistet werden. Wenn es etwa darum geht, welches Kind in die Schule gehen soll, werden nach wie vor Jungen bevorzugt. Die Rolle der Mädchen besteht dann darin, dass sie für die Familie arbeiten, den Garten bestellen und Produkte auf dem Markt verkaufen sollen. Mary-Rose Palei: Zu unserer gesellschaftlichen Kultur gehört es, sich gegenseitig zu helfen. Das ist seit jeher ein wichtiger Bestandteil unserer Tradition. Dies selbstverständliche Geben und Nehmen nimmt jedoch leider immer mehr ab. Die Menschen erwarten nun Geld für ihre sozialen Leistungen. Zudem geht die junge Generation oft ihre eigenen Wege und respektiert die Eltern nicht mehr so wie früher. Das zeigt sich dann darin, dass sie keine sozialen Aufgaben innerhalb der Familie übernimmt. Früher wurden die Gartenarbeiten und die Essenszubereitung immer untereinander aufgeteilt. Die Umbrüche bedeuten einschneidende Veränderungen für unsere Gesellschaft, insbesondere für geschiedene Frauen und deren Kinder. Benachteiligte Gruppen in unserer Gesellschaft verlieren ein soziales Netz. In den letzten Jahren hatte ich in Städten immer mehr bettelnde Kinder gesehen und Frauen, die ohne ein eigenes Zuhause auf der Straße leben. Bisher waren solche sozialen Zustände undenkbar. So hat vor allem die ältere Generation damit zu kämpfen, wenn sie zusehen muss, wie unsere Tradition verloren geht, die doch auf soziale Fürsorge aufgebaut ist. Was sind Eure Hoffnungen für die Zukunft? Mary-Rose Palei: Ich arbeite mit Frauen zusammen und habe das Ziel, dass sie die heutigen Veränderungen wahrnehmen und dass sie aktiv entscheiden können, wie sie in dieser veränderten Gesellschaft einen Platz finden. Frauen nehmen unbewusst die Veränderungen des kulturellen und sozialen Umfelds wahr. Aus meiner Sicht ist es wirklich wichtig, dass Frauen anfangen miteinander zu reden und sich darüber austauschen, wie sie am besten mit den heutigen Veränderungen umgehen und sich gegenseitig unterstützen können. Für mich als Organisationsberaterin sind zum Beispiel die Planungsworkshops für Frauen in den Kirchenkreisen sehr wichtig. Sie sollen den Teilnehmerinnen helfen, ihr Leben als Frau und Leiterin in den Kirchengemeinden zu reflektieren. Auf diese Weise könnten sie wiederum andere Frauen in der Gemeinde unterstützen. Cathy Mui: Die Frauen müssen sehr hart arbeiten, um das Überleben ihrer Familien zu finanzieren. Wir, von der Frauenabteilung der „Evangelisch-Lutherischen Kirche in PapuaNeuguinea“ haben als die zweitgrößte Kirche einen Fünfjahresplan und entsprechende Programme entwickelt, die auf die Bedürfnisse der Frauen eingehen und sie unterstützen sollen. Unsere Vision ist es, dass sich der Status von Frauen in unserer Gesellschaft in allen Aspekten des Lebens zu verbessert. Foto Mitte: Cathy Mui, (links) ist Frauenbeauftragte der EvangelischLutherischen Kirche in Papua-Neuguinea (ELC-PNG). Mary-Rose Palei ist Organisationsberaterin der Nichtregierungsorganisation Melanesian Organisation Development. Sabine Schmidt ist seit 2002 für die ELC-PNG tätig und arbeitet im Auftrag des Lutheran Overseas Partner Churches. Ihre Arbeit wird auch vom Zentrum für Mission und Ökumene unterstützt. weltbewegt 29 Schwerpunkt Sport kann verbinden, aber keine Probleme lösen Forum 30 weltbewegt 14. Nationale Frauenkonferenz der ELC-PNG in Boana Der Weg zur