Skript zur Fortbildung: Das Innere Team in der Psychotherapie

Buss 101. Wissenschaftliche Jahrestagung, 18.03.- 19.3.2015
Skript zur Fortbildung: Das Innere Team in der Psychotherapie
Referenten:
Karin
Harries-Hedder,
Dipl.-Psych.,
Psychologische
Psychotherapeutin
Geschäftsführender Vorstand therapiehilfe e.V., Netzwerk für Suchtkranke und
Menschen mit anderen psychosozialen Störungen, Hamburg, Schleswig-Holstein,
Bremen. Inhaltliche Schwerpunkte: Suchterkrankungen, Konzeptentwicklung und
Integration neuer Methoden in bestehende schulenübergreifende Konzepte (z.B.
Neuropsychotherapie,
Traumatologie,
multidimensionale
Familientherapie)
Fortbildungen, Coaching
Ingrid Schulz von Thun, Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin in freier
Praxis und Mitarbeiterin im Schulz von Thun Institut für Kommunikation, ausgebildet
in Kommunikationspsychologie, Gestalttherapie, IFS (Internal Family System nach
Richard Schwartz) und EMDR
-
Begrüßung durch die Referenten und kurze Vorstellungsrunde -
Themen des Workshops:
I.
II.
-
Arbeit mit dem Inneren Team nach Schulz von Thun
kurzer Input zum Inneren Team
Mini-Demo mit kurzer Nachbesprechung
Kleingruppenarbeit zur Erhebung eines Inneren Teams
Ergänzungen zum Input
ein Fall-Beispiel
Ergänzende Modellvorstellungen zu inneren Welten
die Hauptselbste von Hal und Sidra Stone
innere Dynamik nach Richard Schwartz (Internal Family System, IFS)
Bezug zu Menschen mit Suchtgefährdung/erkrankung und Hinweise zu
deren Behandlung nach Richard Schwartz und Dagmar Kumbier.
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Buss 101. Wissenschaftliche Jahrestagung, 18.03.- 19.3.2015
I.
Arbeit mit dem Inneren Team nach Schulz von Thun
Input zum Inneren Team
Das Modell vom Inneren Team ist ein Versuch seelisches Geschehen vorstellbar
oder an-schau-lich zu machen. Wie viele vor allem therapeutische Ansätze geht es
von der inneren Pluralität des Menschen aus. Ich brauche in diesem Kreis sicher
nicht näher darauf einzugehen. Sie kennen die Ansätze, die z.T. schon in den
Neunzigerjahren von KollegInnen verschiedener Schulen und an verschiedenen
Orten entwickelt wurden, etwa die Ego-State-Therapie von John und Helen Watkins,
die Luise Reddemann für die Arbeit mit schwer traumatisieren PatientInnen weiter
entwickelte. Weitere Namen sind Gunther Schmidt, Jochen Peichl und der schon
genannte Richard Schwartz.
Gemeinsam sind diesen Ansätzen, dass sie nicht nur eine innere Pluralität
postulieren, sondern dass sie diese psychischen Instanzen personalisieren und
unmittelbar therapeutisch mit ihnen in Kontakt treten.
Abbildung 1: Innere Pluralität (© Prof. Schulz von Thun)
Die Entdeckung unserer Pluralität bedeutet letztlich, dass jedes noch so kleine
Alltagsthema, jede kleinste Anforderung aber vor allem jedes neue, ungewohnte oder
emotional bedeutsame Thema in uns mehrere Stimmen lebendig werden lässt. Diese
inneren Selbstgespräche sind uns oft nicht wirklich bewusst und laufen auch häufig
in kürzester Zeit ab.
Etwa, wenn ich morgens entscheiden muss: fahre ich mit der Bahn oder mit dem
Auto zur Arbeit? DIE BEQUEME in mir liebäugelt mit dem Auto, „geht schneller, kann
man länger schlafen,…“ DIE UMWELTBEWUSSTE empört sich mit entsprechenden
Argumenten
und die PRAGMATISCHE findet, der Verkehr und auch die
Parkplatzfragen seien unkalkulierbar und erreicht schließlich eine Einigung
zugunsten der Bahn.
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Abbildung 2: „Vom zerstrittenen Haufen zum kooperativen Miteinander“ (© Prof. Schulz von Thun)
Wirklich spürbar wird die innere Pluralität aber bei Fragen, Themen und
Erlebnissen, die stärkere Gefühle in uns auslösen und zu innerer
Widersprüchlichkeit, einem Durcheinander von Stimmen und Impulsen führen, so
dass wir nicht so schnell zu einer Klärung finden, die uns dann entschlossen handeln
ließe. Unsere Inneren Anteile arbeiten nicht konstruktiv zusammen, erweisen sich
nicht als gutes Team sondern eher als zerstrittener Haufen. So geraten wir unter
inneren und häufig auch äußeren Druck. Dies könnte nun ein Anlass sein, das
Modell des Inneren Teams zu bemühen.
Was können wir von der Arbeit mit dem Inneren Team in einer solchen
Situation erwarten?
