«Die Stimme der Unterdrückten» KIRCHE Erzbischof Oscar Romero wird Morgen in San Salvador seliggesprochen. Josef Estermann, Bildungsleiter des Romero-Hauses Luzern: «Papst Franziskus setzt damit ein ermutigendes Signal.» Rechte der Campesinos starkmachte. Das einschneidende Erlebnis führte zu einem radikalen Wandel im Leben Romeros. So kündigte er an, an keinem offiziellen Akt der Regierung mehr teilzunehmen, und fortan wohnte er nicht mehr im Bischofspalast, sondern in einem Zimmer des Krankenhauses für Krebskranke. Seine Ansprachen in der Kathedrale von San Salvador, in denen er die Verbrechen des Militärs, der Regierung und der herrschenden Oligarchie anprangerte, wurden im Rundfunk übertragen. Bald schon schien Romero zu ahnen, dass ihn sein Eintreten für die Armen in Gefahr bringen würde. Das hielt ihn nicht davon ab, unentwegt weiterzukämpfen: «Wenn sie mich töten, werde ich im salvadorianischen Volk auferstehen», sagte er kurz vor seinem Tod. BENNO BÜHLMANN [email protected] In der Hauskapelle des Romero-Hauses in Luzern erinnert eine einfache Holzskulptur an den salvadorianischen Bischof, dem das Bildungszentrum der Bethlehem-Mission seinen Namen zu verdanken hat. In der Hand hält er ein goldenes Mikrofon, das einen charakteristischen Zug des lateinamerikanischen Märtyrers zum Ausdruck bringt: «Erzbischof Oscar Romero verstand sich als Sprachrohr der Unterdrückten und hat seinen unerschrockenen Kampf für soziale Gerechtigkeit mit seinem Leben bezahlt», meint Josef Estermann, Bildungsleiter des Romero-Hauses Luzern und Geschäftsleitungsmitglied von dessen Trägerin Comundo. Und er weist auf eine Aussage hin, die der Bischof kurz vor seiner Ermordung in einem Interview machte: «Mich könnt ihr töten, nicht aber die Stimme der Gerechtigkeit.» Seligsprechung lange Zeit blockiert Einsatz für soziale Gerechtigkeit Am 24. März 1980 wurde Oscar Romero während einer Messe am Altar erschossen. Es war ein politischer Mord: Die Auftraggeber wollten damit eine Stimme zum Schweigen bringen, die sich immer entschiedener für die vielen Armen des Landes gegenüber der reichen Oberschicht eingesetzt hatte. Das Romero-Haus Luzern hat bei seiner Einweihung im Jahre 1986 gewissermassen das Vermächtnis des modernen Märtyrers aus San Salvador angetreten. Der Name des Bildungszentrums ist Programm. Darauf weist im Innenhof des Hauses eine weitere Skulptur hin, die der Bildhauer Josef Wyss geschaffen hat: «Ein geschlagenes Haupt, geschundene Füsse, der entrechtete Mensch. Damit kommt zum Ausdruck, dass wir uns wie Romero für mehr Gerechtigkeit und für eine ganzheitliche Befreiung benachteiligter Menschen einsetzen wollen», betont Josef Estermann. Einst ein konservativer Theologe Oscar Arnulfo Romero wurde am 15. August 1917 in Ciudad Barrios, einem Für Josef Estermann, Bildungsleiter des Romero-Hauses in Luzern, ist die Seligsprechung Oscar Romeros (Poster hinten) ein wichtiger Schritt. Bild Dominik Wunderli salvadorianischen Gebirgsstädtchen nahe der Grenze zu Honduras, geboren. Als Sohn eines Fernmeldearbeiters und Posthalters wuchs er in bescheidenen Familienverhältnissen auf und trat mit 13 Jahren als Internatsschüler in das Seminar von San Miguel ein. Sein Theologiestudium in San Salvador finanzierte er sich als Schreiner und führte dieses an der Gregoriana in Rom fort, wo er 1942 zum Priester geweiht wurde. 