Ora et labora - Shop Katholisch.de

Leseprobe
Ora et labora - Die großen Orden
Das Bilderlexikon
120 Seiten, 20 x 22,5 cm, gebunden,
durchgehend farbig gestaltet, mit zahlreichen Farbfotos
ISBN 9783746243573
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© St. Benno Verlag GmbH, Leipzig 2015
ORA ET Labora
Die großen Orden
Sven Schlebes
Wo Ordensleute sind, da ist Freude.
Wir sind gerufen, zu erfahren und zu zeigen,
dass Gott fähig ist, unser Herz zu erfüllen
und uns glücklich zu machen.
Papst Franziskus
6
Inhalt
Inhalt
Inhalt
Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs
8
Karmeliten und Karmelitinnen
Der Orden der Liebenden
Augustiner-Chorherren und Augustiner-Chorfrauen 15
Kartäuser und Kartäuserinnen Der Orden der Kleriker
Der Orden der großen Stille
Benediktiner und Benediktinerinnen
19
Der älteste christliche Orden
Dominikaner und Dominikanerinnen
28
36
44
Der Orden der großen Einfachheit
83
Ursulinen 92
Vinzentiner und Lazaristen
98
Die Kongregation der Mission
52
Die mobile Einsatztruppe des Papstes
Kapuziner und Kapuzinerinnen
Communauté de Taizé Der erste Schulorden
Die Gemeinschaft der Kontemplation inmitten der Welt
Jesuiten
76
Der Orden der Ökumene und der Versöhnung
Der charismatische Bettelorden
Geistliche Familie Charles de Foucauld
Salesianer und Salesianerinnen
70
Der Pionierorden der pädagogischen Jugendarbeit
Der Predigerorden
Franziskaner und Franziskanerinnen
63
Zisterzienser und Zisterzienserinnen
102
Der Reformorden aus der Tradition der Benediktiner
59
Orden selbst kennenlernen
110
7
Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs 
8
Gemeinsam auf Jesu
Spuren unterwegs
Einen andern Grund kann niemand legen
als den, der gelegt ist:
Jesus Christus.
1. Kor 3,11
Die Nachfolger Jesu
Herzlich willkommen in der Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz.
Es gab immer Menschen, die ganz und gar in der Nachfolge Jesu leben wollten. Einsam oder in Gemeinschaft. Als Laie oder sogenannter Glaubensprofi im
Ordensgewand. Oft waren es ganz normale Menschen, manchmal waren sie
Fürstenkinder, Soldaten, Handwerker, Fischer. Es waren Frauen und Männer,
manche begannen diesen Weg der Nachfolge sehr früh in
ihrem Leben, manche erst später. Viele von ihnen würden
die Einstellungstests großer Unternehmen nicht bestehen, Karriere-Coachs würden ihnen vielleicht mangelndes
Durchsetzungsvermögen attestieren, und Psychologen
hätten ihre wahre Freude am Auffinden zahlreicher Persönlichkeitsakzentuierungen.
Doch des Menschen Nützlichkeitsdenken ist Gott egal.
Er liebt bedingungs- und für unsere Menschenaugen oft
grundlos.
Wer sich Gott hingibt, gilt vielen als hoffnungs- und nutzlos, nicht selten als verrückt: „Wer macht schon sowas?“
Schritt. Doch in Wahrheit ist es der Beginn
einer langen Reise. Hin zu seinem eigenen
Ursprung und einer radikalen gemeinsamen
Zukunft.
Nachfolgen kann jeder. An jedem Ort. Zu jeder
Zeit. Doch alleine ist das schwer. So haben
sich seit dem dritten Jahrhundert nach Christus Menschen zu christlichen Gemeinschaften
zusammengeschlossen, um in voller Konzentration auf Jesus Christus ihrem Ideal möglichst
nahe zu kommen. Und selbst so zu leben,
wie Jesus Christus es der Bibel nach getan
hat: absolut. In Ehelosigkeit. In Armut. Und
in Gehorsam seinem Vater gegenüber. Wie
diese Liebes- und Lebensform dann konkret aussah, das haben die Nachfolger
durch die Zeiten hindurch für sich selbst oft höchst unterschiedlich ausgelegt:
von ewigem Schweigen über Selbstgeißelungen, den Vollzug einer inneren Verschmelzung mit dem Herrn bis hin zum Krankenpflegedienst in den Slums war
alles dabei. Für den Weg Jesu Christi gibt es eben keine minutiöse Gebrauchsanweisung. Er entfaltet sich durch jeden Einzelnen im Hier und Jetzt. Das ist zwar
einerseits eine große Bürde, andererseits aber auch eine große Freiheit.
Vor allem für Frauen war es oft ein Weg der Freiheit fernab gesellschaftlicher
Konventionen. So mancher unliebe Sohn wurde in Klöster und Orden untergebracht, damit er keinen großen Schaden in geschäftlichen und politischen Dingen anrichten konnte. Für einige war es der letzte Ausweg oder der Zugang zu
großer Bildung. Für wenige mag es die große Liebe ihres Lebens gewesen sein.
Immer aber sollte sich das Leben der Mönche und Nonnen genannten JesusNachfolger mit dem Eintritt in die Gemeinschaft grundsätzlich ändern und eine
doppelte Aufgabe erfüllen: Jesus Christus möglichst nahezukommen und als
Brückenbauer für andere zu wirken. Als Beispiele realer christlicher Liebe sind
sie die Pioniere des Christentums.
Ein Leben in zartbitter
Jesus Christus nachzufolgen heißt zuallererst, sein Liebesgebot anzunehmen und zum Grund seines erneuerten
Lebens zu machen. Viele betrachten es als einen radikalen
Vom wüsten Leben zum gesellschaftlichen Kultivierer
Die ersten Mönche, die Vorbild für die spätere Entwicklung des westeuropäischen Mönchtums werden sollten, waren Eremiten und lebten in der Wüste
Zwei Ordensschwestern im
Gespräch.
9
10
Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs
Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs 
Zurück zum Ursprung, Teil I
Mitten im Leben.
Ägyptens und des Nahen Ostens. Nichts sollte sie von ihrem Weg zu Gott ablenken. Ein gewisser Pachomius (ca. 287–346) gründete eine erste klosterähnliche
Lebensgemeinschaft für sich und seine Eremitenkollegen auf einer Nilinsel.
Es waren keine urchristlichen Gemeinschaften, sondern gleichgeschlechtliche
Bet- und Arbeitsgemeinschaften und die eigentlichen Vorbilder für das spätere
Mönchtum, das sich mit Benedikt von Nursia (ca. 480–555), dem „Vater des
abendländischen Mönchtums“, entscheidend weiterentwickelte. Seine Ordensregel „Ora et labora“ („Bete und arbeite“) wurde zur Grundlage für zahlreiche
weitere Klöster- und Ordensgründungen sowohl von Frauen- als auch Männergemeinschaften.
Rasch breiteten sich Klöster und Ordensgemeinschaften im beginnenden
Mittelalter in ganz Europa aus. Sie wurden zu Kristallisationspunkten für das
gesellschaftliche, wissenschaftliche, wirtschaftliche, spirituelle und kulturelle
Leben. Sie verkündeten nicht nur die Botschaft Jesu Christi, sondern spielten
bei der sogenannten abendländischen Kultivierung eine entscheidende Rolle
als Pioniere, gesellschaftliche Modernisierer, aber auch als geistige Bastionen
für Glaubensverirrungen wie Ketzer- und Hexenverfolgungen, Kreuzzüge und
Legitimierung und Stabilisierung von politisch-gesellschaftlicher Herrschaft
und ihren Strukturen in ihren jeweiligen zeitlichen und kulturellen Bezügen. Die
Orden, Klöster und die in ihnen lebenden Menschen wirkten: im negativen wie
im positiven Sinne.
Schon Johannes wusste: „Gott ist größer als unser Herz“ (1 Joh 3,20). Und
manchmal überholt das Leben eben auch die Pioniere. Vor allem dann, wenn
man den ursächlichen Grund aus den Augen verloren hat und zu dem geworden ist, was man eigentlich überwinden wollte. Zu viele Klöster und Ordensgemeinschaften hatten sich im Hochmittelalter vom ursprünglichen Anspruch
der radikalen Nachfolge Jesu Christi entfernt und waren durch ihre enorme
gesellschaftliche Wichtigkeit vermehrt mit weltlichen und vor allem wirtschaftlichen Aufgaben betraut.
Das Kloster Cluny in Burgund legte als erstes den Grundstein für eine geistige
Erneuerung der bestehenden Klöster und Gemeinschaften. Doch der aufkommenden Armutsbewegung ging diese Erneuerung nicht weit genug. Es gründeten sich neue Bettelorden, die die kirchliche Antwort auf den gesellschaftlichen und spirituellen Hunger nach mehr Authentizität im Leben auf der Basis
des Evangeliums geben wollten. Das ausgehende Spätmittelalter brachte das
Ordens- und Klosterleben mit zahlreichen Neugründungen noch einmal richtig
zur Blüte, bis dann mit der Reformation im 16. Jahrhundert und den darauffolgenden Glaubenskämpfen viele Klöster geschlossen wurden und Ordensgemeinschaften in der anbrechenden Moderne zunehmend an gesellschaftlicher
Relevanz verloren.
Radikale Schwächung
Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 verfügten viele Fürsten die
Säkularisierung der meisten katholischen Besitzungen in Deutschland. Ein Ver-
Unterwegs zu Gott und den
Menschen.
Ein wichtige Aufgabe vieler
Ordensleute: Ansprechpartner
sein.
11
12
Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs
In vielen Klöstern wird traditionell
Wein angebaut.
Gemeinsam auf Jesu Spuren unterwegs 
lust, der die materielle und politische Basis
grundsätzlich angriff und von dem sich das
einst so vielfältige Ordensleben nicht mehr so
richtig erholen konnte. Hinzu kamen die sich
überschlagenden gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse, die die Bedeutung der
christlichen Religion für ein modernes Leben
vollkommen in Frage stellten.
Fast alle Orden haben Fälle von Missbrauch zu beklagen. Vor allem diejenigen,
die mit Jugendlichen und Kindern zu tun haben. Sie haben Missbrauchsstellen
eingerichtet, an die man sich wenden kann. Doch die eigentliche Hauptaufgabe scheint noch bevorzustehen. Für die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu
Christi wird es dabei um eine entscheidende Frage gehen: Lebst du Liebe?
Sie stehen stellvertretend für uns alle vor dieser großen Frage und sind damit
wieder einmal Pioniere. Auch wenn sie es vielleicht noch nicht wahrgenommen
haben. Es ist die entscheidende Frage des Christentums.
