B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums April 2015 Sehr geehrte Damen und Herren, mit unserer Aprilausgabe möchten wir Sie auf aktuelle Entwicklungen aus den Bereichen Patent-, Markenund Kartellrecht aufmerksam machen. Wir wünschen eine interessante Lektüre! Ihre B&B-Bulletin Redaktion Die Themen dieser Ausgabe im Überblick: Schlussanträge des Generalanwalts zu Huawei . /. ZTE: die gerichtliche Durchsetzung standardrelevanter Patente wird vermutlich schwieriger .............................................................. S. 1 Kartellrechtliche Grenzen markenrechtlicher Abgrenzungsvereinbarungen ........................................................ S. 4 Die neuen Richtlinien des US-Patentamts zur Prüfung natürlicher Phänomene und abstrakter Ideen ................ S. 5 Zur Patentierbarkeit von Pflanzen – Die aktuellen Entscheidungen "Brokkoli II" und "Tomate II" der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts .............................................. S. 7 Eine „delikate“ Angelegenheit. Können beschreibende Angaben zur markenrechtlichen Verwechslungsgefahr führen? ............................................................................................................................. S. 9 Vorsicht vor irreführenden Zahlungsaufforderungen bei Schutzrechten! ........................................................... S. 10 Patentrecht Schlussanträge des Generalanwalts zu Huawei . /. ZTE: die gerichtliche Durchsetzung standardrelevanter Patente wird vermutlich schwieriger Essentielle Patente zu einer Norm können einen ganzen Markt blockieren. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Verweigerung einer Lizenz an einem essentiellen Patent ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sein kann. Aber wann handelt ein Patentinhaber missbräuchlich? Hierüber gehen die Meinungen weit auseinander. Klarheit soll eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bringen. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hat bereits seine Schlussanträge abgegeben. Während die Durchsetzung des durch ein Patent verliehenen Monopols grundsätzlich nicht kartell- oder wettbewerbswidrig ist, kann die Durchsetzung eines Patents nach der neueren Rechtsprechung der deutschen und europäischen Gerichte einen Missbrauch einer marktbeherrschende Stellung darstellen, wenn der Patentinhaber Lizenzen nach wettbewerbsbeschränkenden Kriterien vergibt. Kritische Konstellationen in diesem Sinne ergeben sich häufig dann, wenn das Patent für eine Norm essentiell ist, d.h. die Norm kann nicht befolgt werden, ohne den Gegenstand des Patents zu benutzen. Hierbei kann es sich sowohl um eine von einem nationalen oder internationalen Norminstitut verabschiedete Norm als auch um eine sogenannte De-facto-Norm handeln, bei der die Produkte bestimmte Eigenschaften aufweisen müssen, um vom Markt akzeptiert zu werden, ohne dass dies von einer Organisation oder auch nur schriftlich festgelegt wurde. Eine besondere Aktualität hat dieses Thema in den aktuellen Patentstreitigkeiten in der Telekommunikationsbranche gewonnen, bei denen häufig das geltend gemachte Patent benutzt werden muss, um eine Telekommunikationsnorm zu befolgen, die ihrerseits wiederum erforderlich ist, um z.B. ein Mobilfunknetz zu betreiben oder daran zu partizipieren. Die Durchsetzung eines entsprechenden Patents bedeutet dabei in vielen Fällen den Ausschluss der angegriffenen Partei vom Markt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann der aus einem für eine Norm essentiellen Patent in Anspruch genommene Beklagte gegenüber 1 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums dem Unterlassungsbegehren des Patentinhabers einwenden, dieser missbrauche eine marktbeherrschende Stellung, wenn er sich weigere, mit dem Beklagten einen Patentlizenzvertrag zu nicht diskriminierenden und nicht behindernden Bedingungen abzuschließen (BGH KZR 39/106 - Orange-Book vom 6. Mai 2009). Allerdings hat der BGH diesen Einwand an weitgehende Bedingungen geknüpft. Ein missbräuchliches Verhalten des Patentinhabers, das für einen erfolgreichen Einwand gegen das Unterlassungsbegehren erforderlich wäre, liegt nach der Rechtsprechung des BGH nur dann vor, wenn der Beklagte ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages gemacht hat, an das er sich gebunden hält und das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne gegen das Diskriminierungs- oder Behinderungsverbot zu verstoßen. Ferner fordert der BGH, dass der Beklagte, sofern er den Gegenstand des Patents bereits benutzt, die Verpflichtungen einhält, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstandes knüpft. Dies bedeutet insbesondere, dass der Beklagte die Lizenzgebühren gemäß seinem Angebot zahlt oder hinterlegt. Die Orange-Book-Entscheidung des BGH ist vielfach auch dahingehend interpretiert worden, dass der Beklagte die Benutzung des patentgeschützten Gegenstandes nicht in Abrede stellen darf. In verschiedenen Entscheidungen der Instanzgerichte wurde darüber hinaus gefordert, dass der Beklagte das Patent nicht angreifen darf bzw. eine Nichtigkeitsklage zurücknehmen muss. In der Praxis ist dieser Einwand in vielen Fällen unbehelflich geblieben, weil – bei grundsätzlicher Lizenzbereitschaft des Beklagten – die Parteien sich nicht über die Höhe der Lizenzgebühr einigen konnten. Insbesondere konnte der Patentinhaber diesen Einwand vielfach dadurch abwehren, dass er ein Vielfaches der von dem Beklagten angebotenen Lizenzgebühr forderte. Bei der Prüfung, ob diese Forderung missbräuchlich sein könnte, trat neben dem Umstand, dass die Forderung auch einer wesentlich höheren Lizenzgebühr nicht notwendigerweise missbräuchlich sein muss, noch die praktische Schwierigkeit hinzu, dass ein objektiver Vergleichsmaßstab in der Regel nicht gegeben war, da Lizenzverträge in der Telekommunikationsindustrie in der Regel weltweit gelten, während aufgrund des Territorialprinzips in dem streitigen Fall nur die angemessene Lizenzgebühr für eine Benutzung in der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmen war. Ebenso erschwerend kam hinzu, dass vielfach Kreuzlizenzen eine Rolle spielen und der tatsächliche