„Letztlich kommt es auf die Innovationskraft an“

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HR-Special
Zutaten für die digital vernetzte Arbeitswelt
ruptiv – transformieren, so hat sich Arbeitskultur, Führung und damit HR zu transformieren. Historisch wie im
Kontext der digitalen Revolution gilt: Technologische
und soziale Innovation sind Zwillinge.“ Mit seinem Beitrag auf der HR-Leitmesse in Köln legt er das Augenmerk auf den Aspekt Führung: „Zentralistische Ansätze
zwischen Mikromanagement und Kontrolle haben als
Führungsinstrument ausgedient“, so Sattelberger. Anstelle straffer Hierarchien treten den Beobachtungen
des ehemaligen Personalvorstands zufolge Prinzipien
wie Dezentralisierung von Verantwortung, Souveränität
und Selbstmanagement in den Vordergrund.
Top-Thema „arbeiten 4.0“ der Messe Zukunft
Personal zeigt, wie Personalverantwortliche den
digitalen Wandel gestalten können.
Wir erleben derzeit einen epochalen Umbruch der
Wirtschaft. Was im 18. Jahrhundert die Einführung
der Dampfmaschine (Arbeiten 1.0), im 19. Jahrhundert die Anfänge von Massenproduktion und Wohlfahrtsstaat (Arbeiten 2.0) und ab den 80er Jahren des
20. Jahrhunderts Trends wie die Automatisierung und
Globalisierung (Arbeiten 3.0) waren, ist heute die digitale Vernetzung. Gewohnte Geschäftspraktiken und
eingespielte Arbeitsabläufe stoßen dabei immer häufiger an ihre Grenzen. Die Arbeitswelt im Sinne von
Arbeiten 4.0 muss sich erst noch neu finden.„Die digitale Transformation hat massive Auswirkungen auf
die Art und Weise, wie wir arbeiten: Disruptive und
ganz neue Geschäftsmodelle sowie mobiles, vernetztes Arbeiten führen in einer bisher noch nicht erlebten
Geschwindigkeit zu massiven Veränderungen am
Arbeitsplatz“, erklärt Ralf Hocke, Geschäftsführer von
spring Messe Management, dem Veranstalter der
Zukunft Personal. Diese neue Dimension reflektiert
Europas größte Messe für Human Resources (HR)
mit dem Motto „arbeiten 4.0 – Personalmanagement
im digitalen Wandel“. Neue Formen der Zusammenarbeit, der Vernetzung, des gesunden Einklangs von
Arbeit und Freizeit sowie des Kompetenzerwerbs stehen dabei auf der Agenda.
Bundesministerin Andrea Nahles spricht zu
„arbeiten 4.0“
„Als eine der führenden Industrienationen haben
wir in Deutschland die Verantwortung, das Beste
aus der Digitalisierung zu machen und mit einem
vorbildlichen Personalmanagement gute Arbeitsbedingungen für alle zu gestalten“, ist der Messemacher Hocke überzeugt. Vor diesem Hintergrund
ist es ein Glücksfall für die „HR-Szene“, dass inzwischen die Politik das Thema aufgegriffen hat.
„Die Revolution des Digitalen erfordert eine behutsame Evolution des Sozialen“, betont die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles im
Grünbuch „Arbeiten 4.0 – Arbeit weiter denken“, das
auf der Auftaktveranstaltung eines Dialogprozesses
zu dem Thema im April 2015 in Berlin vorgestellt
wurde. Arbeit sei die zentrale Schnittstelle der Veränderung in Zeiten der digitalen Transformation. Neue
Ansprüche an die Organisation der Arbeit müssten
in einen kulturellen Wandel eingebunden werden. In
einer Rede mit dem Titel „Arbeiten 4.0: Der Mensch
bleibt im Mittelpunkt“ steuert Andrea Nahles auf der
Messe in Köln ihre konkreten Ideen dazu bei.
Deregulierung oder Praxisbezug statt Dogmatik?
Andrea Nahles,
Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Der Vorstoß der Ministerin ruft auch die Arbeitsrechtler
auf den Plan: Sie beschäftigt die Frage, wie praxistauglich im Zuge von Arbeiten 4.0 aktuelle Regelungen und Gesetze noch sind. „Dass ein Grünbuch nicht
genügt, sondern das Arbeitsrecht auch über Deregulierung angepasst werden muss, haben wir vom
Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen
(BVAU) bereits gefordert“, sagte BVAU-Präsident Alexander R. Zumkeller kürzlich in einem Artikel auf Haufe
online. Der neuen Generation werde „Work Life Balance“ so wichtig sein, dass sie Dauer und Lage der Arbeitszeit selbst bestimme. Der Haken an der Sache:
Starre Arbeitszeitgesetze passen dazu nicht mehr.
„Sich selbstbestimmt einen Tag oder eine Woche einzurichten, den Ablauf von Wetter, Freunden, Kindern
abhängig zu gestalten – das kollidiert mit einer elfstündigen Ruhezeit oder einem Sonntagsarbeitsverbot.“
Sattelberger: „Technologische und soziale Innovation sind Zwillinge“
Neben Podiumsdiskussionen zur arbeitsrechtlichen
Komponente von „arbeiten 4.0“ bietet die Zukunft Personal gemeinsam mit der Initiative Neue Qualität der
Arbeit (INQA) aus dem Hause des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales weitere Denkanstöße. Im
umfassenden Programm der Messe ist unter anderem
Vordenker Thomas Sattelberger mit von der Partie, der
als Themenbotschafter Führung der INQA die Ära der
Digitalisierung wortgewaltig wie gewohnt begleitet:
„Genauso wie sich Geschäftsmodelle – teilweise dis-
Kill HR! Demokratie durch Technologie befähigen
Mehr Demokratisierung von Unternehmen ist inzwischen ein beliebtes Thema in den Medien. Mit dazu
beigetragen hat unter anderem Haufe umantis in der
Schweiz: Auf Initiative von Mitgründer Hermann Arnold
hinterfragte die Softwareschmiede herkömmliche Führungsstrukturen. Heute wählen die Beschäftigten in
einer demokratischen Wahl ihre Chefs, inklusive CEO,
und bestimmen bei wichtigen Geschäftsentscheidungen mit. „Es geht um eine radikale Umverteilung von
Macht und Verantwortung in die Hände kleiner, unternehmerischer Teams, die als Föderation eine neue Art
überzeugte Komplizen-Organisation bilden“, erklärt
Heiko Fischer. Der CEO von Resourceful Humans ist
ein Pionier auf dem Gebiet der Unternehmensdemokratie. Seinen radikal andersartigen Management-Ansatz, den auch die Haufe-Gruppe durchlaufen hat, leitet Fischer von erfolgreichen Mitunternehmerkulturen
wie HP-Way, SEMCO, Morningstar, Zappos oder W.
L. Gore & Associates ab. Neuartige Technologien für
Strategie, Performance, Feedback und Bonus-Crowdsourcing sollen demnach beim Transformationsweg
von Führung eine entscheidende Rolle spielen.
HR als Innovationsförderer?