Die Erhebung eines Inneren Teams ist zunächst eine intensiv dialogische
Arbeit zwischen Klient und Therapeut an einer gemeinsamen Sache, sie fördert
Kontakt und Vertrauen. Der Prozess selbst und das Ergebnis des Bildes bieten
dann vielfältigste Informationen zu den beteiligten Teammitgliedern und ihrer
„Gruppendynamik“. Der Klient hat eine neue Grundlage für sein Selbst-Verständnis
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und eine diagnostische Basis für seine Entwicklungswünsche bzw. die
Therapieplanung.
Das Bild bleibt als Momentaufnahme ständiger Hintergrund des therapeutischen
Prozesses, es kann immer wieder darauf Bezug genommen werden, Veränderungen
festgestellt und Aktualisierungen neu gezeichnet werden.
Der Einstieg in eine solche Beratung ist denkbar einfach, weil die Klienten aus
eigener Erfahrung quasi „vorgebildet“ sind. Sie brauchen im Grunde nur ein, zwei
Sätze zur inneren Pluralität zu verlieren und entlasten damit häufig schon ihren
Klienten, weil der/die das zwar kennt aber häufig Zweifel hatte, ob das noch normal
sei, diese verschiedenen Stimmen, die sich häufig streiten etc...
Hier ist das Modell des Inneren Teams ein Stück Psychoedukation und hilft dem
Klienten nicht nur, sich selbst besser zu verstehen, sondern eröffnet auch die
Chance, die sich so widersprüchlich verhaltende Ehefrau oder den Sohn mit anderen
Augen wahrzunehmen. (Sicher kennen Sie auch solche Berichte von Klienten, in der
Regel mit einem verständnislosen Kopfschütteln vorgetragen: „Gestern hat sie mich
noch umarmt und gemeint, es würde alles gut und heute Morgen hat sie mich wegen
einer Kleinigkeit angeschrien, mit mir könne man nicht leben....!“)
Zunächst wird der äußere Kontext besprochen, der das Bedürfnis der inneren
Klärung auslöst. Z.B. hatte ich kürzlich eine Klientin, nennen wir sie Marie, die sich
schwertat, mit ihrer 2 ½ jährigen Tochter Maja den Alltag zu regeln. Sie schaffte es
nicht, der Tochter etwas zu verbieten und hatte entsprechend anstrengende Tage mit
ihr und ständigen Streit mit ihrem Mann deswegen. Soweit die Ausgangssituation.
Nun zur Erhebung des Inneren Teams:
Die Klientin hatte keinerlei Schwierigkeiten auf meine Vermutung einzugehen, dass
Sie in diesen Situationen, nämlich wenn sie Nein sagen müsste, vermutlich mehrere
innere Stimmen höre. Und das ist nun das Besondere an der Arbeit mit dem
Inneren Team, dass wir diese innere Vielfalt im Bild mit sehr einfachen Mitteln
festhalten. Wir brauchen eine möglichst ganz konkrete Einstiegsfrage oder
situation, evtl. auch den Namen eines schwierigen Menschen o.ä. (In diesem Fall:
„Maja greift nach dem Messer, ich muss ihr NEIN sagen!“) Dann malen wir den
geräumigen Körper und beginnen mit der Frage: „ wenn sie an.......denken, wer
meldet sich dann in Ihnen zuerst?
Dieses Teammitglied bekommt eine Sprechblase mit seiner Botschaft zum Thema
und einen Namen.
Bei meiner Klientin meldete sich als Erstes ein Teil, den sie SCHUTZENGEL genannt
hat, der fragte: „Muss ich denn wirklich „Nein!“ sagen? Wenn ich ganz doll aufpasse,
dann geht es doch auch.“
Wir werden später noch auf dieses Beispiel zurückkommen.
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Ich möchte Sie nun bitten, sich einmal etwas in sich selbst zurückzuziehen,
vielleicht die Augen zu schließen und nachzuspüren, ob Sie ein Thema finden, zu
dem Sie sich innerlich etwas unklar und unsortiert, vielleicht hin- und hergerissen
fühlen und mit dem Sie sich in diesem Rahmen in einer kleinen Arbeitsgruppe
zeigen mögen würden. .... Kommen Sie bitte mit Ihrer Aufmerksamkeit in unsere
Runde zurück.
Jetzt sind Sie also vorbereitet, für kleine Erhebungsgruppen. Ich würde Ihnen aber
gern noch eine kurze Demonstration mit auf den Weg geben. Gibt es jemanden,
der oder die sich bereitfinden würde, sein oder ihr Thema hier ein Stück weit mit
mir zu bearbeiten?
-
Beispielhafte Demonstration einer Erhebung des Inneren Teams einer/s
Teilnehmerin/ Teilnehmers -
Nachbesprechung:
Zunächst zur Namensgebung: hier sollten wir zu positiv konnotierten Namen
ermutigen, um den Prozess der Akzeptanz der einzelnen Teammitglieder zu
unterstützen, ihre Daseinsberechtigung und den Wert ihres Beitrages im
Teamgespräch auszudrücken. Namen wie „Weichei“, „Looser“ o.ä. machen schon
deutlich, dass diese Teammitglieder einen schweren Stand im Team haben. So
erhalten wir hierüber erste Hinweise auf die Dynamik.