Wert einer Lizenz sich nicht notwendigerweise in der Lizenzgebühr widerspiegelt. April 2015 Die europäischen Kartellbehörden haben demgegenüber einen anderen Ansatz verfolgt. Sie stützen sich darauf, dass bei einer von einem Norminstitut verabschiedeten Norm Parteien, die über ein essentielles Schutzrecht verfügen, in der Regel eine sogenannte FRAND-Erklärung abgeben müssen, in der sie sich verpflichten, jedermann eine Lizenz zu fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu vergeben (die Bezeichnung FRAND leitet sich aus Fair, Reasonable And Non-Discriminatory ab). In dem Verfahren AT.39939 gegen Samsung Electronics hatte die Europäische Kommission in einer Pressemitteilung die Auffassung vertreten, dass ein Patentinhaber, der eine FRAND-Erklärung abgegeben hat, rechtsmissbräuchlich handelt, wenn er einen Unterlassungsanspruch gegen eine verhandlungsbereite Partei durchsetzt. Die Ansätze des BGH und die Ansätze der Europäischen Kommission sind konträr zueinander und haben jeweils Anlass zur Kritik gegeben. Nach dem Ansatz des BGH ist der Einwand des Beklagten gegen das Unterlassungsbegehen des Patentinhabers nur dann erfolgreich, wenn die Lizenzforderung des Patentinhabers nachweislich missbräuchlich überhöht ist, sodass Patentinhaber es leicht haben, unter Androhung der Durchsetzung des Unterlassungsanspruches und damit des Ausschlusses vom Markt sehr hohe Lizenzgebühren durchzusetzen (sogenannter patent hold-up). Umgekehrt kann, wenn die reine Verhandlungsbereitschaft ausreichen soll, der Beklagte die Durchsetzung des Patentes dadurch hinausziehen oder möglicherweise sogar vereiteln, dass er sich zwar grundsätzlich verhandlungsbereit gibt, aber die Verhandlungen bewusst in die Länge zieht (sogenannter reverse hold-up). In dieser Situation hatte das Landgericht Düsseldorf in der Entscheidung 4b O 14/12 vom 21. März 2013 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob der Inhaber eines für eine Norm essentiellen Patentes, der gegenüber der Normierungsorganisation eine FRANDErklärung abgegeben hat, seine marktbeherrschende Stellung mit der Durchsetzung eines Unterlassungsanspruches bereits dann missbraucht, wenn der Patentverletzer seine Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Lizenz erklärt hat, oder nur dann, wenn der Patentverletzer dem Patentinhaber ein annahmefähiges unbedingtes Angebot für einen Lizenzvertrag unterbreitet hat, dessen Ablehnung eine unbillige Behinderung bzw. Diskriminierung wäre, und der Patentverletzer im Vorgriff auf die ihm zu erteilende Lizenz die ihn treffenden Vertragspflichten erfüllt. In den weiteren Fragen an den Gerichtshof ging es um die genaueren Voraussetzungen für einen Missbrauchstatbestand. 2 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums In dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (Rechtssache C-170/13 Huawei Technologies Co., Ltd. gegen ZTE Corp. und ZTE Deutschland GmbH) hat der Generalanwalt Wathelet am 20. November 2014 seine Schlussanträge abgegeben. In diesen Anträgen steuert er einen Mittelkurs zwischen dem Ansatz des BGH nach der Entscheidung Orange Book und der Auffassung der Europäischen Kommission, indem er fordert, einerseits die starke Verhandlungsposition des Patentinhabers, wie sie bei Befolgung der Grundsätze der Entscheidung Orange Book gegeben ist, und andererseits die Möglichkeit, durch vage und unverbindliche Erklärungen der Verhandlungsbereitschaft dem Unterlassungsanspruch des Patentinhabers zu entgehen, einzuschränken. Der Generalanwalt weist einleitend darauf hin, dass der Inhaber eines für eine Norm essentiellen Patents nicht zwangsläufig über eine marktbeherrschende Stellung verfügt. Voraussetzung für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sind einerseits ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Inhaber des Patents und anderen Unternehmen und andererseits ein Missbrauch dieser Stellung durch den Patentinhaber mit Hilfe von Mitteln, die von den Mitteln eines normalen Wettbewerbs abweichen. Das besagte Abhängigkeitsverhältnis vorausgesetzt, liegt ein solcher Missbrauch vor, wenn der Patentinhaber sich nicht an eine von ihm abgegebene FRAND-Erklärung hält. Ausgehend hiervon schlägt der Generalanwalt dem EuGH vor, dahingehend zu entscheiden, dass ein Patentinhaber, der aufgrund eines für eine Norm essentiellen Patents über eine marktbeherrschende Stellung verfügt und der den Unterlassungsanspruch aus diesem Patent durchsetzen will, dem angeblichen Patentverletzer zunächst ein schriftliches Angebot für einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten hat, das alle üblicherweise in einem Lizenzvertrag der betreffenden Branche aufgeführten Bedingungen enthält, insbesondere die genaue Höhe der Lizenzgebühr und die Art ihrer Berechnung. Der angebliche Patentverletzer ist, sofern er dieses Angebot nicht annimmt, im Gegenzug verpflichtet, dem Patentinhaber kurzfristig ein angemessenes schriftliches Gegenangebot bezüglich der Klauseln zu unterbreiten, mit denen er nicht einverstanden ist. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten, insbesondere hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an Angebot und Gegenangebot, legte sich der Generalanwalt nicht fest. Der angebliche Patentverletzer kann seiner Ansicht nach jedoch in jedem Fall den Missbrauchseinwand erfolgreich erheben, wenn er die Festsetzung von FRAND-Bedingungen durch ein Gericht oder Schiedsgericht verlangt. Der Generalanwalt empfahl weiterhin dem Gerichtshof, dahingehend zu entscheiden, dass es einem Missbrauchseinwand nicht entgegensteht, wenn der angebliche Patentverletzer bei den Verhandlungen sich das Recht vorbe- April 2015 hält, vor einem Gericht oder Schiedsgericht die Rechtsbeständigkeit des Patents anzugreifen und/oder geltend zu machen, dass er die Lehre des Patents nicht nutzt oder das Patent für die betreffende Norm nicht essentiell ist. Im Grundsatz folgt der Generalanwalt damit dem Ansatz der Europäischen Kommission. Ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung läge nach seinen Schlussanträgen dann vor, wenn der Patentinhaber die Verpflichtung seiner FRAND-Erklärung nicht einhält, obwohl die angegriffene Partei objektiv bereit, willens und fähig ist, einen Vertrag über eine solche Lizenz zu schließen. Es kommt also nicht darauf an, ob die Forderung des Patentinhabers missbräuchlich überhöht ist, sondern auf die objektive Lizenzbereitschaft der angegriffenen Partei. Dabei werden die Rollen gewissermaßen umgekehrt. Der Patentinhaber ist zunächst in der Pflicht, ein angemessenes Lizenzangebot zu unterbreiten, und er muss letztendlich nachweisen, dass die Gegenpartei objektiv nicht zu einem Lizenzvertrag bereit ist. Das Urteil des Gerichtshofs wird in den nächsten Monaten erwartet. Es steht viel dafür, dass er den Anträgen des Generalanwalts folgen und einen Mittelkurs zwischen den Ansätzen der Europäischen Kommission und des BGH steuern wird. Für die Praxis werden sich möglicherweise aber nur graduelle Verschiebungen ergeben. Vor Gericht wird regelmäßig die Situation auftreten, dass sich die Parteien über die Lizenzbedingungen nicht einig sind, und die Gerichte müssen dann nach wie vor entscheiden, ob die Weigerung des Patentinhabers, auf die von dem Beklagten angebotenen Bedingungen einzugehen, rechtsmissbräuchlich ist. Die bekannten Probleme bei der Bestimmung einer angemessenen Lizenzgebühr bzw. der Einhaltung der FRAND-Bedingungen bestehen dabei nach wie vor und es liegt letztendlich im Ermessen der Gerichte, ob sie ein Beharren der angegriffenen Partei auf Lizenzbedingungen, die deutlich unter den Forderungen des Patentinhabers liegen, als Zeichen einer mangelnden Verhandlungsbereitschaft ansehen oder nicht. Bisherige Tendenzen in den Anforderungen an den Patentinhaber und den Beklagten werden sich dabei wahrscheinlich fortsetzen. Da die Unterbreitung eines abweichenden Gegenangebotes (außer wenn es offensichtlich nicht ernst gemeint ist), für sich genommen voraussichtlicher Weise nicht als Zeichen mangelnder Verhandlungsbereitschaft zu werten ist, wird in der Entscheidungspraxis wahrscheinlich ein Zeitmoment hinzutreten, dergestalt, dass erst nach Ablauf einer gewissen Verhandlungsdauer nicht mehr von einer objektiven Verhandlungsbereitschaft der angegriffenen Partei auszugehen ist. Interessant ist dabei die Frage, ob die fragliche Zeitspanne 3 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums kürzer als die übliche Verfahrensdauer eines Patentverletzungsprozesses sein wird und ob von einer grundsätzlichen Lizenzbereitschaft der angegriffenen Partei auch dann noch ausgegangen werden kann, wenn diese den Abschluss eines Lizenzvertrages unter den Vorbehalt stellt, dass der Rechtsbestand des Patents in einem Nichtigkeits- oder Einspruchsverfahren zumindest erstinstanzlich bestätigt sein muss. In einer anderen Hinsicht haben die Schlussanträge des Generalanwalts die Rechtsprechung der Instanzgerichte bereits beeinflusst. In einer kürzlichen Entscheidung hat das Landgericht Düsseldorf entschieden (Urteil in Sachen 4b O 140/13 - France Brevets ./. HTC), dass ein für eine Norm essentielles Patent nicht notwendigerweise eine marktbeherrschende Stellung bedingt, sondern vielmehr aufgrund der Umstände des Einzel- April 2015 falls zu prüfen ist, ob eine solche vorliegt. Es ist zu erwarten, dass andere Gerichte dem folgen werden. Für Parteien, die aus einem für eine Norm essentiellen Patent angegriffen werden, bedeutet dies, dass zwar möglicherweise in der Folge der zu erwartenden EuGH-Entscheidung die Anforderungen an den Missbrauchstatbestand gegenüber den Vorgaben der Orange Book – Entscheidung herabgesetzt werden, aber der Nachweis einer markbeherrschenden Stellung, die überhaupt erst den Einwand eröffnet, die angegriffene Partei habe einen Anspruch auf eine Lizenz, schwieriger wird. Dr. Stefan Schohe, Patentanwalt, Partner Büro München E-Mail: [email protected] Markenrecht / Kartellrecht Kartellrechtliche Grenzen markenrechtlicher Abgrenzungsvereinbarungen Markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen sind aus der Praxis des Markenrechts nicht wegzudenken. Sie können die friedliche Koexistenz von Unternehmen sichern, die mit identischen oder ähnlichen Marken für identische oder ähnliche Produkte nebeneinander auf dem Markt tätig sind. Markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen können allerdings kartellrechtliche Probleme aufwerfen, da sie wettbewerbsbeschränkende Verpflichtungen für eine oder beide Parteien enthalten können. Das OLG Düsseldorf hat im Anschluss an die Jette Joop-Entscheidung des BGH vom 7. Dezember 2010 in einer neueren Entscheidung vom 15. Oktober 2014 (Az. VI (Kart) 42/13), die jetzt veröffentlicht wurde, sehr klare kartellrechtliche Beurteilungskriterien für Abgrenzungsvereinbarungen aufgestellt. In seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2014 hat das OLG Düsseldorf (Az. VI (Kart) 42/13) die kartellrechtlichen Grenzen markenrechtlicher Abgrenzungsvereinbarungen klar konturiert: Sie sind grundsätzlich kartellrechtlich zulässig, wenn sie die bestehenden Schutzrechte lediglich konkretisieren, d.h. auf den Schutzinhalt der Markenrechte beziehen. Aus dem Schutzinhalt der älteren Marke muss sich ein "ernsthafter, objektiv begründeter Anlass zu der Annahme" ergeben, es bestünden Verbotsansprüche für den Inhaber der älteren Marke, also ein "echter" Markenkonflikt. Die Abgrenzungsvereinbarung muss sich also auf den konkreten Markenkonflikt beziehen. Die rote Linie liegt kartellrechtlich dort, wo territorial, zeitlich oder sachlich wettbewerbsbeschränkende Verpflichtungen für eine oder beide Parteien in die Abgrenzungsvereinbarung hineingeschrieben werden, die über die Grenzen des "echten" Markenkonfliktes hinausgehen. Räumlich über den Inhalt hinaus: Ein "no go" für eine Abgrenzungsvereinbarung ist danach ein pauschales Wettbewerbsverbot (unabhängig von der Benutzung bestimmter Marken) in bestimmten Territorien. Auch nicht kartellrechtsfest sind Benutzungsverbote für bestimmte Marken in Ländern, in denen es gar keine älteren Markenrechte der anderen Partei gibt. Möglich bleiben danach Benutzungsverbote im Hinblick auf bestimmte Territorien für bestimmte Marken, in denen sich markenrechtliche Verbotsansprüche ernsthaft begründen lassen. Man kann danach gewisse Zweifel daran haben, ob es zulässig ist, markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen territorial mit "weltweiter" Geltung abzuschließen, obwohl gar kein weltweiter Markenschutz besteht. Im Hinblick auf territorial überschießende markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen wäre allerdings eine geltungserhaltende Reduktion denkbar. In diesem Fall wäre nur der „territorial überschießende“ Teil der Vereinbarung unwirksam. 