Christ_und_Welt_2015_05_22

«Die Stimme der Unterdrückten»
KIRCHE Erzbischof Oscar
Romero wird Morgen in
San Salvador seliggesprochen.
Josef Estermann, Bildungsleiter
des Romero-Hauses Luzern:
«Papst Franziskus setzt damit
ein ermutigendes Signal.»
Rechte der Campesinos starkmachte. Das
einschneidende Erlebnis führte zu einem
radikalen Wandel im Leben Romeros. So
kündigte er an, an keinem offiziellen Akt
der Regierung mehr teilzunehmen, und
fortan wohnte er nicht mehr im Bischofspalast, sondern in einem Zimmer des
Krankenhauses für Krebskranke. Seine
Ansprachen in der Kathedrale von San
Salvador, in denen er die Verbrechen des
Militärs, der Regierung und der herrschenden Oligarchie anprangerte, wurden im Rundfunk übertragen. Bald schon
schien Romero zu ahnen, dass ihn sein
Eintreten für die Armen in Gefahr bringen würde. Das hielt ihn nicht davon ab,
unentwegt weiterzukämpfen: «Wenn sie
mich töten, werde ich im salvadorianischen Volk auferstehen», sagte er kurz
vor seinem Tod.
BENNO BÜHLMANN
[email protected]
In der Hauskapelle des Romero-Hauses in Luzern erinnert eine einfache
Holzskulptur an den salvadorianischen
Bischof, dem das Bildungszentrum der
Bethlehem-Mission seinen Namen zu
verdanken hat. In der Hand hält er ein
goldenes Mikrofon, das einen charakteristischen Zug des lateinamerikanischen Märtyrers zum Ausdruck bringt:
«Erzbischof Oscar Romero verstand
sich als Sprachrohr der Unterdrückten
und hat seinen unerschrockenen Kampf
für soziale Gerechtigkeit mit seinem
Leben bezahlt», meint Josef Estermann,
Bildungsleiter des Romero-Hauses Luzern und Geschäftsleitungsmitglied von
dessen Trägerin Comundo. Und er weist
auf eine Aussage hin, die der Bischof
kurz vor seiner Ermordung in einem
Interview machte: «Mich könnt ihr
töten, nicht aber die Stimme der Gerechtigkeit.»
Seligsprechung lange Zeit blockiert
Einsatz für soziale Gerechtigkeit
Am 24. März 1980 wurde Oscar Romero während einer Messe am Altar
erschossen. Es war ein politischer Mord:
Die Auftraggeber wollten damit eine
Stimme zum Schweigen bringen, die
sich immer entschiedener für die vielen
Armen des Landes gegenüber der reichen Oberschicht eingesetzt hatte.
Das Romero-Haus Luzern hat bei
seiner Einweihung im Jahre 1986 gewissermassen das Vermächtnis des modernen Märtyrers aus San Salvador angetreten. Der Name des Bildungszentrums ist Programm. Darauf weist im
Innenhof des Hauses eine weitere Skulptur hin, die der Bildhauer Josef Wyss
geschaffen hat: «Ein geschlagenes Haupt,
geschundene Füsse, der entrechtete
Mensch. Damit kommt zum Ausdruck,
dass wir uns wie Romero für mehr Gerechtigkeit und für eine ganzheitliche
Befreiung benachteiligter Menschen einsetzen wollen», betont Josef Estermann.
Einst ein konservativer Theologe
Oscar Arnulfo Romero wurde am
15. August 1917 in Ciudad Barrios, einem
Für Josef Estermann, Bildungsleiter des Romero-Hauses in Luzern, ist
die Seligsprechung Oscar Romeros (Poster hinten) ein wichtiger Schritt.
Bild Dominik Wunderli
salvadorianischen Gebirgsstädtchen
nahe der Grenze zu Honduras, geboren.
Als Sohn eines Fernmeldearbeiters und
Posthalters wuchs er in bescheidenen
Familienverhältnissen auf und trat mit
13 Jahren als Internatsschüler in das
Seminar von San Miguel ein. Sein Theologiestudium in San Salvador finanzierte er sich als Schreiner und führte
dieses an der Gregoriana in Rom fort,
wo er 1942 zum Priester geweiht wurde.
