finden Sie den Vortrag des Flüchtlingsrats Berlin.

Neue Wege in der Flüchtlingsarbeit
Vortrag von Martina Mauer, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats Berlin beim Fachtag „Rechtliche
Fragen rund um die Berliner Flüchtlingspolitik und deren Auswirkung auf die Praxis sozialer
Arbeit“ am 15. April 2015.
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Thema, zu dem ich gebeten wurde zu referieren, heißt „Neue Wege in der Flüchtlingsarbeit“. Ich habe mich entschlossen den Titel meines Vortrags umzubenennen in „Neue Wege
in der Flüchtlingspolitik“, denn ich glaube, in der Politik sind neue Wege am meisten gefragt.
Wir haben heute mehrmals von den Schwierigkeiten gehört, die die steigenden Flüchtlingszahlen mit sich bringen. Keine Frage, die zunehmenden Fluchtbewegungen fordern den zuständigen Stellen einiges ab und wir haben großen Respekt vor denjenigen Mitarbeiter_innen in den zuständigen Behörden und Einrichtungen, die unter schwierigsten Bedingungen und auf Kosten der eigenen Gesundheit und Familie versuchen, das Beste für die
betroffenen Menschen herauszuholen. Doch es wäre zu leicht, alle Fehler und Defizite in der
Berliner Flüchtlingspolitik mit den steigenden Zahlen zu entschuldigen. Und auch trotz, oder
vielleicht gerade wegen der aktuell zunehmenden Zugangszahlen müssen neue Wege in der
Flüchtlingspolitik gegangen werden. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel weg von einer
Politik, die auf Abschreckung setzt oder Geflüchtete wie ein Problem behandelt, das durch
eine optimierte Verwaltung in den Griff gebracht werden muss. Stattdessen brauchen wird
eine Politik, die sich an Aufnahme, Teilhabe und Bleiberecht orientiert. Es würde meine
Sprechzeit sprengen, auf alle Bereiche einzugehen, in denen dieser Paradigmenwechsel
stattfinden muss. Deshalb möchte ich mich auf einige zentrale Themen beschränken:
Unterbringung:
Die Bedingungen in den Berliner Sammelunterkünften sind nicht erst heute schwierig, sie
waren auch schon vor fünf Jahren prekär, als die Flüchtlingszahlen auf niedrigem Niveau
stagnierten. Räumliche Enge und fehlende Privatsphäre bestimmten auch damals den Alltag
der Menschen in den Unterkünften. Dennoch war Berlin bundesweit Vorreiter bei der Unterbringungsfrage, denn den Menschen wurde erlaubt, nach drei Monaten aus den Unterkünften auszuziehen und sich eine Wohnung zu suchen. Das dürfen sie immer noch, doch die
Vorreiterrolle hat Berlin längst verloren. Neu ankommende Asylsuchende werden in Containern, Turnhallen und anderen Behelfsunterkünften untergebracht und weil sie keine Wohnung finden, bleiben sie dort oft für lange Zeit.
Was wir bei unseren Besuchen in den Turnhallen gesehen haben, hat uns schockiert: Über
200 Menschen sind in einem Raum untergebracht, es gibt aus Brandschutzgründen keinen
Sichtschutz, keine Trennwände. Oftmals gibt es nicht einmal richtige Betten, sondern lediglich Feldbetten ohne Matratzen. Auch besonders schutzbedürftige Flüchtlinge werden unterschiedslos in den Hallen untergebracht. Es gibt keine Möglichkeit private Gegenstände aufzubewahren, keine Schränke, keine Schließfächer. Die Menschen verbringen dort nicht nur
wenige Tage, sondern Wochen und Monate. Warum die Hallen nicht wenigstens mit dem
Allernötigsten ausgestattet wurden, also mit normalen Betten mit Matratzen, mit Schließfächern für persönliche Wertgegenstände und mit Wachmaschinen und Teeküchen, erschließt
sich nicht.
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Sozialsenator Czaja hat gegenüber der Presse angekündigt, dass die Turnhallen möglichst
schnell leergezogen werden sollen. Das ist eine gute Nachricht. Allerdings muss man genau
hinsehen, was mit den in den Turnhallen untergebrachten Menschen geschieht. Viele werden auf neu eröffnete Notunterkünfte verteilt und kommen zum Teil vom Regen in die Traufe.
