Professor Dr. Christoph Herrmann, LL.M. Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht Examensklausurenkurs Sommersemester 2015 Öffentliches Recht – Verwaltungsrecht Schreibtermin: 18.04.2015 Sachverhalt K, ein Kfz-Händler mit türkischem Migrationshintergrund, lässt sich am 18.02.2015 bei der Zulassungsstelle des örtlich zuständigen Landratsamtes Landshut (LRA) das amtliche Kennzeichen "LA - GS 1905" für einen von ihm zum Verkauf angebotenen Pkw reservieren. "GS" steht für den türkischen Traditionsverein "Galatasaray Istanbul" und "1905" für das Gründungsjahr des Vereins. K benutzt hierzu das von der Zulassungsstelle bereitgestellte Online-Formular, das den wesentlichen Inhalt einer entsprechenden internen Richtlinie des LRA an seine Mitarbeiter wiedergibt. In dem Online-Formular heißt es: „Wunschkennzeichen Sie können sich ein von Ihnen gewünschtes und freies Kfz-Kennzeichen für Ihr Fahrzeug aussuchen und vor der Zulassung entweder vor Ort in der Kfz-Zulassungsbehörde, über das Internet oder telefonisch für 90 Tage reservieren. Eine Übertragung des Wunschkennzeichens an Dritte erfolgt nur nach Vorlage einer schriftlichen Einverständniserklärung des Reservierungsinhabers. Für die telefonische und für die Online-Reservierung erhöht sich der Betrag für das Wunschkennzeichen um 2,60 € auf insgesamt 12,80 €. Für eine nicht in Anspruch genommene Reservierung wird keine Gebühr erhoben. Die endgültige Vergabe der Kennzeichen erfolgt erst im Rahmen der Zulassung.“ K erhält umgehend eine einfache formlose E-Mail der Zulassungsstelle, in der ihm die vorgenommene Reservierung bestätigt wird. 1. Teil Am 18.03.2015 erscheint S, der Sohn von T, einem glühenden Fan von „Galatasaray Istanbul“, beim örtlich zuständigen LRA und beantragt unter Vorlage einer Vollmacht des T, seinem Vater das Kennzeichen „LA - GS 1905“ zuzuteilen. Auf Nachfrage der Mitarbeiterin M bezüglich der bestehenden Reservierung des K entgegnet S lediglich „Das ist mein Onkel. Das passt schon". M, die sich der besonderen Bedeutung des Kennzeichens nichts bewusst ist, teilt das Kennzeichen dem Pkw des T zu, ohne sich eine Vollmacht des angeblichen Onkels vorlegen zu lassen. Der Pkw des T wird sodann zugelassen. Als K zufällig davon erfährt, wendet er sich erbost an das LRA. Das Kennzeichen sei für ihn vorgesehen und besitze einen hohen persönlichen Wert für ihn. Er sei keinesfalls mit diesem Betrug einverstanden. Nachdem das LRA T ordnungsgemäß angehört und erfolglos zum Kennzeichenwechsel aufgefordert hat, erlässt es am 20.04.2015 den mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen und mit „Betreff: Anordnung der Vorführung des Pkw, amtl. Kennzeichen LA - GS 1905, sowie Änderung der Erkennungsnummer von Amts wegen“ überschriebenen Bescheid, nach dessen Tenor 1 T seinen Pkw vorzuführen und die Zulassungsbescheinigungen sowie die Kennzeichenschilder der Zulassungsbehörde vorzulegen habe. Zur Begründung wird ausgeführt, durch das wahrheitswidrige Verhalten des S habe die Zulassungsstelle das Kennzeichen gutgläubig für das Fahrzeug des T vergeben. Rechtliche Grundlage der getroffenen Anordnungen sei § 8 Abs. 2 FZV. Das Landratsamt sei nicht gewillt, dem T das durch eine Täuschungshandlung erlangte Kennzeichen zu belassen. Ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Buchstaben-Zahlen-Kombination bestehe nicht. Dies gelte insbesondere dann, wenn das Kennzeichen von einer anderen Person reserviert worden sei. Unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens werden deshalb die Vorführung des Fahrzeugs und die Vorlage der Zulassungsbescheinigungen und Kennzeichenschilder zum Zwecke der Änderung der Erkennungsnummer von Amts wegen angeordnet. Das Interesse des T wiege klar schwächer als das Interesse desjenigen, der das Kennzeichen reserviert habe, dieses zugeteilt zu bekommen. Eine vorsätzliche Täuschungshandlung begründe kein schutzwürdiges Vertrauen und dürfe nicht folgenlos bleiben. Eine Kennzeichenänderung von Amts wegen signalisiere über den konkreten Adressaten hinaus, dass die Zulassungsbehörde nicht gewillt sei, den gegenwärtigen Zustand zu dulden und unredliches Verhalten von Antragstellern zu akzeptieren. Gegen diesen Bescheid erhebt T form- und fristgemäß Klage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Er führt darin aus, das LRA selbst habe den maßgeblichen Fehler begangen, indem M sich die Vollmacht des vermeintlichen Onkels nicht habe vorlegen lassen. T habe keine Kenntnis vom Verhalten des S gehabt, das ihm auch nicht zugerechnet werden könne. Der Bescheid sei rechtswidrig, weil die offensichtlich bezweckte Kennzeichenänderung darin nicht angeordnet werde und sich auch nicht auf die zitierte Rechtsgrundlage stützen lasse. Darüber hinaus reserviere K laufend eine Vielzahl von Kennzeichen, die mit Fußballvereinen in der Türkei in Verbindung gebracht werden können, was zutrifft. Diese Art „Vorratshaltung“ führe dazu, dass Kennzeichen gegen Bezahlung einer „Ablöse“ an Dritte weitergeben würden, möglicherweise auch um ein (Gebraucht-) Fahrzeug teurer verkaufen zu können. Ein solches Verhalten dürfe behördlicherseits nicht geschützt oder gefördert werden und liefe dem Zweck der Kennzeichenzuteilung zuwider. 2. Teil Überraschend einigen sich T und die Prozessvertreterin des LRA noch während der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vergleichsweise auf einen freiwilligen Kennzeichenwechsel, der am 18.05.2015 vorgenommen wird. Umgehend wird K aktiv und stellt am selben Tag bei der Zulassungsstelle des LRA unter Hinweis auf seine Reservierung einen ordnungsgemäßen Antrag auf Zulassung des in der Reservierung genannten Pkw unter Zuteilung des Kennzeichens „LA - GS 1905“. Nach Konsultationen mit der Behördenleiterin lehnt M den Antrag jedoch mit Bescheid vom 25.05.2015 ab und stellt lediglich die Zuteilung eines zufälligen Kennzeichens in Aussicht. Zu einer Abstempelung der Kennzeichenschilder und Ausfertigung der Zulassungsbescheinigung kommt es erst gar nicht. In der Begründung des ablehnenden Bescheides führt das LRA aus, dass eine Reservierung nicht rechtsverbindlich ist. Denn die Kennzeichenvergabe erfolge erst im Zulassungsverfahren und es gebe außerdem eine „Geld-zurück-Garantie“. Darüber hinaus dürften Reservierungen mittlerweile ausschließlich für und im Namen des zukünftigen privaten Halters eines Kfz vorgenommen werden. Das LRA weist zutreffend darauf hin, dass die Richtlinie und der Informationstext des OnlineFormulars nach der Reservierung des K dementsprechend geändert worden seien. Damit solle missbräuchlichem Kennzeichenhandel vorgebeugt werden. Die Zuteilung von Wunschkennzeichen sei ein bürgerfreundlicher Service und diene nicht der Bereicherung von Kfz-Händlern. Einem Rechtsstreit sehe das LRA gelassen entgegen, weil höchstens auf die Zulassung als Ganze ein Anspruch bestehe. Die sei vorliegend aber gar nicht verweigert worden. Die Reservierung für das begehrte Kennzeichen „LA - GS 1905“ sei ohnehin bereits abgelaufen. 