Eine Organisationskultur, die Führungskräfte und
Mitarbeiter dazu ermuntert, mitunternehmerisch zu
handeln, befürwortet auch Prof. Dr. phil. Peter Kels,
Professor für Führung, Organisation und Personal an
der Hochschule Luzern. Er setzt den Schwerpunkt
auf eine innovationsförderliche Rolle von HR, denn
in Zeiten eines beschleunigten, über Technologien,
Innovation und Wissen ausgetragenen globalen Wettbewerbs müssten sich Unternehmen über kontinuierliche Innovationserfolge am Markt behaupten. „Hierzu benötigen sie nicht nur vertiefte Branchen- und
Technologiekompetenz, sondern auch die Fähigkeit,
verfügbare Innovationspotenziale fortlaufend zu aktivieren, zu nutzen und zu erneuern“, meint Kels. „HR
sollte gemeinsam mit den Führungskräften an einer
Führungs- und Managementkultur arbeiten, in der
fortlaufende Selbstbeobachtung, Selbstkritik sowie
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HR-Special
lernende Organisation um. Dies schließe alle Abteilungen, alle Fachrichtungen und alle Hierarchieebenen mit ein – angefangen vom Universitätsabgänger
bis hin zur erfahrenen Führungskraft. SAP investiere
dabei in großem Stil und auf globaler Ebene in eine
Lernkultur, also in fachliche, technische, auf alle Bedarfe und Rollen abgestimmte Lerninhalte, ob online
oder im Klassenzimmer. Derartige Aufgaben gehörten aktuell in HR noch eher zur Kür, müssten aber zur
Pflicht werden. „Um sich diesen Themen widmen zu
können, hilft es, die Pflichtaufgaben weitestgehend
zu standardisieren und zu automatisieren“, so Ries.
HR-Vordenker Thomas Sattelberger: „Technologische und soziale Innovation sind Zwillinge.“
Lern- und Wandlungsfähigkeit einen Platz erhalten.“
Auf diese Weise förderten Unternehmen eine Kultur,
die Führungskräfte und Mitarbeiter anrege und ermuntere, sich mit neuen Entwicklungen und Trends
auseinanderzusetzen und zu experimentieren.
whatever mobile: Agile Softwareentwicklung auf
Organisationsentwicklung übertragen
„Kundenanforderungen ändern sich, und zwar
schnell. Darauf mussten wir reagieren, um weiterhin
erfolgreich zu sein“, bestätigt Stefanie Cortinovis,
Personal-Managerin von whatever mobile, einem
international agierenden, inhabergeführten Mobile
Solutions Provider mit Sitz in Hamburg. Zunächst
habe das Unternehmen Methoden agiler SoftwareEntwicklung eingeführt. „Schnell bemerkten wir, dass
wir mit der Anwendung von agilen Prinzipien auf die
gesamte Organisation unsere Kunden begeistern
können.“ Laut dem internen „Manifest für Agile Softwareentwicklung“ von whatever mobile sind etwa
Individuen und Interaktionen wichtiger als Prozesse
und Werkzeuge, funktionierende Software wichtiger
als umfassende Dokumentation, Zusammenarbeit mit
dem Kunden wichtiger als Vertragsverhandlung und
das Reagieren auf Veränderung wichtiger als das Befolgen eines Plans.
Arbeitswelt 4.0 – Mensch oder Maschine auf dem
Vormarsch?
In der Produktion entstehen durch den digitalen
Wandel besonders viele Herausforderungen. Mit der
Digitalisierung der Fabriken, Stichwort Internet der
Dinge und Industrie 4.0, verändern sich die Fertigungsprozesse. „Maschinen kommunizieren mit Maschinen, die Produktion steuert sich quasi selbst, das
Entstehen von Produkten steuert die Software“, so Dr.
Rupert Felder, Personalleiter der Heidelberger Druckmaschinen AG. „Der Mensch muss seine Rolle in
dieser künftigen ‚Fertigung 4.0‘ neu definieren.“ Das
habe Auswirkungen auf HR, insbesondere bei Ausbildung, Qualifizierung und Mitbestimmung. „Ohne
eine systematische Schulung der Führungsriege –
auch in Bezug auf künftige Marktentwicklungen, wie
Industrie 4.0 – ist kein Wandel möglich“, meint Stefan
Ries, Chief Human Resources Manager und Mitglied
im Managing Board der SAP SE. Der Personalbereich
der SAP baue das Unternehmen sukzessive in eine
Sind Personaler Getriebene oder Gestalter des
Umbruchs?
All diese Zutaten der neuen Arbeitswelt 4.0 sind ein
Anfang. Letztlich werden neue Ansätze im Personalmanagement zeigen, ob die führenden Akteure in Unternehmen dem digitalen Wandel als Getriebene oder
als Gestalter beiwohnen. Denn die Frage ist schließlich auch: Führen neue Arbeitsbedingungen zu mehr
Freiheit und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz oder
droht uns eine Diktatur der Technik? Nicht nur der
Gesetzgeber, sondern auch Führungskräfte und
Personalmanager sind gefordert, die Arbeitswelt von
morgen menschlich und gleichzeitig gewinnbringend
für ihre Organisationen zu gestalten. Die Zukunft Personal 2015 liefert mit ihrem Messemotto „arbeiten 4.0“
eine Plattform für Diskussionen und neue Impulse.
Von Stefanie Hornung
Messe Zukunft Personal
15. bis 17. September, Koelnmesse
Programm-Highlights:
„Arbeiten 4.0: Der Mensch bleibt im Mittelpunkt“
Rede von Bundesministerin für Arbeit und
Soziales Andrea Nahles
Donnerstag, 17. September 2015, 10 Uhr
„Ära der Digitalisierung: Müssen sich Führung
und Personalarbeit neu erfinden?“
Thomas Sattelberger, Themenbotschafter der
Initiative Neue Qualität der Arbeit
Mittwoch, 16. September 2015, 10.15 Uhr
FutureLAB HR: Zukunft gestalten – digital vernetzte Diskussionen zum Thema „arbeiten 4.0“
an allen drei Messetagen
Weitere Informationen:
www.zukunft-personal.de
US-Hochschulabschluss –
Berufsbegleitend!
In Deutschland arbeiten und nebenbei einen US-Abschluss erlangen – wie ist das möglich?
Das Transatlantik-Institut der Hochschule Ludwigshafen
hat die Antwort: Im berufsbegleitenden Executive MBAProgramm in Zusammenarbeit mit der University of West
Florida kommen die amerikanischen Dozenten für je zwei
Wochenenden im Monat zur Vorlesung nach Ludwigshafen. Zwei Aufenthalte an der Partner-Universität in Pensacola an der traumhaften Küste Floridas sind ebenfalls Teil
des Studienprogramms. Auch für Quereinsteiger aus anderen Fachrichtungen ist dieser MBA die Chance, sich
in kurzer Zeit Business- und Management-Know-How
anzueignen und sich auf verantwortungsvolle Positionen
und Führungsaufgaben im internationalen Umfeld vorzubereiten. Das 18 Monate dauernde Programm richtet
sich daher an Hochschulabsolventen aller Fachrichtungen mit Berufserfahrung. Die Akkreditierung der University of West Florida durch die AACSB garantiert das
hohe Niveau der Wissensvermittlung und die exzellente
Qualität des Programms. Die systematische Planung der
Kurse und die Höhe des Lernumfangs ermöglichen die
Durchführung des Programms auch bei voller Berufstätigkeit. So bietet sich die Chance, auch ohne Ortswechsel oder Unterbrechung der Erwerbstätigkeit einen USamerikanischen Hochschulabschluss zu erlangen.
Das Programm beginnt mit einem zweiwöchigen Aufenthalt auf dem Campus der University of West Florida
in Pensacola. Hier werden die ersten drei Kurse begonnen und in den folgenden Monaten in Ludwigshafen zu
Ende geführt. Die weiteren Kurse werden über einen
Zeitraum von jeweils zwei Monaten in Ludwigshafen absolviert. Klassischer „Frontal-Unterricht“ ist hier jedoch
die Ausnahme: Case Studies, Gruppenarbeiten, Präsentationen und Unternehmensprojekte machen den
Großteil des Studiums aus. „Durch den engen Kontakt
zu den amerikanischen Professoren und die kleinen
Gruppengrößen erhält jeder Einzelne die Möglichkeit,
sich auch in seinen persönlichen Interessensgebieten
weiterzuentwickeln,“ so ein begeisterter Absolvent. Der
Kurs „Strategic Management and Policy Formulation“
bildet nach 18 Monaten den Abschluss des Programms
und fasst die vorangegangenen Inhalte mit einem strategischen Blickwinkel zusammen. Finales Highlight
ist die feierliche Graduierung der Teilnehmer auf dem
Campus der University of West Florida in Pensacola.
Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des
Transatlantik-Instituts unter www.transatlantik-institut.de.
Kontakt:
Transatlantik-Institut
Kathrin Paul, MBA (USA)
Turmstraße 8, 67059 Ludwigshafen/Rhein
Tel: +49 (0)621 5203 440
Fax: +49 (0)621 5203 442
[email protected]
Betriebliches Gesundheitsmanagement
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Resilienz: Krisen gestärkt meistern
„Psychische Gesundheit ist ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“,
laut Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dieser Idealzustand ist selbstverständlich nicht ein
Leben lang erreichbar. Allerdings zeigen wissenschaftliche Studien, dass Menschen Belastungen oft besser
verkraften als gemeinhin angenommen. Was aber befähigt Menschen dazu, gesund, zufrieden und leistungsfähig zu sein trotz hoher Belastungen? Zunehmend rückt bei dieser Frage der Begriff Resilienz ins Blickfeld
– auch in HR-Abteilungen. Astrid Jansen, Psychologin und Mitarbeiter- und Führungskräfteberaterin bei der
B.A.D GmbH, hat eine Studie zu Resilienz-Workshops in Kooperation mit dem Bereich Wirtschaftspsychologie an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt. Sie erläutert, was unter Resilienz zu verstehen ist.
Was meint der Begriff und inwieweit ist Resilienz für
die strategische Personalentwicklung von Interesse?
Zu Beginn der Forschung ging man noch davon aus,
dass Resilienz eine Persönlichkeitseigenschaft ist,
die angeboren ist oder im Kindesalter entsteht. Heute
wissen wir, dass Resilienz auch im Erwachsenenalter
gestärkt werden kann. Diese Erkenntnis ist natürlich
für die Herausforderungen, die unser modernes Leben uns abverlangt, bedeutend. Nehmen wir z.B.
die vielfältigen Veränderungen im Arbeitsleben, die
durch Digitalisierung, Globalisierung, hohe fachliche
Anforderungen oder virtuelles Führen gekennzeichnet sind. Angesichts der Komplexität und Dynamik
unserer Arbeitswelt ist die Stärkung von Resilienz im
unternehmerischen Kontext eine sinnvolle Unterstützung für Mitarbeiter und Führungskräfte.
Wie können Personalentwickler psychische Gesundheit
bzw. Resilienz im Unternehmen zum Thema machen?
Personalentwicklerinnen und -entwickler nehmen oftmals deutlich wahr, wenn Mitarbeiter durch berufliche
Veränderungen belastet sind. Beispielsweise haben
In der Beratung von Führungskräften ist der Umgang
mit ihren Ambivalenzen und die eigene Belastbarkeit
bzw. Resilienz aus diesem Grund oftmals ein Thema.
Fotonachweis: Rendel Freude
Das Wort Resilienz kommt aus dem Lateinischen. Wortwörtlich bedeutet resilire „zurückspringen, abprallen“.
Im Bezug auf die psychische Gesundheit meint Resilienz die Widerstandskraft, die es Menschen ermöglicht,
Belastungen und Krisen zu meistern und dabei gesund
zu bleiben. In der Forschung hat die Entwicklungspsychologin Emmy Werner in den 1970er Jahren in einer
Längsschnittstudie an 698 Kindern auf der Hawaiinsel
Kauai gezeigt, dass Kinder, die medizinischen und sozialen Risikofaktoren ausgesetzt waren – zum Beispiel
Geburtskomplikationen oder Armut –, später häufig psychisch und körperlich krank waren und auch beruflich
wenig Erfolg hatten. Überraschenderweise war aber ein
Drittel dieser Kinder dennoch später gesund und beruflich erfolgreich. Darauf basierend haben sich psychologische Forschung und Praxis dafür interessiert, welche
Faktoren dazu beitragen können, dass Kinder bzw.
letztendlich auch Erwachsene trotz widriger Umstände
Herausforderungen und Krisen erfolgreich meistern. Es
sind im Ergebnis verschiedene Faktoren, die die psychische Widerstandskraft von Menschen stärken. Resilienz
ist diesem Verständnis zufolge vergleichbar mit einem
Baum, der sich im Sturm neigt ohne größeren Schaden
zu nehmen. Bezogen auf uns Menschen gehört beispielsweise die Akzeptanz von Situationen oder Belastungen, nach Möglichkeit gepaart mit einem zuversichtlichen Blick in die Zukunft, zu den Resilienzfaktoren.
dass Führungskräfte, die ein Bewusstsein für das Thema Resilienz haben, ihre Mitarbeitergespräche aktiver
gestalten können. Ich möchte aber auch noch einmal
generell auf die Handlungsmöglichkeiten von Führungskräften zu sprechen kommen: Führungskräften
wird heute oftmals eine hohe Verantwortung für die
(psychische) Gesundheit ihrer Mitarbeiter übertragen.
Zum einen können sie sicherlich Einfluss nehmen
auf die Arbeitsgestaltung und die Kommunikation im
Team – mit positiver Wirkung für die Gesundheit und
Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Zum anderen sollten aber auch die Grenzen ihrer Einflussmöglichkeiten
gesehen werden, v.a. wenn sie gleichzeitig beispielsweise einen Umgang mit hoher Arbeitsverdichtung
finden müssen. An diesen Grenzen der Führungskräfte ist die Organisation als Ganzes gefragt.
Astrid Jansen ist Diplom-Psychologin und Mitarbeiter- und Führungskräfteberaterin bei der B·A·D
Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH
sie als Folge von Standortfusionen häufig bedeutend
längere Fahrtzeiten und damit ein höheres Stresserleben oder sie sind durch mehrere aufeinander folgende Umstrukturierungen verunsichert. Beobachtungen
dieser Art sind gute Anlässe, um im Unternehmen
eine Bestandsaufnahme durchzuführen und strategische Lösungen zur Reduzierung von psychischen
Belastungen zu entwickeln.
Der B·A·D führt auch die nach §5 des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtende Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durch. Diese lässt sich gut zur
Erhebung von Belastungsfaktoren und zur Entwicklung
von adäquaten Maßnahmen nutzen. Personalentwickler erhalten durch sie wichtige Hinweise für Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung und psycho-sozialen
Unterstützung von Mitarbeitern und Führungskräften,
zum Beispiel mittels externer Beratung oder Coaching.
Inwieweit ist Resilienz ein Führungskräftethema?
Gerade bei psychischen Erkrankungen erlebe ich
häufig Verunsicherung bei Führungskräften. Mit Hilfe
des Resilienzkonzeptes können sie eine Gesprächsführung entwickeln, die sie befähigt, ihre Mitarbeiter
auch in diesen Situationen ihrer Rolle gemäß zu begleiten. Zudem ist es nicht selten, dass Führungskräfte von privaten Belastungen der Mitarbeiter erfahren,
zum Beispiel, wenn Eltern pflegebedürftig erkranken
oder eine Trennung zu verarbeiten ist. Auch hier gilt,
Wie genau gehen Sie im B·A·D bei Fragen zu Resilienz und psychischer Gesundheit vor?
Die Mitarbeiter- und Führungskräfteberatung des
B·A·D ist auf den Bereich der psychischen Gesundheit spezialisiert. Wie schon erwähnt, führen wir unter
anderem die Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastungen in Unternehmen durch und können das
Unternehmen darauf basierend auch strategisch gut
beraten. In der Beratung bieten wir bewusst verschiedene Formate an. Das niedrigschwelligste Angebot
für Mitarbeiter ist die telefonische psycho-soziale Beratung „Sprech:zeit“ mit systemisch geschulten Sozialpädagogen und Psychologen. Dazu kommen Individualberatungen für Mitarbeiter und Führungskräfte in
den Räumen des Unternehmens oder des B∙A∙D. Hier
können berufliche und private Fragen lösungsorientiert besprochen werden. Zudem bieten wir Vorträge
und Workshops zum Thema Resilienz und zu weiteren
Themen an. In diesen können die Teilnehmer Resilienz
als Konzept kennen und einsetzen lernen. So werden
Resilienzfaktoren für die Zukunft nutzbar. Den Angeboten der Mitarbeiter- und Führungskräfteberatung liegt
die Überzeugung zugrunde, dass Menschen vor allem
durch Beratung in schwierigen Situationen befähigt
werden, erste Schritte zur Lösung zu gehen.
