HISTORIE Ihr Ansprechpartner Nico Wendt Tel. 03421 721052 [email protected] DONNERSTAG, 19. MÄRZ 2015 | SEITE 16 Auf den Elbwiesen wurden Kühe geschlachtet Erlebtes Kriegsende 1945 in Dommitzsch: Armeekolonnen und Flüchtlingstrecks bestimmten das Bild DOMMITZSCH. Vom 3. zum 4. Mai 1945 zog die ganze Nacht eine russische Brigade durch den Ort. Pferdegespanne mit Kutschern wurden requiriert zum Transport von Bagage und Verpflegung. Meist kehrten nur die Kutscher zurück, wenn sie entkommen konnten. Ab 5. Mai wurden Häuser laufend geplündert, meist bei Beginn der Dunkelheit; Frauen mussten die Flucht ergreifen. In den folgenden Tagen zogen immer wieder Armeekolonnen durch und verstopften teilweise völlig die Straßen. Im Haus Bahnhofstraße 1 befand sich die politische Abteilung der Sowjets. Sie verhaftete vom 5. bis 20. Mai 26 der örtlichen Parteiführer vom kleinsten Kassierer angefangen und deportierte sie. Keiner von ihnen war als Kriegsverbrecher zu bezeichnen, es genügte, dass er ein Parteibuch der NSDAP besaß. Wenige von ihnen kamen zurück. Nachdem am 8. Mai die Wehrmacht kapituliert hatte, fuhr der Bürgermeister im Pkw durch die Stadt. Aus dem Autofenster heraus klingelte der Stadtbote Nitzschke und rief: „ Rote Fahnen heraus, der Krieg ist beendet!“ Hier war davon noch nichts zu merken! Am 9. Mai wurde die Elbfähre von Großtreben in Dommitzsch eingesetzt zum Rücktransport von Flüchtlingen aus den östlichen Gebieten, welche in unendlichen Kolonnen durch die Straßen zogen. Am 15. Mai mussten alle Schreibmaschinen und Radios abgeliefert werden. Viele Häuser erhielten Einquartierungen oder mussten völlig geräumt werden. Sowjetische Truppen erbauten im Labaun und Gränigk Erdhütten und Blockhäuser als Unterkünfte. Das Material wurde requiriert. Am 23. Mai zogen die serbischen Kriegsgefangenen aus dem Ort ab. Am 24. Mai tauschten Kommandantur und Stadtverwaltung ihre Unterkünfte. Ab 30. Mai verkehrten wieder Züge zwischen Torgau und Pratau. Am 3. Juni wurde mit dem Bau einer Elbfähre begonnen (Tragfähigkeit 3 Tonnen). Auf den Elbwie- Alliiertengeld sen wimmelte es von Pferden, Schafen und Kühen, die hier auch geschlachtet wurden; die weggeworfenen Köpfe holten z. T. die Einwohner, zur Verbesserung ihrer Fleischversorgung. Durch den Ort wurden laufend große Herden getrieben. Ab 8. Juni wurde von russischen Pionieren, die auf dem Anger in Zelten biwakierten, eine Pfahlbrücke über die Elbe geschlagen. Am 23. Juni war sie fertig. Am 10. Juni wurde im Kino wieder der erste Film gezeigt – ein russischer Kriegsfilm. An den Straßenrändern zwischen Torgau und Dommitzsch standen viele Fahrzeugwracks, auf der Fährstraße am Rand die Transportwagen, die einst die Pontons der Elbbrücke trugen. Am 15./16. Juni beluden sowjetische Truppen auf dem Bahnhof 2 Güterzüge mit Fahrzeugen und Geschützen. Auf dem Mittelstreifen der Torgauer Straße wurden drei russische Soldaten begraben; Todesursachen Unfall und Alkohol. Am 19. Juni wurden wieder deutsche Polizisten eingesetzt, ihre „Uniform“, eine rote Armbinde. Am 28. Juni zogen Tausende Polen mit Fahrrädern und Pferdefuhrwerken durch Dommitzsch, auf Quelle: H. Förs ter dem Rückweg in ihre Heimat. Ab 28. Juli wurde wieder Bier ausgeschenkt. Es enthielt wenig Alkohol und wurde als „Hopfenblüte“ bezeichnet. Im Wohnlager der Wasag, am Weidenhainer Weg, waren Flüchtlinge untergebracht; einige Häuser wurden als Krankenstationen eingerichtet. In den Osterbergbaracken wohnten ebenfalls Flüchtlinge. Von den Opfern dieser Zeit zeugten einige Massengräber auf dem Friedhof. Die Versorgung der Bevölkerung war äußerst schwierig. In der Woche um den 