1943 brach Romero sein Doktoratsstudium ab und begann den kirchlichen
Dienst in seiner Heimat. Nach Tätigkeiten als Pfarrer, als Redaktor kirchlicher Zeitschriften und als Generalsekretär der Nationalen Bischofskonferenz
wurde er 1970 zum Weihbischof und
1974 zum Titularbischof der Diözese
Santiago de Maria ernannt.
Als Oscar Romero 1977 zum Erzbischof
von San Salvador berufen wurde, galt er
noch als konservativer Theologe. Als traditionalistischer Repräsentant der Kirche
sollte er in erster Linie ein gutes Einvernehmen mit der Regierung garantieren.
Von den Armen bekehrt
Es brauchte etliche Jahre, bis sich
Romero von einem ängstlichen und unpolitischen Kirchenmann zum prophetischen Verteidiger der Armen bekehrte.
Es waren zwei wichtige Schlüsselerlebnisse, die Romero die Augen öffneten: Zum einen war dies das am 28. Februar 1977 von Militärs und Sicherheitskräften
verübte
Massaker
an
Demonstranten, die sich auf der Plaza
Libertad (Platz der Freiheit) versammelt
hatten, um gegen den Betrug bei den
Präsidentschaftswahlen zu protestieren,
zum anderen die Ermordung des Jesuitenpaters Rutilio Grande, eines Befreiungstheologen, der sich für die
Romeros Prophezeiung hat sich
schneller erfüllt, als man zu diesem
Zeitpunkt erwarten konnte. Auch wenn
sich der Vatikan lange Zeit schwertat
mit der Seligsprechung des lateinamerikanischen Märtyrer-Bischofs, wurde
Oscar Romero vom Volk El Salvadors
schon längst als Heiliger verehrt.
Das Seligsprechungsverfahren in Rom
wurde über Jahre hinweg blockiert. Laut
Josef Estermann war es ein offenes Geheimnis, dass dieses Verfahren unter
Johannes Paul II. und Benedikt XVI. unter
Verschluss gehalten wurde: «Die Befreiungstheologie stand in den 1980erJahren unter Generalverdacht, marxistisch und rein sozialpolitisch zu sein.»
Deshalb sei es ein sehr ermutigendes
Signal, dass Papst Franziskus, erstes aus
Lateinamerika stammendes Oberhaupt
der römisch-katholischen Kirche, nun
grünes Licht gegeben habe zur Seligsprechung Romeros. Dieser Schritt, der
die Anerkennung eines «Martyriums»
aufgrund seines Glaubens voraussetzt,
habe weitreichende Konsequenzen, die
weit über die Symbolgestalt von Romero hinausweise, betont Estermann: «Damit wird eigentlich eine Rehabilitierung
der lateinamerikanischen Befreiungstheologie vollzogen, die in den 1980erJahren unter grossem Beschuss seitens
der vatikanischen Glaubenskongregation gestanden hatte.» Es scheine einen
lateinamerikanischen Papst gebraucht
zu haben, «der die Situation der Armen
und deren Kampf um Gerechtigkeit am
eigenen Leibe erfahren hat, um diesen
Schritt zu vollziehen.»
HINWEIS
Zum Leben Oscar Romeros ist eine neue Biografie
(Topos-Verlag, 439 Seiten, Fr. 35.90) erschienen.
Autor ist der US-Jesuit James R. Brockman,
der Oscar Romero persönlich gekannt und viele
Gespräche mit ihm geführt hat.
Ein Gefühl
von Heimat
Jacqueline
Keune
W
as mich bewegt: die vielstimmige Wut, die den Behörden
und Baldegger Schwestern an der
Orientierung zum geplanten Asylzentrum entgegenschlägt. Und die
Worte des malaysischen Ministers,
mit denen er den Uralt-Kahn mit den
Hunderten von verzweifelten Flüchtlingen – von den Schleppern im Stich
gelassen – nach zwei Monaten Reise
aufs offene Meer zurückschickt: «Jetzt
ist es Zeit, ihnen zu zeigen, dass sie
nicht willkommen sind.»
MEIN THEMA
Welchen Teil des Menschen halten
Sie für den edelsten? Das Hirn? Das
Herz? – Bertolt Brecht den Pass. «Er
kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch.