4 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums Sachlich über den Inhalt hinaus: Kartellrechtlich bedenklich sind sachliche Tätigkeitsverbote gegenüber bestimmten Kundengruppen, die unabhängig davon gelten, welche Marke eingesetzt wird. Im Gegensatz dazu sollte kartellrechtlich ein Benutzungsverbot im Hinblick auf eine bestimmte Marke gegenüber bestimmten Kundengruppen zulässig sein, sofern bei Benutzung gegenüber diesen bestimmten Kundengruppen ein Markenkonflikt ernsthaft in Betracht kommt. Die durchaus weit verbreitete Praxis, dass sich der Inhaber der jüngeren Marke zur Benutzung seiner Marke nur für ganz bestimmte Waren oder Dienstleistungen verpflichtet, dürfte damit kartellrechtlich bedenklich sein. Denn ein solches positives Benutzungsgebot beinhaltet ein Benutzungsverbot für Waren oder Dienstleistungen, für die die ältere Marke eine Benutzung gar nicht verbieten kann. Deshalb sollten sachliche Benutzungsverbote in Abgrenzungsvereinbarungen immer nur das verbieten, was die ältere Marke ernsthaft verbieten kann - und nicht den Inhaber der jüngeren Marke auf eine bestimmte Benutzung festlegen. Beispiel: A ist Inhaber der Wortmarke XYZ für Arzneimitteldatenbanken. A schließt mit B eine Abgrenzungsvereinbarung wegen B‘s jüngerer Wortmarke XYZ, die B für Medizinprodukte benutzt. A kann B kartellrechtsfest in der Abgrenzungsvereinbarung verpflichten, die Marke XYZ nicht für Arzneimitteldatenbanken zu benutzen. A darf allerdings B nicht April 2015 verpflichten, die Marke XYZ ausschließlich für medizinische Geräte einzusetzen, weil es eine ganze Reihe anderer markenrechtlich unproblematischer Waren oder Dienstleistungen gibt, für die B seine Marke einsetzen dürfte, beispielsweise für orthopädische Produkte oder auch für Krankentransporte. Zeitlich über den Inhalt hinaus: Nichtangriffsabreden sind grundsätzlich in markenrechtlichen Abgrenzungsvereinbarungen nur zulässig für relative Schutzhindernisse, nicht für absolute Schutzhindernisse. Insbesondere Angriffe des Vertragspartners wegen anfänglicher oder nachträglicher absoluter Schutzhindernisse sowie wegen Verfalls nach fehlender rechtserhaltender Benutzung dürfen nicht ausgeschlossen werden. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf hat zu höherer Rechtsicherheit beigetragen, indem sie die kartellrechtlichen Grenzen von markenrechtlichen Abgrenzungen klar herausgearbeitet hat. Vor dem Hintergrund der Risiken kartellrechtswidriger Absprachen sollten die Kriterien des OLG Düsseldorf bei der Gestaltung markenrechtlicher Abgrenzungsvereinbarungen sorgsam berücksichtigt werden. Prof. Dr. Jan Bernd Nordemann, LL.M., Rechtsanwalt, Partner Büro Berlin / Potsdam E-Mail: [email protected] Patentrecht Update aus dem US-Patentamt: Die neuen Richtlinien zur Prüfung natürlicher Phänomene und abstrakter Ideen Seit 2014 werden Patentanmeldungen aus dem Bereich der Medizin, Biotechnologie und computerimplementierten Erfindungen durch das US-Patentamt (USPTO) vermehrt als nicht dem Patentschutz zugänglich beanstandet und zurückgewiesen. Grund hierfür sind interne Prüfungsrichtlinien des USPTO, die infolge einer sehr breit auslegbaren Logik beinahe alle Erfindungen in den Life Sciences als angeblich auf rein natürlichen Phänomenen beruhend disqualifizierten. Auch auf Druck der Öffentlichkeit und der Industrie hat das USPTO nun eine überarbeitete Version der Richtlinien als Übergangsrichtlinien zur öffentlichen Diskussion gestellt. Im März letzten Jahres veröffentlichte das USPatentamt (USPTO) an das Prüferchor adressierte Richtlinien zur Analyse von Patentansprüchen, die sich auf natürliche Phänomene oder abstrakte Ideen beziehen oder diese zum Gegenstand haben. Diese Richtlinien entfalteten eine zerstörerische Wirkung bei der Prüfung von Patenten im Feld der Biotechnologie, Medizin und Computersoftware. Über Nacht wurde der 5 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums Rechtsbestand von bereits erteilten und als patentfähig erachteten Patenten ungewiss und das Erteilungsverfahren vieler anhängiger Patentanmeldungen eine Tortur. Was war geschehen? Mit drei richtungweisenden Entscheidungen, nämlich Association for Molecular Pathology v. Myriad Genetics, Inc (Myriad), Mayo Medical Laboratories, et al. v. Prometheus Laboratories, Inc. (Mayo) und Alice Corp. v. CLS Bank International (Alice), dehnte der US Supreme Court – das höchste US-Gericht – die Anwendung des Kriteriums der generellen Patentfähigkeit unter 35 U.S.C §101 massiv aus. Im US-Patentgesetz definiert der §101, welche Gegenstände dem Patentschutz überhaupt zugänglich sein sollen. Eine Bestimmung, die in der Vergangenheit bei der Prüfung von Patentanmeldungen eine eher untergeordnete Rolle spielte. §101 lautet sinngemäß: „Wer immer ein neues Verfahren, Vorrichtung, Erzeugnis, oder Zusammensetzung erfindet oder entdeckt, oder ein neue und nützliche Verbesserung solcher, kann ein Patent dafür erhalten, gemäß den in diesem Titel angegebenen Voraussetzungen.