In diesem Prozess der Erhebung gibt es jeweils zwei gegenläufige Prozesse:
Zu Anfang ermutige ich den Klienten, einmal recht intensiv innerlich mit dem
Teammitglied in einen Kontakt zu gehen, von dem er/sie gerade berichtet.
Quasi aus dessen Sicht zu sprechen. In diesem Prozess der Identifikation mit
einem Teammitglied werden auch dessen Gefühle angespürt und ausgedrückt.
Wenn ich nun dieses Teammitglied mit seiner Botschaft und seinem Namen auf das
Flipchart male, befreie ich den Klienten praktisch aus dessen Energien und verhelfe
ihm zur Dis-Identifikation von diesem Teammitglied. Er löst sich und kann erneut in
sich hineinhören, wer sich als nächstes meldet.
Am Ende einer Erhebung, wenn alle Teammitglieder auf dem Flipchart festgehalten
sind, ist der Klient in der Regel in einer gelösten und aufmerksam zugewandten
Haltung zu seinen Inneren Kräften. Dieser Gesprächsprozess dauert bei emotional
bedeutsamen Themen in der Regel ca 90 Minuten.
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Kleingruppenarbeit zu dritt, Klient, Therapeut, Beobachter zur Erhebung
erster Innerer Teammitglieder (ca. 20 Minuten), anschließend kurzer
Austausch in der Kleingruppe -
Rückkehr ins Plenum, Klärung der wichtigsten Fragen -
Ergänzungen zum Input
Wie geht es weiter?
Die Erhebung ist in der Regel schon eine große Entlastung. Es fühlt sich gut an,
quasi von außen einmal auf das innere Durcheinander schauen zu können. Es
entsteht ein gewisses Selbst-Verständnis, dass es schwer ist, bei dieser Vielfalt zu
einer stimmigen Entscheidung und Handlung zu kommen.
Abbildung 3: Innere Spätmelder (© Prof. Schulz von Thun)
Zu berücksichtigen ist jeweils auch, dass sich häufig nach solchen Erhebungssitzungen noch weitere Teammitglieder melden, die dringend in die Gesamtschau
des Inneren Teams einbezogen werden müssen. Wir nennen sie Spätmelder. Meist
sind sie vom Oberhaupt oder anderen Teammitgliedern nicht gut angesehen, weil sie
schwach, ängstlich oder verletzt sind, sich nur noch selten direkt melden, wohl aber
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Wege finden, ihre Energien wirksam werden zu lassen (etwa in psychosomatischen
Symptomen).
Die Parallelitätsthese besagt nun, dass diese inneren Anteile ähnlich reagieren wie
reale Menschen in einem realen Team: dh sie alle wollen gehört und
ernstgenommen, wertgeschätzt und anerkannt werden in ihren Bemühungen für das
gesamte System. Für eine effektive Kooperation darf Unterschiedlichkeit nicht
unterdrückt werden, sondern muss willkommen geheißen werden als potentiell
wertvolle Ergänzung. Soweit das Ziel auch für ein Inneres Team.
Tatsächlich aber haben wir eher mit konfliktreichem inneren Geschehen zu tun. Es
gilt deshalb, die Dynamik genauer zu betrachten. Wer koaliert mit wem gegen wen?
Wer wird isoliert und an den Rand gedrängt? Wer hat eine führende Position
eingenommen usw. Häufig lassen sich Beziehungen zwischen zwei Teammitgliedern
entdecken, die so ähnlich eingespielt sind wie zwischen dem Klienten und einer
wichtigen Bezugsperson: eine Chance, die alten Beziehungs-muster in die
Betrachtung zu nehmen!
Viele psychische Symptome lassen sich bei dieser Betrachtungsweise verstehen als
Versuch einzelner Teammitglieder, andere zu unterdrücken oder regelrecht zu
verbannen. Deren Energien nehmen dennoch Einfluss (etwa über psychosomatische Symptome, Ängste etc) und gerade ihre Entdeckung und „Rehabilitation“
führen in der Regel zu heilsamen Fortschritten.
Nach einer Erhebung ist es deshalb wichtig mit dem Klienten noch einmal alle
Teammitglieder anzuschauen und zu versuchen, deren Handeln zu verstehen und
ihnen Anerkennung (zumindest) für ihre guten Absichten und ihre Anstrengungen
auszusprechen.
Abbildung 4: Kooperative Führung (© Prof. Schulz von Thun)
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Die Frage ist ja nun, wer schaut denn jetzt mit dem Berater auf das Team?
Wir verstehen das so, dass es ein Oberhaupt oder einen Teamchef gibt, der quasi
übrig bleibt, wenn er/sie sich von den Energien der einzelnen Team-mitglieder gelöst
und etwas Abstand genommen hat. Seine Aufgabe ist die kooperative Führung
seines Teams.