21. September gab es weder Fleisch noch Fett noch Milch. Ab 25. Oktober mussten erneut viele Häuser geräumt werden. Die Bewohner versuchten, bei Bekannten unterzuschlüpfen. Auf dem Bahnhof lagen Unmengen von Gepäck und Lebensmitteln der Russen. Im Betrieb Köchermann und im Geschäft Andreas waren Verpflegungsmagazine für die Besatzung eingerichtet. Am Osterberg auf der Feldspitze war eine Panzerkolonne untergebracht. Anlässlich des Tages der Oktoberrevolution fand am 7. November ein Platzkonzert statt, mit anschließendem Fackelzug. Am 23. Dezember veranstaltete die Stadt in der Konzerthalle eine Weihnachtsfeier für Umsiedler, Kinder und Rentner, die sehr gut besucht war. Bis zum 9. Februar 1946 blieben sowjetische Truppen in Dommitzsch. Der Krieg war beendet, viele Dinge des täglichen Bedarfs fehlten. Jedes Stück Land wurde genutzt zum Anbau von Gemüse und Kartoffeln. In jedem Garten wurde Tabak angebaut, welcher dann noch mit Rosenblättern und anderem gestreckt wurde. Rübenmus war einer der häufigsten Brotaufstriche. Molkequark wurde zugeteilt; aus Hefe, viel Majoran und anderen Zutaten wurde Ersatzleberwurst hergestellt. Die Fahrräder hatten Vollgummireifen oder eine „Bereifung“ aus Starkstromkabeln. Die Zeit ging vorüber, blieb aber im Gedächtnis derer erhalten, die sie miterlebt hatten. (Quellen: Erlebtes, Gehörtes, Schulchronik Greudnitz ) Hermann Förster Glas und Altpapier waren begehrt Annahmestellen für das VEB Kombinat SERO TORGAU. Der VEB Kombinat SERO war in der DDR ein republikweit arbeitender Betrieb, der dafür zu sorgen hatte, dass das Aufkommen an Sekundärrohstoffen wie Altpapier, Altpappe, Alttextilien, Flaschen, Gläser, die nicht im Pfandsystem gehandelt wurden, Spraydosen, Kleinschrott (wie Kronenverschlüsse, Silberpapier oder Metallfolien) der Volkswirtschaft wieder zugeführt wurde. Der Betrieb unterhielt ein Netz von Aufkaufstellen, in der der Bürger seine gesammelten Sekundärrohstoffe schaffte und dafür entsprechend ausgezahlt wurde. Da das Sammeln von Sekundärroh- stoffen ein recht lukratives Geschäft war, ordnete vor allem der Jugendverband (Freie Deutsche Jugend und die Pionierorganisation) immer wieder Altstoffsammlungen an, um das Aufkommen an Sekundärrohstoffen zu erhöhen. Das Altstoffsammeln gehörte auch in unserem Kreis zur Ehre eines Pioniers. Es gab Wettbewerbe an den Schulen, die tatkräftig von den Eltern, aber auch von den Omas und Opas unterstützt wurden. Es gab sogar Lieder, Gedichte und Theaterstücke zu dieser Thematik, wie das Auftreten eines Pumpelmännchens. Günther Fiege Mit der Zinkbadewanne über’n Schwarzen Graben Torgauer Gewässer lockte die Kinder im Sommer zum Baden und im Winter zum Schlittschuhlaufen TORGAU. Der Schwarze Graben war für die Kinder unseres Viertels in den 50er-Jahren die beliebte Badeanstalt. Ich kenne kein Kind aus unserer Straße, das in dieser Zeit jemals bei Herrn Trümpelmann im Strandbad am Großen Teich an der Angel hing, um schwimmen zu lernen. Wir lernten das selbstständig im Schwarzen Graben, sogar Kopfsprünge übten einige von den großen viereckigen Betonklötzen aus, die aller paar Hundert Meter die Regenabwasserrohre der Straßen beinhalteten. Ich traute mir immer nur „Bomben“ zu, wie wir das Hineinspringen mit angezogenen Beinen damals nannten. Als wir später von der Schule aus zum Schwimmen in das Strandbad gingen, war es für uns keine Schwierigkeit, das Frei- oder Fahrtenschwimmerzeugnis zu erhalten. Eine Stelle am Grabenufer war seltsamerweise wie eine Sandbank gestaltet. Da lagen wir dann oft und sonnten uns. Manchmal erbettelten wir uns zu Hause die langen Zinkbadewannen, in die zwei