Was zeichnet ein resilientes Unternehmen aus?
Der Resilienzansatz kann auch auf die Ebene des
Unternehmens übertragen werden. In Kenntnis der
Idee von „Resilienz“ lassen sich auch in Teams oder
für ganze Organisationen Faktoren zur Stärkung der
Widerstandskraft beispielsweise im Umgang mit
Marktherausforderungen bewusst machen und weiter entwickeln. Ein resilientes Unternehmen erkennt
man übrigens oftmals bereits an der Stimmung seiner
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und zwar vom Empfang bis zur Chefetage – und umgekehrt.
Mitarbeiterbefragung
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Mitarbeiterbefragung 4.0
Bei der Gestaltung der Organisationsentwicklung/-kultur zählt heute die Mitarbeiterbefragung zu den etablierten Managementinstrumenten. Großunternehmen und zunehmend auch mittelständische Unternehmen nutzen die regelmäßigen und systemischen Rückmeldungen ihrer Beschäftigten. Damit
wird ein Lernprozess in Gang gesetzt bzw. am Laufen gehalten, um auf die strategischen und operativen Herausforderungen des Marktes effektiver reagieren zu können. Wie hat sich das Instrument in den letzten 20
Jahren verändert? Was sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren im Kontext des Megatrends Digitalisierung?
Effiziente Prozesse
Je nach Unternehmensstruktur und
–größe können Mitarbeiterbefragungen komplexe Projekte werden
(Mehrsprachigkeit, komplexe Organisationsstrukturen, Sonderwünsche in verschiedenen Organisationsbereichen). Abhilfe schafft hier
die Digitalisierung. Der Einsatz von
webbasierten Tools erleichtert nicht
nur die Datenerhebung in Form einer Onlinebefragung. Erfolgreiche
Projekte zeichnen sich insgesamt
dadurch aus, dass sämtliche Projektphasen durch smarte Tools unterstützt werden, die mit einfachen
Schnittstellen an die Prozesse der
Unternehmen andocken. Das erleichtert nicht nur die Arbeit der Projektverantwortlichen in den Unternehmen, sondern
erleichtert auch den Beschäftigten die Teilnahme an
der Befragung mittels Zugang über alle onlinefähigen
Endgeräte (PC, Notebook, Tablet, Smartphone).
Häufigere Befragungen
War es vor einigen Jahren in der Regel noch ein Befragungszyklus von 2-3 Jahren, wird mittlerweile eher
jährlich eine Befragung durchgeführt – teilweise sogar
häufiger. Unternehmen reagieren damit auf die zunehmende Dynamik der Umwelt und nutzen den Input der
Mitarbeiterbefragung, um sich schnell anzupassen
bzw. schnell auf Stimmungen in der Belegschaft reagieren zu können. Eine gut kombinierte und abgestimmte
Befragungssystematik mit kurzen Pulsbefragungen
und umfassenderen Mitarbeiterbefragungen sind hier
die entscheidenden Erfolgskriterien auf lange Sicht.
Schnelle Ergebnisrückmeldungen
Damit eine Mitarbeiterbefragung ihre volle Wirkung entfalten kann, ist eine schnelle und präzise Ergebnisrückmeldung wichtig. Führungskräfte erwarten mittlerweile
schon während der Befragung Teilnahmeinformationen
in Echtzeit sowie eine aussagekräftige und gut verständliche Ergebnisaufbereitung in der Folge – natürlich online verfügbar, immer und überall. Die Verknüpfung mit anderen Datenquellen im Unternehmen oder
auch aus dem Unternehmensumfeld im Sinne von Linkage und Big Data gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Mehrwert für Führungskräfte und
Beschäftigte schaffen
Es gilt, die richtigen Themen in einer Mitarbeiterbefragung anzusprechen: Justierung strategischer Aspekte ebenso wie die unmittelbaren Belange der Beschäftigten. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse
liefern hier gute Orientierung und sollten unbedingt
bei der Themenauswahl berücksichtigt werden. Die
Ergebnisaufbereitung muss dann auch kontextabhängig erfolgen, eine schnelle Übersicht bieten und
eine zügige Priorisierung der Themen im Folgeprozess ermöglichen. Letztlich ist die Arbeit mit den Ergebnissen der entscheidendste Erfolgsfaktor.
Fokus auf Folgeprozesse
Vor allem die Unternehmen, die Erkenntnisse aus
Mitarbeiterbefragungen wie selbstverständlich in ihre
Steuerungs- und Managementprozesse einfließen
lassen, profitieren am meisten. Bei allen konzeptionellen Überlegungen und vorbereitenden Prozessen
sind daher die Konzeption und operative Verankerung des Folgeprozesses von Anfang an die wichtigsten Bausteine. Auch hierbei tragen Onlinesysteme, die die Führungskräfte beim Folgeprozess gezielt
unterstützen, entscheidend zum Gesamterfolg bei.
„Mut zu einer offenen Energiewelt“
Der Energiemarkt stagniert insgesamt. Dennoch
ergeben sich für innovative Unternehmen neue
Wachstumspotenziale, erwartet Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln sowie Direktor des
Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI). Um die Dynamik der Branche zu
stärken, drängt er im folgenden Interview auf den
Abbau von Wettbewerbsverzerrungen und fordert
„Mut zu einer offenen Energiewelt“.
aufgegangen ist – nämlich die Wette auf immer weiter
steigende globale Brennstoffpreise. Denn die Abkopplung von dieser vermeintlichen globalen Preisdynamik
war ein Argument für den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien. Nun ist das Gegenteil eingetreten,
und die gesunkenen Brennstoffpreise werden zu einer
zusätzlichen Belastung für die deutsche Energiewendepolitik, weil die relativen Kosten für deren Umsetzung
steigen. Ineffiziente CO2-Minderungsmaßnahmen
kann Europa sich heute noch weniger denn je leisten.
Der Fracking-Boom in den USA hat das Gefüge der
globalen Öl- und Gasmärkte verändert, gleichzeitig
erreicht der Ölpreis immer neue Tiefststände. Welche
Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf die
deutsche Energiebranche? Sehen Sie auch Folgen
für die Energiewende?
Welche Lehren sollten Politiker, aber auch Unternehmen aus solchen unerwarteten Entwicklungen
ziehen?
Die fallenden Energiepreise in den letzten Monaten
haben gezeigt, dass eine wichtige Grundannahme der
deutschen Energiewendelogik zumindest bislang nicht
Erstens: Die deutsche Energiewirtschaft findet im globalen Kontext statt. Weltmarktpreise entwickeln sich
dynamisch und sind relevant für Entscheidungen vor
Ort. Auch technologisch können wir uns nicht dauerhaft
von der Welt abkoppeln. Denn im globalen Wettbewerb
werden sich letztlich diejenigen Energietechnologien
Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge ist seit 2007 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln
sowie Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an
der Universität zu Köln (EWI). Neben seinen Leitungsaufgaben befasst sich Prof. Bettzüge vorrangig mit der
Analyse von internationalen Energiemärkten Grundsatzfragen der Energiewirtschaft und Energiepolitik.