“ Die bisherige US-Rechtsprechung wendete die Bestimmung nur an, um reine Entdeckungen, abstrakte Ideen und Naturphänomene auszuschließen. Nun hat sich der Supreme Court aber in Mayo, Myriad und Alice dazu entschieden, die Auslegung und Umfang des §101 neu zu definieren, um insbesondere die Anforderungen an Patentansprüche im Bereich der computerimplementierten Erfindungen und der Biotechnologie anzuheben. Aus den Entscheidungen lässt sich die Einschätzung des Supreme Court herauslesen, viele Patentansprüche würden zu breit erteilt. Mayo, entschieden 2012, betraf eine Erfindung im Bereich der Diagnostik. Beansprucht wurde ein Verfahren zur Optimierung einer Arzneimitteldosierung durch Überwachung der Korrelation der Konzentration des Arzneimittels im Vergleich zu roten Blutkörperchen. Der Supreme Court erkannte in dieser Korrelation jedoch nur ein „Naturprinzip“ und empfand die weiteren Merkmale des Anspruchs zur Feststellung der Konzentrationen als unzureichend, um das Verfahren über die Stufe eines reinen Naturprinzips zu heben und dem Patentschutz zugänglich zu machen. In der Myriad Entscheidung von 2013 wurden isolierte DNA Sequenzen als „Naturstoffe“ und daher als nicht patentfähig gemäß §101 eingestuft, soweit sie zu solchen in der Natur vorkommenden Sequenzen identisch sind. So genannte cDNA Sequenzen, die sich in ihrer Sequenz von natürlich vorkommenden Nukleinsäure Sequenzen unterscheiden, wurden aber als patentierbar erachtet. Die Entscheidung Alice im Jahr 2014 betraf computerimplementierte Erfindungen. April 2015 Unter Anwendung der in Mayo entwickelten Grundsätze wurde die Patentierung von abstrakten Ideen insoweit eingeschränkt, als die bloße Nennung von Hardware in einem Patentanspruch, beispielsweise eines Datenträgers oder Computers, nicht mehr als ausreichend angesehen wurde um die Hürde des §101 zu überwinden. Auf Basis der Mayo und Myriad Entscheidungen hatte das USPTO im März 2014 Prüfungsrichtlinien erlassen, die die Analyse von Erfindungen im Zusammenhang mit Naturphänomenen und abstrakten Ideen im Prüfungsverfahren regeln sollten. Mit diesen Richtlinien schoss das USPTO allerdings über das Ziel hinaus: die Entscheidungen des Supreme Court wurden weit über deren Inhalt hinaus interpretiert, so dass sich die Richtlinien gegen so gut wie alle Ansprüche im Bereich der Biotechnologie anwenden ließen. Die Zahl an Zurückweisungen aufgrund des §101 nahm exorbitant zu und machte es Anmeldern fast unmöglich, Patentansprüche mit Bezug auf Naturstoffe, Gensequenzen, diagnostische oder therapeutische Verfahren in einem in der Praxis vernünftigen Umfang zur Erteilung zu bringen – vollkommen unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen zur Patentfähigkeit. Damit war der §101 durch den Supreme Court und das USPTO als neuer Türsteher des Clubs der patentierbaren Erfindungen im US-Patentsystem etabliert. Ein Türsteher, der Erfindungen nach oft nicht nachvollziehbaren, geradezu willkürlichen Kriterien den Zugang zum Patentschutz verwehrt. Durch öffentlichen Druck der Industrie in den USA wurde im Dezember 2014 eine überarbeitete Version als Übergangsrichtlinien – gewissermaßen Work-inProgress – erlassen. Diesmal hat das USPTO die Öffentlichkeit explizit aufgefordert, den Entwurf zu kommentieren. Von dieser Möglichkeit wurde bisher umfangreich Gebrauch gemacht. Die vorherigen Richtlinien verlangten bei der Prüfung eines Patentanspruchs auf Patentfähigkeit eine umständlich Analyse der Anspruchsmerkmale anhand mehrerer Fragen und insgesamt 12 einzelner Faktoren, um festzustellen, ob die Voraussetzungen des §101 erfüllt seien oder nicht. Dies hat Prüfbescheide und Antwortschreiben unnötig aufgebläht. Dieses System wurde in den Übergangsrichtlinien deutlich verschlankt. Im Wesentlichen wird der §101 nun in drei Schritten geprüft: 1. Richtet sich der Anspruch auf ein Verfahren, eine Vorrichtung, ein Erzeugnis oder eine Zusammensetzung? 6 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums JA → Frage 2; NEIN → nicht patentfähig 2. Bezieht sich der Anspruch auf ein Naturgesetz, eine Naturphänomen oder eine abstrakte Idee (auf so genannte „rechtliche Ausnahmen“)? JA → Frage 3; NEIN → patentfähig 3. Nennt der Anspruch weitere Elemente, die einen wesentlichen Beitrag zu der rechtlichen Ausnahme leisten? JA → patentfähig; NEIN →nicht patentfähig Die erste Frage wird in der Praxis wohl eine eher untergeordnete Rolle spielen, da die meisten Patentansprüche unter zumindest eine der genannten Kategorien einzuordnen sein werden. Eine klassische Ausnahme wäre ein nach europäischer Praxis verfasster Verwendungsanspruch, der üblicherweise in ein Verfahren umformuliert werden muss. Ob sich ein Anspruch oder ein Anspruchsmerkmal auf eine rechtliche Ausnahme, wie beispielsweise ein Naturphänomen oder eine abstrakte Idee, bezieht – Frage 2 – soll gemäß der neuen Richtlinien davon abhängig sein, ob sich der Anspruchsgegenstand von der rechtlichen Ausnahme „merklich unterscheidet“. Aus den vom USPTO bereitgestellten Beispielen ergibt sich eine zentrale Rolle dieses Kriteriums bei der Beurteilung der Patentfähigkeit von Naturstoffen. Über 90% aller Naturstoffbeispiele sind, soweit Frage 2 mit JA beantwortet wird, im Ergebnis nicht patentfähig. Erfreulicherweise lehren uns die neuen Richtlinien aber auch, dass für eine „merkliche Unterscheidung“ bereits kleine Unterschiede ausreichen können. So sei die Nennung von Naturstoffen in Verfahrensansprüchen generell unschädlich soweit der Verfahrensanspruch sich auch ausreichend von einem entsprechenden Stoffanspruch unterscheidet. Es ist zu erwarten, dass in der Praxis die Prüfung der dritten Frage bezüglich weiterer Anspruchsmerkmale, April 2015 die einen wesentlichen Beitrag zu dem im Anspruch genannten Naturprinzip leisten, spielentscheidend für einen Eintritt in den Club der patentierbaren Erfindungen sein wird. Auch hier lässt sich jedenfalls aus den Beispielen der neuen Richtlinien mehr Raum zur Argumentation und eine weniger strenge Auslegung des Begriffs „wesentlicher Beitrag“ ableiten. Leider ist den neuen Richtlinien wenig Neues zu diagnostischen Verfahrensansprüchen zu entnehmen. Diagnostische Verfahren werden mittlerweile standardmäßig unter §101 im Prüfungsverfahren beanstandet, was den Aufwand und die Kosten der Erteilungsverfahren signifikant erhöht hat. Hier muss bedauerlicherweise abgewartet werden, wie sich die Rechtsprechung des Federal Circuit (das höchste Patentgericht in den USA) und des Supreme Court in Zukunft entwickelt. Leider hat der Federal Circuit nur zwei Tage nach der Veröffentlichung der neuen Richtlinien in seiner Entscheidung University of Utah Research Foundation … and Myriad Genetics, Inc. v. Ambry Genetics Corp. (Myriad II) den Patentausschluss von Genmaterial auch auf so genannte Primer ausgedehnt. Primer sind kurze DNA Teilstücke die zur spezifischen Vervielfältigung von Genabschnitten im Labor eingesetzt werden. Diese Entscheidung ist für