1943 brach Romero sein Doktoratsstudium ab und begann den kirchlichen Dienst in seiner Heimat. Nach Tätigkeiten als Pfarrer, als Redaktor kirchlicher Zeitschriften und als Generalsekretär der Nationalen Bischofskonferenz wurde er 1970 zum Weihbischof und 1974 zum Titularbischof der Diözese Santiago de Maria ernannt. Als Oscar Romero 1977 zum Erzbischof von San Salvador berufen wurde, galt er noch als konservativer Theologe. Als traditionalistischer Repräsentant der Kirche sollte er in erster Linie ein gutes Einvernehmen mit der Regierung garantieren. Von den Armen bekehrt Es brauchte etliche Jahre, bis sich Romero von einem ängstlichen und unpolitischen Kirchenmann zum prophetischen Verteidiger der Armen bekehrte. Es waren zwei wichtige Schlüsselerlebnisse, die Romero die Augen öffneten: Zum einen war dies das am 28. Februar 1977 von Militärs und Sicherheitskräften verübte Massaker an Demonstranten, die sich auf der Plaza Libertad (Platz der Freiheit) versammelt hatten, um gegen den Betrug bei den Präsidentschaftswahlen zu protestieren, zum anderen die Ermordung des Jesuitenpaters Rutilio Grande, eines Befreiungstheologen, der sich für die Romeros Prophezeiung hat sich schneller erfüllt, als man zu diesem Zeitpunkt erwarten konnte. Auch wenn sich der Vatikan lange Zeit schwertat mit der Seligsprechung des lateinamerikanischen Märtyrer-Bischofs, wurde Oscar Romero vom Volk El Salvadors schon längst als Heiliger verehrt. Das Seligsprechungsverfahren in Rom wurde über Jahre hinweg blockiert. Laut Josef Estermann war es ein offenes Geheimnis, dass dieses Verfahren unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. unter Verschluss gehalten wurde: «Die Befreiungstheologie stand in den 1980erJahren unter Generalverdacht, marxistisch und rein sozialpolitisch zu sein.» Deshalb sei es ein sehr ermutigendes Signal, dass Papst Franziskus, erstes aus Lateinamerika stammendes Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, nun grünes Licht gegeben habe zur Seligsprechung Romeros. Dieser Schritt, der die Anerkennung eines «Martyriums» aufgrund seines Glaubens voraussetzt, habe weitreichende Konsequenzen, die weit über die Symbolgestalt von Romero hinausweise, betont Estermann: «Damit wird eigentlich eine Rehabilitierung der lateinamerikanischen Befreiungstheologie vollzogen, die in den 1980erJahren unter grossem Beschuss seitens der vatikanischen Glaubenskongregation gestanden hatte.» Es scheine einen lateinamerikanischen Papst gebraucht zu haben, «der die Situation der Armen und deren Kampf um Gerechtigkeit am eigenen Leibe erfahren hat, um diesen Schritt zu vollziehen.» HINWEIS Zum Leben Oscar Romeros ist eine neue Biografie (Topos-Verlag, 439 Seiten, Fr. 35.90) erschienen. Autor ist der US-Jesuit James R. Brockman, der Oscar Romero persönlich gekannt und viele Gespräche mit ihm geführt hat. Ein Gefühl von Heimat Jacqueline Keune W as mich bewegt: die vielstimmige Wut, die den Behörden und Baldegger Schwestern an der Orientierung zum geplanten Asylzentrum entgegenschlägt. Und die Worte des malaysischen Ministers, mit denen er den Uralt-Kahn mit den Hunderten von verzweifelten Flüchtlingen – von den Schleppern im Stich gelassen – nach zwei Monaten Reise aufs offene Meer zurückschickt: «Jetzt ist es Zeit, ihnen zu zeigen, dass sie nicht willkommen sind.» MEIN THEMA Welchen Teil des Menschen halten Sie für den edelsten? Das Hirn? Das Herz? – Bertolt Brecht den Pass. «Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, ein Pass niemals. Dafür wird er anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann.» «Schöne