12 bis 20 Personen müssen sich in manchen Notunterkünften ein Zimmer teilen, die senatseigenen Mindeststandards hinsichtlich Ausstattung mit Sanitärräumen und Küchen werden
nicht annähernd erfüllt. In einigen Notunterkünften gibt es keine Möglichkeit selbst zu kochen, das Essen wird durch einen Caterer geliefert. Auch wenn die Menschen zuvor bereits
drei Monate in einer Turnhalle gelebt haben und aufgrund ihrer Aufenthaltsdauer Anspruch
auf Barleistungen haben, erhalten sie wegen der fehlenden Kochmöglichkeiten statt Bargeld
weiterhin Fertignahrung. Ein Gericht pro Tag zur Auswahl – wem das nicht schmeckt oder
wer das aus gesundheitlichen Gründen nicht verträgt, hat Pech gehabt. Die erzwungene
Vollverpflegung schränkt die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Lebensgestaltung massiv
ein und wird von den betroffenen Menschen als höchst belastend empfunden.
Wir freuen uns, dass der Senat langfristig Abstand nehmen will von den Notunterkünften und
weiteren Container-Massenunterkünften und stattdessen über die Stadt verteilt kleinere Unterkünfte bauen will. Doch 240 Menschen an einem Standort sind immer noch zu viele. Und
auch bei den geplanten Modularbauten stellt sich die Frage nach der konkreten Ausgestaltung: Werden die Gebäude so gestaltet sein, dass sie ein Mindestmaß an Privatheit und
Selbstbestimmung ermöglichen und abgeschlossene Wohneinheiten bieten, oder bleibt man
beim Konzept der Gemeinschaftsküchen, Gemeinschaftsbäder und Vielbettzimmer?
Obwohl der Senat bei der Planung der kürzlich eröffneten Containerunterkünften freie Gestaltungsspielraum hatte, hat er sich gegen bessere Standards entschieden, dort sind nicht
einmal die Damenduschen abschließbar.
Es ist längst Zeit, endlich neue Wege zu gehen. Ich fordere den Senat auf, die Chance zu
nutzen und bei den geplanten Modularbauten abgeschlossene Wohneinheiten zu schaffen,
jeweils mit eigenem Sanitärbereich und Küchenzeile. Die Unterkünfte müssen sich anders
als die Containerlager optisch ins Wohngebiet einfügen und nicht schon durch ihr Äußeres
ihre BewohnerInnen als „nicht zugehörig“ markieren. Natürlich ist die Ausstattung der Unterkünfte eine Frage des Geldes. Aber es ist auch eine Frage der Prioritätensetzung, es ist die
Frage, ob wir schutzsuchende Menschen in Berlin vernünftig unterbringen möchten, oder
nicht.
Ich neige dazu, polemisch zu werden, doch verwundert es schon, dass gleich nebenan ein
neues Schloss gebaut wird, bis vor Kurzem fieberhaft daran gearbeitet wurde, Olympia in die
Stadt zu holen, und jährlich Milliarden in einen gescheiterten Flughafen fließen, aber Berlin
kein Geld für abschließbare Duschkabinen in Flüchtlingsunterkünften hat.
Wohnungen für Flüchtlinge:
Aber auch wenn sie hohen Qualitätsanforderungen genügen, können die Sammelunterkünfte
immer nur eine Übergangslösung sein. Ziel muss sein, dass die Menschen schnellst möglich
eigene Wohnungen mieten können, mit eigenem Mietvertrag und normalen Mieterrechten.
Nicht nur, weil dadurch in den bestehenden Unterkünften Platz für Neuankommende geschaffen wird und der Stadt teure und unwürdige Notlösungen erspart blieben, sondern vor
allem, weil eine eigene Wohnung von elementarer Bedeutung ist für die Verarbeitung von
Fluchterfahrungen, für ein Ankommen in Berlin und für eine selbstbestimmte Lebensführung.
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Herr Allert hat heute ausgeführt, dass auch der Senat am Ziel der Wohnungsunterbringung
festhält. Doch das allein reicht nicht aus. Die Wohnungsunterbringung von geflüchteten
Menschen muss zur obersten Priorität erklärt werden. Die im letzten Sommer vom Senat
eingerichtete Task Force zur Lösung der Unterbringungsnotlage hat sich ausschließlich damit beschäftigt, wie möglichst schnell möglichst große Unterkünfte bereit gestellt werden
können. Ich frage mich, warum gibt es eigentlich keine Task Force zur Wohnungsunterbringung? Oder einen Beirat für Wohnungsfragen?