Abbildung 5: Innere Ratsversammlung (© Prof. Schulz von Thun)
Er sollte sich für jedes einzelne Teammitglied in einer wohlwollenden Haltung
interessieren, seine Teammitglieder in ein konstruktives Gespräch zu wichtigen
Fragen der Gesamtperson bringen und im Konfliktfall vermitteln, im Notfall auch
selbst Entscheidungen treffen und dies mit den nicht berücksichtigten
Teammitgliedern offen besprechen. (Z.B. in einer Prüfungs-phase, erschöpfte
Teammitglieder wollen eine Auszeit vom Lernen, Angebot und Versprechen vom
Teamchef: Erholungsreise zu einem späterem Zeitpunkt). Neben den
Teammitgliedern ist also auch das Oberhaupt von zentraler Bedeutung für eine
konstruktive Arbeit unserer inneren Kräfte.
Der Teamchef hat es oft mit sehr speziellen Schwierigkeiten bzw. ganz speziellen
Dynamiken zu tun, die dann im Grunde ähnlich zu bearbeiten sind, wie in einem
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realen Team oder wie Sie bisher z.B. mit inneren Konflikten Ihrer Klienten gearbeitet
haben.
Um mit dem Modell des inneren Teams weitergehend therapeutisch arbeiten zu
können, sind wir auf ergänzende Vertiefungsmethoden aus psychotherapeutischen Verfahren angewiesen. Hier bieten sich Gestalttherapie und Psychodrama für
die Arbeit auf der äußeren Bühne an, oder imaginative Arbeit auf der inneren Bühne
etwa orientiert an Luise Reddemann oder Richard Schwartz. ( S.a. Dagmar Kumbier
2013)
Der Vorteil einer vorausgehenden Erhebung des betreffenden Inneren Teams ist,
dass Sie in der Arbeit mit Ihren Klienten die Teammitglieder personalisiert und
visualisiert haben und dadurch das Kennen- und Verstehen-lernen und die innere
Klärungsarbeit anschaulicher auf einer gemeinsamen Grundlage mit dem Klienten
unterstützen können.
Abbildung 6: Dominanz der Lauten und Schnellen (© Prof. Schulz von Thun)
Z.B. bei Dominanz der Vorlauten und Schnellen: etwa wenn ein Klient sich schnell
angegriffen fühlt und gereizt reagiert und dabei den leiseren und langsameren
inneren Anteil übergeht, der zu sachlicher Klärung bereit wäre. Damit trägt der
schnelle gereizte Teil zur Eskalation der äußeren Situation bei. Hier bietet sich eine 3
Stühle Arbeit an (Dominantes Teammitglied, Leises Teammitglied und Oberhaupt), in
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der der Klient wechselnd alle Rollen einnimmt. Es ist dabei wichtig, auch zu klären,
was der Dominante denn befürchtet, was geschehen könnte, wenn er nicht so
handeln würde.
Abbildung 7: Inneres Patt (© Prof. Schulz von Thun)
Es gibt noch eine ganze Reihe weitere spezielle Teamstrukturen, die ich hier leider
nicht alle vorstellen kann.
Fallbeispiel Fortsetzung
Ich würde gern noch einmal auf meine Klientin Marie und ihr Problem mit der
Erziehung ihrer Tochter Maja zurückkommen. Ich zeige Ihnen auf der kommenden
Seite einmal das vollständige Ergebnis der Erhebung.
Eine zentrale Bedeutung für die Unfähigkeit, ihre Tochter zu begrenzen, kam ihrer
MITFÜHLENDEN zu, hinter der wir durch meine Fragen schließlich die KLEINE
entdeckten, die in ihrer Kindheit extrem begrenzt und bei Grenzüberschreitungen
gewalttätig bestraft wurde. Die Klientin schilderte eine Weile die bedrückende
Atmosphäre ihrer Kindheit und mit einigen Worten zusammenfassend typische
Erlebnisse mit ihrem cholerischen, gewalttätigen Vater. Dabei kamen ihr mehrfach
die Tränen. Ich habe zugehört, sie aber nicht ermutigt, weiter in ihre Erinnerungen
einzusteigen. Als sie sich wieder gefasst hatte, habe ich die Klientin wieder als
Oberhaupt angesprochen, mit der Bitte, ihr eigenes Elternhaus und das ihrer Tochter
einmal zu vergleichen. Was sie selbst als Kind erlebt hat und was ihre Tochter bisher
erlebt hat. Es dauerte nicht lange bis zu der Erkenntnis, dass die bisherigen
Kindheitserlebnisse ihrer Tochter Maja unvergleichlich liebevoller und unbelasteter
waren als ihre eigenen.
