Karlsruher Institut für Technologie Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften Institut für Literaturwissenschaft Ringvorlesung Kulturinstitutionen Vanessa Hindinger (Matr.nr.: 1636053) 05.12.2013 „Wozu Gedenkstätten?“ Eine Fragestellung von Thomas Stöckle Die Gedenkstätte Grafeneck nahe der Gemeinde Gomadingen auf einem Felsen, mitten im Nirgendwo der Schwäbischen Alb ist heute die größte Gedenkstätte für Euthanasie-Verbechen der Nationalsozialisten in Baden-Württemberg. Vom 18. Januar 1940 bis zum 13. Dezember desselben Jahres wurden hier genau 10.654 gehandicapte Männer, Frauen und Kinder, psychisch erkrankte Menschen und Kriegsveteranen des ersten Weltkrieges mit Kohlenmonoxyd ermordet. In der Gedenkstätte Grafeneck, welche als Erinnerungsstätte und als historisch manifester Ort der NSVergangenheit gilt, wird seit 1990 Bildungs- und Aufklärungsarbeit, ein Archiv, ein Museum mit Ausstellungen und Forschungsarbeit bezüglich der Täter und der Opfer betrieben. Ulrich Schrader erklärt in seinem Essay mit dem Thema „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten folgendermaßen: „...jede Aufforderung, ihren [die Gedenkstätte] Alltag zu reflektieren, sich zu verorten zwischen Zeitgeschichtsforschung, Schule und Politik, zwischen Forschung und Vermittlung, zwischen Erinnerungsarbeit und Prävention, bringt sie auf dem Weg der Verbesserung ein Stück nach vorn. 1 Die Frage: „Wozu Gedenkstätten“ beschäftigt in gewisser Hinsicht auch Schrader, wenn er selbst in seinem Essay der Frage nach dem Sinn solcher Einrichtungen nachgeht: „Die Vermittlungsarbeit soll nicht uns dienen, sondern, in der direkten Kommunikation – den Jugendlichen, im übertragenen Sinn auch: den Opfern.“2 Hiermit ist wohl die Schuldfrage gemeint: Haben wir heute noch „Schuld“ an der NSVergangemheit? Müssen wir uns denn dafür im Ausland, beispielsweise durch Zahlungen an jüdische Vereine..., „noch entschuldigen“? Geht uns das alles denn wirklich etwas an, obwohl wir damit „nichts zu tun haben“? JA! „Trotz einer angeblichen Überfütterung gibt es keine wirkliche Informiertheit, nur weniges und ungenaues Wissen, das Verhältnis zwischen Unterricht und Lernerfolg scheint gerade bei diesem moralisch so aufgeladenen Thema extrem gestört. Ein Grund dafür könnte sein, dass das Lernziel für viele Lehrer und Lehrerinnen immer noch heißt: Betroffenheit erzeugen...“ 3 1 Ulrich Schrader: „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten. Hg. Von Jens Birkmeyer / Cornelia Blasberg, Bielefeld 2006. S. 95 2 Ulrich Schrader: „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten. Hg. Von Jens Birkmeyer / Cornelia Blasberg, Bielefeld 2006. S. 96 3 Ulrich Schrader: „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Hier weist Schrader auf die richtige Vermittlung von Wissen über den Nationalsozialismus in Deutschland an: Nicht „Betroffenheit erzeugen“, sondern „die historischen Fakten und Zusammenhänger, die erklären, wie diese Verbrechen möglich waren.“4 sollen aufgezeigt und nachvollziehbar gemacht werden. Nachvollziehbar in dem Sinne, dass ein ausreichendes (Vor-)Wissen über die deutsche Vergangenheit von Nöten ist, um durch die chronologische Schiene zu verstehen, „Wie es so weit kommen konnte“. Auch Thomas Stöckle meint, dass der Begriff „Erinnerungsstätte“ treffender sei als die Bezeichnung „Gedenkstätte“. „Sich erinnern“, das schließt Aufklärung und historisches Faktenwissen mit ein. Des weiteren beinhalten Erinnerungsstätten auch Erinnerungsarbeit über Täter und sind nicht nur schweigender Ort „im Gedenken an die Opfer“. Aus diesem Grund ist auch die Forschungs- und Archivarbeit in der Gedenkstätte Grafeneck im Laufe ihres Bestehens immer wichtiger geworden. Forschung nach Namen von Tätern, Opfern und Angehörigen, nach der historischen Umwelt Grafenecks um 1939 – 1941. Man will Geschichte manifestieren, so wie es schon der Ort an sich tut. Unverfremdet, weder euphorisiert noch dramatisiert. Als Negativbeispiel für die „Dramatisierung der NS-Zeit“ gerade im Schulunterricht oder in der (Erwachsenen-) Bildung, wie bereits oben angeschnitten, kann hier Schraders Einwurf genommen werden: „Die Würde der Opfer steht auf dem Spiel, wen das Thema „Nationalsozialismus“ als Instrument moralischer Erziehung missbraucht wird.“5 Im Jahr 2014 ist es auch möglich, Geschichte ohne Zeitzeugen aufzuarbeiten, aus einem weniger subjektiven Winkel. Das war vor Jahrzehnten nahezu undenkbar, da immer öfter subjektive (Kindheits-) Erinnerungen und Geschichtskonstruktionen sowie das Verschweigen von Tatsachen zu einer abgewandelten oder gar verfälschten Historizität führten. Auch dieses sollte Aufgabe einer Gedenkstätte sein: zu erkennen, welche Erinnerungen fehlen oder unwahr sind, das gesamte Netz eines totalitären Systems erklärbar machen und Berichte von Zeitzeugen und/oder Fotos, Medienberichte, Briefe etc. genauestens zu überprüfen und nicht, aufgrund zeitlicher Nähe/Gleichheit als faktisches Wissen ansehen. So vermeide man, wie Schrader Roman Herzog zitiert „ dass Jugendliche in die ein oder andere [politische] Richtung unterrichtet werden.“6 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Gedenkstätten eine große Relevanz in der deutschen Kultur besitzen und auch, oder vor allem, fast 70 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg zur geschichtlichen Aufarbeitung einen großen Teil beitragen, da ihre Eigenschaft als historisch manifester Ort sie als unübersehbar auszeichnen. (Vermittelnde) Sinnhaftigkeit für das historische (und moralische) Bewusstsein Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten. Hg. Von Jens Birkmeyer / Cornelia Blasberg, Bielefeld 2006. S. 99 4 Ulrich Schrader: „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten. Hg. Von Jens Birkmeyer / Cornelia Blasberg, Bielefeld 2006. S. 100 5 Ulrich Schrader: „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten. Hg. Von Jens Birkmeyer / Cornelia Blasberg, Bielefeld 2006. S.102 6 Ulrich Schrader: „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten. Hg. Von Jens Birkmeyer / Cornelia Blasberg, Bielefeld 2006. S. 106 einer Generation (und Kommender) besitzen und auch in der Forschungs- und Archivarbeit einen wertvollen Beitrag für die Geschichtswissenschaft leisten oder leisten können. Literaturverzeichnis: Ulrich Schrader: „Lästige Orte: Bedeutung und Zukunft von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“ aus dem Buch „Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten“ die Aufgabe von Gedenkstätten. Hg. Von Jens Birkmeyer / Cornelia Blasberg, Bielefeld 2006
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