Mann hineinpassten und paddelten mit den Händen den Schwarzen Graben entlang. Teilweise hingen die Zweige der Weiden weit über das Wasser, und wir meinten, im Spreewald könnte es nicht herrlicher sein. Da es in unseren alten Häusern kein Badezimmer gab; sogar die Toilette war im Treppenhaus eine Etage tiefer, wurde beim großen Waschtag, wenn das Wasser im riesigen Kessel des Waschhauses brodelte, auch die lange Zinkwanne zum Baden genutzt. Sonst war es üblich, einmal in der Woche in die Badeanstalt in der Fischerstraße zu gehen und ein Fichtennadelbad zu genießen. Ab und zu wurde der Schwarze Graben gesäubert; dann türmten sich die Schlammberge am Ufer, und wir Kinder suchten nach irgendwelchen nützlichen Dingen, die einmal jemand verloren hatte. Die großen Schalen der hellbraunen Flussmuscheln eigneten sich vortrefflich als Schälchen für allerlei Utensilien. Mit den dunklen kleinen Muscheln, die noch geschlossen waren, konnten wir nichts anfangen und warfen sie wieder zurück. Im Winter war manchmal der Graben zugefroren, und wir konnten mit den Schlittschuhen bis zur Mahla fahren. Am liebsten waren wir natürlich auf der Eisbahn (Wolffersdorffstraße bis zum Bahnhof). Die alten Schlittschuhe. Foto: M. Weiß Kurz vor dem Winter wurde das Wehr unter der Brücke an der Wolffersdorffstraße geschlossen und die Wiese am Glacis überflutet, sodass sich dann bei Frost die herrlichste Eisbahn bildete. Einige Zeit lang wurden plötzlich für das Fahren fünf Pfennige verlangt, angeblich, weil die Eisbahn vom Schnee freigehalten werden musste. Dabei hatten einige Jungen stets einen Schneeschieber dabei, um eine freie Bahn für ihr Eishockeyspiel (mit selbst gebauten Schlägern) zu schieben. Da uns diese tägliche Ausgabe zu teuer war, wichen wir halt auf den Graben oder die Glaciswiese an unserer Straße aus. Die teuren Schlittschuhe blieben für uns Kinder lange ein unerfüllter Wunsch, und so schusselten wir die erste Zeit über die Eisbahn. Dann aber bekam eine Freundin von mir zu einem Weihnachtsfest nagelneue funkelnde Schlittschuhe, und es war aus mit der bisherigen Zufriedenheit. Meiner Mutter fiel ein, dass ihre eigenen, noch vor dem Krieg getragenen Schlittschuhe eingepackt in der Bodenkammer liegen müssten. „Aber sie sind doch viel zu groß“, meinte sie. „Damals fuhren keine Kinder, sondern die Jugendlichen. Die jungen Damen saßen sogar auf Stuhlschlitten und ließen sich von den jungen Herren schieben.“ Das soll auch auf Torgaus Eisbahn vor dem 1. Weltkrieg so gewesen sein. Aus einer riesigen Peddigrohrkiste holte meine Mutter in Ölpapier eingewickelte Schlittschuhe. Sogar die Riemchen waren dabei und natürlich die Schlüssel zum Anschrauben der Schlittschuhe an den Schuhen. Was machte es, dass die Schlittschuhe wirklich viel zu groß waren. Mindestens vier Zentimeter standen sie vorn an den Schuhen über, und ich musste die Füße stets erst seitwärts einknicken, um in Schwung zu kommen, damit ich über das Eis gleiten konnte. Mit der Zeit wurde der Überstand der Schlittschuhspitzen immer kürzer, bis sie eines Tages richtig passten. Jetzt konnte ich mit den Spitzen Schwung holen, richtig über das Eis flitzen, aber nun trat ein anderes Problem auf, obwohl mehrere Riemchen Halt gaben: Ständig rissen die Schuhhacken ab und mussten vom Schuhmacher wieder angebracht werden. Die Schuhmacher hatten damals viel Arbeit. Auch die Schlosser kamen nicht zu kurz. Interessant war für uns auch, wenn Arbeiter der Torgauer Brauerei das Eis an einer Stelle der Eisbahn in rechteckige Stücke sägten und sie zu einem großen Haufen auftürmten. Mit einer Pferdekutsche, davor die stadtbekannten kräftigen