Aus den zwischenzeitlich gesamtgesellschaftlichen Pionieren wurden wieder reine Glaubens­
pioniere. Eine als Krise empfundene Entwicklung, die strukturell, emotional, intellektuell
und spirituell bis heute anhält. Besitzen die Nachfolger Jesu Christi eine spirituelle und gesellschaftliche Relevanz? Sind sie stark oder drohen sie mit der
Wirksamkeitsfrage des Christentums generell an Bedeutung zu verlieren?
Dieses Buch sucht nach den Grundlagen der großen christlichen Orden des
Abendlandes und trifft dabei vor allem auf Männer und Frauen, die sich über
die Jahrhunderte hinweg immer wieder dem Wagnis „Jesus Christus“ hingaben.
Sie machen sich auf ihren ganz eigenen Weg an die Quelle und Wurzel unseres
Lebens und können im besten Wortsinne als „Radikale“ (lat. radix, die Wurzel)
bezeichnet werden. Eine Begegnung mit ihnen bleibt nicht folgenlos.
Dieses Buch versteht sich nicht als lexikalisches Werk, das jedem Orden in
seiner Größe und Einzigartigkeit gerecht wird. Es versucht Brücken zu bauen,
Türen zu öffnen und die größten Orden möglichst anschaulich vorzustellen.
Zu vielen Menschen erscheint das Lebensmodell der Nachfolge Jesu Christi
geradezu als Antibild eines selbstbestimmten, modernen und aufgeklärten
Lebens im 21. Jahrhundert. Klöster werden geschlossen, Ordensgemeinschaften
schließen ihre Konvente mangels Nachfolger. Und das alles ohne großen Aufschrei, Demonstrationen oder medienwirksamer Empörungswellen. Die letzten
der Jesus-Christus-Nachfolger im Ordensgewand gehen einfach und machen
das Licht aus. Christliche Orden und Klöster waren einmal eine Grundfeste der
abendländischen Kultur.
Sind sie ein Fall für das Museum und den Geschichtsunterricht?
Zurück zum Ursprung, Teil II
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unterstrich die Katholische Kirche noch
einmal die Bedeutung klösterlichen Lebens in Ordensgemeinschaften und rief
ca. 25.000 Ordensschwestern und -brüder in über 400 verschiedenen Generalaten, Provinzialaten, Abteien, selbstständigen Einzelklöstern und Ordensgemeinschaften dazu auf, sich an ihre Funktion als Speerspitze der spirituellen Erneuerungsbewegung zu erinnern. Viele Reformbemühungen vor allem medialer Art
sind seitdem unternommen worden.
Während einer Wallfahrt.
13
15
Augustiner-Chorherren
und Augustiner-Chorfrauen
Der Orden der Kleriker
Gemeinschaften brauchen nicht immer das Charisma eines Gründers, um zu
funktionieren. Augustiner-Chorherrn und -Chorfrauen legen ein Gelübde auf ihr
Stift ab und gehen als Regularkanoniker ihren Diensten innerhalb der Kirche
nach. Ihrem Selbstverständnis nach bilden sie eine Dienstgemeinschaft für das
Volk Gottes. Die Institution ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen, kirchengeschichtlichen Entwicklung. Ihre Grundidee ist die Verbindung eines apostolischen Dienstamtes mit den Idealen eines klösterlichen Gemeinschaftslebens.
Wer über den Vater des abendländischen Mönchstums spricht, meint in der
Regel Benedikt von Nursia, der mit seiner Regula Benedicti die Grundlagen für
das Zusammenleben vor allem der Benediktinerorden und der aus ihnen hervorgegangenen Reformgemeinschaften der Zisterzienser und Trappisten legte.
Doch auch Benedikt hatte
Vorbilder. Neben der anonym im 6. Jahrhundert
verfassten Magisterregel
(Regula Magistri) ließ sich
Benedikt vor allem vom
Regelwerk des Augustinus von Hippo inspirieren, der im 4. Jahrhundert
in Algerien lebte und als
einer der vier lateinischen
Kirchenlehrer der Spätan-
lat. Ordo Canonicorum
Regularium Sancti
Augustini
Ordenskürzel: CRSA /
CanReg
Die Augustiner-Chorherren von
Klosterneuburg bei Wien führen
bei einer „Sakralen Tour“ Gäste
durch ihr Stift.
16
Augustiner-Chorherren und Augustiner-Chorfrauen
Die Augustiner-Chorherren beim
Chorgebet.
tike die Entwicklung des Christentums
theologisch und strukturell maßgeblich mitbeeinflusste. Als Bischof war
er selbst nicht Ordensgründer im klassischen Sinne, sondern vielmehr Reorganisator der Kirche. Für seine um ihn
herum versammelte Gruppe von Klerikern entwickelte er ein Regularium,
das apostolisch tätigen Priestern ein
Leben in klösterlicher Gemeinschaft
mit einer ausgedehnten spirituellen
Arbeit ermöglichte. Ein Gedanke, der
600 Jahre später im Hochmittelalter
zur Gründung der Augustiner-Chorherren und -Chorfrauen führen sollte.
Wer im Hochmittelalter in Diensten der Kirche stand, wählte nicht selten das
Lebensmodell eines Klerikers, der als Mitglied eines Domkapitels oder eines
Stiftskapitels an einer Kathedrale, Basilika oder Ordenskirche an der gemeinsamen Liturgie mitwirkte. Ähnlich den Ordensgemeinschaften lebten diese als
Chorherren (Chorfrauen), Kanoniker oder Stiftsherren (Stiftsfrauen) bezeichneten Kleriker aller Weihestufen ebenfalls in Gemeinschaften unter der Leitung
eines Propstes oder Abtes.
Im Gegensatz zu den Ordensgemeinschaften folgten sie jedoch lange Zeit keiner klaren Gemeinschaftsregel, was zu Unmut auf päpstlicher Seite führte. Auf
den 1059 und 1063 in Rom stattfindenden Synoden wurden sie mit Nachdruck
aufgefordert, sich auf einheitliche Regeln zu einigen. Mit Erfolg. Bis Mitte des 12.
Jahrhunderts wandelten sich fast alle Gemeinschaften zu sogenannten regulierten Chorherren- bzw. Chorfrauenstiften, die sich die Regel des heiligen Augustinus von Hippo gaben. Das Laterankonzil von 1215 bestätigte das Regelwerk,
das auf ein von Liebe und Eintracht geprägtes Leben in der Ordensgemeinschaft
zielt, das gegenseitige Ermahnen und Kontrollieren der Brüder und Schwestern
einfordert, den Verzicht auf persönlichen Besitz, Enthaltsamkeit, Unterordnung
unter die Gemeinschaft, Gehorsamkeit gegenüber der Autorität des Oberen
sowie regelmäßiges Beten vorsieht.
Seitdem werden als Augustiner-Chorherren und -Chorfrauen ein Zusammenschluss mehrerer katholischer Orden bezeichnet, die ein Gelübde auf ihr Stift
Der Orden der Kleriker
(Kloster) ablegen, nach der Regel des heiligen Augustinus leben, das feierliche
Stundengebet pflegen und zugleich in der Seelsorge tätig sind.
Bei den Augustiner-Chorherren handelt es sich zumeist um Priestergemeinschaften.
Augustiner-Chorfrauen sind wesentlich seltener. Der bekannteste Orden, die
Augustiner-Chorfrauen der Congregatio Beatae Mariae Virginis, wurde 1597 vom
hl. Pierre Fourier, Augustiner-Chorherr, und der sel. Alix Le Clerc in Lothringen
gegründet. Die apostolische Aufgabe des Ordens ist die Erziehung. In Deutschland ist der Orden seit 1640 tätig. Es bestehen heute drei autonome Klöster in
Essen, Offenburg und Paderborn, die in einer Föderation zusammengeschlossen sind, der auch ein Kloster in Bratislava (Slowakei) angehört.
Jedes Kloster (Stift) bildet eine Lebensgemeinschaft, besitzt eine Rechtspersönlichkeit und damit grundsätzliche Eigenständigkeit. Die Klöster mit einem verantwortlichen Propst an der Spitze sind zusammengeschlossen in einer „Kongregation“. Oberstes Organ ist das „Generalkapitel“ (Obere und Vertreter der
Stifte), welches den Generalabt wählt.
Papst Johannes XXIII. gründete 1959 die Konföderation der Augustiner-Chorherren, in der alle Kongregationen zusammengefasst sind. An ihrer Spitze steht ein
Abtprimas als höchster Repräsentant des Ordens.
Während der Reformation im 16. Jahrhundert und der Säkularisation zu Beginn
der Neuzeit wurden im deutschsprachigen Raum die Augustiner-Chorherrenstifte überwiegend aufgelöst.
17
Die umfangreiche Stiftsbibliothek
des Augustiner-Chorherrenstifts
Neustift in Südtirol zeugt von der
kulturellen Bedeutung des Stifts.
Abt beim Rundgang im Stiftsgarten.
18
Augustiner-Chorherren und Augustiner-Chorfrauen
In Deutschland gibt es erst seit 1973
wieder Chorherren, in Österreich hielten sich einige Stifte durchgehend.
Der Konföderation der AugustinerChorherren gehören neun Kongregationen mit ca. 850 Mitgliedern in 100
Niederlassungen an.
Spiritualität
Im österreichischen AugustinerChorherrenstift Reichersberg
verkostet ein Mönch den Chorherrenkäse.
Habit
Augustiner-Chorherren
tragen einen Gürtel und
eine Mozetta (ein bis zu
den Ellenbogen reichender und vorn geknöpfter
Umhang).
Bekannte Stifte
Stift Klosterneuburg
Stift Herzogenburg
Rechts: Bei der Feuerweihe
in der Osternacht werden
im Kreuzgang heilige Öle
verbrannt.
Die Spiritualität der Augustiner-Chorherren und -Chorfrauen beruht auf
dem Glaubensverständnis des heiligen Augustinus. Die Einwohnung
Gottes bedeutet: „Gott ist uns näher, als wir uns selbst nahe sind.“ Der heilige
Augustinus betont daher, dass im Sinne eines urkirchlichen Verständnisses die
Gemeinschaft der Gläubigen ein Herz und eine Seele auf Gott hin werden soll.
Diese doppelte Gemeinschaft bildet den sogenannten Tempel Gottes und damit
den Mittelpunkt des spirituellen Lebens.
Laiengemeinschaft
Die Augustiner-Chorherren kennen keine klassische, organisierte Laienarbeit.
Einzelne Gemeinschaften bieten jedoch Interessierten einen intensiveren Kontakt zum jeweiligen Stift bzw. zur jeweiligen Gemeinschaft an.
