Die Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik trauert um Professor Dr.-Ing. habil. Wolfgang Kraak (* 22. Juni 1923 - † 23. April 2015) Wolfgang Kraak war von 1966 bis zu seiner Emeritierung 1988 ordentlicher Professor für Technische Akustik der TU Dresden, in der Nachfolge von Prof. Walter Reichardt. Seine Hauptarbeitsgebiete waren Modellmesstechnik, Schallausbreitung und Schallabsorption, Gehörschädlichkeit von Lärm (''Dresdner Gehörschadensmodell''), Signalanalyse und akustische Messtechnik. 1923 in Sorau (heute Polen) geboren, ausgebildet als Maschinenschlosser, 1942 zum Kriegsdienst einberufen, nach der Entlassung aus einem amerikanischen Internierungslager als Neulehrer tätig, die Reifeprüfung in einem Sonderlehrgang nachgeholt, studierte er von 1947 bis 1952 Elektrotechnik an der TH Dresden, diplomierte 1952 bei Prof. Walter Reichardt, war danach am Institut für Elektro- und Bauakustik als Assistent/Oberassistent tätig. 1957 promovierte Kraak mit einer Arbeit zu elektroakustischen Messungen an Raummodellen. Ab 1957 war Wolfgang Kraak Leiter der Abteilung Akustik im Forschungszentrum der Luftfahrtindustrie in Dresden. Er befasste sich mit Lärmminderungsmaßnahmen für Triebwerksprüfstände. 1961 übernahm W. Kraak den Aufbau und die Leitung des Wissenschaftlichen Industriebetriebes VEB Schwingungstechnik und Akustik Dresden (SAD). In diesem Betrieb wurden vorrangig Schall- und Schwingungsmessgeräte, vollautomatische Messeinrichtungen der Auswuchttechnik, Turbinenschutzanlagen entwickelt und produziert. Aus dieser Zeit stammt auch einer der weltweit ersten Impulsschallpegelmesser. 1966 habilitierte sich Wolfgang Kraak an der Fakultät Elektrotechnik mit einer Arbeit zur „Schallisolation und Schallabsorption poröser Absorber mit offenen Poren“ (Gutachter: Walter Reichardt, Karl Gösele/Stuttgart). Wolfgang Kraak wurde 1966 zum Professor mit Lehrauftrag für das Fachgebiet Technische Akustik an die TU Dresden berufen; 1969 erfolgte die Berufung zum ordentlichen Professor. Er leitete 17 Jahre lang den Wissenschaftsbereich „Kommunikation und Messwerterfassung“, später umbenannt in „Akustik und Messtechnik“. Er wurde 1988 emeritiert. Seine Hauptforschungsgebiete waren die Raumakustik: Modellmesstechnik, statistische Theorie des Nachhalls, Schallausbreitung in flachen Räumen mit Streukörpern, objektive Kriterien für die subjektive Bewertung der Hörsamkeit in Räumen. Unter seiner Mitwirkung ist die Akustik der 1985 eingeweihten neuen Semper-Oper gestaltet worden. Bemerkenswert war sein DAGA-Vortrag 1998 in Zürich mit dem Titel „Der (akustisch) geklonte Raum: Zukunft? Illusion?“ Gehörschädlichkeit: Erarbeitung eines mathematischen Modells der Gehörschadenswirkung von Lärm („Dresdener Gehörschadensmodell“), mit Alterskorrektur, Schädlichkeit von Impulslärm und Vorausberechnung des Gehörschadensrisikos, sowie Forschungen zu elektronischen Hörgeräten. Wolfgang Kraak hat in seiner Tätigkeit an der TU Dresden etwa 50 Dissertationen betreut; mehr als 10 Wissenschaftler/-innen habilitierten sich bei ihm (damals Dissertationen B). Seine Veröffentlichungsliste umfasst 50 originäre wissenschaftliche Arbeiten sowie 8 Bücher (z. T. als Herausgeber), u. a. „Schallpegelmesstechnik“ (1970, gemeinsam mit H. Weißing)), „Taschenbuch Akustik“ (1984, gemeinsam mit W. Fasold und W. Schirmer) sowie die Buchreihe “Angewandte Akustik“ (5 Bände, gemeinsam mit G. Schommartz). Einen hohen Stellenwert hatten die von Wolfgang Kraak verfassten Lehrbriefe. Sie waren Leuchtpunkte der Akustik für das Direktstudium, Fernstudium und in der Weiterbildung. Prof. Wolfgang Kraak hat sich außerordentlich um die Fachgemeinschaft der wissenschaftlich und praktisch tätigen Akustiker in der DDR verdient gemacht. Er war – nach der Ära von Prof. Reichardt – die Integrationsfigur der DDR-Akustik als: Vorsitzender des Zentralen Arbeitskreises Lärmschutz und Lärmbekämpfung der DDR von 1975 - 1985, Leiter der Zentralen Arbeitsgemeinschaft „Lärmschutz“ beim DDR-Forschungsrat, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Akustik der Physikalischen Gesellschaft der DDR. Prof. Kraak hatte intensive fachliche Beziehungen zu Fachkollegen/innen in Prag, Poznań, Krakau, Budapest, Wien sowie nach Kanada und den USA. Wolfgang Kraak wurde mehrfach geehrt: „Verdienter Techniker des Volkes“ für den Aufbau und die Leitung eines Wissenschaftlichen Industriebetriebes für Messgeräte der Lärm- und Schwingungsmesstechnik, „Banner der Arbeit“ für seine Arbeiten zur Akustik der neuen Semper-Oper, Wissenschaftspreis 