Brauereipferde, wurden die Eisstücke dann zum Kühlen des Bieres abgeholt. Der Eisberg regte meine Fantasie sehr an, und ich lieh mir in der Schulbibliothek sämtliche Bücher über Polarforscher wie den Engländer Robert Falcon Scott und den Norweger Roald Amundsen aus. Margot Weiß Eine SERO-Annahmestelle von Georg Goroll befand sich in Torgau in der Heinrich-Zille-Straße. Frau Wagner nutzte damals einen Sport-Kinderwagen, um ihre gebündelten Zeitungen und im Beutel gesammeltes Papier zur SERO-Annahmestelle zu transportieren. Foto: Erdmute Bräunlich Im Stadtgebiet von Torgau in eine russische Falle geraten MEHDERITZSCH. Tante Kathr. war morgens schon zu den Russen gegangen, die mich gefangen hielten. Ihr forsches und bestimmendes Auftreten hatte denen wohl imponiert. Ihr Argument: Das gefangen genommene Kind sei erst 14 Jahre alt! Man schickte sie zum Kommandanten, aber der schlief noch. Ein späterer Versuch hatte Erfolg, nachmittags ließ man mich laufen. Die Freude war bei Mutter und Bekannten groß. Ab dann schliefen wir bei Krauschens in einem kleinen Gästezimmer, direkt neben der Familie Engelmann. Kochen, essen, Aufenthalt – weiter bei Familie Bongartz. Ich wagte mich jetzt weniger nach draußen, weil täglich über die Landstraße gefangene deutsche Soldaten abgeführt wurden. Fehlte jemand beim Zählappell, so wurde willkürlich ein Mann aufgegriffen und in die Kolonne eingereiht. Auf der Straße blieb vieles zurück. Tote Pferde lagen im Straßengraben, sie verwesten dort. Kaputte Wagen, leere Fässer und reparaturbedürftige Panzer gab es auch. Die zurückgebliebenen Besatzungen waren gefährlich, da sie überall nach Essen und Frauen suchten. Die Nachhut bildete eine besondere Einheit mit einem kleinen korpulenten Major. Zu spät hatten wir erkannt, dass er sich wegen der blonden Lore (ehemalige junge Wehrmachtshelferin) bei uns einquartiert hatte und auf dem Grundstück einen Soldaten als Aufpasser zurückließ. Prompt hat er sich abends mit Lore eingeschlossen und Paul Reucher, als Jugendlicher aus Köln / Poll evakuiert, schreibt über seine Erlebnisse zu Kriegsende in Mehderitzsch (Teil 4) sie vergewaltigt. Das Mädchen konnte schnell aus dem Zimmer flüchten, begab sich in die Obhut von Frau Bongartz und meine Mutter, die sie erst einmal trösteten und versorgten. Ich war schon bei Krauschens. Der Russe verließ daraufhin das Haus und fuhr nach dem Gut Kranichau, wo er ein dunkelhaariges Mädchen festgesetzt hatte und vergewaltigte. Lore hat mir am nächsten Tag genau den Ablauf ihrer Vergewaltigung unter Tränen erzählt. Sie wollte das Erlebte loswerden, obwohl sie schon vorher einige Sex-Erfahrungen mit deutschen Offizieren gehabt hatte. So wurde die vergangene Nacht eine große seelische Belastung. Die Berichte bedeuteten für mich, eine weitere Stufe älter und erfahrener zu werden. Man hörte von vielen solchen Vergewaltigungen, sodass die Bevölkerung aufmerksamer und viel vorsichtiger wurde. Trotzdem geschahen noch viele Plünderungen, Übergriffe, Prügeleien und so weiter. Immer wieder kamen Soldaten, die die Häuser durchsuchten und für uns wertvolle Sachen mit sich nahmen. Obwohl ich mein Fahrrad demontiert und im Stall versteckt hatte, fand es ein Russe und nahm zusätzlich noch von Mutter Kopfkissen mit. Zum Glück hatte ich Schmuck und wertvolle Dinge von uns und Familie Bongartz im Rollladenkasten versteckt, die nicht gefunden wurden. Jeden Tag hörte man neue gute und schlechte Nachrichten. Aus einer Gruppe Polen, die gen Torgau zogen, kam einer auf mich zu, als ich mit Werner an der Straße stand. Er nahm meinen geschnitzten Stock und hieb mir mit diesem einen über den