Weitere Informationen
Augustiner-Chorherrenstift Neustift Stiftsstraße 1
39040 Vahrn
Südtirol / Italien
Tel.: +39 (0)472 / 836 189
E-Mail: [email protected]
www.kloster-neustift.it
19
Benediktiner und
Benediktinerinnen
Der älteste christliche Orden
Der Name ist Programm: Benedikt – der Gesegnete. Nicht ohne Grund nahm
Kardinal Ratzinger nach seiner Papstwahl den Namen des Patrons Europas und
Erfinders des abendländischen Mönchtums Benedikt von Nursia an. Zahlreiche
Legenden ranken sich um den Urvater aller christlichen Ordensgemeinschaften
und Klöster, der mit der Einführung des strukturierten Ordenslebens für eine
geistig-kulturelle Transformation der christlichen Lebenswelt sorgte. Benedikt,
der Fels, auf dem das christliche Europa aufgebaut war, und dann noch ein
Benedikt als Papst und Nachfolger Petri – der Fels der Katholischen Kirche:
Mehr Basisarbeit war kaum möglich.
Es war ebenfalls ein Papst, der früh die Größe des Wirkens von Benedikt erkannte
und in der einzigen, aktuell vorliegenden Quelle elegisch ausbreitete: Gregor der
Große, Autor der Dialogi und Fürsprecher des heiligen Benedikt. Auch wenn
aus Forschungssicht die Darstellungen Gregors umstritten sind, ist das Wirken
der Person Benedikts unbestritten: Fasziniert vom Leben urchristlicher Gemeinschaften im Mittelmeerraum ging der Sohn eines reichen Landbesitzers im
5. Jahrhundert nach Rom zum Studium. Angeblich enttäuscht vom der Sittenlosigkeit seiner Mitstudenten verließ er wie 1.000 Jahre später der Augustinereremit Martin Luther wütend die Stadt und zog sich in eine Berghöhle bei Subiaco
östlich von Rom zurück. Hier, in der Einsamkeit soll es geschehen sein, hier
soll er zu einer tiefen Christusbeziehung gelangt sein und getreu der Versprechungen aus dem Neuen Testament in Jesu Nachfolge Wunder gewirkt haben.
Selbst die Erweckung von Toten wird ihm zugeschrieben. All dies sprach sich
rasch herum, und so wurde aus seiner Gottesbegegnung ein neuer Weg, den
Johannes der Täufer so vorweggenommen hat: „Mitten unter euch stehet einer,
lat. Ordo Sancti Benedicti
Ordenskürzel: OSB
Der Ordensgründer: Benedikt von
Nursia
20
Benediktiner und Benediktinerinnen
Der älteste christliche Orden
21
den ihr nicht kennt“ (Joh 1,26). Benedikt stellte straffe Regeln auf für das Miteinander in einer geistlichen Gemeinschaft, vollendet später im Kloster Monte
Cassino als Regula Benedicti. Heutige Manager würden seinen Ansatz als minimal-invasiven Führungsstil verstehen. Wenige Regeln, die unbedingt einzuhalten sind, um im täglichen Leben das Funktionieren der Gemeinschaft und die
Qualität der geistlichen Arbeit zu sichern.
Äbtissin Clementia Killewald bei der Weinlese im Klosterweingut der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Eibingen bei
Rüdesheim.
Voraussetzung ist die totale Hingabe an die Mitmenschen und an Gott. Und
es bedeutet die Überwindung des Ego, das dem dienenden Wir im Weg steht.
In seiner Einfachheit war dies eine offene Kampfansage an die Selbstgewissheit
seiner Mitbrüder im Kloster Vicovaro, dem Benedikt zunächst als Abt vorstand.
Denn als Zöglinge reicher Eltern und Adeliger konnten sie die Nivellierung im
Namen des Herrn und des gemeinschaftlichen Weges nur schwer ertragen.
Zwei Mal versuchten sie gar, Benedikt zu töten. Beide Versuche scheiterten.
Beim ersten Giftanschlag soll Benedikts Weinbecher zersprungen sein, beim
zweiten rettet ein Rabe, der ihm das Brot aus der Hand entwendete, das Leben
des genialen Denkers.
Damit waren alle Zweifel an der besonderen Mission Benedikts ausgeräumt und
die Grundlage für sein breitenwirksames Handeln gelegt.
Als eigentlicher Ursprungsort der benediktinischen Gemeinschaft gilt jedoch
das von Benedikt im Jahr 529 gegründete Kloster Monte Cassino. Hier führte er
die Urgemeinschaft seiner Mitbrüder auf der Grundlage seiner
praktischen Ordensregeln für das Tagwerk und den spirituellen Weg bis zu seinem Tod am Gründonnerstag des Jahres 547. Seinen Mitbrüdern mag der Klosterweg sehr hart
vorgekommen sein, doch der letzte Gang Benedikts ins
Himmelreich soll auf lichterfüllter Straße von Engeln
begleitet worden sein.
Vielleicht ist diese Darstellung nur eine Legende.
Wahrlich legendär dagegen bleibt das spiri­tuelle Erbe Benedikts
und seiner Zwillingsschwester Scholastika, die der Legende
nach das Gemein-
Gründung
529 durch die Klostergründung bei Monte
Cassino
Motto
Ut in omnibus glorificetur Deus.
Auf dass Gott in allem
verherrlicht werde.
Oben: Das Wappen der Benediktiner; links: Notker Wolf, seit 2000
Abtprimas und damit oberster
Repräsentant der Benediktiner,
greift gelegentlich auch zur
E-Gitarre.
22
Benediktiner und Benediktinerinnen
schaftsprinzip auch für Frauen möglich gemacht hat – ein einfacher Wegweiser für christliche Suchende im Ordensgewand durch die Jahrhunderte hinweg.
Und aller Postmoderne zum Trotz brandaktuell.
Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: allein sein
Das Wort „Mönch“ leitet sich ab vom griechischen „monos“ und meint allein
lebend. Die „Nonne“ ist lateinischen Ursprungs (nonnus) und heißt Mönch,
nonna ist die weibliche Form davon. Es ist eine religiöse Urerfahrung, dass zum
Gottsuchen das Alleinsein gehört. Im Gebet, in der Beschäftigung mit der Offenbarung durch Lesung und Meditation, im Durchdenken des höchstpersönlichen
Lebenssinnes braucht der Mensch das Alleinsein. Nur wer ganz „bei sich“ ist,
kann auch bei Gott sein. So ist GOTT SUCHEN die erste Forderung, die der
Mönchsvater Benedikt an seine Schüler stellt. Das Kloster trägt dieser Forderung Rechnung, indem es seinen Mitgliedern ermöglicht, in der Stille der Zelle,
der Klausur, der Kapelle Zeiten des Schweigens und der Sammlung einzulegen.
So soll der gehetzte Mensch zur Ruhe kommen, seine Wesensbestimmung
erkennen, die letztlich darin besteht, aus seiner Unruhe heraus und in Gott zur
Ruhe zu kommen.
Unten: Benediktiner beim Chorgebet; rechts: Hl. Hildegard von
Bingen
Der älteste christliche Orden
viermal am Tag gemeinsam im Chorgebet den Gottesdienst, halten die Tischund Erholungszeiten und finden Gesprächspartner. Sie erfahren, dass sie in
diesem Lebensrhythmus des Für-sich- und Miteinander-Seins nicht nur einem
Wesensbedürfnis des Menschen entsprechen, sondern der Lebensweise ihres
Lehrmeisters Jesus Christus, der sowohl das Leben in der Abgeschiedenheit
kannte als auch die Gemeinsamkeit der Jüngerschaft.
Bekannte Ordensmitglieder
• Hl. Bonifiatius
• Hl. Hildegard von
Bingen
• Anselm Grün
• Notker Wolf
Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: Beten und arbeiten
Ora et labora, bete und arbeite ist das zeitlos gültige Motto des benediktinischen
Lebens. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Und wie sieht die Arbeit
aus? Sie ergibt sich aus dem Charakter des Mönchs und der Nonne, die Dienende sein sollen. Gott und den Menschen gegenüber. Im Gottesdienst bereiten sie vor, was sie im Dienst am Menschen ausführen: ihnen durch ihre Arbeit
zu helfen und so ihre Liebe zu zeigen. Benediktiner sehen ihre Aufgabe zumeist
im sozialen Sektor: Sie können Seelsorger, Erzieher, Lehrer sein; aber auch in
Wissenschaft und Handwerk Aufgaben übernehmen. Das Kloster ermöglicht
alles Nötige. Eine gründliche Fachausbildung, einen befriedigenden Tätigkeitsbereich, einen überschaubaren Wirkungskreis, in dem der Einzelne nicht nur
Rädchen und Funktion ist, sondern Person bleiben kann.
Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: in der Gemeinschaft sein
Benediktiner sind keine Einsiedler. Immer wieder treten sie aus der Einsamkeit heraus in die brüderliche und schwesterliche Gemeinschaft. So feiern sie
23
Benediktiner / Benediktinerin sein heißt: Zeichen setzen
Der klösterliche Mensch strebt kein weltfernes Dahinphilosophieren an, er
will Tag für Tag sichtbar machen, was Christus ihm bedeutet.
Darum sieht er in seinem Abt den Stellvertreter Christi für
die eigene Gemeinschaft. Die Gelübde (Gehorsam, Zugehörigkeit zur Abtei, Bekehrung des Eigenlebens) sollen ihm in
persönlicher Bedürfnislosigkeit und in aller Freiheit von individuellen Bindungen ein Leben in der Christusnachfolge und
Gottesbegegnung erlauben. Alle Brüder und Schwestern sind
in der Gemeinschaft gleichberechtigt und wollen im Kleinen – aber doch sichtbar – darstellen, was die Kirche im
Großen anstrebt: ganz für Christus da zu sein und dadurch
das ersehnte Ziel der Gottesnähe zu erhalten. So wird ihr
Leben und Arbeiten, ihr Gottesdienst und ihr Auftreten zu
einem öffentlichen Zeugnis für Christus.
Bekannte Klöster und
Kongregationen
• Monte Cassino
• Subiaco
• Solesmes an der Sarthe
Ordenspatron
St. Benedikt (mit Stab und
Giftbecher)
24
Benediktiner und Benediktinerinnen
Der älteste christliche Orden
che Leben in der Gemeinschaft auf den eigentlichen Mittelpunkt, Jesus Christus, hin aus, um in seiner Gegenwart
zu leben. Die erste Gebetszeit findet in den frühen Morgenstunden statt (zwischen 4 Uhr und 6 Uhr), die letzte
nach Sonnenuntergang. Höhepunkt ist die tägliche heilige
Messe. Der Gottesdienst gliedert den Tag in Lesung und
Arbeit. Nach der letzten Gebetszeit beginnt die Nachtruhe.
Aber auch das persönliche Gebet und das Meditieren der
Heiligen Schrift, die so genannten lectio divina, verbindet
den Mönch und die Nonne mit Gott.
Zu meist biblischen Themen
gestaltet Sr. Christophora Janssen
in der Abtei St. Hildegard Bildsäulen aus Ton.