1. Stufe der TU Dresden für die Entwicklung des „Dresdner Gehörschadensmodells“, Bekésy - Medaille des Ungarischen Optischen, Akustischen und Filmtechnischen Vereins 1988 in Budapest (als erster Ausländer, der diese hohe Ehrung erhielt), Helmholtz - Medaille der Deutschen Gesellschaft für Akustik 1994 für seine herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der Hörakustik und Lärmwirkungsforschung (Laudator: Prof. Manfred Heckl von der TU Berlin.) Wolfgang Kraak hat in seinem Plenarvortrag zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Akustik 1991 in Bochum eine lesenswerte Darstellung des atmosphärischen Umfeldes für die Arbeit im akustischen Bereich der Technischen Universität Dresden während der DDR-Zeit gegeben. Daraus ein Zitat: „Es gab nur eine Möglichkeit, die ständigen Demütigungen zu ertragen und die ethische Erziehungsaufgabe des Hochschullehrers zu erfüllen, das war die Versachlichung von Lehre und Forschung. Es ist für Außenstehende, die nicht in der damaligen Zeit, unter den damaligen Bedingungen gelebt haben, schwer zu verstehen, wie Versachlichung von Arbeit Widerstand sein konnte“(…) „Die sachliche Arbeit, die ohne Bücklinge getan und dargestellt wurde, war in schwerer Zeit für viele die Nische, in der sie sich Persönlichkeit bewahren konnten. Und so ist auch ein großer Teil der Leistungen auf akustischem Gebiete an der TU Dresden von Studenten, Assistenten und Hochschullehrern aus dem Bestreben erbracht worden, sich durch wissenschaftliche Arbeit darzustellen und nicht durch willfährige Bekenntnisse.“ In wissenschaftlichen Fragen und Diskussionen war Wolfgang Kraak hartnäckig, mit konsequenter Vertretung seiner wissenschaftlichen Meinung, sachlich tiefgründig streitend, aber nicht nachtragend, mit Dank und Lob die Leistungen des anderen anerkennend. Er war wissenschaftlich fair! Des Weiteren wurde in seinem Leitungsstil besonders gelobt, dass er im Informationsfluss „von oben nach unten“ die Fähigkeit besaß, die Maschenweite des Siebes einerseits der politischen Bedeutung der Information und andererseits der wissenschaftlichen Belastung der Mitarbeiter/innen durch die Information anzupassen. Die Belesenheit von Wolfgang Kraak war nachgerade berühmt. Sein Interesse galt insbesondere der Philosophie, historischen Ereignissen und der bildenden Kunst. Er empfahl uns die Russen Dostojewski, Turgenjew und Tolstoi, des Weiteren Thomas, Heinrich und Klaus Mann, Victor Hugo, Lion Feuchtwanger, und insbesondere den „König David Bericht“ von Stefan Heym und Theodor Fontanes „Stechlin“ (die beiden letztgenannten Werke gehören zum Besten, was er je gelesen habe!). Als unvergessliches Schlüsselerlebnis seiner Bildung und seiner Einstellung wird heute noch das sinnbildhafte Ereignis geschildert, dass er dem verordneten Anbringen eines Honecker-Bildes in seinem Dienstzimmer durch das Aufhängen einer Canaletto-Reproduktion (mit dem Altmarkt von Dresden) in einer Eilaktion zuvorkam. Herr Kraak war seit 1988 emeritiert; er hatte das große Glück, 27 Jahre auf seiner „Altersspielwiese“ tätig sein zu können: Philosophie, gute Belletristik („Nachtzug nach Lissabon“), tägliche, ausgedehnte Spaziergänge, Wanderungen mit philosophischen Überlegungen, gelegentlich eine Veranstaltung an der Universität (Emeritus-Treffen). Was ist das Bleibende seines Wirkens? Wolfgang Kraak hat das Fachgebiet Akustik wissenschaftlich mit seiner ganzen Person vertreten, auch dann, als der hochrangigste Physiker der DDR die Meinung äußerte, dass in der Akustik alles erforscht sei, weil die „Wellengleichung gelöst sei“! Es gehe doch nur noch um Anwendungen! Wolfgang Kraak hat wissenschaftliche Tätigkeit als Bildungsauftrag praktiziert, dass nicht einseitig ausgebildete, akustische Absolventen die Universität verlassen, sondern selbständig denkende und agierende junge Menschen. Wolfgang Kraak war ein Vorbild, wie man in schwerer Zeit ein anständiger Mensch bleiben kann, mit aufrechtem Gang und eigenständigen Konfliktbewältigungsstrategien, die zu vertretbaren Gewissensentscheidungen führen. Wir sind ihm unendlich dankbar, dass wir das durch ihn erleben durften! Wolfgang Kraak verstarb am 23. April 2015. Wir werden ihn als Wissenschaftler und als einen klugen, liebenswerten und sich in hohem Maße durch seine Kollegialität auszeichnenden Menschen in dankbarer Erinnerung behalten. In der Stunde des Abschieds verneigen wir uns mit größter Hochachtung vor Wolfgang Kraak. Dresden, 28. April 2015 Prof. Peter Költzsch
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