Gleichberechtigung ist noch weit – auch in der Kirche Welche Bedeutung hat der Sport für Jugendliche? Eine Perspektive von Paul Ahrens A Cynthia Lies In der evangelischen Kirche können Frauen, die die Voraussetzungen erfüllen, ein volles Theologiestudium am MartinLuther-Seminar machen. Diese Frauen werden übrigens vom Zentrum für Mission und Ökumene finanziell unterstützt, worüber sie sehr dankbar sind. Ohne diese Unterstützung wäre es für die meisten von ihnen unmöglich gewesen, die Finanzierung der Studiengebühren aufzubringen und damit das Studium erfolgreich abzuschließen. Leider werden die Frauen als Theologinnen von ihren männlichen Kollegen nach wie nicht ernst genommen – trotz gleicher Ausbildung. Vier von ihnen studieren derzeit an der Universität von Goroka in Bereichen Seelsorge, Beratung und kindliche Früherziehung. In einem Gespräch sagte eine von ihnen: „Wenn sie uns schon nicht mit unseren kirchlichen Qualifikationen akzeptieren, dann müssen wir eben versuchen, uns noch besser zu qualifizieren als Männer. Nur so haben wir die Hoffnung bald einmal als Theologinnen akzeptiert zu werden.“ Es muss also noch viel geschehen, damit es zu einer Gleichberechtigung in der Kirche kommt. Den Ruf nach Frauenordination in der ELC-PNG hört man ab und zu. Bisher ist er nicht auf Widerhall gestoßen. Es erstaunt nicht, dass diese tollen Frauen manchmal nah am Verzweifeln sind. Dabei sind sie es, die eine Veränderung in der Kirche und damit auch in der Gesellschaft anstoßen könnten. Fotos: M. Haasler (1), C. Lies (1), S. Jüdes (1), Freiwilligenprogramme (1) Cynthia Lies war von 2009 bis 2014 mit ihrem Mann Pastor Rudolf Lies nach Papua-Neuguinea ausgereist und dort am Melanesischen Institut in Goroka tätig. Sie haben bereits vor 30 Jahren mit ihrer Familie (1979 bis 1984) in Menyamya im Hochland gelebt und gearbeitet. „Ich bin gekommen, dass ihr Leben und volles Genüge habt”. Unter dieser Überschrift tagte die 14. Nationale Frauenkonferenz der evangelischen Kirche (ELCPNG) im September 2014 in Boana. Sie wurde unter anderem vom Premierminister des Landes, Peter O’Neill, in Begleitung von Gouverneur Kelly Naru offiziell eröffnet. Viel Ehre und viel Lob für die Arbeit der Frauen in der Kirche! Besonders nachdem ihr erster Fünfjahresplan dem Premierminister überreicht wurde. Die Vision: Lebensoffene christliche Frauen sollen für christliche Familien einstehen und dafür sorgen, dass sie sich entwickeln können. Dieses Ziel teilen sie mit der Regierung. Auch sie will Frauen stärken, um der Familien willen. „Famili i stap orait, kantri bai stap orait!“ – „Wenn es Familien gut geht, dann wird es auch dem Staat gut gehen“, sagte Peter O’Neill. Für das Ziel sollten Regierung und Kirchen zusammenarbeiten. Wie sieht es zurzeit aber wirklich bei den Frauen und den Familien im Land aus? Nicht gut, wenn man sich die Statistik ansieht. Die Sterblichkeitsrate von Kinder und Müttern ist viel zu hoch! Jede zweite Frau erlebt häusliche oder sexuelle Gewalt. Immer noch werden Frauen als Hexen beschuldigt und gefoltert oder sogar getötet. Ein Fortschritt ist es allerdings, dass immer mehr Mädchen, die Schule und eine Weiterbildung erfolgreich abschließen und sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen. Es gibt Richterinnen und Ärztinnen, die voll akzeptiert sind, viele Lehrerinnen