Samstagmorgen, eine frisch verschneite Winterlandschaft, tiefer Friede über dem Zürcher Oberland, Zweitakter kreischen, Reifen sirren übers Eis, Verzweiflungsschreie hallen über die Hügel … Wintersport Die Chnüttler-Rally ist eine 160 km lange Postenfahrt vom zürcherischen Tösstal ins Toggenburg. Unterwegs müssen Fragen beantwortet, Aufgaben gelöst und kleine und kleinste Strässchen gefunden werden. Text: Monika Stadler / Bilder: Rolf Lüthi und Fränzi Göggel Samstagmorgen, 08.00 Uhr. Wir befinden uns am Start im Restaurant Freihof in der Lipperschwendi (ZH) zum 5. Chnüttler-Revival. Die Beiz ist rappelvoll. Etwas mulmig ist mir schon. Erwin, mein Pilot, stattet für mich ganz edel den Beifahrersitz mit einem Schaffell aus und reicht mir zusätzlich eine Wolldecke. Luxus pur! Warm eingepackt, starten wir in unser Abenteuer. Es bleibt mir gar keine Zeit, ängstliche Gedanken zu wälzen, denn schon biegen wir ab in ein vereistes, schneebedecktes Bergsträsschen: Ja, so muss das sein, ist ja schliesslich eine Winterfahrt. Vor uns stehen einige Töffler am Wegesrand und montieren Ketten. Unsere Dnepr lässt sich da nichts anmerken, wie auf Schienen steuert Erwin das Gespann bergauf. Wir fahren durch tief verschneiten Wald, kommen auf 32 | www.motosport.ch 05/2015 e ine Anhöhe und blicken hinab ins Tösstal. Organisiert wird das Chnüttler-Revival von MSS-Mitarbeiterin Fränzi Göggel, und sie verlangt einiges von uns Teilnehmern. An einem markierten Wegweiser sollen wir die Kilometer zusammenzählen, diese durch 4 teilen und mit 8,575 addieren. Was für eine Zahl das ergibt, will sie wissen – Primzahl wäre die richtige Antwort gewesen. Wir haben Fränzis Chnüttler-Fragestil noch nicht richtig durchschaut. Über den Wolfensberg röndeln wir weiter zum Restaurant Hinterburg, dem ersten Posten. Eine Steinschleuder müssen wir hier vorweisen. Astgabeln in diversen Grössen gab es in rauer Menge auf der soeben befahrenen Strecke. Wo aber nimmt man den Gummi her? Andere behelfen sich mit Hosenträgern, Schnürsenkeln und dergleichen. Die Aufgabe: Mit Föhrenzapfen oder Baumnüssen möglichst viele der kleinen Motorexfässli runterschiessen. Schreckmoment hoch überm Tösstal Wir verlassen das Tösstal und fahren über Umwege auf den Sternenberg. Wieder gibt es schneebedeckte Strassen, ein paar Jogger sind unterwegs, sonst niemand. Um die nächste Kurve kommt uns plötzlich ein Auto entgegen. Beide Fahrer gehen voll in die Eisen, die Fahrzeuge stellen sich quer, es wird eng. Doch es geht ohne Berührung ab, und weiter gehts, wir haben Zeit vertrödelt, dabei sollten wir dringend den nächsten Posten anfahren, bevor der schliesst. Die Sonderprüfung von Alewinden nach Tobel umfahren wir, was sich als schlauer Ent- 5. Chnüttler-Revival ZOOM Die Luxus-Schleuderversion: Wasserarmatur, mit Gummi bespannt. Cosimo Zünd (9): Der Kleinste bringt die grösste Steinschleuder mit und gewinnt die Plampi-Wertung. Da gibt es tatsächlich welche, die den Gummi dabeihaben und ihn zweckentfremden. scheid meines Piloten erweist, wusste Erwin doch nicht, wie ich als Plampi-Neuling in extrem schwierigem Gelände reagieren würde. Später erfahren wir die wildesten Geschichten über diese Strecke: Hirni, der Treiber seines Guzzi-Gespannes, planierte mit dem Seitenwagen die Strecke, ehe er