Energie + Umwelt
durchsetzen, die im weltweiten Maßstab wirtschaftlich
sind – nicht diejenigen, die in Deutschland staatlich unterstützt werden. Und es werden nur diejenigen Länder
und Unternehmen von dieser Entwicklung profitieren,
die sich schnell und effizient auf neue Technologien
einstellen können. Zweitens: Wettbewerb ist der bessere Treiber für erfolgreiche Innovation als staatliche Subventionen. Auch nach fast 25 Jahren Förderung sind
die erneuerbaren Energien in Deutschland immer noch
auf direkte oder indirekte Staatsgarantien angewiesen.
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ben sich für innovative Unternehmen neue Wachstumspotenziale. Der Markt als solcher stagniert aber – wir
sprechen also von einem Verdrängungswettbewerb.
Um die Dynamik der Branche weiter zu erhöhen, sollte
die Politik die vielen verbliebenen Wettbewerbshemmnisse und -verzerrungen abbauen. Letztlich sollten
wir in der europäischen und deutschen Energiepolitik
viel stärker auf die Innovationskraft der Unternehmen
setzen und weniger auf eine staatliche Durchregulierung der Branche. Mut zu einer offenen Energie-Welt
„Neue Marktteilnehmer wie beispielsweise ITDienstleister oder Wetterdienste werden die Energiebranche in Zukunft noch deutlicher prägen. Hier
tun sich ungeahnte Entwicklungspotenziale auf.“
Das wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern.
Die neuen Bohrtechnologien in den USA hingegen haben solche Garantien nicht erhalten und haben in kürzerer Zeit deutlich umfangreichere Veränderungen auf
den weltweiten Märkte nach sich gezogen.
Die Energiewende setzt vor allem auf den Ausbau
erneuerbarer Energien und auf Energieeffizienz. Auf
welche Veränderungen müssen sich die Unternehmen
der Energiebranche einstellen?
Wichtiger als die sogenannte Energiewende scheinen
mir für die Branche die langfristigen Trends der Individualisierung und der Liberalisierung. Der Energiemarkt
der Zukunft wird stärker europäisch und stärker vom
Wettbewerb geprägt sein. Kundenbedürfnisse verändern sich, und die Nutzung der Informationstechnologie im Energiesektor steckt noch in den Kinderschuhen.
Neue Marktteilnehmer, die man auf den ersten Blick
vielleicht gar nicht mit der Energiewirtschaft in Verbindung bringen würde, wie beispielsweise IT-Dienstleister oder Wetterdienste, werden die Branche in Zukunft
noch deutlicher prägen. Hier tun sich ungeahnte Entwicklungspotenziale auf, die die Branche weit mehr verändern können als die Wunschbilder von Politikern und
Regierungsbeamten. Zwar bieten staatliche Eingriffe in
den Markt einerseits immer wieder neue Betätigungsfelder wie zum Beispiel im Bereich der EnergieeffizienzDienstleistungen – doch da diese nicht selbst tragend
aus dem Wettbewerb entstehen, kann sich auch keine
langfristige Dynamik entfalten. Wer weiß schon, welche
neue Regel von der Politik morgen eingeführt wird? Die
Beobachtung der politischen Debattenlage wird in einem solchen Umfeld mindestens genauso wichtig wie
die Beobachtung des Wettbewerbs.
also, statt der engstirnigen Fixierung auf das Erreichen
staatlich vorgeschriebener Marktergebnisse.
Die Energiewende ist vor allem eine deutsche Angelegenheit. Wäre es nicht sinnvoll, beim Ausbau erneuerbarer Energien länderübergreifend zusammenzuarbeiten? Welche Vorteile hätte ein gemeinsames
europäisches Konzept?
Auf jeden Fall. Wenn man diese Technologien schon
in den europäischen Binnenmarkt hineinzwingt, dann
sollte man möglichst die europäischen Synergien
nutzen. Im europäischen Kontext gibt es deutlich
bessere Standorte als die deutschen sowie eine viel
größere Unterschiede bei den Wetterlagen. Beide Effekte würden die Kosten des forcierten ErneuerbarenAusbaus senken. Übrigens ist das auch eine der zentralen Annahmen, die den Rechnungen unterliegen,
die das EWI für das Energiekonzept der Bundesregierung 2010/11 angefertigt hat.
Sehen Sie eine realistische Chance für eine solche
länderübergreifende Strategie?
In welchen Bereichen entstehen neue Wachstumspotenziale – und was muss geschehen, um diese Potenziale zu nutzen?
Eine konstruktive europäische Zusammenarbeit beim
Ausbau der erneuerbaren Energien ist derzeit politisch unwahrscheinlich. Denn dann müssten wir uns
eingestehen, dass die besten Standorte für Wind
und Sonne nicht in Deutschland liegen, sondern womöglich in Irland oder in Andalusien. Sprich: Letztlich
müssten deutsche Fördergelder in diese Länder fließen, damit wir uns den dort erzeugten ErneuerbarenStrom statistisch anrechnen können. Das klingt nicht
nach einer politischen Erfolg versprechenden Botschaft. Hieraus wird allerdings eins deutlich: Den Verfechtern der Erneuerbaren-Förderung in Deutschland
und an deutschen Standorten geht es vorrangig nicht
um die Förderung von Erneuerbaren an sich, sondern
um innerdeutsche Verteilungs- und Strukturpolitik.
Die Geschäftsmodelle und Geschäftsfelder in der Energiebranche werden sich in Zukunft noch weiter spezialisieren und ausdifferenzieren. Außerdem werden sie
in vielen dieser Bereiche deutlich kleinteiliger, kundenorientierter und digitaler sein als heute. Hieraus erge-
Die Energiewende rückt die erneuerbaren Energien
in den Mittelpunkt der Diskussion – bezogen auf den
gesamten Energiemarkt ist das ja nur ein kleiner Teil.
Wie beurteilen Sie die Energiewende im Gesamtzusammenhang?
Die sogenannte deutsche Energiewende besteht
im Kern aus zwei Elementen: ein gegen den Markt
erzwungener, kurzfristiger Ausstieg aus der Kernenergie sowie ein ebenfalls gegen den Markt erzwungener, kurzfristiger Ausbau verschiedener Erneuerbaren-Technologien. Mithin ist die Energiewende
ein rein politisches Projekt, dessen Finanzierung die
Politik den Stromverbrauchern aufbürdet. Vorteile aus
dieser Politik ergeben sich nur für einzelne Bevölkerungsgruppen, insbesondere die Eigentümer von
Flächen. In der Gesamtschau stellt das Energiewendeprojekt jedoch eine Investition mit negativer Verzinsung und mit Null Wirkung auf die europäischen
CO2-Emissionen dar.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Wie wird
sich der Energiemix in den nächsten zehn bis zwanzig
Jahren verschieben? Und wie dürfte dann die Struktur
der Energiebranche aussehen?
Die meisten globalen Szenarien zeigen, dass alle
Energieträger weltweit wachsen werden, insbesondere auch die erneuerbaren Energien. Anteile werden sich voraussichtlich verschieben, wie in der Vergangenheit weiterhin weg vom Öl, hin zu Kohle, Gas
und Erneuerbaren. Für Deutschland hat das EWI
gemeinsam mit weiteren Partnern im vergangenen Jahr
eine sogenannte Energiereferenzprognose für das Bundeswirtschaftsministerium erstellt. Danach überholen
die erneuerbaren Energien bis 2030 die Mineralöle als
derzeit anteilsstärksten Energieträger Deutschlands,
unter der Annahme, dass die Politik die Staatsgarantien
im Rahmen des EEG fortsetzt. Darüber hinaus liefert in
diesem Szenario Kohle noch für mindestens anderthalb
Jahrzehnte einen bedeutenden Beitrag zum deutschen
Strommix – letztlich auch als Ersatz für die wegfallende
Leistung der auslaufenden Kernkraftwerke.
Zu den übergeordneten Zielen der Energiepolitik zählt
es, mit Blick auf Umwelt und Klimawandel auf die Verwendung fossiler Brennstoffe zu verzichten. Bis wann
könnte nach Ihrer Einschätzung dieses Ziel erreicht sein?