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Abbildung 8: Inneres Team „Maja greift nach dem Messer“
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Sie konnte die beiden Szenarien trennen und sich von deren Implikationen (Ein
„Nein“ bedeutet emotionale Kälte) lösen. Dadurch wurde die MITFÜHLENDE frei,
sich und ihre Tochter in den folgenden 2 Wochen genauer zu beobachten und mit
neuem Verhalten zu experimentieren. Dann kam sie mit neuen Erkenntnissen in die
nächste Sitzung. Ich habe sie den entsprechenden Teammitgliedern in die
Sprechblasen geschrieben.
Abbildung 9: Neue Erkenntnisse der Inneren Teammitglieder
Mit der ANSPRUCHSVOLLEN KONTROLLEURIN und der KRITIKERIN
führte ihr Oberhaupt ein klärendes Gespräch, was sie ebenfalls sehr berührte und zu
einem guten, neuen Anfang ihrer Beziehungen führte. Diese beiden sind nicht nur
Teil des Teams hinsichtlich ihrer Tochter, sondern Stammspieler, mit deren rigider
und verletzender Haltung es sich auch sonst nicht gut leben ließ.
Generell lässt sich sagen, dass wir davon ausgehen können, dass in jeder Situation,
die uns nicht gelingen will, befriedigend (dh. mit einem inneren
Stimmigkeitsempfinden bzgl. der äußeren Situation und unserer inneren Situation) zu
lösen, Verletzte im inneren Team eine Rolle spielen, meistens verletzte innere
Kinder.
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II.
Ergänzende Modellvorstellungen zu inneren Welten
Die „Hauptselbste“ von Hal und Sidra Stone
Jetzt würde ich gern einen gedanklichen Schritt weitergehen.
Nach vielen individuellen Erhebungen stellt sich irgendwann die Frage: Sind denn
alle Inneren Teams völlig verschieden oder gibt es Ähnlichkeiten, können wir
vielleicht hinter allen individuellen Teammitgliedern eine Art innerer menschlicher
Grundstruktur entdecken?
Hal und Sidra Stone haben 1997 in ihrem Buch „Abenteuer Liebe“ eine solche
Grundstruktur beschrieben, die von anderen KollegInnen aus der IFS-Therapieszene
bestätigt bzw. ähnlich beschrieben wird. Ich habe das entsprechende Kapitel einmal
in Innere Team Bilder „übersetzt“ und meine Kollegin Karen Knipping hat alles
gezeichnet.
Abbildung 10: Haupselbste nach Hal und Sidra Stone
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Hal und Sidra Stone nennen die wichtigsten Teammitglieder Hauptselbste, (bei
Schulz von Thun wären es Teammitglieder, die in fast allen Situationen beteiligt sind:
Stammspieler). Sie gehen von einem schutz- und nähebedürftigen Kind aus, das im
Laufe seines Lebens Kräfte entwickelt, sich in seiner Welt zu orientieren, zu schützen
und zu wachsen. Diese Kräfte nennen sie Hauptselbste.
Im günstigen Fall wird dieses Kind in eine Familie hineingeboren, in der es umsorgt
und zu Entwicklung ermutigt wird, wo es mit Gefühlen wie Freude und Lust genauso
angenommen wird wie mit Wut, Angst oder Traurigkeit. In dem Fall wird der
Bewacher eine entspannte, „liberale“ Haltung einnehmen können, und das
heranwachsende Kind wird es mit geringen inneren und äußeren Konflikten zu tun
bekommen.
Sollte das Kind in seinem Elternhaus allerdings Ablehnung, Unverständnis oder gar
Misshandlung und Gewalt erleben, wird der Bewacher mit sehr großer Anstrengung
versuchen zu erkennen, wie Verletzungen für seinen Schützling zu vermeiden sind,
welches Verhalten dafür nützlich ist und wird an diesen aus schlechter Erfahrung
gewonnenen Überzeugungen ein Leben lang festhalten. (Etwa: „Wir sind wertlos,
niemand will uns. Es hat keinen Zweck, menschliche Nähe zu suchen. Das führt nur
zu Enttäuschungen.“)
So, wie der Beschützer/Bewacher hier eine rigide, extreme Überzeugung
angenommen hat, und entsprechend in Zukunft das soziale Verhalten dieses Kindes
und späteren Erwachsenen steuern wird, so gibt es ähnlich überzogen radikale
Einstellungen auch bei den drei anderen Hauptselbsten bezogen auf den
Leistungsbereich. Schauen wir uns das auf einem weiteren Bild auf der kommenden
Seite einmal an.
Hier wird deutlich, welche Belastungen rigide Hauptselbste für unser inneres Klima
und in der Folge für unser Verhalten und damit auch für die Gestaltung unserer
äußeren Welt bedeuten können. Hal und Sidra Stone sprechen von den
Schattenseiten der Kräfte, die sich nach ihrer Überzeugung für unser Wohl
einsetzen.
Natürlich sind Ihnen diese Gedanken im Prinzip vertraut, dass Menschen ihr Leben
häufig nach inneren Regeln gestalten, die in einer vergangenen Lebensphase
hilfreich, wenn nicht gar lebenswichtig waren, die aber nicht den Spielräumen und
Lebenschancen ihrer Gegenwart entsprechen und sie behindern und unnötig
einengen. Ich finde diese Bilder dennoch wert anzuschauen, so differenziert und
doch prägnant, wie sie einen Teil unser aller innerer Welt abbilden.