An erster Stelle brauchen wir eine neue Wohnungspolitik, die bezahlbaren Wohnraum für
alle in der Stadt schafft – für GeringverdienerInnen, für Familien mit Kindern, für Studierende,
für geflüchtete Menschen, für Obdachlose. Auch das ist eine Kostenfrage, doch ich bin überzeugt, dass es langfristig wirtschaftlicher ist, durch sozialen Wohnungsneubau dauerhaft
Wohnraum zu schaffen, als weiterhin auf provisorische Sammelunterkünfte mit Substandards zu setzen.
Im Februar 2014 wurde das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk EJF vom Senat mit der
Vermittlung von Asylsuchenden in private Wohnungen beauftragt. Wir begrüßen sehr, dass
die Beratungsstelle personell aufgestockt werden soll. Es fehlt jedoch eine entsprechende
Anlaufstelle auch für geduldete und anerkannte Flüchtlinge, denn das EJF bietet nur Beratung für Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden.
Und auch im LAGeSo muss das mit Wohnungsfragen befasste Personal dringend verstärkt
werden. Immer wieder gehen mühsam gefundene Wohnungen verloren, weil die Zentrale
Leistungsstelle zu lange braucht für die Prüfung der vorgelegten Mietangebote oder weil die
Zusage zur Kostenübernahme nur für einen viel späteren Mietbeginn erteilt wird als im Wohnungsangebot vorgesehen. So werden Wohnungsanbieter verprellt. Es ist unerträglich, dass
Wohnungen, die den sozialrechtlichen Vorgaben entsprechen, nur deshalb nicht bezogen
werden können, weil eine Sachbearbeiterin überlastet, krank oder im Urlaub ist, und es keine
Vertretung für sie gibt.
Die Unterbringung in der Sammelunterkunft kostet etwa zwischen 8 und 30 Euro pro Person
und Nacht, der Durchschnittswert lag lange bei 15 Euro, wahrscheinlich liegt mittlerweile weit
darüber. Bringt man eine Familien statt in der Sammelunterkunft in einer Mietwohnung unter,
die den sozialrechtlichen Mietobergrenzen entspricht, können leicht mehrere tausend Euro
im Jahr gespart werden. Die Kosten für eine zusätzliche Sachbearbeiterstelle bei der ZLA
hätte man schon bei wenigen Familien, die in eine Wohnung ziehen, wieder drin.
Es gibt noch eine ganze Reihe an Maßnahmen, die geeignet sind, die Unterbringung von
Geflüchteten in Wohnungen zu fördern, dazu gehören verständlich und verbindlich formulierte Mietübernahmescheine und die Ausgabe von Wohnungsberechtigungsscheinen auch an
Asylsuchende und Geduldete, sowie ein öffentlicher Appell des Regierenden Bürgermeisters, Wohnungen für Flüchtlinge bereitzustellen.
Außerdem müssen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften stärker in die Pflicht genommen werden. Aktuell stellen sechs Wohnungsbaugesellschaften lediglich 275 Wohnungen jährlich zur Verfügung, die durch das EJF an Asylsuchende vermittelt werden – das ist
viel zu wenig. Und leider nutzen manche Wohnungsunternehmen das Kontingent, um sich
aus ihrer Verantwortung zu stehlen und vermieten außerhalb des Kontingents gar nicht mehr
an Geflüchtete. So werden Bewerbungen von anerkannten und geduldeten Flüchtlingen regelmäßig abgelehnt und die Menschen auf das vom EFJ verwaltete Wohnungskontingent
verwiesen, obwohl bekannt ist, dass dieses Angebot nur für Menschen im Asylverfahren gilt.
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Versorgung:
Ich komme zum nächsten Punkt bei dem es dringenden Reformbedarf gibt: die medizinische
Versorgung von Asylsuchenden. Auch im novellierten Asylbewerberleistungsgesetz wird an
der Minimalmedizin für Flüchtlinge festgehalten. Krankenhausbehandlungen und andere
ärztliche Verordnungen müssen sich PatientInnen beim LAGeSo bewilligen lassen. Das
dauert oft Monate, dringend benötigte Behandlungen werden verzögert oder gar nicht erst
bewilligt. Ich finde es beschämend für das Land Berlin, wenn Eltern und SozialarbeiterInnen
zum Beispiel monatelang darum kämpfen müssen, dass ein behindertes Kind endlich einen
passenden Rollstuhl bekommt. Das Asylbewerberleistungsgesetz gehört dringend abgeschafft, dafür muss sich Berlin auf Bundesebene stark machen. Aber auch innerhalb des
bestehenden gesetzlichen Rahmens ist es möglich, eine bedarfsgerechtere Versorgung sicherzustellen. Zum Beispiel über die Einführung einer Krankenversichertenkarte für Asylsuchende nach dem Vorbild Bremens und Hamburgs, durch eine ausreichende Personalausstattung bei den Sozialämtern und durch eine positive Ermessenspraxis bei der Bewilligung
von Psychotherapien und Dolmetscherkosten.