Das ist vorrangig keine technische Frage, sondern
eine Frage der Finanzierung, der Wirtschaftlichkeit
und der politischen Umsetzbarkeit. Vor diesem Hintergrund scheint es – mindestens – eine Jahrhundertaufgabe zu sein. Denn es ist sehr unwahrscheinlich,
dass die Welt in den kommenden Jahrzehnten ganz
auf die Förderung und Nutzung fossiler Energieträger
verzichten wird. Zu umfangreich sind die Reserven,
zu günstig die Fördermöglichkeiten und zu wertvoll
deren Nutzung, gerade auch im Vergleich zu den
Kosten der Alternativen. Ähnlich verhält es sich in Europa. Hier ist das politische Ziel eine weitgehende,
aber eben keine vollständige Dekarbonisierung bis
zum Jahr 2050. Und selbst dieses Ziel erscheint aus
heutiger Sicht durchaus ambitioniert, insbesondere
wenn der Rest der Welt weiterhin auf die günstigen
fossilen Brennstoffe zugreifen wird. Wenn überhaupt
würde also auch Europa eine vollständige Dekarbonisierung wohl frühestens in der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts erreichen können. Allerdings ist fraglich, ob ein solch totaler Verzicht auf CO2-Emissionen
überhaupt ein sinnvolles Ziel ist.
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Energie + Umwelt
„Für viele Unternehmen eine Herkulesaufgabe“
Speziell im Umfeld regionaler Energieversorgungsunternehmen haben sich in den letzten Jahren starke
Marktveränderungen ergeben. Um die Zukunftsfähigkeit zu sichern, bedarf es häufig einer Neuausrichtung der aktuellen Geschäftsmodelle. Wie diese Neuaurichtung gelingen kann, erläutern im folgenden
Interview Stephan Brämer und Jan Philip Neubüser, Partner der internationalen Strategie- und Managementberatung Arkwright.
Welche Entwicklungen und Herausforderungen sehen
Sie zurzeit speziell für regionale Energieversorger?
Stephan Brämer: Besonders im Commodity Geschäft haben unsere Kunden mit sinkendem Absatz
zu kämpfen. Gründe hierfür sind steigender Wettbewerb durch eine höhere Wechselbereitschaft der
Endkunden, sinkender Energiebedarf durch eine
voranschreitende Modernisierung der Gebäudeinfrastruktur in Deutschland sowie eine Priorisierung von
Grün-Strom Produkten.
neuer Geschäftsmodelle eine grundlegende Voraussetzung. Wesentliche Aufgabe ist dann, eine
vollkommen neue Kultur zu etablieren. Bei einem
klassischen EVU sind meist alle Ressourcen auf stabile Produkte ausgelegt, die standardisiert in großen
Mengen abgewickelt werden. Auch fehlt vielfach ein
wirklich aktiver Vertrieb. Die Unternehmen benötigen
jetzt viel Kreativität, Flexibilität und interne Freiräume,
um zu den Energiemodellen von morgen zu kommen.
Nicht alles muss vorher mit jedem abgestimmt sein.
Wir brauchen eher schnelle Pilotprojekte, von denen
Stephan Brämer, Vorstand
Jan Philip Neubüser, Associate Director
neue Geschäftsmodelle stetig aufbaut und weiterentwickelt. Wie stelle ich also Entwicklungsteams so frei
auf, dass sie schnell neue Lösungen entwickeln und
ausprobieren, aber die ganze Organisation profitiert.
Welche Rollen und Funktionen übernehmen Sie
während dieses Prozesses?
Wie reagieren Ihre Kunden auf die sich die verändernden Marktbedingungen im Energiesektor?
Jan Philip Neubüser: Da gibt es natürlich viele verschiedene Ansätze und Beispiele. Man muss dabei
aber auch die unterschiedlichen Voraussetzungen unserer Kunden in Betracht ziehen. Wir betreuen sowohl
große Energiekonzerne, die eher anorganische Wachstumsstrategien verfolgen, als auch regionale Versorger,
die ihr Wissen und ihre Verbundenheit zu ihrer Region
nutzen, um vor Ort neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Beispielhaft dafür ist ein regionaler Gasversorger,
der es geschafft hat, sich neu zu positionieren und mittlerweile ganzheitliche Energielösungen für Kommunen
und Privathaushalte aus einer Hand anbieten kann.
Welche Voraussetzungen müssen bei den Energieversorgern geschaffen werden, damit eine Neuausrichtung gelingt?
Stephan Brämer: Zuerst einmal müssen die Energieversorger ihre Hausaufgaben im traditionellen
Geschäft machen. Das soll heißen, dass durch eine
Standardisierung und Optimierung der bestehenden
Prozesse im Commodity Geschäft freie Kapazitäten
geschaffen werden müssen. Das Bereitstellen dieser zusätzlichen Kapazitäten ist für die Entwicklung
man lernen kann und die handhabbar sind. Gerade
der interne Wandel stellt für viele eine Herkulesaufgabe dar.
Jan Philip Neubüser: Wir übernehmen häufig die Rolle
des ”Projektmotors”, der die jeweiligen Stakeholder zusammenbringt und koordiniert. Als Sparringspartner für
das Management bringen wir vielfach eine neue Sicht
auf die Dinge ins Unternehmen. Wir strukturieren und
priorisieren die anstehenden Projekte und helfen beim
Finden externer Partner oder bringen unser Know-How
bei der Entwicklung von Business Plänen ein. Eine ganz
wesentliche Aufgabe ist die Sicherung der Umsetzung,
also ein pragmatisches Vorgehen, klare und machbare
Aufgabenpakete und das alles in Teams mit den Mitarbeitern. Die Mitarbeiter unserer Kunden verfügen über
sehr viel Know-how und konkrete Ideen. Nur wenn man
die Mitarbeiter in diesen Projekten „mitnimmt“, kann
man gemeinsam diesen Wandel gestalten.
Wie läuft im Allgemeinen der Prozess ab, wenn Sie
bei einem Ihrer Kunden Geschäftsmodelle entwickeln
und umsetzen?
Jan Philip Neubüser: Wir definieren zunächst gemeinsam mit unseren Kunden deren grundsätzliche
strategische Ausrichtung. Darauf aufbauend entwickeln wir mögliche Business Cases, die aufzeigen,
welche Entwicklungsmöglichkeiten für das Unternehmen bestehen. Im nächsten Schritt müssen dann die
entsprechenden Produkte im Detail ausgearbeitet
und Pilotprojekte angeschoben werden.
Stephan Brämer: In der Pilotphase ist es besonders
wichtig die Organisation sowohl im Vertrieb, als auch
im Projekt- und Risikomanagement entsprechend
aufzustellen. Schnell Pilotprojekte durchzuführen ist
vielfach eine vollkommen neue Aufgabe für die Organisation. Es geht darum, das Risiko zu handhaben,
so dass keine Budgets versenkt werden. Auf der
anderen Seite muss bei aller Geschwindigkeit auch
sichergestelt werden, dass die Organisation aus
den Piloten lernt und die notwendigen Funktionen für
Gegründet 1987, ist Arkwright heute mit Büros in
Hamburg, Oslo, Stockholm und Zürich eine internationale Strategie- und Managementberatung mit
rund 80 Mitarbeitern. Die Unternehmensanteile werden ausschließlich von senioren Beratern gehalten.
Wir sind pragmatisch, wenn es um die Anwendung
von Methoden geht, aber leidenschaftlich, wenn es
um das Geschäft geht. Bevor wir eine individuelle Lösung kreieren, untersuchen wir die Anliegen
unserer Kunden genau. Wir analysieren zunächst
stets die relevanten Fakten und Daten und wenden
dabei unsere umfangreiche Branchenexpertise an.