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Abbildung 11: Schattenseiten der Haupselbste nach Hal und Sidra Stone
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Innere Dynamik nach Richard Schwartz
Im Internal Family System von Richard Schwartz (IFS)entspricht das „Selbst“ in
etwa dem Oberhaupt des Modelles vom Inneren Team. Es hat Führungs-qualitäten
und versteht es, auf einfühlsame, wohlwollend zugewandte Weise seinen
Teammitgliedern zu helfen, wenn es sich ausreichend von ihnen separieren
(disidentifizieren) konnte. Es sei sogar dort unversehrt zu finden, wo schlimmste
frühe Erlebnisse einen Menschen traumatisiert haben.
Das Selbst ist darüber hinaus aber auch fähig zu einem Bewusstseinszustand von
Verbindung und Verschmelzung mit dem Universum wie etwa bei intensiver
Meditation.
Richard Schwartz hat im therapeutischen Dialog mit seinen Klienten ähnliche
Strukturen gefunden wie das Ehepaar Stone: je nach Biographie gibt es verletzte
innere Kinder, die im Entwicklungsstand zum Zeitpunkt ihrer damaligen psychischen
Überforderung (was traumatische aber auch weniger extreme Erlebnisse umfassen
kann) erstarrt, wie eingefroren verharren. Ihnen zum Schutz haben sich innere Kräfte
entwickelt, die Richard Schwartz „Manager“ nennt. Sie bewältigen das alltägliche
Leben und bemühen sich, durch vorausschauende Planung ihre Schützlinge nicht in
Situationen zu bringen, in denen deren belastende Erlebnisse getriggert werden
könnten, so dass sie zum einen erneut schlimm leiden müssten, zum anderen aber
auch die gesamte Person mit ihren Gefühlen überfluten könnten und deren innere
Balance und Funktionstüchtigkeit gefährden würden. Es geht ihnen also nicht nur um
ihre Schützlinge, sondern vorrangig um das gesamte System. Ihre Anstrengung der
Abschottung geht deshalb häufig auch zulasten von Entwicklungschancen für diese
„Verbannten“, wie Schwartz sie nennt.
Diese Manager/Wächter sind nun nicht, wie man aufgrund ihrer Äußerungen z.B. im
Inneren Team vermuten könnte, erwachsene Teammitglieder, sondern es sind Teile,
die wie die Verbannten selbst auf dem psychischen
Entwicklungsstand des Kindes zum Zeitpunkt der Verletzung stehengeblieben sind.
Mit diesem inneren Reifezustand versuchen sie das gesamte System im oben
beschriebenen Sinne zu beeinflussen. Es liegt auf der Hand, dass dadurch die
Möglichkeit neue, positivere Erfahrungen, etwa mit Bindung oder mit weniger
perfektionistischer Handhabung von Leistungsanforderungen verhindert wird und
damit die Anpassung des Gesamtsystems an veränderte Lebens-bedingungen.
Dagmar Kumbier weist in ihrem Buch „Psychotherapie mit dem Inneren Team“ auf
die Besonderheit „kindlicher Wächter“ hin und auf die Notwendigkeit, sie auch in
besonderer Weise therapeutisch zu behandeln. Wir kommen darauf zurück.
Wichtig zu ergänzen ist zunächst eine weitere Gruppe von Beschützern/Be-wachern,
die sich ins Spiel bringen, wenn die vorausschauend vermeidenden Strategien der
Manager nicht ausreichend wirken. Wenn etwa ein Mensch mit frühen
Verlassenheitserlebnissen von seinem Partner verlassen wird und die
entsprechenden Gefühle von Schmerz und Lebensangst aufsteigen, übernehmen
häufig die „firefighter“ (nach Richard Schwartz) die Regie und versuchen auf
selbstdestruktive Weise diese Gefühle in Schach zu halten, etwa durch innere
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Angriffe auf eigene Teammitglieder, durch Ablenkung mithilfe von Selbstgefährdung,
Selbstverletzung bis zum Suizid, durch Angriffe auf andere, durch Dissoziation, oder
durch Betäubung mithilfe von Suchtmitteln. Hier hat meine Kollegin Karen Knipping
die Beteiligten einmal ins Bild gesetzt.
Abbildung 12: Fire- Fighter nach Richard Schwartz
In der Ego-State-Literatur werden diese Anteile vor allem unter den Stichworten
„Introjekt“ und „Täteridentifizierte Ego States“ beschrieben (Reddemann 2011, S.180
ff.; Peichl 2007, S. 107 ff.). Sie sprechen und benehmen sich häufig so, „wie die
Klientin oder der Klient früher wichtige Bezugspersonen erlebt hat“ (Kumbier 2013, S.
58).
