Leseprobe Ora et labora - Die großen Orden Das Bilderlexikon 120 Seiten, 20 x 22,5 cm, gebunden, durchgehend farbig gestaltet, mit zahlreichen Farbfotos ISBN 9783746243573 Mehr Informationen finden Sie unter st-benno.de Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © St. Benno Verlag GmbH, Leipzig 2015 ORA ET Labora Die großen Orden Sven Schlebes Wo Ordensleute sind, da ist Freude. Wir sind gerufen, zu erfahren und zu zeigen, dass Gott fähig ist, unser Herz zu erfüllen und uns glücklich zu machen. Papst Franziskus 6 Inhalt Inhalt Inhalt Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs 8 Karmeliten und Karmelitinnen Der Orden der Liebenden Augustiner-Chorherren und Augustiner-Chorfrauen 15 Kartäuser und Kartäuserinnen Der Orden der Kleriker Der Orden der großen Stille Benediktiner und Benediktinerinnen 19 Der älteste christliche Orden Dominikaner und Dominikanerinnen 28 36 44 Der Orden der großen Einfachheit 83 Ursulinen 92 Vinzentiner und Lazaristen 98 Die Kongregation der Mission 52 Die mobile Einsatztruppe des Papstes Kapuziner und Kapuzinerinnen Communauté de Taizé Der erste Schulorden Die Gemeinschaft der Kontemplation inmitten der Welt Jesuiten 76 Der Orden der Ökumene und der Versöhnung Der charismatische Bettelorden Geistliche Familie Charles de Foucauld Salesianer und Salesianerinnen 70 Der Pionierorden der pädagogischen Jugendarbeit Der Predigerorden Franziskaner und Franziskanerinnen 63 Zisterzienser und Zisterzienserinnen 102 Der Reformorden aus der Tradition der Benediktiner 59 Orden selbst kennenlernen 110 7 Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs 8 Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. 1. Kor 3,11 Die Nachfolger Jesu Herzlich willkommen in der Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz. Es gab immer Menschen, die ganz und gar in der Nachfolge Jesu leben wollten. Einsam oder in Gemeinschaft. Als Laie oder sogenannter Glaubensprofi im Ordensgewand. Oft waren es ganz normale Menschen, manchmal waren sie Fürstenkinder, Soldaten, Handwerker, Fischer. Es waren Frauen und Männer, manche begannen diesen Weg der Nachfolge sehr früh in ihrem Leben, manche erst später. Viele von ihnen würden die Einstellungstests großer Unternehmen nicht bestehen, Karriere-Coachs würden ihnen vielleicht mangelndes Durchsetzungsvermögen attestieren, und Psychologen hätten ihre wahre Freude am Auffinden zahlreicher Persönlichkeitsakzentuierungen. Doch des Menschen Nützlichkeitsdenken ist Gott egal. Er liebt bedingungs- und für unsere Menschenaugen oft grundlos. Wer sich Gott hingibt, gilt vielen als hoffnungs- und nutzlos, nicht selten als verrückt: „Wer macht schon sowas?“ Schritt. Doch in Wahrheit ist es der Beginn einer langen Reise. Hin zu seinem eigenen Ursprung und einer radikalen gemeinsamen Zukunft. Nachfolgen kann jeder. An jedem Ort. Zu jeder Zeit. Doch alleine ist das schwer. So haben sich seit dem dritten Jahrhundert nach Christus Menschen zu christlichen Gemeinschaften zusammengeschlossen, um in voller Konzentration auf Jesus Christus ihrem Ideal möglichst nahe zu kommen. Und selbst so zu leben, wie Jesus Christus es der Bibel nach getan hat: absolut. In Ehelosigkeit. In Armut. Und in Gehorsam seinem Vater gegenüber. Wie diese Liebes- und Lebensform dann konkret aussah, das haben die Nachfolger durch die Zeiten hindurch für sich selbst oft höchst unterschiedlich ausgelegt: von ewigem Schweigen über Selbstgeißelungen, den Vollzug einer inneren Verschmelzung mit dem Herrn bis hin zum Krankenpflegedienst in den Slums war alles dabei. Für den Weg Jesu Christi gibt es eben keine minutiöse Gebrauchsanweisung. Er entfaltet sich durch jeden Einzelnen im Hier und Jetzt. Das ist zwar einerseits eine große Bürde, andererseits aber auch eine große Freiheit. Vor allem für Frauen war es oft ein Weg der Freiheit fernab gesellschaftlicher Konventionen. So mancher unliebe Sohn wurde in Klöster und Orden untergebracht, damit er keinen großen Schaden in geschäftlichen und politischen Dingen anrichten konnte. Für einige war es der letzte Ausweg oder der Zugang zu großer Bildung. Für wenige mag es die große Liebe ihres Lebens gewesen sein. Immer aber sollte sich das Leben der Mönche und Nonnen genannten JesusNachfolger mit dem Eintritt in die Gemeinschaft grundsätzlich ändern und eine doppelte Aufgabe erfüllen: Jesus Christus möglichst nahezukommen und als Brückenbauer für andere zu wirken. Als Beispiele realer christlicher Liebe sind sie die Pioniere des Christentums. Ein Leben in zartbitter Jesus Christus nachzufolgen heißt zuallererst, sein Liebesgebot anzunehmen und zum Grund seines erneuerten Lebens zu machen. Viele betrachten es als einen radikalen Vom wüsten Leben zum gesellschaftlichen Kultivierer Die ersten Mönche, die Vorbild für die spätere Entwicklung des westeuropäischen Mönchtums werden sollten, waren Eremiten und lebten in der Wüste Zwei Ordensschwestern im Gespräch. 9 10 Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs Zurück zum Ursprung, Teil I Mitten im Leben. Ägyptens und des Nahen Ostens. Nichts sollte sie von ihrem Weg zu Gott ablenken. Ein gewisser Pachomius (ca. 287–346) gründete eine erste klosterähnliche Lebensgemeinschaft für sich und seine Eremitenkollegen auf einer Nilinsel. Es waren keine urchristlichen Gemeinschaften, sondern gleichgeschlechtliche Bet- und Arbeitsgemeinschaften und die eigentlichen Vorbilder für das spätere Mönchtum, das sich mit Benedikt von Nursia (ca. 480–555), dem „Vater des abendländischen Mönchtums“, entscheidend weiterentwickelte. Seine Ordensregel „Ora et labora“ („Bete und arbeite“) wurde zur Grundlage für zahlreiche weitere Klöster- und Ordensgründungen sowohl von Frauen- als auch Männergemeinschaften. Rasch breiteten sich Klöster und Ordensgemeinschaften im beginnenden Mittelalter in ganz Europa aus. Sie wurden zu Kristallisationspunkten für das gesellschaftliche, wissenschaftliche, wirtschaftliche, spirituelle und kulturelle Leben. Sie verkündeten nicht nur die Botschaft Jesu Christi, sondern spielten bei der sogenannten abendländischen Kultivierung eine entscheidende Rolle als Pioniere, gesellschaftliche Modernisierer, aber auch als geistige Bastionen für Glaubensverirrungen wie Ketzer- und Hexenverfolgungen, Kreuzzüge und Legitimierung und Stabilisierung von politisch-gesellschaftlicher Herrschaft und ihren Strukturen in ihren jeweiligen zeitlichen und kulturellen Bezügen. Die Orden, Klöster und die in ihnen lebenden Menschen wirkten: im negativen wie im positiven Sinne. Schon Johannes wusste: „Gott ist größer als unser Herz“ (1 Joh 3,20). Und manchmal überholt das Leben eben auch die Pioniere. Vor allem dann, wenn man den ursächlichen Grund aus den Augen verloren hat und zu dem geworden ist, was man eigentlich überwinden wollte. Zu viele Klöster und Ordensgemeinschaften hatten sich im Hochmittelalter vom ursprünglichen Anspruch der radikalen Nachfolge Jesu Christi entfernt und waren durch ihre enorme gesellschaftliche Wichtigkeit vermehrt mit weltlichen und vor allem wirtschaftlichen Aufgaben betraut. Das Kloster Cluny in Burgund legte als erstes den Grundstein für eine geistige Erneuerung der bestehenden Klöster und Gemeinschaften. Doch der aufkommenden Armutsbewegung ging diese Erneuerung nicht weit genug. Es gründeten sich neue Bettelorden, die die kirchliche Antwort auf den gesellschaftlichen und spirituellen Hunger nach mehr Authentizität im Leben auf der Basis des Evangeliums geben wollten. Das ausgehende Spätmittelalter brachte das Ordens- und Klosterleben mit zahlreichen Neugründungen noch einmal richtig zur Blüte, bis dann mit der Reformation im 16. Jahrhundert und den darauffolgenden Glaubenskämpfen viele Klöster geschlossen wurden und Ordensgemeinschaften in der anbrechenden Moderne zunehmend an gesellschaftlicher Relevanz verloren. Radikale Schwächung Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 verfügten viele Fürsten die Säkularisierung der meisten katholischen Besitzungen in Deutschland. Ein Ver- Unterwegs zu Gott und den Menschen. Ein wichtige Aufgabe vieler Ordensleute: Ansprechpartner sein. 11 12 Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs In vielen Klöstern wird traditionell Wein angebaut. Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs lust, der die materielle und politische Basis grundsätzlich angriff und von dem sich das einst so vielfältige Ordensleben nicht mehr so richtig erholen konnte. Hinzu kamen die sich überschlagenden gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse, die die Bedeutung der christlichen Religion für ein modernes Leben vollkommen in Frage stellten. Fast alle Orden haben Fälle von Missbrauch zu beklagen. Vor allem diejenigen, die mit Jugendlichen und Kindern zu tun haben. Sie haben Missbrauchsstellen eingerichtet, an die man sich wenden kann. Doch die eigentliche Hauptaufgabe scheint noch bevorzustehen. Für die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu Christi wird es dabei um eine entscheidende Frage gehen: Lebst du Liebe? Sie stehen stellvertretend für uns alle vor dieser großen Frage und sind damit wieder einmal Pioniere. Auch wenn sie es vielleicht noch nicht wahrgenommen haben. Es ist die entscheidende Frage des Christentums. Aus den zwischenzeitlich gesamtgesellschaftlichen Pionieren wurden wieder reine Glaubens pioniere. Eine als Krise empfundene Entwicklung, die strukturell, emotional, intellektuell und spirituell bis heute anhält. Besitzen die Nachfolger Jesu Christi eine spirituelle und gesellschaftliche Relevanz? Sind sie stark oder drohen sie mit der Wirksamkeitsfrage des Christentums generell an Bedeutung zu verlieren? Dieses Buch sucht nach den Grundlagen der großen christlichen Orden des Abendlandes und trifft dabei vor allem auf Männer und Frauen, die sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder dem Wagnis „Jesus Christus“ hingaben. Sie machen sich auf ihren ganz eigenen Weg an die Quelle und Wurzel unseres Lebens und können im besten Wortsinne als „Radikale“ (lat. radix, die Wurzel) bezeichnet werden. Eine Begegnung mit ihnen bleibt nicht folgenlos. Dieses Buch versteht sich nicht als lexikalisches Werk, das jedem Orden in seiner Größe und Einzigartigkeit gerecht wird. Es versucht Brücken zu bauen, Türen zu öffnen und die größten Orden möglichst anschaulich vorzustellen. Zu vielen Menschen erscheint das Lebensmodell der Nachfolge Jesu Christi geradezu als Antibild eines selbstbestimmten, modernen und aufgeklärten Lebens im 21. Jahrhundert. Klöster werden geschlossen, Ordensgemeinschaften schließen ihre Konvente mangels Nachfolger. Und das alles ohne großen Aufschrei, Demonstrationen oder medienwirksamer Empörungswellen. Die letzten der Jesus-Christus-Nachfolger im Ordensgewand gehen einfach und machen das Licht aus. Christliche Orden und Klöster waren einmal eine Grundfeste der abendländischen Kultur. Sind sie ein Fall für das Museum und den Geschichtsunterricht? Zurück zum Ursprung, Teil II Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unterstrich die Katholische Kirche noch einmal die Bedeutung klösterlichen Lebens in Ordensgemeinschaften und rief ca. 25.000 Ordensschwestern und -brüder in über 400 verschiedenen Generalaten, Provinzialaten, Abteien, selbstständigen Einzelklöstern und Ordensgemeinschaften dazu auf, sich an ihre Funktion als Speerspitze der spirituellen Erneuerungsbewegung zu erinnern. Viele Reformbemühungen vor allem medialer Art sind seitdem unternommen worden. Während einer Wallfahrt. 13 15 Augustiner-Chorherren und Augustiner-Chorfrauen Der Orden der Kleriker Gemeinschaften brauchen nicht immer das Charisma eines Gründers, um zu funktionieren. Augustiner-Chorherrn und -Chorfrauen legen ein Gelübde auf ihr Stift ab und gehen als Regularkanoniker ihren Diensten innerhalb der Kirche nach. Ihrem Selbstverständnis nach bilden sie eine Dienstgemeinschaft für das Volk Gottes. Die Institution ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen, kirchengeschichtlichen Entwicklung. Ihre Grundidee ist die Verbindung eines apostolischen Dienstamtes mit den Idealen eines klösterlichen Gemeinschaftslebens. Wer über den Vater des abendländischen Mönchstums spricht, meint in der Regel Benedikt von Nursia, der mit seiner Regula Benedicti die Grundlagen für das Zusammenleben vor allem der Benediktinerorden und der aus ihnen hervorgegangenen Reformgemeinschaften der Zisterzienser und Trappisten legte. Doch auch Benedikt hatte Vorbilder. Neben der anonym im 6. Jahrhundert verfassten Magisterregel (Regula Magistri) ließ sich Benedikt vor allem vom Regelwerk des Augustinus von Hippo inspirieren, der im 4. Jahrhundert in Algerien lebte und als einer der vier lateinischen Kirchenlehrer der Spätan- lat. Ordo Canonicorum Regularium Sancti Augustini Ordenskürzel: CRSA / CanReg Die Augustiner-Chorherren von Klosterneuburg bei Wien führen bei einer „Sakralen Tour“ Gäste durch ihr Stift. 16 Augustiner-Chorherren und Augustiner-Chorfrauen Die Augustiner-Chorherren beim Chorgebet. tike die Entwicklung des Christentums theologisch und strukturell maßgeblich mitbeeinflusste. Als Bischof war er selbst nicht Ordensgründer im klassischen Sinne, sondern vielmehr Reorganisator der Kirche. Für seine um ihn herum versammelte Gruppe von Klerikern entwickelte er ein Regularium, das apostolisch tätigen Priestern ein Leben in klösterlicher Gemeinschaft mit einer ausgedehnten spirituellen Arbeit ermöglichte. Ein Gedanke, der 600 Jahre später im Hochmittelalter zur Gründung der Augustiner-Chorherren und -Chorfrauen führen sollte. Wer im Hochmittelalter in Diensten der Kirche stand, wählte nicht selten das Lebensmodell eines Klerikers, der als Mitglied eines Domkapitels oder eines Stiftskapitels an einer Kathedrale, Basilika oder Ordenskirche an der gemeinsamen Liturgie mitwirkte. Ähnlich den Ordensgemeinschaften lebten diese als Chorherren (Chorfrauen), Kanoniker oder Stiftsherren (Stiftsfrauen) bezeichneten Kleriker aller Weihestufen ebenfalls in Gemeinschaften unter der Leitung eines Propstes oder Abtes. Im Gegensatz zu den Ordensgemeinschaften folgten sie jedoch lange Zeit keiner klaren Gemeinschaftsregel, was zu Unmut auf päpstlicher Seite führte. Auf den 1059 und 1063 in Rom stattfindenden Synoden wurden sie mit Nachdruck aufgefordert, sich auf einheitliche Regeln zu einigen. Mit Erfolg. Bis Mitte des 12. Jahrhunderts wandelten sich fast alle Gemeinschaften zu sogenannten regulierten Chorherren- bzw. Chorfrauenstiften, die sich die Regel des heiligen Augustinus von Hippo gaben. Das Laterankonzil von 1215 bestätigte das Regelwerk, das auf ein von Liebe und Eintracht geprägtes Leben in der Ordensgemeinschaft zielt, das gegenseitige Ermahnen und Kontrollieren der Brüder und Schwestern einfordert, den Verzicht auf persönlichen Besitz, Enthaltsamkeit, Unterordnung unter die Gemeinschaft, Gehorsamkeit gegenüber der Autorität des Oberen sowie regelmäßiges Beten vorsieht. Seitdem werden als Augustiner-Chorherren und -Chorfrauen ein Zusammenschluss mehrerer katholischer Orden bezeichnet, die ein Gelübde auf ihr Stift Der Orden der Kleriker (Kloster) ablegen, nach der Regel des heiligen Augustinus leben, das feierliche Stundengebet pflegen und zugleich in der Seelsorge tätig sind. Bei den Augustiner-Chorherren handelt es sich zumeist um Priestergemeinschaften. Augustiner-Chorfrauen sind wesentlich seltener. Der bekannteste Orden, die Augustiner-Chorfrauen der Congregatio Beatae Mariae Virginis, wurde 1597 vom hl. Pierre Fourier, Augustiner-Chorherr, und der sel. Alix Le Clerc in Lothringen gegründet. Die apostolische Aufgabe des Ordens ist die Erziehung. In Deutschland ist der Orden seit 1640 tätig. Es bestehen heute drei autonome Klöster in Essen, Offenburg und Paderborn, die in einer Föderation zusammengeschlossen sind, der auch ein Kloster in Bratislava (Slowakei) angehört. Jedes Kloster (Stift) bildet eine Lebensgemeinschaft, besitzt eine Rechtspersönlichkeit und damit grundsätzliche Eigenständigkeit. Die Klöster mit einem verantwortlichen Propst an der Spitze sind zusammengeschlossen in einer „Kongregation“. Oberstes Organ ist das „Generalkapitel“ (Obere und Vertreter der Stifte), welches den Generalabt wählt. Papst Johannes XXIII. gründete 1959 die Konföderation der Augustiner-Chorherren, in der alle Kongregationen zusammengefasst sind. An ihrer Spitze steht ein Abtprimas als höchster Repräsentant des Ordens. Während der Reformation im 16. Jahrhundert und der Säkularisation zu Beginn der Neuzeit wurden im deutschsprachigen Raum die Augustiner-Chorherrenstifte überwiegend aufgelöst. 17 Die umfangreiche Stiftsbibliothek des Augustiner-Chorherrenstifts Neustift in Südtirol zeugt von der kulturellen Bedeutung des Stifts. Abt beim Rundgang im Stiftsgarten. 18 Augustiner-Chorherren und Augustiner-Chorfrauen In Deutschland gibt es erst seit 1973 wieder Chorherren, in Österreich hielten sich einige Stifte durchgehend. Der Konföderation der AugustinerChorherren gehören neun Kongregationen mit ca. 850 Mitgliedern in 100 Niederlassungen an. Spiritualität Im österreichischen AugustinerChorherrenstift Reichersberg verkostet ein Mönch den Chorherrenkäse. Habit Augustiner-Chorherren tragen einen Gürtel und eine Mozetta (ein bis zu den Ellenbogen reichender und vorn geknöpfter Umhang). Bekannte Stifte Stift Klosterneuburg Stift Herzogenburg Rechts: Bei der Feuerweihe in der Osternacht werden im Kreuzgang heilige Öle verbrannt. Die Spiritualität der Augustiner-Chorherren und -Chorfrauen beruht auf dem Glaubensverständnis des heiligen Augustinus. Die Einwohnung Gottes bedeutet: „Gott ist uns näher, als wir uns selbst nahe sind.