als pdf

VHS-Vortrag zur Stadtentwicklung in den 1950er bis 1970er
Jahren
Zur Aussiedlung landwirtschaftlicher Betriebe aus der Bad Driburger Innenstadt
Bad Driburg. Anlässlich der 725-Jahrfeier der Stadt Bad Driburg startete die
VHS-Jubiläumsvortragsreihe vor breitem Publikum mit dem Auftakt
„Stadtentwicklung in den 1950er bis 1970er Jahren“. Dr. Heinz-Jörg Wiegand,
Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung der Stadt Bad Driburg, referierte
zum Thema.
In einem vollen Sitzungssaal begrüßte Janine Brigant-Loke, Leiterin der Volkshochschule Bad Driburg,
Brakel, Nieheim und Steinheim das Publikum. Sie freut sich darüber, dass die Vortagsreihe, die
bereits im vergangenen Jahr auf das Jubiläumsjahr einstimmen sollte, bereits außerordentliche
Besucherzahlen zu verzeichnen hatte. Dass dieses Interesse nun mit der Auftaktveranstaltung in
diesem Jahr fortgesetzt wird beweist die Verbundenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt.
Dr. Heinz-Jörg Wiegand (Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung der Stadt Bad Driburg)
und Janine Brigant-Loke (VHS-Leiterin) freuen sich über das große Interesse.
Dr. Wiegand schildert, dass Bad Driburg in seinem alten Stadtkern und an den Ausfallstraßen
jahrhundertelang durch seine Ackerbürgerhäuser gekennzeichnet war. Bereits in den 1950er Jahren
favorisierten die Verantwortlichen von Stadtrat, Verwaltung und lokaler Wirtschaft den Ausbau des
Ortes zu einem deutschlandweit konkurrenzfähigen Badeort. Der gewaltige Aufschwung der
„weißen“ Bäderindustrie, der durch die großzügige Sozialpolitik der jungen, vom Wirtschaftswunder
geprägten Bundesrepublik veranlasst war, sollte auch in Bad Driburg spürbar sein, erläutert Dr.
Wiegand. Die Stadtkernsanierung ab den 1960er Jahren fußte dann überwiegend auf drei Säulen: der
Entlastung der Lange Straße vom Durchgangsverkehr durch den Bau einer Umgehungsstraße, dem
Rückbau älterer Gebäude wie dem Josephinum, der Rentei und dem Gräflichen Rittergut in der
mittleren Lange Straße und der bereits in den 1950er Jahren eingeleiteten Aussiedlung aller
landwirtschaftlichen Betriebe aus der Innenstadt in die Außenbereiche. Aus der mittelalterlichen
Ackerbürgerstadt entstand schließlich eine recht großzügige Einkaufscity für Kurgäste, Touristen und
Einwohner: neben dem großflächigen Hellwegzentrum mit Wohn- und Geschäftsimmobilien reihte
sich fortan Ladenlokal an Ladenlokale entlang der Lange Straße und in den Nebenlagen.
Dr. Wiegand hat im Rahmen der Vortragsreihe der VHS zum neuen Stadtgeschichtsbuch diesen
Strukturwandel in Bad Driburg nachvollzogen. Dieser durch die Bundespolitik gesetzlich flankierte
Prozess wurde in Bad Driburg durch eine Verdoppelung der Einwohnerzahl zwischen 1939 und 1974
sowie die rasant ansteigenden Übernachtungszahlen noch verstärkt. Städtebaulich trat hinzu, dass
das Hellweg-Einkaufszentrum überwiegend auf vormaligen Freiflächen zwischen der mittleren Lange
Straße und dem Konrad-Adenauer-Ring errichtet wurde. Das Aussiedeln der landwirtschaftlichen
Betriebe stellte damals, so resümiert Dr. Wiegand, eine flankierende Maßnahme zur Flurbereinigung
dar. Zugleich sollte mit bundespolitischen Vorgaben das Gefälle des Lebensstandards von Stadt und
Land angeglichen und der zunehmenden Abwanderungen aus den ländlichen Räumen Einhalt
geboten werden.