Kommen wir noch einmal auf Dagmar Kumbier zurück. Sie hat in ihrem Buch u.a.
das Modell des Inneren Teams „um die Dimension der verletzten und traumatisierten
inneren Kinder und deren Wächter“ (Kumbier 2013, S. 15) erweitert, und ausgeführt,
dass deren therapeutische Behandlung anders angelegt sein muss,“ als die
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Behandlung erwachsener Teammitglieder, wie sie Schulz von Thun mit Blick auf
Coaching und Training in den Mittelpunkt stellt.“
Abbildung 13: Erwachsene Teammitglieder und kindliche Wächter
(Dagmar Kumbier, Abbildung in „Psychotherapie 18. Jahrg. 2013, S. 110)
Erläuterung: (Zitat aus Zeitschrift, S. 109, s.o.)
Erwachsene Anteile im Inneren Team wollen gemäß der Schulz-von-Thun’schen
Metapher des Arbeitsteams in ihrem Beitrag zum Ganzen gesehen und mit dem Teil
von Weisheit gewürdigt werden, das sie zum Ganzen beitragen. Ziel in Therapie und
Coaching ist, sie in eine gute Balance mit den anderen Mitgliedern des Inneren
Teams zu bringen, so dass die verschiedenen Bedürfnisse und Ziele
situationsangemessen berücksichtigt werden können.
Kindliche Wächter, die in verstörenden oder traumatischen Situationen festgefroren
sind, wollen dagegen in ihrem biographischen Hintergrund verstanden und in ihrer
biographischen Leistung gewürdigt werden. Therapeutisches Ziel ist, sie in die
Gegenwart zu holen. Dort zeigt sich, dass die alten Strategien in diesem Umfang
nicht mehr nötig sind, und es geht darum, eine neue Rolle für diese Anteile zu
finden.“
Zur Ergänzung sei hier noch der Umgang mit den „Verbannten“, (meist inneren
Kindern) beigetragen: Verletzte und Traumatisierte brauchen die Gelegenheit, dem
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Selbst gegenüber über ihre Verletzungen zu sprechen und mit Mitgefühl bestätigt zu
bekommen, dass sie Schlimmes erlebt haben. Es gilt, ihnen zu vermitteln, dass die
verletzende Situation vorüber ist und es Möglichkeiten für sie gibt, sich an einem
sicheren Ort erholen und entwickeln zu können. Der letzte Schritt besteht in einem
Angebot von Entlastung, da die traumatisierten Teile Lasten wie etwa extreme
Überzeugungen tragen, z.B. von ihrer Wertlosigkeit oder ihrer Schuld. Wir ermutigen
das Selbst des Klienten, das Thema der Lasten anzusprechen und zu helfen, diese
noch einmal anzuspüren (z.B. als Körpergefühl) und dann mit dem Klienten zu
beratschlagen, wie er sich entlasten möchte. Dazu gibt es viele Wege, etwa die Last
in der Vorstellung in einen Fluss oder in ein Feuer zu werfen.
Bezug zu Menschen mit Suchtgefährdung bzw. Suchterkrankung
Abschließend möchte ich hier auf die Frage eingehen, ob die Arbeit mit dem Inneren
Team in unserem Arbeitsbereich hilfreich sein kann. Ich würde diese Frage positiv
beantworten.
Das Modell des Inneren Teams lässt sich methoden- und schulenübergreifend
unkompliziert in der beraterischen und therapeutischen Arbeit mit Suchtgefährdeten
und –kranken einsetzen. Es kann anschaulich zur Diagnostik von Dynamiken und
Konflikten genutzt werden, aber auch Wege zur weiteren Bearbeitung aufzeigen.
Es gibt - wie wir alle wissen – nicht die typische Suchterkrankte, den typischen
Suchterkrankten. Sucht ist ein komplexes, individuell sehr unterschiedliches
Phänomen, das aus dem Zusammenwirken gesellschaftlicher, familiärer,
persönlichkeitsspezifischer und biologischer Faktoren besteht. Das Modell des
Inneren Teams bietet ausreichend Offenheit für die Darstellung der vielfältigen
inneren Anteile bzw. Teammitglieder unserer Klienten und Patienten. Zudem ist es
für Beratungs- und Coachingprozesse, wie auch für die therapeutische Behandlung
mit verschiedenen bekannten methodischen Ansätzen (z.B. Tiefenpsychologie,
Psychodrama, Gestalttherapie, integrative Therapie, imaginative Therapien) leicht zu
ergänzen und zu vereinbaren.
Alle methodischen Ansätze im Suchtbereich müssen hilfreich sein, um die
Motivation zur eigenen Veränderung zu stärken und zu fördern. Dies sind nach
Grawe (Neuropsychotherapie, 2004):
Bindung
Selbstwerterhöhung
Lust/ Unlustvermeidung
Kontrolle u. Transparenz
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Hierzu bietet das Modell des Inneren Teams gute Möglichkeiten und kann so ein
wesentlicher Baustein zur Veränderungsmotivation in der Suchtbehandlung sein:
Das Verfahren ist vom Ansatz respektvoll, annehmend und ressourcenorientiert. Die
inneren Anteile werden gemeinsam erarbeitet und in ihrem Bemühen gewürdigt.