Innenverwaltung und Ausländerbehörde:
Die Themen Unterbringung und Versorgung und damit die Sozialverwaltung stehen derzeit
im Fokus, etwas aus dem Blick geraten die Politik der Innenverwaltung, respektive der Ausländerbehörde, die bei diesem Fachtag auch gar nicht vertreten sind. Doch auch hier ist ein
Paradigmenwechsel dringend erforderlich, weg von ordnungspolitischen Prinzipien hin zu
einer am positiven Ermessen ausgerichteten Praxis.
Auf Landesebene gibt es für die Innenverwaltung zahlreiche Spielräume für eine an humanitären Gesichtspunkten orientierte Flüchtlingspolitik. Zum Beispiel beim erweiterten Familiennachzug für SyrerInnen: Es handelt sich um eine Regelung, für die das Land Berlin die Voraussetzungen und Kriterien weitgehend selbst bestimmen kann. Rechtsanwalt Stahmann
hat ausgeführt, dass die Berliner Regelung ein hohes Einkommen der hier lebenden Angehörigen voraussetzt. Täglich rufen bei uns verzweifelte Menschen an, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, deren Angehörige aber in Syrien in höchster Gefahr sind oder in den
Nachbarländern unter schwierigsten Lebensbedingungen leiden. Es liegt in der Hand der
Innenverwaltung, ob auch diese Menschen ihre Angehörigen in Sicherheit bringen können,
oder ob das Landesaufnahmeprogramm eine Regelung nur für wenige wohlhabende Familien bleibt. Denn vom Erfordernis einer unbefristeten Verpflichtungserklärung könne abgesehen werden.
Am vergangenen Montag sind vor der Küste Libyens 400 Menschen verschwunden, sie sind
vermutlich ertrunken. Die Bundes- und Landesregierungen machen sich mitschuldig am Tod
dieser Menschen, wenn sie nicht endlich sichere Zugangswege schaffen. Das Landesaufnahmeprogramm nach § 23 I bietet den Ländern eine Möglichkeit dafür.
Auch bei der Ausländerbehörde gilt es eine am positiven Ermessen ausgerichtete Praxis
zum Standard zu machen – zum Beispiel bei der Durchsetzung von aufenthaltsrechtlichen
Mitwirkungspflichten. In Berlin lebten zum Jahresende 2014 fast 10.000 Menschen mit Duldung. Vielen von ihnen wirft die Ausländerbehörde vor, nicht ausreichend an der Passbeschaffung und Identitätsklärung mitzuarbeiten und sanktioniert sie mit einem dauerhaften
Arbeitsverbot. Doch wer seit Jahren in Deutschland lebt, reist nicht deswegen aus, weil er
oder sie nicht arbeiten darf. Vielmehr führt das Arbeitsverbot dazu, dass die Menschen auf
Dauer auf Sozialleistungen angewiesen bleiben, ihre Qualifikationen verlieren und auch ihren
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Lebensmut. Hier gilt es transparent zu machen, welche Mitwirkungshandlungen eigentlich
erwartet werden, und auch die Realität anzuerkennen und für die Menschen Bleibeperspektiven zu entwickeln.
Die Ausländerbehörde steckt viel Energie in die Abschiebung von abgelehnten Asylsuchenden. Auch diesen Winter ging fast monatlich aus Berlin ein Sammelabschiebecharter nach
Belgrad und Sarajevo, obwohl klar war, dass die Mehrheit der Betroffenen direkt in die Obdachlosigkeit abgeschoben wird. Die Menschen werden unangekündigt in den frühen Morgenstunden von der Polizei aus den Wohnheimen geholt, oft werden ihnen ihre Mobiltelefone
auf dem Weg zum Flughafen weggenommen und Familien getrennt. Wie kürzlich bekannt
wurde, arbeitet die Ausländerbehörde seit Jahren mit einem höchst zweifelhaften Gutachter
zusammen, der die Reise- und Flugfähigkeit von ausreisepflichtigen Personen feststellen
sollte. Nach allem, was man bisher über den Gutachter weiß, drängt sich der Eindruck auf,
dass hier Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben wurden, um möglichst viele Menschen
abschieben zu können. Die Abschiebepraxis der Berliner Ausländerbehörde muss dringend
einer Revision unterzogen werden. Die Behörde darf nicht länger die Durchsetzung der Ausreisepflicht als ihren primären Aufgabenbereich ansehen, sondern sollte sich stattdessen an
einer auf Integration gerichteten Politik orientieren.