selbstverständlich, aber auch Ingenieurinnen im Bergbau. Seit der letzten Wahl gibt es zum ersten Mal drei Frauen im Parlament: Julie Soso Akeke als Gouverneurin des Östlichen Hochlands; Loujaya Toni, (Lae) Ministerin für Soziale Entwicklung, und Delilah Gore für die Oro Provinz. Das neue Wahlgesetz mit Zweitund Drittstimmen hat diese Entwicklung ermöglicht. uf den ersten Blick mag es vielleicht keinen Unterschied geben zwischen der Jugend in Deutschland und der Jugend in Papua-Neuguinea. Auch die Jugendlichen aus dem Senior Flierl Seminary in Logaweng, in dem ich arbeite, fahren jeden Morgen mit dem Schulbus runter nach Gagidu, um zur Schule zu gehen. Gut, der Schulweg ist nicht asphaltiert und die Strecke hat teilweise eine Steigung von über 20 Prozent. Der Schulbus kommt an seine Grenzen, aber er schafft es. Viele Schulen werden von der evangelischen Kirche getragen, unterstützt und mitfinanziert. In Gagidu gibt es eine Secondary- und eine High School. In Logaweng selbst gibt es ähnlich wie in Deutschland einen Kindergarten und für die Älteren eine Grundschule. Tatsächlich ist es jedoch so, dass viele Jugendliche nicht lesen und schreiben können. Die Analphabetismusrate in Papua-Neuguinea ist eine der höchsten weltweit. Besonders unter Frauen und Mädchen ist der Analphabetismus sehr verbreitet. Dadurch, dass die Arbeitslosenquote hoch ist, „lungern“ viele junge Menschen besonders in den Städten herum. Selbst wenn sie eine schulische Ausbildung haben, gibt es nur wenige Jobs für sie. Dadurch, dass Lae bei mir in der „Nähe“ liegt – vier Stunden mit dem Speedboat – kann ich das gut beobachten und bestätigen. Die Zahl der Gewalttaten, Überfälle und Morde steigt daher auch mit zunehmender Arbeitslosigkeit. Immer mehr junge Menschen kommen ins Gefängnis. Vor dem Hintergrund bekommt Sport eine besondere Bedeutung, vor allem in seiner verbindenden Funktion – und zwar weltweit. Ein gutes Beispiel dafür ist die Fußball-WM 2014 in Brasilien. Ein Weltereignis, das auch in diesem Land mit Spannung verfolgt wurde. Dadurch bin ich hier nicht nur mit Jugendlichen, sondern auch mit Menschen jeden Alters in Kontakt gekommen. Fußball, Rugby, Volleyball und Basketball, sie gehören in Papua-Neuguinea zu den Lieblingssportarten und werden sowohl von Kindern als auch von Männern und Frauen ausgeübt. So haben auch die Studenten in Logaweng eine eigene Fußball- und Basketballmannschaft. Zusammen mit den Studenten spiele ich jeden Samstag unten in Gagidu Fußball. Dieses Jahr sind wir leider im Viertelfinale ausgeschieden, aber wir versuchen im nächsten Jahr weiterzukommen. Trainiert wird auf einer Grasfläche im Seminary. Außerdem gibt es jeden Sonntag nach dem Morgengottesdienst den „Sportsday“. Alle Teams (Blue, Yellow, Green, Red) spielen das ganze Schuljahr über gegeneinander Basketball und Volleyball. Am „Finalday“ wird dann der Gewinner ermittelt und die Saison startet von vorne. Paul Ahrens Insgesamt finde ich, dass Sport arbeitet seit 2014 eine gute Möglichkeit ist, um Menals Freiwilliger im schen miteinander in Kontakt zu Flierl Seminary in bringen, über alle Alters- und Logaweng, sozialen Schranken hinweg. AllerFinschafen. dings wird er die Probleme wie Arbeitslosigkeit und Analphabetismus nicht lösen können. weltbewegt 31 Nachrichten Nachrichten Geduldiger Brückenbauer – Ein Nachruf auf Alex Afram Von Anfang an dabei Ein Nachruf auf Dr. Hans-Joachim Kosmahl von Paul Gerhardt Buttler In Afrika - Dr. Kosmahl mit seiner Frau Ingrid Mit dem tansanischen Bischof Kweka beim Jahresfest 1978 Paul Gerhardt Buttler war von 1975 bis 1995 Direktor des Zentrums für Mission und Ökumene (ehemals Nordelbisches Zentrum für Weltmission und Kirchlichen Weltdienst). 