stecken blieb. Auch Kollege Jack mühte sich ab, fuhr mit offenem Visier und wurde prompt von einem runterfallenden Eisklumpen getroffen, sodass er blutete. Wir sind gut in der Zeit und fahren zur HarleySchmiede McSands in Balterswil. Sandra und Mac betreuen den Posten 2. Wir haben 60 Sekunden Zeit, einen Harley-Motor so oft wie möglich anzukicken. Zaghaft mache ich mich an die Aufgabe und stelle fest, dass das gar nicht so schwierig ist. Doch plötzlich trete ich ins Leere. Was ist passiert? Ist der Motor abgesoffen? Mac probiert ebenfalls, aber nichts geht mehr. Ha, das Zündkabel ist abgerissen! Also, zweiter Versuch für mich. Immerhin weiss ich unterdessen, wie es funktioniert, aber mein rechtes Bein wird langsam schwer. Ich schaffe es, den V2-Mocken 15 Mal zum Laufen zu bringen, und bin stolz auf mich. Verfahren, aufgesetzt und versunken Los, los, weiter gehts, die Zeit drängt schon wieder. Marcel, ebenfalls ein Russentreiber, hat sich uns angeschlossen. Unterwegs beantworten wir etliche Fragen und suchen kanadische Wildtiere, ehe wir zu Posten 3, zum Gasthaus Rössli in Krinau, schliferen. Irgendwo zwischen Libingen und Lichtensteig gibts auch noch eine Sonderprüfung. Die wollen wir unbedingt finden. Es ist herrliches Winterwetter. Die Strassen sind in der Zwischenzeit meist wieder aper, aber auf den Wiesen liegt noch viel Schnee. Das hindert Erwin nicht, den Blinker zu stellen und dem Wanderwegweiser nach Krinau zu folgen. Schliesslich hat es da auch Töffspuren. Cool, denke ich, was man mit so einem Gefährt alles machen kann, das ersetzt ja direkt die Wanderschuhe! Doch die Freude ist von kurzer Dauer: Ein paar Meter haben wir geschafft, dann setzt das Boot auf dem Schnee auf und die Räder drehen im Leeren! Kein Problem, für echte Winterfahrer gehört die Schaufel zur Ausrüstung. Ganz so einfach wird dann die Rettungsaktion doch nicht. Die beiden Fahrspuren sind tief und die gefrorene Mittelspur hoch. Meter um Meter arbeiten wir uns zurück. Die Männer müssen das Gespann anheben, damit ich mit der Schaufel den Schnee wegputzen kann. «Läck, so iigsoffe bin ich glaub no nie», meint Erwin ausser Atem und mit Schweisstropfen auf der Stirn, «aber das Strössli het mer halt gfalle.» Unverdrossen setzen wir unsere Fahrt fort. Stopp, da gibts nochmals einen Abzweiger nach Krinau. Den nehmen wir. Doch auch hier endet das Strässchen als Wanderweg, wir wenden freiwillig. Die von Fränzi geforderte Sonderprüfung haben wir nicht gefunden, aber unsere Sonderprüfung haben wir mit 100%iger Sicherheit bestanden. Fragen suchen und schöne Strecken finden Claudio, der Beizer vom Rössli in Krinau, verwöhnt die Hungrigen mit einem feinen Zmittag, danach gibts Arbeit für uns. Eine mit einem Zementsack beladene Bänne müssen wir auf Zeit durch einen Parcours schieben, um Pylonen herum, dann quer durch Pnöggis Auto hindurch. Was für eine Gaudi, und erst die Kampfspuren am und im Auto! Ursprünglich sollte Chnüttler-Helfer Pnöggi einen Slalom ausstecken, doch dann kam ihm die Idee mit dem Auto, und er setzte seine Idee gleich um. Mittlerweile ist es drei Uhr nachmittags, wir fahren als Letzte los. Nicht alle sind bis hierhin gekommen. Ob sie sich verirrt haben oder eine Panne beheben mussten? Oder hatte es gar zu viele angeschriebene Häuser unterwegs? Sie