Laiengemeinschaft
Benediktiner Oblaten (oblatus = der Hingegebene, Aufgeopferte, Dargebrachte)
Mutter Nikola, die Leiterin des
Benediktinerinnen-Klosters in
Minster Abbey in Südengland,
pflegt die Blumen im Klostergarten.
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Benediktiner / Benediktinerin sein heute:
Die meisten Benediktinerinnen und Benediktiner innerhalb der katholischen Kirche leben in Klausur. Es gibt jedoch auch nichtklausurierte Gemeinschaften, die
vor allem Aufgaben außerhalb des Klosters übernehmen. Auch im Anglikanismus
und vereinzelt im Luthertum sind benediktinische Klöster erhalten geblieben.
Häufig gehören die Klöster heute sogenannten „Kongregationen“ an: selbständige Zusammenschlüsse mehrerer Klostergemeinschaften.
Arbeitsgemeinschaft Benediktineroblaten im deutschsprachigen Raum
Sitz: Erzabtei St. Martin
Abteistr. 2
88605 Beuron
Ordenstracht
Weitere Informationen
Die Ordenskleidung der Benediktiner und Benediktinerinnen, der „Habit“, ist
ein schwarzes Kleid mit weißem Kragen. Es symbolisiert die Hingabe des ganzen Menschen an Gott.
Der äußere Habitus soll dabei die innere Haltung zum Ausdruck bringen und
auch fördern.
Benediktinerabtei Ettal
Kaiser-Ludwig-Platz 1
82488 Ettal
Deutschland
Spirituelle Besonderheit
Das Herz benediktinischer Spiritualität ist die Regula Benedicti, die Benediktregel. Sie soll das Leben in der Nachfolge und nach dem Beispiel Jesus Christus
ermöglichen. Die Benediktregel soll im Menschen ein organisch geistliches
Wachstum anregen.
Die Basis der konkreten benediktinischen Spiritualität bildet das mehrmals
am Tag stattfindende Stundengebet in der Gemeinschaft: Vigil, Laudes, Terz,
Sext, Non, Vesper und Komplet (Regula Benedicti, 16). Es richtet das persönli-
http://benediktineroblaten.de
Tel: 08822 74-0
E-Mail: [email protected]
http://abtei.kloster-ettal.de
Vereinigung Benediktinischer Frauenklöster im Deutschen
Sprachgebiet
Schwester Placida Bielefeld OSB
[email protected]
Tel: 02152/9154614
http://www.benediktinerinnen.de/
Sr. Dorothea ist Expertin für die
Erhaltung und Restaurierung von
alten Büchern.
Pater Willibrod, Kantor der
Benediktiner-Abtei Maria Laach,
begleitet die Gebete der Mönche.
26
Benediktiner und Benediktinerinnen
Rechts: Alt und Jung nebeneinander: Sr. Michaela und Sr. Paschalis
aus der Benediktinerinnenabtei
zur Heiligen Maria in Fulda;
unten: die Benediktiner von Kloster Ettal.
Rechts: Die Mönche der Abtei Ettal beim Gottesdienst.
Der älteste christliche Orden
Links: Vielen Menschen ist er als Autor
bekannt: Pater Anselm Grün war
bis 2013 Cellerar der Abtei Münsterschwarzach; unten: Sr. Agatha bei der
Gartenarbeit.
27
Der Predigerorden
28
Dominikaner und
Dominikanerinnen
Der Predigerorden
lat. Ordo fratrum Praedicatorum
Ordenskürzel: OP
Gründung
1218
Dominikaner und Dominikanerinnen im Gespräch.
Der Glaube ist nichts für Unentschiedene. Denn wer die Verbindung zu Gott
will, ist als Mensch in seiner Ganzheit gefordert. Damit trennt der Glaube und
macht gleichzeitig einen Unterschied: zwischen einem Menschenleben mit und
ohne Gott. Das klingt nach einem Weg in Schwarz-Weiß, ist aber eine Voraussetzung für Erneuerung: Seit jeher ist dies der Weg der Dominikaner. Gesellschaftlich nicht unumstritten, aber immer streitbar für die Sache des Herrn.
Der Ruf nach einer Erneuerung der Kirche ist so alt wie das Christentum selbst.
Wer weiß das besser als die Angehörigen sogenannter Reformorden wie dem
Dominikanerorden, die in den dunklen Zeiten der Kirche das Licht der irdischen
Welt erblickten? Und immer sind es ähnliche Zeitzeichen, die auf eine nötige
Erneuerung der Botschaft, des Glaubens und der
Institution Kirche verweisen: eine wahrgenommene
Entfremdung von Kirchenoffiziellen und Gläubigen,
mangelndes lebendiges Zeugnis Christi durch irdisch
verstricktes Leben und das Aufkommen neuer Spiritualitätsformen und Glaubensgemeinschaften. Im 12.
Jahrhundert waren es die Katharer (auch: Albigenser),
die in einer Zeit der Wirren und Not vor allem bei den
Bauern, Handwerkern und einfachen Stadtbürgern in
Frankreich und Spanien erfolgreich wirken konnten.
Sie holten, wie wir es heute ausdrücken würden, die
Suchenden auf Augenhöhe in ihrer Lebenswirklichkeit
ab: Als bettelnde Männer und Frauen wanderten sie
29
zu Fuß und in kleinen Gruppen von Ort zu Ort.
Armut, Bescheidenheit und Enthaltsamkeit waren
ihre Begleiter auf dem Weg zum Guten. Damit
bildeten sie in der Welt des Hochmittelalters
einen krassen Widerspruch zum Lebensmodell
vieler Kirchenmänner und wirkten als Botschafter
Christi glaubwürdiger als die vielfach ungebildete
und auf Kirchenpfründe bedachte Geistlichkeit.
Ein Leben auf Augenhöhe mit den Gläubigen
Als Dominikus, der Gründungsvater des späteren Ordens, 1170 in Kastilien
geboren wurde, waren die Katharer mit ihrer Arbeit bereits so erfolgreich, dass
Rom ernsthaft um seine Glaubensvorherrschaft in Spanien und Frankreich
fürchten musste. Papst Innozenz III. beauftragte den Zisterzienserorden mit
der Re­evangelisierung – ohne nennenswerten Erfolg. Bis der bereits erwachsene
und ordinierte Dominikus zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf einer seiner Reisen
durch Südfrankreich visionsartig verstand, warum die Kirche keinen Weg mehr
zu den Herzen der Menschen fand: Er sah die Zisterzienserlegaten hoch zu
Ross in kostbare Gewänder gehüllt und die Katharer in Armut umherwandern.
Heute hieße das Urteil: Die katholische Kirche litt allem Anschein nach an
einem sichtbaren Authentizitätsdefizit. Das Leben Christi und das Leben
der Kirche standen sich gegenüber wie die Farben Schwarz und Weiß.
Der Überlieferung nach sah die Mutter von Dominikus vor seiner
Geburt im Traum einen schwarz-weißen Hund, der mit einer brennenden Fackel um die Welt lief; dies wurde als Hinweis auf die
göttliche Redekunst des Knaben gedeutet, die einst die ganze
Welt erleuchten sollte. Und tatsächlich fand Dominikus nach seiner Vision seine innere Berufung: Als Bettelmönch in täglicher
Kontemplation dem Herrn in der Anschauung direkt zu begegnen
und so beseelt die Menschen wieder für die wahre Botschaft Christi
zu gewinnen. Denn nur wer im direkten Kontakt mit Jesus Christus
stünde, könne ein lebendiges Beispiel für die frohe Botschaft sein, war
seine Überzeugung. Damit setzte Dominikus bewusst die innere Arbeit vor die
in den kommenden Jahren für den Dominikanerorden immer wichtiger werdende akademische Schriftarbeit und ermahnte die kleine Schar seiner Mitbrüder, täglich „mit Gott und von Gott zu sprechen“ und das Evangelium
Das Mantelwappen der Dominikaner ist seit dem späten Mittelalter bekannt; das Lilienkreuzwappen wird seit Ende des 19.
Jahrhunderts verwendet.
Der Ordensgründer,
der hl. Dominikus.
30
Dominikaner und Dominikanerinnen
Eine Dominikanerin erntet Blüten
im Garten des Klosters Arenberg.
Schwester Jordana Schmidt OP
lebt als Kinderdorfmutter im
Bethanien-Kinderdorf in Schwalmtal mit fünf Kindern zusammen.
in der Verkündigung, dem Gebet, der Eucharistiefeier und
der Meditation zu suchen und zu verwirklichen. 1207/1208
gründete er in Prouille ein Kloster für bekehrte Katharerinnen und begann parallel zum bereits laufenden Katharerfeldzug des Papstes, allein durch sein tägliches Lebensbeispiel Menschen für die Kirche zurückzugewinnen. Ein
schwieriges Unterfangen, standen doch die weltpolitischen
Zeichen auf Sturm: Entschlossen befreite der päpstliche
Heerzug unter Simon IV. de Montfort Stadt um Stadt von
den Katharern und verteilte die politische Macht neu. Wo
auch immer Dominikus hinkam: Er betrat Kriegsgebiet und
fand körperlich erschöpfte Menschen vor. Um ihnen helfen
zu können, erweiterte er seine Kontemplationsarbeit um
Gesten und Körperhaltungen, die bis heute ein Beispiel leiblichen Betens in
der christlichen Tradition darstellen. Für den Aufbau seiner eigenen Gemeinschaft übernahm er 1215 nach der offiziellen Anerkennung als Orden durch
Bischof Fulko von Toulouse zusätzlich das feierliche Chorgebet, die
Augustinerregel und gab seinen Brüdern die Weisung, sie sollten
„als Männer des Evangeliums, die den Spuren ihres Erlösers folgen, mit Gott und von Gott sprechen, untereinander und mit den
Nächsten“ (Satzungen von 1220). Schnell wurde Dominikus bei
seinem „Kampf gegen die Häresie“ klar, dass die reine Kontemplation für die meisten seiner Brüder nicht ausreichte, um
im täglichen Seelenwettstreit bestehen zu können. Essenziell wurde ein ergänzendes Schriftstudium, um den
bibel­erfahrenen Katharern begegnen und das Charisma des eigenen Ordens, die Predigt, entflammen
zu können. Das sollte in den kommenden Jahrhunderten
in ein generelles Studium der Welt einfließen und den Dominikanerorden als Gemeinschaft der Gelehrten in der katholischen
Familie berühmt machen.