“ Der heilige Augustinus betont daher, dass im Sinne eines urkirchlichen Verständnisses die Gemeinschaft der Gläubigen ein Herz und eine Seele auf Gott hin werden soll. Diese doppelte Gemeinschaft bildet den sogenannten Tempel Gottes und damit den Mittelpunkt des spirituellen Lebens. Laiengemeinschaft Die Augustiner-Chorherren kennen keine klassische, organisierte Laienarbeit. Einzelne Gemeinschaften bieten jedoch Interessierten einen intensiveren Kontakt zum jeweiligen Stift bzw. zur jeweiligen Gemeinschaft an. Weitere Informationen Augustiner-Chorherrenstift Neustift Stiftsstraße 1 39040 Vahrn Südtirol / Italien Tel.: +39 (0)472 / 836 189 E-Mail: [email protected] www.kloster-neustift.it 19 Benediktiner und Benediktinerinnen Der älteste christliche Orden Der Name ist Programm: Benedikt – der Gesegnete. Nicht ohne Grund nahm Kardinal Ratzinger nach seiner Papstwahl den Namen des Patrons Europas und Erfinders des abendländischen Mönchtums Benedikt von Nursia an. Zahlreiche Legenden ranken sich um den Urvater aller christlichen Ordensgemeinschaften und Klöster, der mit der Einführung des strukturierten Ordenslebens für eine geistig-kulturelle Transformation der christlichen Lebenswelt sorgte. Benedikt, der Fels, auf dem das christliche Europa aufgebaut war, und dann noch ein Benedikt als Papst und Nachfolger Petri – der Fels der Katholischen Kirche: Mehr Basisarbeit war kaum möglich. Es war ebenfalls ein Papst, der früh die Größe des Wirkens von Benedikt erkannte und in der einzigen, aktuell vorliegenden Quelle elegisch ausbreitete: Gregor der Große, Autor der Dialogi und Fürsprecher des heiligen Benedikt. Auch wenn aus Forschungssicht die Darstellungen Gregors umstritten sind, ist das Wirken der Person Benedikts unbestritten: Fasziniert vom Leben urchristlicher Gemeinschaften im Mittelmeerraum ging der Sohn eines reichen Landbesitzers im 5. Jahrhundert nach Rom zum Studium. Angeblich enttäuscht vom der Sittenlosigkeit seiner Mitstudenten verließ er wie 1.000 Jahre später der Augustinereremit Martin Luther wütend die Stadt und zog sich in eine Berghöhle bei Subiaco östlich von Rom zurück. Hier, in der Einsamkeit soll es geschehen sein, hier soll er zu einer tiefen Christusbeziehung gelangt sein und getreu der Versprechungen aus dem Neuen Testament in Jesu Nachfolge Wunder gewirkt haben. Selbst die Erweckung von Toten wird ihm zugeschrieben. All dies sprach sich rasch herum, und so wurde aus seiner Gottesbegegnung ein neuer Weg, den Johannes der Täufer so vorweggenommen hat: „Mitten unter euch stehet einer, lat. Ordo Sancti Benedicti Ordenskürzel: OSB Der Ordensgründer: Benedikt von Nursia 20 Benediktiner und Benediktinerinnen Der älteste christliche Orden 21 den ihr nicht kennt“ (Joh 1,26). Benedikt stellte straffe Regeln auf für das Miteinander in einer geistlichen Gemeinschaft, vollendet später im Kloster Monte Cassino als Regula Benedicti. Heutige Manager würden seinen Ansatz als minimal-invasiven Führungsstil verstehen. Wenige Regeln, die unbedingt einzuhalten sind, um im täglichen Leben das Funktionieren der Gemeinschaft und die Qualität der geistlichen Arbeit zu sichern. Äbtissin Clementia Killewald bei der Weinlese im Klosterweingut der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Eibingen bei Rüdesheim. Voraussetzung ist die totale Hingabe an die Mitmenschen und an Gott. Und es bedeutet die Überwindung des Ego, das dem dienenden Wir im Weg steht. In seiner Einfachheit war dies eine offene Kampfansage an die Selbstgewissheit seiner Mitbrüder im Kloster Vicovaro, dem Benedikt zunächst als Abt vorstand. Denn als Zöglinge reicher Eltern und Adeliger konnten sie die Nivellierung im Namen des Herrn und des gemeinschaftlichen Weges nur schwer ertragen. Zwei Mal versuchten sie gar, Benedikt zu töten. Beide Versuche scheiterten. Beim ersten Giftanschlag soll Benedikts Weinbecher zersprungen sein, beim zweiten rettet ein Rabe, der ihm das Brot aus der Hand entwendete, das Leben des genialen Denkers. Damit waren alle Zweifel an der besonderen Mission Benedikts ausgeräumt und die Grundlage für sein breitenwirksames Handeln gelegt. Als eigentlicher Ursprungsort der benediktinischen Gemeinschaft gilt jedoch das von Benedikt im Jahr 529 gegründete Kloster Monte Cassino. Hier führte er die Urgemeinschaft seiner Mitbrüder auf der Grundlage seiner praktischen Ordensregeln für das Tagwerk und den spirituellen Weg bis zu seinem Tod am Gründonnerstag des Jahres 547. Seinen Mitbrüdern mag der Klosterweg sehr hart vorgekommen sein, doch der letzte Gang Benedikts ins Himmelreich soll auf lichterfüllter Straße von Engeln begleitet worden sein. Vielleicht ist diese Darstellung nur eine Legende. Wahrlich legendär dagegen bleibt das spirituelle Erbe Benedikts und seiner Zwillingsschwester Scholastika, die der Legende nach das Gemein- Gründung 529 durch die Klostergründung bei Monte Cassino Motto Ut in omnibus glorificetur Deus. Auf dass Gott in allem verherrlicht werde. Oben: Das Wappen der Benediktiner; links: Notker Wolf, seit 2000 Abtprimas und damit oberster Repräsentant der Benediktiner, greift gelegentlich auch zur E-Gitarre. 22 Benediktiner und Benediktinerinnen schaftsprinzip auch für Frauen möglich gemacht hat – ein einfacher Wegweiser für christliche Suchende im Ordensgewand durch die Jahrhunderte hinweg. Und aller Postmoderne zum Trotz brandaktuell. Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: allein sein Das Wort „Mönch“ leitet sich ab vom griechischen „monos“ und meint allein lebend. Die „Nonne“ ist lateinischen Ursprungs (nonnus) und heißt Mönch, nonna ist die weibliche Form davon. Es ist eine religiöse Urerfahrung, dass zum Gottsuchen das Alleinsein gehört. Im Gebet, in der Beschäftigung mit der Offenbarung durch Lesung und Meditation, im Durchdenken des höchstpersönlichen Lebenssinnes braucht der Mensch das Alleinsein. Nur wer ganz „bei sich“ ist, kann auch bei Gott sein. So ist GOTT SUCHEN die erste Forderung, die der Mönchsvater Benedikt an seine Schüler stellt. Das Kloster trägt dieser Forderung Rechnung, indem es seinen Mitgliedern ermöglicht, in der Stille der Zelle, der Klausur, der Kapelle Zeiten des Schweigens und der Sammlung einzulegen. So soll der gehetzte Mensch zur Ruhe kommen, seine Wesensbestimmung erkennen, die letztlich darin besteht, aus seiner Unruhe heraus und in Gott zur Ruhe zu kommen. Unten: Benediktiner beim Chorgebet; rechts: Hl. Hildegard von Bingen Der älteste christliche Orden viermal am Tag gemeinsam im Chorgebet den Gottesdienst, halten die Tischund Erholungszeiten und finden Gesprächspartner. Sie erfahren, dass sie in diesem Lebensrhythmus des Für-sich- und Miteinander-Seins nicht nur einem Wesensbedürfnis des Menschen entsprechen, sondern der Lebensweise ihres Lehrmeisters Jesus Christus, der sowohl das Leben in der Abgeschiedenheit kannte als auch die Gemeinsamkeit der Jüngerschaft. Bekannte Ordensmitglieder • Hl. Bonifiatius • Hl. Hildegard von Bingen • Anselm Grün • Notker Wolf Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: Beten und arbeiten Ora et labora, bete und arbeite ist das zeitlos gültige Motto des benediktinischen Lebens. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Und wie sieht die Arbeit aus? Sie ergibt sich aus dem Charakter des Mönchs und der Nonne, die Dienende sein sollen. Gott und den Menschen gegenüber. Im Gottesdienst bereiten sie vor, was sie im Dienst am Menschen ausführen: ihnen durch ihre Arbeit zu helfen und so ihre Liebe zu zeigen. Benediktiner sehen ihre Aufgabe zumeist im sozialen Sektor: Sie können Seelsorger, Erzieher, Lehrer sein; aber auch in Wissenschaft und Handwerk Aufgaben übernehmen. Das Kloster ermöglicht alles Nötige. Eine gründliche Fachausbildung, einen befriedigenden Tätigkeitsbereich, einen überschaubaren Wirkungskreis, in dem der Einzelne nicht nur Rädchen und Funktion ist, sondern Person bleiben kann. Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: in der Gemeinschaft sein Benediktiner sind keine Einsiedler. Immer wieder treten sie aus der Einsamkeit heraus in die brüderliche und schwesterliche Gemeinschaft. So feiern sie 23 Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: Zeichen setzen Der klösterliche Mensch strebt kein weltfernes Dahinphilosophieren an, er will Tag für Tag sichtbar machen, was Christus ihm bedeutet. Darum sieht er in seinem Abt den Stellvertreter Christi für die eigene Gemeinschaft. Die Gelübde (Gehorsam, Zugehörigkeit zur Abtei, Bekehrung des Eigenlebens) sollen ihm in persönlicher Bedürfnislosigkeit und in aller Freiheit von individuellen Bindungen ein Leben in der Christusnachfolge und Gottesbegegnung erlauben. Alle Brüder und Schwestern sind in der Gemeinschaft gleichberechtigt und wollen im Kleinen – aber doch sichtbar – darstellen, was die Kirche im Großen anstrebt: ganz für Christus da zu sein und dadurch das ersehnte Ziel der Gottesnähe zu erhalten. So wird ihr Leben und Arbeiten, ihr Gottesdienst und ihr Auftreten zu einem öffentlichen Zeugnis für Christus. Bekannte Klöster und Kongregationen • Monte Cassino • Subiaco • Solesmes an der Sarthe Ordenspatron St. Benedikt (mit Stab und Giftbecher) 24 Benediktiner und Benediktinerinnen Der älteste christliche Orden che Leben in der Gemeinschaft auf den eigentlichen Mittelpunkt, Jesus Christus, hin aus, um in seiner Gegenwart zu leben. Die erste Gebetszeit findet in den frühen Morgenstunden statt (zwischen 4 Uhr und 6 Uhr), die letzte nach Sonnenuntergang. Höhepunkt ist die tägliche heilige Messe. Der Gottesdienst gliedert den Tag in Lesung und Arbeit. Nach der letzten Gebetszeit beginnt die Nachtruhe. Aber auch das persönliche Gebet und das Meditieren der Heiligen Schrift, die so genannten lectio divina, verbindet den Mönch und die Nonne mit Gott. Zu meist biblischen Themen gestaltet Sr. Christophora Janssen in der Abtei St. Hildegard Bildsäulen aus Ton. Laiengemeinschaft Benediktiner Oblaten (oblatus = der Hingegebene, Aufgeopferte, Dargebrachte) Mutter Nikola, die Leiterin des Benediktinerinnen-Klosters in Minster Abbey in Südengland, pflegt die Blumen im Klostergarten. 25 Benediktiner / Benediktinerin sein heute: Die meisten Benediktinerinnen und Benediktiner innerhalb der katholischen Kirche leben in Klausur. Es gibt jedoch auch nichtklausurierte Gemeinschaften, die vor allem Aufgaben außerhalb des Klosters übernehmen. Auch im Anglikanismus und vereinzelt im Luthertum sind benediktinische Klöster erhalten geblieben. Häufig gehören die Klöster heute sogenannten „Kongregationen“ an: selbständige Zusammenschlüsse mehrerer Klostergemeinschaften. Arbeitsgemeinschaft Benediktineroblaten im deutschsprachigen Raum Sitz: Erzabtei St. Martin Abteistr. 