werden es uns am Abend erzählen. Damit wir auf unserer Weiterreise durchs Appenzellerland die schönsten Strässchen nicht verpassen, hat Fränzi an den Schlüsselstellen wieder Frageposten gesetzt. «Welches Gesetz missachtet die Dame?», steht da auf dem Frageblatt. Eine Steinskulptur, ein Pärchen auf einem www.motosport.ch 05/2015 | 33 ZOOM 5. Chnüttler-Revival Neckisch: Der Parcours mit der Bänne führt durch ein ehemaliges Briefträgerauto hindurch. Unzimperlich: «Yogi» kippt kurzerhand den Inhalt der schweren Tonne in sein Boot. Töff. Sie ohne Helm, was die Lösung ergibt: Helmobligatorium. Jetzt haben wir Fränzis tückisches Chnüttler-Denken verstanden. Über anmutige Höhen und kleine gewundene Strässchen fahren wir durch eine Landschaft im Winterkleid. So düsen wir über Bächli zum Restaurant Schönau zum Posten 4. Beizer Florian hätte Ferien, doch er öffnet extra für die Chnüttler. Eine punktgenaue Bremsung auf Zeit ist gefordert. Mit den Spikespneu keine leichte Aufgabe. Beizengemütlichkeit nach einem langen Fahrtag Posten 5 ist auch das Ziel, aber es ist noch nicht Feierabend. Aus einer grossen Tonne sollen wir möglichst viel Alteisen klauben, dieses mit dem Töff zu einer kleineren Tonne transportieren und da reinwerfen. Einer hat sich dermassen beladen, Stecken geblieben! Aber ein echter Winterchnüttler, wie Erwin einer ist, hat für diesen Fall eine Schaufel dabei. (Bild: Monika Stadler) 34 | www.motosport.ch 05/2015 dass er beim Aufsteigen gleich umkippt. Solofahrer basteln aus der Töffjacke eine Art Sack zum Verstauen der vielen Teile oder stülpen sich eine verbeulte Felge als Halskrause grad über den Helm. Rolf, der Beizer des Restaurants Bahnhöfli in Lütisburg Station, wirbelt derweil mit seinem Team. Eine Suppe dampft in der Pfanne am Buffet, der Salat kommt in grossen Schüsseln auf den Tisch, in der stilvollen Bar werden Essen und Getränke serviert, und als alle satt sind, gehts zur Rangverkündigung. Rolf Ziegler, der einen orangefarbenen Zweitakter fährt, siegt mit einem Punkt Vorsprung. Nebst dem Pokal erhält er einen Gutschein für einen Tageskurs bei Dany Wirz Offroad. Das Fest geht weiter, später wird die Scheune zum Massenlager, und wer es wärmer mag, rollt seinen Schlafsack grad in der Bar aus. n Nochmals Schwein gehabt: Zum Glück war da ein Bäumchen, das den Absturz verhinderte. (Bild: Peter Fäh) 5. Chnüttler-Revival ZOOM Unsere Chnüttler MONIKA STADLER (59) UND ERWIN KURIGER (41) MSS-Mitarbeiterin Monika Stadler (59) fährt im normalen Leben nicht im Seitenwagen, und schon gar nicht im Winter. «Fränzi rief mich verzweifelt an und fragte, ob ich nicht kurzfristig meine Wochenendpläne ändern und als Plampi an der Rally teilnehmen möchte, der Schreiberling für den Anlass sei krank. Puh. Ausgerechnet ich, die im Winter das Motorrad stehen lässt». Erwin Kuriger (41) aus Unteriberg bot sich als Chauffeur an. Der erfahrene Russentreiber braust mit seinem Dnepr-Gespann am liebsten über schneebedeckte Strässchen. Es braucht nicht haufenweise Leistung und auch nicht den neuesten Töff, um Spass zu haben im Schnee. Hurra, es hat geschneit! Wie viele Male kann man in einer Minute einen Flathead-V2 ankicken? (Bild: Sandra Fröhlich) www.motosport.ch 05/2015 | 35
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