32 weltbewegt ie nannten ihn Mzee, weiser alter Mann, in Ostafrika. 23 Jahre lang von 1971 bis 1994 war Dr. Hans-Joachim Kosmahl Afrika- und Regionalreferent für Holstein beim Nordelbischen Zentrum für Weltmission und kirchlichen Weltdienst Hamburg/Breklum (NMZ). Dieses 1971 aus der Breklumer Mission neu geformte kirchliche Werk sollte der Einsicht Rechnung tragen, dass Mission und Weltdienst Auftrag der ganzen Kirche sind. Dabei war deutlich, dass diese Aufgabe nur in gleichberechtigter Partnerschaft von Kirchen des Südens und des Nordens verantwortet und unternommen werden kann. Eben dafür brachte der damals 42-jährige Pastor von Westensee die besten Voraussetzungen mit, hatte er doch gerade in Basel über Joseph H. Oldham (1874-1969), einen der bedeutendsten Pioniere der Ökumenischen Bewegung und internationaler Zusammenarbeit in der christlichen Weltmission, promoviert. Geboren am 19. Juni 1929 in Dresden, wuchs Hans-Joachim Kosmahl in Forsthäusern am Rande der Dresdner Heide und ab 1932 in Nikolsdorf bei Königstein / Elbe auf. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Vater, Forstmeister im staatlichen Dienst, mehrfach versetzt. Für die Familie bedeutete das zumeist Umzug und für die beiden Söhne (Wolfgang, geb. 1932) Schulwechsel. Die letzte Station war im Herbst 1944 Grünhain im Erzgebirge. Mit Kriegsende im Mai 1945 veränderten sich die Verhältnisse grundlegend. Der Vater, im November 1945 aus dem Dienst in der Forstverwaltung entlassen, wurde von der russischen Besatzungsbehörde im Februar 1946 verhaftet und soll 1947 an unbekanntem Ort verstorben sein. Für die Familie blieb dies ein dauernder Schmerz. Die Mutter ermöglichte durch Heimarbeit den Söhnen den Besuch der Oberschule im nahen Schwarzenberg, die Hans-Joachim im Juli 1948 mit ausgezeichnetem Abitur verließ. Anstöße aus der Jungen Gemeinde und Erfahrungen im Pfarrhaus seines Onkels bewogen ihn, ab Wintersemester 1948/49 an der Kirchlichen Hochschule in Berlin Theologie zu studieren. 1951-55 schlossen sich Studiensemester in Tübingen, Heidelberg und Basel an. Ihre Finanzierung musste er sich in den Semesterferien als Werkstudent verdienen. Nach Vikariat in Hamburg, Predigerseminar, 2. Theologischen Examen in Kiel und Ordination folgten für Hans-Joachim Kosmahl 13 Jahre intensiver, von seiner Frau Ingrid unterstützter Gemeindearbeit in Westensee. Hier wurden auch die fünf Söhne geboren. Als Afrika- und Regionalreferent des NMZ mit Dienstsitz in Kiel hielt Dr. Kosmahl engen Kontakt zu überseeischen Mitarbeitenden und einheimischen Kirchenleitern in Tansania, Kenia, Kongo und Westafrika. Er nahm an den jährlichen Sitzungen der Koordinationsgremien in den genannten Ländern teil, besuchte die dortigen Mitarbeitenden an ihren Einsatzorten oder lud sie zu gemeinsamen Besinnungstagen ein. Ersten afrikanischen Mitarbeitern in Nordelbien war er ein treuer Begleiter. In Gremien und Arbeitsausschüssen, aber auch in Gemeindeveranstaltungen