Der Berater gestaltet den Umgang mit dem Beratenen wertschätzend und auf
Augenhöhe, so dass einerseits eine positive Bindung entstehen kann und
andererseits das Selbstwertgefühl des Beratenen gefördert wird. Zudem kann die
Darstellung der eigenen Teammitglieder auf dem Flipchart Spaß machen oder
zumindest entlastend wirken (Lust / Unlustvermeidung).
Die Arbeit mit dem inneren Team ist ein sehr individuelles Vorgehen in enger
Kooperation mit dem Betroffenen. Der Prozess ist hierdurch von ihr /ihm selbst
steuerbar und kontrollierbar. Dies ist wichtig, um ihrem Bedürfnis nach Kontrolle
und Transparenz entgegen zu kommen. Dazu tragen auch die Bilder und die leicht
verständlichen Begriffe (kein „Fachchinesisch“) und Vorgehensweisen bei.
Im Modell des Inneren Teams und der Inneren Familie wird das Suchtverhalten
speziellen inneren Anteilen zugeschrieben (s. Kumbier S. 57 / Schwartz 1997, S.
58f, 193f), die es zur Betäubung unerträglicher Gefühle mithilfe von Sucht-mitteln
einsetzen oder zur Ablenkung von diesen Gefühlen durch gefühlsintensives
Risikoverhalten. Die Sucht wird somit ein sogenannter „Feuerbekämpfer“. Ihr Ziel ist
die Eindämmung bedrohlicher emotionaler Großbrände (Schwartz 1979, S. 85f,
139f). Es ist eine Strategie im Notfallprogramm der Wächter/ Feuerbekämpfer
(Kumbier S.58), nach Mentzos sind dieses Abwehrformen.
Die therapeutische Arbeit mit den sogenannten firefightern, den kindlichen
Wächtern, die im Falle drohender emotionaler Überflutung zu destruktiven
Mitteln für die Person greifen, ist besonders schwierig. Das erste Problem besteht
darin, dass die Klienten sich in der Regel vor diesen Anteilen fürchten. Sie sind in der
Imagination häufig große, gefährliche, angsteinflößende Figuren.
Die Klienten brauchen Unterstützung, deren beängstigende Präsenz zu steuern,
etwa durch die Vorstellung, diese Figur durch eine Glasscheibe in einem anderen
Raum zu sehen o.ä.
Richard Schwartz schreibt dazu: „Der Therapeut kann sich Zugang zu den
Feuerbekämpfern verschaffen und sie nach ihren Gründen fragen. Wenn der
Therapeut mitfühlend und beharrlich ist, werden diese Teile gewöhnlich ihren
Schmerz oder den von Teilen, die sie beschützen, enthüllen. Dabei ist jedoch wichtig,
nicht zu vergessen, dass diese Feuerbekämpfer Schwierigkeiten haben, ihre
automatischen Reaktionen zu kontrollieren, bis mit dem Schmerz anders
umgegangen werden kann. Wenn ein Feuerbekämpfer erst mal überzeugt ist, dass
die Arbeit mit den Verbannten sicher ist, und wenn er erst einmal mit den Managern
depolarisiert ist, die ihn mit Scham erfüllen, wird er bereit sein, über seine Reaktion
zu verhandeln. Er kann einwilligen eine weniger gefährliche und unheimliche Form
der Dissoziation zu verwenden, oder er verringert vielleicht die Intensität seiner
Reaktionen. Im Allgemeinen brauchen Feuerbekämpfer die Hoffnung auf
Veränderung…….All dies soll nicht bedeuten, dass keine Gefahr besteht, wenn diese
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Buss 101. Wissenschaftliche Jahrestagung, 18.03.- 19.3.2015
Teile die Kontrolle übernehmen. Ich finde jedoch, dass die Gefahr weniger in den
Teilen selbst liegt als in dem Kontext, in dem sie auftauchen. D. h., wenn die äußeren
Menschen oder die inneren Teile um diese Feuerbekämpfer herum auf
verleugnende, beschämende, nötigende oder angst- machende Weise reagieren,
wächst die Gefahr. Jede dieser Reaktionen kann die Eskalation der Polarisierungen
auslösen, sodass die Feuerbekämpfer ihr schützendes Verhalten bis zu dem Punkt
steigern, an dem sie ernstlich destruktiv werden.“….Falls dies geschieht, „sollten
Therapeut und Klient vielleicht einen kurzen Krankenhausaufenthalt in Erwägung
ziehen.“ (Schwartz S. 193/ 194)
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Literatur:
Schulz von Thun (1998), Miteinander reden 3: Das Innere Team und
situationsgerechte Kommunikation, Reinbek, Rowohlt.
Dagmar Kumbier (2013), Das Innere Team in der Psychotherapie, Klett-Cotta.
Richard C. Schwartz (1997/2003), Systemische Therapie mit der inneren Familie,
Stuttgart: Klett-Cotta.
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