Praktiker auf dem Bereich der Biotechnologie unbefriedigend und wenig nachvollziehbar. Primer, insbesondere wenn sie als Paare beansprucht werden, kommen abgesehen von ihrer Sequenzidentität so in der „Natur“ nicht vor. Dies zeigt, dass die neueren Entscheidungen des Supreme Court und des Federal Circuit sich durch ein begrenztes Verständnis der zur Grunde liegenden Technologie und einer zumindest fragwürdigen Interpretation des Begriffs „Natur“ auszeichnen. Es bleibt somit weiter abzuwarten wie sich die Rechtsprechung in diesem Gebiet in den USA entwickeln wird. Dr. David Kuttenkeuler, Patentanwalt Büro München E-Mail: [email protected] 7 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums April 2015 Patentrecht Zur Patentierbarkeit von Pflanzen – Die aktuellen Entscheidungen "Brokkoli II" und "Tomate II" der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts Artikel 53 (b) des Europäischen Patentübereinkommens schließt Züchtungsverfahren für Pflanzen und Tiere, die auf der Kreuzung von Pflanzengenomen und anschließender Selektion beruhen, von der Patentierbarkeit aus. In zwei kürzlich ergangenen Entscheidungen stellt die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts nunmehr jedoch klar, dass Pflanzen und Pflanzenprodukte, die auf diesem Wege gewonnen wurden, von diesem Patentierbarkeitsausschluss nicht betroffen sind. In den Entscheidungen "Brokkoli II" (G 2/13) und "Tomate II" (G 2/12) vom 25. März 2015 hat die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts genauer bestimmt, unter welchen Umständen Pflanzen und Pflanzenbestandteile von der Patentierung im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) ausgeschlossen sind. Die Entscheidung "Tomate II" bezieht sich auf ein Patent, mit dem Züchtungsverfahren von Tomaten mit geringem Wassergehalt sowie durch dieses Verfahren hergestellte Produkte unter Schutz gestellt wurden. Gegen die Patenterteilung legte ein Wettbewerber des Patentinhabers Einspruch ein und erhob dabei den Einwand, das Patent umfasse die Patentierung von "im Wesentlichen biologischen Züchtungsverfahren" für Pflanzen, die nach Artikel 53 (b) EPÜ nicht patentierbar seien. Als die Einspruchsabteilung entschied, das beanspruchte Züchtungsverfahren sei aufgrund von Artikel 53 (b) EPÜ nicht patentierbar, legte der Patentinhaber Beschwerde ein. Der Fall "Brokkoli II" geht zurück auf ein Patent, mit dem ein Züchtungsverfahren für Brokkoli mit einem erhöhten Anteil an bestimmten gesundheitsfördernden Bitterstoffen und damit gewonnene Brokkoli-Arten geschützt werden sollten. Auch hier wurde im Einspruchsverfahren entschieden, das beanspruchte Züchtungsverfahren sei wegen Artikel 53 (b) EPÜ nicht patentierbar, und der Patentinhaber ging daraufhin in die Beschwerde. Die mit den Fällen befassten Technischen Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts legten die Frage, was genau ein "im Wesentlichen biologisches" Züchtungsverfahren sei, der Großen Beschwerdekammer vor. Die Große Beschwerdekammer ist die höchste Rechtsprechungsinstanz des Europäischen Patentamts und hat die Aufgabe, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beantworten und eine einheitliche Auslegung des Europäischen tübereinkommens zu gewährleisten. Paten- Ende 2010 stellte die Große Beschwerdekammer daraufhin in ihren Entscheidungen "Brokkoli I" (G 2/07) und "Tomate I" (G 1/08) klar, dass Züchtungsverfahren, bei denen das gesamte Genom von Pflanzen sexuell gekreuzt und anschließend selektioniert wird, nicht patentierbar sind, selbst wenn sie unter Einsatz molekularer Marker durchgeführt werden. Offen blieb dabei jedoch die Frage, ob von diesem Patentierungsausschluss auch die mit solchen Züchtungsverfahren gewonnenen Pflanzen betroffen sind. Diese Frage wurde im weiteren Verlauf der Beschwerdeverfahren nun erneut der Großen Beschwerdekammer vorgelegt. In den nunmehr ergangenen Entscheidungen "Brokkoli II" und "Tomate II" stellt die Große Beschwerdekammer fest, dass der Patentierungsausschluss für "im Wesentlichen biologische Züchtungsverfahren" nach Artikel 53 (b) EPÜ eng auszulegen ist. Das Patentierungsverbot erstreckt sich demnach nicht auf Pflanzen und Pflanzenmaterial, die mit solchen Züchtungsverfahren hergestellt wurden. Pflanzen oder Pflanzenmaterial (etwa Pflanzenteile oder Früchte), die über ein Verfahren gewonnen werden, das auf der Kreuzung von Pflanzengenomen und anschließender Selektion beruht, sind somit patentierbar, sofern sie den übrigen Anforderungen des Europäischen Patentübereinkommens genügen. Dies bedeutet insbesondere, dass der Patentanspruch neu und erfinderisch sein muss (Artikel 54 und 56 EPÜ) und nicht individuell auf eine bestimmte Pflanzensorte gerichtet sein darf (Artikel 53 (b) EPÜ, 1. Alternative). Ein allgemein formulierter Patentanspruch, in dem nicht eine bestimmte Pflanzensorte individuell bean- 8 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums sprucht wird, ist jedoch zulässig, auch wenn er möglicherweise (mehrere) Pflanzensorten umfasst (G 1/98). Ferner stellt die Große Beschwerdekammer fest, dass bei der Formulierung eines Produktanspruchs für eine solche Pflanze das Format eines "Product-byProcess“-Anspruchs zulässig ist. Die zu schützende Pflanze kann also über ihr Herstellungsverfahren definiert werden, auch wenn dieses Herstellungsverfahren ein (nicht patentierbares) "im Wesentlichen biologisches Züchtungsverfahren" darstellt. April 2015 Die Entscheidungen G 2/12 und G 2/13 der Großen Beschwerdekammer schaffen Klarheit in einem Bereich, in dem bisher große Rechtsunsicherheit bestand. Dies wird es Erfindern in Zukunft erleichtern, wirksam Schutz für ihre erfinderische Leistung im Bereich der Pflanzenbiotechnologie in Anspruch zu nehmen. Dr. Holger Dormann, Patentanwalt Büro München E-Mail: [email protected] Markenrecht Eine „delikate“ Angelegenheit. Können beschreibende Angaben zur markenrechtlichen Verwechslungsgefahr führen? Im Oktober 2014 bestätigte das Bundespatentgericht (BPatG) einmal mehr die deutsche Spruchpraxis, nach der eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr regelmäßig zu verneinen ist, wenn sich die Gemeinsamkeiten der Vergleichszeichen im Wesentlichen auf beschreibende oder sonst schutzunfähige Elemente beschränken. Schutzunfähige Markenbestandteile dürfen nach dem BPatG beim Zeichenvergleich nicht berücksichtigt werden, weil dies dem markenrechtlichen Schutz der beschreibenden Angabe selbst gleichkommen würde. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) nimmt im Ergebnis einen gegenteiligen Standpunkt ein. Danach können schutzunfähige Markenbestandteile sehr wohl Berücksichtigung finden, jedenfalls sofern sie den jeweiligen Gesamteindruck der Vergleichszeichen dominieren. 1. In dem Beschluss zum Aktenzeichen 28 W (pat) 519/13 hatte das BPatG darüber zu befinden, ob zwischen der jüngeren Marke und der Widerspruchsmarke die Gefahr von Verwechslungen besteht. Beide Zeichen beanspruchten in Warenklasse 29 „Fleisch- und Wursterzeugnisse“, sodass von einer Identität der Waren auszugehen war. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke wurde vom BPatG als sehr gering eingestuft, da der Wortbestandteil DELIKAT im Zusammenhang mit den hier relevanten Widerspruchswaren einen unmittelbar beschreibenden Hinweis auf deren „wohlschmeckendes und köstliches Aroma“ enthält. Der Schutzumfang der Widerspruchsmarke leitet sich daher allein aus der Grafik – der schwarzen Ovalumrandung – des Wortbestandteils ab. Der Wortbestandteil DELIKAT bleibt unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat das BPatG nur auf einen sehr geringen Grad der Markenähnlichkeit erkannt. Schutzunfähige Markenbestandteile dürfen nach Auffassung des BPatG beim Zeichenvergleich nicht berücksichtigt werden, weil dies dem markenrechtlichen Schutz der beschreibenden Angabe selbst gleichkommen würde. Eine klangliche und begriffliche Verwechslungsgefahr scheidet damit aus, da der in beiden Marken identisch enthaltene Wortbestandteil DELIKAT wegen seines unmittelbaren beschreibenden Inhalts für „Fleisch- und Wursterzeugnisse“ nicht geeignet ist, kollisionsbegründend herangezogen zu werden. Nur in bildlicher Hinsicht ist eine gewisse Ähnlichkeit aufgrund des die Wortelemente in beiden Marken jeweils umgebenden Ovals anzunehmen. Allerdings reicht der Grad für „Fleisch- und Wursterzeugnisse“ nicht geeignet ist, kollisionsbegründend herangezogen zu werden. Nur in bildlicher Hinsicht ist eine gewisse Ähnlichkeit aufgrund des die Wortelemente in beiden Marken jeweils umgebenden Ovals anzunehmen. Allerdings reicht der Grad der bildlichen Ähnlichkeit nicht aus, um vorliegend eine Verwechslungsgefahr zwischen der jüngeren Marke und der Widerspruchsmarke anzunehmen. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. 2. Hätte der vorgenannte Sachverhalt indes nicht vom BPatG sondern vom EuG beurteilt werden müssen, spricht einiges dafür, dass dem Widerspruch stattgegeben worden wäre. So hatte das EuG in der Rechtssache T-149/12 (Urteil vom 16. Januar 2014) in einem fast identisch gelagerten Fall darüber zu entscheiden, ob zwischen dem jüngeren Zeichen und der Widerspruchsmarke Verwechslungsgefahr besteht, was das EuG im Ergebnis auch annahm. Die Vergleichszeichen beanspruchten in der Warenklasse 9 identische Waren, nämlich „Fotoapparate und Digitalkameras“ und das EuG billigte ferner die Sichtweise der Beschwerdekammer, wonach der Wortbestandteil MICRO für die Widerspruchswaren lediglich beschreibend ist und die Unterscheidungskraft der Widerspruchsmarke allein aus der Farb- und Schriftbildkombination folgt. Gleichwohl besteht nach Auffassung des EuG die Gefahr von Verwechslungen, da die Vergleichszeichen durch den in beiden Zeichen enthaltenen Wortbestandteil MICRO eine hochgradige bildliche Ähnlichkeit aufweisen. 9 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums Erst prüfen,des dann zahlen! Auffassung EuG die Gefahr von Verwechslungen, da die Vergleichszeichen durch den in beiden Zeichen Da sich die Wortbestandteil rechtliche Verfolgung Versender von enthaltenen MICROder eine hochgradige irreführenden Zahlungsaufforderungen aufgrund ihrer bildliche Ähnlichkeit aufweisen. teilweise kriminell organisierten Struktur als schwer erweist, steht auch die Prävention erster Stelle. Zwar erkennt das EuG an grundsätzlich an,Hierzu dass ein paar Tipps. rein beschreibende Elemente innerhalb eines Gesamtzeichens nicht dominierend und damit kollisions- Falls Sie einen Vertreter fürsoll Ihreaber Schutzrechte bebegründend wirken. Anderes gelten, wenn stellt haben, ist eine Korrespondenz zwischen Ihnen das Auge des Betrachters nicht durch die unterscheiund den Ämtern Bestandteile grundsätzlich der selten. dungskräftigen Vergleichszeichen, sondern stattdessen durch ein bildlich hervorgehobe- Noch seltener ist eine Korrespondenz des Amtes, in nes beschreibendes Wortelement angezogen wird. In der von Ihnen eine Zahlung gefordert wird. Daher solchen Fällen können beschreibende Angaben sehr sollten Sie solch ein Schreiben besonders sorgfältig wohl in den Zeichenvergleich einzustellen sein und zu prüfen. einer kollisionsbegründenden Zeichenähnlichkeit führen. Da der beschreibende Wortbestandteil MICRO - Es gibt keine offiziellen Patentregister, die eine amtsowohl in dem jüngeren Zeichen als liche Extragebühr für die Veröffentlichung Ihrer Anauch in der Widerspruchsmarke bildlich meldung verlangen. Alle entsprechenden Gebühren deutlich hervorgebeoben ist, kann ein solcher Umwerden vorab bei der Anmeldung entrichtet. stand ausnahmsweise die Verwechslungsgefahr begründen. April 2015 3. Gegenüberstellung beiden Entscheidungen dieDie Kontonummer auf derder„Rechnung“ zu prüfen. zeigt mehr,Bankkonten dass die deutsche und europäische Eine einmal Liste der der jeweiligen Ämter Spruchpraxis abweicht. Während finden Sie aufvoneinander deren Homepages. Wenn sich dieim deutschen angegebeneWiderspruchsverfahren Kontonummer dort nicht beschreibenden findet, zahlen Elementen Sie nicht! – abgesehen von Fällen ihrer Verkehrsdurchsetzung – keine kollisionsbegründende Stellung zukommt, kann dies auf europäischer Ebene anders Falls Sie weitere Fragen haben, stehen wir Ihnen sein, wennzur das beschreibende Element Kombinatinatürlich Verfügung (+49 89 559680imoder postonszeichen eine dominierende Stellung einnimmt. Der [email protected]). Auch die Patentund