und Schuleinsätzen, hat er seine Erfahrungen weitergegeben und für den gemeinsamen Auftrag geworben. Nach seiner Pensionierung arbeitete er bis zuletzt an einer Geschichte der Breklumer Mission und des NMZ in Afrika. Er starb am 08.12.2014. Auf dem Friedhof seiner ersten Gemeinde in Westensee fand er die letzte Ruhestätte. Sein engagierter Dienst bleibt unvergessen! Fotos: C. Wenn (1), ZMÖ-Bildarchiv (2), F. Degenhardt (1), J. Brockmeier (1) S Am 26. Januar verstarb Pastor Alex Afram nach schwerer Krankheit im Alter von 68 Jahren. Er stammte wie die Mehrheit afrikanischer Zuwanderer im Großraum Hamburg aus Ghana. Die Nordelbische Kirche beauftragte ihn daher 1994 mit der Seelsorge an Afrikanerinnen und Afrikanern in Hamburg. Zugleich betreute er als Pastor bis zu seinem Ruhestand 2011 die African Church Hamburg. Alex Afram war wesentlich an der Gründung des African Christian Council Hamburg, des Afrikanischen Zentrums in Borgfelde und dem dort monatlich stattfindenden Internationalen Gospelgottesdienst beteiligt. Im Nordelbischen Missionszentrum arbeitete er lange im Afrika-Ausschuss mit. Alex Afram war ein geduldiger Brückenbauer innerhalb der großen afrikanischen Einwanderer-Community und hinein in die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Viele in der heutigen Nordkirche haben durch ihn die Frömmigkeit und Lebenswelt afrikanischer Zuwanderer kennengelernt. Mit seiner Familie trauern die große afrikanische Gemeinschaft Hamburgs und viele innerhalb und außerhalb unserer Kirche um einen Pionier der interkulturellen Öffnung von Kirche und Gesellschaft. Neue Mitarbeiterin Julia Brockmeier ist neue Mitarbeiterin im Referat für Stipendien- und Freiwiligenprogramme und dort zuständig für die Arbeit mit Freiwilligen, die von Ihrem Auslandseinsatz zurückgekehrt sind. Außerdem ist sie zuständig für die sogenannten Süd-Nord-Programme, die Arbeitseinsätze für Freiwillige organisiert, die aus dem Süden in den Norden kommen wollen. Julia Brockmeier war bereits seit 2008 in unterschiedlichen Bereichen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit tätig, unter anderem in zwei EU-finanzierten Projekten zum Thema „Internationale Freiwilligendienste und Globales Lernen“. Vor allem die „Vernetzung von Rückkehrenden aus verschiedenen Ländern“ habe sie als sehr bereichernd erlebt, erklärte Brockmeier. Schwerpunkt geschichtlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen auseinander. Weitere Informationen: www. romerotage.de Konfirmanden-Aktion 2015 Die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen in Tansania steht im Mittelpunkt der KonfirmandenAktion. Diese Aktion unter dem Titel „Kleine Körner für kluge Köpfe“ will besonders Konfirmandengruppen über das Leben Gleichaltriger in Tansania informieren. Das Infomaterial stellt neben Länderinformationen auch die Schülerin Anna aus Usangi vor. Mangelernährung unter Kindern und Jugendlichen ist immer noch weit verbreitet. Durch kirchliche Ernährungsprojekte an Schulen hat sich die Gesundheit verbessert. Julia Brockmeier Weitere Informationen: www. nordkirche-weltweit.de/konfirmanden-aktion-2015 Materialheft zum Sonntag Judika Romerotage „Verstrickungen. Gewalt. Neuanfang“ – unter diesen Stichworten stehen die diesjährigen Hamburger Romerotage vom 12. März bis zum 17. April 2015. Der Kontinent Lateinamerika