2 88605 Beuron Ordenstracht Weitere Informationen Die Ordenskleidung der Benediktiner und Benediktinerinnen, der „Habit“, ist ein schwarzes Kleid mit weißem Kragen. Es symbolisiert die Hingabe des ganzen Menschen an Gott. Der äußere Habitus soll dabei die innere Haltung zum Ausdruck bringen und auch fördern. Benediktinerabtei Ettal Kaiser-Ludwig-Platz 1 82488 Ettal Deutschland Spirituelle Besonderheit Das Herz benediktinischer Spiritualität ist die Regula Benedicti, die Benediktregel. Sie soll das Leben in der Nachfolge und nach dem Beispiel Jesus Christus ermöglichen. Die Benediktregel soll im Menschen ein organisch geistliches Wachstum anregen. Die Basis der konkreten benediktinischen Spiritualität bildet das mehrmals am Tag stattfindende Stundengebet in der Gemeinschaft: Vigil, Laudes, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet (Regula Benedicti, 16). Es richtet das persönli- http://benediktineroblaten.de Tel: 08822 74-0 E-Mail: [email protected] http://abtei.kloster-ettal.de Vereinigung Benediktinischer Frauenklöster im Deutschen Sprachgebiet Schwester Placida Bielefeld OSB [email protected] Tel: 02152/9154614 http://www.benediktinerinnen.de/ Sr. Dorothea ist Expertin für die Erhaltung und Restaurierung von alten Büchern. Pater Willibrod, Kantor der Benediktiner-Abtei Maria Laach, begleitet die Gebete der Mönche. 26 Benediktiner und Benediktinerinnen Rechts: Alt und Jung nebeneinander: Sr. Michaela und Sr. Paschalis aus der Benediktinerinnenabtei zur Heiligen Maria in Fulda; unten: die Benediktiner von Kloster Ettal. Rechts: Die Mönche der Abtei Ettal beim Gottesdienst. Der älteste christliche Orden Links: Vielen Menschen ist er als Autor bekannt: Pater Anselm Grün war bis 2013 Cellerar der Abtei Münsterschwarzach; unten: Sr. Agatha bei der Gartenarbeit. 27 Der Predigerorden 28 Dominikaner und Dominikanerinnen Der Predigerorden lat. Ordo fratrum Praedicatorum Ordenskürzel: OP Gründung 1218 Dominikaner und Dominikanerinnen im Gespräch. Der Glaube ist nichts für Unentschiedene. Denn wer die Verbindung zu Gott will, ist als Mensch in seiner Ganzheit gefordert. Damit trennt der Glaube und macht gleichzeitig einen Unterschied: zwischen einem Menschenleben mit und ohne Gott. Das klingt nach einem Weg in Schwarz-Weiß, ist aber eine Voraussetzung für Erneuerung: Seit jeher ist dies der Weg der Dominikaner. Gesellschaftlich nicht unumstritten, aber immer streitbar für die Sache des Herrn. Der Ruf nach einer Erneuerung der Kirche ist so alt wie das Christentum selbst. Wer weiß das besser als die Angehörigen sogenannter Reformorden wie dem Dominikanerorden, die in den dunklen Zeiten der Kirche das Licht der irdischen Welt erblickten? Und immer sind es ähnliche Zeitzeichen, die auf eine nötige Erneuerung der Botschaft, des Glaubens und der Institution Kirche verweisen: eine wahrgenommene Entfremdung von Kirchenoffiziellen und Gläubigen, mangelndes lebendiges Zeugnis Christi durch irdisch verstricktes Leben und das Aufkommen neuer Spiritualitätsformen und Glaubensgemeinschaften. Im 12. Jahrhundert waren es die Katharer (auch: Albigenser), die in einer Zeit der Wirren und Not vor allem bei den Bauern, Handwerkern und einfachen Stadtbürgern in Frankreich und Spanien erfolgreich wirken konnten. Sie holten, wie wir es heute ausdrücken würden, die Suchenden auf Augenhöhe in ihrer Lebenswirklichkeit ab: Als bettelnde Männer und Frauen wanderten sie 29 zu Fuß und in kleinen Gruppen von Ort zu Ort. Armut, Bescheidenheit und Enthaltsamkeit waren ihre Begleiter auf dem Weg zum Guten. Damit bildeten sie in der Welt des Hochmittelalters einen krassen Widerspruch zum Lebensmodell vieler Kirchenmänner und wirkten als Botschafter Christi glaubwürdiger als die vielfach ungebildete und auf Kirchenpfründe bedachte Geistlichkeit. Ein Leben auf Augenhöhe mit den Gläubigen Als Dominikus, der Gründungsvater des späteren Ordens, 1170 in Kastilien geboren wurde, waren die Katharer mit ihrer Arbeit bereits so erfolgreich, dass Rom ernsthaft um seine Glaubensvorherrschaft in Spanien und Frankreich fürchten musste. Papst Innozenz III. beauftragte den Zisterzienserorden mit der Reevangelisierung – ohne nennenswerten Erfolg. Bis der bereits erwachsene und ordinierte Dominikus zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf einer seiner Reisen durch Südfrankreich visionsartig verstand, warum die Kirche keinen Weg mehr zu den Herzen der Menschen fand: Er sah die Zisterzienserlegaten hoch zu Ross in kostbare Gewänder gehüllt und die Katharer in Armut umherwandern. Heute hieße das Urteil: Die katholische Kirche litt allem Anschein nach an einem sichtbaren Authentizitätsdefizit. Das Leben Christi und das Leben der Kirche standen sich gegenüber wie die Farben Schwarz und Weiß. Der Überlieferung nach sah die Mutter von Dominikus vor seiner Geburt im Traum einen schwarz-weißen Hund, der mit einer brennenden Fackel um die Welt lief; dies wurde als Hinweis auf die göttliche Redekunst des Knaben gedeutet, die einst die ganze Welt erleuchten sollte. Und tatsächlich fand Dominikus nach seiner Vision seine innere Berufung: Als Bettelmönch in täglicher Kontemplation dem Herrn in der Anschauung direkt zu begegnen und so beseelt die Menschen wieder für die wahre Botschaft Christi zu gewinnen. Denn nur wer im direkten Kontakt mit Jesus Christus stünde, könne ein lebendiges Beispiel für die frohe Botschaft sein, war seine Überzeugung. Damit setzte Dominikus bewusst die innere Arbeit vor die in den kommenden Jahren für den Dominikanerorden immer wichtiger werdende akademische Schriftarbeit und ermahnte die kleine Schar seiner Mitbrüder, täglich „mit Gott und von Gott zu sprechen“ und das Evangelium Das Mantelwappen der Dominikaner ist seit dem späten Mittelalter bekannt; das Lilienkreuzwappen wird seit Ende des 19. Jahrhunderts verwendet. Der Ordensgründer, der hl. Dominikus. 30 Dominikaner und Dominikanerinnen Eine Dominikanerin erntet Blüten im Garten des Klosters Arenberg. Schwester Jordana Schmidt OP lebt als Kinderdorfmutter im Bethanien-Kinderdorf in Schwalmtal mit fünf Kindern zusammen. in der Verkündigung, dem Gebet, der Eucharistiefeier und der Meditation zu suchen und zu verwirklichen. 1207/1208 gründete er in Prouille ein Kloster für bekehrte Katharerinnen und begann parallel zum bereits laufenden Katharerfeldzug des Papstes, allein durch sein tägliches Lebensbeispiel Menschen für die Kirche zurückzugewinnen. Ein schwieriges Unterfangen, standen doch die weltpolitischen Zeichen auf Sturm: Entschlossen befreite der päpstliche Heerzug unter Simon IV. de Montfort Stadt um Stadt von den Katharern und verteilte die politische Macht neu. Wo auch immer Dominikus hinkam: Er betrat Kriegsgebiet und fand körperlich erschöpfte Menschen vor. Um ihnen helfen zu können, erweiterte er seine Kontemplationsarbeit um Gesten und Körperhaltungen, die bis heute ein Beispiel leiblichen Betens in der christlichen Tradition darstellen. Für den Aufbau seiner eigenen Gemeinschaft übernahm er 1215 nach der offiziellen Anerkennung als Orden durch Bischof Fulko von Toulouse zusätzlich das feierliche Chorgebet, die Augustinerregel und gab seinen Brüdern die Weisung, sie sollten „als Männer des Evangeliums, die den Spuren ihres Erlösers folgen, mit Gott und von Gott sprechen, untereinander und mit den Nächsten“ (Satzungen von 1220). Schnell wurde Dominikus bei seinem „Kampf gegen die Häresie“ klar, dass die reine Kontemplation für die meisten seiner Brüder nicht ausreichte, um im täglichen Seelenwettstreit bestehen zu können. Essenziell wurde ein ergänzendes Schriftstudium, um den bibelerfahrenen Katharern begegnen und das Charisma des eigenen Ordens, die Predigt, entflammen zu können. Das sollte in den kommenden Jahrhunderten in ein generelles Studium der Welt einfließen und den Dominikanerorden als Gemeinschaft der Gelehrten in der katholischen Familie berühmt machen. Ein neuer Orden für die Bedürfnisse der Zeit Vor allem junge Männer aus den Städten fanden Gefallen an dieser revolutionären Mischung aus Kontemplation, Studium, Predigt, Leben in apostolischer Armut und demokra- Der Predigerorden tischer Verfassung der Ordensgemeinschaft (gemeinschaftliche Verantwortung aller Brüder für das Ordensleben), so dass Dominikus schon am Fest Mariä Himmelfahrt 1217 seine Brüder nach Paris und Spanien entsenden konnte, um neue Konvente zu gründen. Bereits 1220 zählte der Orden über 60 Niederlassungen in Europa und konnte seine erste Generalversammlung abhalten. Ein enormer Erfolg für eine so junge Bewegung, die allerdings ein Jahr später ihren Gründer im Alter von nur 51 Jahren verlor. Es war im Jahr 1244, als der Sohn eines italienischen Grafen gegen den Willen seiner Familie in den Orden eintrat: Thomas von Aquin sollte später die europäische Geistesgeschichte prägen wie kaum jemand sonst, die scholastische Theologie des späteren Kirchenlehrers in der gotischen Architektur seinen Ausdruck finden. 