[email protected]
[email protected]
www.arkwright.de
040 27 166 20
Veränderungen im Handel
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„Nicht mehr renovieren, sondern neu bauen!“
Große Internethändler wie Amazon oder Ebay haben den stationär aufgestellten
Handel in die Defensive gedrängt. Um den Angreifern Paroli zu bieten, rät Michael
Tsifidaris, Chairman und Managing Partner der KPS AG, zu einem Befreiungsschlag: zum kompletten Neubau der Handelsplattform.
Herr Tsifidaris, wie gefährlich ist die Lage für den klassischen stationären Handel?
Tsifidaris: Die Ausgangslage ist ja bekannt: Völlig
neue Spieler, die sogenannten digitalen „Pure-Player“, haben damit begonnen, die etablierten stationären Handelssegmente anzugreifen. Wir beobachten,
dass sich Umsätze teilweise erdrutschartig ins Netz
verlagern. Zugleich sehen wir, dass dort neue Markenbindungen und neue Kommunikationswege entstehen. Wer als Händler hier nicht mithält, erreicht
bestimmte Kundenschichten immer weniger – selbst
wenn er eine hervorragende physische Präsenz in
Stellung bringt.
Wie groß schätzen Sie die Bereitschaft und die Fähigkeit des Handels ein, jetzt die notwendigen Innovationen anzupacken?
Tsifidaris: Die Bereitschaft ist inzwischen vorhanden,
aus der Not geboren. Bei der Fähigkeit stehen wir am
Anfang. Denn hier geht es nicht mehr um eine einfache Produktinnovation, sondern um weitreichende
Service- und Prozessinnovationen. Das bedeutet,
mit dem Kunden in einen neuen Dialog zu treten, die
Customer Touchpoints zu orchestrieren, Markenbindung und Kundenbindung zu stärken. Und das bei
Kunden, die höchst mobil geworden sind – die mit
ihrem Smartphone in die Filiale gehen und sich dort
sowohl in der stationären Welt als auch in der E-Commerce-Welt bewegen.
heute noch zu wenig beachtete Wettbewerbsvorteil
des klassischen Handels. Derzeit versuchen die Pure-Player mit immer neuen Prozessinnovationen ihre
Kunden im Netz an sich zu binden. Aber mittel- und
langfristig wird es für sie zum Problem, dass sie keine
physisch-lokale Präsenz haben, ihren Kunden also
kein physisches Serviceerlebnis bieten können. Der
klassische Handel sollte sich unbedingt fragen: „Wie
bekomme ich mein wichtigstes Asset, meinen stationären Auftritt, in Stellung gebracht?“ Die regionale
physische Präsenz, die der Handel ja über viele Jahre
und Jahrzehnte aufgebaut hat, ist die wichtigste Waffe im Arsenal gegen einen Pure-Player. Das Problem
ist nur: Diese Waffe steht heute quasi als der Silo neben dem E-Commerce-Kanal.
Der stationäre Auftritt müsste also in ein Gesamtsystem eingebunden werden?
Tsifidaris: Richtig. Zum Beispiel sollte es selbstverständlich sein, dass ein Kunde sich im Internet
bewegt, dort etwas kauft, das Produkt in der Filiale
abholt oder es dorthin zurückbringt. Solche übergreifenden Szenarien sind heute noch unterentwickelt. Für den Handel kommt es jetzt darauf an, die
drei großen Themenfelder – E-Commerce, Personalisierung und klassische stationäre Warenwirtschaft
– zusammenzuführen und die daraus resultierenden
Möglichkeiten zu nutzen.
Wie hat der stationäre Handel auf den Angriff der Internet-Anbieter reagiert?
Das bedeutet, dass ein Händler auf allen Kanälen präsent sein muss. Sie sprechen da auch von „Omnichannel-Fähigkeit“, eine Weiterentwicklung der „Multichannel-Fähigkeit“. Was genau ist damit gemeint?
Tsifidaris: Die übliche Reaktion eines etablierten Unternehmens liegt darin, die Innovationen der Angreifer
nachzubauen, um Gleichstand zu erreichen. Eben das
haben viele Händler in den letzten Jahren getan, indem
sie versucht haben, einen ähnlichen Auftritt im Netz
hinzubekommen. Mittlerweile geht die Entwicklung
jedoch weiter und wird durch den Trend zur Personalisierung zusätzlich befeuert: Die Internet-Player kennen
heute ihre Kunden vom ersten Kaufkontakt, oft sogar
schon vom ersten Klickkontakt an persönlich. Diese
Entwicklungen – E-Commerce, Personalisierung und
die daraus resultierenden Services – stellen den stationären Handel vor neue große Herausforderungen.
Tsifidaris: Viele Händler sind heute bereits multichannelfähig, erreichen ihre Kunden also auf verschiedenen Kanälen, sowohl online als auch stationär. Dazu gehören auch Spielarten wie online kaufen,
stationär abholen oder stationär zurückgeben. Beim
Begriff „Omnichannel“ kommt ein weiterer Aspekt hinzu, nämlich die bereits erwähnte Personalisierung:
Es geht jetzt nicht nur darum, dass ein Händler seine
Kunden kanalübergreifend bedienen kann, sondern
dass er sie auch kennt – dass er sie also in seiner
Filiale, in den sozialen Medien, in seinem Callcenter
und an allen anderen Kontaktpunkten, die er sich
geschaffen hat, beobachtet und individuell begleitet.
Im Unterschied zu den Internet-Angreifern ist der klassische Handel vor Ort präsent, verfügt also über vielfältige
Möglichkeiten, dem Kunden persönlich zu begegnen.
Liegt darin nicht eine Stärke, auf die es jetzt ankommt?
Das klingt anspruchsvoll!
Tsifidaris: Ja! Genau darin liegt der entscheidende,
Tsifidaris: In der Tat: Der Händler muss die integrierte Warenwirtschaft beherrschen ebenso wie das
Thema Mobile an der Schnittstelle zwischen Personalisierung und E-Commerce. Dazu gehört auch das
Michael Tsifidaris, Chairman und Managing Partner
der KPS AG
Thema Big Data, denn zukünftig ist auch jede Kundenbewegung eine Datenbewegung. Was die Daten
anging, waren ja schon die Warenbewegungen anspruchsvoll genug. Jetzt muss der Händler aber jede
Kundenbewegung, jede Warenbewegung und jede
Auftragsbewegung synchronisieren können, um seine Kunden auf ihrer Reise begleiten zu können. Erst
wer das geschafft hat, ist in der Welt der sogenannten
Realtime-Analyse angekommen.
Einer Welt, in der sich Pure-Player wie etwa Amazon
ja bereits bewegen?
Tsifidaris: Korrekt. Ihnen fehlt jedoch, wie gesagt,
der große Bereich der stationären Warenwirtschaft.
Natürlich hat ein Händler wie etwa Amazon eine physische Logistik. Noch gibt es aber nicht die Möglichkeit, die Marke Amazon in einer Filiale physisch zu
erleben. Erst dann wäre – nach unserer Definition –
die Omnichannel-Fähigkeit gegeben.
Nach dieser Definition wäre auch eine Firma wie Apple ein Omnichannel-Spieler?
Tsifidaris: Die Firma Apple würde ich nicht klassisch
als Händler sehen, wenngleich sie natürlich Händler in
eigener Sache ist. Es handelt sich hier um einen hervorragenden Hersteller eines Konsumguts, der sich durch
Flagshipstores seine eigene stationäre Landschaft
aufgebaut hat, gleichzeitig über etablierte Handelsketten in den Markt geht und zudem die Möglichkeit
bietet, online einkaufen: Aber ja, das ist durchaus eine
omnichannelfähige Landschaft! Ein Beispiel ist Apple,
ein anderes Nespresso: Gehen Sie heute in eine Großstadt, dann sehen Sie dort physische Präsenzen und
eigene Flächen, auf denen das Markenerlebnis vor Ort
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inszeniert wird und von wo aus die Kundenbeziehungen dann online weitergepflegt werden können.