Im Zuge der Untersuchung der Aussiedlung
landwirtschaftlicher Betriebe aus der
Innenstadt, der mit dem letzten Betrieb erst
im Jahr 1980 seinen Abschluss fand, wurden
23 Betriebe identifiziert. Elf wurden
umgehend stillgelegt, zwölf in baulich nahezu
einheitliche Aussiedlerhöfe und überwiegend
in
die
topografisch
begünstigte
Ostenfeldmark ausgesiedelt. Ein identischer
Verlauf der Aussiedlungen vollzog sich jedoch
in
allen
vergleichbaren
Städten
Westdeutschland, wenngleich auch mit
unterschiedlichen
Schwerpunkten
im
Rahmen des Städtebaus. Etwas paradox, so
Dr. Wiegand weiter, mutet die Entwicklung in den Dörfern an: hier existieren selbst in der Gegenwart
noch zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe in den Ortskernen, demgegenüber sind Nahversorgung,
Dienstleister wie Post und Banken und selbst Gasthäuser nur noch in Ortsteilen ab etwa 1.200
Einwohnern ansässig. Der tiefgreifende und bis heute
anhaltende
Strukturwandel
erreichte
nach
der
Landwirtschaft ebenfalls andere Branchen wie die großen
Industriebetriebe in der Stadt und den Fremdenverkehr
abseits der Kliniken. Vor- und nachgelagerte Betriebe wie
die Molkerei und die Genossenschaft, die ihre Ursprünge im
Ortsteil Pömbsen hatten, schlossen Mitte der 1970er Jahre
bzw. nach der Jahrtausendwende. Fast alle Standorte
wurden aufgrund der begehrten Innenstadtlagen überplant
bzw. einer baulichen Umnutzung unterzogen.
Heute muss sich die Stadtentwicklung anderen
Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, den
Themen der Integration
oder dem grundlegenden
Strukturwandel im Fremdenverkehr stellen, betont Dr.
Wiegand.
Selbst der Handel ist nunmehr veränderten Anforderungen unterworfen, die sich von denen der
späten 1960er und 1970er Jahre abheben: Verkaufsfläche, Sortimente, Parkplätze und InternetHandel. Dr. Wiegand bilanziert, dass dieser Strukturwandel die örtliche Landwirtschaft schon vor
langer Zeit erreicht hat: fast alle der untersuchten Betriebe existieren entweder gar nicht mehr oder
zumindest nicht mehr im Vollerwerb. Von den damals aus der Innenstadt ausgesiedelten Gehöften
verblieben nicht weniger als drei. Lediglich 0,25% aller 6.000 sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten arbeiten im Stadtgebiet noch in landwirtschaftlichen Betrieben. Nur noch 44% der
Flächen im Stadtgebiet unterliegen einer rein landwirtschaftlichen Nutzung, über 300 Hektar Fläche
wurden in den vergangenen vier Jahrzehnten durch Umnutzung der Landwirtschaft entzogen.
Dr. Wiegand fasst zusammen, dass damals wie heute unabhängig davon gilt, dass die Landwirte unter
harten und schwierigen Bedingungen das tägliche Brot sichern.
Der nächste gebührenfreie VHS-Vortrag zur Bad Driburger Stadtgeschichte „Die Stadt Bad Driburg
nach zwei kommunalen Neugliederungen. Eine Chronik der Jahre 1970 bis 2004“ (Kursnr.: 1.0012)
findet statt am Donnerstag, 23.04.2015 in der Zeit von 19:30 - 21:00 Uhr im Sitzungssaal des Bad
Driburger Rathauses. Referent ist Karl-Heinz Menne (Bürgermeister a.D. seit 2004).