31 Bekannte Ordensmitglieder • • • • Meister Eckhart Thomas von Aquin Fra Angelico Christoph Kardinal Schönborn • Katharina von Siena Bekannte Klöster • K atharinenkloster Nürnberg Geliebt und gefürchtet: Die Hunde des Herrn (domini canes) Der Orden hatte sich gewandelt und stabilisiert. In Schwarz als Zeichen der Buße über der Freudenfarbe Weiß gekleidet, verkündeten die Brüder nun nicht mehr als Kanoniker-, sondern als Bettelorden sui generis mit Feuereifer das Wort des Herrn. Und das so sprichwörtlich, dass viele von ihnen für den Dienst in der Inquisition nutzbar gemacht wurden: Als Domini canes (Hunde des Herrn), wie sie im Volksmund genannt wurden, wirkten sie fast das gesamte Mittelalter hindurch sowohl als spirituelle Mystiker wie Meister Eckhart und Elsbeth von Oye, als Prediger und Inquisitoren im Kampf gegen die Katharer, die kircheninterne Häresiebewegung, als auch im Rahmen der später einsetzenden Hexenverfolgung. So führten vor allem bedeutende Dominikanerinquisitoren wie Bernard Gui († 1331), Walter Kerlinger († 1373), Tomás de Torquemada († 1498), der erste Generalinquisitor der Spanischen Inquisition, oder Heinrich Kramer, der Autor des Hexenhammers, die ursprünglich lichtvoll entsonnene Arbeit des Ordens zeitweise in die Dunkelheit: Ein Stigma, das den Orden trotz intensiver geschichtlicher Aufarbeitung bis heute verfolgt. Noch heute führt er u. a. das Lilienkreuz im Wappen, ein ursprünglich der Inquisition zugeordnetes Symbol auf schwarz-weißem Grund. Die über 6.000 ordinierten Dominikaner des ersten Ordens, die 30.000 Schwestern des zweiten kontemplativen Ordens sowie des karitativ, erzieherisch, pflegerisch oder missionarisch tätigen dritten Das stille Gebet vor dem Allerheiligsten ist für die Dominikanerinnen von Bethanien eine wichtige Kraftquelle. 32 Dominikaner und Dominikanerinnen Der Habit der Dominikaner: schwarz und weiß. Motto Veritas (Wahrheit) Die Predigt hat für Dominikaner einen so großen Stellenwert, dass der Orden auch als „Predigerorden“ bezeichnet wird. Hier predigt der Provinzial der Dominikanerprovinz Teutonia, Johannes Bunnenberg OP. Ordens und die Angehörigen des Laienordens sind sich all dessen bewusst. Doch aus den ehemaligen Hunden des Herrn sind mittlerweile starke Anwälte der Gerechtigkeit geworden, die weltweit für die Befreiung des Menschen aus seiner irdischen Unmündigkeit arbeiten und ihre enorme spirituelle und geistige Kraft aus der Katechese in nichtchristlichen Kulturen und einer tiefen Kontemplation beziehen. Ganz im Geiste des Dominikus wollen sie mit allen modernen Werkzeugen der Kommunikation Licht in die Dunkelheit bringen und die Herzen der Menschen für eine erneute Wiedereinkehr Jesu Christi öffnen. Eine Aufgabe, die nicht ohne Widerstand zu erfüllen ist. Aber die Begegnung der Gegensätze haben die Dominikaner schließlich noch nie gefürchtet. Der Predigerorden Laiengemeinschaft Dominikanische Laiengemeinschaft – Provinz Teutonia Talstr. 68 40217 Düsseldorf Provinzpräsidentin Christine Hartmann Tel: 02227 5112 E-Mail: [email protected] www.laiendominikaner.de Weitere Informationen Provinzialat der Provinz Teutonia Dominikanerprovinz Teutonia Lindenstraße 45 50674 Köln Tel: 0221 / 58 07 00-06 Fax: 0221 / 271 144 25 Habit Dominikaner tragen einen weißen Habit mit Gürtel, weißem Skapulier, weißer Kapuze, dazu einen schwarzen Radmantel und einen schwarzen Schleier. E-Mail: [email protected] www.dominikaner.de Spiritualität: Predigt und Kontemplation Arbeitsgemeinschaft der Dominikanerinnen in Deutschland, Österreich und Schweiz Sr. Sara Böhmer OP Tel.: 0031 475 569 333 E-Mail: [email protected] www.dominikanerinnen.net Die Spiritualität des Ordens orientiert sich an dem von Papst Honorius III. formulierten Ziel, „den Namen des Herrn Jesus Christus aller Welt zu verkündigen“. Grundlage der Verkündigung ist jedoch die innere Kontemplation: „contemplari et contemplata aliis tradere“ – „sich der Kontemplation widmen und die Frucht der Kontemplation weitergeben“ (Thomas von Aquin) sowie das ständige Studium der Wissenschaften. Die Feier der Eucharistie, das gemeinsame Stundengebet, die Schriftlesung, die Betrachtung und das persönliche Gebet gelten ferner als wesentliche Elemente der vita contemplativa. 33 Dominikanerinnen während eines Gottesdienstes. 34 Dominikaner und Dominikanerinnen Der Predigerorden Oben: Die Dominikaner verhalfen dem Rosenkranz zu seiner großen Verbreitung. Beim Eintritt in den Orden verpflichten sich Dominikaner und Dominikanerinnen, den Rosenkranz täglich zu beten; links: Eine der wichtigsten Aufgaben der Dominikanerinnen von Bethanien ist es, Menschen zuzuhören. Dominikanerinnen beim Kräuterzupfen. Oben: Sr. Heike musiziert mit Familien bei einem Familienwochenende der Missionsdominikanerinnen vom Hl. Herzen Jesu; links: Der heilige Dominikus war ein Wanderprediger. Auch heute noch verkündigen seine Brüder und Schwestern das Evangelium, wohin auch immer sie kommen. 35 Der charismatische Bettelorden 36 Franziskaner und Franziskanerinnen Der charismatische Bettelorden lat. Ordo Fratrum Minorum, deutsch: Orden der Minderen Brüder Ordenskürzel: OFM Gründung 1212 Bei einer feierlichen Profess im Provinzialat in München. Das Niedere suchen, um das Höchste zu finden: Das ist der Weg der Minoritenbrüder-Orden, deren Grundstein Franz von Assisi im 13. Jahrhundert legte, um gemäß dem Evangelium in direkter Nachfolge Christi zu leben. Was so einfach klingt, bedeutet das Schwierigste überhaupt. Den Weg der totalen Umkehr von sich und der bekannten Welt. Die Franziskaner gehen ihn immer noch. Sie gehen ihn in Sandalen und hinterlassen dabei große Spuren gelebten Christentums. Kein Orden weltweit genießt so viel Respekt, keiner ist so stark geprägt von seinem Gründer wie der Franziskanerorden. Dabei wollte Franziskus ursprünglich keinen Orden schaffen. Seine Mission war die Nachahmung des Lebens Jesu Christi gemäß dem Evangelium – sine glossa, ohne aufgesetzte Deutung. So einfach. So radikal. Sein eigenes Leben war für viele Zeitgenossen des Hochmittelalters so sehr Beispiel, dass sich Gleichgesinnte mit ihm auf den Weg machten, um Frieden und Segen (Pax et Bonum, die Grußformel des Heiligen) zu finden und weiterzugeben. Endlich ein starkes Zeugnis gelebten Glaubens! 1210 bestätigte Papst Innozenz III. den von Franz ins Leben gerufenen Orden der Minderen Brüder, einen der vier großen Bettelorden des Mittelalters und das Herz weiterer Gemeinschaften wie u. a. der Kapuziner (sog. 1. Orden), der Klarissen (sog. 2. Orden), der Franziskanischen Laiengemeinschaften oder zahlreicher Frauengemeinschaften wie die Franziskanerinnen und Elisabethinen (sog. 3. Orden), die sich als aktiver Teil der Franziskanischen Gemeinschaft verstehen. Eine Familie, die durch ihre gelebte Spiritualität und ihr Armutsideal zu allen Zeiten große Anziehungskraft auf Menschen ausübte – und zugleich durch das Absolute ihres Gründers, Franz von Assisi, ebenso viele verschreckte: Denn der Weg der armen Brüder und Schwestern erfordert die Überwindung des Egos, die totale Hingabe an Gott. Das scheint für die meisten Menschen übermenschlich, nicht lebbar. Oder, wie die Bayern es ausdrücken: „Franz is koaner.“ Wer war dieser Franz, der von so vielen Menschen aus allen Religionen als „heiliger Narr“, als „Bruder“, als „Schamane“ verehrt wird, und was kennzeichnet seine Spiritualität? Wie so viele große Gottessucher in allen Religionen hatte auch Franz zwei irdische Leben. Eines als Sohn wohlhabender Eltern und ein zweites in Jesus Christus. Als Giovanni kam er 1181/1182 in der umbrischen Stadt Assisi auf die Welt. Sein Vater, ein wohlhabender Tuchhändler und angesehener Bürger der Stadt, hatte große Pläne mit ihm: Gut ausgebildet sollte der nach einer Frankreichreise fortan Franziskus (Francesco) Genannte einmal werden, durch Handel die Ehre der Familie mehren. Doch das kriegerische Hochmittelalter hatte anderes mit Franziskus vor: Als Soldat wurde er gefangen genommen, innerlich gebrochen kehrte er nach Hause zurück. Sein Traum war dahin, als Ritter für Ehre und Vaterland zu kämpfen. Wo war der neue Halt? Auf der Suche danach schloss er sich 1205 papsttreuen Truppen erneut zu einem Kriegszug nach Süditalien an. Während der Reise wandte sich Gott an ihn in einem Traum und rief ihn auf, sich in seinen Dienst zu stellen. „Wer kann dir Besseres geben? Der Herr oder der Knecht?“ Franziskus brach mit seinem alten Leben. Er suchte in der Einsamkeit die Antworten auf all seine Fragen. Wer mag nachzuvollziehen, was er in sich fand, wer möchte sich seine inneren Kämpfe vorstellen? Einfach zu haben war sie gewiss nicht, die Erkenntnis, dass da keine Wahrheit ist außerhalb der Liebe – in ihren vielen Ausprägungen. 1205 ging er auf eine Wallfahrt nach Rom, mit einem Bettler am Wegesrand tauschte er seine Kleidung, die braune Kutte war jetzt sichtbarer Ausdruck seiner Entschiedenheit, fortan ein Leben in Armut zu führen. Während eines Gebetes in San Damiano, so die Überlieferung, sprach Jesus Christus zu ihm: „Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“ Er gehorchte. Als er jedoch mit dem Geld seines Vaters das Baumaterial für die zerfallende Kapelle besorgte, kam es zum endgültigen Bruch zwischen Vater 37 Das Wappen des Franziskanerordens zeigt eine Hand Jesu und eine Hand des hl. Franziskus über den Wolken. Beide sind von den Wundmalen der Nägel gezeichnet. In der Mitte ragt das Kreuz empor. Franz von Assisi, Ordensgründer der Franziskaner. 82 Salesianer und Salesianerinnen Umweltbildung im Kloster Ensdorf: Kanutour auf der Vils mit Bruder Robert Reiner SDB. 83 Communauté de Taizé Der Orden der Ökumene und der Versöhnung Ein Gleichnis der Gemeinschaft Weitere Informationen Deutsche Provinz der Salesianer Don Boscos Referat für Öffentlichkeitsarbeit Gabriele Merk St.