- Palliative Aargau

26 BADEN-WETTINGEN
AARGAUER ZEITUNG
DONNERSTAG, 9. APRIL 2015
Wenn der Tod einen Menschen belebt
Wettingen «Zu Ende Leben», der Dokumentarfilm von Rebecca Panian, feiert heute Abend Premiere im Kino Orient
VON DANIEL VIZENTINI
«Es ist schön, wenn das Plakat vom eigenen Film im Heimat-Kino hängt», sagt Rebecca Panian. Mit ihrem Dokumentarfilm
«Zu Ende Leben», der heute Abend im Kino Orient läuft, hat die 36-jährige Wettingerin aber nicht nur den Kinosaal ihrer Gemeinde erobern können. Ab nächster Woche läuft der Film landesweit in den Kinos.
Wettingen hat dabei die Ehre, die Schweizer Vorpremiere im kleinen Rahmen auszutragen. «Das Orient ist das Jugendstammkino meines Vaters», sagt Rebecca
Panian. «Das macht es noch spezieller.»
Ihr Vater, Karl Panian, kommt im Film
zwar nicht direkt vor. Doch die Thematik
des Films beruht auf der Erfahrung, die
Rebecca Panian während der 5-jährigen
Krankheit ihres Vaters gemacht hat. 2006
wurde bei ihm ein unheilbarer Krebs diagnostiziert. Rebecca hatte sich damals gerade frisch in Köln eingerichtet, arbeitete
als Filmproduktionsassistentin, wollte an
der dortigen Filmhochschule anheuern.
Nach der verheerenden Nachricht zog sie
zurück in die Schweiz. «Der bevorstehende
Tod meines Vaters hat unsere Familie zusammengeschweisst», sagt sie im Nachhinein und stellt ironisch fest: «Es braucht den
Tod, damit Nähe entsteht? Wie grossartig.»
Es sei für sie vollkommen widersprüchlich,
wie sich die meisten Menschen im Leben
verhalten. «Wir planen unser ganzes Leben, nur den Tod ignorieren wir, obwohl
er genauso dazu gehört.»
Die Lehren, die Rebecca daraus zog,
sind klar: «Es ist unsinnig, den Tod zu verdrängen.» Wenn man sich bewusst sei,
dass schon morgen alles vorbei sein könnte, lebe man intensiver. Das habe sie bei ihrem Vater beobachtet. Gleichzeitig nahm
sie ihre eigenen Probleme damals immer
weniger schwer, ihr Leben fühlte sich
leichter an. «In Anbetracht des Todes relativiert sich so manches.»
Sie lebe seitdem bewusster. «Wenn du
jahrelang jemanden begleitest und ständig
denkst, es könnte der letzte Tag sein, wird
das irgendwann zur Gewohnheit», sagt sie.
Heute frage sie sich regelmässig, ob sie mit
DOKUMENTARFILM
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Auch Promis haben
Angst vor dem Tod
Die Wettinger Regisseurin Rebecca Panian gibt ihrem Heimatort den Vorzug, bevor ihr Film landesweit anläuft.
ihrem Leben glücklich sei. «Falls nicht,
muss ich meinen Mut zusammennehmen
und die Dinge ändern. Ich hoffe, ich werde
immer diesen Mut haben.»
«Ein Film, der vor Leben sprüht»
Diese Erkenntnis wollte Rebecca mit anderen Menschen teilen. In ihrem Dokumentarfilm begleitet sie den 51-jährigen
Krebspatienten Thomas: Ein lebensfroher
und sportlicher Mann, ehemaliger Motocrossfahrer und Velomechaniker, bei dem
ein unheilbarer Gehirntumor festgestellt
wurde (siehe Text rechts). Die Konfrontation mit dem Tod brachte frischen Wind in
sein Leben. Nebst traurigen Passagen ist
im Film auch für lustige Momente gesorgt.
Von Beginn weg war für Rebecca klar, dass
sie keinen schwermütigen, traurigen Film
machen wollte, sondern einen tragisch-komischen Streifen, der vor allem lustige und
lebensbejahende Momente aufzeigt. «Ein
Dokumentarfilm, der vom Tod handelt,
aber vor Leben sprüht», wie das Internetportal Cineman schreibt.
Dass sie dabei auf Thomas stiess, war
Zufall. «Ich habe meine Filmidee bei verschiedenen Ärzten gestreut», erzählt sie.
Ein Arzt habe ihr Thomas’ Kontakt angegeben. «Beim ersten Gespräch wurde rasch
klar, dass er mitmachen würde», sagt sie.
«Er war der perfekte Protagonist: Er redet
gut und hat vor allem viel Humor.» Thomas lebt noch, der Film habe ihm gut getan. Entstanden ist der Film in den letzten
drei Jahren parallel zu Rebeccas Filmstudi-
KEYSTONE/PETER KLAUNZER
um in Zürich und ganz ohne öffentliche
Kulturbeiträge. Gleichzeitig schrieb Rebecca mit ihrer ehemaligen Studienkollegin
Elena Ibello am Buch «Zu Ende Denken»,
in dem verschiedene Persönlichkeiten
über den Tod sprechen. «Viele der Interviews, die ich für den Film gemacht habe,
konnte ich nicht mehr einbauen. Deshalb
haben wir sie als Buch abgedruckt.»