Aussichten», steht als Leitmotiv der Gemeinde auf ihrer Homepage. «Auf der Sonnenterrasse Amden mit ihren Naturschutzgebieten ist die Welt noch in Ordnung ... In der sicheren Geborgenheit des ländlichen Lebensstils wächst rasch ein Gefühl von Heimat.» Unsere Welt ist noch eine tief vorpfingstliche. Wenn sie eines Tages eine nachpfingstliche, ganz und gar verstehende geworden ist, dann wird kein einziges Kind mehr in einen Meeres-Kerker gesperrt, dann werden nicht nur die einen Aussicht haben, dann wird der Schutz zuerst den Menschen gelten. Und wir werden sehen, dass es nicht unser Verdienst ist, dass wir im wunderbaren Amden einer Mutter in die Wiege gelegt wurden, und nicht ihr Versagen, dass sie in Burma als Angehörige einer ethnischen Minderheit das Dunkel der Welt erblickt haben. Jacqueline Keune, freischaffende Theologin, Luzern Wird sich die katholische Kirche selbst abschaffen? vom Oktober. Die Ergebnisse bestätigten EINSIEDELN Da hat sich der und verdeutlichten laut BischofskonfeChurer Bischof Vitus Huonder renz «die Antworten einer Ende 2013 in den richtigen Gastredner aus- der Schweiz durchgeführten OnlineUmfrage, an der sich mehr als 25 000 gesucht: Ein Theologieprofes- Personen beteiligt hatten». sor warnt vor dem geforderten Bischöfe noch ohne Positionierung Wie die Schweizer Bischöfe zu diesen Kurs der Kirchenöffnung. Mehr Verständnis und Entgegenkommen der katholischen Kirche bei gescheiterten Ehen, Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion oder ein Platz in der Kirche für Partnerschaften von Schwulen und Lesben – inklusive deren Segnung: Die Forderungen der Schweizer Gläubigen an die Adresse des Vatikans sind gross. Diese und weitere Forderungen sind im sogenannten Synodenbericht der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) enthalten, der Anfang Mai veröffentlicht wurde. Rund 6000 Gläubige haben in sogenannten Synodengesprächen ihre Sicht auf Ehe und Familie eingebracht. «Nur eine kleine Minderheit der Rückmeldungen zeigt den Wunsch nach einer strikten Einhaltung der gegenwärtigen Lehre der Kirche mit ihrer strengen Disziplin», schreiben die Schweizer Bischöfe in der betreffenden Mitteilung. Ein Bericht über die Schweizer Synodengespräche ist von den Bischöfen nach Rom geschickt worden. Er dient der Vorbereitung auf die Familiensynode pikanten, da grossmehrheitlich der katholischen Lehre widersprechenden Forderungen stehen, haben diese bis dato nicht öffentlich gemacht. Der jährlich stattfindende Priestertag des Bistums Chur bietet jetzt aber zumindest Indizien, wie Bischof Vitus Huonder gegenüber den Forderungen des Synodenberichts eingestellt ist. Denn als Redner hatte Bischof Huonder den seit 2012 emeritierten Professor für Pastoraltheologie und römisch-katholischen Priester Hubert Windisch ins Kloster Einsiedeln eingeladen. Dieser machte in seinem Referat deutlich, dass er ein klarer Verfechter der konservativen Lehre ist. Windisch wählte deutliche Worte, er schreibt von Spannungen und Spaltungen, die an der Synode in Rom drohten: Da kirchliche Verantwortungsträger nicht selten bei der Seelsorge nur noch «bei den Leuten sein» wollten, «hinter allem und jedem herrennen, um überall mit ihrem Segen dabei zu sein», sei die katholische Kirche vom «Prozess der Selbstabschaffung bedroht». Dies würden etwa die Ergebnisse der vatikanischen Um- Ehe oft ein «Scheinsakrament» REFERAT jem. Der emeritierte deutsche Theologieprofessor Hubert Windisch ist