steht im Mittelpunkt der Veranstaltungen. Diskussionen, Vorträge, Filme, Konzerte, Gottesdienste und Tanzperformances setzten sich mit den vielschichtigen und oft widersprüchlichen Entwicklungen der einzelnen Länder sowie mit den globalen Unter dem Motto „Gerechtigkeit und Geld“ lädt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland zu einem Themengottesdienst am Sonntag Judika, am 22. März 2015, ein. Dazu ist eine Materialsammlung erschienen, die mit Reflektionen, Gebeten, Gottesdienstbausteinen, Andachten und Liedern Anregungen für den Gottesdienst, die Jugendarbeit, Gemeindegruppen oder auch weltbewegt weltbewegt 33 33 Veranstaltungen Einzelgespräche bietet. Die Gliederung der Materialsammlung orientiert sich an dem DreierSchritt: Sehen – Urteilen – Handeln. Bezug: Zentrum für Mission und Ökumene, Tel. 040 88181-243, [email protected] Frühjahrskonvent Aktuelle Veranstaltungshinweise finden Sie auf www.nordkircheweltweit.de und in unserem Halbjahresprogramm, das Anfang März erscheint. Es kann bestellt werden unter: Tel. 040-881 81-0 oder unter info@ nordkirche-weltweit.de Am 18. April 2015 findet die Frühjahrstagung des Missionskonventes in Hamburg zum Thema „Ich war fremd… - Flüchtlinge und wir“ statt. Dietrich Gerstner, Referent für Migration und Menschenrechte, wird über die aktuelle Situation von Flüchtlingen, insbesondere über Ihre Lebenswirklichkeit in Deutschland informieren. Aus der Praxis berichten Pastorin Isabel FreyRanck aus Neumünster, Dr. Blechle und das Ehepaar Wendt aus Schmalfeld. In Gesprächsgruppen kann das Thema am Nachmittag vertieft werden. Die Tagung findet von 10 bis 17 Uhr im Zentrum für Mission und Ökumene, AgatheLasch-Weg 16 statt. Anmeldung: Ulrike Matthiesen, Tel. 040 88181-202, u.matthiesen@ nordkirche-weltweit.de Geht doch! Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit Ein „Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit“ zur UN-Klimakonferenz 2015 in Paris will auf die verheerenden Folgen des Klimawandels aufmerksam machen. Der Pilgerweg, der am 13. September in Flensburg beginnt und am 6. Dezember endet, verläuft von Flensburg über Trier nach Paris. Gemeinsam sollen auf dem Weg Gerechtigkeitsfragen diskutiert und sichtbare 34 34 weltbewegt weltbewegt Zeichen für Klimagerechtigkeit gesetzt werden. Außerdem steht der Besuch beispielhafter Klimaschutzprojekte auf dem Programm. Die Initiatoren wollen spirituelle Besinnung mit politischem Engagement verbinden. Angeregt durch den Ökumenischen Rat der Kirchen lädt eine Entwicklungspolitische Klimaplattform – ein ökumenisches Bündnis aus Landeskirchen, Diözesen, christlichen Entwicklungsdiensten, Missionswerken und Jugendverbänden – zum Mitpilgern von Teiletappen oder auch der ganzen Strecke ein. Angesprochen sind Einzelpersonen, Gemeinden oder Gruppen. Es gibt auch die Möglichkeit, die Aktion auf andere Weise zu unterstützen, zum Beispiel durch die Aufnahme von Pilgernden in der Kirchengemeinde. Weitere Informationen: Anne Freudenberg, Tel. 040 88181-243, [email protected] oder www.klimapilgern.de Jahresfest Unter dem Motto „Wo zwei oder drei… Ökumenische Partnerschaften zwischen Schatztruhe und Beziehungskiste“ findet vom 21. bis 22. Juni das traditionelle Jahresfest der Ökumene in Breklum statt. Dazu laden das Zentrum für Mission und Ökumene, das Christian