Ein neuer Orden für die Bedürfnisse der Zeit
Vor allem junge Männer aus den Städten fanden Gefallen an
dieser revolutionären Mischung aus Kontemplation, Studium, Predigt, Leben in apostolischer Armut und demokra-
Der Predigerorden
tischer Verfassung der Ordensgemeinschaft (gemeinschaftliche Verantwortung
aller Brüder für das Ordensleben), so dass Dominikus schon am Fest Mariä
Himmelfahrt 1217 seine Brüder nach Paris und Spanien entsenden konnte, um
neue Konvente zu gründen. Bereits 1220 zählte der Orden über 60 Niederlassungen in Europa und konnte seine erste Generalversammlung abhalten. Ein
enormer Erfolg für eine so junge Bewegung, die allerdings ein Jahr später ihren
Gründer im Alter von nur 51 Jahren verlor. Es war im Jahr 1244, als der Sohn
eines italienischen Grafen gegen den Willen seiner Familie in den Orden eintrat:
Thomas von Aquin sollte später die europäische Geistesgeschichte prägen wie
kaum jemand sonst, die scholastische Theologie des späteren Kirchenlehrers in
der gotischen Architektur seinen Ausdruck finden.
31
Bekannte Ordensmitglieder
•
•
•
•
Meister Eckhart
Thomas von Aquin
Fra Angelico
Christoph Kardinal
Schönborn
• Katharina von Siena
Bekannte Klöster
• K
atharinenkloster
Nürnberg
Geliebt und gefürchtet: Die Hunde des Herrn (domini canes)
Der Orden hatte sich gewandelt und stabilisiert. In Schwarz als Zeichen der
Buße über der Freudenfarbe Weiß gekleidet, verkündeten die Brüder nun nicht
mehr als Kanoniker-, sondern als Bettelorden sui generis mit Feuereifer das Wort
des Herrn. Und das so sprichwörtlich, dass viele von ihnen für den Dienst in der
Inquisition nutzbar gemacht wurden: Als Domini canes (Hunde des Herrn), wie
sie im Volksmund genannt wurden, wirkten sie fast das gesamte Mittelalter hindurch sowohl als spirituelle Mystiker wie Meister Eckhart und Elsbeth von Oye,
als Prediger und Inquisitoren im Kampf gegen die Katharer, die kircheninterne
Häresiebewegung, als auch im Rahmen der später einsetzenden Hexenverfolgung. So führten vor allem bedeutende Dominikanerinquisitoren wie Bernard Gui († 1331),
Walter Kerlinger († 1373), Tomás de Torquemada († 1498),
der erste Generalinquisitor der Spanischen Inquisition,
oder Heinrich Kramer, der Autor des Hexenhammers, die
ursprünglich lichtvoll entsonnene Arbeit des Ordens zeitweise in die Dunkelheit: Ein Stigma, das den Orden trotz
intensiver geschichtlicher Aufarbeitung bis heute verfolgt.
Noch heute führt er u. a. das Lilienkreuz im Wappen, ein
ursprünglich der Inquisition zugeordnetes Symbol auf
schwarz-weißem Grund. Die über 6.000 ordinierten Dominikaner des ersten Ordens, die 30.000 Schwestern des
zweiten kontemplativen Ordens sowie des karitativ, erzieherisch, pflegerisch oder missionarisch tätigen dritten
Das stille Gebet vor dem Allerheiligsten ist für die Dominikanerinnen von Bethanien eine wichtige
Kraftquelle.
32
Dominikaner und Dominikanerinnen
Der Habit der Dominikaner:
schwarz und weiß.
Motto
Veritas (Wahrheit)
Die Predigt hat für Dominikaner
einen so großen Stellenwert, dass
der Orden auch als „Predigerorden“ bezeichnet wird. Hier predigt
der Provinzial der Dominikanerprovinz Teutonia, Johannes Bunnenberg OP.
Ordens und die Angehörigen des Laienordens sind sich all dessen bewusst.
Doch aus den ehemaligen Hunden des
Herrn sind mittlerweile starke Anwälte
der Gerechtigkeit geworden, die weltweit
für die Befreiung des Menschen aus seiner irdischen Unmündigkeit arbeiten und
ihre enorme spirituelle und geistige Kraft
aus der Katechese in nichtchristlichen
Kulturen und einer tiefen Kontemplation
beziehen. Ganz im Geiste des Dominikus wollen sie mit allen modernen Werkzeugen der Kommunikation Licht in die
Dunkelheit bringen und die Herzen der
Menschen für eine erneute Wiedereinkehr Jesu Christi öffnen. Eine Aufgabe,
die nicht ohne Widerstand zu erfüllen ist. Aber die Begegnung der Gegensätze
haben die Dominikaner schließlich noch nie gefürchtet.
Der Predigerorden
Laiengemeinschaft
Dominikanische Laiengemeinschaft – Provinz Teutonia
Talstr. 68
40217 Düsseldorf
Provinzpräsidentin
Christine Hartmann
Tel: 02227 5112
E-Mail: [email protected]
www.laiendominikaner.de
Weitere Informationen
Provinzialat der Provinz Teutonia
Dominikanerprovinz Teutonia
Lindenstraße 45
50674 Köln
Tel: 0221 / 58 07 00-06
Fax: 0221 / 271 144 25
Habit
Dominikaner tragen einen weißen Habit mit Gürtel, weißem Skapulier, weißer
Kapuze, dazu einen schwarzen Radmantel und einen schwarzen Schleier.
E-Mail: [email protected]
www.dominikaner.de
Spiritualität: Predigt und Kontemplation
Arbeitsgemeinschaft der Dominikanerinnen in Deutschland, Österreich
und Schweiz
Sr. Sara Böhmer OP
Tel.: 0031 475 569 333
E-Mail: [email protected]
www.dominikanerinnen.net
Die Spiritualität des Ordens orientiert sich an dem von Papst Honorius III. formulierten Ziel, „den Namen des Herrn Jesus Christus aller Welt zu verkündigen“. Grundlage der Verkündigung ist jedoch die innere Kontemplation: „contemplari et contemplata aliis tradere“ – „sich der Kontemplation widmen und
die Frucht der Kontemplation weitergeben“ (Thomas von Aquin) sowie das
ständige Studium der Wissenschaften.
Die Feier der Eucharistie, das gemeinsame Stundengebet, die Schriftlesung, die
Betrachtung und das persönliche Gebet gelten ferner als wesentliche Elemente
der vita contemplativa.
33
Dominikanerinnen während eines
Gottesdienstes.
34
Dominikaner und Dominikanerinnen
Der Predigerorden
Oben: Die Dominikaner verhalfen
dem Rosenkranz zu seiner großen
Verbreitung. Beim Eintritt in den
Orden verpflichten sich Dominikaner und Dominikanerinnen, den
Rosenkranz täglich zu beten; links:
Eine der wichtigsten Aufgaben der
Dominikanerinnen von Bethanien
ist es, Menschen zuzuhören.
Dominikanerinnen beim Kräuterzupfen.
Oben: Sr. Heike musiziert mit
Familien bei einem Familienwochenende der Missionsdominikanerinnen vom Hl. Herzen Jesu;
links: Der heilige Dominikus war
ein Wanderprediger. Auch heute
noch verkündigen seine Brüder
und Schwestern das Evangelium,
wohin auch immer sie kommen.
35
Der charismatische Bettelorden
36
Franziskaner und
Franziskanerinnen
Der charismatische Bettelorden
lat. Ordo Fratrum Minorum, deutsch: Orden der
Minderen Brüder
Ordenskürzel: OFM
Gründung
1212
Bei einer feierlichen Profess im
Provinzialat in München.
Das Niedere suchen, um das Höchste zu finden: Das ist der Weg der Minoritenbrüder-Orden, deren Grundstein Franz von Assisi im 13. Jahrhundert legte, um
gemäß dem Evangelium in direkter Nachfolge Christi zu leben. Was so einfach
klingt, bedeutet das Schwierigste überhaupt. Den Weg der totalen Umkehr von
sich und der bekannten Welt. Die Franziskaner gehen ihn immer noch. Sie gehen
ihn in Sandalen und hinterlassen dabei große Spuren gelebten Christentums.
Kein Orden weltweit genießt so viel Respekt, keiner ist so stark geprägt von seinem Gründer wie der Franziskanerorden. Dabei wollte Franziskus ursprünglich
keinen Orden schaffen. Seine Mission war die Nachahmung des Lebens Jesu
Christi gemäß dem Evangelium – sine glossa, ohne aufgesetzte Deutung. So
einfach. So radikal. Sein eigenes Leben war für viele Zeitgenossen des Hochmittelalters so sehr Beispiel, dass sich Gleichgesinnte mit
ihm auf den Weg machten, um Frieden und Segen (Pax et
Bonum, die Grußformel des Heiligen) zu finden und weiterzugeben. Endlich ein starkes Zeugnis gelebten Glaubens!
1210 bestätigte Papst Innozenz III. den von Franz ins Leben
gerufenen Orden der Minderen Brüder, einen der vier großen Bettelorden des Mittelalters und das Herz weiterer
Gemeinschaften wie u. a. der Kapuziner (sog. 1. Orden), der
Klarissen (sog. 2. Orden), der Franziskanischen Laiengemeinschaften oder zahlreicher Frauengemeinschaften wie
die Franziskanerinnen und Elisabethinen (sog. 3. Orden),
die sich als aktiver Teil der Franziskanischen Gemeinschaft
verstehen. Eine Familie, die durch ihre gelebte Spiritualität und ihr Armutsideal
zu allen Zeiten große Anziehungskraft auf Menschen ausübte – und zugleich
durch das Absolute ihres Gründers, Franz von Assisi, ebenso viele verschreckte:
Denn der Weg der armen Brüder und Schwestern erfordert die Überwindung
des Egos, die totale Hingabe an Gott. Das scheint für die meisten Menschen
übermenschlich, nicht lebbar. Oder, wie die Bayern es ausdrücken: „Franz is
koaner.“
Wer war dieser Franz, der von so vielen Menschen aus allen Religionen als „heiliger Narr“, als „Bruder“, als „Schamane“ verehrt wird, und was kennzeichnet
seine Spiritualität?
Wie so viele große Gottessucher in allen Religionen hatte auch Franz zwei irdische Leben. Eines als Sohn wohlhabender Eltern und ein zweites in Jesus Christus. Als Giovanni kam er 1181/1182 in der umbrischen Stadt Assisi auf die Welt.
Sein Vater, ein wohlhabender Tuchhändler und angesehener Bürger der Stadt,
hatte große Pläne mit ihm: Gut ausgebildet sollte der nach einer Frankreichreise
fortan Franziskus (Francesco) Genannte einmal werden, durch Handel die Ehre
der Familie mehren. Doch das kriegerische Hochmittelalter hatte anderes mit
Franziskus vor: Als Soldat wurde er gefangen genommen, innerlich gebrochen
kehrte er nach Hause zurück. Sein Traum war dahin, als Ritter für Ehre und
Vaterland zu kämpfen. Wo war der neue Halt? Auf der Suche danach schloss
er sich 1205 papsttreuen Truppen erneut zu einem Kriegszug nach Süditalien
an. Während der Reise wandte sich Gott an ihn in einem Traum und rief ihn
auf, sich in seinen Dienst zu stellen. „Wer kann dir Besseres geben? Der Herr
oder der Knecht?“ Franziskus brach mit seinem alten Leben. Er suchte in der
Einsamkeit die Antworten auf all seine Fragen.