-Wolfgangs-Platz 10 81669 München Tel: 089 / 48008 460 Fax: 089 / 48008 461 E-Mail: [email protected] www.donbosco.de „Nie wieder Krieg!“ So ähnlich drückte es die Großmutter Frère Rogers aus, die während des Ersten Weltkriegs im Norden Frankreichs monatelang Flüchtlinge in ihrem Haus beherbergte. Als sie, die aus einer alten evangelischen Familie stammte, durch die Kriegswirren in den Süden Frankreichs verschlagen wurde, begann sie, eine katholische Kirche zu besuchen. „Damit tat sie ohne Aufschub einen Schritt der Versöhnung (…) Sie sehnte sich danach, dass sich wenigstens die Christen in Europa miteinander versöhnen, um einen weiteren Krieg zu verhindern.“ 1940 tat ihr Enkel Roger mit gerade einmal fünfundzwanzig Jahren einen ersten konkreten Schritt und erwarb in dem kleinen Dorf Taizé, unweit der für die monastische Tradition so wichtigen Orte Cluny und Citeaux, ein leer stehendes Haus, in dem er zunächst allein lebte. Er beherbergte Juden und andere Menschen, die aus dem von Hitler besetzten Teil Frankreichs in den Süden flohen; 1942, als die Situation immer bedrohlicher wurde, schrieb er in sein Tagebuch: „An jenem Abend, als die Angst mein Herz zusammenschnürte, sprach ich im Gebet vertrauensvoll zu Gott: Selbst wenn man mir das Leben nimmt, weiß ich, dass du, lebendiger Gott, weiterführen wirst, was hier begonnen hat, das Entstehen einer Gemeinschaft.“ Frère Roger Schutz (1915–2005). 84 Communauté de Taizé Gründung 1949 im französischen Taizé Anzahl der in der Communauté de Taizé lebenden Mönche etwa 100 Ordenstracht Während des gemeinsamen Gebets tragen die Brüder in der Kirche ein weißes Gebetsgewand. Taizé aus der Vogelperspektive. Auf diesem Vertrauen gründet das Abenteuer eines gemeinsamen Lebens, zu dem sich 1949 die ersten sieben Brüder zusammenschlossen und das heute über einhundert Brüder weiterführen. Frère Roger hat dafür den schönen Namen gefunden: Gleichnis der Gemeinschaft! Nie hat er vergessen, dass es nicht auf eigene Größe, Stärke oder Sicherheit ankommt. Er wusste, woraus die Communauté lebt, die sich aus Brüdern aus den verschiedenen Kirchen der Reformation, aus Anglikanern und Katholiken zusammensetzt: „Wer sind wir eigentlich? … Eine kleine, zerbrechliche Gemeinschaft, die an einer kühnen Hoffnung festhält: der Hoffnung auf Versöhnung aller Getauften und darüber hinaus aller Menschen untereinander… Wir sind eine Ansammlung persönlicher Schwächen, aber auch eine Gemeinschaft, die von einem anderen getragen wird als wir selbst.“ Deshalb hielt Frère Roger immer daran fest, „klein“ zu bleiben und Christus zu folgen, der sich keinem Menschen aufdrängt oder gar Zwang ausübt. So drückte es auch Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Taizé 1986 aus: „Es ist mein Wunsch, dass der Herr euch als einen anbrechenden Frühling, dass er euch klein, dass er euch in der evangelischen Freude und der Lauterkeit der brüderlichen Liebe bewahre.“ Ähnlich spricht auch Frère Alois, der 2005 Frère Roger als Prior nachfolgte, von „unserer kleinen Kommunität“ und betont zugleich, dass die Bemühung um Versöhnung und Einheit nicht aufhört: „Wir möchten immer wieder auf den anderen zugehen. Gemeinschaft ist kein Anliegen unter anderen. Die Suche nach Gemeinschaft ist das Herz unserer Berufung.“ Die unzähligen Jugendlichen, die sich seit Jahrzehnten mit den Brüdern auf den „Pilgerweg des Vertrauens“ begeben, die eine Woche in Taizé verbringen oder zu den Europäischen Jugendtreffen in einer Großstadt oder an vielen anderen Orten der Welt zusammenkommen, geben ein schönes Zeugnis dafür, wie anziehend dieser kleine Weg des Vertrauens und wie tief die Sehnsucht nach Frieden und Der Orden der Ökumene und der Versöhnung 85 Versöhnung unter den Christen und überall auf der Erde ist. Man denkt unwillkürlich an das Wort Jesu: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das Kleinste von allen Samenkörnern, sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten.“ Es scheint, die Jugendlichen lassen sich gerne auf diesem Zweig nieder, um vorübergehend am Gleichnis der Gemeinschaft teilzunehmen; sie atmen den Geist der Güte, des Vertrauens und der Versöhnung, und erahnen – nicht anders als die Brüder –, dass Gottes Kraft in unserer Schwachheit zur Vollendung kommt. Zu Gast in Taizé Die ursprünglich evangelische Brudergemeinschaft Taizé nahe Burgund zeigt, dass christliche Gemeinschaftsgründungen kein Relikt einer fernen Vergangenheit sind und vor allem junge Menschen konfessions- und länderübergreifend begeistern können. Grund genug, dieses Buch mit einem Besuch in der Nacht der Lichter zu beenden, einem magisch-mystischen Meer gemeinschaftlich erlebter Zuversicht: Ja. Christus lebt, auch und vor allem im 21. Jahrhundert. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht erklären, weder mit Worten, noch mit Bildern oder Gesten. Diese Dinge muss der Mensch einfach selbst erfahren, und zwar zur rechten Zeit, am rechten Ort und mit den richtigen Menschen. Auf einmal spürt man etwas tief drinnen, und echte Berührung wird möglich. Das Zweifeln und Klagen hört auf, und man weiß: Ich bin angekommen, bei mir, bei Gott und bei den anderen. Es geht das Gerücht um, dass ein so tiefes Einswerden ein Privileg meditierender Die Kirche von Taizé. Ein bekanntes Symbol ist das Taizé-Kreuz bzw. die Taizé-Taube. 86 Communauté de Taizé In Taizé wimmelt es während der Jugendtreffen von jungen Menschen aus aller Welt. Motto „Wir wollen vor allem Menschen sein, die anderen zuhören. Wir sind keine Lehrmeister.“ Frère Roger Eremiten sei, das Ergebnis jahrelanger Entbehrungen, schmerzvoller Lernprozesse und tiefer Einsamkeit. Die evangelische Bruderschaft Taizé zeigt, dass die christliche Vervollkommnung des Ich in Gemeinschaft stattfindet und ganz einfach geschehen kann. Vorausgesetzt, die Seele ist bereit dazu. Meist erwischt es diejenigen, die aufgehört haben, etwas finden zu wollen, diejenigen, die eigentlich schon abgeschlossen haben mit Gott, mit Kirche und Religion. Es sind diejenigen, die sich überreden lassen, doch noch einmal mitzufahren, nicht aus Überzeugung, sondern um eine gute Zeit unter Freunden zu verbringen und, wenn es sein muss, auch in einem Pilgerbus nach Frankreich. Meinetwegen in einem kleinen Dorf, in dem zu Spitzenzeiten tausende Menschen in Baracken mit je acht Betten, ohne Schrank und Badezimmer campieren, um dreimal am Tag zum Gebet zusammenzukommen, täglich Toiletten zu putzen und in Bibelgruppen über Themen wie Vertrauen und Zuversicht zu reden. Und dann passiert es: In einer einfachen und unbequemen Umgebung, die kontrastreicher zum modernen Leben nicht sein könnte, küsst dich der Geist – wie zum ersten Mal. In einem Meer entflammter Kerzen mitten in der jeden Samstag gefeierten Nacht der Lichter entbrennt auch dein Herz und du verstehst: Jesus lebt. Das Christentum lebt, in dir, in uns, hell und klar. Es gibt kaum Taizé-Besucher, die nicht überwältigt sind vom „Spirit“ des Ortes, seiner ganz eigenen Magie. Der Orden der Ökumene und der Versöhnung Fragt man einen der Brüder der Communauté nach dem tieferen Geheimnis der Gemeinschaft, zuckt er nur mit den Schultern. Dafür wird man eingeladen, sich auf dieses Leben einzulassen, auf Zeit – meist für eine Woche – direkt vor Ort. Dort wo 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, der Communauté-Gründer und langjährigere Prior Roger Schutz ein Haus kaufte, Kriegsflüchtlinge aufnahm und somit einen Ort voll Licht in einer Zeit der Dunkelheit schuf. Rasch schlossen sich dem studierten Theologen Gleichgesinnte an, die sich 1949 zu einem Leben in Ehelosigkeit, Armut und Gemeinschaft entschieden. Die ursprünglich evangelische Bruderschaft versteht sich bis heute als „Experiment“ – als ein stetig sich entwickelnder Prozess christlich-spirituellen Alltagslebens. Ein Anspruch, der für katholische Orden, Theologen und Angehörige anderer Religionen von großem Interesse war. Taizé ist seit den Anfängen ein Ort, an dem Besucher teilhaben können an diesem Lebensprozess. Es waren zunächst die sogenannten Retraits – Einkehrtage in Stille und persönlichem Gespräch –, die in den 50-er und 60-er Jahren Taizé zu einer besonderen spirituellen Aura verhalfen. Als seit den 70-er Jahren dann auch noch vermehrt Jugendliche am Gemeinschaftsleben auf Zeit teilnahmen, verwandelte sich Taizé in ein Mekka moderner, christlicher Spiritualität voll Schönheit und Hoffnung. Vor allem das besondere Gespür der Brüder für die einfache und zeitgemäße Kreation von konfessions-, generations- und sprachübergreifenden Ritualen, Symbolen und Liedern hat die bis heute einzigartige Atmosphäre mitgeprägt. Weltberühmt sind die anfangs von Frère Robert gemeinsam mit den französischen Kirchenmusikern Jacques Berthier und Joseph Gelineau verfassten Gesänge, die mittlerweile in die Gesangbücher der verschiedenen Konfessionen Einzug gehalten haben und vielen Menschen in ihrer Schlichtheit (die meisten Lieder bestehen aus einem Satz, der vierstimmig oder kanonisch gesungen wird) aus dem Herzen sprechen. Aber auch das geschwungene Taizé- 87 Die Versöhnungskirche von Taizé ist ganzjährig geöffnet. Bei den gemeinsamen Gebeten sitzen die Brüder der Gemeinschaft in der Mitte, während die Gäste an den Seiten auf dem Boden Platz nehmen. 