Beim 51-jährigen Thomas
Niessl aus Wetzikon wird ein
unheilbarer Gehirntumor diagnostiziert. Statt den Kopf
hängen zu lassen, beschliesst
er, sein Leben bis zum letzten
Atemzug voll auszukosten. Die
Wettinger Regisseurin Rebecca Panian begleitet ihn mit der
Kamera und kommt ihm und
den Menschen in seinem Umfeld dabei sehr nahe. Zudem
erzählen Unbekannte und Prominente verschiedener Generationen, wie sie zum Thema
Tod stehen, darunter Kurt
Aeschbacher, Franz Hohler,
Pedro Lenz, Andreas Thiel und
Clown Dimitri. Der Film gewann den Publikumspreis am
letzten Zurich Film Festival.
Film «Zu Ende Leben» CH-Vorpremiere im
Kino Orient in Wettingen, heute 20.30 Uhr.
Filmemacherin Rebecca Panian wird zum
Gespräch mit dem Publikum anwesend sein.
Trailer des Films auf
www.aargauerzeitung.ch
INSERAT
BT-KOLUMNE Willi Glaeser über das Festhalten an Ortsbürgergemeinden
Gelebte Ineffizienz
V
or gut sechzig Jahren stellte
mein Vater – in Baden aufgewachsen, wie ich auch – ein
Gesuch zur Erlangung des Bürgerrechts der Stadt Baden und damit
Ortsbürger zu werden. Die stolze Einkaufssumme begründete er mit dem
Bürgernutzen, welcher damals in Form
von Holz oder Bargeld geleistet wurde.
Ich glaube, viel wichtiger war für ihn
aber, damit ein echter und richtiger Badener zu sein. In den Siebzigerjahren
wurde der Bürgernutzen im Aargau abgeschafft, nicht aber die Ortsbürgergemeinden, wieso eigentlich?
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WILLI GLAESER
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UNTERNEHMER AUS BADEN-DÄTTWIL
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Die Schweiz rühmt sich, die älteste Demokratie in Europa zu sein. Schon 1291
war der Grundgedanke der gleichen
Rechte für alle Bürger eine wichtige
Komponente für die Eidgenossen. Später nach der Französischen Revolution
von 1789 und der Umsetzung ihrer Gedanken und Prinzipien nach 1798 auf
dem Gebiet des helvetischen Staatenbunds wurden die Privilegien aus dem
«Acien Régime» abgeschafft. Mit der
Bundesverfassung von 1848 gingen sogar die Vermögen der Klöster an die politischen Gemeinden, aber die Ortsbürgergemeinden blieben – nicht überall,
so kennt neben anderen der Kanton Zürich diese Institutionen nicht.
Seit einiger Zeit bröckelt es auch im Aargau. In rund dreissig Gemeinden vereinigten sich die Ortsbürgergemeinden
mit den Einwohnergemeinden. Nicht so
in den grossen Orten wie in Baden und
in Wettingen. Hier gibt es nach wie vor
eine Zweiklassengesellschaft, wohlverstanden unter stimmberechtigten
Schweizerinnen und Schweizern, ja, es
wird auch zwischen Ortsbürgern und
Einwohnerbürgern unterschieden.
Durch den Zu- und Wegzug in den vergangenen Jahrzehnten ist der Anteil der
Ortsbürger gemessen an den Einwohnern fast überall auf unter fünf Prozent
gesunken. Es ist doch sehr erstaunlich,
dass im sonst fortschrittlichen Ostaargau trotzdem an solch alten Zöpfen festgehalten wird.
Willi Glaeser (74) ist in Baden
aufgewachsen und seit 1970
Unternehmer in den Bereichen Innenausbau und Möbelentwicklung in Dättwil.
1983 gründete er mit seinem
Cousin Otto Gläser die Möbelmarke Wogg.
Das Interesse an den Ortsbürgergemeindeversammlungen ist nicht berauschend. Aus dem für jedermann zugänglichen Protokoll der Versammlung vom
17. Juni 2014 in Wettingen geht hervor,
dass von 771 Stimmberechtigten deren
117 anwesend waren, Diskussionen fanden keine statt, niemand verlangte das
Wort, und nach nur zwanzig Minuten
war Ende. Beamte und Behördenmitglieder vergeuden so ihre wertvolle Zeit.
Aus meiner Sicht ist dies gelebte Ineffizienz, man kann es aber auch Verschwendung nennen.
Für jene Politiker, die sich bei jeder Gelegenheit für den schlanken Staat einsetzen, ein gefundenes Fressen für konkreten Handlungsbedarf. Mit der Argumentation, dass die Vermögen der Ortsbürger bei einer Vereinigung mit der
Einwohnergemeinde sehr schnell aufgezehrt würden, versucht man, die alte
Ordnung zu rechtfertigen und beizubehalten. Dies lässt sich aber bestimmt regeln. Die Güter müssen nur zweckgebunden in einen Fond eingebracht und
von einer Kommission, welche mehrheitlich aus Ortsbürgern zu bestehen
hat, verwaltet werden.