Kopf. Einige Tage Kopfschmerzen waren die Folge. Dann kam der 8. Mai, Kriegsende, Kapitulation der Deutschen. Langsam beruhigte sich die Lage. Die Russen zogen weiter gen Westen und besetzten Thüringen und so weiter. Die Nahrungssuche war erst mal unser Hauptproblem, denn es gab vorerst keine geordnete Verwaltung. Wir hörten, dass die Russen auf ihrem Marsch hinter Belgern im Wald ein Lager errichtet und bald wieder verlassen hätten. Man fände dort geraubte Sachen wieder. Wir machten uns zu mehreren auf, fanden das Lager, doch nicht unsere gesuchten Gegenstände. Dafür nahmen wir andere dort liegende brauchbare Dinge mit. Man wollte wissen, was in Torgau los war, Eine Pontonbrücke überspannte die Elbe bei Torgau. Foto: Archiv Förderverein Europa Begegnungen e.V. so bin ich auf Wunsch der Einheimischen mitgegangen. Die Elbbrücke war gesprengt, die Stadt wimmelte von Fremdarbeitern, Polen, Russen und so weiter, die alle mit viel Gepäck über die Elbe nach Osten in ihre Heimat wollten. Für sie standen Transportzüge bereit, doch die Mitnahme des vielen Gepäcks wurde verhindert. Wir waren äußerst vorsichtig, trotzdem liefen wir in eine Falle. Eine russische Transportabteilung brauchte Hilfskräfte und sperrte plötzlich mehrere Straßen. Die kräftigen Männer, zu denen wir alle gehörten, wurden abgeführt und auf Lkw verladen. In einem Getreidesilo mussten wir den dort noch lagernden Weizen in Säcke abfüllen. Nach einigen Stunden waren die Lkw beladen, die bewaffneten Aufpasser fuhren, ohne was zu sagen, weg. Wir hauten natürlich schnell ab. Wieder eine neue Erkenntnis. Die ersten deutschen Soldaten, die nicht in Gefangenschaft geraten waren, kamen heimlich und misstrauisch nach Hause. Unter diesen war auch Erich Krausch. Er kam aus Bayern und hatte sich jede Nacht etwa 40 Kilometer durchgeschlagen. Uns war immer gesagt worden, dass Erich auf Usedom in einer Lungenheilanstalt läge, doch er war als Elektrofachmann am Bau der V1 beteiligt gewesen. Nach wenigen Tagen verschwand er wieder, er wollte nicht von den Russen aufgegriffen werden. Doch er hatte sofort unsere blonde Lore entdeckt, mit der er ein sehr kurzes Liebesverhältnis einging. Wöchentlich erhielten wir neue Anordnungen oder Befehle. Auf deren Nichtbefolgen stand fast immer die Todesstrafe. So mussten alle Radiogeräte abgegeben werden, trotzdem sickerten Nachrichten durch, dass die Grenze in Thüringen leicht zu überwinden wäre. Man könnte also in die Heimat. Daher verließen nach und nach Westdeutsche Mehderitzsch. So packte auch Lore, das Mädchen aus Duisburg, ihre Sachen und fuhr westwärts. Natürlich war immer noch viel russisches Militär unterwegs. Jedoch hatte man seine Erfahrungen, dass man auswich beziehungsweise schnell einen Unterschlupf suchte, wenn sie anrückten. Einmal bat mich Werner Engelmann, ihm zu helfen. Eine russische Einheit, die für Verpflegung zuständig war, hatte auf einem Bauernhof zwei sehr große schwere Schweine requiriert. Diese waren ihnen vom Lkw gesprungen, daraufhin hatten sie beide Tiere erschossen. Die Schweine hatten einige Einschüsse und waren bei der Temperatur sofort aufgebläht. Der Lkw stand in Mehderitzsch bei Albrecht und sie wollten nun von Werner, dem Metzger, wissen, ob das Fleisch noch genießbar wäre. Sie erhielten die Schinken, alles andere könnten wir haben. Wir schnitten uns etwas Fleisch ab, aber den Schmalz nahmen wir uns. Er kam ausgelassen in die schwarzen Plastikdosen, die noch aus dem Torgauer Versorgungsmagazin stammten. So hatten wir über lange Zeit bestes Fett. Fortsetzung folgt. Quelle: Paul-Heinz Bongartz
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