Ein Mensch kann überall zustande
kommen, auf die leichtsinnigste Art
und ohne gescheiten Grund, ein Pass
niemals. Dafür wird er anerkannt,
wenn er gut ist, während ein Mensch
noch so gut sein kann.» «Schöne Aussichten», steht als Leitmotiv der Gemeinde auf ihrer Homepage. «Auf der
Sonnenterrasse Amden mit ihren
Naturschutzgebieten ist die Welt noch
in Ordnung ... In der sicheren Geborgenheit des ländlichen Lebensstils
wächst rasch ein Gefühl von Heimat.»
Unsere Welt ist noch eine tief vorpfingstliche. Wenn sie eines Tages
eine nachpfingstliche, ganz und gar
verstehende geworden ist, dann wird
kein einziges Kind mehr in einen
Meeres-Kerker gesperrt, dann werden
nicht nur die einen Aussicht haben,
dann wird der Schutz zuerst den
Menschen gelten. Und wir werden
sehen, dass es nicht unser Verdienst
ist, dass wir im wunderbaren Amden
einer Mutter in die Wiege gelegt
wurden, und nicht ihr Versagen, dass
sie in Burma als Angehörige einer
ethnischen Minderheit das Dunkel
der Welt erblickt haben.
Jacqueline Keune, freischaffende
Theologin, Luzern
Wird sich die katholische Kirche selbst abschaffen?
vom Oktober. Die Ergebnisse bestätigten
EINSIEDELN Da hat sich der
und verdeutlichten laut BischofskonfeChurer Bischof Vitus Huonder renz «die Antworten einer Ende 2013 in
den richtigen Gastredner aus- der Schweiz durchgeführten OnlineUmfrage, an der sich mehr als 25 000
gesucht: Ein Theologieprofes- Personen beteiligt hatten».
sor warnt vor dem geforderten Bischöfe noch ohne Positionierung
Wie die Schweizer Bischöfe zu diesen
Kurs der Kirchenöffnung.
Mehr Verständnis und Entgegenkommen der katholischen Kirche bei gescheiterten Ehen, Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion oder
ein Platz in der Kirche für Partnerschaften
von Schwulen und Lesben – inklusive
deren Segnung: Die Forderungen der
Schweizer Gläubigen an die Adresse des
Vatikans sind gross. Diese und weitere
Forderungen sind im sogenannten Synodenbericht der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) enthalten, der Anfang Mai
veröffentlicht wurde. Rund 6000 Gläubige
haben in sogenannten Synodengesprächen ihre Sicht auf Ehe und Familie
eingebracht. «Nur eine kleine Minderheit
der Rückmeldungen zeigt den Wunsch
nach einer strikten Einhaltung der gegenwärtigen Lehre der Kirche mit ihrer strengen Disziplin», schreiben die Schweizer
Bischöfe in der betreffenden Mitteilung.
Ein Bericht über die Schweizer Synodengespräche ist von den Bischöfen
nach Rom geschickt worden. Er dient
der Vorbereitung auf die Familiensynode
pikanten, da grossmehrheitlich der katholischen Lehre widersprechenden Forderungen stehen, haben diese bis dato
nicht öffentlich gemacht. Der jährlich
stattfindende Priestertag des Bistums
Chur bietet jetzt aber zumindest Indizien, wie Bischof Vitus Huonder gegenüber
den Forderungen des Synodenberichts
eingestellt ist. Denn als Redner hatte
Bischof Huonder den seit 2012 emeritierten Professor für Pastoraltheologie
und römisch-katholischen Priester Hubert Windisch ins Kloster Einsiedeln
eingeladen. Dieser machte in seinem
Referat deutlich, dass er ein klarer Verfechter der konservativen Lehre ist.
Windisch wählte deutliche Worte, er
schreibt von Spannungen und Spaltungen, die an der Synode in Rom drohten:
Da kirchliche Verantwortungsträger nicht
selten bei der Seelsorge nur noch «bei
den Leuten sein» wollten, «hinter allem
und jedem herrennen, um überall mit
ihrem Segen dabei zu sein», sei die katholische Kirche vom «Prozess der Selbstabschaffung bedroht». Dies würden etwa
die Ergebnisse der vatikanischen Um-
Ehe oft ein «Scheinsakrament»
REFERAT jem. Der emeritierte deutsche Theologieprofessor Hubert Windisch ist dem rechtskatholischen Spektrum zuzuordnen. Das zeigen auch
folgende Auszüge aus seinem Referat
am Einsiedler Priestertag.