Mit welchen Strategien begegnen die klassischen
Handelsunternehmen diesen Herausforderungen?
Tsifidaris: Wir haben es mit zwei Reaktionsmustern
zu tun, dementsprechend beobachten wir auch zwei
Strategien. Die erste besteht darin, auf die Angriffe
der Pure-Player möglichst schnelle Antworten zu finden: Reaktion Nummer eins war, eigene Webshops
ins Leben zu rufen. Reaktion Nummer zwei: „Wir müssen in Facebook präsent sein.“ Reaktion Nummer
drei: „Auch wir brauchen eine Möglichkeit, dass ein
Kunde online kauft und stationär abholt.“ Das Problem dieser Strategie liegt darin, dass die ohnehin
schon komplizierte Prozess- und Systemlandkarte
ständig noch komplizierter wird. Die zweite Strategie
wählt einen ganz anderen Weg: Der Händler baut
eine komplett neue, omnichannelfähige Handelsplattform auf, auf die er umzieht. Auf diese Weise entgeht
er den Komplexitäten seiner alten Prozesslandkarte.
Damit sind wir beim Lösungsansatz von KPS. Während viele Handelsunternehmen Einzelthemen angehen und es vorziehen, überschaubare Einzelprojekte
umzusetzen, plädieren Sie für ein radikal anderes
Vorgehen – nämlich für den Neubau einer Handelsplattform, auf die dann aus der alten Umgebung umgezogen wird. Warum?
Tsifidaris: Die klassische Vorgehensweise besteht
darin, dass man das Thema segmentiert, daraus
Projekte schafft und diese Projekte einzeln löst. Der
Transformationsprozess bleibt zunächst überschaubar, man nimmt erst einmal nur kleinere Summen in
die Hand. Bis zu einem bestimmten Punkt kommt man
auf diese Weise auch voran: Heute hat jeder Händler
einen Internetauftritt, beschäftigt sich mit Kundenbindungsprogrammen, ist mindestens in einem der
sozialen Medien präsent und baut erste Multichannel-Möglichkeiten auf. Nur: Omnichannel ist ja noch
weit mehr! Es beinhaltet, wie gesagt, die komplette
Synchronisation aller Warenbewegungen und Kundenbewegungen, und das in Realtime.
Veränderungen im Handel
statt Altbausanierung – kein weiteres Geld mehr in
die Altbausanierung, sondern alles in den schnellen
Neubau!
Wie groß sind diese Zeit- und Kostenvorteile im Vergleich zur klassischen Vorgehensweise bei Transformationsprojekten?
Das klingt hart! Soll ein Handelsunternehmen wirklich
alles, was es in den letzten Jahren in E-Commerce,
Social Media und andere Multichannel-Aktivitäten investiert hat, kurzerhand über Bord werfen?
Tsifidaris: Konkrete Angaben sind schwierig, denn
so heterogen der Handel ist, so verschieden sind
auch die Projekte. Pauschal kann man sagen: Im Vergleich zu einer herkömmlichen Transformation sprechen wir über Geschwindigkeits-, Skalierungsvorteile
und damit auch Kostenvorteile von 30 bis 40 Prozent.
Je nach Größe eines Transformationsprojektes sind
wir in der Lage, ein Handelsunternehmen in sechs
bis maximal zwölf Monaten komplett als Prototyp
abzubilden. Nach insgesamt zwölf bis 18 Monaten,
maximal 24 Monaten kann der Umzug erfolgen. Mehr
noch als die Kostenvorteile ist für unsere Kunden die
Geschwindigkeit entscheidend – dass sie innerhalb
Tsifidaris: Es ist immer schmerzhaft, wenn man umzieht. Aber das Entscheidende ist: Das Know-how,
das ein Handelsunternehmen aufgebaut hat, geht
nicht verloren, sondern lässt sich im Gegenteil mit
dem neuen, radikaleren Ansatz wesentlich erfolgversprechender einsetzen. Wer als Händler bereits einen
Internetauftritt entwickelt hat, verfügt über das dazu
notwendige Know-how. Wer sich mit Personalisie-
„Wir sprechen hier über Geschwindigkeitsund Kostenvorteile von 30 bis 40 Prozent.“
rung, Mobile und Big Data beschäftigt hat, hat bereits
alle Spieler beisammen, um mit ihnen in das „neue
Haus“ umzuziehen.
Wie läuft das in Ihren Projekten ab? Bauen Sie die
neuen Strukturen parallel auf und ziehen dann um?
Tsifidaris: Ja. Als KPS stehen wir seit jetzt 15 Jahren
für die Grundidee, bei komplexen Transformationsprojekten Strategieentwicklung, Prozessdesign und
Implementierung weitgehend zu parallelisieren. Der
Transformationsprozess lässt sich dadurch erheblich
beschleunigen. So können wir auf die Ist-Analyse verzichten und uns gleich der Frage zuwenden, wie das
neue „Omnichannel-Haus“ aussehen soll – und wie
der Kunde darin seine vorhandenen Stärken, allen voran Logistik und stationäre Filialen, in Stellung bringt.
von zwei bis drei Jahren komplett omnichannelfähig
werden.
Wagen Sie noch einen Blick in die Zukunft. Wie wird die
Handelslandschaft in drei bis fünf Jahren aussehen?
Tsifidaris: Ich sehe drei wesentliche Entwicklungen:
Erstens wird der klassisch-stationäre Handel in drei bis
fünf Jahren omnichannelfähig sein – das ist der Standard, den die Kunden erwarten. Zweitens verschieben
sich die Gewichte innerhalb der Branche: Tonangebend
werden innovative Händler sein, die ihren Erfolg nicht zuletzt ihrer stationären Flächenpräsenz verdanken. Auch
Pure-Player wie Amazon oder Ebay werden versuchen,
hier mitzuhalten und physische Präsenzen aufzubauen.
Drittens wird es erfolgreiche Konsumgüterhersteller geben, die eigene Handelswelten aufgebaut haben.
Hier stößt die klassische Vorgehensweise, das Bestehende auszubauen und Neues zu integrieren, an
Grenzen. Der Komplexitätsgrad nimmt immer weiter zu
– und es wird immer teurer, wie bisher weiterzumachen.
Deshalb empfehlen wir unseren Kunden, ihre Omnichannel-Plattform rechtzeitig komplett neu zu bauen.
Anstatt die bestehende Systemlandschaft zu renovieren und immer wieder Neues einzufügen, wird quasi
ein Neubau auf der grünen Wiese errichtet?
Tsifidaris: Ja. Wir können auf diese Weise all die
Werkzeuge, allen voran die IT, einsetzen, derer sich
heute ein Pure-Player bedient, der auf einen IstZustand keine Rücksicht nehmen muss. Der Punkt
ist: Wir haben heute einen Reifegrad im Bereich der
Standardsoftware-Werkzeuge erreicht, der es ermöglicht, die neue Plattform zu 80 bis 90 Prozent mit Standardpaketen aufzubauen. Die Grundidee ist: Neubau
KPS Consulting: Strategie-, Prozess- und IT-Beratung aus einer Hand
KPS Consulting ist Marktführer für Business Transformation und Prozessoptimierung für den Handel
und Consumer Markets und liefert umsetzungsorientierte Strategie-, Prozess- und IT-Beratung aus
einer Hand – von der Strategie und Zieldefinition bis zur IT-Implementierung. Im Jahr 2000 gegründet,
beschäftigt KPS heute 650 Berater an Standorten in ganz Europa bei einem Umsatz von über 100 Millionen Euro. Der Erfolg des Hauses stützt sich auf drei Säulen: die proprietäre KPS Rapid Transformation® Methode, die Seniorität der Berater und zufriedene Referenzkunden wie Hugo Boss, Fressnapf,
Dansk Supermarked, SportScheck, Deichmann, Nespresso, PUMA, Lidl und viele andere.