Dauer der Asylverfahren:
Erlauben Sie mir noch einen Exkurs weg von der Berliner Landespolitik hin zur bundespolitischen Ebene, zur Dauer der Asylverfahren. Asylsuchende warten zum Teil monatelang auf
den Termin für ihre Anhörung und dann noch einmal über Monate hinweg auf eine Entscheidung des Bundesamtes – auch wenn Sie wie Iraker, Iraner, Somalis oder Afghanen gute
Chancen auf Anerkennung haben. Im letzten Quartal 2014 dauerte ein Asylverfahren beim
BAMF im Schnitt 14,9 Monate, wenn man die Dublin-Verfahren und diejenigen Herkunftsländer unberücksichtigt lässt, für die es eine Priorisierung gibt, also Westbalkan und Syrien. Die
Nachteile der langen Verfahren sind evident: Die Betroffenen können ihre Familien nicht
nachholen, sie leben fortwährend in Unsicherheit und haben keinen vollen Arbeitsmarktzugang.
Ich möchte einen Vorschlag an das hier nicht anwesende Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge richten, wie man die Dauer der Asylverfahren verringern könnte: Herr Stahmann
ist auf die Dublin III-Verordnung schon zu sprechen gekommen und hat ausgeführt, was für
eine Belastung mit den Dublin-Verfahren für die betroffenen Menschen einhergeht und auch
was für ein bürokratischer Aufwand.
2014 hat das Bundesamt im Rahmen des Dublin-Verfahrens über 35.000 ÜbernahmeErsuchen an andere Mitgliedstaaten gestellt, tatsächliche überstellt wurden 4.800 Menschen.
Wie viel Ressourcen bündelt dieses Verfahren, von dem jeder weiß, dass es gescheitert ist,
und das wie es scheint nur noch aus Prinzip und als Abschreckungsinstrument aufrechterhalten wird? Statt sich tausendfach mit fragwürdigen, aufwändigen und ineffizienten Dublin-Verfahren zu beschäftigen, sollte das BAMF vorhandene Ressourcen in die Bearbeitung
fairer Asylverfahren investieren. Dafür sollte das Bundesamt in einer Sofortmaßnahme
SachbearbeiterInnen aus dem Dublin-Referat für die Bearbeitung von Asylanträgen abordnen, und bei Dublin-Fällen zugleich regelmäßig vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen.
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Die Notwendigkeit für einen Richtungswechsel im Bereich der Sozial- und Innenpolitik auf
Landes- wie auf Bundesebene ist evident und Vorschläge für Verbesserungen gibt es weit
mehr als ich hier aufzählen konnte. Ich möchte in diesem Zusammenhang abschließend
doch noch auf das ursprüngliche Thema meines Vortrags kommen, auf die Flüchtlingsarbeit.
Was können soziale Träger tun und diejenigen, die als SozialarbeiterInnen und –
betreuerInnen mit geflüchteten Menschen arbeiten? Mein Appell an die Betreiber von Wohnheimen ist, für menschenwürdige Standards in den Unterkünften zu sorgen und sich nicht für
Unterbringungskonzepte herzugeben, bei denen die Bedürfnisse der Menschen auf der Strecke bleiben.
SozialarbeiterInnen und ehrenamtlich Engagierte möchte ich ermutigen, nicht nur die sozialen Härten durch gute Beratung abzufedern und das Beste aus der gegeben Situation herauszuholen, sondern sich gemeinsam mit den Flüchtlingselbstorganisationen, dem Flüchtlingsrat und den Wohlfahrtsverbänden für eine bessere Flüchtlingspolitik in der Stadt einzusetzen. Bleiben Sie kritisch, denn soziale Arbeit beschränkt sich nicht auf karitative Hilfe,
sondern muss immer auch politisch sein.
Vielen Dank!
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