88 Communauté de Taizé Die „Ikone der Freundschaft“ zeigt Christus und den hl. Menas, einen frühen ägyptischen Heiligen, sie steht aber für die Freundschaft, die Christus jedem Gläubigen anbietet. Kreuz – eine fliegenden Taube als Symbol des Heiligen Geistes – erfreut viele Jugendliche. Es ist diese Leichtigkeit, Lebendigkeit und Schlichtheit der Glaubensinterpretation im Alltag, die Menschen aus aller Welt anspricht. Wer sich zu einem Wochenaufenthalt in Taizé entschließt, erwartet kein strenges Klosterleben in Abgeschiedenheit. Er sucht Gemeinschaft und nimmt dafür ein spartanisches Leben in Kauf, und auch, dass er Gruppen- und Reinigungsarbeiten verrichtet und eine Liturgie vorfindet, die so schlicht ist, dass man keine Angst haben muss, etwas falsch zu machen. Jeder ist in der heute ökumenischen Communauté eingeladen, sich vom Geheimnis des Glaubens und des Lebens verzaubern zu lassen: Ob in der samstäglichen Nacht der Lichter, mit der der Auferstehung Jesu Christi gedacht wird, der Eucharistiefeier am Sonntag oder durch die Teilnahme an den drei gemeinsamen Gebeten am Tag sowie der täglichen Arbeit in Bibelkreisen und Workshops. Die meisten der etwa 100 Ordensbrüder – sofern sie gerade in Taizé und nicht in einem der Elendsviertel dieser Welt leben – sind bis heute vor allem mit der Bewältigung des Besucheransturmes auf die Gemeinschaft oder eines der rund um den Globus stattfindenden Jugendtreffen zum Jahreswechsel beschäftigt. Eine eigene Botschaft verkünden wollen sie nicht. Wer nach einer besonderen Theologie sucht, wird sie nicht finden. „Wir sind keine geistlichen Meister, sondern vor allem Menschen, die anderen zuhören“, gab der Gründer Frère Roger seinen Brüdern mit auf den Weg. Wohlwissend, dass der moderne Mensch nicht noch mehr braucht, um sein Glück zu finden, sondern eher weniger, vor allem weniger kopflastige Verlautbarungen über Leben und Glauben. Der Erfolg dieser mystischen Einfachheit ruft selbstverständlich Skeptiker und Gegner auf den Plan. Vielen ernsthaften Theologen ist das Taizé-Experiment zu indifferent, zu wenig konkret, zu rührselig und Der Orden der Ökumene und der Versöhnung gleichmacherisch. Das erklärte Ziel der Gemeinschaft, mit den Menschen überall auf der Welt im Geist der Seligpreisungen einen „Pilgerweg des Vertrauens“ zu gehen, um die Umsetzung der Botschaft Jesu ins Alltagsleben auszutesten, klingt selbstverständlich und provoziert zugleich in seiner Radikalität. Der gewaltsame Tod von Frère Roger, der aus Taizé einen Ort der Aussöhnung der christlichen Konfessionen und des Friedens machen wollte und der 2005 während des gemeinsamen Abendgebets in der Versöhnungskirche erstochen wurde, setzte eine Zäsur. Doch Taizé wäre nicht Taizé, wenn hier nicht das Leben siegte: Auf den Etappen des „Pilgerwegs des Vertrauens“ in Berlin 2011 und in Ruanda 2012 wurde die Suche nach einer neuen Solidarität ausgerufen. Ein Impuls, der gerade in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, vor allem in Südeuropa, die Jugendlichen wieder einmal direkt ins Herz traf. Tausende kamen, zündeten Kerzen an und öffneten ihre Herzen. In der Bibel wird dies als Zustand der Verzückung beschrieben, als der Heilige Geist in die Jünger fuhr. Taizé zeigt: Der Geist küsst immer noch. Meist unverhofft. Bekannte Ordensmitglieder • Frère Roger (Schutz) Beim gemeinsamen Gebet. 89 90 Communauté de Taizé Anzahl der Klöster Außer in Taizé leben Brüder der Communauté in kleinen Fraternitäten auf den südlichen Kontinenten: in Nairobi (Kenia), Dakar (Senegal), Mymensingh (Bangladesch), Seoul (Südkorea) und Alagoinhas (Nordostbrasilien). Die Gelübde der Brüder von Taizé Nach mehreren Jahren der Vorbereitung legt jeder Bruder sein Lebensengagement in der Communauté ab: Ehelosigkeit, Gütergemeinschaft und Anerkennung der Autorität des Priors. Spirituelle Besonderheit Auch wenn die Communauté de Taizé in der ganzen Welt vor allem für ihre charakteristische Musik und die Feier der „Nacht der Lichter“ bekannt ist, verzichtet die ökumenische Gemeinschaft auf die explizite Ausformulierung einer eigenen Theologie und oder gar einer speziellen Botschaft. Unmittelbar geprägt von den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges lag den Gründern der Communauté de Taizé die Aussöhnung der Christen sowie Gläubigen aller Religionen auf der ganzen Welt am Herzen. Hierzu möchte die Communauté einen „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde“ gehen, der sich der Bergpredigt Jesu von Nazaret in besonderer Weise verpflichtet fühlt. Die Etappen dieses Pilgerweges bilden die seit 1978 regelmäßig stattfindenden Jugendkongresse auf allen Kontinenten. Gemeinsames Beten, Nachdenken über praktische Umsetzungsmöglichkeiten der Bergpredigt bis hin zu politischem Engagement prägen die Zusammenkünfte und verbreiten den Geist von Taizé. Rechts und gegenüberliegende Seite: Eine kleine Kapelle für das Gebet allein oder in kleinen Gruppen. Der Zwiebelturm ist ein Zeichen für die freundschaftliche Verbindung Taizés mit der Russisch-Orthodoxen Kirche; Frère Alois ist seit 2005 der Prior der ökumenischen Bruderschaft von Taizé. Laiengemeinschaft Ähnlich wie bei den Bettelorden sind auch die Laien der Communauté de Taizé (Erster Orden) neben der Communauté de Grandchamp (Zweiter Orden) in einem sogenannten Dritten Orden organisiert. Er entstand 1955 auf Initiative von Frére Roger. Der Orden der Ökumene und der Versöhnung Informationen sind erhältlich über den Zweiten Orden, der Communauté de Grandchamp. Communauté de Grandchamp Grandchamp 4 CH 2015 Areuse Tel: ( +41) 032 8422492 Fax: (+41) 032 8422474 E-Mail: [email protected] www.grandchamp.org/pages/fr/tiersordre-fr.html Weitere Informationen Communauté de Taizé F-71250 Taizé Internetseite von Taizé mit Informationen über die Communauté und die internationalen Jugendtreffen: www.taize.fr/de 91 Orden selbst kennenlernen 110 Orden selbst kennenlernen Als Gemeinschaft wollen wir uns nicht auf Grund unseres Glaubens abgrenzen. Wir können Menschen in unsere Hoffnung hineinnehmen und mit ihnen hoffnungsvoll leben, ohne dass sie den Grund unserer Hoffnung für sich annehmen können. So kann eine leere Kirche zu einem Ort werden, an dem Christen und Nichtchristen gemeinsam eine Hoffnungs-Gemeinschaft bilden. „Wir sind eine Hoffnungs-Gemeinschaft.“ Selbstverständnis des Konvents an der Reformationskirche, Berlin (2014). Das Christentum scheint aktuell in Westeuropa unter keinem guten Stern zu stehen. Während in anderen Teilen der Welt die Botschaft auf fruchtbaren Boden fällt, befinden sich die großen christlichen Kirchen gerade im sogenannten „alten Europa“ in einer schleichenden Auflösung. Die Ursachen hierfür scheinen vielfältig und werden seit Jahren am runden Tisch oder in Statusreden in allen möglichen Sprachen umschrieben. Vor allem das Ordensleben als Lebens- und Glaubensgemeinschaft kontrastiert stark mit unserer modernen Vorstellung von einem freien Leben in Selbstbestimmung. Zugleich ist die Sehnsucht nach einer Wiederverzauberung der Welt so groß wie nie. Man möchte glauben, man möchte folgen, doch nicht mehr so wie gehabt. Ähnlich wie in den Zeiten des Hochmittelalters durchrüttelt ein Sturm unsere Art der Wirklichkeitswahrnehmung. Alles wird in Frage gestellt, die Fassade abgeklopft und auf die Basis geschaut. Bis hierhin sind wir gekommen. Doch trägt uns die Basis auch in die nächsten fünfhundert Jahre? Was ist Form, Tradition, Kultur und was ist das eigentliche und wirkliche Erbe Jesu Christi? Was bedeutet Christsein im 21. Jahrhundert, was Menschsein? Und was ist nur ein reines Folklorespiel, um eine schöne Geschichte, deren Wirksamkeitsgehalt historisch erzählbar, aber nicht mehr real erfahrbar ist? 111 Noch scheuen sich die meisten von uns, diese Frage so radikal zu stellen. Doch es ist der einzige Weg, um kraftvoll weiterzumachen und Antworten zu finden auf die zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit. Auch wenn die Ordensgemeinschaften sich selbst wieder auf die Reise zu ihren Ursprüngen begeben müssen, um die Nachfolge Jesu Christi lebendig zu interpretieren und vielleicht sogar neu zu finden, kommt ihnen ein großer Stellenwert zu. Klöster versprechen gerade durch ihre Tradition einen unmittelbaren Kontakt zur Quelle des Christentums und stellen sich vermehrt ihrer Aufgabe, Menschen dafür den Raum zur Verfügung zu stellen: sei es bei einer kurzen Stippvisite, auf Zeit oder vielleicht sogar als dauerhafte Lebensgemeinschaft im Laien- sowie im Profimodus. Dabei können Suchende mittlerweile auf die unterschiedlichsten Angebote und Modelle von christlichen Gemeinschaften treffen: Denn lebendige Formen der Spiritualität entstehen entweder dort, wo bereits große Klöster, Kirchen und Gemeinden über die Jahrhunderte leben, oder in der totalen Diaspora. Dort also, wo den Theorien der Soziologie zufolge das moderne Leben mit seinem säkularen Weltbild und einer gänzlich diesseitigen Heilsversprechung den Sieg davongetragen haben dürfte. Könnte das auch meine Berufung sein? Es gibt viele Anlaufstellen, die einem helfen, Antwort zu finden. 112 Orden selbst kennenlernen Orden selbst kennenlernen 113 Es gibt zahlreiche spirituelle Unternehmerbewegungen, aber auch neue christliche Konvente wie die Reformationscommunity, die mitten in Berlin-Moabit in einer bereits aufgegebenen Kirche Christentum neu lebt, und ganz wunderbare spirituelle Formate traditioneller Ordensgemeinschaften. So unterschiedlich sie auch sein mögen, die neuen Formate, Bewegungen und Gruppierungen: Es geht um den Wunsch nach der realen Erfahrung des Glaubens, den Direktkontakt mit der Liebe Jesu Christi. Und dafür muss man das Buch oder den Laptop beiseitelegen und sich als ganze Person auf die Reise machen. Ein Abenteuer. Aber eines, das sich lohnen wird. Wie kann ich das Ordensleben heute kennenlernen? 