Wer mag nachzuvollziehen, was er in sich fand, wer möchte sich seine inneren
Kämpfe vorstellen? Einfach zu haben war sie gewiss nicht, die Erkenntnis, dass
da keine Wahrheit ist außerhalb der Liebe – in ihren vielen Ausprägungen.
1205 ging er auf eine Wallfahrt nach Rom, mit einem Bettler am Wegesrand tauschte er seine Kleidung, die braune Kutte war jetzt sichtbarer
Ausdruck seiner Entschiedenheit, fortan ein Leben in Armut zu führen.
Während eines Gebetes in San Damiano, so die Überlieferung, sprach
Jesus Christus zu ihm: „Franziskus, geh und baue mein Haus wieder
auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“ Er gehorchte.
Als er jedoch mit dem Geld seines Vaters das Baumaterial für die zerfallende Kapelle besorgte, kam es zum endgültigen Bruch zwischen Vater
37
Das Wappen des Franziskanerordens zeigt eine Hand Jesu und
eine Hand des hl. Franziskus über
den Wolken. Beide sind von den
Wundmalen der Nägel gezeichnet. In der Mitte ragt das Kreuz
empor.
Franz von Assisi, Ordensgründer
der Franziskaner.
82
Salesianer und Salesianerinnen
Umweltbildung im Kloster
Ensdorf: Kanutour auf der
Vils mit Bruder Robert Reiner
SDB.
83
Communauté de Taizé
Der Orden der Ökumene und der Versöhnung
Ein Gleichnis der Gemeinschaft
Weitere Informationen
Deutsche Provinz der Salesianer Don Boscos
Referat für Öffentlichkeitsarbeit
Gabriele Merk
St.-Wolfgangs-Platz 10
81669 München
Tel: 089 / 48008 460
Fax: 089 / 48008 461
E-Mail: [email protected]
www.donbosco.de
„Nie wieder Krieg!“ So ähnlich drückte es die Großmutter Frère Rogers aus, die
während des Ersten Weltkriegs im Norden Frankreichs monatelang Flüchtlinge
in ihrem Haus beherbergte. Als sie, die aus einer alten evangelischen Familie
stammte, durch die Kriegswirren in den Süden Frankreichs verschlagen wurde,
begann sie, eine katholische Kirche zu besuchen. „Damit
tat sie ohne Aufschub einen Schritt der Versöhnung (…)
Sie sehnte sich danach, dass sich wenigstens die Christen in Europa miteinander versöhnen, um einen weiteren
Krieg zu verhindern.“
1940 tat ihr Enkel Roger mit gerade einmal fünfundzwanzig Jahren einen ersten konkreten Schritt und erwarb in
dem kleinen Dorf Taizé, unweit der für die monastische
Tradition so wichtigen Orte Cluny und Citeaux, ein leer
stehendes Haus, in dem er zunächst allein lebte. Er
beherbergte Juden und andere Menschen, die aus dem
von Hitler besetzten Teil Frankreichs in den Süden flohen; 1942, als die Situation immer bedrohlicher wurde,
schrieb er in sein Tagebuch: „An jenem Abend, als die
Angst mein Herz zusammenschnürte, sprach ich im
Gebet vertrauensvoll zu Gott: Selbst wenn man mir das
Leben nimmt, weiß ich, dass du, lebendiger Gott, weiterführen wirst, was hier begonnen hat, das Entstehen einer
Gemeinschaft.“
Frère Roger Schutz (1915–2005).
84
Communauté de Taizé
Gründung
1949 im französischen
Taizé
Anzahl der in der
Communauté de Taizé
lebenden Mönche
etwa 100
Ordenstracht
Während des gemeinsamen Gebets tragen die
Brüder in der Kirche ein
weißes Gebetsgewand.
Taizé aus der Vogelperspektive.
Auf diesem Vertrauen gründet das Abenteuer eines gemeinsamen Lebens, zu
dem sich 1949 die ersten sieben Brüder zusammenschlossen und das heute
über einhundert Brüder weiterführen. Frère Roger hat dafür den schönen
Namen gefunden: Gleichnis der Gemeinschaft! Nie hat er vergessen, dass es
nicht auf eigene Größe, Stärke oder Sicherheit ankommt. Er wusste, woraus
die Communauté lebt, die sich aus Brüdern aus den verschiedenen Kirchen
der Reformation, aus Anglikanern und Katholiken zusammensetzt: „Wer sind
wir eigentlich? … Eine kleine, zerbrechliche Gemeinschaft, die an einer kühnen
Hoffnung festhält: der Hoffnung auf Versöhnung aller Getauften und darüber
hinaus aller Menschen untereinander… Wir sind eine Ansammlung persönlicher Schwächen, aber auch eine Gemeinschaft, die von einem anderen getragen
wird als wir selbst.“
Deshalb hielt Frère Roger immer daran fest, „klein“ zu bleiben und Christus zu
folgen, der sich keinem Menschen aufdrängt oder gar Zwang ausübt. So drückte
es auch Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Taizé 1986 aus: „Es ist
mein Wunsch, dass der Herr euch als einen anbrechenden Frühling, dass er
euch klein, dass er euch in der evangelischen Freude und der Lauterkeit der brüderlichen Liebe bewahre.“ Ähnlich spricht auch Frère Alois, der 2005 Frère Roger
als Prior nachfolgte, von „unserer kleinen Kommunität“ und betont zugleich,
dass die Bemühung um Versöhnung
und Einheit nicht aufhört: „Wir möchten
immer wieder auf den anderen zugehen.
Gemeinschaft ist kein Anliegen unter
anderen. Die Suche nach Gemeinschaft
ist das Herz unserer Berufung.“
Die unzähligen Jugendlichen, die sich
seit Jahrzehnten mit den Brüdern auf den
„Pilgerweg des Vertrauens“ begeben, die
eine Woche in Taizé verbringen oder zu
den Europäischen Jugendtreffen in einer
Großstadt oder an vielen anderen Orten
der Welt zusammenkommen, geben ein
schönes Zeugnis dafür, wie anziehend
dieser kleine Weg des Vertrauens und
wie tief die Sehnsucht nach Frieden und
Der Orden der Ökumene und der Versöhnung
85
Versöhnung unter den Christen und überall auf der Erde ist. Man
denkt unwillkürlich an das Wort Jesu: „Mit dem Himmelreich ist
es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte.
Es ist das Kleinste von allen Samenkörnern, sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird
zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in
seinen Zweigen nisten.“ Es scheint, die Jugendlichen lassen sich
gerne auf diesem Zweig nieder, um vorübergehend am Gleichnis
der Gemeinschaft teilzunehmen; sie atmen den Geist der Güte,
des Vertrauens und der Versöhnung, und erahnen – nicht anders
als die Brüder –, dass Gottes Kraft in unserer Schwachheit zur
Vollendung kommt.
Zu Gast in Taizé
Die ursprünglich evangelische Brudergemeinschaft Taizé nahe
Burgund zeigt, dass christliche Gemeinschaftsgründungen kein
Relikt einer fernen Vergangenheit sind und vor allem junge Menschen konfessions- und länderübergreifend begeistern können.
Grund genug, dieses Buch mit einem Besuch in der Nacht der
Lichter zu beenden, einem magisch-mystischen Meer gemeinschaftlich erlebter
Zuversicht: Ja. Christus lebt, auch und vor allem im 21. Jahrhundert.
Es gibt Dinge, die lassen sich nicht erklären,
weder mit Worten, noch mit Bildern oder
Gesten. Diese Dinge muss der Mensch einfach selbst erfahren, und zwar zur rechten
Zeit, am rechten Ort und mit
den richtigen Menschen. Auf
einmal spürt man etwas tief
drinnen, und echte Berührung
wird möglich. Das Zweifeln
und Klagen hört auf, und man
weiß: Ich bin angekommen, bei
mir, bei Gott und bei den anderen.
Es geht das Gerücht um, dass ein so tiefes Einswerden ein Privileg meditierender
Die Kirche von Taizé.
Ein bekanntes Symbol ist das
Taizé-Kreuz bzw. die Taizé-Taube.
86
Communauté de Taizé
In Taizé wimmelt es während der
Jugendtreffen von jungen Menschen aus aller Welt.
Motto
„Wir wollen vor allem
Menschen sein, die
anderen zuhören. Wir
sind keine Lehrmeister.“
Frère Roger
Eremiten sei, das Ergebnis
jahrelanger Entbehrungen,
schmerzvoller Lernprozesse
und tiefer Einsamkeit. Die
evangelische Bruderschaft
Taizé zeigt, dass die christliche Vervollkommnung des
Ich in Gemeinschaft stattfindet und ganz einfach geschehen kann. Vorausgesetzt, die
Seele ist bereit dazu. Meist
erwischt es diejenigen, die
aufgehört haben, etwas finden zu wollen, diejenigen,
die eigentlich schon abgeschlossen haben mit Gott, mit Kirche und Religion.
Es sind diejenigen, die sich überreden lassen, doch noch einmal mitzufahren,
nicht aus Überzeugung, sondern um eine gute Zeit unter Freunden zu verbringen und, wenn es sein muss, auch in einem Pilgerbus nach Frankreich. Meinetwegen in einem kleinen Dorf, in dem zu Spitzenzeiten tausende Menschen
in Baracken mit je acht Betten, ohne Schrank und Badezimmer campieren, um
dreimal am Tag zum Gebet zusammenzukommen, täglich Toiletten zu putzen
und in Bibelgruppen über Themen wie
Vertrauen und Zuversicht zu reden.
Und dann passiert es: In einer einfachen und unbequemen Umgebung, die
kontrastreicher zum modernen Leben
nicht sein könnte, küsst dich der Geist
– wie zum ersten Mal. In einem Meer
entflammter Kerzen mitten in der jeden
Samstag gefeierten Nacht der Lichter
entbrennt auch dein Herz und du verstehst: Jesus lebt. Das Christentum lebt,
in dir, in uns, hell und klar. Es gibt kaum
Taizé-Besucher, die nicht überwältigt sind
vom „Spirit“ des Ortes, seiner ganz eigenen Magie.