O Ehe, Familie, Sexualität: Eine Art
neue Theologie zu Ehe, Familie und
Sexualität gehe gemäss Hubert Windisch nicht mehr aus «vom geschöpflichen und sakramentalen Gutsein des
Miteinanders von Mann und Frau in
der Ehe, sondern von deren Scheitern». Windisch stellt die Frage, wie
echt katholische Ehesakramente überhaupt noch seien, «oftmals werden
Scheinsakramente zelebriert».
O Homosexualität: Für Windisch ist
es «völlig unverständlich», dass an
einer Synode zum Thema Ehe und
Familie offensiv über Homosexualität
frage belegen. Man könne nun die Folgen
«einer jahrzehntelangen Anbiederung
(der Kirche; d. Red.) an die politischen
Vorgaben in Bezug auf Ehe und Familie
und die sexualethischen Einstellungen
und Praktiken in unserer Gesellschaft»
sehen, so Windisch (siehe auch Box). Vor
den in Einsiedeln rund 100 angemeldeten
gesprochen werden soll. Es werde
suggeriert, dass homosexuelle Partnerschaften «durch die Qualität der Dauer zu tolerablen Gegebenheiten werden könnten». Dabei fordere die Bibel
das «zwingende Urteil, dass homosexuelle Partnerschaften eine objektive Unordnung» darstellten.
O Seelsorge: Die Forderungen nach
Reformen bei kirchlichen Lehrinhalten
zu Ehe, Familie und Sexualität, wie sie
von vielen Bischöfen, Priestern oder
Gremialkatholiken erhoben würden,
hält Pastoraltheologe Windisch für
falsch. Eine sogenannte pastorale Wende führe dazu, dass sich «die Kirche
gezwungen sieht, sich ständig vor der
Welt, beziehungsweise vor dem, was
sich so tut, rechtfertigen zu müssen».
So könne sich «unter dem Mantel
pastoraler Barmherzigkeit letztlich
auch Zerstörerisches ausbreiten».
Priestern des Bistums Chur referierte Windisch (65) also über seine Vorstellungen
von Ehe, Familie, (Homo-)Sexualität. Aufgrund der Einladung muss man sich
fragen: Ist der emeritierte Theologieprofessor inhaltlich quasi ein «Sprachrohr»
seines Gastgebers Vitus Huonder? Bistumssprecher Giuseppe Gracia sagt dazu:
«Nein, der Referent spricht für sich selbst.
Aber er ist bekannt für seine kritische
und ungekünstelte Direktheit, deshalb
wurde er in die Schweiz eingeladen.» Was
den Bezug zur Auswertung der Synodengespräche betrifft, so hätten gemäss Gracia die Schweizer Bischöfe in letzter Zeit
mehrfach betont, «dass sie eins sind im
Glauben. Sie stehen also hinter der geltenden Lehre der Kirche zu Ehe und
Familie. Die Herausforderung für die
Bischöfe wie für die Synode in Rom wird
es sein, gute pastorale Wege zu finden,
im Einklang mit der kirchlichen Lehre.»
Umstrittener Theologe
Theologe Windisch ist nicht unumstritten. So hatte ihn die Fachschaft der Theologischen Fakultät in Freiburg 2010 öffentlich aufgefordert, Äusserungen zu korrigieren. Windisch hatte zu den sexuellen
Übergriffen von Priestern auf Kinder und
Jugendliche gesagt, die Missbrauchsfälle
hätten «fast ausschliesslich einen homosexuellen Hintergrund». Fakultätsvertreter
sahen darin eine Diskriminierung von
Homosexuellen. Auch als Bundeskanzlerin Merkel die Aufhebung der Exkommunikation von Holocaust-Leugner Richard
Williamson durch den Vatikan öffentlich
kritisiert hatte, meldete sich Windisch zu
Wort: Merkel sei für deutsche Katholiken
nicht mehr wählbar, schrieb der Professor
im konservativen Internetmagazin Kath.
net. Sie habe sich als «Anti-Papst-Kanzlerin» erwiesen.
JÉRÔME MARTINU