2 Um sein Wunschkennzeichen doch noch zu erhalten, erhebt K frist- und formgerecht Klage vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Dass er Reservierungen zu gewerblichen Zwecken vornehme, sei nicht verboten, sondern sogar grundrechtlich geschützt. Die Verwaltung müsse Absprachen einhalten, die sie sich nachher entlohnen lasse. Könnte sich das LRA durch eine bloße Änderung von Verwaltungsvorschriften rückwirkend seiner Verpflichtungen entledigen, verstieße dies gegen den Grundsatz der Vertragstreue sowie das allgemeine Willkürverbot und enttäusche das schutzwürdige Vertrauen des K. Bearbeitervermerk In einem Gutachten, das auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, sind in der vorgegebenen Reihenfolge 1. die Erfolgsaussichten der Klage des T und 2. die Erfolgsaussichten der Klage des K zu erörtern. Bei den Fahrzeugen des K und des T handelt es sich um nach der FZV zulassungspflichtige Kfz, die nach § 3 Abs. 1 S. 2 FZV auch zulassungsfähig sind. Auf die in der Anlage abgedruckten Vorschriften der FZV wird hingewiesen. Andere Vorschriften der FZV oder des Straßenverkehrsrechts bleiben bei der Bearbeitung außer Betracht. Vorschriften der Verfassung des Freistaates Bayern sind nicht zu prüfen. Es ist davon auszugehen, dass die Zuteilung von Wunschkennzeichen und deren Reservierung lediglich durch die dem wiedergegebenen Informationstext des Online-Formulars entsprechende Richtlinie geregelt sind. Die zur FZV ergangene Gebührenordnung sieht zwar eine besondere Gebührennummer für die Zuteilung von Wunschkennzeichen vor, nicht aber für deren Reservierung. Anlage: Auszug aus der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) § 1 Anwendungsbereich Diese Verordnung ist anzuwenden auf die Zulassung von Kraftfahrzeugen mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 6 km/h und die Zulassung ihrer Anhänger. § 3 Notwendigkeit einer Zulassung (1) Fahrzeuge dürfen auf öffentlichen Straßen nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind. Die Zulassung wird auf Antrag erteilt, wenn das Fahrzeug einem genehmigten Typ entspricht oder eine Einzelgenehmigung erteilt ist und eine dem Pflichtversicherungsgesetz entsprechende Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung besteht. Die Zulassung erfolgt durch Zuteilung eines Kennzeichens, Abstempelung der Kennzeichenschilder und Ausfertigung einer Zulassungsbescheinigung. (…) § 6 Antrag auf Zulassung 3 (1) Die Zulassung eines Fahrzeugs ist bei der nach § 46 örtlich zuständigen Zulassungsbehörde zu beantragen. (…) (…) § 8 Zuteilung von Kennzeichen (1) Die nach Landesrecht zuständige Behörde (Zulassungsbehörde) teilt dem Fahrzeug ein Kennzeichen zu, um eine Identifizierung des Halters zu ermöglichen. Das Kennzeichen besteht aus einem Unterscheidungszeichen (ein bis drei Buchstaben) für den Verwaltungsbezirk, in dem das Fahrzeug zugelassen ist, und einer auf das einzelne Fahrzeug bezogenen Erkennungsnummer. Die Zeichenkombination der Erkennungsnummer sowie die Kombination aus Unterscheidungszeichen und Erkennungsnummer dürfen nicht gegen die guten Sitten verstoßen. (…) (…) (2) Die Unterscheidungszeichen der Verwaltungsbezirke werden auf Antrag der Länder vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung festgelegt oder aufgehoben. (…) (3) Die Zulassungsbehörde kann das zugeteilte Kennzeichen von Amts wegen oder auf Antrag ändern und hierzu die Vorführung des Fahrzeugs anordnen. § 10 Ausgestaltung und Anbringung der Kennzeichen (1) Unterscheidungszeichen und Erkennungsnummern sind mit schwarzer Beschriftung auf weißem schwarz gerandetem Grund auf ein Kennzeichenschild aufzubringen. (…) (…) (3) Das Kennzeichenschild mit zugeteiltem Kennzeichen muss der Zulassungsbehörde zur Abstempelung durch eine Stempelplakette vorgelegt werden. (…) § 46 Zuständigkeiten (1) Diese Verordnung wird von den nach Landesrecht zuständigen unteren Verwaltungsbehörden ausgeführt. (…) (…) 4
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