Der Orden der Ökumene und der Versöhnung
Fragt man einen der Brüder der Communauté nach dem tieferen Geheimnis
der Gemeinschaft, zuckt er nur mit den Schultern. Dafür wird man eingeladen,
sich auf dieses Leben einzulassen, auf Zeit – meist für eine Woche – direkt vor
Ort. Dort wo 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, der Communauté-Gründer und
langjährigere Prior Roger Schutz ein Haus kaufte, Kriegsflüchtlinge aufnahm
und somit einen Ort voll Licht in einer Zeit der Dunkelheit schuf. Rasch schlossen sich dem studierten Theologen Gleichgesinnte an, die sich 1949 zu einem
Leben in Ehelosigkeit, Armut und Gemeinschaft entschieden. Die ursprünglich
evangelische Bruderschaft versteht sich bis heute als „Experiment“ – als ein stetig sich entwickelnder Prozess christlich-spirituellen Alltagslebens. Ein
Anspruch, der für katholische Orden,
Theologen und Angehörige anderer
Religionen von großem Interesse war.
Taizé ist seit den Anfängen ein Ort,
an dem Besucher teilhaben können
an diesem Lebensprozess. Es waren
zunächst die sogenannten Retraits –
Einkehrtage in Stille und persönlichem
Gespräch –, die in den 50-er und 60-er
Jahren Taizé zu einer besonderen spirituellen Aura verhalfen. Als seit den
70-er Jahren dann auch noch vermehrt
Jugendliche am Gemeinschaftsleben
auf Zeit teilnahmen, verwandelte sich
Taizé in ein Mekka moderner, christlicher Spiritualität voll Schönheit und
Hoffnung. Vor allem das besondere Gespür der Brüder für die einfache und
zeitgemäße Kreation von konfessions-, generations- und sprachübergreifenden Ritualen, Symbolen und Liedern hat die bis heute einzigartige Atmosphäre
mitgeprägt. Weltberühmt sind die anfangs von Frère Robert gemeinsam mit
den französischen Kirchenmusikern Jacques Berthier und Joseph Gelineau
verfassten Gesänge, die mittlerweile in die Gesangbücher der verschiedenen
Konfessionen Einzug gehalten haben und vielen Menschen in ihrer Schlichtheit
(die meisten Lieder bestehen aus einem Satz, der vierstimmig oder kanonisch
gesungen wird) aus dem Herzen sprechen. Aber auch das geschwungene Taizé-
87
Die Versöhnungskirche von Taizé
ist ganzjährig geöffnet. Bei den
gemeinsamen Gebeten sitzen
die Brüder der Gemeinschaft in
der Mitte, während die Gäste an
den Seiten auf dem Boden Platz
nehmen.
88
Communauté de Taizé
Die „Ikone der Freundschaft“ zeigt
Christus und den hl. Menas, einen
frühen ägyptischen Heiligen, sie
steht aber für die Freundschaft,
die Christus jedem Gläubigen
anbietet.
Kreuz – eine fliegenden Taube als Symbol des Heiligen
Geistes – erfreut viele Jugendliche. Es ist diese Leichtigkeit,
Lebendigkeit und Schlichtheit der Glaubensinterpretation
im Alltag, die Menschen aus aller Welt anspricht.
Wer sich zu einem Wochenaufenthalt in Taizé entschließt,
erwartet kein strenges Klosterleben in Abgeschiedenheit.
Er sucht Gemeinschaft und nimmt dafür ein spartanisches
Leben in Kauf, und auch, dass er Gruppen- und Reinigungsarbeiten verrichtet und eine Liturgie vorfindet, die so
schlicht ist, dass man keine Angst haben muss, etwas falsch
zu machen. Jeder ist in der heute ökumenischen Communauté eingeladen, sich vom Geheimnis des Glaubens und
des Lebens verzaubern zu lassen: Ob in der samstäglichen
Nacht der Lichter, mit der der Auferstehung Jesu Christi
gedacht wird, der Eucharistiefeier am Sonntag oder durch
die Teilnahme an den drei gemeinsamen Gebeten am Tag sowie der täglichen
Arbeit in Bibelkreisen und Workshops.
Die meisten der etwa 100 Ordensbrüder – sofern sie
gerade in Taizé und nicht in einem der Elendsviertel
dieser Welt leben – sind bis heute vor allem mit der
Bewältigung des Besucheransturmes auf die Gemeinschaft oder eines der rund um den Globus stattfindenden Jugendtreffen zum Jahreswechsel beschäftigt.
Eine eigene Botschaft verkünden wollen sie nicht. Wer
nach einer besonderen Theologie sucht, wird sie nicht
finden. „Wir sind keine geistlichen Meister, sondern
vor allem Menschen, die anderen zuhören“, gab der
Gründer Frère Roger seinen Brüdern mit auf den Weg.
Wohlwissend, dass der moderne Mensch nicht noch
mehr braucht, um sein Glück zu finden, sondern eher
weniger, vor allem weniger kopflastige Verlautbarungen über Leben und Glauben.
Der Erfolg dieser mystischen Einfachheit ruft selbstverständlich Skeptiker und Gegner auf den Plan. Vielen ernsthaften Theologen ist das Taizé-Experiment
zu indifferent, zu wenig konkret, zu rührselig und
Der Orden der Ökumene und der Versöhnung
gleichmacherisch. Das erklärte Ziel der Gemeinschaft, mit den Menschen
überall auf der Welt im Geist der Seligpreisungen einen „Pilgerweg des Vertrauens“ zu gehen, um die Umsetzung der Botschaft Jesu ins Alltagsleben
auszutesten, klingt selbstverständlich und provoziert zugleich in seiner Radikalität.
Der gewaltsame Tod von Frère Roger, der aus Taizé einen Ort der Aussöhnung
der christlichen Konfessionen und des Friedens machen wollte und der 2005
während des gemeinsamen Abendgebets in der Versöhnungskirche erstochen
wurde, setzte eine Zäsur. Doch Taizé wäre nicht Taizé, wenn hier nicht das Leben
siegte: Auf den Etappen des „Pilgerwegs des Vertrauens“ in Berlin 2011 und
in Ruanda 2012 wurde die Suche nach einer neuen Solidarität ausgerufen. Ein
Impuls, der gerade in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, vor allem in Südeuropa, die Jugendlichen wieder einmal direkt ins Herz traf. Tausende kamen, zündeten Kerzen an und öffneten ihre Herzen. In der Bibel wird dies als Zustand der
Verzückung beschrieben, als der Heilige Geist in die Jünger fuhr. Taizé zeigt: Der
Geist küsst immer noch. Meist unverhofft.
Bekannte Ordensmitglieder
• Frère Roger (Schutz)
Beim gemeinsamen Gebet.
89
90
Communauté de Taizé
Anzahl der Klöster
Außer in Taizé leben Brüder der Communauté in kleinen Fraternitäten auf den
südlichen Kontinenten: in Nairobi (Kenia), Dakar (Senegal), Mymensingh (Bangladesch), Seoul (Südkorea) und Alagoinhas (Nordostbrasilien).
Die Gelübde der Brüder von Taizé
Nach mehreren Jahren der Vorbereitung legt jeder Bruder sein Lebensengagement in der Communauté ab: Ehelosigkeit, Gütergemeinschaft und Anerkennung der Autorität des Priors.
Spirituelle Besonderheit
Auch wenn die Communauté de Taizé in der ganzen Welt vor allem für ihre charakteristische Musik und die Feier der „Nacht der Lichter“ bekannt ist, verzichtet
die ökumenische Gemeinschaft auf die explizite Ausformulierung einer eigenen
Theologie und oder gar einer speziellen Botschaft. Unmittelbar geprägt von den
Ereignissen des Zweiten Weltkrieges lag den Gründern der Communauté de
Taizé die Aussöhnung der Christen sowie Gläubigen aller Religionen auf der
ganzen Welt am Herzen.
Hierzu möchte die Communauté einen „Pilgerweg des Vertrauens auf der
Erde“ gehen, der sich der Bergpredigt Jesu von Nazaret in besonderer Weise
verpflichtet fühlt. Die Etappen dieses Pilgerweges bilden die seit 1978 regelmäßig stattfindenden Jugendkongresse auf
allen Kontinenten. Gemeinsames Beten,
Nachdenken über praktische Umsetzungsmöglichkeiten der Bergpredigt bis
hin zu politischem Engagement prägen
die Zusammenkünfte und verbreiten den
Geist von Taizé.
Rechts und gegenüberliegende
Seite: Eine kleine Kapelle für
das Gebet allein oder in kleinen
Gruppen. Der Zwiebelturm ist
ein Zeichen für die freundschaftliche Verbindung Taizés mit der
Russisch-Orthodoxen Kirche; Frère
Alois ist seit 2005 der Prior der
ökumenischen Bruderschaft von
Taizé.
Laiengemeinschaft
Ähnlich wie bei den Bettelorden sind auch
die Laien der Communauté de Taizé (Erster Orden) neben der Communauté de
Grandchamp (Zweiter Orden) in einem
sogenannten Dritten Orden organisiert. Er
entstand 1955 auf Initiative von Frére Roger.
Der Orden der Ökumene und der Versöhnung
Informationen sind erhältlich über den Zweiten
Orden, der Communauté de Grandchamp.
Communauté de Grandchamp
Grandchamp 4
CH 2015 Areuse
Tel: ( +41) 032 8422492
Fax: (+41) 032 8422474
E-Mail: [email protected]
www.grandchamp.org/pages/fr/tiersordre-fr.html
Weitere Informationen
Communauté de Taizé
F-71250 Taizé
Internetseite von Taizé mit Informationen über die Communauté und die internationalen Jugendtreffen:
www.taize.fr/de
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Orden selbst kennenlernen
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Orden selbst
kennenlernen
Als Gemeinschaft wollen wir uns nicht auf Grund unseres Glaubens abgrenzen.
Wir können Menschen in unsere Hoffnung hineinnehmen und mit ihnen hoffnungsvoll leben, ohne dass sie den Grund unserer Hoffnung für sich annehmen
können. So kann eine leere Kirche zu einem Ort werden, an dem Christen und
Nichtchristen gemeinsam eine Hoffnungs-Gemeinschaft bilden.
„Wir sind eine Hoffnungs-Gemeinschaft.“
Selbstverständnis des Konvents an der Reformationskirche, Berlin (2014).
Das Christentum scheint aktuell in Westeuropa unter keinem guten Stern zu
stehen. Während in anderen Teilen der Welt die Botschaft auf fruchtbaren Boden
fällt, befinden sich die großen christlichen Kirchen gerade im sogenannten „alten
Europa“ in einer schleichenden Auflösung. Die Ursachen hierfür scheinen vielfältig und werden seit Jahren am runden Tisch oder in Statusreden in allen
möglichen Sprachen umschrieben. Vor allem das Ordensleben als Lebens- und
Glaubensgemeinschaft kontrastiert stark mit unserer modernen Vorstellung von
einem freien Leben in Selbstbestimmung.
Zugleich ist die Sehnsucht nach einer Wiederverzauberung der Welt so groß
wie nie. Man möchte glauben, man möchte folgen, doch nicht mehr so wie
gehabt.