Jensen Kolleg, das Evangelische Regionalzentrum Westküste und die Breklumer Kirchengemeinde alle ökumenisch Interessierten ein. Partnerschaften sind Beziehungen, geprägt von Vielfalt, von Gemeinsamkeiten und dem Anderssein. Respekt, Verstehen und Vertrauen kennzeichnen sie. Diese Vielfalt birgt auch Missverständnisse und strittige Themen in sich. Das kann mühevoll werden. Droht dann die Schatztruhe zu einer beengenden Beziehungskiste zu werden? Auf dem diesjährigen Jahresfest der Ökumene in Breklum sind Partnerschaftsgruppen, Kirchenkreise und Kirchengemeinde eingeladen, ihre Schätze zusammenzutragen und auszubreiten: Schatzkisten gefüllt mit all den wertvollen Erfahrungen, aber auch mit Sorgen und Schwierigkeiten. Die Erfahrungen, die sowohl zwischenmenschliche als auch weltweite ökumenische Partnerschaften machen, ähneln sich. Der Paartherapeut Wolfgang Schmetzler aus Bremen entdeckt Vergleichbares. Einen experimentellen Raum, um einander zuzuhören, entwickelt Rudolf Giesselmann. Als Bühne für sein „listening projekt“ dient ein leerer, auf einer Seite geöffneter Caravan. Anmeldung: buerobreklum@ nordkirche-weltweit.de, Tel. 04671 9112-14, www.nordkirche-weltweit. de/breklumergezeiten „Leg alles ab“ „Leg alles ab – Stille Tage mit den Texten Reinhard von Kirchbach“, ist das Motto für das Wochenende vom 8. bis 10. Mai im Christian Jensen Kolleg. In der Stille sollen die Texte einen angemessenen Rahmen finden und die Teilnehmenden in die offene Gebetshaltung führen. Leitung: Christoph Tischmeyer, Gerd Hansen und Jutta Jessen-Thiesen. Info und Anmeldung: Petra Conrad, 04671 9112-14, [email protected] , www.nordkirche-weltweit.de/ breklumergezeiten Service Service Rezension Unter dem schlichten Titel „Worte für jeden Tag“ hat Hans-Christoph Goßmann eine geistliche Schatzkiste herausgegeben. Zwischen grünen Buchdeckeln finden sich Zitate aus den Gebetsmeditationen Reinhard von Kirchbachs (19131998). Sie geben Erfahrungen und Einsichten seines Lebens in einer Fülle von theopoetischen Texten wieder. Als Theologe, Pastor und zuletzt Propst in Schleswig bewegte ihn schon vor Jahrzehnten eine Frage, die heute sehr bedrängend wird: Wie können Menschen in kultureller und vor allem religiöser Verschiedenheit in dieser immer mehr zusammenrückenden Welt miteinander friedlich leben? Von Kirchbachs Texte zeigen uns die Haltung eines gebildeten, tiefgläubigen und letztlich mystischen Christen: „Du musst dich nicht wundern, wenn andere Mich (Gott) mit Namen anrufen, die du nicht kennst. Lass dich nicht irre machen, weder durch die Worte, die sie brauchen, noch durch die Art, wie sie Mich anrufen. Wenn sie in der Wahrheit sind, bin Ich bei ihnen. Wenn sie sich selbst suchen, und ihr Herz fern von Mir ist, muß Ich an ihnen vorübergehen. “ Kirchbach macht ernst mit der Hinwendung zu einem Gott, der die ganze Welt mit aller Verschiedenheit und Schönheit in seinen Händen hält. Seine Texte sind im Gebet entstanden. Sie zeigen ihn als Menschen, der sich immer neu loslässt und vorwagt in Leserbriefe Mit Konfirmanden über Gerechtigkeit reden (Ausgabe 2/2014, Thema: Gerechtigkeit) Heute bekam ich das neue Heft zu Jugend und Gerechtigkeit in die Hände und ich bin, wie bei den letzten Ausgaben auch, sehr begeistert. Danke für Ihre innovative, kreative und anspruchsvolle Arbeit. Bei dem aktuellen Heft