dem rechtskatholischen Spektrum zuzuordnen. Das zeigen auch folgende Auszüge aus seinem Referat am Einsiedler Priestertag. O Ehe, Familie, Sexualität: Eine Art neue Theologie zu Ehe, Familie und Sexualität gehe gemäss Hubert Windisch nicht mehr aus «vom geschöpflichen und sakramentalen Gutsein des Miteinanders von Mann und Frau in der Ehe, sondern von deren Scheitern». Windisch stellt die Frage, wie echt katholische Ehesakramente überhaupt noch seien, «oftmals werden Scheinsakramente zelebriert». O Homosexualität: Für Windisch ist es «völlig unverständlich», dass an einer Synode zum Thema Ehe und Familie offensiv über Homosexualität frage belegen. Man könne nun die Folgen «einer jahrzehntelangen Anbiederung (der Kirche; d. Red.) an die politischen Vorgaben in Bezug auf Ehe und Familie und die sexualethischen Einstellungen und Praktiken in unserer Gesellschaft» sehen, so Windisch (siehe auch Box). Vor den in Einsiedeln rund 100 angemeldeten gesprochen werden soll. Es werde suggeriert, dass homosexuelle Partnerschaften «durch die Qualität der Dauer zu tolerablen Gegebenheiten werden könnten». Dabei fordere die Bibel das «zwingende Urteil, dass homosexuelle Partnerschaften eine objektive Unordnung» darstellten. O Seelsorge: Die Forderungen nach Reformen bei kirchlichen Lehrinhalten zu Ehe, Familie und Sexualität, wie sie von vielen Bischöfen, Priestern oder Gremialkatholiken erhoben würden, hält Pastoraltheologe Windisch für falsch. Eine sogenannte pastorale Wende führe dazu, dass sich «die Kirche gezwungen sieht, sich ständig vor der Welt, beziehungsweise vor dem, was sich so tut, rechtfertigen zu müssen». So könne sich «unter dem Mantel pastoraler Barmherzigkeit letztlich auch Zerstörerisches ausbreiten». Priestern des Bistums Chur referierte Windisch (65) also über seine Vorstellungen von Ehe, Familie, (Homo-)Sexualität. Aufgrund der Einladung muss man sich fragen: Ist der emeritierte Theologieprofessor inhaltlich quasi ein «Sprachrohr» seines Gastgebers Vitus Huonder? Bistumssprecher Giuseppe Gracia sagt dazu: «Nein, der Referent spricht für sich selbst. Aber er ist bekannt für seine kritische und ungekünstelte Direktheit, deshalb wurde er in die Schweiz eingeladen.» Was den Bezug zur Auswertung der Synodengespräche betrifft, so hätten gemäss Gracia die Schweizer Bischöfe in letzter Zeit mehrfach betont, «dass sie eins sind im Glauben. Sie stehen also hinter der geltenden Lehre der Kirche zu Ehe und Familie. Die Herausforderung für die Bischöfe wie für die Synode in Rom wird es sein, gute pastorale Wege zu finden, im Einklang mit der kirchlichen Lehre.» Umstrittener Theologe Theologe Windisch ist nicht unumstritten. So hatte ihn die Fachschaft der Theologischen Fakultät in Freiburg 2010 öffentlich aufgefordert, Äusserungen zu korrigieren. Windisch hatte zu den sexuellen Übergriffen von Priestern auf Kinder und Jugendliche gesagt, die Missbrauchsfälle hätten «fast ausschliesslich einen homosexuellen Hintergrund». Fakultätsvertreter sahen darin eine Diskriminierung von Homosexuellen. Auch als Bundeskanzlerin Merkel die Aufhebung der Exkommunikation von Holocaust-Leugner Richard Williamson durch den Vatikan öffentlich kritisiert hatte, meldete sich Windisch zu Wort: Merkel sei für deutsche Katholiken nicht mehr wählbar, schrieb der Professor im konservativen Internetmagazin Kath. net. Sie habe sich als «Anti-Papst-Kanzlerin» erwiesen. JÉRÔME MARTINU
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