MarSchutzbereich der entsprechend Gemeinschaftsmarke ist werden, damit im kenämter können kontaktiert Vergleich zur deutschen Marke weiter. Der Grundsatz, so das DPMA (+49 89 2195-0 oder [email protected]) dass kennzeichnungsschwachen nur oder sich EPAaus in München (+49 89 2399-5116Zeichen oder patschwer keine Rechte gegen Drittmarken herleiten [email protected]) oder die WIPO in Genf (+41 22 lassen, giltoder damit auf europäischer Ebene nur einge338 83 38 [email protected]). schränkt. Dies sollte sowohl bei der Anmeldestrategie als auch bei der Entscheidung über die Durchführung von Widerspruchsverfahren stets im Hinterkopf behalDr. Jan Krauß ten werden. Büro München Patentanwalt, E-Mail: [email protected] Dr. Eckhard Ratjen, LL.M., Rechtsanwalt Büro Bremen E-Mail: [email protected] 3. Die Gegenüberstellung der beiden Entscheidungen zeigt einmal mehr, dass die deutsche und europäische Spruchpraxis voneinander abweicht. Während im Hinweis deutschen Widerspruchsverfahren beschreibenden Elementen – abgesehen von Fällen ihrer VerkehrsVorsicht irreführendenStellung Zahlungsaufforderungen bei Schutzdurchsetzung – vor keine kollisionsbegründende zukommt, kann dies auf europäischer Ebene anders rechten! sein, wenn das beschreibende Element im KombinatiAuch der gewerbliche Rechtsschutz vor Betrügern nicht sicher. In letzter Zeit häufen sich die Mitteionszeichen eine dominierende Stellungist einnimmt. Der lungen über Unternehmen und Einzelpersonen, die Rechnungen mit irreführenden ZahlungsaufforderunSchutzbereich der Gemeinschaftsmarke ist damit im gen für die Veröffentlichung und/oder Registrierung ihrer Anmeldungen und Patente versenden. Solche Vergleich zur deutschen Marke weiter. Der Grundsatz, Schreiben werden national und international – auch für Marken und Designs – versendet. Die Angebote, Zahlungsaufforderungen bzw. Rechnungen und Überweisungsträger dieser Unternehmen wecken teilweise den Anschein amtlicher Formulare, bzw. können diesen täuschend ähnlich sein. Das offizielle Erscheinungsbild derartiger Rechnungen ist irreführend: Die von diesen Unternehmen angebotenen Dienstleistungen stehen in keinerlei Zusammenhang mit den Ämtern oder Behörden. Rechtlich entfalten solche Schreiben für sich allein keinerlei Wirkung. Es besteht daher keine Verpflichtung, Rechnungen zu bezahlen, die Ihnen von solchen Unternehmen für die „Bearbeitung“ einer Patentanmeldung ausgestellt werden. Im Übrigen entfalten etwaige Zahlungen an diese Unternehmen auch keinerlei Rechtswirkung in den Verfahren nach EPÜ und PCT. Gerichtlich ist die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit des Versands selbst eines Erinnerungsschreibens, das eine Nähe zu Formularen des DPMA suggeriert und den Markeninhaber zur Zahlung einer Verlängerungsgebühr mit einem Aufschlag von 100 % auffordert, bereits mehrfach gerichtlich festgestellt worden (LG Kiel Urteil vom 10.06.2010 – 15 O 20/10, LG Berlin: Urteil vom 05.05.2010 - 96 O 186/09). Das Gerichtlich ist die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit des Versands selbst eines Erinnerungsschreibens, das eine Nähe zu Formularen des DPMA suggeriert und den Markeninhaber zur Zahlung einer Verlängerungsgebühr mit einem Aufschlag von 100 % auffordert, bereits mehrfach gerichtlich festgestellt worden (LG Kiel Urteil vom 10.06.2010 – 15 O 20/10, LG Berlin: Urteil vom 05.05.2010 - 96 O 186/09). Das Versenden der Rechnungen kann auch einen Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB darstellen, falls durch das Schreiben ein Auftragsverhältnis zur Behörde (DMPA, WIPO oder EPA) suggeriert wird. Ein Beispiel für eine Zahlungsaufforderung haben wir hier für Sie abgebildet: 10 B& B-BULLETIN | Recht des geistigen Eigentums April 2015 11 erweist, steht die Prävention an erster Stelle. Hierzu ein paar Tipps. Weitere Beispiele für angebliche Rechnungen zu Patentanmeldungen und Patenten finden Sie auf der Website des DPMA unter http://www.dpma.de/service/ dasdpmainformiert/warnung/index.html, des EPA unter www.epo.org/warning_de.html. Informationen zu angeblichen Rechnungen für PCT-Anmeldungen und entsprechende Beispiele finden Sie auf der Website der WIPO unter www.wipo.int/pct/de/warning/pct_ warning.html. Erst prüfen, dann zahlen! Da sich die rechtliche Verfolgung der Versender von irreführenden Zahlungsaufforderungen aufgrund ihrer teilweise kriminell organisierten Struktur als schwer erweist, steht die Prävention an erster Stelle. Hierzu ein paar Tipps. - Falls Sie einen Vertreter für Ihre Schutzrechte bestellt haben, ist eine Korrespondenz zwischen Ihnen und den Ämtern grundsätzlich selten. - Noch seltener ist eine Korrespondenz des Amtes, in der von Ihnen eine Zahlung gefordert wird. Daher sollten Sie solch ein Schreiben besonders sorgfältig prüfen. - Es gibt keine offiziellen Patentregister, die eine amtliche Extragebühr für die Veröffentlichung Ihrer Anmeldung verlangen. Alle entsprechenden Gebühren werden vorab bei der Anmeldung entrichtet. - Besonders effektiv ist es, den Zahlungszweck und die Kontonummer auf der „Rechnung“ zu prüfen. Eine Liste der Bankkonten der jeweiligen Ämter finden Sie auf deren Homepages. Wenn sich die angegebene Kontonummer dort nicht findet, zahlen Sie nicht! Falls Sie weitere Fragen haben, stehen wir Ihnen natürlich zur Verfügung (+49 89 559680 oder [email protected]). Auch die Patent- und Markenämter können entsprechend kontaktiert werden, so das DPMA (+49 89 2195-0 oder [email protected]) oder EPA in München (+49 89 2399-5116 oder [email protected]) oder die WIPO in Genf (+41 22 338 83 38 oder [email protected]). Dr. Jan Krauß, Patentanwalt, Partner Büro München E-Mail: [email protected] Redaktion: Dr. Björn Bahlmann Rechtsanwalt [email protected] Dr. Julian Waiblinger Rechtsanwalt [email protected] Dr. Dennis Kretschmann Patentanwalt [email protected] Dr. Eckhard Ratjen Rechtsanwalt [email protected] Dr. Michael Rüberg Rechtsanwalt [email protected] Dr. Martin Erbacher Patentanwalt [email protected] MÜNCHEN BREMEN BERLIN DÜSSELDORF FRANKFURT BIELEFELD POTSDAM KIEL Dr. Björn Hülsen Patentanwalt [email protected] ALICANTE PARIS 7 SHANGHAI
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