bin ich nicht nur selbst begeistert, sondern würde gerne mit unseren Konfirmanden und Konfirmandinnen zu einigen Artikel arbeiten. Martje Brandt, Pastorin, Pinneberg Waffenlieferungen nicht „alternativlos“ (Ausgabe 4/ 2014, Thema: Frieden) Danke Theo Christiansen für den Artikel! Ich war schon nahe dran zu glauben, dass es „alternativlos" sei und Waffen geliefert werden müssten - durch den Artikel bin ich ermutigt worden, bei meiner ursprünglichen Meinung zu bleiben – obwohl das angesichts der öffentlichen Debatte wirklich schwer ist. Susanna Brauer Lieber Herr Christiansen, ich habe mit großer Freude Ihren Artikel gelesen. Er ermutigt mich selbst einmal mehr, konsequent – bei unbedingter Berücksichtigung der politischen und wirtschaftlichen Interessen auch der deutschen Politik – an der Friedensethik des Schwerpunkt die Weite Gottes. Jeder Text nimmt die Lesenden mit auf diesen Weg. Darum ist es auch nicht nötig, viel zu lesen. Angemessener ist es, weniges gut und tief nachzuerleben. Dazu ist diese Auswahlausgabe hervorragend geeignet. Sie lädt ein, sich jeden Tag einem der Texte zuzuwenden. Mit jedem Zitat erscheint in schlichter Sprache die tiefe Einsicht dieses Glaubens und leuchtet in immer neuen Aspekten. Ich wünsche diesem Buch viele Leser und seinem Geist viel Ausstrahlung. Jutta Jessen-Thiesen, Referentin für ökumenische Spiritualität. Die vollständige Version der Rezension ist unter www.nordkirche-weltweit.de zu lesen Reinhard von Kirchbach: Worte für jeden Tag, herausgegeben von HansChristoph Goßmann, Verlag T. Bautz, 2014, ISBN 978-3-88309912-5 Richtigstellung Evangeliums festzuhalten. Auch ich neigte lange dazu, den Befreiungskämpfen ein Recht zur Gegengewalt zuzugestehen. Es bleibt am Ende der falsche Ansatz. Ich will einiges unterstreichen, was Sie hervorheben: Alles Reden ist auch funktional. Und: Mit dem immer wieder atemlosen Reagieren auf die neue Krise und Gewalt, hat der lange Atem einer sich auf allen Ebenen entwickelnden Friedenspolitik und Friedensethik keine Chance. Wir werden immer wieder neu vor dem Dilemma stehen – so als sei das mal wieder wie vom Himmel gefallen – der Gewalt, sei es auf unseren Straßen oder in den internationalen Konflikten, mit Gewalt begegnen zu sollen. Werden wir immer schuldig? Natürlich. Eine anthropologische Konstante. Warum wird das in der friedensethischen Debatte immerfort hervorgehoben? Es soll die Gewissen beruhigen. Dann sind alle Katzen grau. Es ist dann alles erlaubt und man muss die Dinge nicht mehr zu Ende denken. Dass Sie aber gerade dazu einen Beitrag leisten, ist wunderbar. Volker Bethge, Pastor i.R., Lübeck Klasse Artikel!! Die letzte Ausgabe von weltbewegt hat mich echt erfreut – auch wenn die Sache beziehungsweise das Thema sehr schwer oder auch traurig sind. Ich finde, es gibt zu wenig klare Stimmen – in der Kirche und auch sonst! – gegen die Militarisierung. Bärbel Fünfsinn, Hamburg Dem Autor des Nachrufs für Dr. Uwe Johannsen ist ein kleiner Fehler unterlaufen. Der im Nachruf erwähnte Pastor Stäcker heißt mit Vornamen Heinrich und nicht Johannes. Leserbriefe sind herzlich willkommen. Bitte senden an: Redaktion weltbewegt, Zentrum für Mission und Ökumene, Agathe-LaschWeg 16, 22605 Hamburg, E-Mail: [email protected] weltbewegt weltbewegt 35 35
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