1) Einfach mal zu Gast sein Viele Klöster haben heute Tagungshäuser, in denen auch externe, nicht explizit christliche Veranstaltungen stattfinden. So können Besucher ganz behutsam wieder mit der Lebenswelt der Orden in Kontakt treten und auf Wunsch mehr erleben. 2) Einfach eine Auszeit nehmen Immer häufiger suchen Menschen eine Auszeit von ihrem Alltag. Viele Gemeinschaften haben darauf reagiert und bieten selbst Veranstaltungen wie Besinnungstage oder Exerzitien an. In den Gästehäusern ist jeder willkommen, der nach Ruhe, Besinnung und Orientierung sucht. 3) Einfach mehr: Kloster auf Zeit Viele Klöster nehmen mittlerweile neben den Gästen ihrer Exerzitienprogramme auch Einzelgäste für einen längeren Zeitraum auf. Wer möchte, kann so nicht nur eine ganz besonders intensive Auszeit für sich gestalten, sondern zudem auch am Gebets- und manchmal auch Ordensleben der jeweiligen Gemeinschaft teilnehmen. In der Regel verbringt so ein Gast die Zeit jedoch allein ohne permanente Betreuung. In Einzelfällen wird der Gast jedoch auch in das Gemeinschaftsleben aufgenommen. Er führt ein Leben gemäß den Regeln der jeweiligen Gemeinschaft und trägt seinen Teil zum gelingenden Miteinander bei. Das „Kloster auf Zeit“ ist nicht mit einem Kurzurlaub zu verwechseln. Wer für eine längere Zeit in das Klosterleben eintaucht, sollte innerlich gefestigt sein, über ein hohe Maß an Eigenständigkeit verfügen und den Aufenthalt vielleicht sogar als eigene Prüfung verstehen, ob ein Leben als Gemeinschaftsmitglied auf Dauer für ihn in Frage käme. 4) Einfach „Ja“ sagen Wen die Frage nach Gott nicht in Ruhe lässt, wer spürt, dass er radikaler für IHN da sein möchte, wer etwas von den herkömmlichen Lebens- und Konsumgewohnheiten aufgeben würde, um dafür einen größeren religiösen Raum zu haben, wem Gebet und Gottesdienst Freude macht, wer gern in Gemeinschaft leben würde – der könnte für dieses Leben geeignet sein. Die Ordensgemeinschaften sind gern bereit, Auskunft zu geben. Er könnte – nach entsprechender Vorsprache oder schriftlicher Anmeldung – auch zunächst als Gast im Hause Aufnahme finden und so mit den Nonnen oder Mönchen bekannt werden. Eine Aussprache mit dem Abt oder dem Novizenmeister wird zur Klärung seines Einfach mal reinschauen: Willkommen im Ursulinenkloster in Duderstadt. 114 Orden selbst kennenlernen Berufes beitragen. Ist diese positiv, so wird er vorerst zur Probe aufgenommen, durchläuft das meist einjährige Noviziat und legt dann die dreijährigen Gelübde ab. In diesen drei Jahren kann er sich je nach Voraussetzungen (Abitur, Lehre u. a.) der Fort- oder Ausbildung eines Berufes (z. B. Universität, Fachschule, Lehrverhältnis) widmen. Danach kann er sich für immer an das Kloster binden (Mönchsweihe) und erhält alle Rechte eines Vollmitgliedes. Der Reformorden aus der Tradition der Benediktiner Die Mitglieder der Laiengemeinschaften treffen sich in regelmäßigen Abständen zur gemeinsamen Feier der Eucharistie, einer Referatslesung oder gemeinsamen Exerzitien. Die Laienpredigt hat bei ihnen einen großen Stellenwert. Denn oft sind sie in ihrem konkreten Alltag wesentlich näher an suchenden Menschen und haben einen entscheidenden Einfluss auf die lebendige Verkündigung der Botschaft Jesu Christi. Weitere Informationen: Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) http://www.orden.de Laiengemeinschaften Viele Orden kennen Laiengemeinschaften. Häufig bilden sie zusammen mit einem Männerorden („Erster Orden“) und einem Frauenorden („Zweiter Orden“) den sogenannten „Dritten Orden“ in einer großen Ordensfamilie. Aber auch Orden, die keine Ordensfamilie gebildet haben, kennen Laiengemeinschaften. Die Benediktiner zum Beispiel nennen ihre Laien „Oblaten“ (oblatus = der Hingegebene, Aufgeopferte, Dargebrachte). Ihre Mitglieder kommen aus allen Schichten, sind sowohl ledig als auch verheiratet, gehen im Alltag ihrem jeweiligen Beruf nach, orientieren sich jedoch an der Spiritualität und den Regeln des Ordens. Auch die Laien kennen eine Probezeit, das Noviziat, in dem sie von der Ordensfamilie bzw. dem Orden geprüft werden, bevor sie ein Versprechen auf Lebenszeit ablegen. Die Laiengemeinschaften entstanden meist parallel zu den Gründungen der großen Orden. Sie standen denjenigen offen, die ein christliches Leben nach der Regel und Spiritualität einer bestimmten Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu Christi und der Ernsthaftigkeit der Taufe (ein neues Leben, ein neuer Mensch) führen wollten, jedoch aus verschiedensten Gründen nicht in den Männer- oder Frauenorden aufgenommen werden konnten. Dennoch sind über die Jahrhunderte hindurch die Laien in fast allen Ordensgemeinschaften zum unverzichtbaren Teil der Ordensfamilie geworden: „Als Mitglieder des Ordens sind sie auf ihre Weise Träger der apostolischen Sendung in Gebet, Studium und Predigt.“ (Regel der Dominikanischen Laiengemeinschaft, Nr. 4) Wer sich für ein Leben nach der Spiritualität und der Regel eines bestimmten Ordens in Gemeinschaft mit anderen sehnt, ist eingeladen, sich direkt an ein Kloster oder eine Kongregation in seiner Umgebung zu wenden. 115 116 Danksagung/Autor Fotonachweis Danke. Fotonachweis. Bücher haben immer mehrere Eltern. Ohne folgende geistigen Mütter und Väter wäre dieses Buch nicht entstanden: Brigitte Haertel, Magazin theo; Schwester Anna Maria Dicke OSC; Schwester Veronika Karaffová OSC; Frère Ulrich Communauté de Taizé; Bruder Natanael Ganter OFM; Pater Sebastian Tönnesen OP; Pater Antonius Walter OP; Pater Ludger Ägidius Schulte OFMCap; Pater Roland Engelbertz OFMCap; Pater Paulinus Veith OFMCap, Pater Hugo Stahl OFMCap, Pater Alexander OFMCap und Pater Georg Maria Roers SJ. Cover: © picture alliance / Godong; Seite 8: © www.stift-Heiligenkreuz.at; 9, 12, 14, 22, 24 unten, 25, 27 oben, 30 oben, 37 unten, 38, 39 unten, 40 unten, 54, 59-62, 70, 71 unten, 72 unten, 75, 77: © KNA-Bild; 10: © picture-alliance / ZB; 11 oben: © ZFB-Zentrum für Berufungspastoral; 11 unten, 11: © Bildarchiv Deutsche Franziskanerprovinz; 15, 16: © Rita Newman / Stift Klosterneuburg; 17, 18 unten: © picture alliance / dpa; 18 oben: © picture-alliance / Imagno; 20, 24 oben: © Abtei St. Hildegard, Rüdesheim-Eibingen; 21 unten: © picture-alliance / dpa; 23: © zatletic / Fotolia; 26 oben, 27 rechts: © Benediktinerinnenabtei zur Hl. Maria, Fulda; 26/27 unten: © Angela und Lutz Stoess – Photografie; 28, 32 unten: © Dominikaner-Provinz Teutonia, Köln; 30 unten, 32, 34 oben, 35 unten: © Joanna Vortmann / Dominikanerinnen von Bethanien; 32 oben: © Ulrich Engel OP; 33: © picture-alliance / Godong; 34 unten: © Sr. Geraldine Busse; 35 rechts: © Fam. Lindner; S. 34/35 oben Mitte: © Schwestern des Instituts St. Dominikus; 36, 41 oben, 42, 43 oben und rechts: © Bildarchiv Deutsche Franziskanerprovinz; 39 oben: © Ken Liu / Deutsche Franziskanerprovinz; 40 oben, 41 unten, 43 unten: © Kloster Sießen; 44, 46, 48, 49, 51: © Carlo Fries, Zürich; 47: © Andreas Knapp, Leipzig; 45 oben, 50: © Kleine Schwestern Jesu; 53 unten: © Siegelabdruck von Ignatius als Generaloberer der Gesellschaft Jesu: SIGILLUM PRAEPOSITI SOCIETATIS JESU © SJ Bild; 55, 56, 58: © SJ-Bild; 57: © picture alliance / dpa; 63, 64, 66, 68: © Jo Becker, Schermbeck; 64: © P. Reinhard Körner OCD; 67, 111: © Deutsche Provinz der Karmeliten O.Carm.; 69 unten Mitte: © picture-alliance / United Archives/TopFoto, 71 oben, 72 oben, 74 oben: © DIE GROSSE STILLE, X Verleih AG; 73: © picture alliance / KNA-Bild; 76, 79, 81, 82: © Salesianer Don Boscos, © Don Bosco Mission, Bonn, © Don Bosco Medien / Elisabeth Eberth, © Don Bosco Medien / Hans Babl; 80: © picture alliance / dpa; 83,84: Foto: Taizé, © Ateliers et Presses de Taizé, 71250 Taizé, Frankreich; 85 oben – 91: Foto: S. Leutenegger © Ateliers et Presses de Taizé, 71250 Taizé, Frankreich; 85 unten: © Surfnico / Wikimedia; 92: © Föderation deutschsprachiger Ursulinen; 93, 97: © Sr. Brigitte Werr osu; 94: © Sr. Ursula Wagner osu; 95: © picture alliance / ZB, 96, 113: © picture alliance / dpa; 98, 99: © Anton Brandl, 102, 104 u, 105, 106 o, 108, 109 o, u: © www.stift-Heiligenkreuz. at; 103 o, 104 o, 106 u, 107, 109 re: © Abtei Seligenthal. Autor. Sven Schlebes, geboren 1976, studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Münster; er ist Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Goldene Zeiten in Berlin. Seit 2007 schreibt er für Theo, das katholische Magazin und ist seit 2014 dessen stellvertretender Chefredakteur. Sven Schlebes ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Dem Buch liegt die vom Autor verfasste Serie über Orden in Theo. Katholisches Magazin (www.theo-magazin.de) zu Grunde. 117 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Besuchen Sie uns im Internet: www.st-benno.de Gern informieren wir Sie unverbindlich und aktuell auch in unserem Newsletter zum Verlagsprogramm, zu Neuerscheinungen und Aktionen. Einfach anmelden unter www.st-benno.de. ISBN 978-3-7462-4357-3 © St. Benno Verlag GmbH, Leipzig Umschlaggestaltung: Ulrike Vetter, Leipzig Gesamtherstellung: Arnold & Domnick, Leipzig (A)
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