Ähnlich wie in den Zeiten des Hochmittelalters durchrüttelt ein Sturm unsere
Art der Wirklichkeitswahrnehmung. Alles wird in Frage gestellt, die Fassade
abgeklopft und auf die Basis geschaut. Bis hierhin sind wir gekommen. Doch
trägt uns die Basis auch in die nächsten fünfhundert Jahre? Was ist Form, Tradition, Kultur und was ist das eigentliche und wirkliche Erbe Jesu Christi? Was
bedeutet Christsein im 21. Jahrhundert, was Menschsein? Und was ist nur ein
reines Folklorespiel, um eine schöne Geschichte, deren Wirksamkeitsgehalt historisch erzählbar, aber nicht mehr real erfahrbar ist?
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Noch scheuen sich die meisten von uns, diese Frage so radikal zu stellen. Doch
es ist der einzige Weg, um kraftvoll weiterzumachen und Antworten zu finden
auf die zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit.
Auch wenn die Ordensgemeinschaften sich selbst wieder auf die Reise zu ihren
Ursprüngen begeben müssen, um die Nachfolge Jesu Christi lebendig zu interpretieren und vielleicht sogar neu zu finden, kommt ihnen ein großer Stellenwert zu. Klöster versprechen gerade durch ihre Tradition einen unmittelbaren
Kontakt zur Quelle des Christentums und stellen sich vermehrt ihrer Aufgabe,
Menschen dafür den Raum zur Verfügung zu stellen: sei es bei einer kurzen
Stippvisite, auf Zeit oder vielleicht sogar als dauerhafte Lebensgemeinschaft im
Laien- sowie im Profimodus.
Dabei können Suchende mittlerweile auf die unterschiedlichsten Angebote und
Modelle von christlichen Gemeinschaften treffen: Denn lebendige Formen der
Spiritualität entstehen entweder dort, wo bereits große Klöster, Kirchen und
Gemeinden über die Jahrhunderte leben, oder in der totalen Diaspora. Dort
also, wo den Theorien der Soziologie zufolge das moderne Leben mit seinem
säkularen Weltbild und einer gänzlich diesseitigen Heilsversprechung den Sieg
davongetragen haben dürfte.
Könnte das auch meine Berufung
sein? Es gibt viele Anlaufstellen,
die einem helfen, Antwort zu
finden.
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Orden selbst kennenlernen
Orden selbst kennenlernen
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Es gibt zahlreiche spirituelle Unternehmerbewegungen, aber auch neue christliche Konvente wie die Reformationscommunity, die mitten in Berlin-Moabit in
einer bereits aufgegebenen Kirche Christentum neu lebt, und ganz wunderbare
spirituelle Formate traditioneller Ordensgemeinschaften. So unterschiedlich
sie auch sein mögen, die neuen Formate, Bewegungen und Gruppierungen: Es
geht um den Wunsch nach der realen Erfahrung des Glaubens, den Direktkontakt mit der Liebe Jesu Christi.
Und dafür muss man das Buch oder den Laptop beiseitelegen und sich als
ganze Person auf die Reise machen. Ein Abenteuer. Aber eines, das sich lohnen
wird.
Wie kann ich das Ordensleben heute kennenlernen?
1) Einfach mal zu Gast sein
Viele Klöster haben heute Tagungshäuser, in denen auch externe, nicht explizit
christliche Veranstaltungen stattfinden. So können Besucher ganz behutsam
wieder mit der Lebenswelt der Orden in Kontakt treten und auf Wunsch mehr
erleben.
2) Einfach eine Auszeit nehmen
Immer häufiger suchen Menschen eine Auszeit von ihrem Alltag. Viele Gemeinschaften haben darauf reagiert und bieten selbst Veranstaltungen wie Besinnungstage oder Exerzitien an. In den Gästehäusern ist jeder willkommen, der
nach Ruhe, Besinnung und Orientierung sucht.
3) Einfach mehr: Kloster auf Zeit
Viele Klöster nehmen mittlerweile neben den Gästen ihrer Exerzitienprogramme
auch Einzelgäste für einen längeren Zeitraum auf. Wer möchte, kann so nicht
nur eine ganz besonders intensive Auszeit für sich gestalten, sondern zudem
auch am Gebets- und manchmal auch Ordensleben der jeweiligen Gemeinschaft teilnehmen. In der Regel verbringt so ein Gast die Zeit jedoch allein ohne
permanente Betreuung.
In Einzelfällen wird der Gast jedoch auch in das Gemeinschaftsleben aufgenommen. Er führt ein Leben gemäß den Regeln der jeweiligen Gemeinschaft und trägt
seinen Teil zum gelingenden Miteinander bei. Das „Kloster auf Zeit“ ist nicht mit
einem Kurzurlaub zu verwechseln. Wer für eine längere Zeit in das Klosterleben
eintaucht, sollte innerlich gefestigt sein, über ein hohe Maß an Eigenständigkeit
verfügen und den Aufenthalt vielleicht sogar als eigene Prüfung verstehen, ob ein
Leben als Gemeinschaftsmitglied auf Dauer für ihn in Frage käme.
4) Einfach „Ja“ sagen
Wen die Frage nach Gott nicht in Ruhe lässt, wer spürt, dass er radikaler für
IHN da sein möchte, wer etwas von den herkömmlichen Lebens- und Konsumgewohnheiten aufgeben würde, um dafür einen größeren religiösen Raum zu
haben, wem Gebet und Gottesdienst Freude macht, wer gern in Gemeinschaft
leben würde – der könnte für dieses Leben geeignet sein. Die Ordensgemeinschaften sind gern bereit, Auskunft zu geben. Er könnte – nach entsprechender
Vorsprache oder schriftlicher Anmeldung – auch zunächst als Gast im Hause
Aufnahme finden und so mit den Nonnen oder Mönchen bekannt werden. Eine
Aussprache mit dem Abt oder dem Novizenmeister wird zur Klärung seines
Einfach mal reinschauen: Willkommen im Ursulinenkloster in
Duderstadt.
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Orden selbst kennenlernen
Berufes beitragen. Ist diese positiv, so wird er vorerst zur Probe aufgenommen,
durchläuft das meist einjährige Noviziat und legt dann die dreijährigen Gelübde
ab. In diesen drei Jahren kann er sich je nach Voraussetzungen (Abitur, Lehre
u. a.) der Fort- oder Ausbildung eines Berufes (z. B. Universität, Fachschule,
Lehrverhältnis) widmen. Danach kann er sich für immer an das Kloster binden
(Mönchsweihe) und erhält alle Rechte eines Vollmitgliedes.
Der Reformorden aus der Tradition der Benediktiner
Die Mitglieder der Laiengemeinschaften treffen sich in regelmäßigen Abständen
zur gemeinsamen Feier der Eucharistie, einer Referatslesung oder gemeinsamen Exerzitien.
Die Laienpredigt hat bei ihnen einen großen Stellenwert. Denn oft sind sie in
ihrem konkreten Alltag wesentlich näher an suchenden Menschen und haben
einen entscheidenden Einfluss auf die lebendige Verkündigung der Botschaft
Jesu Christi.
Weitere Informationen:
Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK)
http://www.orden.de
Laiengemeinschaften
Viele Orden kennen Laiengemeinschaften. Häufig bilden sie zusammen mit
einem Männerorden („Erster Orden“) und einem Frauenorden („Zweiter
Orden“) den sogenannten „Dritten Orden“ in einer großen Ordensfamilie. Aber
auch Orden, die keine Ordensfamilie gebildet haben, kennen Laiengemeinschaften. Die Benediktiner zum Beispiel nennen ihre Laien „Oblaten“ (oblatus = der
Hingegebene, Aufgeopferte, Dargebrachte).
Ihre Mitglieder kommen aus allen Schichten, sind sowohl ledig als auch verheiratet, gehen im Alltag ihrem jeweiligen Beruf nach, orientieren sich jedoch an
der Spiritualität und den Regeln des Ordens. Auch die Laien kennen eine Probezeit, das Noviziat, in dem sie von der Ordensfamilie bzw. dem Orden geprüft
werden, bevor sie ein Versprechen auf Lebenszeit ablegen.
Die Laiengemeinschaften entstanden meist parallel zu den Gründungen der
großen Orden. Sie standen denjenigen offen, die ein christliches Leben nach der
Regel und Spiritualität einer bestimmten Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu
Christi und der Ernsthaftigkeit der Taufe (ein neues Leben, ein neuer Mensch)
führen wollten, jedoch aus verschiedensten Gründen nicht in den Männer- oder
Frauenorden aufgenommen werden konnten.
Dennoch sind über die Jahrhunderte hindurch die Laien in fast allen Ordensgemeinschaften zum unverzichtbaren Teil der Ordensfamilie geworden: „Als Mitglieder des Ordens sind sie auf ihre Weise Träger der apostolischen Sendung in
Gebet, Studium und Predigt.“ (Regel der Dominikanischen Laiengemeinschaft,
Nr. 4)
Wer sich für ein Leben nach der Spiritualität und der Regel eines bestimmten
Ordens in Gemeinschaft mit anderen sehnt, ist eingeladen, sich direkt an ein
Kloster oder eine Kongregation in seiner Umgebung zu wenden.
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Danksagung/Autor
Fotonachweis
Danke.
Fotonachweis.
Bücher haben immer mehrere Eltern. Ohne folgende geistigen Mütter und Väter
wäre dieses Buch nicht entstanden: Brigitte Haertel, Magazin theo; Schwester
Anna Maria Dicke OSC; Schwester Veronika Karaffová OSC; Frère Ulrich Communauté de Taizé; Bruder Natanael Ganter OFM; Pater Sebastian Tönnesen OP;
Pater Antonius Walter OP; Pater Ludger Ägidius Schulte OFMCap; Pater Roland
Engelbertz OFMCap; Pater Paulinus Veith OFMCap, Pater Hugo Stahl OFMCap,
Pater Alexander OFMCap und Pater Georg Maria Roers SJ.
Cover: © picture alliance / Godong; Seite 8: © www.stift-Heiligenkreuz.at; 9,
12, 14, 22, 24 unten, 25, 27 oben, 30 oben, 37 unten, 38, 39 unten, 40 unten, 54,
59-62, 70, 71 unten, 72 unten, 75, 77: © KNA-Bild; 10: © picture-alliance / ZB; 11
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Autor.
Sven Schlebes, geboren 1976, studierte Geschichte, Politikwissenschaften und
Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Münster; er ist Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Goldene Zeiten in Berlin. Seit 2007 schreibt
er für Theo, das katholische Magazin und ist seit 2014 dessen stellvertretender
Chefredakteur. Sven Schlebes ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Dem Buch liegt die vom Autor verfasste Serie über Orden in Theo. Katholisches
Magazin (www.theo-magazin.de) zu Grunde.
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ISBN 978-3-7462-4357-3
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Gesamtherstellung: Arnold & Domnick, Leipzig (A)